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1936

Paris. 1.Februar 1936. Sonnabend

Bei Julien Cain in der Bibliothèque Nationale. Nachmittagsempfang in dem pompösen, von Mazarin erbauten Flügel der Bibliothek, der die Amtswohnung Cains ist. Paul Valery sagt mir, seine Charakteristik der französischen Romantiker sei in drei Sätzen: ›Insuffisance de culture. Insuffisance de métier. Suffisance outrecuidante personnelle.‹ – Stefan Zweig. Geneviève Tabouis.

Pontanevaux. 28. März 1936. Sonnabend

Abends Max in Lyon abgeholt, der aus Berlin kommt, um eine Reaktivierung der Cranachpresse zu besprechen, die vom Hamburger Hubert-Konzern gemietet und mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden soll. Im Auto mit Faveri und Max nach Pontanevaux.

Pontanevaux. 30. März 1936. Montag

In bezug auf das Verbot meines Buches berichtet Max folgendes: der betreffende Dezernent, der es verboten habe, sei ein gewisser Wasmann. Diesen habe Alfred Nostitz aufgesucht, um mit ihm zu unterhandeln. Nostitz habe sich für meine Person und Anständigkeit mit seiner Ehre verbürgt. Wasmann habe ihm gesagt, ich hätte mit ihm, Wasmann, vor Jahren eine Zeitungspolemik geführt, und auch gleich die betreffenden Zeitungsausschnitte aus einer Mappe herausgeholt, habe aber den Großmütigen gespielt und gesagt, er wolle selbstverständlich versuchen, das Verbot wieder aufheben zu lassen. Die ›Äußerung‹, die mir vorgeworfen worden sei, sei nicht von mir, sondern von einem ›Herrn Kessler‹ getan worden. Wasmann habe sie in Gegenwart von Alfred eigenhändig aus den Akten gestrichen. Außerdem habe Alfred mit Welczek gesprochen, der seine Hilfe zugesagt habe, aber gesagt habe, sie werde wirksamer sein, wenn er von Paris aus und nach dem Plebiszit die Sache aufgreife.

Pontanevaux. 6. Juli 1936. Montag

Mein liebes Haus in Weimar heute verkauft. Wie viele Erinnerungen, wieviel von meinem Leben ist mir damit verlorengegangen.

Pontanevaux. 19. Juli 1936. Sonntag

Nachricht, daß unter Leitung der Generale Franco und Godet ein Militäraufstand in Spanien ausgebrochen ist.

Fournels. 14. September 1936. Montag

Mit Wilma und Faveris im Auto nach Fournels. Jacques gestern abend mit der Bahn dorthin abgefahren. Unterwegs gefrühstückt in der ›Hostellerie du Lignon‹ am Flüßchen Lignon, wo uns der alte, bärbeißige Besitzer zunächst unhöflich empfing, dann aber ein ausgezeichnetes Frühstück, Krebse, Hase, Rebhuhn, ein delikater Käse (›Fourme‹, Lokalerzeugnis), alles für sechzehn Francs, dazu eine Flasche Châteauneuf du Pape, versöhnend wirkte. Nachher entschuldigte sich der Wirt bei mir, er sei alter Afrikaner, dem die Sonne hart auf den Schädel gebrannt habe, früherer Hauptmann der französischen Kolonialtruppen, und daher ungeübt in den Künsten des Wirtes. Schließlich lud er uns noch zu einem Gläschen ›Verveine‹ (Lokal-Likör) ein, so daß wir wie alte Freunde voneinander schieden.

Die Landschaft in der Auvergne (Haute-Loire und Cantal), Gebirgszug hinter Gebirgszug, stark bewaldet (vor allem Pinien, die unseren Fichten täuschend ähnlich sehen, und Kastanien, aber auch Tannen), großartig und sonderbar. Eine Reihe erloschener Vulkane, spitze Vulkankegel, verleiht ihr einen eigenen Charakter. Im Pinienwald stellenweise an märkische Landschaften, im offenen Waldgebirge an Thüringen erinnernd.

