Eduard von Keyserling
Beate und Mareile / I
Eduard von Keyserling

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Neuntes Kapitel

Es war Mai geworden. Frau Ziepe saß müßig und gedankenvoll in ihrem Wohnzimmer. Vater Ziepe kam zum Zehnuhrfrühstück heim. »Na, Imbiß her!« rief er sehr laut. Frau Ziepe holte Schnaps und Wurst, aber so vornehm und ergeben, daß ihr Mann sie fragte: »Was is wieder los?«

»Mareile hat geschrieben«, antwortete sie und machte ihr unzufriedenes Gouvernantengesicht.

»So, unsere Malerin«, Ziepe lachte breit. »Stimmt's da nich? Oder kommt's Kind?«

Dieses Lachen, der Stallgeruch, alles verletzte Frau Ziepe heute an ihrem Manne, und sie wurde um so vornehmer.

»Mein Gott! Ich versteh's selbst nicht recht. Es sind Nuancen. Aber mir ist so bang.«

»Nuancen – Unsinn, Mama!« fuhr Ziepe auf. »Zanken sie sich, oder läuft er zu Frauenzimmern, oder was ist?«

Frau Ziepe weinte jetzt. »Sie schreibt von dem großen Mißverständnis ihrer Ehe und von Recht auf Freiheit – und Enttäuschung – ich weiß nicht – aber gut ist das nicht.«

»Quatsch«, donnerte Ziepe. »Schreib' ihr, ich hab' dich auch enttäuscht, das is man so... und wenn eine 'nen Mann hat, soll sie ihn halten, Männer sind heutzutage rar. Das sag' ich, Vater Ziepe, und basta.« Er goß einen Gilka herunter und ging zu seiner Mistfuhre hinaus. –

Auch im Schloß erregte Mareiles seltsame Ehegeschichte alle. Die Gräfin Blankenhagen, in einem Reitkleide in der Art des Großen Kurfürsten und in Begleitung ihrer Tochter Ida und deren Gemahls Egon Sterneck, kam eigens von Steindorf herüber, um zu sehen, was für Gesichter die Kaltiner zu Mareiles Ehegeschichte machen würden.

Tatsache war, daß Mareile ganz plötzlich ihre Ehe gelöst hatte und zu der Fürstin Elise gezogen war. Hans Berkow war im Unrecht, das stand fest. Was er getan hatte, wußte man nicht, aber für die Gesellschaft war er ein toter Mann. Um Mareile zu heben, mußte Hans Berkow sehr tief hinabgedrückt werden. Die five o'clocks der Fürstin Elise waren sehr besucht. Eine jede wollte Mareile schön und unumwunden über ihre Ehe sprechen hören. All diese Frauen, die ihre Ehen vor der Öffentlichkeit mit weißen Schleiern zu verhängen liebten, sie konnten sich an Mareiles Evangelium von der Pflicht der Empörung gegen den Mann, der die Frau nicht zur Liebe zu zwingen versteht, nicht satt hören. »Man muß diese entzückende Frau selbst sprechen hören«, berichtete Ida Sterneck. »Sie sagt – wie sagt sie doch? Sie sagte: ›Wenn der Mann die Frau nur so als die Schönheitslinie zu seinem Gebrauche ansieht – dann – dann entwürdigt sich die Frau.‹«

»Das sind so Redensarten unserer guten Fürstin«, meinte die Baronin.

»Nein aber«, drängte die Gräfin Blankenhagen, »es müssen doch Geschichten passiert sein. Wenn eine Ehe auseinandergeht, müssen doch Geschichten da sein, nicht wahr?«

Da begann Günther zu sprechen, spöttisch und erregt: »Geschichten, meine gnädige Frau Gräfin, werden Sie noch genug darüber zu hören kriegen. Daß Mareile aber keine Geschichten nötig hat, um zu handeln, das ist das Große an dieser Frau. Ja, bitte, wenn Sie in einem Brief einen Satz angefangen haben, und Sie merken, der geht so nicht weiter, der gibt keinen Sinn, dann streichen Sie ihn durch, nicht? Na also! Grad so macht's Mareile. Der Anfang mit Hans Berkow gibt ihr keinen rechten Sinn. Gut, sie macht ihren Strich darüber, so 'nen dicken, schwarzen Strich, wissen Sie, mitten durch den armen Hans durch... und sie wird einen besseren Satz anfangen.«

»Ach, sprecht nicht so von meinem armen Kinde!« klagte Seneïde, und ihre fanatischen Augen wurden feucht.

