Eduard von Keyserling
Beate und Mareile / I
Eduard von Keyserling

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Sechstes Kapitel

Zum Diner pflegte Mareile im Schlosse zu erscheinen. Sie war still und nachdenklich. »Das ist die Kaltiner Luft; in ihr wird man froh und ein wenig schläfrig«, sagte sie. Das Leben hier ergriff die Sängerin, wie ein großes Schweigen uns ergreift, wenn wir aus lautem Lärm kommen. Am Abend saß man im Gartensaal bei der Lampe zusammen. Der Duft tauiger Blumen strömte durch die geöffnete Tür in das Gemach. Beate lag im Sessel und schloß die Augen. Den Tag über einer unruhigen, launenhaften Sinnlichkeit dienen, das macht müde. Mareile sang. Ihre Stimme klang hoheitsvoll und wunderbar erregend durch die alten, tiefberuhigten Räume. Günther lehnte in der Tür und sah auf die Rosenbüsche hinaus, die schwarz und regungslos im Mondlichte standen. Er war bewegt wie ein Knabe. Die beiden schönen Frauen, die Musik, die Mondnacht. All das machte ihn unruhig. Er hätte gewollt, daß auch Mareile ihn liebte, oder, daß auch er so singen könnte, oder – er wußte es selber nicht.

 

Die frischgemähten Stoppelfelder glitzerten unter der grellen Herbstsonne, die Ebereschenallee war rot von Beeren, im Schloßgarten flammten die Gladiolen, Stockrosen und Georginen. Es war Zeit, die Hühnerjagd zu eröffnen. Beckmann stand auf der Freitreppe, schützte mit der Hand die Augen und sah die Landstraße hinab, ob von der Station der Besuch käme. Der Gartensaal füllte sich mit den gewohnten Gästen. Die Fürstin Elise Kornowitz mit ihrer gelehrten Gesellschafterin, dem Fräulein von Mikewitz, der Verfasserin eines Buches über »Die Stellung der Frau bei den Römern«, langten an. Die Fürstin war ein kleines, gutes Wesen. Das feine Gesichtchen weiß von Puder. Die ganz hellgrauen Augen sahen ein wenig müde unter der Wolke blonden Haares hervor. Sie trug das Haar, wie Charlotte von Stein es zu tragen pflegte, denn sie glaubte ihr zu gleichen. »Im Äußeren und in manchem anderen«, liebte sie zu sagen. »Bin ich dein Goethe?« fragte ihr Gemahl sie mit seinem ironischen, freudlosen Lächeln. »O nein«, meinte die Fürstin, »mein Goethe ist Mareiling.« Der Fürst Kornowitz kam allein. Er reiste immer allein. »Reisen macht unliebenswürdig«, behauptete er, »und geteilte Unliebenswürdigkeit ist doppelte Unliebenswürdigkeit.« Einige Offiziere füllten den Gartensaal mit leisem Sporenklirren und dem Duft Attkinsonscher Parfüms und feinen Juchtenleders. Die Grafen Egon und Botho Sterneck von den ersten Garde-Ulanen, Seiner Majestät schönste Offiziere; der Major von Tettau. Er rollte seine hervortretenden, fayenceblauen Augen, als sei ihm der gelbe Kürassierkragen zu eng, und versteckte unter dem großen, militärischen Schnurrbart ein kleines, gefühlvolles Mündchen. Leutnant von Remm, von den Königshusaren, klein und blond, errötete wie ein Primaner. Die Gräfin Blankenhagen, die die schönsten Arme der Gegend hatte, war zu Pferde vom Nachbarsgut herübergekommen. Frau von Scharf mit ihrer Agnes kamen ohnehin zu jeder Jagd, denn für Agnes, mit den blauen Marlittaugen, mußte eine Partie gefunden werden.

Als Mareile in den Gartensaal trat, verbeugten sich die Herren sporenklirrend, sie hatten dabei alle ein blankes Flackern in den Augen. Major von Tettau murmelte: »Donnerwetter« und zog seinen Mund süß zusammen, als schlürfte er Marasquino. Mareile grüßte flüchtig und zerstreut. Sie lächelte der Fürstin Elise entgegen und tat, als sehe sie nur diese, aber all die begehrenden Männerblicke erregten ein wohliges Gefühl in ihr, als stände sie unter einer warmen Dusche.

Günther war sehr angeregt. »Gut, daß sie alle da sind. Wir wollen ihnen mal zeigen, was 'ne Ehe ist«, sagte er zu Beate.

