Josef Kastein
Herodes
Josef Kastein

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7. Kapitel

Bauten

Ein König, der immer mit schweren und tödlichen Gebärden um sich schlägt, mag ein bedeutender Tyrann sein; aber die Größe seiner Königschaft kann daran nicht gemessen werden. Herodes war bereit, diese Diskrepanz zu beseitigen, alle seine wuchtigen Gebärden nachträglich als notwendige organisatorische Maßnahmen abzutun und sich von jetzt an den Gebärden zuzuwenden, mit denen ein König in der großen Welt, in seiner Welt der Herrscher, bestehen konnte. Die Maße für diese Welt konnte ihm sein Reich Judäa nicht liefern. Judäa lieferte ihm nur Geld, ungeheure Beträge, die selbst den natürlichen Reichtum des Landes und die Ergebnisse arbeitsamer Geschlechter verschlangen. Den Maßstab, den Herodes brauchte, konnte er nur bei seinem Oberherrn Rom entleihen, von dort her, wo man die selbst entliehene griechische Kultur zum Maßstab gemacht hatte. Um in dieser Nachahmung der Nachahmer bestehen zu können, tat er, was ihm überhaupt zugänglich war.

Doch war diese Frage der Zugänglichkeit zugleich eine Frage der inneren Zulänglichkeit, die erhebliche Schwierigkeiten in sich barg. Herodes war kein Römer. Er war auch kein Grieche. Auch Jude war er eigentlich nicht. Er gehörte nur aus der Erbschaft seines zwangsbekehrten Großvaters äußerlich, man könnte sagen: im politischen Sinne zum Judentum. Er war nichts als König in Judäa. Aber eben das war unerträglich, wenn es sich um seine Stellung zur Außenwelt handelte. Ihr nur als Idumäer zu gelten, konnte kein Ehrgeiz sein. Ihr als Tyrann zu gelten, der nur über ein ihm 210 fremdes Volk gesetzt war, war noch weniger erstrebenswert. Auch als Jude schlechthin zu gelten, war keine besondere Empfehlung, denn eben diese Juden standen der Welt, deren kultureller Glanz ihn blendete, zu feindlich und zu verständnislos gegenüber. So mußte er, um irgendwo zugehörig zu sein, sich zwar als Jude bekennen, mußte aber zugleich diese Zugehörigkeit dadurch unschädlich machen, daß er der Welt bewies, wie unendlich er selbst diesen Juden an Kultur überlegen sei; und wiederum als Auswirkung dieser Überlegenheit mußte er dieses geistig zurückgebliebene Volk auf friedlichem und weniger friedlichem Wege mit den Segnungen der wirklichen Weltkultur versehen.

Was sein eigenes Volk ihm bis zum letzten Augenblick verweigert hat, gewährte ihm endlich die Umwelt und ihre Geschichtsschreibung. Während sein Volk ihn noch als einen ewed edomi und hemijoudaios, als idumäischen Sklaven und Halbjuden beschimpfte, gelang es nach außen hin, diesen demütigenden Unterschied zu verwischen. Da er in Rom in der Folgezeit wegen seiner großzügigen Stiftungen ein populärer Mann wurde, sah man in ihm endlich auch den Vertreter, den wirklichen Repräsentanten der jüdischen Religion. Es wäre ihm – hätte er die Zeit noch erlebt – sicherlich ein Triumph gewesen, zu erfahren, daß Persius Flaccus den »Tag des Herodes« als Synonym für den Schabbat benutzte. Vielleicht wäre ihm dagegen – da es an einen geheimen Makel rührte – weniger erfreulich gewesen, festzustellen, daß in der römischen Poesie die Länder, beziehungsweise die Namen Idumäa und Judäa häufig verwechselt 211 wurden. Immerhin bekam er in der Welt die unbezweifelte Stellung als Jude und wurde so aus seiner Isolierung herausgehoben. Aber er tat auch das seinige hinzu. Als König der Juden mußte seine Ahnenschaft hinreichend bestehen können. Diesen an sich unmöglichen Nachweis lieferte ihm ein Mann, den er aus verschiedenen Gründen an seinen Hof genommen hatte: der Peripathetiker und Rhetor Nicolaus von Damaskus. Das war ein Geschichtsschreiber, für dessen Fleiß die Hinterlassenschaft eines Geschichtswerkes von 144 Büchern spricht. Für seine Geschicklichkeit zeugt die Tatsache, daß er dem Barbaren Herodes eine Ahnentafel verschaffte, aus der sich ergab, daß seine Vorfahren sich unter den adligsten Juden befunden hatten, die nach Beendigung des babylonischen Exils nach Judäa zurückgekehrt waren. Da man sich im Lande um diesen Geschichtsschreiber nicht sehr kümmerte, konnte die Version der altadligen Abstammung unwidersprochen der Welt zur Kenntnis kommen.

Im übrigen hatte Nikolaus die wesentliche Aufgabe zu erfüllen, die Bildungslücken des Herodes zu schließen. Er gab dem König Unterricht in Philosophie und Rhetorik und in jener Lebensart und Ausdrucksweise, die notwendig war, um sich als Gleicher unter Gleichen bewegen zu können. Er war auch mit der Erledigung diplomatischer Aktionen betraut, und für die glänzende Stellung, die Herodes ihm einräumte, zeigte er sich in gebührender Weise erkenntlich. Er tat das, was Herodes von ihm erwartete: er gab ihm in seinem Geschichtswerke einen breiten und ehrenvollen Raum. Er gab ihm, zur Welt und zur Nachwelt 212 hin, die Anerkennung, die das eigene Volk ihm stets verweigerte. Er sorgte dafür, daß diese verweigerte Anerkennung nicht schmerzlich bewußt wurde, sondern daß im Gegenteil alle Aktionen dieses Barbaren das wurden, was sie in seinen eigenen Augen ohnehin waren: die großen Leistungen eines mächtigen, bedeutenden und mit Weltkultur erfüllten Fürsten.

Um dieser Selbstwertung eine breitere und sichtbarere Basis zu geben, bemühte sich Herodes, seinen neuen kulturellen Status auf das jüdische Volk zu übertragen. Daß hier alte Traditionen dem entgegenstanden, kam für ihn so wenig in Betracht, wie es für den in Betracht gekommen war, den er unbewußt kopierte: für Antiochus Epiphanes. Er wie jener machten sich die Hellenisierung Judäas zum Ziele. Beide kamen von außen, aus einer grundlegend verschiedenen Welt des Denkens. Und da sie beide so weit von außen kamen, stand bei ihnen nicht ein Problem der Assimilation zur Debatte, sondern ein viel geringeres: das der kulturellen Unterwerfung. Aber während ein Antiochus Epiphanes noch der Eingeborene und der Erbe eines kulturellen Bezirks war, sprang Herodes aus einem Raum ohne Bedeutung – dem idumäischen – nach einer flüchtigen Berührung der jüdischen Welt in die römisch-griechische Kultur hinein, um hier den Anspruch auf Vollwertigkeit und Gleichartigkeit zu erheben. Wie weit ihm das überhaupt innerlich möglich war, hat er sich nie gefragt, und er ist auch von der Umwelt nicht darnach gefragt worden, denn er traf mit instinktiver Sicherheit die Seite, auf deren Anblick sie mit bedingungsloser Zustimmung antwortete: das 213 Pompöse, großartig Verspielte, das farbig und architektonisch weit Ausgreifende, die Städte, Tempel, Stadien, Theater; all dieses Sichtbare und Meßbare, dem Auge gefällige und einschmeichelnde; all das, was schon aus seinem formalen Gehalt und der Ästhetik seines Raumes und seines Gefüges Wirkung haben kann, ohne daß einer verpflichtet ist, nach dem tieferen und tragbaren Sinn zu fragen. Der kleine Pharaonenwahnsinn, der in Ägypten noch Maße und Formen von eindringlicher, gewaltiger und symbolhafter Schlichtheit treffen konnte, lebte sich hier in einer Unzahl kleinerer und zersplitterterer Formen und Gebilde aus. Die Pharaonen setzten an den Rand der Wüste, vom Gedanken an den Tod nicht erschreckt, die großen Mäler mit den kleinen Grabkammern darin. Sie wußten, wohin man ihren Leichnam bringen würde, und sie wußten auch, daß noch viele Jahrhunderte mit dem Gedanken an sie vor diesem vollendeten Steingefüge sich beugen würden. Herodes lebte zu willig und zu gierig, um nicht vor dem Tode Angst zu haben; und er regierte aus zu unsicherem Machtgefühl, um es sich nicht in einer Vielheit von Bauten bestätigen zu müssen; und er lebte endlich in der zu großen Abhängigkeit des Emporkömmlings vom Urteil der Anderen, um nicht nach allen Seiten hin die steinernen Zeugen seiner Existenz zu schleudern. In seinem Bauwahnsinn war nichts auf den Tod abgestellt, sondern alles auf die Frist seiner Gegenwart. Er hat sich kein Mausoleum gebaut und nichts war von der anonymen Größe einer Pyramide, die nur da ist und keinen Namen trägt. Bei ihm war alles überdeutlich und 214 beziehungsvoll benannt: nach Mitgliedern des römischen Kaiserhauses, nach Mitgliedern seiner eigenen Familie, nach symbolischen Namen wie Sebaste und Caesarea, die eine Huldigung an die Herrscher und die Institutionen des Imperiums darstellten. Erst darüber hinaus mag ihn der Gedanke bewegt haben, daß hier über seinen Tod hinweg Zeugnis von seinem Glanz und seiner Größe abgelegt werde; denn die Gräber allein, die seine Taten in Judäa hatten entstehen lassen, konnten ihm nicht zur Bestätigung dienen.

