Karl Kautsky
Thomas More und seine Utopie
Karl Kautsky

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Erstes Kapitel. Die Anfänge des Kapitalismus und des modernen Staates.

1. Der Feudalismus.

»Die Wissenschaften blühn, die Geister regen sich, es ist eine Lust, zu leben«, rief Hutten von seiner Zeit. Und er hatte recht. Für einen kampffrohen Geist, wie den seinen, war es eine Lust zu leben in einem Jahrhundert, das die überkommenen Verhältnisse, die ererbten Vorurteile kühn umstieß, die träge gesellschaftliche Entwicklung in Fluß brachte und den Horizont der europäischen Gesellschaft mit einem Male unendlich erweiterte, das neue Klassen schuf, neue Ideen, neue Kämpfe entfesselte.

Als »Ritter vom Geist« hatte Hutten alle Ursache, sich seiner Zeit zu freuen. Als Mitglied der Ritterschaft durfte er sie mit weniger günstigen Augen betrachten. Seine Klasse war damals auf der Seite der Unterliegenden: sein Schicksal war das ihre. Sie hatte nur die Wahl, zu verkommen oder sich zu verkaufen, im Dienste eines Fürsten die Existenz zu finden, die der Grund und Boden versagte.

Die Signatur des sechzehnten Jahrhunderts ist der Todeskampf des Feudalismus gegen den aufkommenden Kapitalismus. Es trägt das Gepräge beider Produktionsweisen, bietet ein wunderliches Gemisch beider dar.

Die Grundlage des Feudalismus war die bäuerliche und handwerksmäßige Produktion im Rahmen der Markgenossenschaft.

Ein oder mehrere Dörfer bildeten in der Regel eine Markgenossenschaft mit gemeinsamem Eigentum von Wald, Weide und Wasser, ursprünglich auch von Ackerland. Innerhalb dieser Genossenschaften ging der ganze mittelalterliche Produktionsprozeß vor sich. Der gemeinsame Grundbesitz sowie die in Privatbesitz übergegangenen Äcker und Gärten lieferten die Lebensmittel, derer man bedurfte, Produkte des Feldbaus, der Viehzucht, der Jagd und Fischerei, und die Rohprodukte, die innerhalb der patriarchalischen Bauernfamilie oder von den Handwerkern des Dorfes verarbeitet wurden, Holz, Wolle usw. Die private wie die öffentliche Tätigkeit innerhalb dieser Gemeinwesen ging auf Lieferung von Gebrauchsgegenständen für den Selbstgebrauch, entweder des Produzenten oder seiner Familie, oder seiner Genossenschaft, oder endlich, unter Umständen, des Feudalherrn.

Eine Markgenossenschaft war ein wirtschaftlicher Organismus, der sich in der Regel völlig selbst genügte und fast gar keinen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Außenwelt hatte.

Die Folge davon war eine merkwürdige Exklusivität. Wer nicht Markgenosse war, galt als Fremder, als rechtlos oder minderberechtigt, selbst wenn er sich in der Gemeinde niederließ, solange er nicht ein markberechtigtes Grundeigentum erwarb. Und die gesamte Außenwelt außerhalb der Mark war Ausland. Es bildete sich in den Köpfen der Markgenossen einerseits aristokratischer Dünkel gegen die Zuzügler von außen, die kein Grundeigentum zu erwerben imstande waren, andererseits aber jene lokale Beschränktheit, jene Kirchturms- und Kantönlipolitik, die in abgelegenen und ökonomisch zurückgebliebenen Gegenden heute noch zu finden ist. Auf diesen Grundlagen beruhten der Partikularismus und die ständische Absonderung, die dem feudalen Mittelalter eigentümlich waren.

Der wirtschaftliche Zusammenhang des feudalen Staates war unter diesen Umständen ein äußerst loser. Rasch, wie sich die Reiche bildeten, zerfielen sie wieder. Nicht einmal die nationale Sprache war ein erhebliches Bindemittel, da die wirtschaftliche Abgeschlossenheit der Markgenossenschaften die Erhaltung und Bildung von Dialekten begünstigte.

Die einzige starke Organisation, die über den Markgenossenschaften stand, war die universale, katholische Kirche mit ihrer universalen Sprache, der lateinischen, und ihrem universalen Grundbesitz. Sie war es, die die ganze Masse der kleinen, selbstgenügsamen Produktionsorganismen des Abendlandes zusammenhielt.

Die Macht des Staatsoberhauptes, des Königs, war ebenso gering, als der Zusammenhang des Staates locker war. Aus dem Staate selbst konnte das Königtum nur geringe Kraft schöpfen, es zog sie, wie damals jede andere gesellschaftliche Macht, aus seinem Grundbesitz. Je größer der Grundbesitz eines Feudalherrn, je mehr Bauern in einer Mark, je mehr Marken im Lande ihm zinspflichtig waren, desto mehr Lebensmittel, desto mehr persönliche Dienste aller Art standen ihm zu Gebote; desto größer und prächtiger konnte er seine Burg bauen, desto zahlreichere Handwerker und Künstler konnte er an seinem Hofe halten, die ihm Kleidung, Geräte, Schmuck und Waffen erzeugten; desto größer sein reisiges Gefolge, desto ausgedehnter seine Gastfreundschaft, desto mehr Vasallen konnte er durch Verleihung von Land und Leuten an sich fesseln.

