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Sechstes Kapitel

Ehe wir weiter gehen, müssen wir einen Rückblick auf die Ereignisse der ersten Kriegsjahre werfen, um die Frage: » Warum und wie kam die Armee nach Valley Forge?« beantworten zu können.

Eine Geschichte jener Feldzüge, in denen Steuben nicht mitwirkte, liegt natürlich außerhalb der Gränzen unserer Aufgabe; indessen ist es zur richtigen Würdigung seiner Dienste und Verdienste unumgänglich nöthig, daß wir in kurzen Umrissen die kriegerischen Ereignisse, sowie die Lage und den Geist der Armee schildern, welcher von Anfang des Krieges an bis zu Steubens Ankunft im Lager herrschte.

Die ersten Unruhen brachen bekanntlich in Neu-England aus, dessen politisch und commerziell bedeutendster Punkt und Hafen die Stadt Boston war. Hier lag seit den ersten Zeiten der Colonial-Regierung eine englische Besatzung; sie war nur in den letzten Jahren verstärkt worden, um die königlichen Erlasse zu erzwingen und die widerspenstigen Colonien im Zaume zu halten. Von Boston aus schickte der commandirende englische General Gage im April 1775 einige Regimenter nach Concord und Worcester, welche die dort von den Aufständischen angelegten Magazine und Kriegsvorräthe zerstören sollten. Die Amerikaner aber leisteten den Engländern am 19. April an der Brücke von Lexington energischen Widerstand und zwangen sie unter einem mörderischen Feuer zum Rückzuge. So unbedeutend an sich dieses, den Krieg eröffnende, Gefecht auch war, so fielen doch verhältnißmäßig sehr viel Engländer, weil die Milizen, hinter Hecken, Bäumen, Mauern und sichern Verstecken aufgestellt, die regelmäßigen Truppen niederschossen. Dieser Erfolg hob das Selbstgefühl und Selbstvertrauen der Amerikaner und rief im Laufe weniger Wochen die ganze Provinz unter die Waffen.

Dies Scharmützel, welches gewöhnlich die Schlacht bei Lexington genannt wird, ist zugleich der charakteristische Typus des ganzen Krieges, denn er ward wie jenes durch das Mißverhältnis des Operationsraumes zu der numerischen Schwäche der englischen Streitkräfte entschieden. In diesem Verhältniß liegt überhaupt der wahre Grund des endlichen Sieges der Amerikaner über England. Zehntausend und mehr Quadratmeilen insurgirten Landes können nicht von einzelnen schwachen Divisionen besetzt, überwacht und gezügelt werden, eben so wenig wie einige Tausend Mann regulärer Truppen einer heftigen und allgemeinen revolutionären Eruption in einer großen Stadt, wie z. B. Paris oder Berlin, gegenüber Herr bleiben werden, so schlecht die Aufständischen auch disciplinirt sein mögen. Wenn die Engländer von Anfang an ihre Lage richtig gewürdigt hätten, so würden sie sich auf Besetzung fester Punkte, einzelner Posten und befestigter Häfen beschränkt haben. Ueberall wo sie weite Züge durchs Land machten oder größere Terrainstrecken in ihre Gewalt bringen wollten, mußten sie darum auch auf die Dauer scheitern. Es war der Kampf des Cyrus gegen die Scythen, der Römer gegen die Germanen. Der schleunigste Rückzug in's weitläufige Innere ist die furchtbarste Waffe dieser undisciplinirten Schaaren.

Um jedoch auf den Gang der Ereignisse wieder zurückzukommen, so begeisterte das Gefecht bei Lexington die Bewohner des Staates Connecticut zu einer Unternehmung, die trotz ihrer geringen Mittel ein bedeutendes Resultat hatte. Sie sandten nämlich eine Expedition nach Ticonderoga und Crownpoint, von denen das erstere am nördlichen Ende des Sees George, das letztere am südlichen Ende des Sees Champlain liegt. Beide aber bilden den Schlüssel von Canada und hatten, da der aus dem letztgenannten See in den St. Lorenzstrom fließende Sorel eine gute Wasserstraße bis Quebeck bildet, schon in den Englisch-Französischen Kriegen eine bedeutende Rolle gespielt. Es gelang den Amerikanern unter Allen und Arnold zu Anfang Mai 1775 Ticonderoga und Crownpoint durch Ueberrumpelung zu nehmen und sich auf diese Weise, abgesehen von der Erbeutung werthvoller Kriegsvorräthe, zu Herren der Verbindung mit Canada zu machen.

