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1931

5. Januar 1931

In Berlin erkrankt, nach Weimar gefahren. Dort bis Anfang März Lungenentzündung.

6. März 1931

Nach Ascona, Lugano, dann Paris und London. In London nach zwei Tagen erkrankt; sofort nach Berlin, wo vom 22. April bis Ende Juli im Franziskus-Krankenhaus. Lungenentzündung (doppelseitig).

Berlin. 4. November 1931. Mittwoch

Oskar Reinhart aus Winterthur war mit Flechtheim bei mir, um sich die große Steinfigur von Maillol anzusehen, die er kaufen will und die ich zu meinem großen Schmerz verkaufen muß.

Berlin. 12. November 1931. Donnerstag

Vormittags kamen die Arbeiter von Knauer, bauten das Gerüst vor dem Fenster auf und holten die Figur. Um zwei Uhr fünf Minuten glitt sie, in ein großes Tuch gehüllt, als ob sie selber trauerte und ihr Haupt verhüllte, zum Fenster hinaus. Das Gesicht schien, als sie ins Freie kam und das Licht es berührte, noch einmal in strahlender Schönheit aufzublühen. Mir war es ein Schmerz, den ich nie ganz verwinden werde.

Paris. 29. November 1931. Sonntag

Gefrühstückt bei der Fürstin Bassiano in Versailles mit André Gide, Groethuysen, Mme. Bucher (der Witwe des elsässischen, von Frankreich subventionierten Propagandachefs während des Krieges, die jetzt in Paris eine Gemälde-Ausstellung betreibt). Gide tat sehr erfreut, mich wiederzusehen, frischte die Erinnerung an meine Ballonfahrt nach Rußland vor etlichen Jahrzehnten auf, über die er sich genaue Notizen gemacht habe (ich hatte die meisten Einzelheiten längst vergessen). Er war sehr empört über die Sprengung des Pazifisten-Kongresses im Trocadero am Freitag, meinte, die Polizei habe ihre Pflichten grob vernachlässigt, so daß verschiedene Botschafter, die der Versammlung beiwohnten (unter andren Hoesch und Tyrrell) avaient manqué d'être passés à tabac.

Ich erwähnte die bittere Not in Deutschland. Gide meinte, zweifellos sei die Not der breiten Massen groß, aber es sei schwer, in Frankreich Ungläubige zu überzeugen, weil Franzosen, die aus Berlin zurückkämen, von der unerhörten Verschwendung und dem sichtbaren Luxus dort erzählten, und weil auch zahlreiche Deutsche in Frankreich das Geld mit vollen Händen ausgäben.

Bei Tisch bemerkte Gide, daß er nie den ›Zarathustra‹ habe lesen können. »Je crois que j'ai tout lu de Nietzsche; mais le ›Zarathustra‹ non, je n'ai jamais pu.« Der Stil sei ihm unerträglich. Er erzählte auch, daß sowohl Thomas Mann wie auch Kayser (von der ›Neuen Deutschen Rundschau‹) ihm ausdrücklich bestritten hätten, daß Goethe einen ›Prometheus‹ geschrieben hätte. Sie hätten nur die ›Pandora‹ gekannt und immer wieder den ›Prometheus‹ mit der ›Pandora‹ verwechselt. Ich setzte nachher Gide in Paris beim ›Cinema des Miracles‹ ab, wo er sich auf meine Empfehlung den Film ›Der Kongreß tanzt‹ mit Lilian Harvey ansehen wollte.

Paris. 2. Dezember 1931. Mittwoch

Nachmittags der Italiener Caffi, der bei der Fürstin Bassiano Hauslehrer und mir von dieser wärmstens als Gelehrter (Historiker und Gräzist) empfohlen worden ist (Schüler von Mommsen), zum Tee Avenue Kléber. Eine interessante, faszinierende Persönlichkeit. Er war vier Jahre unter dem Bolschewismus als Korrespondent des ›Corriere della Sera‹ und nachher an der Botschaft in Rußland, zweimal in den Tscheka-Gefängnissen gefangen, einmal sechs Wochen, immer bei schlechtester Verpflegung (hundert Gramm Schwarzbrot und eine stinkende Fischsuppe, die von einer syphilitisch zerfressenen lettischen Frauensperson einmal am Tage gebracht wurde, diese Lettin außerdem schwer bewaffnet, le fusil en bandoulière). Jeden Sonnabend wurden im Keller unter seiner Zelle Gefangene erschossen, was so klang, als ob Türen laut zugeschlagen wurden. Zu Dserschinskij hat er sogar ganz gute persönliche Beziehungen gehabt, da er mit ihm studiert hatte. Er meint, er sei pathologisch gewesen, im übrigen integer und ganz unfähig, selbst einen Menschen umzubringen, ganz im Gegensatz zum Henker Peters. Dieser sei übrigens nachher wahnsinnig geworden. Länger als zwei Jahre habe es überhaupt kein bolschewistischer Henker ausgehalten; spätestens nach zwei Jahren sei jeder verrückt geworden. In allen Irrenhäusern hätten sie gesessen; die Sanatorien an der Krimküste seien voll von wahnsinnig gewordenen Henkern gewesen.