Aber auch das Land Judäa war ihm, um solcher Bestätigung teilhaftig zu werden, nicht groß genug. Nicht alle Menschen, auf deren Zustimmung es ihm ankam, würden den Weg nach Judäa finden. So waren also die Bauten im Auslande – oder so weit er dort nicht selbst baute, die Beiträge dazu – ein sehr wesentlicher Bestandteil seiner Tätigkeit. Sie gab sich oft sehr spontan, wenngleich immer ein einheitlicher Zweckgedanke dahinter stand. Als er sich einmal, um Agrippa zu treffen, in Chios aufhielt, sah er, daß die berühmte Säulenhalle noch vom Mithridatischen Kriege her zerstört dalag. Für ihre sehr kostspielige Wiederherstellung gab er sofort sehr reichliche Beträge und bekundete seinen ausdrücklichen Wunsch, dieses schöne Bauwerk so bald wie möglich wieder hergestellt zu sehen. In Rhodus, wo Octavian ihn aus der Tiefe der Ungewißheit auf den Gipfel der Macht gehoben hatte, ließ er einen Tempel des Pythischen Apollo bauen. Außerdem spendete er einige tausend Talente, damit die Rhodeser sich eine angemessen große Flotte bauen konnten. (Judäa besaß keine Flotte.) In der bei 215 Actium neu gegründeten Stadt Nikopolis stammten die meisten der öffentlichen Gebäude von ihm. In Antiochia baute er quer durch die Stadt eine Allee, die auf beiden Seiten von Säulenhallen flankiert und mit geschliffenen Steinplatten ausgelegt war. Damaskus, Athen und Sparta wurden ebenfalls mit Bauten und Beiträgen zu Bauten bedacht. Für die olympischen Spiele, deren Glanz aus Mangel an Mitteln stark verblaßt war, stiftete er regelmäßige Beiträge in einer Höhe, die eine Wiederbelebung ermöglichten. Zum Dank dafür nahm man ihn – wenn auch nicht einstimmig, so doch fast einstimmig – unter die Zahl der Preisrichter auf. Auch wo er sich sonst gerade aufhielt, besonders dann, wenn er sich in Gesellschaft mit Römern befand, gab er willig nach allen Seiten, immer mit diesem Zuviel, mit dem Menschen geben, die das ihnen zustehende Maß nicht kennen. Er gab derartig, daß selbst seine Bewunderer meinten, Judäa allein könne auf die Dauer diese Mittel nicht aufbringen. Es müßten eigentlich noch Syrien und Ägypten hinzukommen, um solche Ausgaben zu rechtfertigen.

Die Höhe dieser Ausgaben machten aber Herodes – von einzelnen bedrohlichen Situationen abgesehen – keine sonderliche Sorge. Den technischen Teil dieser Angelegenheit, das Finanzministerium, hatte er einem Griechen übertragen, wohl einerseits der Geschicklichkeit wegen, die die Griechen den Juden gegenüber in solchen Dingen voraus hatten, sodann wohl auch der größeren Unbefangenheit wegen, mit der sich ihm gegenüber die steten Anforderungen besprechen ließen. Das Land selbst war nur dafür da, ihm und der seinem Hof 216 angeschlossenen Gesellschaftsschicht das äußerste Maß an Glanz, Luxus und Wohlleben zu verschaffen. Ein weiteres Recht hatte das Volk nicht. Es hatte zu schweigen, zu arbeiten und seinen Verdienst abzugeben. Nur in einem einzigen, sehr empfindlichen Punkte glaubte er, sich dem Volke gegenüber rechtfertigen zu müssen: bezüglich der Tatsache, daß er außerhalb des eigentlichen Judäa wagte, was er in Judäa selbst an sich schon nicht gewagt hätte: die Errichtung von heidnischen Tempeln. Hier war eine alte, scheinbar unausrottbare Halsstarrigkeit zu respektieren. Darum erklärte er, diese heidnischen Tempel baue er nicht aus eigener Entschließung, sondern auf höheren Befehl Roms; und das Volk scheint ihm diese Lüge geglaubt zu haben. Dafür war er aber zu einer erheblichen Gegenleistung bereit: zur Aufführung einer Unzahl von Bauten im Lande selbst, und im Verfolg dessen zur gründlichen Durchdringung des Landes mit den Segnungen der Weltkultur.

Bei den Bauten, die Herodes im Lande Judäa aufführen ließ, verschlangen sich Erinnerungen und Absichten in der primitivsten Form. Es gab Orte, deren er zu gedenken allen Grund hatte. Da war zunächst der Ort, an dem er sich auf der Flucht vor dem siegreichen Antigonus in letzter Anstrengung der Verfolgung der Juden hatte erwehren können. Hier war ein Denkmal zu setzen. Auf einem Hügel unmittelbar neben dem Kampfplatz baute er mit einander verbundene Rundtürme, in denen prunkvolle Gemächer eingerichtet wurden. Von hier zur Ebene hinunter führte eine steile Treppe aus Steinquadern mit 200 Stufen. Am Fuße des Hügels und weiter in das ebene Gelände 217 hinein wurde eine kleine Stadt errichtet, zu der von weit her eine Wasserleitung gelegt wurde. Dieser neue Ort trug, wie es recht und billig war, seinen eigenen Namen: Herodeion. Auch eines anderen Ortes war zu gedenken: Samarias, wo er Mariamne geheiratet und wo er mit dem Tode gerungen hatte. Jochanan-Hyrkan hatte diese Stadt einmal zerstört und Pompejus hatte sie nur zum Teil wieder aufgebaut. Hier setzte Herodes mit einer außerordentlichen Anstrengung ein. Er erweiterte die Stadt beträchtlich. In der Mitte ließ er einen großen Platz freilegen, auf dem er einen geräumigen und kostbaren Tempel errichtete. Starke, weit ausgreifende Mauern umgaben das Ganze. Um den weiten Raum und die vielen Gebäude mit Menschen zu füllen, holte er nicht etwa Judäer dorthin, sondern besiedelte die Stadt und das Land ringsum – so wie es die Römer taten – mit ausgedienten Soldaten aus den früheren ausländischen Hilfstruppen und mit Kolonisten aus den benachbarten, nichtjüdischen Völkerschaften. So konnte er nicht nur ein Zeugnis seines Willens zur Verschmelzung der Völker unter der Einheit griechischer Kultur ablegen, sondern es auch zugleich rechtfertigen, daß er dort einen heidnischen Tempel errichtet hatte. Dem nunmehr völlig veränderten Charakter der Stadt trug er dadurch Rechnung, daß er ihr den Namen Sebaste (die griechische Form des Namens Augustus) beilegte. Damit war, eine Tagesreise von Jerusalem entfernt, ein heidnisches Zentrum geschaffen, eine Stadt, wie sie seinem Geschmack und seinen Absichten wirklich entsprach, eine steinerne Realisierung der Ideen, wie er sie als ein dem Judentum völlig 218 Fremder in sich trug. Hier konnte er seine zweite Residenz aufschlagen, die durch keine Nähe des Jerusalemer Tempels und durch keinen Zwang zu überflüssigen Rücksichtnahmen belästigt war.

