Eduard von Keyserling
Beate und Mareile / I
Eduard von Keyserling

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Der Tanz war zu Ende. Mareile eilte in den Wintergarten hinaus. Aus dem Palmenhause nebenan strömte eine heiße, duftschwere Luft herein. Mareile setzte sich auf eine versteckte Bank, die Phönixpalmen und Rhododendron umstanden. Sie fühlte sich seltsam ergriffen. Vor den Blicken und den Worten dieses Mannes war etwas in ihr geschmolzen. Verlangen und Widerwille kämpften in ihr und machten sie unglücklich. »Nein – nein – das nicht!« murmelte sie. Sie lehnte den Kopf in die Blüten der Rhododendron zurück und schloß die Augen. Sie sah Egon Sternecks Gesicht vor sich, die stahlblauen, von ihr begeisterten Augen. Hier waren keine schwülen Rätsel; nur sicheres Besitznehmen. Wer beschützt sein, wer fest und hoch stehen wollte, der mochte es bei den Augen gut haben. Dann mußte Mareile die Augen aufschlagen. Es war ihr, als sei jemand da und sähe sie an. Der Fürst Kornowitz stand vor ihr und schaute mit seinen müden, wartenden Augen auf sie herab.

»Hat Sie die Erklärung des Malers so stark ergriffen?« fragte er mit seiner leisen, heiseren Stimme.

»Wissen Sie davon?«

»So etwas sieht man.«

Mareile lächelte: »Natürlich! Wenn man uns von Liebe spricht, das ergreift uns immer.«

Der Fürst setzte sich zu Mareile. »Ja – ja«, meinte er, »natürlich, diese – jungen Herren sprechen Ihnen – von Liebe – natürlich. Und dann ist es vielleicht der eine oder der andere – und es kommt so 'ne brave Verlobung zustande – nicht wahr?«

»Gewiß!« Mareile errötete. »Ich will nichts anderes als eine brave Verlobung. Ich will eingereiht werden und beschützt werden und in Reih und Glied stehen. Für die Ausnahmsgöttin, die Sie aus mir machen, bin ich viel zu feige, vor der fürchte ich mich. Ja, so ist es, lieber Freund.«

Der Fürst lachte tonlos in sich hinein. »Ja, Sie sind klug. Sie wollen wie die anderen sein. In Reih und Glied, was? Fürchten sich vor sich, wie? Na, Sie werden schon den Mut zu Ihren Torheiten finden. Denken Sie dann an mich. Ich bin ein alter Kerl, ich habe Sie verpaßt. Nichts zu machen! Aber Sie haben mir ja erlaubt, Ihnen zuweilen zu sagen: ›Ich liebe Sie – ich liebe Sie – ich liebe Sie!‹ Ein kleines Almosen. Und – wer weiß – nach den großen Torheiten – wer weiß. Ich warte.«

»Gott schütze mich!« sagte Mareile tonlos. Dann wurde es still in der Laube. Mareile lehnte sich zurück, griff fest in die roten Blüten der hinter ihr stehenden Büsche, wie um ihre Hände zu kühlen, während der Fürst sie ansah – das Gesicht fahl, die Züge messerscharf, wie bei einer Leiche, die Augen, unter den schweren Lidern, vom Alter verschattet und getrübt.

Nebenan, hinter den Palmen, wurden Schritte vernehmbar. Die fette Stimme des Majors von Tettau sagte: »Du wirst zugeben, mon cher, daß du weder so jung bist noch so situiert, um dich bei jeder, na – sagen wir beauté, so ins Zeug zu legen.«

»Bitte«, erwiderte Egon Sternecks Stimme leise und gereizt. »Darf ich fragen, was dich das...«

»Angeht, was?« ergänzte Tettau. »Na, älterer Kamerad, Verwandter.«

»Was willst du?«

»Reg' dich nicht auf!« knarrte Tettau.