Frankfurt. 5. Dezember 1931. Sonnabend

Bei Heinrich Simon gefrühstückt und nachmittags mit ihm eine Besprechung gehabt wegen meiner Memoiren. Ich sagte ihm, daß ich etwa ein Jahr brauchen würde, um sie zu schreiben, und während dieser Zeit einen materiellen Zuschuß haben müßte, derauf das Honorar angerechnet werden würde. Er war im Prinzip einverstanden und sagte, er müsse sich die finanziellen Möglichkeiten überlegen, werde mir dann schreiben.

Er sprach offen über die ›Legenden‹, die mir zweifellos nicht unbekannt seien, die meine Geburt beträfen; ich gelte allgemein als ein Hohenzoller, ein Sohn Wilhelms I.; gerade deshalb hätten mir die Rechtskreise mein Eintreten für die Republik so übel genommen, weil ich ein ›Onkel‹ Wilhelms II. sei. Ich sagte ihm, die Sache sei sehr leicht als der Unsinn, der sie ist, festzunageln, da meine arme Mutter den alten Kaiser erst nach meiner Geburt kennengelernt habe. Ja, meinte er, sie sei aber doch die letzte Liebe des alten Herrn gewesen. Ich sagte, vielleicht, aber so, wie Marianne die letzte Liebe des alten Goethe gewesen sei. Jedenfalls, meinte er, stamme ich aus dieser alten, konservativen Umgebung, und es werde interessant sein, die Wandlung zu erleben, die mich auf meinen Lebensweg aus diesem streng monarchischen Kreis zur Fronde gegen Wilhelm II. und dann zur Republik geführt habe.

Ich sagte, wichtigstes Motiv sei wohl die Erkenntnis der geradezu perversen Geschmacklosigkeit Wilhelms II. gewesen, Geschmacklosigkeit in der Auswahl seiner Freunde und Berater, in der Kunst, der Literatur, dem Lebensstil, der Politik, Geschmacklosigkeit in jeder Äußerung. Simon stimmte zu, Wilhelm II. habe durch diese Geschmacklosigkeit alle schlechten Instinkte des deutschen Volkes großgezogen, während es gerade umgekehrt darauf angekommen wäre, diesem kulturell so hochstehenden Volk auch äußerlich ein Profil, eine feste, für alle erkennbare Linie zu geben. Ich sagte, ja, Wilhelm sei geradezu der Mann ohne Linie (außer der des schlechten Geschmacks), das gerade Gegenteil des deutschen Edelmannes und des englischen Gentleman gewesen, die eher zuviel als zuwenig Linie hätten, mit andren Worten: ein gekrönter Barbar, der das ganze deutsche Volk in den Ruf der Barbarei gebracht habe.

Jedenfalls ist mir das eine bei meinem heutigen Gespräch mit Simon klargeworden, daß das erste Kapitel der Memoiren ›Meine Mutter‹ heißen muß und dem törichten Geschwätz über meine Abstammung ein für allemal ein Ende machen soll. Die Memoiren sind dadurch gewissermaßen eine Pflicht der Pietät geworden.

Berlin. 8. Dezember 1931. Dienstag

K. G. erzählt, daß in Neukölln jetzt KPD und Reichsbanner gegen Nazis zusammengehen. Nur die Führer seien noch entzweit, die Arbeiter, ob KPD oder SPD, hielten zusammen. – Abends neun Uhr Rede Brünings im Rundfunk zur neuen Notverordnung und gegen Hitler. Ruhiger, etwas professoraler, heller Stimmklang, auffallend dialektfrei, wie sterilisiert; bei der Polemik gegen die Nazis etwas temperamentvoller klingend, offenbar gewollt temperamentvoller.