Ein anderes Bauwerk, von dem her in der Folge immer wieder Eingriffe in die Geschicke Judäas erfolgten, errichtete er an dem Orte zwischen Ptolemais und Jaffa, der früher den Namen Stratonsturm trug (und heute, als Trümmerhaufen, den einige Araber bewohnen, Kaisariye heißt), eine prächtige Stadt, der er den Namen Caesarea am Meer gab. Zwölf Jahre lang wurde hier gearbeitet. Von weit her wurde das Baumaterial geschafft und eine Menge von blendend weißem Marmor verbraucht. In den Mittelpunkt der Stadt, auf einen Hügel, setzte er einen »Tempel des Augustus«, der weit über das Meer hin sichtbar war. (Er baute dem Augustus später, nahe der Quelle des Jordan, bei dem Orte Panium, noch einen zweiten kostbaren Marmortempel.) Zwei Bildsäulen befanden sich darin: eine des Augustus, eine andere, die die Stadt Rom verkörperte. Rings um den Hügel lagerten sich bis unmittelbar an das Meer die Wohnbauten, darunter mehrere Paläste und ein Theater aus großen Felsquadern. Die ganze Stadt wurde mit unterirdischen Längs- und Querkanälen durchzogen, die in das Meer mündeten, das Vorbild einer Anlage zum Abfluß von Unrat und Regenwasser. Das Hauptstück aber wurde der Hafen. Aus riesenhaften Felsblöcken, die in das Meer versenkt wurden, ließ er einen 200 Fuß breiten Wellenbrecher errichten. Daran schloß sich eine gleichfalls auf versenkten Felsblöcken ruhende Hafenmauer an. Der 219 Eingang des Hafens lag nach dem windgeschützten Norden zu. Türme flankierten ihn. Auf der großen Mauer standen Gewölbe für die Schiffer und Händler. Vor den Gewölben und rings um den Hafen lief eine breite Plattform, eine reguläre Strandpromenade. Den Abschluß bildete ein großes Amphitheater außerhalb der Stadt, von dem aus man einen Blick auf das Meer, den Hafen und die Pracht der Marmorbauten hatte. Man: das bedeutet nicht die jüdische, sondern die ausgesprochen syrische und griechische Bevölkerung der Stadt. Für die Juden schien ihm die Stadt zu kostbar und zu sehr im Zentrum der Weltkultur. Er siedelte dort eine Bevölkerung an, die aus Wesen und Erbschaft mit letzter Fremdheit und auch letztem Haß dem Juden gegenüber stand, für die Judäa noch mehr als feindliches Gebiet war, Gelände nämlich, in das man einzubrechen und das man zu unterjochen hatte. Hier lebte und entfaltete sich ein wohlgeschütztes Nest der Judenfeindschaft, von dem das jüdische Sprichwort sagte: »Caesarea erhob sich stets mit dem Niedergang Jerusalems.«

Andere Orte, wie die Festung Antipatris bei dem heutigen Kfar Saba am Rande der Ebene Scharon, die der Erinnerung an seinen Vater diente, und oberhalb von Jericho die Stadt Kypros als Erinnerungsmal für seine Mutter, und endlich im Norden von Jericho die Stadt Phasaelis, dem Andenken seines Bruders Phasael gewidmet, verankerten die Existenz seiner Dynastie als sichtbare Zeugen. Aber alle diese Bauten hatten noch – von ihrer Zweckbestimmung abgesehen, seine Geltung, seine Machtentfaltung und seine Kultur zu 220 bezeugen – einen Sinn, der sich schon aus ihrer Konstruktion und Anlage ergab: sie waren Festungen, wohl gefügte und bewehrte Zwingburgen im eigenen Lande. Über das, was sie notwendig machte, wird später zu sprechen sein.

Gründe der Repräsentation, der Bauwut, des Verlangens nach Pomp und Prunk erforderten endlich ein Werk, dessen Ausführung ihm sehr dringend war, an das er aber mit einer gewissen Behutsamkeit herangehen mußte: den Neubau des Tempels in Jerusalem. In diesem Punkte hörte zwar nicht seine Macht, wohl aber seine Sorglosigkeit auf. Hier konnte man ihm das Konzept empfindlich stören, denn der Tempel gehörte nicht ihm, sondern dem Volke, und ihn ließ es selbst von Mächtigeren als Herodes nicht anrühren. Kein Volk der Welt hat so um seinen Tempel gekämpft wie das jüdische. Dieses Symbol seines Lebenssinnes hat es erst im Augenblick seiner Vernichtung als Staat und landgebundenes Volk aus der Hand gelassen. Dann hat es sich neue Symbole geschaffen, deren Hintergrund die unausrottbare Hoffnung auf Wiederaufrichtung dieses Tempels war. Erst unsere Gegenwart des jüdischen Volkes hat mit einem weitgehenden und umfangreichen Verzicht auf eine geistige Begründung auch den Sinn für die schöpferische Bindungskraft von Symbolen verloren. Damals aber war der Tempel mehr als ein Symbol: er war die Realität, an der die Vergangenheit ihrer Tradition, die Gegenwärtigkeit ihrer Bemühungen und die Zukunft ihrer Hoffnungen geknüpft waren; und daran wagte Herodes nur mit allem Vorbehalt zu rühren. 221

Darum motivierte er sich. Er versammelte das Volk und hielt eine Ansprache, in der er sich in einer reizvollen Mischung von Selbstbewußtsein, Dünkel, Verlogenheit und geheimer Angst zugleich versteckt und zugleich enthüllt. Sie verdient, in ihren wesentlichen Partien wörtlich mitgeteilt zu werden: »Liebe Landsleute, ich halte es für unnötig, von den anderen Werken zu euch zu reden, die ich seit dem Beginne meiner Regierung vollbracht habe, obgleich sie alle derart sind, daß sie mehr eurer Sicherheit als meinem Ruhme dienen. Und da ich . . . bei der Ausführung meiner Bauwerke mehr für eure als für meine Sicherheit sorgte, so bin ich überzeugt, daß ich nach dem Willen Gottes das Volk der Juden zu einem Glück geführt habe, das es früher nicht gekannt hat. Doch ich halte es, wie gesagt, für überflüssig, euch alles einzeln aufzuzählen, was ich im Lande vollführt und wie ich durch Erbauung von Städten sowohl in eurem Gebiete als in den dazu gehörigen Landesteilen euer Volk zu großem Ansehen erhoben habe . . . Ich will euch jetzt nur mit wenigen Worten zeigen, daß das Werk, welches ich gegenwärtig in Angriff nehmen will, ebenso sehr der Ehre Gottes als eurem Ruhme dienen soll. Dieser Tempel ist von euren Vorfahren dem höchsten Gotte erbaut worden, als sie aus Babylon zurückgekehrt waren. Doch fehlen ihm an seiner Höhe noch 60 Ellen, um welche der frühere, von Salomo errichtete Tempel ihn überragte . . . Weil ich nun durch Gottes Gnade zur Regierung gelangt bin, einer langen Friedenszeit mich erfreue, große Reichtümer mir gesammelt habe, bedeutende Einkünfte beziehe, und, was 222 das Wichtigste ist, mit den Römern, den Herren der Welt, wie ich wohl sagen darf, in freundschaftlichem Verkehr stehe, so will ich mich bemühen, das, was unsere Vorfahren aus Not und weil sie unter fremder Herrschaft standen, nicht ausführen konnten, zu vollenden und dadurch Gott für die vielen Wohltaten, die er mir während meiner Regierung erwiesen hat, frommen Dank zu erstatten.«

Die erwartete jubelnde Zustimmung blieb aus. Das Volk hatte sowohl über die Frömmigkeit des Herodes wie über das Walten Gottes in Bezug auf sein Regiment durchaus seine eigenen Vorstellungen. Es war ihnen durchaus gegenwärtig, wie er sich der Herrschaft über Ströme von Blut bemächtigt hatte. Sie sahen jeden Tag, daß er, je nach den vorliegenden Bedürfnissen, bald Monotheist und bald Polytheist war. Die griechisch-römischen Tempel in der näheren und weiteren Umgebung bewiesen es zur Genüge. Von dem Ansehen, das er dem Lande Judäa verschafft hatte, entfiel auf das Volk nur der passive Anteil: die Verpflichtung, dieses Ansehen mit äußerster Anstrengung und mit dem Preis des wirtschaftlichen Ruins der Einzelnen zu finanzieren. Von dem Glück, das er ihnen pries, hatten sie bislang auch nicht einen Schimmer erhascht. Aber stärker als diese generellen war eine ganz konkrete Erwägung: der begründete Zweifel nämlich, ob er, wenn er den alten Tempel erst einmal abgerissen hatte, überhaupt einen neuen und nicht irgend ein griechisches Dekorationsbauwerk aufführen würde. Dazu kam ein weiteres Bedenken: an sich hatte das Volk gegen eine 223 Vergrößerung und Verschönerung des Tempels nichts einzuwenden. Als man ihn zur Zeit des Serubbabel baute, konnte man ihm aus Mangel an Mitteln nur eine sehr bescheidene Ausstattung geben, abgesehen von dem durch persischen Befehl verminderten Umfang. Jetzt war die Frage, ob Herodes, der mit tausenden von Talenten im Auslande um sich warf, überhaupt die Mittel haben würde, den Neubau wirklich zu Ende zu führen. Gegenüber diesen letzten Zweifeln – andere wagte man ihm nicht expressis verbis zu äußern, obgleich die allgemeine Niedergeschlagenheit des Volkes beim Anhören dieser frohen Botschaft eine eindeutige Sprache führte – entschloß sich Herodes zu einer Konzession. Er versprach, mit dem Niederreißen des alten Tempels nicht eher zu beginnen, als bis alle Vorbereitungen für den Neubau bis in das Kleinste getroffen seien. Hieran hielt er sich auch. Es wurden nicht nur die nötigen Fuhrwerke, Materialien, Werkzeuge beschafft, sondern es wurden auch Steinmetzen angeworben und vor allem eine genügende Anzahl von Priestern als Steinhauer und Holzschnitzer ausgebildet. Da nur Priester das innere Heiligtum betreten durften – Herodes hat das Kernstück seines Baues nie betreten dürfen – konnten auch nur sie das Niederreißen und den Aufbau dieser Räume besorgen. Er ließ auch, soweit nicht die für ihn reservierten Außenbauten in Frage kamen, alle das eigentliche Heiligtum angehenden Maße und Vorschriften von den Priestern und von schriftgelehrten Pharisäern bestimmen.