»Ja, eigene Sache«, schnarrte Egon Sterneck. »Das mit dem Strich, ganz hübsch. Nur wenn das Mode wird, ich meine bei unseren Frauen –«

»Unseren Frauen!« wiederholte Günther verwundert, »wer spricht denn von unseren Frauen? Ich spreche doch von den Mareilen.«

»Hm – ja so!«

 

Wie einst vor einem Jahre stieg Mareile an der kleinen Kaltiner Station aus dem Zuge. »Wieder kein Wagen, ich bin untröstlich, Signora, gnädige Frau«, sagte der Stationsvorsteher Ahlmeyer, »und bei Ihrer Abneigung gegen meinen Fuchs, na ja, spatlahm, freilich...«

So wanderte Mareile denn wieder über die Heide. Die Sonne ging hinter den Hügeln unter. Ein angenehmer Wind, voll von dem Dufte der Wacholderbüsche, wehte. Mareiles Gesicht war schmaler geworden. In die hellen, blühenden Farben hatte sich etwas wie ein bleiches Leuchten gemischt. Die Augen, die »durstig machenden Augen«, wie Hans Berkow sagte, schienen größer und reicher an Licht. Das Leben hatte auf dieser Schönheit die Spuren einer erregenden Erkenntnis zurückgelassen. Ja, heute war sie eine andere als damals, heute lächelte sie still vor sich hin, als genieße sie die süße Reife der eigenen Seele.

Der arme Hans! Er hatte sie in seiner Art geliebt, wie solch' eine morsche, abgetakelte Seele lieben kann. Sie konnte ihn nicht brauchen. Aber er hatte sie sehr stark begehrt und hatte sie ihre Sinne verstehen gelehrt, und erst, wenn ein Weib seine eigene Sinnlichkeit versteht, versteht es sich selbst. »Weißt du«, hatte Mareile zu Hans in Bordighera gesagt, in jenen wunderlich traumhaften Tagen des Eheanfangs, in denen Geist und Körper fiebern. »Weißt du, warum wir Mädchen, die auf den Schlössern aufwachsen, so dumm über die Liebe denken? Weil dort bei dem Gerede über die Liebe immer der Körper unterschlagen wird.«

»Das will ich meinen!« hatte Hans geantwortet. »Glaubst du, Diotima hätte so fein über die Liebe gesprochen, wenn sie von Tante Seneïde erzogen wäre?«

Eine glasige, graue Dämmerung sank auf das Land nieder. In der Kirche wurde der Sonntag eingeläutet. Unten auf der Dorfstraße tobten die Kinder vor dem Schlafengehen. Blonde Köpfe und nackte Beine legten helle Flecke in die Dämmerung. Nebel erhoben sich auf den Wiesen, spannen das Land in kühle Schleierstreifen ein. Im Felde begann eine Wachtel zu schnarchen, eintönig und unermüdlich, als spräche sie im Traum von unendlichen Kornfeldern. Das ergriff Mareile. So war's gut; hier wollte sie ruhen, bis das Erlebnis kam, das ihrer würdig wäre.

Über dem Schlosse stand der Mond. Aus den Fenstern drangen Stimmen und Klaviertöne, der hübsche Lärm jenes Lebens, das Mareile einst so schmerzhaft geliebt hatte.

Die Fenster des Inspektorhauses waren dunkel. Leise öffnete Mareile die Stubentür. Das Wohnzimmer war leer. Aus dem Schlafzimmer der Kinder aber klang Frau Ziepens Stimme. Sie sang ein Wiegenlied, müde und eintönig. Behutsam ging Mareile vor. Da saß die Mutter zwischen den Betten der Zwillinge. Etwas Mondlicht fiel in die matten Augen und auf die spitzen Züge des Gesichtes. Ihr zu Füßen kauerte die fünfzehnjährige Lene im Hemde. Den Kopf auf die Knie der Mutter gestützt, schlief sie.

»Hündchen hat den Mann gebissen,
Hat des Bettlers Rock zerrissen –«

nahm die geduldige, freudlose Stimme wieder auf. Mareile näherte sich leise und sank dann neben ihrer Mutter nieder. »Mareiling«, sagte Frau Ziepe tonlos; sie lehnte ihr heißes, eingefallenes Gesicht an Mareiles kühle Wange und weinte.

Auch Lene erwachte. Sie verstand nicht, was vorging, warum es wie Seide rauschte, warum es süß nach Orchideen duftete, warum Goldsachen im Mondschein flimmerten, bis auch sie die Arme ausbreitete und mit dem Seufzer schlaftrunkener Kinder »Mareiling« flüsterte.

 

Die Baronin streichelte sanft Mareiles schönes Gesicht und sagte freundlich: »Ja, Kind, bleib bei uns. Du gehörst zu uns.« Von dem großen Eheevangelium war hier nicht die Rede, und Mareile tat es wohl zu schweigen. Sie wußte, hier war es Sitte, seine Not und seine Wunden rücksichtsvoll zu verdecken, um die Harmonie nicht zu stören. Der Mittsommer war eine stille Zeit. Die Jalousien an der Sonnenseite des Schlosses wurden niedergelassen. Die Zimmer lagen im Dämmerlichte wie im Schlafe, unter dem leisen Brummen der Sommerfliegen und in dem Dufte der in den Vasen welkenden Blumen. Alte Tanten aus fernen Fräuleinstiften zogen in das Schloß ein; Tante Riecke, Tante Lolo, lange Losnitzer Feldherrennasen unter den schwarzen Spitzen des Altjungfernhäubchens. Sie füllten die Räume mit ihren verschollenen Parfüms Verthiver und Esbouquet und die Abende mit ihren verschollenen Geschichten.

