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Der Ausflug

Ich bin einmal acht Monate lang Dorfschullehrer gewesen, und daß ich es gleich sage: diese stillen, einförmigen acht Monate stehen immer noch frisch im Feld meiner Erinnerung, während vieles andere nachher, was nach Meinung der Welt größer und bunter war, ausgelöscht ist – verweht – verloren.

Wenn die jungen Männer nach der ersten Lehrerprüfung das Seminar verlassen, kriegt irgendein Regierungsrat die Liste, und aus ihr greift er einen beliebigen Kandidaten heraus, wenn irgendwo eine Stelle zu besetzen ist. Ohne Wahl zuckt der Strahl! Ich kam unter allen meinen Kursusgenossen in das allereinsamste, weltverlorenste Dörflein. Es lag ganz im Flachlande; nur aus dämmernder Ferne her schimmerten die blauen Schlesierberge, die ich aus meiner Kindheit her kannte und liebte. Rings ums Dorf fette Felder und Wiesen, aber ohne alle Romantik, nur ein wenig Ufergebüsch war am Bach. Die Bauern waren fromme, stille Leute, ohne die Laune und den Schalk, den die Gebirgler haben. Es war ein wohlgeordnetes Bauerndorf. Sonntag vormittag waren alle Bewohner ohne auch nur eine einzige Ausnahme in der Kirche, Sonntag nachmittag alle Männer in der Schenke (auch ohne eine einzige Ausnahme). Wenn die Abendglocke klang, flogen alle Kartenblätter hin, und alle Hände falteten sich; wenn der letzte Ton eben verstummte, donnerten alle höchsten Trümpfe auf den Tisch. Wochentags Arbeit von Sonnenaufgang bis zur herandämmernden Nacht.

»Und ich da mitten still und stumm!« Da sagten die Bauern: er hat wahrscheinlich die Schwindsucht. Schade um ihn!

Das sagte sich auch meine kreuzbrave Frau Hauptlehrerin, und sie pflegte und fütterte mich deshalb mit rührender Sorgfalt. Ihr ebenso braver Gatte erklärte mich aber für kerngesund und gab mir von seinen besten Zigarren. Dieser Hauptlehrer war ein munterer Geist, eigentlich auch ein Verschlagener. Der Mann war auf sieben Blätter abonniert, das waren die sieben fetten Kühe für ihn und mich am Nilfluß dieser Einsamkeit.

Das Dorf lag über zwei deutsche Meilen von der Kreisstadt entfernt. Diese Kreisstadt war ja selbst klein und ohne reges Leben. Sie zählte etwa siebentausend Einwohner. Aber es war doch eine Stadt. Es gab sogar Soldaten dort und einen Bahnhof, auf dem allerdings die Schnellzüge nicht hielten, es war vor allem dort der breite, tiefe Oderfluß. Gegen unser Dorf war diese Stadt ein tumultuarisches Großgemeindewesen voll Glanz, Abwechslung, Sehenswürdigkeiten und Gefahren. Man wisperte bei uns von dieser Stadt wie man anderwärts von Berlin oder Hamburg wispert.

Unsere Dorfleute kamen fast niemals nach der Kreisstadt. Es war »zu weit«. Wer einem Bauern eine Spazierfahrt zumutet, wenn es nicht gerade ganz offiziellen Lustbarkeiten gilt oder ernsten Anlässen, wie Hochzeit, Kindtaufe, Begräbnis oder Gerichtstermin, der täuscht sich. Nur dann »spannt der Bauer ein«, sonst nicht. Wie sollten da die Leute nach der Kreisstadt oder gar darüber hinaus kommen? Es war noch ein näher gelegener Marktflecken da; der hatte zwar keine Eisenbahn, aber unsere Leute konnten in diesem Marktflecken alles kaufen, was zum Leben gehörte, und was sie nicht unmittelbar selbst aus Landwirtschaft und Viehzucht beziehen konnten. Was sollten sie in der Kreisstadt? Wie sollten sie dahin gelangen? Zu Fuß gehen, drei Stunden hin, drei Stunden her, für nichts und wieder nichts, als dort Geld ausgeben? Sie brauchten die Welt nicht. Sie waren sich selbst genug. Sie waren die unabhängigsten Leute, die ich in meinem Leben kennengelernt habe.

Manchmal kam mir das Große solch wurzelstarken, selbstsicheren Lebens schon damals zum Bewußtsein; aber ich war blutjung, eben zwanzig Jahre alt, ich kam aus der Großstadt Breslau, wo meine Studiengenossen Heilgans und Böttger und ich es unter unserer Würde gehalten hätten, in der Freistunde von was anderem zu reden, als von Alvary als Siegfried, von Possart als Richard III., von d'Andrade als Don Juan, ich kam von Breslau, wo damals schon (Anno 1893) die Pferdebahnen rasselten und die Droschkenkutscher lackierte Zylinder hatten.

