Josef Kastein
Sabbatai Zewi
Josef Kastein

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Dreizehntes Kapitel

Todeszuckungen

Die Nachricht, daß der Messias sein Amt, sein Volk und seinen Glauben verraten habe, kriecht über die langsamen Wege mit einer breiten dunklen Spur. Die dem Ort dieser Tragödie am nächsten sitzen, wissen um zuverlässige Einzelheiten. Sie erfahren noch mehr: in dem Sultan hat sich doch der Rest von Angst oder die Nachwirkung der erduldeten Unruhe Luft gemacht und sich zu einem bösen Plan verdichtet. Er will sich davor schützen, daß in seinem Lande je wieder eine solche Bewegung entsteht. Er will alle erwachsenen Juden aus seinem Reiche ausweisen, alle Kinder zwangsweise zum Islam bekehren und als abschreckendes Beispiel fünfzig der angesehensten Rabbiner hinrichten lassen. Aber dieses Unheil wird vermieden, weil seine Minister und seine kluge Mutter dringend abraten. Entscheidend ist Guidons kalt-zynische Begründung: warum Gewalt anwenden und Kräfte wachmachen, die gefährlich sind, weil man sie nicht abschätzen kann? Dieses Volk ist von einer lächerlichen Glaubensseligkeit. Es ist zu wetten, daß sie den Übertritt nicht als Abfall ansehen werden, sondern als ein Beispiel, das ihr Führer ihnen gibt, und dem sie nachahmen müssen. So werden sie sich selber ausrotten. – Es hat den Anschein, als solle der Renegat recht behalten. Aus dem engeren Kreise um Sabbatai treten viele spontan zum Islam über. Sie leisten ohne Frage und Zweifel die unbedingte Gefolgschaft. Es ist nicht ihre Sache, nach dem Sinn zu fragen. Den Sinn weiß ihr Messias, und er wird ihn eines Tages enthüllen.

Aber je weiter sich die Nachricht vom Orte ihrer Entstehung entfernt, desto ablehnender und ungläubiger 332 wird sie empfangen. Das sind doch alles nur Gerüchte, die von den Gegnern verbreitet werden, um die Bewegung zu spalten. Sie lächeln überlegen und glauben nicht. Aber wie sie mit den vermehrten, deutlicheren Nachrichten an der Tatsache nicht mehr zweifeln können, bauen sie aus der Tiefe ihres Herzens sogleich an dem Sinn dieses Geschehens und erzeugen die reinste Blüte williger Herzen: die Legende. In Livorno weiß man zu melden, daß der Turban, den Sabbatai Zewi sich auf das Haupt gesetzt habe, um eine Fürstenkrone geschlungen gewesen sei. Was also war geschehen? Ihr Messias war gekrönt worden! Darum auch habe der Sultan dem Messias sogleich an die Spitze eines großen Heeres gestellt. Mit diesem Heere werde Sabbatai nach Polen ziehen und den Märtyrertod der Hunderttausende rächen.

Es gibt Menschen, die das nicht glauben, weil sie etwas anderes wissen: nicht Sabbatai Zewi ist zum Islam übergetreten, sondern ein Schattenbild von ihm. Das geht jetzt als Türhüter Mehmed Effendi durch die Räume des Serail. Sabbatai selbst ist gleich dem Propheten Elijahu zum Himmel gefahren und wird zurückkommen, wenn Gott ihn zu neuen Wundern entläßt.

Eine solche beglückende Selbsttäuschung kann nicht dauern. Es ist eine bittere, unwiderlegbare Tatsache, daß Sabbatai in aller Leiblichkeit und ohne versteckte Fürstenkrone durch den Serail geht, ein monatliches Gehalt von fünfzig Goldtalern bezieht und seiner Tage, seines geretteten Lebens recht froh zu sein scheint. Und nun zeigt sich deutlich, daß seine Anhänger doch viel größer sind als er selbst. Für sie hat die Lebendigkeit und Heiligkeit der Idee keine Unterbrechung erlitten. Folglich muß erforscht werden, 333 wie dieser ungeheure Vorgang sich ohne Zwang und Gewalt in die Idee, in den Glauben und in den weiteren Ablauf der Dinge einfügen lasse. Das weiß doch das Volk schon aus dem Buch Esther her, daß das Verweilen in einem anderen Glauben Voraussetzung eines Rettungswerkes sein kann. Esther gab sich einem heidnischen König hin und lebte in seinen Sitten. In der Kabbala findet sich eine Sage, Moses habe, ehe er sein Volk befreite, unter den Äthiopiern und in deren Glauben gelebt. Also muß auch der Messias, ehe er sein Erlösungswerk vollbringen kann, eine Zeit unter den Heiden verbringen. Es deuten ja auch die Propheten darauf hin, die Welt werde den Messias zu den Verbrechern zählen. Auch Sacharia sagt vom Messias, daß er arm sei und auf einem Esel reite. Diese Armut, die Nehemia ha'Kohen so schmerzlich vermißt hat, kann – so deuten die Gläubigen – nur in einer, wenn auch zeitigen Armut des Geistes verstanden werden, und deren letzter Abgrund ist der Abfall vom Glauben. Es spielt auch das Buch Sohar darauf an, der Messias werde verkannt werden. In seiner Erscheinung sei er böse, aber in seinem Herzen sei er gut.

Immer tiefer, immer geistiger werden Begründung und Rechtfertigung. Sie nehmen Formen an, wie sie wohl ein Messias, nie aber dieser Messias verdient. Aus dem Quell ihres tausendjährigen Leidens begreifen sie, daß alles Leid nur vollendet werden kann durch seine Übersteigerung. Will der Messias das Leid der Welt auf seine Schultern nehmen, so muß er sich selbst tief darunter beugen, bis in die Abgründe, bis in den Sumpf hinein, bis in den Morast der Ungläubigkeit. Es sind alles Vorstufen der Erlösung. Abraham Michael Cardoso, Arzt, Marrane, der zum 334 Judentum zurückkehrt, Abenteurer seines eigenen Lebens, Gestalter seiner eigenen Ekstase, der die flackernden Worte und Sinngebungen des Messias zu einem geschlossenen Lehrgebäude zusammendenkt und die Grundfesten der Kabbala erschüttert, dieser unerbittliche Denker findet auch die schlüssige, von allen Gläubigen angenommene Begründung für den Übertritt Sabbatais: es ist das Los jedes Erlösers, verkannt und verstoßen zu sein. »Wie denn uns allen im Galuth eben das gleiche Los beschieden ist, denn es steht geschrieben: Er läßt dich und deinen König, den du über dich stelltest, gehen zu einem Stamme, von dem du nicht wußtest, du und deine Väter, da dienest du anderen Göttern, Holz und Stein.« (›Reden‹, 28, 36.)

So ist der Gläubigkeit der Massen vor ihrem Sterben noch eine Galgenfrist des Trostes gegeben. Fast ein Jahr lang bleibt alles, wenn auch bewegt, so doch unverrückt. Noch wird der nächste 9. Ab, der große Trauertag des jüdischen Volkes, beinahe überall als Freudentag gefeiert. In Adrianopel müssen die Rabbiner zu einer List greifen, um zu verhindern, daß der 17. Tammus seiner Bedeutung als Fasttag entkleidet bleibe. Sie fälschen ein Sendschreiben, in dem Sabbatai ein Bekenntnis der Reue ablegt und versichert, Nathan Ghazati und Abraham Jachini hätten ihn verführt. Aber es ist doch in allem Tun und Bekennen eine übermäßige Anspannung der Seelen fühlbar, die jeden Moment zerbrechen und die Scharen der Gläubigen vor das Nichts, vor die vernichtende Leere stellen kann. Das Schwere dieses Augenblicks begreifen teilnehmend auch die, die Gegner Sabbatais von allem Anfang an geblieben sind. Überall bemühen sich die Gemeinden, einen leichten und milden 335 Übergang zur Ruhe und zu den früheren Verhältnissen wieder herzustellen. In Konstantinopel, nahe dem Gefahrenherde, erlassen die Rabbiner ein Dekret und bedrohen mit den schärfsten Strafen, ja mit dem großen Bann denjenigen, der einen ehemaligen Sabbatianer mit Worten oder Taten verletzt oder bedroht. So bezeugen sie auch noch einem Glauben, den sie für einen Irrtum halten, Achtung und Teilnahme.