Das Inspektorhaus war unerträglich, voller Sonne, Fliegen, Suppengeruch. Mareile wanderte daher schon am Morgen, unter dem roten Sonnenschirm, über den Hof in das Schloß. Dort saß sie gern allein und müßig in der Bibliothek und sann, sann dem nach, was kommen mußte. Sie fühlte sich reich und müde, wie nach einer Ernte. Oh, sie hatte keine Eile! Die Erlebnisse des Lebens konnten noch ein wenig warten; jetzt wollte sie ruhen und ihre Schönheit fühlen, wie ein Rosenstock mit all seinen Knospen unbeweglich dasteht in der Mittagsonne, froh der Gewißheit des Blühens.

Günther, nervös und unruhig durch die Zimmer wandernd, blieb in der Tür des Bibliothekzimmers stehen. »Sie sitzen hier so eigentümlich«, sagte er zu Mareile. »So – so – als ob Sie bei etwas Angenehmem wachhielten, das eben eingeschlafen ist.«

»Das ist hübsch, was Sie da sagen«, meinte Mareile.

Günther schwieg und sah sie an. »Sie haben sich verändert. Die frühere Mareile – wenn ich so denke...«

»War die nicht gut?«

»Doch, doch! Aber solche Fräulein, die leben vor verschlossenen Türen... Jedenfalls ergreifen Sie mich jetzt mehr.«

»Das ist doch gut?«

»Freilich, freilich! Aber jetzt geh' ich mich unter die kalte Dusche stellen«, schloß Günther. »Reiten Sie nicht mehr?« fragte er im Fortgehen.

»Jetzt nicht«, erwiderte Mareile.

»Singen Sie nicht?«

»Jetzt nicht.«

»Ach so, ich verstehe. Sie wollen noch innere Komiteesitzung abhalten. Gut – gut!«

Am Abend saß Mareile im Gartensaal ein wenig abseits von den anderen an der geöffneten Glastür. Die Julinacht war schwarz und voll von dem süßen Dufte der Sommerblumen. Unter der Lampe las Seneïde der Gesellschaft die Kreuzzeitung vor.

Hübsch, hübsch, dachte Mareile, aber als könnte nichts anderes, Besseres mehr kommen, so beruhigt. Sie erinnerte sich, wie sie schon als Kind zuweilen ein unwiderstehliches Sichempören gegen dieses abgeklärte, hübsche Herrschaftsleben empfunden hatte, das sie doch so liebte. Aber in solchen Stunden mußte sie nein sagen zu allen heiligen Regeln. Statt zur französischen Stunde zu kommen, war sie einmal in den Wald gelaufen, hatte im See gebadet. Unerhörte Dinge. Aber der verzweifelte Wagemut brannte so köstlich im Blute. Später kam dann die Stunde der Reue in Tante Seneïdes Zimmer, wo die Blätterschatten lautlos über den Fußboden flirrten. »Wollen wir beten«, sagte Tante Seneïde. Mareile und Seneïde knieten nieder, mitten unter die Blätterschatten. Seneïde betete mit ihrer klagenden, heißen Stimme. Dieses Gebet erfüllte das Kind mit wunderlicher Erregung, Andacht war es und Märchenschauer; leises Flügelrauschen glaubte es hinter sich zu vernehmen.

So siegte damals stets das Kaltiner Leben über die Empörung der kleinen Mareile. Das war vorüber! Jetzt gehörte sie nicht mehr zu diesen guten Menschen, die ihr Lebenskapital in der Bank jenseits des Grabes anlegten.

Aber da war noch einer, dessen unruhiger Schritt zu sagen schien, daß Mareile einen Gefährten ihrer Lebensungeduld hatte. Günther ging unablässig auf und ab. Zuweilen blieb er an der Gartentür stehen und horchte hinaus, als sollte durch die Nacht etwas zu ihm kommen. Der wartet auch noch, dachte Mareile. – – –

Es war zwei Uhr nachmittags, die schläfrigste Zeit des Tages im Schlosse. Die alten Damen im Wohnzimmer nickten über ihren Strickereien ein. Beate saß an der Wiege ihres Kindes und summte leise vor sich hin. Da schlug ein Ton in diese Stille, laut und süß. Mareile sang im Musiksaal. Wie ein seltsam schönes, fremdes Ereignis zogen die Töne durch die verschlafenen Räume.

Tante Lolo schreckte aus dem Schlaf auf. »Mein Gott! Was gibt's?«

»Die Mareile singt«, sagte Tante Riecke und verzog das faltige Gesicht, als hätte sie einen Tropfen zu starken, süßen Weins getrunken.

»Ah, unsere Nachtigall singt wieder«, meinte die Baronin freundlich.

»Du, Peter«, sagte Günther, »öffne die Tür und verschwinde, deine Gestalt stört jetzt.«

»Ich weiß ja«, meinte Peter.


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