Oh, und ein Mensch, der den Wagner- und den Shakespearestil innehatte, mußte nun abends vor diesem Schulhaus sitzen und zusehen, wie unser Dackel, der von meinem Hauptlehrer auf den Namen des englischen Staatsmannes »Pitt« getauft war, der schnurrbärtigen Therese, einer alten Schachtel, den Rock zerriß und wie der Hauptlehrer die Geschädigte mit den Worten beschwichtigte: »Pitt, der Kerl, kann eben wirklich kein hübsches, junges Mädchen vorbeigehen lassen.«

In minimum natura maxima hatte auch mich der große Linné gelehrt; aber ich wußte das damals nicht aufs Leben anzuwenden – ich war zu jung, ich hatte Heimweh nach der Welt. Ich sah nach den Bergen, über die Berge hinaus in die große bunte Weite …

Ein Junge zeigte in der Schulpause einem Mädel einen alten Kalender und sagte: »Siehst du, so sieht eine Eisenbahn aus!« Ich besah das Bild. Es war eine Darstellung der ersten Eisenbahn, die im Jahre 1835 von Fürth nach Nürnberg fuhr, mit der bekannten Stephenson-Lokomotive mit dem hohen Schornstein und den Wagen, die wie mit Planen überspannte Reisekutschen aussahen.

»Habt ihr wirklich noch keine richtige Eisenbahn gesehen?« fragte ich. Aus den erstaunten Augen der Kinder las ich das Überflüssige dieser Frage. Am Abend jenes Tages sagte ich zu meinem Hauptlehrer:

»Wir wollen etwas tun. Wir wollen mit den Schulkindern einen Ausflug unternehmen, aber nicht nur bis zur Kreisstadt, nein, bis nach Breslau; wir wollen ihnen die Oder zeigen, die Eisenbahn und eine große Stadt.«

Er war ein kluger Kopf und sagte: »Ja.«

*

Einfach war die Sache durchaus nicht. Auch wenn wir von allen inneren Widerständen, die wir in der Gemeinde gegen solch ein Abenteuer finden mußten, absahen, machte uns der »Fahrplan« viel Schmerzen. Unser Dorf lag von Breslau in der Luftlinie etwa vierzig Kilometer entfernt, aber wir durften für den Ausflug nur einen Tag in Anspruch nehmen und verzweifelten an der Aufgabe, an einem Tage vierzig Kilometer hin und her zu machen und noch einige Stunden Zwischenpause herauszubringen. Endlich gelang es. Wenn wir morgens früh zwei Uhr mit der ganzen Schar aufbrachen, konnten wir abends zwischen zehn und elf, also nach zwanzigstündiger Reise, wieder zurück sein und behielten noch einige Stunden für die Besichtigung von Breslau. Die »Verbindung« war nicht glänzend.

 

Der Pfarrer, der Ortsschulinspektor war, stand unserem Plan freundlich gegenüber; er sagte, er möchte sich gern selbst beteiligen, wolle aber die Messe nicht ausfallen lassen. Schließlich vermeldete er am nächsten Sonntag von der Kanzel: »Eines Schülerausfluges wegen ist die heilige Messe nächsten Dienstag, nachts ein Uhr.« Die Gemeinde horchte auf, und die ganze beträchtliche Oppositionspartei, die sich inzwischen gegen den Ausflug gebildet hatte, löste sich schon in den Kirchenbänken stillschweigend auf.

Der, dem's am meisten zu Herzen ging, war der Schneider Dierschke. Ich sah ihn auf seinem Platz sitzen und in tiefer Betrübnis den grauen Kopf schütteln. Nach dem Gottesdienst machte ich mich im Kirchgängerstrom an Dierschke heran.

»Nu, Meister Dierschke, Sie werden doch Ihren Enkelsohn auch mitfahren lassen?«

Er schüttelte unwillig den Kopf.

»Wilhelm fährt nicht mit.«

»Warum denn nicht?«

»Es hat keinen Zweck. Ich bin siebzig Jahre alt; ich bin bloß einmal im Leben in die Stadt gekommen. Da habe ich eine Eisenbahn gesehen. Es saßen vier Männer oben drauf, aber sie hatte sechsundfünfzig Wagen. Weiter bin ich nicht gekommen. Ich bin siebzig Jahre alt, der Junge ist erst elf Jahre. Er kann noch lange warten.«

»Fahren Sie doch selber auch mit. Es fahren viele Eltern mit.«

»Ich werd' mich schön hüten.«

»Aber warum denn?«

»Das da, da außen, das ist alles bloß Gaukelei.«

Nun schwoll mir aber das Herz. Die »Kulturmission« überkam mich, diesem Hinterwäldler, der im Leben nur einen Güterzug gesehen hatte, ganz gehörig den Text zu lesen, ihm sein eigenes Leben so erbärmlich wie möglich hinzustellen und die Fremde zu preisen, die er mit ihren milliardengestaltigen Schönheiten und Reichtümern nicht kannte und darum haßte. Er bilde sich ein, ein sehr guter Großvater zu sein, aber er sei ein sehr schlechter; denn er verwehre seinem Enkel den Blick in die Welt, wo dieser einmal ein viel besseres Fortkommen finden könne als in diesem entlegenen Dorf.