Viele wollen von solcher Teilnahme und Milde nichts wissen. Sie brauchen kein Mitleid, weil ihnen doch kein Unglück zugestoßen ist. Sie beten nach wie vor in den Synagogen mit letzter Hartnäckigkeit: »Er ist der Messias, und es ist kein anderer zu erwarten.« Das Rabbinat Konstantinopel, das sich seine Autorität von einst wieder genommen hat, muß unter dem 5. Schewat ein ernsthaftes Schreiben nach Ismir richten und zur Ordnung mahnen. ». . . denn es sind unter Euch Leute, die sich in ihrem Irrtum noch bestärken und sagen: dieser unser König lebt noch. Sie segnen ihn alle Sabbathtage in ihren Synagogen und bedienen sich der Psalmen und Gesänge, die er angeordnet hat . . . Nun wißt Ihr wohl, in was für Gefahr unsere Seelen wegen seiner geraten sind. Wenn nicht die unendliche Barmherzigkeit Gottes und das Verdienst unserer Väter uns beigestanden hätte, so wäre der Fuß Israels von unseren Feinden abgehauen worden . . . Kehret darum wieder zurück, denn der Weg, darauf Ihr wandelt, ist nicht der rechte Weg. Gebt die Krone wieder dem alten Gebrauch, der alten Übung Eurer Väter und dem Gesetz, und wendet Euch nicht weiter davon ab . . .«

Nur langsam und widerwillig kommen die Menschen solcher Mahnung nach. Sie sind eher bereit, auf ihre äußere Haltung zu verzichten als auf ihre innere. 336

Denn es hat sich mindestens für den äußeren Schein, für die nichtgläubige Umwelt herausgestellt, daß Sabbatai Zewi nicht der Messias ist und daß folglich das, was er tun wollte, sich dem Sultan gegenüber als ein Verbrechen darstellt, für das auch sie zur Verantwortung gezogen werden können. So kriecht die Angst wieder in ihr Leben hinein.

Indessen sitzt Sabbatai Zewi im Serail und schweigt. Mit Juden kommt er nicht zusammen. Er ist zwar nicht von der Außenwelt abgeschnitten, aber er wird beobachtet. Man freut sich dieses neuen Mohammedaners, aber man traut ihm nicht sehr. Der Sultan hat den Mufti Wanni damit beauftragt, über Mehmed Effendi zu wachen und ihn in dem neuen Glauben zu unterrichten. So geht Sabbatai zum andern Male in die Schule, und Lehrer und Schüler lernen von einander. Aber dieses neue Studium macht ihn nicht taub für die Nachrichten, die von außen kommen. Draußen hat man zwar seinen Abfall zur Kenntnis genommen, triumphierend oder gläubig, aber keiner glaubt, daß es dabei sein Bewenden haben würde. Sie warten noch auf eine Tat von ihm; die Anhänger aus der Hoffnung auf Wunder, die Gegner, weil sie von seinem unruhigen Geist nichts anderes erwarten. . . .

Da aber nichts erfolgt, da sie nur erfahren, Sabbatai sitzt als Schüler vor Mufti Wanni und lernt Koran, geht die Opposition zum Angriff über. Insbesondere Jakob Sasportas rührt sich. Er hat aus seinen vielfachen Korrespondenzen Beziehung zu aller Welt. Von überall her sammelt er Berichte und Tatsachen, und es ist zu verstehen, daß er den ungünstigen den Vorzug gibt. Jedes Detail, das er erwischen kann, schickt er in Sendschreiben über die ganze Welt. 337 Überall unterhöhlt er die Gläubigkeit und das Vertrauen. An vielen Orten braucht er dafür keine große geistige Begründung aufzubringen, denn er hat für seine Beweisführung einen starken, traurigen Verbündeten: die Not. Da sitzen überall, in der ganzen Welt, Menschen, die ihren Alltag beiseite geworfen haben, weil man ihnen gesagt hatte, daß er wertlos geworden sei. Geld und Gut haben sie dieser Überzeugung geopfert. Die einen haben ihre Geschäfte aufgelöst, ihren Handel aufgegeben, andere haben ihre Häuser verkauft, mit den Armen geteilt, ihr Geld nach Abydos geschickt. Menschen sind auf der Wanderung und stehen ohne Rat und Trost vor dem Richtungslosen. Man hat sie alle fallen und in einen Tag zurücksinken lassen, den sie längst für tot erklärt haben. Nun haust neben der Not und der Trauer die Verbitterung enttäuschter Herzen.

Aber daneben sind Menschen, die sich der Idee mit letzter Ausschließlichkeit verschrieben haben. Für sie haben die Dinge, die nach außen hin geschehen, kein reales Gewicht. Das wichtige Geschehen vollzieht sich auf einer anderen, höheren Ebene. So ziehen unentwegt und ungestört die Sendboten Sabbatais durch die Lande, werben für einen Messias, der vom Schauplatz abgetreten ist, für eine Erfüllung, die vom lebendigen Geschehen nicht mehr genährt wird. Überall begegnen sie wachsenden Feindschaften. Aber das erschüttert sie nicht. Einer von ihnen, Sabbatai Raphael, scheint allerdings im Laufe dieser unseligen und ergebnislosen Wanderschaft entartet zu sein. Er fand keinen Abschluß und keinen Rückweg. Er mußte notwendig zum Betrüger und Scharlatan werden, denn dem Sendboten ohne Sendung bleibt als Handwerk nur Erfindung und die Lüge. 338

Bis nach Hamburg entfaltet er seine Tätigkeit, von der man nichts mehr wissen will. Da vermerkt das Protokollbuch der portugiesischen Gemeinde: »In Anbetracht des Nachteils, der unserer Ruhe, unserem Judentum und unserer Verwaltung aus dem hiesigen Aufenthalt des Bösewichts und Betrügers Raphael Sabatay erwachsen kann, welcher von Amsterdam hierher gekommen ist, von wo er, da er sich den Titel eines Propheten angemaßt hatte, mit Hilfe der Gerichtsbehörden fortgeschafft worden war, wurde beraten . . . wie man am besten dem Verkehr des p. Sabatay mit den Unsrigen vorbeugen könnte . . . es schien nicht angebracht, den Bann über ihn auszusprechen, da der genannte von den Tedescos (d. h. deutschen Juden) in Schutz genommen werde, mit denen man zunächst Rücksprache nehmen müsse . . . Gott halte das Böse von seinem Volke fern . . .«

Nathan Ghazati hingegen spielt seinen Part in der großen Tragödie mit einem Heroismus zu Ende, der in der weltfremden Hartnäckigkeit des Verwirrten mündet. Während in Ismir das Volk in überschäumender Begeisterung das Königtum Sabbatais ausrief, während sich in Abydos die kurze Blütezeit der messianischen Residenz allzu üppig entfaltete, saß er abseits in Gaza, umgeben von Schülern, aus denen er einen Nachwuchs von Propheten züchten wollte. Er brauchte nicht die bestrickende Nähe des Messias und nicht den Zauberkreis seiner Wirkungen, um aus seiner übererregten Gläubigkeit immer neue Manifestationen und Bekundungen zu entlassen. Besser behagte ihm die Abseitigkeit, die unkontrollierte Heimlichkeit, in der sich seine Gesichte und Offenbarungen vollzogen.