Spät bei Nacht in Fournels an. Das Schloß machte im Halbdunkel, bei fast versagender elektrischer Beleuchtung, einen gespensterhaften Eindruck. Die dicken Granitmauern, die steilen, steinernen Wendeltreppen in den Türmen, die dichtgedrängten Ahnenbilder, die selbst an den Steinwänden der Treppen Bild an Bild hängen, die gotisch gewölbten Säle und Zimmer, alle nur schwach erleuchtet, wirkten unheimlich. Mein Schlafzimmer bei Kerzenlicht, in den Ecken ganz dunkel, hätte als Dekoration zu ›Wallensteins Tod‹, fünfter Akt, gut gepaßt.

Paris. 26. Oktober 1936. Montag

Heute ist mein Buch offiziell erschienen. – Jean Schlumberger interviewte mich für die ›Nouvelles Littéraires‹, die mir auch einen Photographen auf den Hals schickten.

Paris. 30. Oktober 1936. Freitag

Artikel über mein Buch in den ›Nouvelles Littéraires‹ von Jean Schlumberger und im ›Jour‹ von Gabriel Marcel. Bei Mme. van Rysselberghe gefrühstückt mit André Gide und Jean Schlumberger. Gide scheint recht enttäuscht aus Rußland zurückgekehrt zu sein. Er ist über den Prozeß der Sechzehn entsetzt. Sagt, ihm scheine in Rußland die Freiheit des Geistes noch grausamer unterbunden zu sein als im Hitler-Deutschland; die Bedrückung der Geistesfreiheit dort sei ihm unerträglich gewesen. Er befürchtet einen zweiten Prozeß, der ebenso empörend verlaufen werde wie der erste, in den Radek, Bucharin usw. verwickelt werden würden. Stalins Prestige in Rußland bei den Massen sei durch diesen Prozeß schwer geschädigt worden. Um seine Popularität wiederaufzufrischen, werde er rücksichtslos die spanische Regierung mit Waffen und technischen Hilfskräften unterstützen und sich durch nichts abschrecken lassen. II ira jusqu'au bout. Die besten Sowjet-Piloten seien schon in Spanien.

Nach Gides Ansicht ist übrigens die Sowjet-Fliegerei der deutschen weit überlegen. Die deutschen Kampfflugzeuge flögen nur zweihundert Kilometer in der Stunde, die russischen vierhundert. Die vorgestern begonnene Offensive der Madrider Truppen gegen die Rebellen scheine schon auf russisches Material und russische Kampfflieger gestützt. Ich fragte, was geschehen werde, wenn eines der russischen Schiffe im Mittelmeer torpediert werde? Gide antwortete: Krieg. Ich sagte, ich glaube nicht, daß dann Frankreich Rußland zu Hilfe eilen werde; denn es werde unmöglich sein, in Frankreich zu diesem Zwecke zu mobilisieren. Was dann? Gide: Bürgerkrieg in Frankreich. Er glaubt offenbar sowohl an Krieg wie auch an Bürgerkrieg. (Eine Ansicht, die in bezug auf den Krieg ich gestern auch von Hilferding und schon öfter von Hugo Simon gehört habe.)

Ich fragte Gide, wann seine Reise-Eindrücke aus Rußland erscheinen würden? Er sagte, in den allernächsten Tagen, obwohl viele seiner Freunde ihm abrieten und versuchten ihn zu bestimmen, das Buch nicht herauszugeben (offenbar seine kommunistischen Freunde, die wissen, daß das Buch über Stalin-Rußland Ungünstiges aussagen wird). Als Symptom, wie weit die bourgeoise Reaktion in Rußland schon gediehen sei, führte Gide an, daß jetzt in Rußland schon wieder Kirchenglocken gegossen würden. Es bereite sich dort eine wieder vollkommen hierarchisierte Gesellschaftsordnung vor, mit einer neuen Aristokratie, neuen Bourgeoisie usw. Um so mehr sei Stalin aber gezwungen, in der spanischen Sache intransigent zu sein, um den Massen etwas zu geben. Allerdings sei dieses spanische Unternehmen echter Trotzkismus (Weltrevolution).

Gide fährt in nächster Zeit nach Barcelona und vielleicht Madrid. Große Bewunderung Gides für Kafka, namentlich den ›Prozeß‹. Auch für Sologub ›Le Démon subtil‹.