Dierschke hatte verschiedene Male meinen Redestrom unterbrechen wollen, aber es gelang ihm nicht; ich sprach … ich sprach …, nun etwa im Stil Possart als Richard III.

Am Schluß lachte der Schneider, und ich ärgerte mich schwer über diese Wirkung meiner rednerischen Leistung. Nach einem Weilchen sagte er: »Herr Lehrer, ich werd' Ihnen was sagen: wir waren drei Brüder, alle drei Schneider. Der Vater war Schneider, was sollten wir anders werden? Zwei von meinen Brüdern sind in die Welt gegangen. Einer ist ein Lump geworden, der andere hat in Breslau ein schönes Schneidergeschäft gehabt; das ist so lange schön gewesen, bis sein Erspartes weg war, und mein Erspartes, was ich ihm geborgt hatte, auch. Und nun bin ich alt, und meine Frau ist tot, und meine einzige Tochter ist auch tot, und ich hab' nur noch den Wilhelm. Der soll zu Hause bleiben.«

Da verstummte meine weltmännische Beredsamkeit.

»Nun, Meister Dierschke«, sagte ich, »es zwingt Sie ja natürlich niemand, aber ich hätt' halt den Wilhelm gern mitgehabt, weil ich ihm gut bin.«

»Ich weiß schon, Herr Lehrer«, nickte der Schneider freundlich.

Da kam der Bauer Puder vorbei.

»Schneider«, sagte er, »ich lass' meinen Jungen auch nicht mit; ich denk' gar nicht dran! Solche Faxen machen wir nicht mit!«

Der Bauer Puder vertrug sich fast mit niemandem in der Gemeinde, natürlich auch nicht mit der Schule. Der handelte aus purer Widerspruchslust, und seine Worte gingen an mir vorbei.

*

Draußen lag die warme, dunkle Sommernacht, aber in der Kirche war es, als sei Christnachtfeier. Die Altarkerzen leuchteten in den dunklen Raum, große Schatten stiegen an den Wänden hinauf, hie und da war ein goldenes oder silbernes Aufblinken von einem Leuchter oder einer Figur; die Kirche war bis zum letzten Platz gefüllt, vor jedem Beter stand ein Wachsstöcklein, das mit zarter gelber Flamme leuchtete, oben aus dem Orgelchor sangen die Schulkinder; zu zweien und dreien standen sie um ein Lichtstümpflein zusammen, die jungen Gesichter waren rot beleuchtet, die alten frommen Lieder klangen, diesmal mit ein wenig aufgeregten Stimmen, und ich saß auf der Orgelbank und war nicht weniger erregt als die Kinder. – Das ist ein Bild, das in meiner Erinnerung blieb und mir auch heute noch den Gedanken nahelegt: mit Künstleraugen gesehen, gibt es kaum einen lieberen Beruf als den eines Dorfschullehrers; er ist sehr arm an äußeren Genüssen, aber unendlich reich an inneren Freuden, und die Freude steht so hoch über dem Genuß wie das Gold über dem Kupfer; jede reine Freude, die du genossen, ist wie ein goldener Schmuck, den du erworben, bleibt unverändert und unvergänglich im Wert, setzt keinen Grünspan giftiger Reue an und rettet in armen Tagen vor bitterer Not.

Wie ich als junger Mann da so die Orgel spielte in dem nächtlichen Gottesdienst und die frischen Kinder, die einem großen Augenblick, dem Einblick in die Welt entgegensahen, singen hörte, dachte ich: solche Freuden, solche Schmuckstücke will ich mir sammeln.

Die Orgel verstummte, die Lichter wurden eilig ausgepustet, die Kinderschar drängte die Chortreppe hinab; draußen auf der Straße, zwischen Kirche und Schule, warteten die mit Reisern geschmückten Leiterwagen, die uns nach der Kreisstadt, bis an den Oderfluß bringen sollten. Wir hatten nämlich – großzügig, wie wir nun mal waren – mit einem Dampfschiff ein Abkommen getroffen, nach dem uns dieses um viereinhalb verladen und uns auf dem Wasserwege nach Breslau befördern wollte. Nun sagte der Schulze: um viereinhalb in der Kreisstadt sein, das bedeute, spätestens um zwei Uhr von zu Hause wegfahren; denn sechzehn Kilometer in zweieinhalb Stunden zurücklegen, sei keine Kleinigkeit. – Wer diese Rosse vor den Leiterwagen sah, gab dem Schulzen ohne weiteres recht. Denn diese Rosse rechneten so: wenn man einen Pflug zieht, braucht man zu einer Furche, die hundert Meter lang ist, fünf Minuten. Nun kann man ja einen Wagen etwas schneller ziehen, aber wie kommt diese verrückte Gesellschaft überhaupt dazu, uns jetzt aus dem Stall zu zerren, wo wir doch gar nicht ausgeschlafen haben? Die Rosse waren wie der Bauer Puder, sie waren nicht für solche »Faxen«. Als aber die Kinder mit einem ungeheuren Lärm auf die Wagen drängten, spitzten sie die Ohren, worauf Lehmann dringend mahnte, »ganz stille« zu sein; denn sein Schimmel sei ein junges, feuriges Tier, das ginge leicht durch.