So fern vom Geschehen, trifft ihn die Nachricht vom 339 Abfall Sabbatais völlig unvorbereitet. Er ist maßlos bestürzt. Aber das dauert nur eine Sekunde, dann steht seine Überzeugung mit vermehrter Kraft wieder aufrecht. Er glaubt nicht an das Ende, sondern nur an einen Gefahrenpunkt der Bewegung. In diesem kritischen Moment braucht die Bewegung ihn. Er bricht sogleich zur Reise nach Adrianopel auf. Ein pompöser Zug begleitet ihn. Sein reicher Schwiegervater, der selbst die Reise mitmacht, leistet ihm eine Gefolgschaft von Juden und Türken, insgesamt etwa 40 Mann. Der Prophet sitzt zu Pferde und hat einen Säbel an der Seite hängen.

Von unterwegs erläßt er zwei Schreiben, eines an Sabbatai Zewi, ein anderes an die Gemeinde von Aleppo, die den ersten Triumph des Messias feierte. Es sind Dokumente voll Gläubigkeit, voll hartnäckigem, trotzigem Glauben, voll von einer bewußt übersteigerten Demut, eine leidenschaftliche Kampfansage an alle Gegner und Zweifler. An Sabbatai schreibt er nach Adrianopel:

»Dem Könige, unserem Könige und Herrn aller Herren, der die Verstreuten von Israel wieder sammelt, der uns aus unserer Gefangenschaft erlöst, dem über alles erhöhten Menschen, dem Messias des Gottes Jaakobs, dem wahrhaftigen Messias, dem himmlischen Löwen Sabbatai Zewi, dessen Name verherrlicht, dessen Herrschaft in kurzer Zeit auf immer erhöht werden möge, Amen.

Ich küsse dem König aller Könige pflichtschuldigst die Hände und wische den Staub von seinen Füßen. Dieser Brief soll Euch kund geben, daß mein Gesicht durch das Wort des Königs der Gesetze erleuchtet wurde . . . Die unangenehmen Nachrichten, die mir bisher zu Ohren gekommen sind, machen mich nicht 340 mutlos. Ich habe ein Löwenherz. Ich habe nicht nach der Ursache dessen zu fragen, was Ihr tut. Alles, was ich sehe, ist wunderbar. Meine Treue steht unbeweglich fest. Ich bin bereit, meine Seele Eurem heiligen Namen zu opfern. Jetzt bin ich in Damaskus und werde von da auf Euren Befehl nach Scanderona gehen, wo ich das Gesicht Gottes in seinem vollen Glanze zu sehen hoffe. Ich werde als Diener Eurer Diener den Staub von Euren Füßen wischen, und bitte nur, mich mit Eurer starken Hand und überlegenen Kraft zu unterstützen und mir den Weg, den ich vor mir habe, zu verkürzen. Meine Augen sind auf Gott gerichtet, der uns schließlich helfen und erretten wird, daß uns die Kinder der Bosheit nicht schaden können . . . Dieses sind die Worte Deines Dieners, der sich unter Deine Füße wirft,

Nathan Benjamin.«

Dann beschwört er die treue Gemeinde Aleppo:

»Den noch übrigen Israeliten sei ewiger Friede. Ich melde euch hierdurch, daß ich in Frieden zu Damaskus angekommen bin und will jetzt vor das Angesicht unseres Herrn treten. Er ist der König aller Könige, sein Reich möge ausgebreitet werden. Ich habe, wie er mir und den zwölf Stämmen befohlen, ihm zwölf Männer ausgesucht. Ich werde von hier auf seinen Befehl nach Scanderona gehen und mich nebst einigen vertrauten Freunden, die sich mit seiner Einwilligung hier versammeln, ihm darstellen. Einstweilen ermahne ich Euch, ob Ihr gleich erstaunliche Dinge von unserem Herren hören werdet, Euren Mut nicht sinken zu lassen. Fürchtet Euch nicht, seine Handlungen sind wunderbar und so geheimnisvoll, daß kein menschlicher Verstand sie zu begreifen hinreicht. Wer kann ihre Tiefe ergründen? 341 In kurzer Zeit werdet Ihr alles ganz klar einsehen. Er selbst wird es Euch entdecken und lehren und anweisen. Selig ist der Mensch, der das Heil des wahrhaftigen Messias in Geduld erwarten kann. In Kürze wird der Messias seine Gewalt und Herrschaft über uns für jetzt und für alle Ewigkeit offenbaren.

Nathan Benjamin.«

Die Nachricht, daß der Prophet unterwegs sei und seinem Messias zur Hilfe kommen will, reißt doch mit einem Schwung wieder eine Flamme der Hoffnung empor. Ismir zittert vor Erwartung. Sie drängen sich in die Synagoge und halten einen Dankgottesdienst ab. Aber schon setzt eine gefährliche Gegenwirkung ein. Konstantinopel entfaltet eine fieberhafte Tätigkeit, um dem Propheten jede Wirkung unmöglich zu machen. Nicht daß er predigt und wirbt, ist ihre Angst, sondern daß aus der Flugkraft des erneut belebten Glaubens sich wieder Wunder ereignen möchten. Sie haben selbst die Wunder hingenommen, als sie es noch durften und als keine Hand sich zu erheben wagte, dem König von Abydos die Wunder zu untersagen. Aber heute sind alle Wunder, die den muselmanischen Türhüter Mehmed Effendi anrufen, verbotene Dinge, ganz einfach Delikte, kriminelle Akte. Jetzt wollen sie endlich Ruhe haben. Sie schreiben nach Ismir ». . . Jetzt erfahren wir, daß dieser Mensch vor wenigen Tagen von Gaza abgereist und den Weg nach Scanderona genommen hat, von wo er zu Wasser nach Ismir gehen will und sofort nach Konstantinopel oder Adrianopel. Nun befremdet uns nicht wenig, daß ein Mensch sich selbst in das Feuer und die Flamme des Verderbens stürzen will. Und doch müssen wir befürchten, daß es geschieht . . . Darum 342 befehlen die Unterzeichner dieses Schreibens Euch, daß, sobald er in Eurem Gebiet angekommen sein wird, Ihr ihn nicht weiter fort ziehen laßt, sondern in ihn drängt, daß er wieder zurückkehrt. Denn er wird nicht unterlassen, von neuem Unruhe zu erregen, und es sind derer schon genug durch Träume und phantastische Hoffnungen auf einen neuen König erweckt worden. Und erinnert Euch dabei, daß nicht alle Tage Wunder geschehen . . . So er Euch aber nicht folgt und nicht gehorsam sein will, so ist Euer Gesetz noch mächtig genug, daß er dadurch zum Gehorsam gebracht werden kann. Und das wird sowohl ihm wie ganz Israel ersprießlich und nützlich sein . . .«

Was den Menschen an diesem Schreiben verständlich ist, ist das tiefe Bedürfnis nach Ruhe. Und dennoch: wäre Sabbatai selbst gekommen, sie hätten sich ihm aufs neue ausgeliefert. Aber da man von ihm kein Wort hört, will man auch seinen Verkünder nicht haben. Wie Nathan seine Reise fortsetzt, trifft er überall auf Spuren der Ablehnung und sogar auf offene Feindschaft. Er kommt nach Saloniki. Kaum verbreitet sich die Nachricht von seiner Ankunft, da drängen sich die erbitterten und enttäuschten Menschen heran, denen er einmal geraten hat, ihren Alltag um der Ewigkeit willen zu vergessen. Sie wollen ihn, der zu ihrer inneren und äußeren Not mit einem pomphaften Gefolge von 40 Mann kommt, zur Verantwortung ziehen. Er muß heimlich bei Nacht und Nebel fliehen und begibt sich nach Brussa, der alten Residenzstadt. Da glauben die Menschen noch, daß sein Kommen nichts anderes bedeute, als daß er jetzt den Messias in sein Amt einführen werde. Sie nehmen ihn mit großer Begeisterung auf. Aber dann 343 kommen Nachrichten und Warnungen aus Konstantinopel zu ihnen. Ihre Enttäuschung und Erbitterung ist maßlos. Sie lassen Nathan im gleichen Augenblick fallen. Sie verbieten jedem, mit ihm auch nur zusammen zu sein, ihm Speisen zu verabfolgen und ihn in ihre Häuser aufzunehmen. Sie drohen ihm sogar mit einer Anzeige bei den türkischen Behörden. Da muß er den Ort verlassen. Er hat jetzt einen Vorgeschmack der Dinge bekommen, die ihn erwarten, begreift auch wohl, daß er so nicht mehr auftreten darf, ohne die Erbitterung zu steigern. Darum löst er sein Gefolge auf. Nur sechs Personen bleiben bei ihm.