Paris. 1. November 1936. Sonntag

Mittags nach Marly, Maillol besuchen. Ich freute mich, ihn zu sehen, und die ganze Familie, die in der Küche versammelt war, schien sehr erfreut, mich zu sehen. Er zeigte mir die große Figur (weit überlebensgroß), die er im Auftrage des Staates für die Weltausstellung macht, eine Variation über meine Figur einer Hockenden, sehr mächtig und im besten Sinne monumental. Er nennt sie ›la Montagne‹. Auch die Figur einer Stehenden für einen Platz in Paris (wahrscheinlich den Hof des Louvre) und mehrere andre Werke, die ich noch nicht kannte, so eine ›Pomona‹ in Marmor und drei Mädchenfiguren, lebensgroß, die sich zu einer Art von Reigen verschlingen, Hand in Hand, die er ›les Nymphes de la prairie fleurie‹ nennt.

Die spanischen Ereignisse regen ihn sehr auf. Er scheint ganz auf Seiten der Rebellen. Schimpft über die Blum-Regierung, ›un gouvernement idiot‹, gibt aber zu, daß er nichts von Politik verstehe und nur ausnahmsweise (zum Beispiel jetzt wegen Spanien) die Zeitung lese. Mein Buch hat er gelesen und schien namentlich vom ersten Teil (›Meme‹) beeindruckt. Die Seiten über Sarah Bernhardt hätten ihn begeistert, weil er ganz Mamas vernichtendes Urteil über sie teile. In mir weckten das Haus, der Garten, das Atelier ziemlich wehmütige Erinnerungen an die Colin-Zeit.

Paris. 5. November 1936. Donnerstag

Maillol bei mir in Paris bei Marius gefrühstückt. Nachher mit ihm in den Luxembourg, um seine dort neu aufgestellte Figur zu sehen. Er klagte über seine Frau, die immer schlechter Laune sei und ihm fortwährend Szenen um nichts und wieder nichts mache. Das geht jetzt seit bald vierzig Jahren so. Wir aßen einen ›homard Lawrence‹, eine Spezialität von Marius, und Maillol erinnerte dabei an eine Bouillabaisse, die wir 1908 in Marseille, vor unserer Abfahrt nach Griechenland, gegessen hätten. Er habe nachher immer wieder das Restaurant gesucht, wo wir diese Wunder-Bouillabaisse genossen hätten, aber es nie wieder finden können.

Im Luxembourg steht seine Figur wie eine Königin inmitten der Menge nichtssagender, prätentiöser, häßlicher Statuen. Auch die meisten Bilder, und ganz besonders die ›Neuerwerbungen‹, sind unwahrscheinlich schlecht. Nur die beiden großen Toulouse-Lautrecs, die er für die Goulue gemalt hat, fallen vollkommen aus allem heraus durch ihre grandiose Komposition, ihre Monumentalität und ihren Humor. Maillol blieb lange davor stehen und schien sich daran nicht satt sehen zu können.

Paris. 7. November 1936. Sonnabend

Bei Misia Sert gefrühstückt mit Vuillard. Cocteau, der auch kommen sollte, hatte im letzten Augenblick wegen Grippe abgesagt. Misia, obgleich sie viel Kummer hat, so frisch und lebendig wie immer. Vuillard ist ganz weiß geworden, hat sich aber sonst gar nicht verändert.

Am späten Nachmittag bei José-Maria Sert in seinem Atelier. Er zeigte mir das Modell und den Entwurf zur Dekoration für den Saal des Völkerbundrats in Genf, eine imponierende und in ihrer Art geniale Sache, deren Pomp und Fortissimo sowohl meine Sinne wie auch mein Herz vollkommen kalt lassen. Eine Kunst ohne Seele, ohne innere Musik, die nur auf den Effekt eingestellt ist. Wie Degas von Serts Wandgemälde für den Dom von Vich sagte: »Ça se dégonfle.« Als Virtuosentum ist Serts Können aber erstaunlich.

Er erzählte mir die Zerstörung seiner Werke in Vich, die ›Roten‹ hätten den Dom zweimal angezündet, das zweite Mal, weil beim ersten Brand noch etwas von seinen Wandgemälden übriggeblieben war. Er habe bis dann nie geglaubt, daß er hassen könne; aber diese Leute, die seine Gemälde zerstört hätten, hasse er; er werde sich an ihnen rächen, er sei entschlossen, sich an ihnen zu rächen! In seinem spanischen Französisch wirkte das halb tragisch und halb komisch.