 

Es war Hühnerjagd angesagt.

Hans Berkow ging durch die tauigen Stoppelfelder dem Schlosse zu. Er dachte über Mareile nach.

Die machte ihn krank, da unter all den Männern, die auch nur sie begehrten. Und dazu dieses adelige Leben mit seinen festen, kalten Schranken. Ja, sich einmal, wie die Burschen unten im Kruge, um sein Mädchen raufen zu dürfen, das müßte gut tun!

Vor der Freitreppe des Schlosses waren die Jäger, Waldhüter und Hunde versammelt. Oben standen die Damen, feine Figürchen, die sich bunt von dem alten, sonnbeschienenen Portal abhoben. Hübsch, dachte Berkow. Stil bis zu den Hunden. Dafür lassen diese Leute sich in Stücke hauen... und das steigt der Mareile zu Kopf. Verdammt.

Günther kommandierte sehr laut, angeregt von all den Menschen, Hunden, von all dem Lärm und Licht um ihn her. »Egon, bitte hier hinauf. Sie, meine Herren, hier bitte, Mankow, zeig' den Weg. Renne in die Kartoffeln. Das Frühstück im Eichenwäldchen. Gut Heil! Sanho bei Fuß.«

Günther und Berkow schlenderten quer über ein Stoppelfeld. »Hör', Hans«, sagte Günther, »ist der Egon Sterneck dir bei der Mareile nicht ein wenig vor?«

Hans blieb stehen. »Weißt du, mein Lieber, daß ihr, mit eurer Schloßerziehung, dieses Mädchen unnütz kompliziert habt? Ja, ihr habt die eigentliche Mareile gefälscht. Möglich, daß sie's jetzt für ein Glück hält, in euer adeliges Regiment eingestellt zu werden; aber die wahre Mareile kann das nicht wollen.«

»Die will Hans Berkow?«

»Ja... und siehst du, ihr Blut – – das prachtvolle, wilde Plebejerblut, das spricht für mich gegen Sterneck.«

Jetzt stand Sanho, und ein Volk Hühner schwirrte auf. Die Herren schossen; dann trennten sie sich. Hans pfiff ärgerlich seinem Hunde und streckte sich am Feldrain aus. –

 

Hans Berkow hatte sich studiert, wie ein geistreicher Diener seinen Herrn studiert. Er kannte seine starken und seine schwachen Seiten und all seine Mittel. Kühl und klug hatte er es stets verstanden, seine großen Appetite zu befriedigen. Hier, vor Mareile, wurde er mutlos; sie schien etwas zu sein, das nicht für ihn bestimmt war, und doch hatte er im Leben noch nichts so stark begehrt wie dieses Weib. Verteufelt auch.

In dem Wäldchen war der Frühstückstisch gedeckt. Die Damen trugen alle helle Sommerkleider. Die Gräfin Blankenhagen in Gelb, die schönen Arme entblößt, Agnes Scharf, das Kind, in Rosa, die Fürstin Elise in Mattviolett. »Wie eine Roggengarbe voll bunter Unkräuter sieht die Gesellschaft aus«, sagte Günther. Mareile saß zwischen Egon Sterneck und dem Fürsten Kornowitz. In einem blau und rosa Musselinkleide, auf dem Strohhut blau und rosa gestreifte Rosen, »Cibò-Rosen«, wie sie im Modeblatt hießen, war ihre Schönheit heut wieder unmittelbar einleuchtend. Die Haut hatte einen warmen rosigen Ton, in den sich etwas wie Gold mischte. Die tokaierbraunen Augen strahlten. Jeder Mann, der Mareile ansah – bis zu den Waldhütern –, mußte lächeln. Sterneck unterhielt sie. Er sprach beständig mit einer eigensinnigen, gewaltsamen Liebenswürdigkeit, als wollte er keinem anderen Zeit lassen, Mareile anzureden. Der Fürst saß schweigend da, die trüben Augen teilnahmslos in die Ferne gerichtet, als warte er geduldig und kummervoll auf etwas.

Es war köstlich unter dem sonnenwarmen Laubdach. Lichtfunken und Blätterschatten zitterten über die Tafel hin. Große Hummeln verirrten sich in die Gläser. Baumblüten fielen in den Wein und in die Haare der Damen. Alle fühlten sich freier, einander näher als drüben im Schloß.