Ende Februar 1667 macht er sich auf den Weg nach Ismir. In Bonar Bagi macht er Rast. Wie das bekannt wird, reisen ihm sogleich Freunde des Sabbatai entgegen, um sich mit ihm zu bereden. Aber die Stadt sendet ihm auch einen offiziellen Gesandten, Abraham Leon, entgegen. Der unterrichtet ihn über die Stimmung in der Stadt und warnt ihn dringend, Ismir zu betreten. Und noch einen anderen, seltsamen Besuch empfängt Nathan in Bonar Bagi. Da sind inzwischen, längst nach Sabbatais Abfall, Deputierte der italienischen Gemeinden in Ismir eingetroffen, die dem neuen Messias huldigen wollen und die den Auftrag haben, sich von seinem Propheten Nathan Anweisungen für ihr ferneres Verhalten zu holen. Erst in Ismir erfahren sie, was geschehen ist. Es lähmt und erschüttert sie so, daß sie wochenlang untätig dasitzen und nicht wissen, was sie beginnen sollen. Da hören sie: Nathan ist in der Nähe. In letzter Hoffnung reisen sie nach Bonar Bagi und verlangen Audienz bei Nathan. Aber der sitzt finster und vergrämt in einem Hause und will nichts sehen und hören. Die Gesandten mögen warten, oder 344 abreisen; wie sie wollen. Sie gehen endlich heim, kehren nach Italien zurück, Träger böser und dunkler Botschaft. Späterhin stößt Nathan immer wieder auf ihre Spur, immer wieder auf den Niederschlag der tiefen Enttäuschung, die er ihnen bereitet hat.

Aber er kann jetzt nicht anders. Der Sinn seiner Existenz steht auf dem Spiele. Er muß nach Ismir hinein, unter allen Umständen und trotz jeder Gefahr. Es wird mehr ein Einschleichen als ein Einzug. Gegen Nacht kommt er an und begibt sich in das Haus eines Sabbatianers. Seine Freunde besuchen ihn dort, und er wendet alle Kraft auf, ihren Glauben zu stärken. Aber zu einer breiteren Wirkung kann er nicht kommen. Das Volk bedrängt ihn: er solle abreisen; man werde ihn sonst noch den türkischen Behörden ausliefern. Alles, was man ihm vor seiner Abreise noch erlaubt, ist, daß er an das Grab von Sabbatais Mutter geht, die Hand darauf legt, dort sein Gebet verrichtet und aus der Quelle trinkt, die neben diesem Grabe ist, und die von den Christen Sancta Veneranda genannt wird. Dann begibt er sich auf den Rat seiner Freunde nach Chios.

Dort in Chios entsteht ein Dokument voll schlichter und großer Treue, ein Bekenntnis zur Unbedingtheit, durch das sich ein Unterton der weinenden Furcht zieht: der Trostbrief, den er an Joseph Zewi richtet. »Ich bekam Deinen Brief und verstand aus ihm dem Begehren, zu wissen, was mit unserem Herrn sei, auf den wir warten und nach dem wir suchen jeden Tag, jede Stunde und jede Minute, und von dem wir den großen Sabbath erwarten und der unser heiliger Sabbath ist, die Quelle unseres Wissens und unserer Heiligkeit, die Kraft der höchsten Krone. So wisse denn: ich schwöre bei seiner 345 Heiligkeit und bei der Größe und Stärke seiner Kraft, daß er es ist und kein anderer, und außer ihm gibt es keinen Erlöser. Und wenn er auch einen Turban auf seinen Kopf setzte, so tat er es nicht zur Entheiligung des Namens. Und obgleich ich keinen Hinweis in den Sätzen der Thora dafür finde, haben wir doch schon oft gesehen, daß unsere Weisen viel Wunderbares taten, und wir konnten nicht verstehen, was das Ende ihrer Absichten war. So stehen wir auch in dieser Stunde vor dem Unbegreiflichen. Alle, die Augen haben, um zu sehen und Ohren, um zu hören und ein Herz, um zu verstehen, können den Beweis finden. Und wenn nicht, so möchten doch ihre Lippen schweigen, daß sie nichts Böses über die Heiligkeit des Messias sagen . . . Es ist doch schon im Sohar über den wahren Propheten aufgeführt, daß er ein Unglücklicher und Verkannter sei, daß über ihn viel Leid kommen solle und daß er in den Augen der meisten wie ein stinkender Hund erscheinen wird. Die ihn nicht anerkennen, sind die Bösen, deren Seele verwirrt ist. Auch unter den Zadikim sind Böse. Darum stehen die geizigen Reichen hinter dieser Meinung. Er soll doch, sagt der Sohar, ein Armer sein und auf einem Esel reiten. Arm sein bedeutet hier: arm und befleckt in seinem Gewand, und das ist ja gerade der Turban. Nicht arm von Geld ist gemeint, denn er ist doch gekommen, um die Welt zu bereichern. Sondern: arm sein vor der Thora, arm vor ihren Gesetzen. Und es steht auch geschrieben: ich werde in Gott bestehen, und er wird uns aus unseren Sünden erlösen. Wer ein Herz hat, zu verstehen, kann es verstehen. Und wenn man auch nichts beweisen kann, werde ich trotzdem nicht aufhören, Euch zu trösten, die Ihr in Eurer Heiligkeit besorgt 346 seid. Für mich und für Euch wird Gott sorgen, damit alle armen Juden und alle Bettler, die da in Angst und Sorge stehen, gesegnet werden, und wir werden in Freude erleben, daß alles bald erfüllt werde . . .« Es hält Nathan nicht lange in Chios. Er muß noch einmal einen Vorstoß nach Ismir wagen, denn es ist von größter Wichtigkeit, ehe er in das Zentrum des Geschehens kommt, hier im Hinterland die ermattende Bewegung wieder anzufachen. Aber die Stimmung gegen ihn ist noch schlechter geworden. Er kann sich diesesmal nur zwei Tage in Ismir halten, versteckt bei Freunden Sabbatais. Er versichert ihnen immer wieder: bis zum Ende dieses Jahres, bis zum Monat Elul, werden alle Verheißungen sich erfüllt haben. »Wenn es nicht Wahrheit wird, gebe ich mich in Eure Hände. Ihr könnt mich dann töten.« Ehe er abreist, bekommt er den Besuch des Pfarrers Coenen. Dem läßt es keine Ruhe. Er möchte den befremdlichen Dingen, die da unter seinen Augen geschehen sind, auf den Grund kommen. Darum stellt er drei präzise Fragen an Nathan: auf welcher Grundlage seine Prophetie beruhe, wie der Geist der Prophetie über ihn gekommen sei, und was mit Rücksicht auf die abgelaufene Zeit denn noch von seinen Gesichten zu erwarten stünde.