Der König war meist der größte Grundbesitzer im Lande und damit der mächtigste. Aber seine Gewalt war nicht eine so übermäßige, daß sie die anderen großen Grundbesitzer ihm unterjocht hätte. Vereinigt waren sie ihm fast stets überlegen, die größten unter ihnen auch einzeln nicht zu verachtende Gegner. Der König mußte zufrieden sein, als der Erste unter gleichen anerkannt zu werden. Seine Stellung wurde eine immer kläglichere, je mehr die Feudalität sich entwickelte, je mehr die Feudalherren durch Unterjochung der freien Bauern an Macht zunahmen, je mehr infolgedessen der Heerbann zusammenschrumpfte und der König vom Ritterheer abhängig wurde. Erst dann begann die königliche und überhaupt die landesfürstliche Gewalt aus ihrer Erniedrigung sich wieder zu erheben, als die Städte genügend erstarkt waren, ihr einen festen Rückhalt zu bieten.

2. Die Städte.

Die Grundlage der mittelalterlichen Stadtgemeinde wie der Dorfgemeinde war die Markgenossenschaft. (Vergleiche darüber vornehmlich G.L. v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. 4 Bände. Erlangen 1869 bis 1871.) Den Anstoß zu ihrer Bildung gab der Handel, namentlich mit Italien. Derselbe hatte auch in der Zeit der größten Zerrüttung nach dem Untergang des Römerreichs nie ganz aufgehört. Allerdings, die Bauern bedurften seiner kaum. Sie erzeugten selbst, was sie brauchten. Aber die Landesherren, der hohe Adel, die hohe Geistlichkeit verlangten nach Gegenständen einer höheren Industrie. Ihre hofhörigen Handwerker konnten dies Bedürfnis nur teilweise befriedigen. Sie waren der Aufgabe nicht gewachsen, feine Gewebe, Schmucksachen und dergleichen zu erzeugen, wie sie Italien sandte. Die deutschen Herren holten sich diese Schätze mitunter bei den Römerzügen; aber daneben entwickelte sich doch ein regelmäßiger Handel, in Deutschland besonders genährt seit dem zehnten Jahrhundert durch die Silbergewinnung im Harz. Die Silberminen von Goslar fing man 950 zu bearbeiten an. Über den Einfluß der Harzbergwerke auf den Handel des Mittelalters vergleiche Anderson, An historical and chronological deduction of the origine of commerce. 1. Band, S.93. London 1787.

An den Höfen der weltlichen Großen und an den Bischofsitzen, sowie an gewissen Knotenpunkten, zum Beispiel dort, wo die Straßen aus den Alpenpässen den Rhein oder die Donau erreichten, an geschützten Häfen im Innern des Landes, die den wenig tiefgehenden Seeschiffen doch noch erreichbar waren, wie Paris und London, bildeten sich bald Stapelplätze von Waren, die, so unbedeutend sie uns auch heute erscheinen mögen, doch die Gier der Umwohner und auswärtiger Räuber, Normannen, Ungarn usw. erregten. Es wurde notwendig, sie zu befestigen. Damit war der Anfang zur Entwicklung der Stadt aus einem Dorfe gegeben.

Aber auch nach der Ummauerung blieb die Landwirtschaft und die Produktion für den Selbstgebrauch überhaupt im Rahmen der Markgenossenschaft die vorwiegende Beschäftigung der Bewohner des befestigten Ortes. Der Handel war zu geringfügig, dessen Charakter zu beeinflussen. Die Stadtbürger blieben ebenso lokal borniert und exklusiv wie die Dorfbauern.

Neben den alten vollberechtigten Geschlechtern der Markgenossen erstand indes bald eine neue Macht, die der Handwerker, die sich in Genossenschaften nach dem Muster der Markgenossenschaft, in Zünften, organisierten.