Während der Kern des Tempels in eineinhalb Jahren vollendet wurde, brauchten die Neulegung 224 der Fundamente, die umgebenden Höfe, die Nebenbauten, die zahlreichen Säulenhallen, die ungeheuren Mauern und ihre Befestigung einen Zeitraum von acht Jahren. Herodes verwandte darauf besondere Sorgfalt und Pracht, viel Gold und Marmor und Schnitzwerk, und selbstverständlich ungeheures Geld. Da er schon vorher seine Sorge um die Sicherheit des Volkes hinreichend betont hatte, konnte er die Befestigung, die die Hasmonäer an der Nordseite des Tempelgeländes angelegt hatten – sie diente zugleich zur Aufbewahrung des Gewandes, das der Hohepriester bei Opferungen anzulegen pflegte – zum Schutze des Volkes, der Stadt und des Tempels ausbauen und verstärken lassen. Zur Erinnerung an seinen Herrn und Freund Antonius nannte er sie Antonia. Aber bei der Gelegenheit zahlte er dem Volke für das Mißtrauen mit gleicher Münze heim. Er ließ sich einen Geheimgang anlegen, der von dieser Burg Antonia bis zum Osttor des Tempels führte. Dort ließ er sich einen besonderen Turm bauen, in dem er sich in Sicherheit zu bringen gedachte, wenn Unruhen im Volke ihn einmal dazu nötigen sollten.

Dieses Rechnen mit der Unruhe des Volkes hatte seine guten Gründe, die selbst Herodes nicht übersehen konnte. Zwar in diesem Augenblick der Vollendung des Tempels, als das neue Symbol in einer bisher ungekannten Pracht und Großartigkeit dastand, war das Volk wohl geneigt, um dieser einen Leistung willen vieles andere zu vergessen, oder sich doch gerade jetzt mehr mit der Freude über den Tempel als mit ihren vielen Vorbehalten gegen Herodes zu beschäftigen. Aber 225 selbst diese Freude noch mußte er dem Volke vergällen; gewiß nicht aus böser Absicht, sondern aus dem weit Schlimmeren: aus der bösen Gedankenlosigkeit und aus dem absoluten Unverständnis für die im Volke verankerten Ideengänge. Er ließ, als alles vollendet war, über dem Haupttor des Tempels einen riesenhaften Adler aus Bronze anbringen, für seine Augen ein reizvoller Schmuck und für seine Absicht eine Huldigung an Rom. Mit dieser Huldigung zierte er gewiß für sein Bewußtsein nicht den Tempel der Judäer, sondern nur ein Bauwerk, auf das er besonders stolz war und für das er die gebührende Bewunderung der Welt erntete. Sein Volk konnte es so nicht sehen. Zu irgend einer Huldigung an Rom hatte es nie einen Anlaß gehabt. Daß dieser und jener römische Gebieter sich den Juden gegenüber wohlwollend verhielt, betraf nur ihn persönlich und nicht Rom als Wesen und Erscheinungsform. Rom war Fremdes, das man ablehnte. Mit Rom gab es keine Verständigung. Rom war ein Imperium, das sich zwar immer im Sinn seines Tuns mit höheren Zwecken rechtfertigte, das aber als Motiv seines Tuns nichts als die von niemandem gegebene Legitimation zur Unterwerfung der Welt bis an die Grenze des Möglichen vorweisen konnte. Daß es sich in den unterworfenen Ländern im allgemeinen einer Einmischung in die religiöse und kulturelle Sphäre enthielt, war keineswegs Toleranz, sondern Politik, die die Unterwerfung erleichtern sollte. An Judäa geriet diese Politik zudem in einem Augenblick, in dem die innere Problemstellung des Volkes sich in den Grenzgebieten des Nationalen bewegte und daher gegen politische Eingriffe von 226 der Art der massiven römischen Brutalität besonders empfindlich war. Für dieses Rom wurde jetzt an dem Zentralheiligtum ein Symbol angebracht. Es hätte sich überall sonst befinden können; nur nicht dort. Und es wurde angebracht von dem, der zwar offiziell von eigener, in Wirklichkeit aber von Roms Gnaden über das Volk herrschte und es mit den Mitteln Roms, vermehrt um sein persönliches Barbarentum, beherrschte. Nicht umsonst ist in der Denkweise des Volkes, in den Aggadoth und den eschatologischen Legenden, der Begriff Edom-Idumäa als ein Deckbegriff für den Namen Rom gemeint.

Aber auch wenn es hier nicht um ein verfängliches Symbol, sondern nur um einen unverfänglichen Schmuck gehandelt hätte, wäre die Reaktion des Volkes die gleiche geblieben. Die Frage, wie weit die bildende Kunst bei den Juden geübt oder wie weit sie aus mißverstandener Interpretation biblischer Texte nicht mehr geübt wurde, spielt hier keine Rolle. Entscheidend und keiner Interpretation zugänglich war die Tatsache, daß der Kult ein bildloser war und daß aus der Umgebung Gottes, aus seinem Tempel, bewußt alles ferngehalten wurde, was diese Bildlosigkeit auch nur in der Andeutung hätte aufheben können. Wäre das nicht schon jüdisches Erbteil des Bewußtseins und damit jüdisches Gesetz gewesen, es hätte sich als eine Folgerung aus dem strengen Monotheismus schon einstellen müssen als eine Reaktion auf das, was die Welle der hellenistischen Welt an die Grenze Judäas und oft auch an die Grenze des Tempels herantrug. So viel Heidentum, so viel gefälliges und machtloses Bildwerk, so viel philosophisch 227 begründete und doch menschlich hilflose Unterordnung unter die Machwerke von Künstlern und Steinmetzen riefen förmlich nach einer vermehrten, strengeren, rücksichtsloseren Abgrenzung. Es mußte einen Fels geben, an dem die Brandung der zahllosen Götter zwar wütend hinauf schlug, aber sich doch letzten Endes brechen mußte. Hier wurde gegen das nur optische Schauen das reine Schauen, das wirkliche Erschauen gestellt. Und dieses reine Schauen bedeutet so viel, daß man das ganz unzweifelhafte Verdienst, die Welt mit religiöser Kunst beschenkt zu haben, ohne die geringste Anwandlung von Neid den Völkern überlassen muß, die sie geschaffen haben. Es ist nicht Allen Alles gegeben. Wenn es nur diese religiöse plastische Kunst gäbe und gegeben hätte, so hätte es auch kein Volk gegeben, und gäbe es kein Volk, das seiner inneren Möglichkeit nach als einziges die Menschen immer wieder zurückführen kann auf das Eine, das Unbedingte, das Nicht-Sichtbare, das nur dem Erleben Zugängliche.

Herodes, von seinem neuen und wohlbefestigten Palaste aus, konnte die Äußerungen des Unwillens über das heidnische und römische Symbol nicht zur Kenntnis nehmen. In der rauschenden Festlichkeit der Tempeleinweihung, die er in sinniger Weise mit seinem Regierungsjubiläum verknüpfte, wurde ihm nur die Größe und Herrlichkeit seines Werkes bewußt. Auch für ihn war dieses Werk ein Symbol, aber eines, das – rein als Bauwerk betrachtet – Zeuge seines Willens zur griechisch-römischen Kultur war. Die Realität, für die ein Symbol immer nur der zusammenfassende, sublimierte und zuweilen sakrale Ausdruck ist, vermaß 228 er sich dem Lande und seinen Bewohnern zu verschaffen. Die Wege waren vorgezeichnet. Es waren äußerliche, aber sehr sichtbare Wege, und es stand zu hoffen, daß das Volk sie eines Tages so akzeptieren würde wie ihr König: aus dem Beteiligtsein daran. Es hatte zu diesem Zwecke nur die alten Bräuche und Gewohnheiten und Feste der Jahrhunderte gegen die der sterbenden hellenistischen Welt einzutauschen. Rom hatte ein gleiches getan und war gut dabei gefahren. Rom hatte zum Beispiel die olympischen Spiele kopiert und zum Andenken an die Schlacht bei Aktium und zu Ehren des Augustus großartige Festspiele eingerichtet. Herodes kopierte jetzt seinerseits diese Feste. Er baute in Jerusalem selbst ein großes Theater und vor der Stadt, unter offenem Himmel, ein geräumiges Amphitheater. Hier wurden, in Abständen von je fünf Jahren, bombastische Schauspiele und Wettkämpfe zu Ehren des Augustus aufgeführt. Herodes ließ es an keiner Mühe und keinem Aufwand fehlen, sie prunkhaft auszugestalten. Den bedauerlichen Mangel an Besuchern aus seinem eigenen Königreich – nur seine Freunde, Diener, Gäste und wenige Judäer besuchten diese Spiele – glich er durch Einladungen aus, die er in alle Welt, insbesondere an die benachbarten Völkerschaften ergehen ließ. Die Programme wiesen jeweils alles auf, was solche Veranstaltungen traditionsgemäß zu bieten hatten: Schauspiele, musikalische Wettbewerbe, Ringkampfkonkurrenzen, Wettfahren auf Wagen mit zwei und vier Rädern, Kämpfe zwischen wilden Tieren oder zwischen Raubtieren und Menschen, die zu Tode oder einfach auch nur zu diesen Kämpfen verurteilt waren. Wertvolle, von 229 Herodes gestiftete Preise, die Masse der gebotenen Vergnügungen und der nach jeder Richtung hin entfaltete Pomp und Prunk machten diese Schaustellungen für berufsmäßige Kämpfer, Amateure und die Schaulustigen des Auslandes zu einer ausgesprochenen Attraktion.