Günther unterhielt sich mit der Gräfin Blankenhagen, die heute besonders wild mit ihm kokettierte. Er mußte jedoch immer wieder zu Mareile hinübersehen. Wenn die anderen einem schönen Mädchen den Hof machten, verstimmte es ihn, nicht mehr dabei, ausrangiert zu sein.

Nach dem Frühstück sollten die Damen die Herren in das Feld begleiten. Egon Sterneck nahm, als verstände es sich von selbst, Mareile für sich in Beschlag – – – und Hans Berkow fand, daß Mareile das auch selbstverständlich fand. Ihm war der Jagdtag verdorben. Immer mußte er auf dem Felde den bunten Fleck von Mareiles Kleid neben Sternecks hoher Gestalt sehen. »Also – sie will doch in die gräfliche Zwangsjacke!« knurrte er. –

Am Abend war großer Ball. Mareile hatte sich eben in ihrem Stübchen angekleidet, ein erdbeerfarbenes Kreppkleid mit schwarzen Stiefmütterchen und dunkelroten Rosen »Sultan von Zanzibar«. Jetzt rauschte sie die Treppe zur Inspektorswohnung hinunter. Sie wollte ihre Mutter abholen.

In der Wohnstube herrschte Dämmerung. Vater Ziepe stand am Ofen und lachte, wie er zu lachen pflegte, wenn er die Mutter ärgern wollte. »Na, unsere Balldamen sind parat. Mutter hat sich schon seit einer Stunde dekolletiert – um mit dem Kandidaten Halm unten am Tisch zu sitzen. Die Ehre. Ha – ha.«

Mareile stand schweigend da, eine helle Gestalt, an der es seidig rauschte, leise – wie Gold – klingelte, süß duftete. Die beklommene Luft dieser Stube, in der es nach des Vaters garen Kartoffeln roch, die zankende Stimme, der säuerliche, trübe Werktag schlugen ihr wie etwas Unreines, Feindliches entgegen, das sie und ihr Kleid beflecken wollten und denen sie entfliehen mußte. »Komm, Mareiling«, sagte die Mutter, »mit dem is heute wieder nicht zu reden.«

Für die heutige Gesellschaft waren die Festräume des alten Flügels geöffnet worden: das Eßzimmer mit der Schäferszenerie an den Wänden, der grüne Bildersaal, der auf den Wintergarten hinausführte, und der große Ahnensaal. Neben der Baronin saß die Gräfin Hochau und beobachtete mit ihrem strengen, blanken Gesicht Irma Blankenhagen, die mitten im Saal mit Egon Sterneck sprach.

»Aha«, meinte sie, »es scheint endlich dazu zu kommen.«

»Wir wollen es hoffen«, sagte die Baronin.

Mareile trat in den Saal. Egon wandte sich sofort von seiner Dame ab und ging auf Mareile zu.

»Das also ist Ihr Erzug, Liebe«, sagte die Gräfin Hochau und musterte Mareile. »Hm – charmant! Ja – diese Damen richten viel Unheil an... das kennt man.«

»Meine Mareile ist doch ganz anders«, erwiderte die Baronin.

»So! Freut mich. Solche Aufzöglinge gelingen sonst selten«, meinte die Gräfin.

Zum Diner führte der Hauptmann Tettau Mareile. Egon saß ihr gegenüber – mit Irma Blankenhagen. Er unterhielt sich jedoch nur mit Mareile. Das hübsche Gesicht mit seiner ein wenig starren, nordischen Regelmäßigkeit war heute erregt wie das Gesicht eines glücklichen Knaben. Die übrige Gesellschaft fühlte, daß sich hier etwas ereigne. Die Unterhaltungen wurden zerstreut. Ein jeder wollte diese beiden beobachten, die sich so kameradschaftlich miteinander beschäftigten und taten, als wären sie allein. Agnes Scharfs Augen wurden immer größer, indem sie Mareile anschauten, und ihr rosa Gesicht nahm einen andächtigen Ausdruck an, als hörte sie einer Liebespredigt zu. »Sehr rassig, das Fräulein Cibò«, schnarrte Leutnant von Remm neben ihr. »Rassig? Himmlisch, wollen Sie sagen«, erwiderte Agnes verträumt. Remm errötete. »Ja – hm – natürlich«, murmelte er und merkte dabei, wie die Verliebtheit in die rassige Dame ihm die Kehle zuschnürte. Unten am Tische saß Frau Ziepe neben dem Kandidaten Halm. Beide schauten Mareile feierlich und schweigend an, als wären sie zu diesem Schauspiel eingeladen und genössen es jetzt still und glücklich.