Das Handwerk war ursprünglich nicht Warenproduktion. Der Handwerker stand entweder zur Markgenossenschaft oder als Höriger zu einem Feudalherrn in einem gewissen Dienstverhältnis. Er produzierte für die Bedürfnisse der Markgenossenschaft oder des Hofes, wozu er gehörte, nicht zum Verkauf. Solche Handwerker, namentlich hörige, fanden sich in den Städten, besonders wenn sie Sitze von Bischöfen oder Landesherren waren, natürlich sehr zahlreich. Andere Handwerker wurden angezogen, als der Handel sich entwickelte und einen Markt für Produkte der Industrie eröffnete. Der Handwerker war jetzt nicht mehr darauf angewiesen, in einem Dienstverhältnis zu arbeiten, er konnte ein freier Warenproduzent werden. Die hörigen Handwerker in der Stadt versuchten, ihre Verpflichtungen abzuschütteln; die hörigen Handwerker der Umgebung flüchteten sich in die Stadt, wenn sie konnten und Aussicht hatten, von ihr geschützt zu werden. Das Handwerkertum nahm an Zahl und Macht zu; aber es blieb zum großen Teile ausgeschlossen von der Markgenossenschaft und damit vom Stadtregiment; dieses blieb den Nachkommen der ursprünglichen Markgenossen vorbehalten, die aus bäuerlichen Kommunisten zu hochfahrenden Patriziern wurden. Ein Klassenkampf zwischen den Zünften und Geschlechtern entspann sich, der in der Regel mit dem völligen Siege der ersteren endete. Gleichzeitig damit ging ein Kampf um die Selbständigkeit der Stadt von grund- oder landesherrlicher Oberhoheit vor sich, der auch oft zu ihrer Unabhängigkeit führte.

In diesen Kämpfen gegen die grundbesitzende Aristokratie empfand das Handwerkertum eine gewisse Sympathie mit den Bauern, die nach einer Milderung ihrer feudalen Lasten strebten. Nicht selten gingen beide Klassen Hand in Hand. Ein demokratischer, republikanischer Zug entwickelte sich durch diese Kämpfe im Kleinbürgertum, aber die frühere Exklusivität der Markgenossenschaft wurde dadurch nicht völlig überwunden, sie wurde nur auf einem etwas erweiterten Terrain zur Geltung gebracht, dem der Zunft und der Gemeinde.

Allerdings sprengte die handwerksmäßige Warenproduktion die Abgeschlossenheit der städtischen Markgenossenschaft; die Handwerker arbeiteten nicht bloß für die Stadt, sondern auch für das umliegende Gebiet, oft in weitem Umfang; nicht so sehr für die Bauern, die fortfuhren, fast alles, was sie brauchten, selbst zu fabrizieren, als für deren Aussauger, die Feudalherren, die ihre hörigen Handwerker verloren hatten. Andererseits bezogen die Handwerker ihre Lebensmittel und Rohstoffe vom Lande. Die wirtschaftliche Wechselwirkung, aber auch der Gegensatz zwischen Stadt und Land begann. Neben die Markgenossenschaft trat als zweite wirtschaftliche Einheit immer mehr die Stadt mit einem größeren oder kleineren Landgebiet. Die Abschließung der einzelnen Städte voneinander blieb aber bestehen trotz ihrer dauernden oder zeitweisen Verbindung zu gemeinsamen Zwecken. Der staatliche Zusammenhang wurde dadurch nicht gefördert, er wurde eher zerrissen, da die reichen und trotzigen Städterepubliken eine Unabhängigkeit erlangten, wie sie den Markgenossenschaften ganz unmöglich gewesen war. Sie bildeten neben den großen Feudalherren einen neuen Grund der staatlichen Zerrissenheit.

Die Macht der Landesherren war durch die Hilfe der Städte gegen den Adel gehoben worden. Schließlich aber drohte ihr das Schicksal, gerade von ihren bisherigen Bundesgenossen völlig vernichtet zu werden. Diese Tendenz ist jedoch nur in geringem Maße zum wirklichen Ausdruck gekommen; denn innerhalb einzelner Städte entwickelte sich eine neue Macht, die dieselben zu Bollwerken eines strammen staatlichen Absolutismus machen sollte, die revolutionäre Macht des Kaufmannskapitals, die der Welthandel erstehen ließ.

3. Der Welthandel und der Absolutismus.

Wie wir bereits wissen, hatte der Handel zwischen Italien und dem germanischen Norden auch nach dem Sturze der Römerherrschaft nie ganz aufgehört. Er hatte die Städte begründet. Aber er war zu schwach, solange er vorwiegend Kleinhandel war, ihnen einen eigentümlichen Charakter zu verleihen. Anfangs war es immer noch die Landwirtschaft im Rahmen der Markgenossenschaft, später das zünftige Handwerk, das in ihnen überwog und ihren Charakter bestimmte.

In vielen Städten war letzteres noch bis in unser Jahrhundert der Fall, bei einigen ist es noch heute. Aber eine Reihe von Städten haben sich zu Großstädten entwickelt und sind damit die Bahnbrecher einer neuen sozialen Ordnung geworden. Es sind das Städte, die durch eine besondere Gunst historischer und geographischer Umstände zu Zentralpunkten des überseeischen Handels, des Welthandels wurden.