»Ich sag' ja nichts. Charmante Dame, Künstlerin. Ich bin der erste, der da huldigt. Aber du affizierst dich heute so, man könnte denken – –«

»Nun und?« brummte Sterneck.

»Noch eine Frage, erlaube«, fuhr Tettau fort. »Kann der älteste Sterneck ein Fräulein Cibò oder Ziepe heiraten? Nein – also! Erlaube, ich bin gleich fertig. Du froissierst die Komtesse Irma und die Gräfin, und das geht nicht, das weißt du. Zuerst die Familie und das Regiment, dann die kleinen Passionen. Unsereiner wird nun mal mit der Kandare im Maul geboren.«

»Ach! Laß mich zufrieden!«

»Sofort. Also, mein Sohn, abgeschwenkt, es ist die höchste Zeit. Unsereiner muß Order parieren.«

Mareile war aufgestanden, bleich bis an die Lippen, die festgeballten Hände voll roter Blumenblätter. An der Saaltür mußte sie stehen bleiben, weil die Leute sich dort drängten.

»Fräulein Mareile«, sagte jemand neben ihr. Es war der Kandidat Halm. Seine Augen glitzerten erregt hinter den Brillengläsern, und er errötete. »Fräulein Mareile, wollen Sie nicht mit mir einen Walzer versuchen? Sie wissen doch noch, ich walze – gut.«

»Ach nein«, sagte Mareile böse.

Halm rang vor Verlegenheit die Finger ineinander, daß sie knackten. »O! Entschuldigen Sie. Natürlich – sehr natürlich.«

Mareile wandte sich ab und ging. Sie ertrug all das nicht länger. Oben in ihrem finsteren Stübchen atmete sie auf. Die Stille tat gut. Durch das geöffnete Fenster kam die Nachtluft und kühlte Mareiles nackte Schultern. Der Mond stand zwischen großen, goldgesäumten Wolken und ließ alle Edelsteine an ihr aufblitzen, als sie jetzt mit leisem Rauschen vor ihrem Bette niedersank und weinte. Und deutlich klang ihr wieder Hans Berkows leise, leidenschaftliche Stimme in den Ohren: »Wir beide. Wie frei würden wir sein!« –

Am nächsten Morgen schaute Mareile trübselig auf den Hof nieder. Hinter dem Gartengitter, auf dem Tennisplatz, regten sich Herren in hellen Anzügen, Damen mit weichen, bunten Kappen auf den Köpfen. Das »out« und »play« der Spielenden klang lustig herüber. Nein! Zu denen konnte sie jetzt nicht. Sie grollte ihnen. Ein kleiner Wagen hielt vor dem Schloßtor. Von Günther geleitet, trat eine blaue Gestalt auf die Freitreppe hinaus. Egon – Sterneck. Er fährt zur Station, dachte Mareile. Sie mußte sich abwenden. »Er pariert Order«, sagte sie kummervoll vor sich hin. Ein unerträgliches Gefühl der Demütigung machte sie krank.

 

Am Nachmittag wurde ein Spazierritt nach dem Walnösee unternommen. Auf einem Hügel machte die Gesellschaft halt und lagerte sich unter den großen Tannen. Unten lag der See, ein rundes Wasserbecken, schwarz und regungslos. Es wollte nicht recht heiter werden in der Gesellschaft. Auf allen Gesichtern zeigte sich ein ruhevolles Sinnen.

»Wollen wir wenigstens singen, wenn wir uns nichts zu sagen haben«, sagte Günther, der solche Stimmungen nicht liebte: »Also, Verlassen, verlassen –«

Verlassen bin i –
Wie der Stein auf der Straße;
Kein Mensch mag mi ni.

