Eduard von Keyserling
Beate und Mareile / I
Eduard von Keyserling

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Lange hielt es Günther jedoch nicht aus, stille dazuliegen, er mußte dem neuen Ereignisse näher sein. Er eilte in den Musiksaal, streckte sich in einem Sessel aus, schloß die Augen, hörte zu. Das war gut. Er reckte seine Glieder ordentlich vor physischem Behagen. Aber was sang sie denn? War das nicht Isoldens Liebestod? Es klang jedoch fremd. Das Dämmerige, die süße Tiefe dieser Klage, in der Lieben und Sterben geheimnisvoll und einträchtiglich beieinander wohnen, das fehlte. Diese Musik war eine scharfe, klare, fast böse Leidenschaft. Seltsam, dachte Günther, wie ein nordischer See unter einer südlichen Sonne. Ja, gerade so! Was hat die Frau nur, um das so zu singen? Er schaute sie an. Die Linien ihres Körpers bebten sachte in der Anstrengung des Gesanges. Aus dem skabiosenblauen Sommerkleide leuchtete der Nacken hervor, wie Widerschein von Gold lag es auf ihm. Ein leichter Flaum bedeckte die Arme mit winzigen Lichtstricheln. In den runden Linien dieser Arme lag so viel Irdisch-Junges, lag etwas, das zum Volk gehörte, an Arbeit denken ließ.

Mareile sang:

»Wie sie schwellen,
Mich umrauschen,
Soll ich atmen?
Soll ich lauschen?
Soll ich schlürfen,
Süß in Düften
Mich verhauchen?
In des Wonnemeeres
Wogenden Schwall?«

Günther schloß wieder die Augen. Die Musik stellte mit visionärer Farbigkeit ferne, südliche Erinnerungen vor ihn hin. Rote Felsen, blonder Meersand, das Meer ein tiefblaues Atlastuch, das rauschend steife, blanke Falten schlägt. An der sonnenwarmen Felswand, auf den Sand niedergekauert, die kleine Photini, die junge Frau des alten Maoro Petros, des Zollaufsehers von Hydra. Dort wartete sie täglich auf Günther, wenn er vom Bade kam. Regungslos hockte sie, das Kinn auf die Knie gestützt, die Augen schmal und schwarz in die Helligkeit hinausstarrend, wie schöne Raubtieraugen, die auf Beute lauern. Wenn er dann vor ihr stand, zuckten die Wimpern. Er beugte sich nieder und nahm das ganze, sonnenwarme Figürchen in seine Arme. Photini lachte ein schrilles Möwenlachen. So trug er sie in einen Winkel, den die überhängenden Felsen zu einer schattigen Kammer machten. Die Wellen hatten große Sandpolster hineingespült, blank und gewässert, wie alte Brokate. Es roch nach Stein und Algen. Hier streckte Photini sich aus, ein mattgelber Elfenbeinleib, der glänzte, als flösse Honig statt Blut in seinen Adern, dann warf sie sich auf Günther, umschlang ihn mit den blanken Armen, den blanken Beinen, eidechsenwohlig zu Hause in der sinnlichen Glut, wie in der Sonnenglut an der Felswand. Günther entsann sich, wie er einmal in dieser wilden Umarmung seine Sinne schwinden fühlte. Eine Ohnmacht überwältigte ihn. Als er zu sich kam, sah er Photinis schmale, blanke Augen über sich, ängstlich und neugierig, dann lachte sie ein wenig spöttisch, und mit der schrillen Musik ihrer Stimme rief sie: »Ptochos«, »Armer«, das klang mitleidig und fast verächtlich.

»Schlafen Sie?« fragte Mareile. Sie hatte sich auf dem Stuhle umgewandt und lächelte Günther an. »Sie sehen aus wie jemand, der angestrengt träumt.«

»Tu ich auch«, sagte Günther. »Bei Musik träumen wir so lebhaft wie im Fieber. Aber sagen Sie, wie singen Sie das?«

»Schlecht, ich weiß«, meinte Mareile. »Noch kann ich nicht so recht. Es kommt immer Eigenes hinein. Nun, Isolde leiht mir wohl mal ihre Musik für meine eigenen Angelegenheiten.«

»O gewiß!« stimmte Günther zu. »Sie brauchen ein Stimmungsventil. Das versteh' ich. Wenn's sich in mir so rührt, dann geh' ich zu Peter und schreie ihn an. Wunderbar haben Sie gesungen.«

Beide schwiegen einen Augenblick. Mareile schlug sinnend einige Töne an.