Die Judäer kamen, wie gesagt, als Zuschauer für solche Darbietungen nicht in Betracht. Sie hatten im doppelten Sinne eine Tradition dagegen einzusetzen. Ihre Vorfahren hatten solche Feste nicht gekannt. Alle jüdischen Feste, so weit sie aus der heidnisch-kanaanäischen Umwelt ursprünglich übernommen waren, waren mit einer Kraft und Endgültigkeit sublimiert worden, die sie völlig ihres früheren Charakters entkleidete und sie – aus der Tiefe der geistigen Motivierung her – zu absolut selbständigen Schöpfungen ihrer religiösen Lebenskraft machte. Zu diesen in der Tradition und im Volksleben verankerten Festen neue, aus dem Ausland bezogene Feste hinzuzufügen, sahen sie nicht den mindesten Anlaß. Es gab da zudem Dinge, für die sie selbst bei gutem Willen kein Verständnis aufbringen konnten, vor allem die Tierkämpfe. Um Geschmack daran zu finden, wilde Bestien und von Todesfurcht gehetzte Menschen sich wechselseitig zerfleischen zu sehen, mußte man sich schon den einen oder den anderen innerlich irgendwie verwandt fühlen. Das taten die Juden nicht. Gottes Kreatur zum Gaudium von atemlosen Zuschauern als Sieger gegen Raubtiere oder als zerfetzte Fleischmassen zu sehen, war mit ihren Vorstellungen von Sittlichkeit und der Würde des Menschen auf keine Weise in Übereinstimmung zu bringen. Sie durften von da aus 230 die Welt, die von eben diesen Zuschauern vertreten wurde, mit vollem Recht ablehnen und verwerfen.

Für die Bauten des Herodes hätten sie vielleicht einiges Verständnis aufgebracht, wenn nicht eine Reihe von wesentlichen Gründen dem entgegengestanden hätte. Schon das alleine wäre ein genügender Grund zur Ablehnung gewesen, daß sie über das Maß ihrer Kräfte hinaus für diese Dinge arbeiten mußten, deren Notwendigkeit man mit Fug und Recht bestreiten kann. Nur für die Bauwut eines kleinen Despoten zu fronen, ergab keine angemessene und würdige Existenz. Das Volk hatte durchaus andere Sorgen als die Errichtung griechischer Säulen, Giebel, Marktplätze und Theater. Es hatte schon – im Gegensatz zu den meisten anderen Völkern – historische Erfahrungen gesammelt. Es wußte schon, wie diese zierlichen oder mächtigen Bauwerke eines Tages enden und zusammenfallen, vom Schutt überdeckt und vom Staub verweht werden. Diese dekorativen Vergänglichkeiten imponierten nicht mehr. Sie gaben dem Auge für den Augenblick Schönheit und dem Bewußtsein für die Gegenwart ein Machtgefühl. Aber mit solcher Freude – auch das hatten sie schon erfahren – konnte man weder das Leben des Einzelnen auffangen noch das Leben der Gemeinschaft gestalten. Und das war ihr spezifisches Problem. Ihre Städte und Märkte durften zum Ausgleich dafür ruhig schlichter, sogar barbarischer aussehen.

Daneben war aber auch die Zweckbestimmung dieser Bauten, sie vermittels des Festungscharakters in Schach zu halten, gewiß kein Ansporn zum 231 Interesse und zur Liebe. Endlich aber auch geschah mit diesen Bauten das gleiche, was mit den Kampfspielen und den Theateraufführungen in Jerusalem geschah: sie wurden als Werkzeuge zur Gräzisierung des Landes benutzt; zu dem eindeutigen Versuch der zwangsweisen kulturellen Assimilation. Und hier begann das Problem von brennender Aktualität zu werden.

Es war, im Grunde genommen, keine neue, sondern eine verschleppte Aktualität, die sich in Hebungen und Senkungen durch mehr als zwei Jahrhunderte zog. Mit dem Einbruch des Hellenismus hatte sie begonnen. Von der Assimilation im eigenen Lande unterstützt, war sie zu einer Gefahr geworden, die einen Übergang von der passiven Resistenz zur aktiven Gegenwehr nötig machte. Die Makkabäer waren aufgetreten. Die Freiheit war errungen worden. Was die Makkabäer erreicht, hatten die Hasmonäer überschritten und in dieser Überschreitung Risse freigelegt, durch die das alte Problem sich wieder einnisten konnte. Aber diesesmal saß es mit dem Anschein der Legitimität nicht nur in den eigenen Reihen, sondern als autorisierte Herrschaft über ihnen. Gegenüber einem Antiochus Epiphanes konnte man noch verlangen, daß die Trennungslinie zwischen der politischen Oberhoheit und der kulturellen Unabhängigkeit gezogen werde. Dem eigenen König gegenüber konnte man es mit rechtlicher Wirksamkeit eigentlich nicht verlangen, denn schon vor der endgültigen juristischen Formulierung hat sich die Gewaltherrschaft aller Zeiten auf den Standpunkt des cuius regio eius religio gestellt. Und dennoch hörten die Judäer nicht auf, dem einen älteren, 232 gültigeren Satz gegenüber zu stellen, den, der sich aus der autonomen geistigen Erbschaft ihrer Jahrhunderte ergab. Herodes als politischen Regenten zu akzeptieren, waren sie durch das Übergewicht seiner Machtmittel so gezwungen, wie sie vorher Babylonien, Persien, die Ptolomäer und die Seleuziden zu akzeptieren gezwungen waren. Aber auch diesesmal waren sie in der Mehrheit des Volkes entschlossen, nicht weiter zu gehen. Bei der vielfachen Form der Knechtschaft noch das Bestimmungsrecht über Glaube, Sitte und Kultur zu verlieren, waren sie nicht bereit. Sie waren auch nicht dazu in der Lage. Der Sinn selbst zivilisatorischer Assimilation war in jenen formgebundenen Zeiten ein anderer als in der Gegenwart. Alle diese griechisch-römischen Kulturgüter waren noch im äußersten Umfange Exponenten und gebundener Ausdruck einer geistigen Haltung, einer Weltanschauung, in deren Kern alles lag, was dem jüdischen Geiste nicht gemäß war und ihm vielfach widersprach. Die Kulturen waren noch nicht objektiviert; und so weit sie unmittelbarer Ausdruck eines religiösen Gehaltes waren, stellten sie für den Juden, dessen Gott schon nicht mehr zu erschüttern war, eine heidnische Götterwelt im letzten und entscheidenden Stadium ihres Zusammenbruches dar. Es gab aber auch keine Möglichkeit, dieses fremde Kulturgut in aktiver Weise zu assimilieren, denn die eigene Formenwelt war gesättigt. Sie war aber auch von der Umwelt bedrängt, und dieses Bedrängtwerden verlangte aus dem Bewußtsein, den größeren Wert zu besitzen, nach Schutz und Abschließung. Nur in jener Freiheit, die eine unbeeinflußte Wahl und 233 Auswahl ermöglicht, kann die aktive Assimilation, die Aufnahme und selbständige Verarbeitung anderen Denkens und anderer Denkkategorien wirksam einsetzen.

Aus diesem Bewußtsein her entstand gegen die vielen bedenklichen Vorbereitungen, die Herodes traf, ein vielfaches Mißtrauen und eine erhöhte Wachsamkeit. Herodes mußte um der Ruhe willen, die er in jeder Hinsicht brauchte, zuweilen diesem Mißtrauen Rechnung tragen. Jede Äußerlichkeit genügte schon, es zu erregen. Da gab es zum Beispiel im Theater und auf den öffentlichen Plätzen Nachbildungen der Taten des Augustus und Trophäen aus den vielen Kämpfen. Die Judäer waren überzeugt, daß hinter diesen Trophäen sich Bildnisse verbargen, und diese Bildnisse wollten sie nicht dulden. Herodes versuchte ihnen ihre Bedenken auszureden. Seine Reden machten sie nur noch mißtrauischer und erregter. Sie erklärten kategorisch, daß sie zu allem übrigen nicht auch noch Bildnisse in der Stadt dulden würden. Da mußte sich Herodes dazu herbeilassen, diesem ungebildeten und völlig unaufgeklärten Volke das Geheimnis der Trophäen zu enthüllen. Er lud eine Reihe der angesehenen Judäer in das Theater. Er fragte nach dem Sinn der Trophäen. Auch sie erklärten sie ohne weiteres für versteckte Bildnisse. Da ließ Herodes diese Trophäen abmontieren und ihnen beweisen, daß sich nur ein Holzgestell darunter befinde. Er erntete für diese Aufklärung ein ungeheures Gelächter, gemischt aus der endlich beseitigten Sorge und aus der Verachtung für diese Spielerei mit Dekorationsstücken, die nicht einmal Götterbilder waren. Aber Herodes nahm diese 234 Demütigung gelassen hin, da sie ihm wenigstens von dieser Richtung aus Ruhe verschaffte.