Nathan geht auf dieses Interview nicht ein. Er sitzt verdrossen da und erklärt, daß er darauf nicht antworten werde. Das empört den Fragesteller. Zu Unrecht. Die Beiden verstehen sich nicht, weil sie auf verschiedenen Ebenen hausen. Coenen treibt Kirchengeschichte. Er sammelt Tatsachen. Nathan treibt Geschichte. Er sammelt Erlebnisse. Er hat auch seine Gedanken nicht für theoretische Diskussionen frei. 347

Inzwischen hat er sich mit Sabbatai in Verbindung gesetzt und mit ihm ein Zusammentreffen in Ipsola, nahe Adrianopel, verabredet. Es ist wahrscheinlich, daß dieses Treffen auch stattgefunden hat, denn nur aus dem Wiedersehen mit dem Propheten, der seinem Leben einen so entscheidenden Anstoß gegeben hat, können Sabbatai die Impulse für sein späteres Handeln gekommen sein. Aber alles, was Nathan tut, wird von der jüdischen Welt mit Aufmerksamkeit und Mißtrauen beobachtet. Sie erkennen ganz richtig, daß in diesem Augenblick die Gefahr nicht von Sabbatai ausgeht, sondern von dem unentwegten Propheten, der abseits vom Geschehen sitzt und nichts zu verantworten und zu fürchten hat. Sie aber haben zu fürchten, nach außen und nach innen. Was der Sultan geplant hat, ist noch nicht vergessen; und die Wunden der enttäuschten übermäßigen Liebe sind am Körper des Volkes noch nicht vernarbt. Sie brauchen Ruhe und Schonung, wie nach einer schweren Krankheit. Sie wollen dieses neue Übel von sich fern halten. Darum benachrichtigt die Gemeinde Adrianopel das Rabbinat in Konstantinopel von der Anwesenheit Nathan Ghazatis.

Sofort begibt sich eine Abordnung von Rabbinern nach Ipsola, konstituiert dort ein Gericht und fordert Nathan auf, zu erscheinen. Er kommt. Es wird ihm bedeutet, daß es sich hier nicht um Sabbatai Zewi und den Messias handle, sondern um sein, Nathans, Auftreten als Prophet. Die alten Propheten haben die Heiligkeit von Zeit und Geschehen für sich. Dieser neue Prophet, den niemand gerufen hat, und der sich doch berufen wähnt, möge seine Berufung beweisen, durch ein Wunder, oder wenn das Wunder sich ihm zur Zeit versagt, so doch durch theologische Gründe. 348 Auf theologische Gründe läßt Nathan Ghazati sich nicht ein. Er und die anderen sprechen ja doch eine verschiedene Sprache. Das Wunder hingegen wird geschehen. Zwar nicht in diesem Augenblick, denn er selbst kann keine Wunder herbeizwingen. Aber es ist ihm eine Offenbarung geworden, daß ein Wunder sich noch in diesen Tagen des Schabuoth, des Wochenfestes, ereignen werde. Also möge man bis zum Ende dieser Festtage warten. Und sie warten, vielleicht in der überlegenen Gewißheit, daß nichts sich ereignen werde, vielleicht in der unbestimmten Erwartung, mit der ihnen das Wunderbare letztlich doch vertraut ist.

Wie das Wochenfest vergeht und nichts sich ereignet, packen die Rabbiner hart zu. Sie zwingen ihm die Erklärung ab, daß er hinfort seiner Propaganda entsagen werde. Er stellt darüber eine Urkunde aus: »Eurer Aufforderung und der Eurer Gesandten Folge leistend, schwöre ich, den Ihr als eine Gefahr für Israel erachtet, mit dem von mir und den Gläubigen im Volke verherrlichten Meister künftighin in keinerlei schriftlichen Verkehr zu treten, keinerlei Versammlungen zu veranstalten und mich mindestens 12 Tagereisen von Adrianopel entfernt zu halten.« Nach diesem Verzicht beginnt er seine Rechtfertigung: »Zugleich muß ich aber wahrheitsgemäß erklären, daß am 25. Elul 5425 (im September 1665) eine Stimme vom Himmel mir in der Tat verkündet hat, daß binnen einem Jahr und einigen Monaten das Reich des Maschiach ben David sich offenbaren werde, wobei allerdings die Stimme den Namen des Erlösers und das genaue Datum nicht näher bezeichnet hat.« Und dann entfaltet sich die Hartnäckigkeit seiner Ideen ein letztes Mal mit sachlicher Gebärde und 349 geheimem Vorbehalt. »So gilt es denn, die Angelegenheit bis zum Monat Elul des laufenden Jahres 5427 (September 1667) zu vertagen und die himmlische Stimme erst dann als gegenstandslos zu erachten, wenn auch diese Frist ohne Wunder verstrichen sein wird.«

Die Rabbiner zucken darüber die Achsel. Ihnen ist schon damit gedient, daß ihnen der Prophet 12 Tagereisen weit vom Leibe bleibt. Aber nicht einmal daran hält sich Nathan. Das Versprechen ist erzwungen. Folglich hat es keinen Wert. Er bleibt in der Nähe von Adrianopel und trifft sich heimlich mit Sabbatai und seinen Anhängern. Und es gelingt ihm wirklich, die Bewegung zu einem letzten, wenn auch kurzen Aufflackern zu bringen .Es gelingt ihm gerade in Adrianopel und durch die Impulse, die er Sabbatai bis in den Serail hinein zu geben vermag.

Die Kraft, die in Sabbatai einmal aufgestanden war und ihn überschwemmte, ist noch nicht abgelaufen. Zwar ist sie in ihrer Wucht tödlich verletzt, aber wie auch der Erblindete sich noch dem Ort zuwendet, von dem her er die Sonne scheinen fühlt, so ist in Sabbatai der Richtungssinn seines Bemühens erhalten geblieben. Man hat ihn in das Dunkel der Wirkungslosigkeit geworfen. Er hat Sehnsucht nach der Sonne, welche Bedeutung heißt. Aber das Beieinander von Unwahrhaftigkeit und Gläubigkeit, das einmal Harmonie war und wirken konnte, ist jetzt belastet mit der unausgleichbaren Zweideutigkeit seiner Stellung. Er ist rettungslos auseinandergebrochen in jenem Augenblick, da er sich aus der Todesangst in den Ausweg rettete. Er mag diesen Bruch überdeckt haben mit der tiefen Überzeugung, dieses Schicksal sei nötig und diene dem göttlichen Zwecke. Es bleibt 350 unaustilgbar die Sekunde, da er nicht göttliches Walten und notwendiges Schicksal verspürte, wo die nackte Angst um das Leben die Mission verraten hat. Er ist ein Gezeichneter geworden.

Darum dient alles, was er jetzt tut, der Rechtfertigung seiner selbst. Alles ist Ichbezogen. Durch die geheimen Kanäle, die bis zu ihm hingehen , erfährt er, wie Menschen ihn zu rechtfertigen suchen, wie sie ihn gegen eine Welt von Zweifel und Hohn verteidigen, wie sie noch an ihn glauben und Wunder von ihm erwarten. Also lebt er noch. Also hat er in der Welt noch ein Amt und in seinem Tun noch eine Rechtfertigung. Da ihm das freie Wirken versagt ist, beginnt er zu konspirieren. Er trifft sich mit Nathan. Er kommt wieder heimlich mit Juden zusammen, er versichert wieder und wieder: ich bin der Messias; ich werde Euch erlösen.

Sie deuten auf das Bleigewicht, das er an den Füßen hat: den neuen, fremden Glauben. Wie kann einer sich zur Erlösung aufschwingen, der so belastet ist? In der Widerlegung dieses Zweifels stürzt er sich in nackten Größenwahn: er muß in diesem Glauben verharren, da er aus ihm zur Stunde der Erlösung das ganze mohammedanische Volk zum Judentum überführen wird. Und sie glauben ihm. Sie glauben. Aus der kleinen Konspiration soll wieder eine große Volksbewegung gemacht werden. Er braucht wieder einen Sendboten. Dazu erbietet sich Nathan Ghazati. Er will die beschauliche Ruhe seines Heimatsortes gegen das Wandern von Stadt zu Stadt vertauschen. Wir finden ihn noch im Laufe des Jahres 1667 auf Chios, auf Korfu, predigend, verheißend. Er geht folgerichtig den Weg der schlechtesten Nachrichtenvermittlung, nach den ionischen Inseln, und 351 von da nach Venedig, das seine normalen Beziehungen zu Konstantinopel noch nicht wieder aufgenommen hat. Er erwartet große Unterstützung von den italienischen Kabbalisten. Aber man verweigert ihm schlechthin den Eintritt ins Ghetto. Die Gemeinde schickt ihm Samuel Aboab entgegen und läßt ihm raten, wieder abzureisen. Nathan erwidert stolz: »Ich komme im Namen Gottes und trage Sorge für ganz Israel, und es wird niemandem Böses geschehen.« Wie solche Erklärung nichts nützt, verschafft er sich mit Hilfe eines Sabbatianers Beziehungen zur Stadtverwaltung und erreicht, daß ihm der Aufenthalt gestattet werde.