Der überseeische Handel mit dem Orient, besonders mit Konstantinopel und Ägypten, entwickelte sich im mittelalterlichen Europa zuerst in Unteritalien, in Amalfi, wo Griechen und Sarazenen mit den Eingeborenen in anfänglich feindliche, dann interessierte Berührung gerieten. Wie tief auch der Orient gesunken war, an Kunstfertigkeit, an technischem Wissen war er dem Abendland doch unendlich überlegen. Nicht nur die uralten Produktionszweige hatten sich dort erhalten, neue waren neben ihnen aufgekommen, so die Produktion und Verarbeitung der Seide im griechischen Reiche, überdies hatte die Völkerwanderung des Islam die hochstehenden Kulturländer des fernsten Ostens, Indien und China, in viel engere Verbindung mit Ägypten und den Küstenländern des Mittelmeers überhaupt gebracht, als zur Zeit der Römerherrschaft der Fall gewesen war.

Es waren demnach große, ja in den Augen der Barbaren Europas feenhafte, unermeßliche Schätze, welche die Kaufleute von Amalfi ihnen brachten. Die Gier, solche zu besitzen, zu erwerben, erfaßte bald alle herrschenden Klassen in Europa. Sie hat mächtig beigetragen zu jenen Plünderungs- und Eroberungszügen nach dem Morgenland, die unter dem Namen der Kreuzzüge bekannt sind; sie hat aber auch in allen geographisch günstig gelegenen Städten das Streben erweckt, teilzunehmen an dem so gewinnreichen Handel. Zunächst in Norditalien.

Mit der Zeit entstand das Bestreben, die Industrieprodukte, die man einführte, nachzuahmen, namentlich die Gewebe. Schon im zwölften Jahrhundert finden wir Seidenwebereien in Palermo, betrieben von griechischen Kriegsgefangenen. Im vierzehnten Jahrhundert wurden solche Webereien in den norditalienischen Städten errichtet.

Wo die Nachahmung des Produktes gelang, fanden es die Kaufleute bald profitabler, den Rohstoff einzuführen und daheim von gemieteten Arbeitern verarbeiten zu lassen – vorausgesetzt, daß sie freie Arbeiter fanden, Arbeiter, die weder Zunftzwang noch Frondienste an der Arbeit für sie hinderten und die keine Produktionsmittel besaßen, um ihre Freiheit für sich selbst auszunützen und für sich selbst zu arbeiten, sondern die gezwungen waren, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

So entstanden mehrfach die Anfänge von Manufakturen und damit die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise.

Zur Zeit Mores, im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts, sind diese Anfänge jedoch nur geringfügig. Die Industrie liegt noch vornehmlich in den Händen des zünftigen Handwerks. Das Kapital erscheint noch wesentlich in der Form des Kaufmannskapitals. Aber auch in dieser Form übte es bereits eine zersetzende Wirkung auf die feudale Produktionsweise aus. Je mehr der Warenaustausch sich entwickelte, eine desto größere Macht wurde das Geld. Geld war die Ware, die jeder nahm und jeder brauchte, für die man alles erhalten konnte: alles, was die feudale Produktionsweise bot, persönliche Dienste, Haus und Hof, Speise und Trank, aber auch eine Unzahl von Gegenständen, die daheim in der Familie nicht produziert werden konnten, Gegenstände, deren Besitz immer mehr zu einem Bedürfnis wurde und die nicht anders zu erlangen waren, als um Geld. Die Geld erwerbenden, Waren produzierenden oder mit Waren handelnden Klassen gelangten immer mehr zu Bedeutung. Und der Zunftmeister, der durch die gesetzlich beschränkte Anzahl seiner Gesellen nur zu mäßigem Wohlstand gelangen konnte, wurde bald überholt durch den Kaufmann, dessen Profitwut maßlos, dessen Kapital unbegrenzter Ausdehnung fähig und, was für ihn nicht das unangenehmste, dessen Handelsgewinne enorm waren.

Das Kaufmannskapital ist die revolutionäre ökonomische Macht des vierzehnten, fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Mit ihm gelangt neues Leben in die Gesellschaft und neue Anschauungsweisen erwachen.

Im Mittelalter finden wir bornierten Partikularismus, Kleinstädterei einerseits und andererseits einen Kosmopolitismus, der den Bereich der ganzen abendländischen Christenheit umfaßte. Das Gefühl der Nationalität war dagegen sehr schwach.

Der Kaufmann kann sich nicht auf einen kleinen Bezirk beschränken, wie der Bauer oder der Handwerker, die ganze Welt muß ihm womöglich offen stehen; immer weiter strebt er, immer weitere Märkte sucht er zu erschließen. Im Gegensatz zum Zunftbürger, der oft sein ganzes Leben lang nicht das Weichbild seiner Stadt überschritt, sehen wir den Kaufmann rastlos nach unbekannten Gegenden drängen. Er überschreitet die Grenzen Europas und inauguriert ein Zeitalter der Entdeckungen, das in der Auffindung des Seewegs nach Indien und der Entdeckung Amerikas gipfelt, das aber, strenge genommen, heute noch fortdauert. Auch heute noch ist der Kaufmann und nicht der wissenschaftliche Forscher die Triebkraft der meisten Entdeckungsreisen. Der Venetianer Marco Polo gelangte schon im dreizehnten Jahrhundert nach China. Zehn Jahre nach Marco Polo wurde bereits von kühnen Genuesen ein Versuch gemacht, den Seeweg nach Indien um Afrika herum zu machen, ein Unternehmen, das erst zwei Jahrhunderte später gelingen sollte. (Vergleiche Sophus Ruge, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen. Berlin 1881. S. 23.) Von größerer Bedeutung für die ökonomische Entwicklung war die Anbahnung des direkten Seeverkehrs von Italien nach England und Holland, die gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts den Genuesen und Venetianern gelang. Dadurch wurde der Kapitalismus in diesen Ländern des Nordwestens ungemein gefördert.