Im übrigen blieb Grund zur Unruhe genug. Eine ihrer Hauptquellen war die wirtschaftliche Lage, die eine direkte Folge der Verschwendung war, die Herodes trieb. Das ganze Land lebte von der Hand in den Mund, ohne Reserven, da das Letzte aus ihnen herausgeholt wurde. Es gab endlich nur noch Fleiß und Armut im Lande, und man war gegen keine Ungunst der Verhältnisse geschützt. Das zeigte sich mit erschreckender Deutlichkeit, als im Jahre 24 das Land infolge anhaltender Dürre eine Mißernte aufwies. Vorräte gab es nicht. Sie waren längst in Form von Abgaben an den König gewandert und verkauft worden. Das Saatgut des nächsten Jahres mußte verzehrt werden. Die ungenügende Ernährung erzeugte Krankheiten und die unzureichende Möglichkeit, die Kranken zu pflegen, führte wieder zu einer vermehrten Sterblichkeit. Diesesmal bekam selbst Herodes den Mangel zu spüren, da er sich hemmungslos verausgabt hatte und jetzt die gewohnten Einnahmen plötzlich ausfielen. Die Gefahr, die ihm selbst drohte, war eine doppelte: das Volk begann sehr deutlich zu murren und die Anzeichen einer allgemeinen Empörung waren nicht mehr gut zu übersehen. Aber auch wenn sie sich in ihr Schicksal fügten, bestand die Gefahr, daß sie in ihrer Leistungsfähigkeit vermindert würden. Und das mußte unter allen Umständen vermieden werden, denn an der materiellen Leistungsfähigkeit des Volkes hing die Existenz des Herodes als Mächtiger und als Kulturträger.

Eine gutartige Geschichtsschreibung, die aus einer 235 einmaligen Handlung einen Charakterwechsel herleiten möchte, versucht, der Aktion, mit der Herodes jetzt einsetzte, den Charakter einer liebevollen Fürsorge für das Volk zu geben. Es war eine rein egoistische und von der letzten Angst diktierte Vorsorge, daß die Milchkuh trocken werden möchte.

Da Herodes alle seine Einnahmen verschleudert hatte, blieb ihm nichts übrig, als all sein aufgespartes Gold und die im Palast angehäuften Kostbarkeiten in die Münze zu schicken, um mit dem geprägten Geld große Getreideeinkäufe in Ägypten zu tätigen. Als die Sendungen in Judäa eintrafen, ließ er zunächst in gebührender Weise verkünden, daß er persönlich dieses Getreide spende und daß das Volk ihm allein seine Rettung verdanke. Weiterhin erließ er ihm ein Drittel der bereits verfallenen Abgaben, wobei angenommen werden muß, daß er sie ohnehin nicht bekommen hätte. Dann begann er mit der Verteilung und legte damit den Grund zu den weiteren Einnahmen. Er verteilte sogar über das Land hinaus bis nach Syrien Getreide, um sich wenigstens vom Ausland her einer unbezweifelten Würdigung seiner Güte und Fürsorge zu erfreuen. Auch jeder, der sich aus der näheren und weiteren Nachbarschaft an ihn wandte, erhielt Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt.

Solche Leistungen entsprachen im übrigen dem Zuwachs an äußerer Macht, deren er sich erfreute. Seine Hinwendung zu Rom hatte sich, wenn das möglich war, noch verstärkt. Es war nur selbstverständlich, daß er die beiden Söhne, die er aus der Ehe mit Mariamne hatte, Alexander und 236 Aristobul, zur Erziehung und zur Repräsentation nach Rom gab. Aus seiner Hofhaltung in Jerusalem machte er einen Sammelpunkt für römische und griechische Gelehrte, Politiker und Reisende. Seine persönlichen Beziehungen zu Augustus und seinem Schwiegersohn Agrippa besserten sich ständig und wurden eifrig gepflegt. Sobald ein Mitglied des römischen Kaiserhauses auch nur in gerade erreichbarer Nähe war, setzte Herodes alles in Bewegung, eine Begegnung herbeizuführen und möglichst eine Einladung nach Judäa anzubringen. So gelang es ihm, Agrippa auf seiner zweiten Reise nach Asien nach Judäa zu bringen, ihn festlich zu empfangen, ihm die neuen Städte zu zeigen, ihm von der Bevölkerung zu Jerusalem einen Festzug bereiten zu lassen, wofür Agrippa sich durch die Opferung einer Hekatombe im Tempel erkenntlich zeigte. Im nächsten Jahre unternahm er eine förmliche Odyssee, die ihn über Chios, Mytilene und Byzanz führte, nur um eine zweite Begegnung zu ermöglichen, die dann auch endlich auf hoher See erfolgte. Solche Beweise der Ergebenheit und Hilfsbereitschaft trugen ihm eine sehr beträchtliche Erweiterung seines Reiches ein, wenn er sich auch zum Teil diese Erweiterungen erst mit der Waffe in der Hand erkämpfen mußte. Aber solche Kämpfe sind Herodes immer gelungen. Er hat nichts bekriegt, was er nicht eines Tages endgültig besiegt hätte. Im Ergebnis erweiterte er sein Gebiet um das transjordanische Trachonitis sowie um den Basan und den Hauran, und späterhin, als ihm zugewiesene Erbschaft eines einheimischen Tetrarchen, einen Gebietsteil nördlich vom Tiberiassee. Dadurch bekam Judäa einen Umfang, 237 der noch über den durch die hasmonäischen Eroberungen geschaffenen hinausging. Anklagen, die anläßlich dieser Besitzergreifungen von den Vertretern der eingesessenen Völkerschaften bei Augustus und Agrippa wegen der Härte und Tyrannei des Herodes vorgebracht wurden, hatte er jetzt nicht mehr zu fürchten. Sie wurden zum Teil garnicht mehr zur Kenntnis genommen, zum Teil so entschieden abgewiesen, daß die Ankläger, um ihr Leben erschreckt, das Weite suchten. Herodes konnte jetzt sogar so weit gehen, sich von Augustus für seinen Bruder Pheroras die Tetrarchie über den Norden und die Mitte von Transjordanien, das von da an Peräa genannte Gebiet zu erbitten. In weiser Voraussicht für die Zukunft und für eine verbreiterte Basis der antipatridischen Dynastie stellte er seinem Bruder aus seinen eigenen Einkünften einen größeren jährlichen Betrag zur Verfügung, der ihm, falls Herodes einmal sterben würde, seine Unabhängigkeit garantieren sollte.

Die Sorgen für die eigenen Interessen und Ziele ließen für eine Beschäftigung mit den Interessen seiner Untertanen keinen Raum. Aber ein merkwürdiges Interesse hat Herodes stets für die Juden in der Diaspora aufgebracht. Hier, wo man sein Verhalten nicht aus der Nähe kannte, wo man ihm nicht fronen und sich ihm nicht unterordnen mußte, wo der Glanz ungeschwächt aus der Entfernung kam, konnte er mit aller Aussicht auf Anerkennung eine fürsorgliche Tätigkeit entfalten. Wo in Syrien oder Kleinasien Juden sich in ihren Rechten gegenüber der umgebenden Mehrheit beeinträchtigt glaubten, konnten sie auf Herodes rechnen. Er setzte dafür sogar seinen 238 Geschichtsschreiber Nikolaus von Damaskus in Bewegung, der ihm als Advokat und Sprecher zu dienen hatte. Die ionischen Juden zum Beispiel hatten eine Reihe von wesentlichen Beschwerden, die alle auf eine Beeinträchtigung ihres Kults und ihres Glaubens hinausliefen: sie wurden an ihren Festtagen vor Gericht geladen; man nahm ihnen das Geld fort, das sie als Tempelabgaben nach Jerusalem schicken wollten; man zwang sie zum Heeresdienst und zu öffentlichen Arbeiten und störte sie überhaupt in der Befolgung ihrer eigenen Gesetze.