Gerade als wir abfahren wollten, kam der Schneider Dierschke an mich heran. Er brachte seinen Enkelsohn und sagte:

»Der Wilhelm soll doch mitfahren.«

»Es ist recht, Meister. Wir passen schon auf ihn auf. Aber wollen Sie nicht selbst mitfahren?«

Sein altes kluges Auge glimmte auf.

»Es mag schon sehr schön sein«, sagte er, »aber ich will doch zu Hause bleiben.«

Und er sah seinen Enkel noch einmal stumm, aber mit liebender Sorge an, als ob er ihn auf eine unendlich weite Reise schicke, und ging seiner Wege.

Fort ging die Fahrt zum Dorf hinaus. Die Kinder saßen ganz stumm. Schon gleich hinter der Dorftafel spähten sie mit großen Augen, ob etwas Neues zu sehen sei. Es waren aber die alten bekannten Felder und Wiesen, umhüllt von den Schleiern der dunklen Nacht. Ein frischer Morgenwind blies von Osten her, es war ganz still, nur die Wagen knarrten den Weg entlang.

Eine Stunde verging, ein fremdes Dorf tauchte auf. Was mag das sein? wisperten die Kinder. Einer nannte den Namen. Nun waren alle in großer Erwartung. Ach, es war ein Dorf wie das unsere, aber es wurde sehr bewundert.

Auf der Dorfstraße stand der Nachtwächter, sichtlich ein Bild krassen Erstaunens. Wie ein Hexenspuk fuhren die buntgeschmückten Wagen an ihm vorbei. Ich saß auf dem letzten Wagen, und als ich an dem Wächter vorbei kam, brachte er heraus:

»Was … was … ist das? Wo fahrt ihr hin?«

»Wir fahren ins Morgenland«, rief ich ihm zu.

»Ins Morgenland!?« schrie er und streckte fassungslos den Spieß in die Luft. Der gute Mann hatte noch eine Stunde Dienst und hat gewiß in dieser Nacht nicht mehr einschlafen können.

Die Sonne kündigte sich an. Schon wehten ihre königlichen Purpurfahnen am Himmelstor. Da sangen die Kinder das freundliche Geibellied:

»Wer recht in Freuden wandern will,
der geh' der Sonn entgegen.«

Zwischendurch merkte ich, daß die meisten Kinder ihre Proviantpakete aufgepackt und schon in der ersten Reisestunde den größten Teil der Vorräte verputzt hatten. Wenn ein gesunder Mensch aufgeregt ist, fängt er an zu essen, und diese Kinder waren aufgeregt.

*

Wir gingen zu Fuß durch die morgendlich beleuchteten Straßen der kleinen Stadt. Die Kinder bestaunten die hohen Häuser. Beim ersten Uhrmacherladen kamen wir nicht vorbei, die ganze Klasse machte vor dem Schaufenster halt, starrte in ein Wunderland von Reichtum. Beim Bäckerladen kam einer auf den Gedanken, sich ein Stück Kuchen zu kaufen, was zur Folge hatte, daß die ganze Herde ihm nachlief, und der Bäcker seinen Laden wegen zu großen Andranges zeitweilig schließen mußte. Er dienerte dann auch noch lange mit seinem dicken Bauch hinter uns her. Dieselbe Szene wiederholte sich vor einer Wurstmacherei, die aus irgendeinem Grunde schon geöffnet war, und es schmerzte mich, daß die Kinder sich soviel mehr für materielle Genüsse begeisterten als für einen prächtigen alten Straßenwinkel, auf den ich ganz vergebens aufmerksam machte. Streuselkuchen und Knoblauchwurst, welch ein Genuß für lebenshungriges Volk. Von wertvollen Baulichkeiten machte nur der Kirchturm wegen seiner Höhe und ein Springbrunnen wegen einiger komischer Figuren Eindruck, alles Alte kam den Naturkindern schäbig und wertlos vor.

Und der Oderstrom. Ein paar riefen Ah! und Oh! als sie ihn sahen, den meisten merkte man eine leise Enttäuschung an – sie hatten sich ihn größer vorgestellt. Unübersehbar breit und unergründlich tief, schäumend und von tausend Schiffen belebt. Oh, die Wirklichkeit hat Mühe, der Phantasie von Dorfkindern gerecht zu werden. Als aber der kleine Oderdampfer kam, der uns aufnehmen sollte, kannte die Verwunderung keine Grenzen. Dem wirklich Großen kommt naives Volk nicht nahe, das Kleine, das es versteht und für groß hält, ist es, was ihm dient.