Das war das Rechte. Alle sangen mit. Diese Klage tat ihnen wohl. Der See begann zu dampfen; straffgezogene Nebelstreifen hingen über dem Wasser. Rehe, von dem Gesange erschreckt, flohen leidenschaftlich bellend in den Wald. Mareile saß am Rande des Abhanges, die Hände im Schoße gefaltet, die Augen voller Abendschein, und um sie her der Fürst, Remm, Tettau, Berkow. Alle dachten nur an sie, fühlten nur sie. Günther seufzte: »Ach ja, das gehört dazu! Ein Mädchen, das uns betrunken macht.« Warum zählte er nicht auch noch mit!

Auf dem Heimwege ritt Hans Berkow neben Mareile her. Im Walde dämmerte es bereits. Über den zerzausten Föhrenwipfeln hing ein Stück Mond im bleichen Himmel.

»Ich spreche natürlich wieder von – von meiner Liebe«, begann Berkow sofort. »Ist Ihnen das unangenehm?«

Mareile lächelte, aber es schien Berkow, als läge in diesem Lächeln etwas wie Kummer. »Ach, Herr Berkow, Sie wissen doch, wir haben einander immer widersprochen. Ich glaube, wir sind fast – so was – wie – wie Feinde.«

Berkow trabte eine Weile schweigend vorwärts, dann lachte er.

»Die Gesellschaftsdame der Fürstin Elise, das Fräulein von Mikewitz, ist doch sehr gelehrt?«

Mareile schaute verwundert auf. »Wie kommen Sie auf die arme Mikewitz?«

»Daß sie die arme Mikewitz ist, wußte ich nicht«, sagte Hans, »aber gelehrt ist sie. Sie macht gelehrte Vergleiche. Gestern sagte sie: ›Der Major tanzt wie ein Mylodon.‹ Mylodon soll ein Faultier der Tertiärperiode sein.«

»Warum erzählen Sie das – – jetzt – so –«

»Weil ich auch einen Vergleich wie Fräulein von Mikewitz machen möchte.«

»Nun?«

»Also. Es gibt zwei Stoffe. Wasserstoff und Sauerstoff. Gut. Also diese beiden vertragen sich nicht. Kommen sie zusammen, so bleiben sie in so starker Spannung, daß sie einen sehr explosiven Stoff abgeben. Leitet man nun einen elektrischen Funken durch sie hindurch, dann explodieren sie zwar, vereinigen sich jedoch zu einem kristallhellen, stillen Wassertropfen.«

Mareile sagte nichts. Sie waren an den Park von Lantin gekommen.

»Was sagen Sie von meinem Gleichnis?« fragte Hans.

»Gut ist es«, erwiderte Mareile und reichte ihm ihre Hand hinüber: »Gute Nacht.«

Hans hielt die kühle Hand fest, die wie kraftlos in der seinen lag. Er sah Mareile in das mondbeglänzte Gesicht, in die Augen mit dem schmelzenden Glanz, den Mädchenaugen annehmen, wenn das Gefühl den Willen übermannt. Er mußte lachen, so stark schüttelte ihn ein plötzliches Triumphgefühl. »Fräulein Mareile«, begann er, aber schon schnaufte Leutnant von Remms Stute hinter ihnen.

 

Am Vormittage saßen einige Damen unter der maurischen Bogenhalle im Garten und machten Handarbeit. Leutnant von Remm pendelte unablässig zwischen den Damen und der Lindenallee hin und her, wo Mareile und Hans Berkow schon eine Stunde lang auf und ab gingen.

»Jetzt ist's geschehen«, meldete er.

»Was? So sagen Sie doch«, drängte Agnes von Scharf.

»Er hat ihr die Hand geküßt«, meinte Remm und setzte sich bekümmert auf die Gartenbank.