Hier verwendet sich Herodes energisch. Es ist ein Plädoyer des Nikolaus von Damaskus zu diesem Thema erhalten, dessen allgemeine inhaltliche Authentizität aus Gründen der psychologischen Wahrscheinlichkeit angenommen werden muß. Hier werden Dinge vernehmbar, die im Munde eines Advokaten des Herodes höchst erstaunlich klingen; Äußerungen wie diese: »Wollte man nun die Juden fragen, was sie lieber verlieren möchten, ihr Leben oder ihre heimischen Gebräuche, Aufzüge, Opfer und Feste, womit sie ihre Gottheit ehren, so weiß ich bestimmt, daß sie eher alles Schlimme zu erdulden, als irgend eine ihrer väterlichen Satzungen aufzugeben bereit sind. Führen sie doch ihre meisten Kriege deshalb, weil sie dieselben schützen wollen . . . Übrigens gibt es in unseren Satzungen nichts, was der Menschlichkeit widerspricht, vielmehr entspricht alles darin Enthaltene nur der Gottesfurcht und einer heilsamen Gerechtigkeit . . . Der siebente Tag ist bei uns zur Unterweisung in unseren Gebräuchen und Gesetzen bestimmt, damit diese Gesetze, durch deren Befolgung wir vor Sünden bewahrt bleiben, 239 ebenso wie alle anderen Vorschriften gehörig beachtet werden. Wenn es mir nun gestattet ist, einige Worte darüber zu sagen, so will ich darauf hinweisen, daß die Gesetze überaus vortrefflich sind und dazu auch noch ein ehrwürdiges Alter aufweisen . . . Auf den Vorteil des hohen Alters wird aber gerade der besonderen Wert legen, der mit frommem Gemüt die Gesetze befolgt, wie sie überkommen sind. Diese Gesetze will man uns nun mit Gewalt und widerrechtlich rauben . . .«

Diese Ansprache ist an Agrippa gerichtet. Neben Agrippa sitzt Herodes. Alles, was hier von seinem Historiker gesagt wird, muß also wohl auch vor ihm bestehen können; das heißt: er muß sich wohl damit identifizieren. Und er wird es, so lange er dasaß und zuhörte, sicherlich auch getan haben. Er war so durchaus ohne Glaube, daß er jeweils einen Glauben hatte, und so ohne Gesinnung, daß er sich von Fall zu Fall mit einer Gesinnung weitgehend identifizieren konnte. Hier geht die Identifizierung so weit, daß der Appell an Agrippa, zum Schutze der jüdischen Tradition aufzutreten, wesentlich mit der Person und den persönlichen Verdiensten des Herodes motiviert wird. Nikolaus sagt: »Um euch aber zu zeigen, daß wir in der Tat eures Wohlwollens würdig sind, können wir von allem anderen absehen und brauchen nur auf den hinzuweisen, der unser Herrscher ist und jetzt an deiner Seite sitzt. Gibt es irgend eine Gefälligkeit, oder einen Dienst, den er euch nicht erwiesen hätte? Oder habt ihr je seine Treue vermißt? Oder gibt es eine Ehrenbezeugung, die er euch nicht geleistet und zu der er nicht vor allen Anderen sich angeschickt hätte? Wer wollte 240 also leugnen, daß euren Wohltaten die größten Verdienste auf seiner Seite entsprächen?«

Gewiß mußte ein solcher massiver Hinweis auf die Dienstfertigkeit des Herodes dem römischen Herrn gegenüber dazu führen, daß den Beschwerden der Diasporajuden stattgegeben wurde. Herodes versäumte nicht, das als einen persönlichen Erfolg zu buchen und ihn nach seiner Heimkehr in das rechte Licht zu setzen. Er berief, so bald er in Jerusalem angekommen war, eine Volksversammlung und erstattete Bericht über das Ergebnis der Reise. Darin war das Hauptstück, daß er für die Juden in ganz Asien die Bestätigung ihrer Rechte erwirkt habe. Daran knüpfte er in seiner Unbefangenheit geziemende Bemerkungen über seine erfolgreiche Regierung und über die stete Fürsorge für das Wohl des Volkes. Zur Bekräftigung dieser Fürsorge erklärte er, daß er dem Volke ein Viertel der Abgaben des verflossenen Jahres – also verfallene und offenbar nicht mehr eintreibbare Abgaben – erlasse.

Der schlichte Flavius Josephus notiert, daß das Volk sich nach Anhören dieser Rede voll Bewunderung für ihren König und in hellem Jubel entfernt habe. Es ist kein Zweifel daran zulässig, daß das unrichtig ist und daß hier nur eine Verbeugung gegen die Gnade Roms in der Behandlung der Diasporajuden einen abschließenden und romanhaften Schnörkel erfährt. Die ganze Situation im Lande war durchaus nicht derart, daß der Erfolg ausländischer Juden und die Ersparnis von drei Monaten Abgaben die dichte Decke von Bedrückung und stiller Revolte durch einen spontanen Jubel hätte aufheben können. Herodes hatte gute 241 Gründe, vor das Volk mit solchen Berichten und mit der Gebärde des Wohlwollens hinzutreten. Es war eine captatio benevolentiae, die die geheime Gährung etwas besänftigen sollte. Die Widerstände, auch wenn sie einstweilen passiv blieben, wurden doch immer spürbarer. Schon die betonte Art, in der die geistigen Führer des Volkes sich von allen öffentlichen Ämtern und von aller öffentlichen Betätigung für das Gemeinwesen fernhielten, gab zu denken. Ihnen folgte die große Masse des pharisäisch gesinnten Volkes. Man konnte sie höchstens zur Leistung von Abgaben zwingen. Aber man konnte sie nicht zwingen, ihm und dem römischen Kaiser den Eid der Treue zu leisten, wie Herodes es verlangte. Tausende weigerten sich ausdrücklich, ihm diese Treue zu versprechen. Sie waren im Gegenteil bereit, sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu brechen. Das wußte Herodes. Er hatte nicht den Mut, diese steife Opposition mit groben Mitteln anzupacken. Er begnügte sich damit, ihnen Geldstrafen aufzuerlegen. Es genügte ihm schon, daß der Widerstand nicht aktiv wurde. Im übrigen kam ihm diese Selbstausschaltung von allen öffentlichen Angelegenheiten zustatten. Er konnte so ungehinderter seine inneren Reformen vornehmen. Er konnte dem Synhedrion seine Funktion als mitbestimmendem Verwaltungskörper nehmen und daraus eine Institution nach Art eines Kronrates machen, eine ungefährliche Einrichtung, einen für seine Interessen brauchbaren organisatorischen Apparat, in dem seine nächsten Freunde und Verwandten als seine persönlichen Beauftragten fungierten. Auch das Hohepriestertum, zu dem er sich den 242 ungehinderten Zugriff durch die Ermordung des jungen Aristobul gesichert hatte, verwaltete er so, wie es Antiochus Epiphanes getan hatte: nicht als eine Institution der Theokratie, sondern als ein Instrument der absoluten Monarchie, als ein politisches Werkzeug; zuweilen auch nur als ein Amt, durch dessen Vergebung er sich persönliche Vorteile erkaufen konnte. Das geschah, als er wieder einmal nach einer Frau Gelüste hatte. Sie hieß auch Mariamne und war durch ihre Schönheit berühmt. Er hätte sie, wie er es in vielen anderen Fällen tat, einfach zu seiner Konkubine gemacht, wenn nicht die relativ angesehene Stellung ihrer Familie ihn daran gehindert hätte. Er mußte schon den Umweg machen, den er später noch mehrmals gemacht hat: den über eine legitime Ehe. Der Vater dieser Schönen hieß Simon und war der Sohn des Priesters Boëthos aus Alexandrien. Dieser Simon ben Boëthos, ein völlig gräzisierter Jude, war aber andererseits als schlichter Priestersohn auch nicht für eine verwandtschaftliche Verbindung mit dem antipatridischen Königshause geeignet, und so mußte er, um der jungen Dynastie würdig zu sein, gesellschaftlich gehoben werden. Zu diesem Zwecke wurde der derzeitige, von Herodes selbst ernannte Josua ben Phiabi abgesetzt und Simon ben Boëthos statt seiner ernannt. Um ihn sammelte sich später der assimilationsbereite Kern der guten Gesellschaft. Aber Herodes konnte jetzt die zweite Mariamne heiraten. Ob er dabei das Gefühl gehabt hat, daß auf sein verzweifeltes Rufen von einst wenigstens eine andere Mariamne Antwort gegeben habe, bleibt nach der sonstigen erotischen Hemmungslosigkeit, mit der 243 er durch die Jahre trieb, füglich zu bezweifeln.