An Stelle der Fesselung an die Scholle setzte der Handel einen Kosmopolitismus, der sich überall wohlfühlte – wo es etwas zu verdienen gab. Gleichzeitig aber setzte er der Universalität der Kirche entgegen die Nationalität. Der Welthandel erweiterte den Gesichtskreis der abendländischen Völker weit über den Bereich der katholischen Kirche hinaus und verengte ihn gleichzeitig auf das Gebiet der eigenen Nation.

Das klingt paradox, ist aber leicht zu erklären. Die kleinen, selbstgenügsamen Gemeinwesen des Mittelalters standen nur wenig, wenn überhaupt, in einem wirtschaftlichen Gegensatz zueinander. Innerhalb dieser Gemeinwesen gab es wohl Gegensätze, aber die Außenwelt war ihnen ziemlich gleichgültig, solange sie von ihr in Ruhe gelassen wurden. Für den Großkaufmann ist es dagegen nicht gleichgültig, welche Rolle das Gemeinwesen, dem er angehört, im Ausland spielt. Der Handelsprofit entspringt daraus, daß man so billig als möglich kauft, so teuer als möglich verkauft. Der Profit hängt viel davon ab, in welchem Machtverhältnis Käufer und Verkäufer zueinander stehen. Am profitabelsten ist es natürlich, wenn man sich in der angenehmen Lage befindet, einem Warenbesitzer seine Waren ohne jegliche Entschädigung wegnehmen zu können. In der Tat ist der Handel in seinen Anfangen sehr oft gleichbedeutend mit Seeraub. Das zeigen uns nicht bloß die homerischen Gedichte. Wir werden noch im dritten Abschnitt sehen, daß auch im England des sechzehnten Jahrhunderts der Seeraub eine beliebte Form »ursprünglicher Akkumulation« des Kapitals war und deshalb Staatshilfe genoß.

Mit dem Handel entsteht aber auch die Konkurrenz innerhalb der Reihen der Käufer wie der Verkäufer. Auf dem auswärtigen Markte werden diese Gegensätze zu nationalen Gegensätzen. Der Interessengegensatz zum Beispiel zwischen dem genuesischen Käufer und dem griechischen Verkäufer in Konstantinopel wurde zu einem nationalen Gegensatz. Auf der anderen Seite wurde der Interessengegensatz zwischen genuesischen und venetianischen Kaufleuten auf demselben Markte ebenfalls zu einem nationalen Gegensatz. Je mächtiger Genua gegenüber Venedig sowohl als dem griechischen Reiche war, desto bessere Handelsprivilegien durfte es in Konstantinopel erwarten. Je größer, je mächtiger das Vaterland, die Nation, desto größer der Profit. Heute noch ist der Chauvinismus nirgends größer, als unter den Kaufleuten im Ausland, und heute noch gilt die »Ehre der Nation« engagiert, wenn es einem »nationalen« Kaufmann im Ausland erschwert wird, die Leute dort übers Ohr zu hauen.

Durch die Entwicklung des Welthandels entstand somit ein mächtiges ökonomisches Interesse, welches das bis dahin lockere Gefüge der Staaten festigte und konsolidierte, aber auch ihre Abschließung voneinander und damit die Spaltung der Christenheit in mehrere schroff voneinander gesonderte Nationen begünstigte.

Der Binnenhandel trug, nachdem der Welthandel erstanden war, nicht weniger zur Erstarkung der Nationalstaaten bei.

Der Handel strebt naturgemäß danach, sich in gewissen Stapelplätzen zu konzentrieren, Knotenpunkten, in denen die Straßen eines größeren Gebiets zusammenlaufen. Dort sammeln sich die Waren des Auslandes, um von diesem Zentralpunkt aus über das ganze Land durch ein weitverzweigtes Netz von Straßen und Wegen verbreitet zu werden. In demselben Knotenpunkt sammeln sich die Waren des Inlandes, um von da nach dem Ausland zu wandern. Das ganze Gebiet, das ein solcher Stapelplatz beherrscht, wird ein wirtschaftlicher Organismus, dessen Zusammenhang um so enger, dessen Abhängigkeit vom Zentralpunkt um so stärker wird, je mehr die Warenproduktion sich entwickelt und die Produktion für den Selbstgebrauch verdrängt.