»Sein Sie nicht tragisch, Remm«, sagte die Gräfin Blankenhagen, »Fräulein Cibò kann doch nicht auf alle Leutnants Rücksicht nehmen. Ich finde unseren Maler sehr nett.«

»Das muß so kommen«, dozierte Fräulein von Mikewitz. »Wenn auf sieben Meilen im Umkreise nur ein männliches und ein weibliches Individuum einer bestimmten Gattung, sagen wir einer Schneckenart, existiert, so finden sie sich doch zusammen. Die Natur will es. So auch hier.«

»Das Fräulein wird mit ihren gelehrten Vergleichen jedesmal unpassend«, flüsterte Frau von Scharf der Gräfin zu.

 

Auf dem Schlosse war es stille geworden. Mareile und Hans Berkow waren die einzigen Gäste. Die Ziepes hatten dem Brautpaar ein Festessen gegeben. Es war schon spät, als Mareile und Hans aus der Inspektorswohnung auf den Hof hinaustraten. Sie atmeten tief auf. Die kleinen Zimmer waren so voll von Speisen und erhitzten Menschen gewesen. Die Mondnacht war sehr hell. Vom Garten duftete es süß herüber. Die Feldgrillen schrillten in den Stoppeln, und vom Teiche scholl das verträumte Plaudern der Enten herauf. In der Lindenallee gingen Günther und Beate langsam auf und ab. »Famos!« rief Günther dem Brautpaare zu. »Kommt, wir machen eine Nachtrunde.« Mareile und Beate faßten sich um die Taillen und gingen den Wiesenpfad entlang. »Eine Zigarre, mein Alter, bitte«, sagte Günther. »Also – wie – wie – wie bekommt es dir?«

Hans hob den Kopf, als wollte er den Rauch seiner Zigarre dem Monde in das Gesicht blasen.

»Danke – gut. Außerordentliche Wesen, diese unsere Damen. Was die nicht alles an uns für wirklich halten! Was?«

»Na, wir sind doch auch wirklich genug«, meinte Günther.

»So? Ja – o ja! Aber da ist doch wieder manches wirklich, an das sie nicht glauben; in uns nämlich. Wie der Mond, kehren wir unseren Frauen immer nur eine Seite unseres Wesens zu.«

Günther wurde ungeduldig. »Eine Seite! Ist das nicht genug? Und wenn's noch die helle ist. Auswendig brauchen die Frauen uns doch nicht zu wissen. Das unnütze Grübeln! 'ne Frau hat man über sich ergehen zu lassen wie die Dusche oder das Schicksal, nur dann wirkt sie.«

Sie waren bis an das Eichenwäldchen gelangt. Mitten darin lag eine kleine Lichtung, ganz mondbeglänzt.

»Ein Saal«, rief Günther. »Was könnten wir hier Besonderes tun? Etwas schwören? Nein, den Halmtanz tanzen! Du weißt, Hans, als wir jung waren, liebte der Kandidat Halm die Mareile. Natürlich. Zu ihrem Geburtstage hatte er ein altes Tanzlied komponiert, sehr hübsch... und wir tanzten den Halmtanz danach. Also.«

Sie faßten sich an den Händen und drehten sich im Kreise, dazu sangen sie:

»Springen wir den Reihen,
Nun, Dame mein!
Freuen uns des Maien,
Der bei uns kehrt ein!
Der Winter, der der Heide
Brachte arge Not,
Ist ja nun vergangen,
Wonnig ist sie umfangen
Von Blumen rot,
Von Blumen rot.«

Rauschend flogen die Krähen auf, die in den Kronen der Eichen geschlafen, und die Nachtraben klatschten mit ihren Flügeln. »Sie klatschen Beifall«, meinte Günther.

Als man sich trennte und Hans nach Lantin zurückwanderte, nahm Günther seine beiden Damen unter den Arm und zog dem Schlosse zu. An jeder Seite eines dieser schönen Wesen, die Welt blau von Mondlicht – besser wünschte er es sich nicht. Unter den Klängen von Kandidat Halms Tanzliede marschierten sie über die hellbeschienene Landstraße:

»Springen wir den Reihen,
Nun, Dame mein!
Freuen uns des Maien...«

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