Dieser Dampfer war ein merkwürdiges Schiff. Er machte mit seinem Triebrad einen Mordslärm, er dampfte, tutete, klingelte, ratterte, rasselte mit Ketten, stampfte, er fuhr angeblich sogar, aber er kam nicht vorwärts. Ob er das auch nicht beabsichtigte, weiß ich nicht, aber es wäre gegen die Verabredung gewesen, da wir doch nach Breslau wollten. Jedenfalls torkelte dieses Schiff immer von einem Ufer zum anderen, immer hinüber und herüber, und ein Mann, welcher als Kapitän des Schiffes galt, erklärte uns, es seien so viele Haltestellen da. Anfangs glaubte ich dem Schiffer nicht, aber nach einer Stunde sah ich ein, daß wir uns tatsächlich vorwärts bewegt hatten – wahrscheinlich durch die Flußströmung – denn die Türme der Kreisstadt waren nicht mehr zu sehen.

Bei so mäßiger Schiffsbewegung ist es verwunderlich, daß ein paar Kinder seekrank wurden. Streuselkuchen, Knoblauchwurst und nun auf dem Dampfer Himbeerlimonade, eine nach der anderen – es war schlimm! Der Kapitän schüttelte den Kopf und sagte, sein Schiff »schlingere nicht«. Ich hätte auch wissen mögen, wie es das fertiggebracht hätte.

Zu sehen war nicht viel Neues. Felder und Wiesen wie daheim. Nur, wenn einmal ein Stück schöner Eichenwald auftauchte, wurden die Kinder still und nachdenklich.

Einer mied beständig meine Nähe. Das war Wilhelm Dierschke. Da merkte ich auch die Ursache: er war barfuß.

»Junge«, sagte ich, »wo hast du denn deine Stiefel? Du kannst doch nicht wie ein Gänserich durch Breslau latschen!«

»Im Sommer drücken mich die Stiefel«, entgegnete Wilhelm, »da hab' ich sie heute früh ausgezogen und an der Oder versteckt.«

»Wo hast du sie versteckt?«

»An der Oder in einem Strauch, ehe wir eingestiegen sind.«

»Und wenn sie jemand sieht und stiehlt?«

Seine Augen zogen Wasser.

»Sie kosten elf Mark«, sagte er voller Angst, »und drei Mark ist der Großvater beim Schuster noch schuldig.«

Die Stiefel waren so gut wie verloren. Da wir die Rückfahrt mit der Bahn machten, kamen wir gar nicht mehr an die Oder. Und das mußte gerade dem Enkel des Weltverächters Dierschke passieren. Aber ich tröstete den Jungen. Mitreisende wohlhabende Bauern steckten mir so viel Geld für die Kinder zu, daß ich, um nicht alle seekrank zu machen, auf Überschüsse sinnen mußte, die ja schließlich dem Stiefelverlust gegenüber zu verwenden waren.

Wie es möglich war, weiß ich nicht, aber wir kamen richtig nach Breslau, und zwar noch am Vormittag desselben Tages, an dem wir früh zwei Uhr abgefahren waren.

»Es sind vier Meilen«, sagte der Kapitän mit Wichtigkeit, und die Kinder horchten auf und dachten nach, wie weit sie nun von Hause entfernt seien. Am Zoologischen Garten landeten wir.

Für Kinder gibt es im Zoologischen Garten nur fünf Arten von Tieren: erstens die Affen, zweitens der Elefant, drittens die Bären, viertens das Nilpferd, fünftens der Löwe. Alles andere, und seien es auch die größten Seltenheiten, wird nur nebenher mit halbem Auge betrachtet. Wir standen an jenem Tage volle drei Viertelstunden vor dem Affenhause. Das Vergnügen endete mit einem groben Scherz. Ein Bauer neckte einen Affen dadurch, daß er ihm statt eines Stückes Zucker ein Stück Kreide gab. Als nun der Bauer demselben Affen ein rohes Ei durchs Gitter reichte, warf es ihm das erboste Tier, in der Meinung, abermals gefoppt zu sein, an den Kopf. Dieses Attentat löste sowohl bei den Affen als auch bei den Kindern ungeheure Heiterkeit aus; der übel zugerichtete Bauer aber knurrte, er mache nicht mehr mit, und verließ uns. Von Käfig zu Käfig ging es. In einem Wirtshausgarten kehrten wir ein; einige Kinder saßen ganz still auf ihren Stühlen und sahen stumm vor sich hin, und ein alter Bauer seufzte tief auf und sagte:

»Wie wird nur jetzt alles zu Hause sein?«

Ich glaube, der Alte hatte eine Anwandlung von Heimweh, er sehnte sich von den fremden Tieren weg nach dem heimischen Stall. Und ich sagte zu ihm:

»Sehen Sie, Vater Schulz, der Löwe, der uns so verachtungsvoll angesehen hat, der denkt auch an seine Heimat. Er denkt an das Felsengebirge in der Wüste; er hat nichts vergessen; er hat es im Instinkt. Er denkt immer, wie mag jetzt nur alles zu Hause sein? Und er ist in fremdem Lande eingesperrt bis an sein Ende.«

»Es kann einem eigentlich leid tun um die Tiere«, sagte der Alte.