Nun sind die Juden gezwungen, ihm das Ghetto zu öffnen. Aber sogleich sitzen sie, wie die Rabbiner von Konstantinopel, zu Gericht. Aus verschiedenen Gegenden Italiens treten Rabbiner und Vertreter von Gemeinden zusammen. Man verlangt von ihm keine Wunder, sondern schlechthin Rechtfertigung. Er versucht es, da er die Enttäuschung der ausbleibenden Wunder nicht wieder erleben will. Er berichtet, deduziert, prophezeit, beweist und versichert, bis er sich rettungslos verwirrt und verstrickt hat. Er steht allein gegen eine ganze Versammlung, die ihn mit Fragen, Argumenten und Gegenbeweisen in die Enge treibt. Sie sind nicht nur klug, sondern haben auch menschliches Verstehen. Sie kommen nach langen Disputen zu dem Ergebnis: Nathan ist von einem Wahn besessen. Nie hat er eine Offenbarung gehabt, nie haben göttliche Stimmen zu ihm gesprochen. Er nimmt nur die wirren Phantasiebilder seiner Träume als Wirklichkeit hin. Er ist kein Verbrecher, er ist ein Kranker. Darum ist er für das Unheil, das er über das jüdische Volk gebracht hat, nicht nach der Schwere 352 des Gesetzes zu bestrafen. Aber er soll wenigstens einsehen, was er getan hat. Er soll widerrufen.

Und Nathan unterschreibt: »Nachdem die Rabbiner und Gaonen von Venedig meine Behauptung, ich hätte gleich dem Propheten Jecheskel den himmlischen Wagen erschaut, wie auch meine Weissagung, daß Sabbatai Zewi der Messias sei, als Irrtum und unerwiesen erkannt haben, so habe ich Ihrer Ansicht beigestimmt und erklärt, daß alle meine Prophezeiungen in Bezug auf Sabbatai Zewi jeglicher Grundlage entbehren. Ich Nathan Ghazati.«

Dieses beschämende Bekenntnis wird vielfach abgeschrieben und zusammen mit dem Bericht über die Vorgänge in Ipsola an die bedeutenden Gemeinden der Welt geschickt. Aber Nathan kümmert sich nicht darum. Er hat es nicht nötig. Er hat nämlich das strenge Gericht bei der Unterschrift unter diesen Widerruf überlistet. Das Wort ›ich‹, das im hebräischen ani heißt, wird gebräuchlich abgekürzt durch die Buchstaben a und n, Aleph und Nun. Nathan aber hat geschrieben: Aleph-Gimel, und nun bedeutet es die Abkürzung der Worte Oness gamur, das heißt: vollkommene Erpressung. Also ist er frei, zu tun, was ihm beliebt. Und im übrigen bestätigen ihm seine Freunde: was er hier verneint hat, bezieht sich doch nur auf die Welt der sichtbaren Dinge. Aber er mit seinem Seherblick schaut in die überwirkliche Ebene, in die allein gültige ›Wesenhaftigkeit‹.

Er wird zwangsweise aus Venedig entfernt. Man bringt ihn auf ein Schiff, das ihn weiter südlich an einen Hafenplatz bringt, damit er nach Modena und von dort in Verwahrung nach Florenz gebracht werde. Aber Nathan geht nach der Landung seine eigenen Wege. Er ist in Bologna, Florenz, Livorno. 353 Man will ihn dort nicht haben. Nirgends will man ihn mehr haben. Er wandert hartnäckig und unberührt im Glauben an seine Sendung von Gemeinde zu Gemeinde, von gesperrten Straßen zu geschlossenen Türen. Er kommt nach Rom und will predigen. Man verjagt ihn sofort aus dem Ghetto, weil man nicht nur ihn fürchtet, sondern auch die immer wachen und argwöhnischen Späher der Inquisition. Sein Fortgehen aus Rom ist eine gehetzte Flucht. Aber er vermag es noch einzurichten, über den Tiber zu laufen und von der Brücke her einen Zettel in den Fluß zu werfen. Darauf steht die prophetische Drohung: »Ehe noch ein Jahr um sein wird, wird Rom der Zerstörung anheimfallen!«

Er wandert und wandert und wird müde. Aber er wird nicht verzagt. Er schleppt sich von Ort zu Ort in den türkischen Gemeinden. Er ist in Ragusa gewesen und in Saloniki. Endlich läßt er sich im bulgarischen Sofia nieder, um möglichst nahe zu sein, wenn die großen Wunder sich ereignen. Sitzt dort und wartet, seinem Messias getreu bis in das elende, verkommene Sterben, das diesen Sklaven seines Glaubens endlich auslischt, das dieses übermäßig flackernde Leben in seinem fünfunddreißigsten Jahre erstickt (1680). Er hat noch in der letzten Sekunde nichts aufgegeben. Er sagt sterbend: »Ich will zu meinem Herrn gehen, denn der kennt den Weg!« – Indessen hat auch Sabbatai seine Tätigkeit wieder aufgenommen. Es ist ihm gelungen, sich der strengen Aufsicht durch den Mufti Wanni zu entziehen. Heimlich erst, dann immer offener zeigt sich der neue Mohammedaner in den Synagogen. Sein Verhalten ist jetzt drängend und werbend zugleich. Es geht immer nur um das eine, daß man ihn als Messias anerkennen 354 möge. Er ringt um die Seelen, und er gewinnt Seelen. Der Zweck ist alles, das Mittel nichts.

Darum, als dem Sultan diese heimliche Tätigkeit bekannt wird, weiß er dessen Zorn mühelos die Spitze abzubrechen. Was denn ist verwerflich an seinem Tun? Es dient doch nur dazu, möglichst viele Juden zum Islam hinüberzuziehen. Es leuchtet dem Sultan ein, daß der ehemalige Messias der Juden besondere Eignung habe, Proselyten zu machen. Darum erteilt er ihm die offizielle Erlaubnis, in die Synagogen zu gehen und dort zu predigen.

Sabbatai macht von dieser Befugnis ausgiebigen Gebrauch, und sobald er nur einen Hauch von Freiheit verspürt, wirft er sich hemmungslos von neuem in das Geschehen hinein. Im März 1668 bricht das gehemmte Lebensgefühl wieder in überschwängliche Verkündigungen aus. Er hat wieder eine göttliche Offenbarung gehabt, und von neuem hat sie ihm bestätigt, daß er auch jetzt noch, in diesem Stadium einer scheinbaren Ungläubigkeit, der wahre und erwählte Messias sei. Er verkündet diese Botschaft mit einer Kraft und Eindringlichkeit, daß auch die Ungläubigen aufhorchen, daß sie schwankend werden und daß endlich eine neue Wendung der Geister zu ihm hin beginnt. Enttäuscht zu werden sind diese Menschen gewohnt. Darum sind sie mit der Gnade begabt, daß ihre Glaubensfähigkeit nicht daran stirbt. Seine Anhänger erlassen Kundgebungen, in denen der Beginn einer sabbatianischen Theologie sich verhängnisvoll manifestiert. Von Gott, sagt die Kabbala, gehen Ausstrahlungen, Sephirot, aus, die sich in der Welt verkörperlichen. Eine von ihnen, Sephira Tipheret, die Ausstrahlung des Anfangs, ist nunmehr in Sabbatai Zewi eingegangen, hat sich in ihm 355 verkörpert. Gott selbst hat sich in tiefere Schichten des Unerreichbaren zurückgezogen. Den Menschen hat er seinen Messias gelassen.