Einem solchen generellen Verhalten gegenüber konnte verständlichermaßen die Erwirkung von Rechten für Juden in der Diaspora und der Erlaß von Steuern kein Gewicht haben. Es gab auf der ganzen Linie zu viele Möglichkeiten, sich zu verfehlen und durch die grundlegende Verschiedenheit der Auffassungen in Widerspruch und Spannung zu geraten. Herodes verstand nicht, was diese Menschen wollten. Sie murrten aus Anlässen, die er für durchaus unverfänglich oder sogar für weise Maßnahmen seiner Regierungskunst hielt. Unter den Maßnahmen, die er traf, um die für seine Zwecke erforderliche Ordnung im Lande herzustellen, rangierte auch der Erlaß eines neuen Gesetzes gegen den Diebstahl. Es bestimmte, daß Diebe als Sklaven in das Ausland verkauft werden sollten. (Der Erlös aus dem Verkauf dieser Untertanen wäre natürlich in die Kasse des Königs geflossen). Dieses Gesetz trug ihm eine Unsumme von Feindschaft ein. Hier ist einer der Fälle gegeben, an denen sichtbar wird, wie die festgefügte moralische Auffassung der Juden dem entgegenstand, was Herodes tat, wobei seine Motive ganz gleichgültig waren. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Diebstahl im Lande als Folge der fortschreitenden Verarmung zugenommen hatte. Da ist an sich schon die neu eingeführte Strafe – gegenüber dem nackten Tatbestand des Diebstahls – drakonisch. Sie war aber auch ein Verstoß gegen das geltende Volksgesetz. Hiernach wurde der Dieb verurteilt, je nach der Spezifikation des Falles das Zweifache bis zum Fünffachen des entwendeten Betrages als Schadenersatz zu 244 leisten. Konnte oder wollte er nicht zahlen, so konnte er in eine Schuldknechtschaft als unfreier Arbeiter verkauft werden, bis er entweder den Schaden durch seinen Verdienst ausgeglichen hatte oder bis jene Frist verstrichen war, über die nach jüdischem Gesetz hinaus ein Sklaventum überhaupt nicht möglich ist: sechs Jahre. Über den Rechtsverstoß hinaus – die unzulässig schwere Bestrafung eines Diebes – stellte die Art der Strafe: die unbeschränkte Sklaverei, noch dazu im nichtjüdischen Ausland, einen empfindlichen Verstoß gegen die religiösen Grundbegriffe des Volkes dar. Stärker noch als die rechtliche Entgleisung erkennt das Volk die Verletzung eines moralischen Begriffes; und es beginnt zu rebellieren. Diese Rebellion explodierte endlich in Einzelaktionen, die mit Schnelle und Härte immer wieder unterdrückt werden mußten. Das war eine mühselige Arbeit, denn die Juden reagierten sinngemäß. Sie rebellierten für ihre Idee gegen eine fremde Idee. Sie rebellierten aus der verletzten Gesinnung. Das war seit je ihr Privileg. Die übrigen Völker der Welt, von der secessio plebis in montem sacrum an, kannten nur die Hungerrevolte. Die Maßnahmen, die Herodes treffen mußte, um hier ein Gegengewicht zu schaffen, stellten klar, daß solche Revolten vielfach vorkamen. Ein ausführlicher Bericht liegt nur über eine einzige vor; aber sie ist voll von typischen Zügen. In einer Gruppe von Verschwörern hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, daß die mangelnde Rücksichtnahme auf die Sitten und Gesetze des Volkes, die ostentative Verletzung ihrer Einrichtungen, dieses rücksichtslose Hineintragen fremder und die 245 achtlose Beseitigung eigener Lebensformen nicht länger geduldet werden könne. Für sie war Herodes nicht das, als was er sich ausgab: der liebevolle Beschützer des Volkes; sondern das, was er wirklich nach seiner Haltung und seinen Handlungen war: der ärgste Feind des Volkes. Zehn Mitglieder dieser Gruppe beschlossen, Herodes zu beseitigen. Unter ihnen befand sich ein Blinder. Er wußte, daß er zur Tat selbst nichts beitragen könne; aber er wollte durch seine Teilnahme den Anderen beweisen, daß es hier überhaupt nötig sei, das Leben einzusetzen. Darum wollte er mit denen, die handeln konnten, im guten wie im bösen Ausgang das gleiche Schicksal teilen. Daran ist das Maß der Entschiedenheit zu erkennen, mit der die Opposition im Lande arbeitete.

Mit Dolchen unter ihren Mänteln begaben sich die zehn Verschwörer ins Theater. Sie warteten auf ihr Opfer Herodes. Aber sie rechneten mit der Möglichkeit, daß sie ihn selbst nicht treffen würden. Für diesen Fall hatten sie sich zum Ziel gesetzt, wenigstens einige angesehene Mitglieder seines Gefolges zu töten, nicht, um Mord als Selbstzweck zu begehen, sondern um durch diese Tat die Aufmerksamkeit des Königs auf die Stimmung im Volke zu lenken; um ihn durch diese harte Lektion zum Nachdenken über sein Tun und möglicherweise zur besseren Einsicht zu bewegen. Daß sie bei diesem letzteren, geringeren Erfolg ihr Leben noch sicherer aufs Spiel setzten als bei einem vollen Gelingen, kam bei der Wichtigkeit der Sache nicht in Betracht. Aber sie kamen weder zu dem einen noch zu dem anderen Erfolg. Einer der unzähligen Spione, die über die Sicherheit des 246 Herodes zu wachen hatten, entdeckte das Komplott im letzten Augenblick und konnte den König in der Sekunde benachrichtigen, als er sich zum Betreten des Theaters anschickte. Herodes kehrte eiligst in seine Palastfestung zurück und gab von da aus den Befehl, die Verschwörer festzunehmen und ihm vorzuführen. Seine Leibwache, seine Germanen, Gallier und Thrakier, führte den Befehl aus. Die Verschwörer bekundeten keinerlei Reue oder auch nur Furcht. Sie zeigten dem Herodes die Dolche, mit denen sie ihn hatten töten wollen. Sie taten ihm den größten Schimpf an, den man einem König antun kann: sie erklärten, daß dieser Mordplan und folglich auch die Aufopferung ihres Lebens sich aus dem Eintreten für das Wohl des Volkes notwendig gemacht habe. Was sollte ein Herodes, der mit dem Wohl des Volkes ständig operierte, darauf antworten? Das ihm Gemäße: er ließ sie unter ausgesuchten Peinigungen hinrichten. Aber damit war die Angelegenheit nicht abgeschlossen. Das Volk suchte erbittert nach dem, der diese Märtyrer der Gesinnung verraten hatte. Es fand ihn. Es erschlug ihn auf offener Straße, riß seinen Leichnam buchstäblich in Stücke und warf sie den Hunden zum Fraß vor. Herodes seinerseits reagierte darauf mit äußerster Wildheit. Er ließ eine umfangreiche Untersuchung nach den Tätern anstellen. Aber so viele Menschen auch bei der Tat zugegen gewesen waren: niemand wußte etwas auszusagen. Niemand meldete sich als Zeuge. Da griff er härter durch. Er ließ wahllos Frauen einsperren und sie foltern, bis diese und jene unter dem Druck der Martern Angaben machte. So viele Täter er packen konnte, so viele 247 ließ er hinrichten. Durch solche Unmenschlichkeiten machte er das Leben seiner Spione kostbar. Herodes war sich nicht darüber im Unklaren, daß hinter solchen Ausbrüchen eine konstante Grundstimmung herrschte. Es wird jetzt verständlich werden, warum alle seine Bauten im Lande, und vor allem sein Palast und die Tempelanlagen, den Charakter von Festungen hatten. Sie waren Stützpunkte für den Fall einer Revolution, einwandfreie Zwingburgen. Aber eben so wesentlich schien es ihm, Maßnahmen zu treffen, die den Ausbruch von Unruhen verhinderten oder doch erschwerten. Das beste Mittel, das er eifrig praktizierte, war, sie durch ständig neue Anforderungen zu ständig neuer Arbeit anzuhalten. Für die Zeit nach der Arbeit sorgte er ebenfalls: er verbot jede öffentliche und geheime Zusammenkunft der Bürger. Um von geheimen Zusammenkünften unterrichtet zu sein, unterhielt er ein ganzes Heer von Spionen und eine Unzahl von Spitzeln, die überall, bei der Arbeit, auf der Straße, auf den Märkten und sogar auf der Landstraße Menschen zu überwachen, zu belauschen und zu provozieren hatten. Jede Denunziation wurde auf das schärfste verfolgt. Unaufhörlich wurden – heimlich des nachts oder ganz offen – Menschen nach der Festung Alexandrium abtransportiert, um dort die Strafe für ein Wort, eine Gebärde oder eine Verschwörung zu empfangen. Sollte es nicht historisch verbürgt sein, so ist es gleichwohl als ein Zug im Gesamtbild nicht unwahrscheinlich, daß Herodes sich zuweilen des Nachts, als Bürger verkleidet, unter das Volk begeben haben soll, um zu erfahren, was man über ihn sprach und dachte. 248 So regierte Herodes auf der Höhe seiner Macht: ein König von Roms Gnaden, ein Vertreter der griechisch-römischen Kultur, Herr über ein vergrößertes Land und über eine fleißige Bevölkerung, ein Reicher über Armen, von Rom geliebt, vom Ausland bewundert, von seinem Volke gehaßt; stets bedroht und von Galliern, Germanen und Thrakiern gegen sein eigenes Volk bewacht; ein gesättigter Tyrann mit einer breit und blutig gezogenen Furche des Lebens. –

 


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