»Ja«, sagte ich, »mir tut es auch leid. Es ist unendlich viel Qual, ungestillte, heiße Sehnsucht nach Heimat und Freiheit in solch einem Garten, man sagt, sie seien der Wissenschaft halber da; aber das ist nicht wahr, sie sind nur der Schaulust, der plumpen Unterhaltungslust wegen geschaffen.«

So setzte ich mich selbst ins Unrecht. Aber ich konnte nicht anders; ich hatte wieder zuviel Trübsinn aus der Tierseele leuchten sehen, und ich sagte es ja auch nur zu Vater Schulz.

Das Siegesgewisse meiner Laune sank überhaupt merklich. Was konnte ich den Kindern von der großen Stadt zeigen, wieviel Einblick ihnen gewähren in solch einen Riesenorganismus? Straßenverkehr, Straßenlärm, ein Vorbeigehen an glitzernden Schauläden, ein kurzes Verweilen am Stadtgraben, wo die Schwäne schwammen, das war eigentlich alles.

Zweiundachtzig weltfremde, ungeschickte Kinder im Gewühl der Großstadt zusammenzuhalten, war wahrlich keine Kleinigkeit für uns, die wir die Verantwortung hatten. Die Kinder gingen ängstlich und gänzlich stumm vor Staunen durch die Stadt. Nur hin und wieder war es möglich, ihnen eine Erklärung zuzurufen. Aber ihre Gesichter waren so undurchdringlich, daß man nicht wissen konnte, ob sie etwas interessiere oder nicht. Wenn ich ihnen sagte, das Rathaus sei eines der schönsten Gebäude, so verstanden sie nicht, warum dieses Haus schön sein sollte, und wenn ich ihnen sagte, das sei das Theater, wußten sie nicht, was das ist. Die Schaufenster zogen wie Kaleidoskopbilder schnell vorüber, denn wir durften nicht stehenbleiben, und so entschieden sich die Kinder später bei der Beantwortung der Frage, was am schönsten gewesen sei, zur Hälfte für den Zoologischen Garten, zur anderen Hälfte für einen Mann, der bunte Gummiballons zu verkaufen gehabt hatte.

So durften wir nicht nach Hause fahren! Ich führte die Kinder truppweise auf den Aussichtsturm der Liebichshöhe, von der man das Häusermeer der Stadt übersehen kann. Da wurde den Kindern ihre Größe klar. Sie rissen die Augen auf und atmeten schwer. Aber es war doch eben nur ein totes Häusermeer, was sie sahen, und es hätte gar keinen Zweck gehabt, ihnen ein Dutzend Namen von Kirchen und anderen Baulichkeiten zu nennen. So fing ich an zu reden:

»Seht ihr dort das große Gebäude? Es ist eine Fabrik. Zweitausend Menschen arbeiten jetzt darin im Schweiße ihres Angesichts. Das erscheint euch viel. Aber seht euch diese unzähligen Dächer an. Unter allen wird gearbeitet von Hunderttausenden von Menschen. Dort oder dort stirbt vielleicht gerade ein Mensch, denn alle Tage sterben in einer solchen Stadt viele Menschen. Da oder dort freut sich vielleicht gerade eine Mutter, daß sie ein Kind bekommen hat. Dort steht ein großes Krankenhaus, Hunderte von Menschen leiden darin Schmerzen. Von dorther tönt Musik, da freuen sich lustige Leute. Und seht, wie die Lastwagen fahren, jeder nach seinem Ziel, jeder mit einem bestimmten Zweck, und die vielen Leute unten auf der Straße, jeder mit anderen Gedanken, mit anderem Zweck und Ziel. Das weite Land, das ihr seht, versorgt die Stadt täglich mit Mehl und Fleisch, Obst und Gemüse, und die Stadt schickt hinaus Geräte und Kleider und Möbel und Uhren. Und dort fährt die Eisenbahn.«

Da starrten die Augen.

»Wo fährt sie hin?«

»Sie fährt wohl nach Berlin; aber mancher, der drin sitzt, reist weiter bis an den Rhein oder gar hinüber nach Amerika, und kommt niemals wieder.«

»Es ist viel in der Stadt«, sagte ein Kind.

