Eduard von Keyserling
Beate und Mareile / I
Eduard von Keyserling

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Als Günther mit Peter im Schlitten saß und in die Mondnacht, wie in eine blaue Glaswelt, hinausfuhr, da packte ihn die Jugendlust so stark, daß er Peter an den Pelzkragen faßte und rüttelte: »Daß du dich nicht unterstehst, alt und schläfrig zu sein.«

»Ich – schon nich' – Herr Graf«, meinte Peter.

Im Trabe ging es durch das schlafende Dorf. Hunde schlugen an, aber klagend, nicht böse, als hätte das Mondlicht auch sie gefühlvoll gemacht.

Der Schlitten bog jetzt in einen alten Kiefernbestand ein, eine weiße, stille Säulenhalle.

»Sehr gut«, schmunzelte Peter.

»Ach – schweig'!« herrschte ihn Günther an.

»Warum denn, Herr Graf?«

»Weil das nicht dazu da ist, damit du es bewunderst.«

»Aha – ich versteh', das is nur für Grafen.«

»Ja.«

Sie näherten sich dem Waldkruge, indem sie an einer Wand kleiner Tannen hinfuhren, die wie mit großen Händen in kalten, weißen Handschuhen die Gesichter der Fahrenden streiften.

»Der Mankow wird sich wundern«, bemerkte Günther.

»Nee, der wundert sich lange schon nich' mehr«, erwiderte Peter.

»Wenn er nur zu Hause ist!«

»Na, dann is die Eve zu Hause.«

»Du denkst auch nur an die Weiber.«

»Na ja, die gehören doch dazu.«

In der qualmigen Krugstube saß der alte Mankow an einem Tische bei einer trüben Unschlittkerze. Eine Brille auf der Nase, ein rotes Tuch vor Mund und Nase gebunden, drehte er Giftpillen für die Füchse. »Guten Abend, Alter!« rief Günther. Der Alte erhob sich, stand unbeweglich da, den Kopf vorgestreckt, wie ein sicherndes Wild. Er hatte seinen Herrn erkannt und wollte nichts tun und sagen, was ein Fehler sein könnte. »Na, Peter, mach's dem Alten klar, was wir wollen. Du siehst ja, wie sein Gewissen ihn beißt«, befahl Günther. Peter und Mankow gingen hinaus. Günther wärmte sich an dem großen, qualmenden Feuer. So war's gut! Hier wehte wenigstens die angenehme Luft versteckter Abenteuer, wenn man's nicht wie Hans Berkow haben konnte. In der niedrigen Tür der Nebenkammer stand plötzlich Eve Mankow und sah Günther unverwandt an. In ihrem kurzen, roten Rock, das rotblonde Haar wirr über dem heißen Gesicht, die nackten Arme, Schultern, Beine vom Ofenlicht beschienen, war sie eine bunte, leuchtende Gestalt in dem rußgeschwärzten Türrahmen.

»Warum schläfst du nicht?« fragte Günther.

»Ich mag nicht.«

»Na, dann komm.«

Eve kam, vorsichtig, mißtrauisch, wie die Menschen des Waldes es den Tieren nachtun.

»Willst du mit auf die Jagd? Du kannst ja schießen.«

»Ja, Herr.«

»Hast du auf mich gewartet?«

»Ich dachte, Sie werden mal kommen.«

»Wer sagte dir das denn?«

»Die Karten.«

Günther trat an Eve heran, nahm ihren Kopf in beide Hände, bog ihn zurück und küßte den breiten, roten, sehr heißen Mund. »So!« sagte er, »nun gehen wir zu den Hasen.« Eve war blaß geworden. Sie saß einen Augenblick still da, die grellen rotbraunen Augen wurden klar und groß; sie seufzte so tief, daß die rauhen Spitzen der Brüste fast das Hemd durchstechen wollten. Dann erhob sie sich und ging in ihre Kammer hinüber.