Aus allen Gegenden des vom Zentralpunkt beherrschten Gebiets strömen die Menschen in jenem zusammen; die einen, um dort zu bleiben, die anderen, um nach verrichteten Geschäften wieder heimzukehren. Der Zentralpunkt wächst, er wird zu einer Großstadt, in der sich nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das davon abhängige geistige Leben des von ihm beherrschten Landes konzentriert. Die Sprache der Stadt wird die Sprache der Kaufleute und der Gebildeten. Sie fängt an, das Lateinische zu verdrängen und Schriftsprache zu werden. Sie fängt aber auch an, die bäuerlichen Dialekte zu verdrängen: eine Nationalsprache bildet sich.

Die Staatsverwaltung paßt sich der ökonomischen Organisation an. Auch sie wird zentralisiert, die politische Zentralgewalt nimmt ihren Sitz in dem Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens, und dieser wird zur Hauptstadt des Landes, das er jetzt nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch beherrscht.

So bildete die ökonomische Entwicklung den modernen Staat, den Nationalstaat mit einer einheitlichen Sprache, einer zentralisierten Verwaltung, einer Hauptstadt.

Dieser Entwicklungsgang ist vielfach heute noch nicht abgeschlossen; er wurde mehrfach durchkreuzt, aber seine Richtung ist bereits am Ende des fünfzehnten und Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in den Staaten Westeuropas deutlich zu erkennen, und vielleicht gerade deswegen um so deutlicher, weil der Feudalismus damals noch das ökonomische Leben und, kraft der Tradition, in noch größerem Maße die Formen des geistigen Lebens stark beeinflußte. Was sich einige Menschenalter später von selbst verstand, hatte damals noch sein »Recht auf Existenz« zu erweisen und ebenso die Hinfälligkeit des Alten, das es vorfand. Die neue ökonomische, politische und geistige Richtung mußte sich Bahn brechen durch das Bestehende, sie hatte polemisch aufzutreten und deutete daher vielfach ihr Ziel schärfer an als im folgenden Jahrhundert.

Es ist einleuchtend, daß der eben geschilderte Entwicklungsprozeß dem Königtum, oder besser gesagt, der Gewalt des Landesherrn überhaupt förderlich sein mußte überall dort, wo diese noch einen Rest von Kraft bewahrt hatte. Es war natürlich, daß die neue politische Zentralgewalt sich um die Person des Landesherrn kristallisierte, daß er die Spitze der zentralisierten Verwaltung und Armee bildete. Seine Interessen und die Interessen des Handels waren die gleichen. Dieser brauchte einen zuverlässigen Feldherrn und eine starke Armee, die entsprechend dem Charakter der ökonomischen Macht, deren Interessen sie diente, für Geld gemietet war – ein Söldnerheer gegenüber den Gefolgschaften und Aufgeboten des feudalen Grundbesitzes. Der Handel bedurfte der Armee zur Wahrung seiner Interessen nach außen wie nach innen: zur Niederwerfung von konkurrierenden Nationen, zur Eroberung von Märkten, zur Sprengung der Schranken, welche die kleinen Gemeinwesen innerhalb des Staates dem freien Handel entgegensetzten, zur Handhabung der Straßenpolizei gegenüber den großen und kleinen Feudalherren, die dem Eigentumsrecht, das der Handel proklamierte, eine kecke Leugnung, und nicht bloß eine theoretische, entgegensetzten.

Mit dem internationalen Verkehr wuchsen auch die Anlässe zu Reibungen zwischen den verschiedenen Nationen. Die Handelskriege wurden immer häufiger und heftiger. Jeder Krieg aber vermehrte die Gewalt des Landesfürsten und machte sie immer absoluter.

Wo es an einem legitimen, das heißt herkömmlichen Fürstentum fehlte, dem diese Entwicklung hätte zugute kommen können, führte sie oft zum Absolutismus der Führer der Söldnerscharen, deren die Staaten bedurften. So in verschiedenen Republiken Norditaliens.

Aber das neue Staatswesen bedurfte des Fürsten nicht nur als obersten Kriegsherrn. Es bedurfte seiner auch als des Herrn der Staatsverwaltung. Der feudale, partikularistische Verwaltungsapparat war im Zusammenbrechen, aber der neue, zentralistische Verwaltungsmechanismus, die Bureaukratie, war erst in den Anfängen. Der politische Zentralismus, der für die Warenproduktion mit entwickeltem Handel an der Schwelle der kapitalistischen Produktionsweise eine ökonomische Notwendigkeit war, um die ökonomische Zentralisation zu fördern, wie er umgekehrt durch diese bedingt und gefördert wurde, dieser Zentralismus bedurfte in seinen Anfängen einer persönlichen Spitze, die kräftig genug war, um die Einheit der Verwaltung gegenüber den auseinanderstrebenden Elementen, namentlich des Adels, aufrecht zu halten. Diese Kraft besaß nur der Herr der Armee. Die Vereinigung aller Machtmittel des militärischen und administrativen Apparats in einer Hand, mit anderen Worten, der fürstliche Absolutismus war eine ökonomische Notwendigkeit für das Zeitalter der Reformation und noch weit darüber hinaus. Es kann dies hier nicht stark genug hervorgehoben werden, da manche von Mores Handlungen und Schriften uns völlig unverständlich, ja vom modernen Standpunkt aus widersinnig erscheinen müssen, wenn wir diesen Punkt außer acht lassen.