»Seht ihr das rote Haus dort? Das ist ein Gefängnis. Da sitzen unglückliche Menschen, die das Gesetz nicht achteten, und zählen die Tage, bis sie wieder einmal frei unter den Menschen gehen können. Und dort ist der Dom, daneben wohnt der Fürstbischof.«

»Und wo wohnen wir?«

»Dort ist der Zobtenberg, den wir auch zu Hause sehen, nur daß er hier etwas anders ausschaut, und wenn ihr links von ihm in die Ferne seht, da liegt hinter der Himmelslinie unser Dorf.«

Die Kinder bohrten ihre Augen in den Dämmerdunst der Ferne, und ob sie natürlich nichts von ihrem Dörflein erspähen konnten, sie schauten immer wieder hin und winkten mit den Händen.

Es ist viel in der Stadt, hatte ein Kind gesagt. Das war mir genug. Die Kinder hatten einen Eindruck empfangen, wir fuhren nicht leer nach Hause.

Und ein gewaltiges Neues kam noch: die Kinder fuhren mit der Eisenbahn. Auch mancher Erwachsene aus unserer Schar fuhr zum erstenmal mit der Bahn.

Der Zug flog donnernd dahin, und als wir schon nach kurzer Zeit auf dem Bahnhof der Kreisstadt anlangten, stiegen alle mit einem frohen Lächeln aus: »Es ist vorbei! Es ist gut gegangen!« Und sie fingen an zu lärmen und sahen mutig aus.

Wir suchten den Gasthof auf, an dem uns die Wagen erwarteten, und ich hielt einen Generalappell. Ich zählte die Kinder.

Einundachtzig!

Ich zählte nochmals. Wieder einundachtzig! Da brach mir der Schweiß aus, und ich zählte zum drittenmal einundachtzig. Mit zweiundachtzig Kindern waren wir fortgefahren, zweiundachtzig hatten wir in Breslau in die Eisenbahn hineingezählt, jetzt waren es nur einundachtzig!

»Es fehlt jemand. Wer fehlt?« fragte ich.

»Ich nicht! Ich nicht!« schrien etwa zwanzig. Da fuhr ich nervös dazwischen:

»Ihr Schafsköpfe, ich frage nicht, wer nicht fehlt, ich frage, wer fehlt!«

Der aber, der fehlte, meldete sich nicht. Ich brüllte über den Hof:

»Es fehlt ein Kind!« Der Hauptlehrer, der Pfarrer, die Bauern eilten herbei, regten sich auf und suchten. Vergebens!

»Ich nicht!« sagte noch einer. Der kriegte ein Kopfstück. Plötzlich aber kam mir die Erleuchtung.

»Ist Wilhelm Dierschke da? Wilhelm Dierschke! Wilhelm Dierschke!«

Keine Antwort. Nun wußte ich, wer fehlte. Wilhelm Dierschke hatte sich vom Bahnhof weggeschlichen, um an der Oder seine versteckten Schuhe zu suchen. Es wurde schon dunkel, die Kinder mußten nach Hause; es war ja noch ein Weg von zweieinhalb Stunden zurückzulegen. Da ließ ich die neunundneunzig in der Wüste, ich ließ sie nach Hause fahren und ging das verlorene Schäflein suchen. Als »guter Hirte« kam ich mir gar nicht vor. Im Gegenteil. Ich wußte, daß der Junge seine Stiefel versteckt hatte, ich hätte mir denken müssen, daß er sie suchen würde, da er sie doch wiederhaben wollte, und ich hätte am Bahnhof auf Wilhelm Dierschke besonders aufpassen sollen. Ich hatte es aber unter einundachtzig anderen Sorgen vergessen, und der Junge hatte sich auch so heimlich entfernt, daß nicht ein einziger seiner Kameraden darauf aufmerksam geworden war.

Ich stürmte durch die Stadt, der Oder zu. Meine Phantasie malte mir gräßliche Bilder. Der Junge ist in der Abenddämmerung an den Fluß gekommen, die Böschung ist steil, er hat gesucht, nicht gefunden, ist ausgeglitten, schwimmt vielleicht schon jetzt den Fluß hinunter, und der alte Mann, dessen einziges Glück er ist, wartet daheim, und ich habe den Jungen übernommen!

Einmal mußte ich auf dem kurzen Wege stehenbleiben, um Luft zu schöpfen. Dann endlich war ich am Oderfluß. Ich erkannte in der Dämmerung die Landungsstelle.

»Wilhelm Dierschke! Wilhelm Dierschke!« rief ich.

Es kam keine Antwort. Ich rief, ich schrie, ich schlängelte mich durch das Ufergebüsch.

Ich lugte ins Wasser. Ruhig floß der Strom; der Wind wehte durch die Bäume. Immer wieder rief ich – den Fluß hinauf und hinunter rannte ich – es war alles umsonst.

Nach einer langen Zeit fragte eine Stimme:

»Wer ruft denn hier?«

Es war ein Fischer. Er sagte, er sei seit vielen Stunden am Fluß, noch lange vor Abend, aber er habe keinen Knaben gesehen. Ob er denn nicht den Fluß absuchen könne, fragte ich in meiner Verwirrung. Er schüttelte lächelnd den Kopf.