Die Jäger stellten sich am Waldrande auf, während die wenigen Treiber leise pfeifend über die beschneiten Wintersaaten gingen und die dort zur Nachtäsung versammelten Hasen dem Walde zutrieben. Eve stand neben Günther. Vor ihnen die dämmerige Fläche, auf der es wie weißer Nebel lag. Die Flintenhähne knackten; dann Stille. Nur ein dumpfes Geräusch schlug an Günthers Ohr, wie Schritte in weichem Schnee. Das war der erregte Schlag seines eigenen Herzens. Jetzt huschten hier und dort rege Schatten über den Schnee, wunderliche, graue Gespenster mit langen Ohren, im unsicheren Lichte groß und wesenlos. Günther schoß, neben ihm schoß Eve. Nun blitzte es am ganzen Waldrande auf. »Der hat's gekriegt«, sagte eine vor Erregung heisere Stimme. Es war Eve. Auf ihren Flintenlauf gestützt, lachte sie unter der alten Fuchsfellmütze ihres Vaters Günther an, daß ihre Zähne im Mondlichte blitzten.

»Jetzt komm«, sagte Günther, und die anderen hinter sich lassend, gingen sie dem Waldkruge zu.

 

Günther liebte es jetzt, in der Dämmerstunde in seinem Zimmer zu sitzen, Rotwein zu trinken und sich von Peter von dem Waldkruge vorsprechen zu lassen.

»Ja, ja, die Eve«, meinte Peter, »die is ein klarer Apfel.«

»Unsinn«, sagte Günther, »hör' zu! Ich will dir was von meinen Vorfahren erzählen.«

»Bitte, Herr Graf, von Vorfahren hör' ich sehr gern.«

»Na also!« begann Günther nachdenklich. »Vor einigen hundert Jahren war's. Ein Graf Günther von Tarniff verließ sein deutsches verschneites Schloß und seine schöne, weiße Gräfin und zog in das Gelobte Land. Nach drei Jahren kehrte er heim. Seine blonde Gräfin hatte treu auf ihn gewartet. Im Morgenlande aber hatte er in einem weißen Hause auf einem roten Felsen eine braune, schwarzäugige Gräfin zurückgelassen.«

»Aha! Ich versteh'«, warf Peter ein.

»Gut! Der Graf blieb drei Jahre bei seiner blonden Gräfin, da begann ihn die Sehnsucht nach den braunen Armen der Morgenländerin zu quälen, und er wollte sich auf die Reise machen. Nun gab's schon damals Diener, die mehr sprachen, als sie sollten. So 'n Kerl hatte der Gräfin mitgeteilt, was ihren Gemahl von ihr trieb. Die schöne Frau weinte zwar, aber sie sagte zu ihrem Grafen: ›Ich halte dich nicht. Geh deiner Sehnsucht nach. Gott gab dir ein zwiespältiges Herz; möge dieses Herz dich auch wieder zu mir zurückführen.‹«

»Bravo!« rief Peter.

»Daß an dem Bravo des Peter Ruskowski der Gräfin etwas gelegen gewesen wäre«, fuhr Günther fort, »glaube ich kaum. Also, der Graf pilgerte in das Gelobte Land, wohnte in dem weißen Hause auf dem roten Felsen und trank sich toll und voll an der wilden Liebe seiner braunen Gräfin. Als nun die Zeit gekommen war, da ihn wieder nach Tannen, Schnee und der bleichen, blonden Frau verlangte, da tobte und schrie die braune Gräfin. ›Ich weiß, warum du mich verstößt. Du hast ein Weib jenseits des Meeres, und das gilt dir mehr als ich.‹ Der Graf tröstete sie. Er erzählte ihr von seinem zwiespältigen Herzen, und daß auch ihre Zeit wieder kommen würde. Die Frau wurde ruhig, und der Graf schlief an ihrer braunen, heißen Brust ein. Da ergriff sie den Dolch, stieß ihn dem Grafen in das Herz und schrie: ›Ich will mir meine Herzenshälfte nehmen!‹«

Peter nickte nachdenklich: »Ja, Vorfahren, die haben immer solche Geschichten.«

»Maul halten!« schloß Günther die Unterhaltung.