»Sind Sie krank?« fragte sie dann. »Sie sehen so – still aus?«

»Ja, Azedi.«

»Ist das eine Krankheit?«

»Ja, eine Klosterkrankheit. Die Nönnchen kriegen das von zu viel Heiligkeit. Ach, das ist heilbar... Es ist so 'ne Art Katzenjammer.«

»Was tut man dagegen?«

»Starke Verzückungen werden angewandt. Ein neuer Rausch, wie immer bei Katzenjammer. Aber singen Sie noch, das ist auch so 'n neuer Rausch.«

Mareile sang:

»Du bist der,
Nach dem ich verlangte
In frostigen Winters Frist.
Dich grüßet mein Herz
Mit heiligem Grauen.«

Günther nahm seinen Traum wieder auf. Die griechische Sonne, die roten Felsen gegen den unsagbar blauen Himmel... aber jetzt stand Mareile in alldem. Sie schaute mit den tokaierbraunen Augen den Strand entlang und wartete auf ihn. Auf ihn! Teufel! Das wäre etwas!

»Hell wie der Tag
Taut es mir auf
Wie tönender Schall –«

sang Mareile.

Wie sie im Singen bebte, wie die Töne in ihr schwollen! Plötzlich ging Günther hinaus. Er fürchtete, wunderlich auszusehen, mit dieser neuen, großen Aufregung im Herzen.

 

»Da Sie wieder singen«, sagte Günther zu Mareile, »so reiten Sie wohl auch wieder.«

Mareile hatte nichts dawider. »Gut!« bestimmte Günther. »Ich reite heute mit Ihrem Vater aufs Vorwerk hinaus. Sie kommen also mit!«

Am Nachmittag saß Mareile im olivgrünen Reitkleide, den niedrigen, blanken Hut auf dem Kopfe, auf der Fuchsstute. Sie liebte das Reiten. Die Freude machte ihr Gesicht rosa und kindlich.

»Achtgeben«, mahnte Vater Ziepe. »Ein Pferd ist kein Klavier.«

Ein Gewitterregen war über das Land gegangen, jetzt schien die Sonne wieder zwischen den großen, metalligen Wolkenballen hindurch. Glatt und grün lagen die gemähten Wiesen da. Die Schwalben schossen ganz niedrig darüber hin.

»Jetzt Galopp!« rief Mareile, »ho – ho – Grane.« Günther blieb neben ihr. Die Pferde nahmen a tempo einen Graben, sausten am Pfarrgarten hin, wo Betty Ahlmeyer, jetzt Pastorin Halm, Johannisbeeren abnahm und die wie in Blut getauchten Hände gegen die Sonne hielt, um den Reitern nachzuschauen. Plötzlich ließ Mareile ihr Pferd in Schritt fallen. »Ich kann nicht mehr«, sagte sie atemlos. Günther legte seine Hand auf Granes Sattel, beugte sich vor, sah Mareile mit einer brennenden Bewunderung in das Gesicht. Er wollte etwas Besonderes sagen: »Das nenn' ich beieinander sein, was – –? Alles andere bleibt zurück, kann nicht mit. Nur wir beide.« Er sprach schnell und undeutlich vor Erregung.

Als sie im Vorwerk anlangten, stand die Sonne schon tief. Günther ritt mit Ziepe zu einer Stauwiese. Mareile setzte sich auf einen umgestürzten Schiebkarren am Feldrande. Sie fühlte sich froh. Der Ritt, und dann, aus Günthers Augen hatte sie eben etwas angeglänzt, das sie eine Weile entbehrt hatte und das doch ihre eigenste Lebenslust war.

Die Sonne ging himbeerrot zwischen violetten Wolkenstreifen unter. Dämmerung legte sich über das Land. Ein roter Mond stand dicht über dem Horizonte. Die Arbeiter gingen auf dem Fußpfade zwischen den Feldern heim. Wo ein Bursche hinter einem Mädchen herging, da folgte Mareile ihnen mit den Augen, und wenn sie hinter den Erlen verschwanden, sagte sie sich: »Jetzt bleiben sie stehen. Jetzt langt er nach seinem Mädchen«, und sie kam sich dort auf ihrem Schiebkarren plötzlich einsam und um ihr Recht an der Sommernacht betrogen vor.

Endlich kehrte Günther zurück. »Aufs Pferd, aufs Pferd«, rief er. »Vater Ziepe reitet einen anderen Weg. Heute ist gute, preußische Sentimentalität in der Luft, nicht?«

Der Mond war höher gestiegen. Nebel lagen auf den Wiesen. Es roch nach Moor und feuchtem Laub. Die Frösche quarrten in den Tümpeln, und die Rebhühner lockten im Klee. »Jetzt gehen wir wieder miteinander durch – hoio!« rief Günther. Sie trieben die Pferde an. Anfangs ging es an jungen Kiefern hin, die mit ihren Blütenbüscheln, wie mit kleinen Affenhänden, nach Mareiles Reitkleide faßten. Dann kam der Hochwald, hohe, dunkle Stämme, vom Mondlicht silbern gestreift. Alles stürzte schnell, gewaltsam, wehend vorüber – Düfte, niederrieselnder Tau, flüchtige Bilder von Lichtungen, von weidenden Rehen, von großen, lautlosen Eulen. »Geben Sie mir Ihre Hand, dann geht's besser«, rief Günther. Sie hielten sich an den Händen; diese Hände drückten sich, als wollten sie einander danken. Auf einer kleinen Waldwiese stand Eve Mankow und weidete verbotenerweise dort ihre Kuh. Sie schützte mit der Hand die Augen gegen das Mondlicht und starrte ernst den beiden nach, die Hand in Hand, einen Augenblick hell beschienen, wie Traumgestalten an ihr vorüberrasten.