»Wenn er hineingefallen ist«, sagte er mit der rücksichtslosen Offenheit so einfacher Leute, »dann ist er hin. Denn der Fluß ist hier tief und reißend.«

Tränen würgten mich. Dann schüttelte er wieder den Kopf und sagte:

»Gehn Sie doch mal zur Polizei. Ich werd' Ihnen den Weg zeigen.«

Das war ein Rat, der mir einleuchtete. Ich ging mit dem Mann nach der Stadt zurück, nicht ohne wiederholt stehenzubleiben und laut zu rufen. Der Fischer führte mich einen Weg durch enge Gassen. Und in der allerengsten, wohin ich selbst niemals gefunden hätte – fand ich Wilhelm Dierschke. Er verteidigte heldenmütig sich und seine kanonenrohrartigen Stiefel gegen eine Schar von Jungen, die das Dorfkind belagerten.

Selig rief ich »Wilhelm! Wilhelm!« und hielt ihn in den Armen samt seinen Stiefeln.

Wir gingen dann miteinander durch die Stadt. Ich fand kein Wort des Vorwurfs; ich sagte dem Jungen nur, die anderen seien schon nach Hause, da es doch bereits spät sei. Wir beiden würden nun in einem Gasthaus übernachten und morgen früh halb drei aufbrechen, da seien wir noch vor Schulanfang zu Hause. Wilhelm schluckte an seinen Tränen, preßte mit jedem Arm einen Stiefel an seine Brust und sagte gar nichts. Da fiel mir der Großvater ein. Was für ein furchtbarer Jammer, wenn die anderen heimkehrten und allein sein Wilhelm fehlte! Da sagte ich:

»Wilhelm, wir müssen noch heute nacht nach Hause gehen; es ist wegen deines Großvaters.«

Der Junge nickte gehorsam, aber ich merkte, er war todmüde. Und ich war auch müde. Da fragte ich den Fischer, der noch bei uns war, ob er uns wohl eine Fuhre besorgen könne.

»Oh, wer wird jetzt bei der Nacht noch so weit über Land fahren«, sagte er abweisend.

Ich sagte, es müsse sein, und bot zehn Mark Fuhrlohn. Zehn Mark waren damals viel Geld. Da sagte der Mann, er habe einen Bruder, der Droschkenkutscher und ein sehr gefälliger Mensch sei. Wenn es dieser nicht täte, täte es keiner. Ehe dieser Bruder gefunden war, ehe er eingespannt hatte, vergingen abermals drei Viertelstunden.

Endlich fuhr das Wäglein die dunkle Landstraße entlang. Das Kind schlief ein, der Nachtwind kühlte meine heiße Stirn, und ich war glücklich.

Wohl noch eine halbe Meile vor unserem Dorf hörte ich plötzlich eine Stimme durch die Nacht rufen: »Wilhelm! Wilhelm! – Großer Gott! Barmherziger Gott!«

Es war der Großvater, der sein Enkelkind suchte. Ich rief zurück, sprang vom Wagen herunter und lief auf ihn zu. Das lange weiße Haar flatterte um seinen bloßen Kopf.

»Ist er da? Lebt er?«

»Es ist alles gut, Meister. Da auf dem Wagen sitzt der Wilhelm.«

Der Schneider trat heran.

»Junge!«

»Ich hatte meine Stiefel verloren«, sagte der Kleine mit weinerlicher Stimme.

Ich setzte den Großvater zu dem Jungen in den Wagen und mich beiden gegenüber.

»Ich werd' alles vergelten, Herr Lehrer«, sagte der Schneider mit bebender Stimme.

»Davon ist gar keine Rede, Meister! Sie müssen mir nur versprechen, daß Sie nicht böse auf mich sind.«

Er schüttelte den Kopf und weinte leise. Nach einer Weile sagte er:

»Es ist alles gut. Der Junge ist da.«

»Und«, sagte der Junge, »wir fahren in einem so schönen Wagen, und die Stiefel sind auch da. Ach, Großvater, es war so schön, daß ich mitgefahren bin.«

Der Alte wollte heftig widersprechen, aber er sah mich an, wollte mich nicht kränken und sagte:

»Ja, es war wohl schön, daß du mitgefahren bist.«

Im Dorf waren noch alle Leute munter, alle in Aufregung. Wir wurden mit herzlicher Freude empfangen.

*

Das war der einzige Ausflug, den ich mit Schulkindern als Dorfschullehrer gemacht habe. Schon nach acht Monaten wurde ich in eine größere Stadt versetzt. Einmal bekam ich einen anonymen Brief, dessen Poststempel leider auch nicht zu entziffern war. In dem Brief war nichts enthalten als ein Zehnmarkschein. Ich habe noch heute den Verdacht, daß der Brief von Schneider Dierschke war.


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