Er erzählte dann, daß die ›Roten‹ sein Besitztum am Meer in Katalonien ›besetzt‹ hätten. Eine Viertelstunde von dort ist auch das Unglück passiert, das seinem Schwager, Alexis Mdivani, das Leben gekostet hat. Sein Schwager sei aus einem rauschenden Fest in seinem Auto fortgefahren, um die Baronin Thyssen zur Bahn zu bringen. Die Abfahrt habe sich durch allerlei Scherze und Verabschiedungen etwas verzögert, und Mdivani habe deshalb mit großer Geschwindigkeit fahren müssen, um den Zug nicht zu verfehlen. Zwanzig Minuten nach seiner Abfahrt sei Serts Frau, die Schwester von Mdivani, angerufen worden, es sei ein Unglück passiert, und als sie sofort zur Stelle hinfuhr, sei ihr auf der Landstraße schon ein Bauernkarren mit der Leiche ihres Bruders entgegengekommen. Der Schock habe sie gelähmt, und als er, Sert, vierundzwanzig Stunden später aus Venedig heimkehrte, habe er seine Frau von Sinnen vorgefunden. Seitdem könne sie keinen Augenblick mehr schlafen, ohne daß sie sofort im Traume die Leiche ihres Bruders sähe.

Die Ärzte sagten, es hänge mit einer durch den Schock verursachten Störung in den Funktionen der Thyreoiddrüse zusammen, die bei dem heutigen Mangel an Kenntnissen dieser Funktionen zur Zeit unheilbar sei. Dieser Zustand seiner Frau, ihr halber Wahnsinn, habe sein Leben vollkommen umgewälzt; seine Ehe, die glücklich gewesen sei, sei zu einer äußerst unglücklichen geworden. Seine Frau habe für alle Menschen nur noch böse Worte, hasse alle, weil sie am Leben seien, während ihr Bruder tot sei.

Sert scheint sich durch die Übernahme ungeheurer Aufträge betäuben zu wollen. So hat er jetzt wieder eine riesige Dekoration für das Rockefeller-Haus in New York vor und verhandelt über eine noch riesigere Dekoration (›une chose pharamineuse‹, sagte er lachend) für das neue Stadion in London, eine Dekoration, die siebenundzwanzig Meter hoch werden soll (›plus haute qu'une maison de huit étages‹).

Er entwickelte übrigens eine Theorie, wonach diese Riesendekorations-Malerei die Kunst der Zukunft sei, weil die ungeheuren glatten Flächen der modernen Beton-Architektur eine entsprechende Malerei verlangten. Vorläufig stecke sie noch in den Anfängen, seine Riesendekorationen seien nur die ersten Versuche in dieser neuen Kunst, er sei nur deren ›Cimabue‹. Es würden andre kommen, die sie auf die Höhe führen würden. Er behauptet weiter, daß diese neue Kunst monochrom (nicht vielfarbig) sein werde. Was übrigens möglich ist, obwohl das ewige Schwarz auf Gold von Sert auf die Dauer trist wirkt, keine Freude aufkommen läßt. In Wirklichkeit weiß er mit der Farbe nicht viel anzufangen.

Paris, 11. November 1936. Mittwoch

Nachmittags bei den Julien Cains in der Nationalbibliothek; Porte six à huit. Cain sagte mir schöne Sachen über mein Buch, Berenson, den ich seit über zwanzig Jahren nicht gesehen hatte, hatte es ebenfalls gelesen und fragte mich, sonderbarerweise, warum ich es nicht französisch geschrieben hätte? Ich antwortete, weil ich Deutscher und meine Sprache Deutsch sei. Er hat sich wenig verändert, ist noch immer bissig und amüsant, sagt, daß er in seiner Villa in Florenz von den Faschisten streng beobachtet wird und daß sie um ihn eine Art von Sanitäts-Kordon gezogen haben und seine Landsleute aus Amerika vor ihm warnen, ihnen beibringen, daß es keinen Zweck habe, ihn zu besuchen, er sei altersschwach, trottelig, verrückt!