Auch diese Idee, gewiß nicht seinem Gehirn entsprungen, nimmt Sabbatai leidenschaftlich auf. Er steht auf den Kanzeln der Synagogen, umringt von Anhängern, und bekennt: »Gott ist ein Jüngling und gleicht mir!«

Der Sultan versteht nicht recht, welches Spiel hier getrieben wird. Er ist schon wieder mißtrauisch und möchte diesem öffentlichen Wirken ein Ende machen. Auch dieser Gefahr weiß Sabbatai zu begegnen. Er gibt das Versprechen ab, in aller Kürze den Erfolg seiner Bemühungen aufzuzeigen. Und es gelingt ihm wirklich. Er macht aus dem Zwang, unter dem er steht, eine Notwendigkeit. Er verlangt von denen, die an ihm hängen, daß sie seinem Beispiel folgen und zum Islam übertreten. Zum Schein, versteht sich. Er droht ihnen, sie nicht nach Jerusalem zu bringen, wenn sie ihm nicht nachfolgen. Man wirft ihm vor, er habe sich Widerspenstigen gegenüber der falschen Anschuldigung bedient, sie hätten den Islam gelästert, und daß er sie vor der Todesstrafe, die darauf stand, durch Bekehrung gerettet habe. Wie dem auch sei: hier brach die todgeweihte Bewegung in zwei Gruppen. Die einen glaubten an ihn, lehnten aber den Übertritt zum Islam als eine Handlung ab, die nur in der Einmaligkeit und Besonderheit der messianischen Person Sinn und Gültigkeit habe. Die sonderten sich ab. Aber andere folgten ihm ohne Besinnung.

So konnte Sabbatai dem Sultan das Schauspiel vorführen, daß vor seinen Augen viele Hunderte von Juden den Turban nahmen. Es war ein großer Erfolg für ihn. Während in holländischen und deutschen 356 Gemeinden Flüchtlinge aus Spanien und Portugal, die ein Leben unter dem Zwang der Inquisition als Scheinchristen (Marranen) verbracht hatten, in übermächtigem Durchbruch altererbter Gottesgläubigkeit sich wieder zum Judentum bekannten, führte Sabbatai zur Erfüllung seiner Messianität die Juden in einen fremden Glauben hinein und schuf neue Marranen. Er verewigte dieses schwerste aller Glaubensprobleme. Seine Anhänger leben noch heute in der Sekte der Dönmeh fort, Mohammedaner mit vagen, mystisch abgedunkelten Erinnerungen an das Judentum.

Dem Sultan und den Juden gegenüber beginnt Sabbatais Stellung sich wieder zu festigen. Aber er hat doch den Wunsch, seine Tätigkeit nicht so in der Nähe ständiger Kontrolle auszuüben. Also bittet er um die Erlaubnis, zu weiterem Wirken nach Konstantinopel zu gehen. Das wird ihm auf Grund seiner Erfolge bewilligt. Er triumphiert. Er hat Freiheit, ist in die Welt hinaus entlassen, dem weiteren Raum und der befreiten Phantasie überlassen.

Er findet bei den Juden von Konstantinopel freundliche Aufnahme. Sie haben die Glanzzeit von Abydos nicht vergessen. Wenn sie auch nichts Entscheidendes, nichts Sichtbares an Erfolgen gebracht hat, so liegt sie doch in ihren gläubigen Herzen mit strahlender Einmaligkeit aufgehoben. Noch aus dem Erinnern her hat solcher Liebesrausch die Kraft, zu wärmen und in den Winkeln die Hoffnung leben zu lassen. Diese Hoffnung regt sich jetzt. Warum sollte dieses nicht ein neuer Anfang sein? Ist es nicht schon wieder ein Wunder, daß Sabbatai selbst von seinem natürlichen Feind, dem Sultan, so geehrt und so schonend behandelt wird? Ob nicht doch Gottes Wille da wirksam ist? 357

Sabbatai ist jedenfalls bereit, hier einen neuen Beginn zu sehen. Als sei nichts geschehen, als habe sich nichts gewandelt, sitzt er in Konstantinopel und läßt die Gläubigen zu sich kommen. Er spricht mit ihnen, belehrt sie, weissagt ihnen, singt vor ihnen messianische Hymnen und feiert mit ihnen die Freudenfeste, die sie ihm bereiten. Von neuem wird der 9. Ab ein Tag des Jubels. Wieder wie zu allem Anfang gehen Züge in seiner Gefolgschaft auf die Straßen bis an das Ufer des Meeres, und im Angesicht seiner Jünger und Gläubigen taucht er vor ihnen in die Fluten, ein Messias, der sich auf die letzte Stunde der Erfüllung vorbereitet. Als ob nichts inzwischen geschehen und zerbrochen wäre.

Die von je seine Gegner waren, sehen diese neue Entwicklung der Dinge mit Unbehagen. Sie wenden sich an den Großvezir in Adrianopel und erstatten Bericht. Auch durch seine Agenten hat Achmed Köprili Nachricht bekommen. Er ist höchst unzufrieden, aber er ist so wenig wie je bereit, etwas Entscheidendes gegen Sabbatai zu unternehmen. Immerhin tut er eines: er entzieht ihm die monatliche Rente, die Sabbatai als Mehmed Effendi bezieht. Das soll eine Strafe sein und zugleich ein Mittel, ihm die Feste zu verleiden und das Verteilen von Almosen an arme Anhänger. Er möchte vermeiden, daß mit dem Gelde des Sultans Anhänger für Sabbatai gewonnen werden. Sabbatai kann den Verlust seines Einkommens verschmerzen. Von seinen Anhängern fließt ihm genügend Geld zu. Sie verdoppeln Feste und Feierlichkeiten. Sie sind bei dem neuen Anfang. Aber auch die Gegner verdoppeln ihr Bemühen. Sie lassen es sich ein gutes Stück Geld beim Großvezir kosten, um ihn davon zu überzeugen, daß es für den Sultan und 358 für die Juden nur ein Mittel gebe, endlich Ruhe zu haben: den Messias endgültig von seinen Anhängern zu trennen. Sie sollen dieses Argument mit 15 000 holländischen Gulden unterstützt haben.

Köprili zögert. Endlich muß er einsehen, daß es wirklich keinen andern Weg gibt. Fünf Jahre schon dauert dieses Treiben, dieses verdeckte Spiel nach beiden Seiten, dieses kleine, unsaubere Konspirieren hüben und drüben. Wie Sabbatai eines Nachts sich mit mehreren seiner Anhänger in dem kleinen Dorfe Courron Chesme am Schwarzen-Meer-Kanal aufhält und Psalmen und Hymnen auf das Kommen das Messias mit ihnen singt, erscheinen die Soldaten des Kaimakam und verhaften ihn. Der Großvezir hat über ihn die Verbannung nach Dulcigno, einem entlegenen Küstendorf in Albanien in der Nähe von Skutari angeordnet (1673).

Damit ist sein Leben abgeschlossen. Er wird streng bewacht. Nur wenige Menschen dürfen zu ihm kommen. Gelegentlich erhält er einen Brief von Nathan Ghazati oder von Primo. Sonst ist nur seine vierte Frau bei ihm, die er nach dem Tode Sarahs in Adrianopel geheiratet hat. Er liegt völlig abseits von jeder Straße, auf der Menschen gehen. Das ist der Tod für ihn. Um wirken zu können, um Messias zu sein, ja nur um am Leben zu bleiben, braucht er Menschen, Gesichter, Antworten, ewige Bestätigungen, unmäßige Nahrung für sein Ichgefühl. Nimmt man ihm diese Stimulantien, muß er verkümmern. Dieses Ende seines Lebens, dieses Versagen vor der Einsamkeit, in der die stärkste schöpferische Gewalt eines religiösen Gemütes reifen kann, fällt das Todesurteil über sein Messiastum.