Auf der Chaussee hielt Vater Ziepe und wartete.

 

Im Schlafe leben wir weiter. Unsere Gefühle reifen dann, uns unbewußt. Günther erwachte am nächsten Morgen mit einer neuen, fertigen Leidenschaft. Beate schlief noch. Er blieb eine Weile vor ihr stehen und schaute sie aufmerksam an. Sie sah fast kindlich aus, wie sie da lag, die Stirn voller Löckchen, die Lippen halb geöffnet. Günther war gerührt. Dieses auserlesene Wesen hier war sein, er konnte es am empfindlichsten treffen und verwunden. Wiederum freute er sich an seiner eigenen Rührung vor dieser Frau, der er untreu zu werden fest entschlossen war. Stand dort zwischen Beates Augenbrauen nicht eine kleine aufrechte Falte, ein feiner Strich, wie mit einem Messer in die Haut geritzt? Die mußte eine Sorge um ihn da hineingezeichnet haben; wer sonst als er durfte solche Zeichen in dieses königliche Buch schreiben? Nie hatte er die sanfte Klarheit dieser Frau deutlicher empfunden. Kein Begehren mischte sich bei ihrem Anblick in sein Gefühl. Der Friede, der über ihr lag, war ganz tief und rein. Ein Heiligtum, das Günther mit Bedauern zu verlassen sich anschickte.

Er ging in den Hof hinunter. Es trieb ihn, vor Mareiles Fenster eine imponierende Gutsherrentätigkeit zu entfalten. Dann ließ er Grane vorführen, um zu sehen, ob sie gut gestriegelt sei. Grane gehörte ja jetzt zu Mareile. Plötzlich war Mareile da, in ihrem gelben Morgenkleide, unter dem rosafarbenen Sonnenschirm.

»Ist Grane unser Ritt bekommen?« fragte sie. Günther hatte so intensiv an Mareile gedacht, daß ihr Erscheinen ihm selbstverständlich erschien.

»Oh! Grane ist munter«, sagte er. »Wollen Sie nicht meinem Surhab auch guten Morgen wünschen? Er ist noch im Stall. Er gehört doch auch zu uns vieren?«

»Ja, zu uns«, meinte Mareile lächelnd.

Sie gingen in den Stall. »Setzen Sie sich, bis ich Grane an die Kette lege«, sagte Günther. Eine starke Erregung bedrückte seine Stimme; er sprach, als wäre er gelaufen. »Hier ist's hübsch, nicht? Ich habe es mir hier gemütlich gemacht. Für manche Stimmungen ist dieses hier ein Kapitalort. Hier ist Andacht, finden Sie nicht? Warten Sie! Sprechen Sie nicht. Seien wir stille, damit Sie fühlen, was ich meine. Surhab schaut Sie an, er kennt Sie natürlich.«

Sie saßen auf rotlackierten Stühlen. Rundbogenfenster füllten den Raum mit ruhiger, weißer Helligkeit. Es roch nach Heu und Riemenzeug. Die Pferde atmeten einen feinen Dampf aus, der die Luft erwärmte. Ab und zu klirrte eine Kette, oder ein Huf schlug auf den Boden, und jeder Ton ließ über die blanken Flanken der Tiere ein Zittern hinlaufen.

Günther sah Mareile unverwandt an. »Fühlen Sie's?« Mareile nickte. »Es ist«, fuhr Günther fort, »es ist das Rasseblut, das hier niedergehalten wird. Verstehen Sie das? Ruhig, hübsch, einförmig, still muß es hier sein. Das wilde Blut und die feinen Nerven müssen eingeschläfert werden. Sehen Sie Surhab. Er schaut geduldig aus, so, als leide er; verachtungsvoll ruhig, nicht? Er weiß, er darf sich hier nicht ausgeben, weil, weil...« Günther suchte nach Worten, er wußte in seiner Aufregung nicht mehr recht, was er sprach. »Nun eben, weil er ein Rassepferd ist«, ergänzte Mareile und lachte... »weil er nicht auf die Weide gehen darf, wie die anderen, und nicht arbeiten.«

Günther schlug sich mit der Hand auf das Knie. »Das ist's, natürlich! Lebenslust aufspeichern, sich nicht ausgeben dürfen. Na, wenn die weißen, stillen Schlösser nicht wären und die weißen, strengen Damen und so – diese Luft – die auch weiß und still ist – Teufel – man würde sterben vor – vor Lebensverschwendung.«


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