Paris. 13. November 1936. Freitag

Cocteau, der vor einigen Tagen überfahren worden ist, in seinem Zimmer besucht. Er lag zu Bett mit einem mehrtägigen Bart. Wir sprachen über seine Weltreise. Er sagte, der ideale Aufenthaltsort sei Peking, man könne dort in einem alten Palais für nichts leben; mit fünfhundert Francs monatlich sei man ein großer Herr. Aber er fühle sich, obwohl alles andre als Nationalist oder Chauvinist, doch nirgends wohl als in Frankreich. Mir müsse das doch wohl mit Deutschland ebenso gehen? Ich bestätigte dieses. In der Tat fange ich an, ein starkes Heimweh zu haben.

Pontanevaux. 11. Dezember 1936. Freitag

Heute abend um zehn Uhr im englischen Rundfunk die Abschiedsworte Eduards des Achten an seine Völker und an seine Heimat abgehört. Die Erklärung dauerte kaum fünf Minuten, war aber in ihrer Einfachheit, Würde und echten Menschlichkeit tief ergreifend, wie eine Rede aus einem Shakespearischen Königsdrama.

Pontanevaux. 15. Dezember 1936. Dienstag

Nach Lyon auf das Spanische Konsulat, um mir ein Visum für Palma zu beschaffen. Der Konsulats-Sekretär sagte mir, daß nach den neuesten Instruktionen sie Visa an Deutsche und Italiener nicht mehr erteilen dürften. Aber ich solle ruhig nach Palma fahren; da es in den Händen der Rebellen sei, werde es dort gerade umgekehrt sein, niemand werde mir als Deutschem dort die Einreise verweigern!

Pontanevaux. 23. Dezember 1936. Mittwoch

Abends kamen ganz überraschend George Heywood und seine Frau auf der Durchreise nach Cap Ferrat hier an und aßen mit mir. Er ist jetzt Brigadekommandeur in Aldershot. Das Gespräch kam natürlich auf die Abdankung Eduards VIII. Heywood sagte, was ihm am meisten Sorge mache, sei, daß unzweifelhaft diese erzwungene Abdankung dem monarchischen Gedanken in England einen schweren Stoß versetzt habe. Wenn ein Ministerpräsident einen König, der nichts Verfassungswidriges getan habe, zur Abdankung zwingen könne, dann sei vielleicht eine Republik mit einem Präsidenten vorzuziehen.

Pontanevaux. Weihnachtsabend 1936. Donnerstag

Um vier hatte ich einen Weihnachtsbaum und eine Bescherung für die Dorfkinder von Saint-Symphorien d'Ancelles eingerichtet. Zirka fünfzig Kinder von sechs bis zehn Jahren kamen unter Führung ihrer Lehrerin. Die meisten hatten noch nie einen Weihnachtsbaum gesehen und waren durch den Weihnachtsmann, als der vermummt Faveri erschien, sehr beeindruckt. Auch die Hunde, Katzen, Gänse hatten unter dem Baum ihre eigene Bescherung, was sehr lustig war. Es stellte sich heraus, daß die kleinen Mädchen die Puppen verachteten und kleine Küchengarnituren und Eßservice vorzogen. Alle waren erstaunlich artig und wohlerzogen; hübsche Gesichter hatte kaum ein halbes Dutzend kleine Mädchen und Jungen; die meisten sahen aus wie der graue Alltag. Das Volk dieser Gegend, Bourguignons und Lyonnais, ist merkwürdig unschön.

Pontanevaux. Silvester 1936. Donnerstag

Abends mit Wilma die Silvesterfeier aus Berlin abgehört. Um Mitternacht Berliner Zeit das Läuten der Glocken der Berliner Kirchen sehr ergreifend in der Fremde. Um Mitternacht französischer Zeit antworteten ihnen die Glocken aus Paris. Im selben Augenblick sprang Biederle, der vor dem Feuer geschlafen hatte, mir auf den Schoß, wie um mir seine Wünsche zum neuen Jahr zu überbringen.

1936 ist ein trübes, sorgenvolles, unglückliches Jahr gewesen, und die Aussichten für 1937 sind nicht glänzend, entgegen Leon Blums optimistischer Rede, die er mit etwas zittriger und trüber Stimme um halb acht im Radio hielt.


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