Es erschien damals, und in den meisten Fällen war es auch, hoffnungslos, ohne oder gar gegen den Fürsten etwas im Staate unternehmen zu wollen. Was immer im Staate geschehen sollte, mußte die Sanktion des Landesherrn erhalten haben.

Je stärker der fürstliche Absolutismus im Staate wurde, desto mehr wurde er den Interessen des Kapitals dienstbar, damals vor allem dem Handel und der hohen Finanz. Nicht nur wurden die Interessen von Kapital und Fürstentum bis zu einem gewissen Grade immer mehr identisch, dieses wurde auch immer abhängiger von jenem. Die Macht der Fürsten hörte in demselben Maße immer mehr auf, auf ihrem Grundbesitz zu beruhen, in dem der Welthandel wuchs. Immer mehr wurde das Geld die Grundlage ihrer Macht. Ihre Größe beruhte wesentlich auf ihrer Armee und ihrer Hofhaltung. Beide kosteten Geld, viel Geld. An Stelle der feudalen Kriegführung trat eine neue, dieser überlegene, welche die reichen Städte entwickelt hatten. Diese setzten dem zuchtlosen Ritterheer nicht nur eine strammdisziplinierte Infanterie entgegen, sie nahmen auch die Errungenschaften der neuen Technik in ihren Dienst und wurden dem Rittertum furchtbar durch ihre Artillerie.

Damit wurde der Krieg eine Sache des Geldes. Nur derjenige konnte sich den Luxus eines Krieges erlauben, der Geld genug besaß, um Fußknechte und Schützen anzuwerben und große Waffenvorräte zu halten.

Dazu kam die Kostspieligkeit der Hofhaltungen. Die Interessen des Handels wie des Fürstentums erforderten es, daß der Trotz des Feudaladels gebrochen werde, sie forderten jedoch nicht seine Vernichtung, sondern nur seine Anpassung an die neuen Verhältnisse. Der Adel sollte nicht länger auf seinen Burgen hausen, ein zahlreiches Gefolge ernährend, unnütz, ja gefährlich für Königtum und Handel.

Der Adel sollte an den Hof des Fürsten, unter dessen Aufsicht, in seinen Dienst; statt seine Einnahmen zur Haltung von eigenen Armeen zu verwenden, sollte er sie am Hofe im Luxus verprassen, er sollte sie zum Ankauf gerade derjenigen Waren verwenden, auf deren Verkauf der Welthandel, die Profite des Kaufmanns beruhten. Eine englische Parlamentsakte von 1512, die die Formalitäten der Verzollung von Gold- und Silberstoff, Goldbrokat, Samt, Damast, Atlas, Taft und anderen aus Seide und Gold gewirkten Stoffen regelte, erwähnt unter anderem, daß oft in einem Schiffe 3000 bis 4000 Stück solcher Gewebe nach England kamen. (G.L. Craik, The history of british commerce. 1. Band, S. 217.)

Der höfische Luxus des Adels förderte ja Handel und Königtum in gleicher Weise: er vermehrte die Profite und schwächte den Adel finanziell, machte ihn von Geldbewilligungen des Königs und dem Kredit der Kaufleute abhängig und beiden dienstbar.

Mit allen möglichen Mitteln förderten damals Kaufmannschaft und Königtum die Verbreitung des Luxus, vor allem durch ihr eigenes Beispiel. Mit allen möglichen Mitteln wurde der Adel aus seinen Burgen an den Hof gezogen; wenn's sein mußte, mit Gewalt; womöglich durch Ehrenbezeugungen und die Anlockungen, die eine raffinierte Üppigkeit gegenüber einfacher Roheit bot.

Aber wenn auf der einen Seite das Königtum den Adel zur Entfaltung von Luxus durch sein eigenes Beispiel anspornte, so andererseits wieder der Adel das Königtum.

Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts konnte man nicht so wie heute sein Vermögen in Staatspapieren oder Aktien anlegen. Die müßigen Reichen, die nicht als Kaufleute, Pächter oder Manufakturisten tätig sein wollten, vor allem also der hohe Adel, legten daher ihre akkumulierten Reichtümer gern in edlen Metallen und Edelsteinen an, Gegenständen, die stets ihren Wert behielten und überall einen Käufer fanden. Sollten sie aber diese Schätze in ihren Truhen verschließen? Gold und Edelsteine waren damals eine Macht, wie sie früher ein zahlreiches Gefolge gewesen. Diese Macht wollte man nicht nur besitzen, man wollte sie auch zur Schau stellen: das beste Mittel, um Einfluß zu gewinnen, die einen zur Ehrerbietung und Unterwürfigkeit, die anderen zu Entgegenkommen und Rücksichtnahme zu bewegen. So wie im Mittelalter die Grundherren ihre Einkommen zur Haltung zahlreicher Gefolgschaften verwendeten, so jetzt zur Erwerbung von Kostbarkeiten, und so wie sie ehedem bei festlichen Gelegenheiten mit ihrem ganzen Gefolge erschienen, um zu imponieren, so jetzt mit allen ihren Kostbarkeiten beladen.