Berlin. 9. Dezember 1931. Mittwoch

Bei Eduard Heydt im ›Esplanade‹ gefrühstückt. Er kam vom Geschäftlichen, das der eigentliche Zweck des Frühstücks war, bald auf François-Poncet, ob ich ihn kennte und was für eine Art von Mann das sei. Ihn interessiere das gerade jetzt, weil Poncet offenbar Verbindungen zu den Nazis suche und man ihn, Heydt, wegen seiner Beziehungen zur Thyssen-Bank und zu den Hohenzollern als eine Art von Brücke benutzen zu wollen scheine. Er sei zwar selber kein Nazi, huldige eher einer liberalen Anschauung, und ganz gewiß kein Antisemit, dazu habe er viel zuviel jüdische Freunde; aber er sehe jetzt nur noch die Alternative zwischen einer Beteiligung der Nazis an der Regierung und einer Diktatur der Reichswehr, und da seien ihm die Nazis schon lieber, gerade weil sie wüßten, daß sie nicht ohne Sachverständige (zum Beispiel Schacht, der ganz ihr Mann sei) regieren könnten, während die Generäle eben Generäle seien und, obwohl sie ebenso schimmerlos wie die Nazis seien, doch alles besser wissen würden. Die Nazis seien gar nicht so schlimm, wie sie nach ihren Programmen und Erklärungen erschienen; schon weil sie soviel Geld von der Großindustrie und Großbank, von Juden ebenso wie Christen, erhalten hätten, würden sie bolschewistische Pläne gar nicht erst zu verwirklichen suchen. Auch außenpolitisch würden sie nicht unvernünftig sein. Mussolini laufe ihnen nach und mache ihnen allerlei Angebote; aber sie suchten unter der Hand auch mit Frankreich Fühlung, und die Großindustrie fördere diese Richtung. Nun sei er, Heydt, vielleicht berufen, eine Rolle als Vermittler zwischen den Nazis und François-Poncet zu spielen; Hitler komme morgen nach Berlin, und er, Heydt, werde ihn sprechen; auch werde er, Heydt, in den nächsten Tagen bei Roland de Margerie sein und durch diesen den Botschafter kennenzulernen suchen. Die Großindustrie sehe ein, daß eine Verständigung mit der französischen Industrie notwendig sei; siehe Arnold Rechberg.

Ich sagte, François-Poncet habe schon sehr bald nach dem Kriege solche Pläne mit mir besprochen. Soweit ich mich erinnere, sei der allerdings wohl nicht klar ausgesprochene Gedanke Poncets gewesen, daß die deutsche Schwerindustrie in der französischen Militärmacht eine Stütze gegen ihre Arbeiter finden könnte, um ihren Lebensstandard herunterzudrücken und billiger produzieren zu können. Andrerseits hätte die französische Großindustrie, die schon traditionell weniger sozial denke als die deutsche, ein Interesse daran, die deutsche Sozialversicherung, die als böses Beispiel in Frankreich wirke, möglichst abzubauen und mit der deutschen Industrie Verkaufskartelle abzuschließen, die auf beiderseitig niedrigen Preisen und Löhnen beruhten. Wahrscheinlich verfolge François-Poncet auch heute noch diese oder ähnliche Gedanken. Mir seien sie von Grund aus unsympathisch, da ich nie die Hand zu etwas bieten könne, das die Lebenshaltung der breiten Massen in Deutschland noch weiter herunterdrücke.

Heydt bat mich um allerstrengste Diskretion. Offenbar geht der Wunsch zu dieser deutsch-französischen Fühlungnahme von der Naziseite und vermutlich von Hitler persönlich aus, während von französischer Seite (Roland de Margerie, Poncet) bisher nur nicht ›Nein‹ gesagt worden ist.

Auf meine Frage, wen die Nazis sich denn als Außenminister dächten, antwortete Heydt zu meiner Überraschung, warum nicht Brüning? Ich sagte, Brüning könne doch unmöglich von heute auf morgen eine ganz andre Außenpolitik machen. Worauf Heydt: Brüning habe doch auch zuerst eine pro-österreichische und dann eine anti-österreichische Politik gemacht; für die große Dummheit des Zollunions-Projekts sei er doch ebenso verantwortlich wie Curtius oder Bülow, wenn er auch Curtius nachher habe fallenlassen.

Paris. 31. Dezember 1931. Donnerstag

Trauriges Silvester, Ende eines katastrophalen Jahres und Beginn eines voraussichtlich noch katastrophaleren. Bei Wilma gegessen, aber noch vor Mitternacht zu Bett, da in trübster Stimmung.


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