Nach dem Speisen wurde getanzt. Günther als Tanzleiter war unermüdlich. Er führte die Quadrillenpromenade die breiten Treppen auf und ab und ließ auf einer Galerie ein jedes Paar vor Frau Bias, der alten Gärtnersfrau, und Frau Mandelkoch, der Mamsell, die dort schläfrig beieinandersaßen, eine Verbeugung machen. Dann mußten alle in den Garten hinaus, in die stillen, mondbeschienenen Gänge, an den schlafenden Blumenbeeten hin. Die weiße Feierlichkeit der Mondnacht strich erregend über die nackten Schultern und Arme, stieg allen wunderlich zu Kopf. Man wurde schweigsam auf diesem Gange zwischen den Tuberosen und Gladiolenbeeten, hier und da erscholl ein hysterisches Frauenlachen, Agnes Scharf bekam einen Weinkrampf, die Gräfin Blankenhagen ließ sich in einem Schattenwinkel von Botho Sterneck küssen. Egon Sterneck wich nicht von Mareiles Seite, und das erschien heute wie selbstverständlich; das schöne Paar, das sich rücksichtslos in die Augen sah, war der beredte Ausdruck der Stimmung dieses Abends. »Der Tarniff versteht sich auf die Behandlung der Gesellschaftsnerven«, sagte der Graf Blankenhagen, der trotz seines weißen Kaiser-Wilhelm-Bartes mit Beate die Quadrille tanzte. »Sie Göttliche!« sagte Agnes Scharf und umarmte Mareile so leidenschaftlich, als sei Mareile die Liebe in Person.

Mareile ließ sich von diesem Strom der Bewunderung willig tragen. Sie fühlte ihre eigene Schönheit von sich ausstrahlen, wie etwas Erwärmendes und Beglückendes. Das Fazit des Abends konnte ja morgen herausgerechnet werden; heute war Feierabend.

Als Hans Berkow sich mit Mareile zu einem Konter niedersetzte, sagte er sich: »Jetzt muß es sein. So ist's zu dumm. Sie wird's schon spüren, daß ich anders wirklich bin als all diese stilisierten, adligen Gespenster.« Ihnen gegenüber tanzte der Fürst Kornowitz mit der Gräfin Blankenhagen. Als sie sich zur ersten Figur erhoben, sagte Hans kurz: »In der nächsten Pause frage ich Sie etwas.«

Als sie wieder saßen, sagte Mareile: »Und Ihre Frage, Herr Berkow?«

»Ja so – die Frage!« Hans begann lässig mit niedergeschlagenen Augen: »Ich schicke also voraus, daß ich Sie liebe. Es fragt sich nur – ob – ob«, er blickte zur Decke auf, suchte nach einem Ausdruck, ließ sich Zeit, »ob Sie das wissen – ob Sie das so gewollt haben?«

»Ja – wissen Sie das denn auch sicher?« fragte Mareile freundlich. Sie war nicht überrascht. Es war, als müßten heute alle ihr von Liebe reden. Hans zuckte die Achseln: »Mein Gott! So etwas merkt man! Unsere Leidenschaften fallen uns an. Wir können nichts dafür. Vielleicht ist's dieses Mal etwas Gutes, das Gute, das mich angefallen hat und so...«

Er sprach jetzt leise und eindringlich; er schaute Mareile dabei bittend an, wie jemand, der in Not ist. »Ich bin sonst mißtrauisch gegen Gefühle, aber dieses Mal...«

Mareile fühlte, daß er sie ansah, daß er sie zwang, aufzuschauen, und dann erschütterte der Ausdruck der blauen Augen sie, die so gierig ihre Gestalt tranken. Sie machten Mareile sprach- und hilflos. Es war ihr, als müßte sie mit beiden Händen nach ihren Kleidern fassen, sie halten, um nicht nackt vor diesem Blicke dazustehen.

»Das müssen Sie doch gewollt haben«, sagte Hans leise.

Mareile schwieg noch immer. Vor diesen heißen Augen wurde ihr feierlich zumute. »Wir – wir beide miteinander werden anders frei sein als die – hier«, setzte Hans hinzu.

»Das ist aber zu arg!« rief die Gräfin Blankenhagen. »Ich bitte zu tanzen. Es ist hier kein Rout.«

Als Mareile sich erhob, sagte sie – und ihre Stimme klang, als empörte sie sich gegen etwas: »Frei! Warum muß man frei sein?« Dann tanzten sie.


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