Er schwankt zwischen Zeiten tiefer geistiger 359 Verdunkelung und hilfloser Selbstüberhebung. Er schreibt an seinen Schwiegervater Joseph Philosoph in Saloniki, sie würden die Erlösung und die Rückkehr der Juden nach Zion noch erleben. »Ich werde Euch einen Engel senden. Ich werde kommen und Eure Schätze füllen, denn Gott setzte mich zum Herrn ein für ganz Mizrajim . . .«

Es ist das Stammeln eines zusammengebrochenen Menschen. Er lebt nur noch davon, daß hin und wieder von seinen unentwegten Freunden neue Berichte zu ihm dringen, daß es immer noch Menschen gibt, die Legenden um ihn bilden. Aber sie sind klein im Format und dürftig im Inhalt geworden. Die Türken wollen ihn töten und dringen mit Schwertern auf ihn ein. Er nimmt einen kleinen Stock und schlägt sie in die Flucht. Kümmerliche Nahrung für einen Menschen, zu dem einmal viele Hunderttausende als den Beschließer ihres Schicksals aufjubelten.

Er erstickt an der Einsamkeit, verdorrt wie eine Pflanze, die man aus der Erde gerissen hat. Zwei Jahre lang wehrt er sich noch. Dann erliegt er. Er stirbt im Herbst 1675 nach einer kurzen Krankheit.

Vor seinem Sterben hat er noch einen Wunsch geäußert: er will nicht auf dem muselmanischen Friedhof beerdigt werden. Wenn er schon nicht unter denen seines Volkes ruhen kann, will er dort liegen, von wo aus so oft Menschen mit banger Seligkeit ihm zusahen, wenn er im Symbol die Reinigung von aller Sünde vollzog: am Ufer des Meeres; da, wo die Weite ist, aus der er als Jüngling kam, in die er als Toter wieder einkehren will.

Man erfüllt ihm seinen Wunsch. Am Jomkippur 1675 wird er beerdigt, am Tage der großen Versöhnung, an dem Gott für alle Menschen das Buch des 360 Lebens aufschlägt, abwägt, was an Gutem und an Bösem darin verzeichnet steht, abwägt . . . und doch verzeiht.

Sein Grab ist vergessen. Nur zuweilen pilgerten Mohammedaner dorthin und beteten. Sie sagten, dort liege ein Heiliger begraben.

Mit seinem Tode flammt noch einmal die gläubige Dichtung auf. Die Menschen haben ihn doch so tief geliebt, es ist doch so viel von ihrem Herzblut zu ihm hingeströmt, daß sie an seinen Tod nicht glauben mögen. Er ist, wie sein Verkünder, der Prophet Elijahu, nur entrückt worden. Er hat ja, wissen die Gläubigen, den Tag seines Todes vorausbestimmt. Er hat die Höhle bezeichnet, in der er begraben werden wollte, und hat seinem Bruder Elias befohlen, drei Tage nach seiner Beisetzung in die Höhle zu kommen. Elias tut das. Aber vor der Höhle liegt ein großer Drache, der ihm den Eintritt verwehrt. »Mein Bruder hat es befohlen«, sagt Elias. Da geht der Drache beiseite. Elias betritt die Höhle. Sie ist leer, aber ganz ausgefüllt mit einem hellen, strahlenden Licht. Da wußten die Menschen, daß er zu den zehn Stämmen jenseits des Sabbation gegangen war. Und was dort geschieht, ist ja allen längst vertraut. Der Messias lebt noch. Er wird wieder kommen. ». . . und wenn alles gelingt, wird er bald kommen, sieben Tage nach seiner Hochzeit, um uns zu erlösen. Und er möge sich dort nicht zu lange aufhalten, bis Unglück über uns kommt. Er möge kommen, um uns zu rächen an unseren Feinden und Verleumdern . . .«

So treffen sie, da der Messias doch noch lebt, Vorsorge für den Tag, an dem er zurückkommen wird. Weil der König nur vorübergehend fort ist, muß für die Dauer seiner Abwesenheit eine Regentschaft da 361 sein. Leibliche Nachkommen hat Sabbatai nicht. Aber seine letzte Frau hat einen minderjährigen Bruder, Jakob Keredo. Von ihm verkündet die Witwe Sabbatais, aus dem Jenseits her sei ihr der Messias erschienen und habe diesen Knaben als seinen Sohn adoptiert. Auf Grund dieser Erklärung erkennen die Sabbatianer ihn als Gilgul, als denjenigen an, in den Sabbatais Seele eingegangen sei, als seinen geistigen Doppelgänger. Als solchen nennen sie ihn Jakob Zewi. In sehr vielen Städten, besonders in den wichtigeren wie Saloniki, Ismir, Adrianopel und Konstantinopel, bestehen noch Konventikel der unbedingten Sabbatianer weiter. Sie werden fortan geleitet von einer Institution, die man als Regentschaftsrat bezeichnen kann. Er besteht aus dem Vater und der Schwester des Jakob Zewi. Die Idee der Erlösung, wie sie sie begreifen, lebt weiter unter ihnen und sucht nach neuen Ausdrucksformen. Sie begreifen, daß die Erlösung nur kommen kann für eine Zeit, die in voller Gerechtigkeit steht oder für eine Zeit, die ganz in Leiden und Verderbnis getaucht ist. Da sie die Gerechtigkeit nicht verwirklichen können, so steht es doch in ihrer Macht, das Maß der Sünde voll zu machen, um damit die Befreiung zu erzwingen. So machen sie aus der Sünde eine Notwendigkeit und holen sie dorther, wo ihnen sonst die stärkste Zurückhaltung Gebot war: aus dem Dasein der Sinne. Sie stürzen sich so unbedenklich in die Ausschweifung, daß endlich die Rabbiner sie bei den Behörden denunzieren.

Es setzt eine Verfolgung durch die Türken ein, der die meisten dadurch entgehen, daß sie zum Islam übertreten, indem sie Sabbatais Beispiel folgen und ihre Handlung mit dem gleichen Sinn decken, den 362 sie auch ihm unterstellt haben. So ist ihr Übergang zur Sekte vollkommen. Sie scheiden aus dem Verband des Judentums endgültig aus. Ihr Regent Jakob Zewi unternimmt eine Wallfahrt nach dem Grabe Mohammeds nach Mekka und stirbt auf der Rückreise. Sein Sohn Berachja wird Regent des Messias. Bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus sind die Konventikel nachweisbar, bis nach Frankfurt und Prag hin. Die Dönmehs leben heute noch fort.

So sieht die Erbschaft aus, die Sabbatai Zewi hinterlassen hat: zwei Sekten, von denen eine dem Judentum verloren geht, und ein über die ganze Welt zerstreutes Volk von traurigen, enttäuschten Menschen, von Armgewordenen, Entwurzelten, Versprengten. Nur eines hat er ihnen nicht nehmen können: die Hoffnung und die Selbstprüfung. Schon hebt wieder das Fragen an, ob nicht in ihnen selbst Schuld gelegen habe. Vielleicht haben sie zu wenig Buße getan. Gewiß war es das. Sie klagen sich selber an, es sei nur eine Versöhnung von Mensch zu Gott gewesen, die sie da vorgenommen haben; aber keine Versöhnung zwischen Mensch und Mensch.

Um hier auszugleichen und den Strom ihres religiösen Lebens nicht versanden zu lassen, greifen sie von neuem demütig, bedrückt und hoffnungsvoll den Tag an. Es ist uns eine Klage erhalten, die die portugiesische Gemeinde zu Hamburg in ihr Protokollbuch schrieb, eine traurige Abrechnung mit der vergangenen Zeit: »Da nun die regelmäßigen Armenunterstützungen so hoch angewachsen sind, und zwar infolge der von den Herren des früheren Vorstandes gehegten, wenig begründeten Erwartung, daß noch zu ihrer Zeit unsere Wanderung und unser Exil ein Ende nehmen werde, diese aber, unserer Sünden 363 wegen, noch weiter fortdauern, bis sich Gott seines Volkes erbarmt . . .«

Die Späteren aber, die noch litten und nicht so ruhig abrechnen konnten, sprachen den Namen Sabbatais nicht aus, ohne hinzuzufügen: Jimach schemo! Verflucht sei sein Name!

 


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