 

Von nun an wartete der Braune mit dem Schlitten öfters bei Nacht hinter der verschneiten Spirrahecke. Dann jagte Günther in die Winternacht hinaus. Das erschien ihm wie ein angenehmer Protest gegen die ruhige Ordnung des Lebens um ihn her. Auf halbem Wege zum Kruge mußte Eve ihn erwarten. Im kurzen Schafspelz, die Fuchsfellmütze über die Ohren gezogen, trat sie aus dem weißen Dickicht hervor. Das Gesicht, das Haar, die Wimpern voll kalter Tropfen; und sie lachte, daß im Sternschein ihre Zähne blitzten.

Das kleine Hinterzimmer des Waldkruges duftete nach den Tannennadeln, die über den Boden gestreut worden waren. Im Ofen verglomm ein Feuer. Günther setzte sich auf das niedrige Bett und wärmte seine Hände am Feuer. Eve ging ab und zu; tauchte unter in die schwarzen Schatten der Ecken; trat wieder in den Feuerschein, bunt und leuchtend in ihrem roten Rock, ihrem roten Haar, das Fleisch blank und warm.

»Sitz'!« befahl Günther. »Kehr' das Gesicht zum Feuer hin. Laß die Zöpfe über die Schultern hängen. So!«

Eve gehorchte. Sie saß schweigend da, die Hände flach auf die Knie gelegt; die runden Augen, unverwandt auf Günther geheftet, verschleierten sich feucht vor Erregung.

»So.« Günther war zufrieden. Das große halbnackte Mädchen, mit seiner unbekümmerten Sinnlichkeit, atmete eine ruhige, zuversichtliche Kraft, von der etwas auch auf ihn überzugehen schien. Er glaubte den nervösen, unbefriedigten Günther für einige Augenblicke los zu sein.

Durch die halbangelehnte Tür sah er in der Schankstube pelzvermummte Gestalten mit Peitschen in den Händen am Tische sitzen. Sie flüsterten und tranken Schnaps. Auf der Ofenbank schlief der Hausierer Abbe.

»Wie war's, als du mit dem Pankow gingst?« fragte Günther. Eve schwieg. »Sprich!« befahl Günther.

»Der Hund«, sagte Eve heiser.

»Na ja, er sagt doch – daß er dich gehabt hat – nicht?«

Eve stand auf, ging in die dunkle Ecke des Zimmers. Günther hörte sie dort weinen.

So war's jedesmal. Das Starke in diesem wilden Mädchen zog Günther an, aber kaum fühlte er es in seiner Gewalt, dann trieb es ihn, es zu beugen. Er mußte Eve weinen und gehorchen sehen.

»Hierher!« rief Günther. Eve schwieg. »Hierher – hierher«, wiederholte Günther, als riefe er einen Hund. Eve kam langsam näher, das Gesicht warm und rosig vom Weinen. Die Augen richtete sie brennend, wie hungrig, auf Günther. »Totschießen werd' ich den Pankow. Fuchspillen soll er kriegen«, murmelte sie atemlos; dann sank sie schwer auf Günther nieder. Das Feuer verglomm. Durch das kleine Fenster schienen blanke Wintersterne, der Wald rauschte laut.

»Steh' auf – geh –«, herrschte Günther dann plötzlich Eve an. Er stieß sie von sich, er wollte nicht mehr bleiben, er hatte es eilig, wieder in dem stillen Schlafgemach zu sein, in dem es nach weißem Flieder duftete und wo die matte Ampel über einer schlafenden, weißen Frau wachte.


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