Daß gar mancher durch das Bestreben, zu glänzen, bewogen wurde, einen Reichtum zur Schau zu tragen, der bloß erborgt war, ist naheliegend.

Der König durfte hinter seinen Höflingen nicht zurückbleiben; er mußte die Überlegenheit seiner Macht auch durch die Überlegenheit seines Glanzes dartun. Adel und Königtum trieben sich so gegenseitig zu immer größerem Prunk.

Eine prächtige Hofhaltung gehörte daher seit dem fünfzehnten Jahrhundert immer mehr zu den Regierungserfordernissen, ohne die ein Fürst nicht auszukommen vermeinte. Ein wahnsinniger Luxus entfaltete sich, der unendliche Summen verschlang.

Allen diesen Ausgaben waren die Einnahmen aus dem feudalen Grundbesitz der Könige lange nicht gewachsen. Sie begannen Geldabgaben zu erheben; aber den größten Teil des Ertrags derselben hatten sie aus den reichen Städten zu erwarten, die damals nicht mit sich spassen ließen. Die Könige begannen daher, sich ihrer Zustimmung zu den Abgaben zu versichern, die sie ihnen auflegen wollten; die Städte wurden aufgefordert, als dritter Stand Abgeordnete zu senden, um neben den beiden anderen Ständen, dem Adel und der Geistlichkeit, mit dem König den Betrag der auszuschreibenden Steuern zu vereinbaren. Wo die Städte genügende Macht hatten, verstanden sie sich zu solchen Steuern nur unter gewissen Bedingungen; in England entwickelte sich daraus unter besonders günstigen Umständen – namentlich infolge der Vereinigung der kleineren Grundbesitzer mit dem Bürgertum – die gesetzgebende Gewalt des Parlaments.

Aber die Geldbewilligungen waren nur selten genügend, die Lücken zu füllen, die ewige Kriege und maßlose höfische Verschwendung in den Schatzkammern der Landesfürsten rissen. Die meisten derselben waren in ewiger Verlegenheit, trotzdem die Steuern das Volk auf das ärgste bedrückten: aus dieser unangenehmen Klemme halfen ihnen bereitwilligst die reichen Handelsherren und Bankiers, natürlich nicht umsonst, sondern meist gegen Verpfändung eines Teiles des Staatseinkommens. Die Staatsschulden begannen, die Staaten und ihre Häupter wurden Schuldknechte des Kapitals, sie hatten seinen Interessen zu dienen.

»Es ist der größte Irrtum, wenn man glaubt, das Verfahren, Staatsbedürfnisse durch Anleihen zu decken, sei erst durch Wilhelm III. in England eingeführt worden. Von undenklich langer Zeit her hatte jede englische Regierung die Gewohnheit gehabt, Schulden zu kontrahieren. Nur die Gewohnheit, sie ehrlich zu bezahlen, wurde durch die bürgerliche Revolution eingeführt.« (Macauley, Geschichte von England. Deutsch von Lemcke. 1. Band, S. 211.)

Dem Volke gegenüber wuchs die Macht des Absolutismus. Sie wuchs gegenüber Bauern und Handwerkern, gegenüber Adel und Klerus. Aber durch den Absolutismus kamen diesen gegenüber zur Geltung die Anschauungen und Interessen der Handelsherren, der Bankiers und der Landspekulanten.

Die Auffassung, daß ein monarchisches Staatsoberhaupt notwendig und unentbehrlich sei, und daß es bloß darauf ankomme, es den Interessen des Bürgertums dienstbar zu machen, diese Auffassung ist heute noch die der Masse der Bourgeoisie. Der Kampf des achtzehnten Jahrhunderts, der zur großen Revolution führte, drehte sich wesentlich darum, ob das Königtum Werkzeug des Adels und der Geistlichkeit oder des dritten Standes sein solle. Wohl kannten die Ideologen des Bürgertums bäuerliche und aristokratische Republiken, aber kaum einem kam der Gedanke einer bürgerlichen Republik. Die Philosophen der »Aufklärung« scharten sich vielmehr um den »aufgeklärten«, das heißt in ihrem Sinne wirkenden Despotismus. Erst die Macht der Tatsachen zwang den Franzosen die bürgerliche Republik auf; diese, das Königtum ohne König, wurde mit den bürgerlichen Verhältnissen erst dann verträglich, als der Mechanismus der zentralisierten Armee und Bureaukratie vollständig eingerichtet und im Gange war.


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