Inzwischen waren die von allen Seiten herbeiströmenden Milizen vor Boston geeilt. Sie wollten in ihrer Erbitterung die Engländer entweder aushungern oder auf ihre Schiffe treiben und mit diesem einen Schlage dem Krieg ein Ende machen. Vorläufig schnitten sie der Englischen Garnison jede Verbindung mit dem Lande ab. Man schätzt gewöhnlich die Zahl der Amerikaner auf 20,000 Mann, indessen stand kaum je mehr als die Hälfte davon auf einmal unter den Fahnen. Die Energie und der Patriotismus Neu-England's hatte übrigens die gute Folge, daß auch die übrigen Colonien fast einmüthig die Waffen zum Kampfe gegen England ergriffen. Der zweite General-Congreß in Philadelphia stellte ein Amerikanisches Bundesheer (Continental-Armee) auf und ernannte zu dessen Oberbefehlshaber George Washington, der bereits am 3. Juli in Cambridge bei Boston das Commando übernahm. Hier waren gegen Ende Mai die Englischen Verstärkungen unter Howe, Clinton und Bourgoyne angekommen. Gage war jetzt im Stande, einen entscheidenden Schritt zu thun; er beabsichtigte bei dem nördlich von Boston auf einer Halbinsel gelegenen Charlestown sich einen Durchgang zu brechen. Zu dem Ende mußte die Anhöhe im Mittelpunkte dieser Halbinsel, der sogenannte Bunkershill befestigt werden. Die Amerikaner, die vor Begierde brannten, sich mit den Engländern zu messen, kamen aber dem General Gage zuvor und errichteten in der Nacht vom 16. zum 17. Juni eine Batterie auf dem Bunkershill, den sie zugleich befestigten. Der Feind durfte das nicht erlauben, wenn er nicht von der Landseite her in Boston ganz eingeschlossen werden wollte. Gage schickte also zuerst Howe, dann Clinton mit dem Befehle aus, die Amerikaner zu vertreiben. Zweimal wurden die Engländer von ungeübten Milizen zurückgeschlagen, zweimal mußten sich ihre eigenen Generale an die Spitze der angreifenden Truppen stellen, um sie zum Vorrücken anzufeuern, und wenn zuletzt auch die Amerikaner genötigt wurden, sich über die Landenge nach Cambridge zurückzuziehen, so äußerte doch die Demüthigung der stolzen, auf die Milizen mit Verachtung herabblickenden Engländer auf die Kriegslust und die Begeisterung der Amerikaner eine größere moralische Wirkung, als eine gewonnene Schlacht.

Bei Washington's Ankunft im Lager herrschte dort Eifersucht und Zwietracht, große Verlegenheit und Mangel an Allem. Die Lebensmittel waren knapp, Geschütze und Munition kaum vorhanden, die Subordination untergraben. So drohte sich Alles in ein wildes Chaos aufzulösen. Als die Revolution ausbrach, war es eine verhältnißmäßig leichte Aufgabe eine beträchtliche Zahl bewaffneter Männer zusammen zu bringen, da Jeder auf Grund seiner früheren Erfahrungen in den Indianer-Kriegen schloß, daß der Krieg mit einem entscheidenden Schlage, mit der Vertreibung der Engländer aus Boston zu Ende sein würde. Unter dieser Voraussetzung eilten die Milizen Neu-England's zu den Waffen und kämpften voll Begeisterung und Patriotismus mit großer Tapferkeit; sie schlugen sich so brav wie erprobte Veteranen und kann der Ruhm und Preis ihrer aufopfernden Hingebung kaum übertrieben werden. Allein ohne militärische Organisation und Disciplin, ohne Munition, Waffen und Löhnung und voll provinzieller Eifersucht und Vorurtheile, waren diese ländlichen Soldaten mit ihren besonderen Regulativen und ihren von einander unabhängigen Offizieren nur das Rohmaterial einer Armee, die losen, unzusammenhängenden Glieder einer Einheit, die noch keine wirkliche Existenz hatte und erst geschaffen werden sollte. Der Enthusiasmus, der sie gegen den gemeinsamen Feind zusammen gehalten hatte, verdampfte schnell in dem sich in die Länge ziehenden Dienste und machte bald einer allgemeinen Erschlaffung Platz, als der Winter eintrat, die Zelte kalt und feucht wurden, und als es sich herausstellte, daß die Einnahme von Boston eher der Anfang als das Ende des Krieges war. Den Beweis für diese Thatsachen findet der Europäische Leser, dem Washington's Schriften nicht zugänglich sind, in dem zweiten Bande von W. Irwing's Leben Washington's. Viele verließen deshalb das Lager, ohne nur um Erlaubniß zu bitten und gingen unbekümmert um die Folgen nach Hause; ganze Regimenter lösten sich auf, ehe ihre Zeit um war, und beinahe alle Soldaten weigerten sich, nach Ablauf ihrer kurzen Dienstzeit sich wieder anwerben zu lassen. »Die erste Continental-Armee vor Boston,« sagte Washington, »verwechselte die Insubordination mit Unabhängigkeit, sie zeigte einen schrecklichen Mangel an Gemein-Geist.« Der kühne und abenteuerliche Zug Montgomery's und Arnold's nach Canada bildete die einzige glänzende Episode dieses traurigen Winters. Es verlautete nämlich, daß die Englische Regierung im Frühjahr 1776 von Canada aus den Colonien mit einer bedeutenden Macht in den Rücken zu fallen beabsichtige, und galt es jetzt, diese Absicht durch Besetzung des Landes und wo möglich Einnahme seiner festen Plätze zu vereiteln. Während also General Montgomery von Crownpoint aus nach Norden marschirte, das Fort St. John und später Montreal nahm, drang Arnold vom Lager bei Boston aus unter den unsäglichsten Schwierigkeiten und durch die unwegsame Wildniß den Fluß Kennebeck hinauf und fiel in Nieder-Canada ein. Am ersten December vereinigte er sich mit Montgomery vor Quebeck. Beide stürmten mit ihrer Handvoll Leute am 31. December die Festung, in welche sie bereits theilweise eingedrungen waren, als Montgomery fiel und Arnold verwundet wurde, so daß sich die Amerikanischen Truppen auf die der Stadt gegenüber liegenden Höhen von St. Abraham zurückziehen mußten, bis sie im April 1776 durch Carleton ganz aus dem Lande getrieben wurden.

Washington befand sich während dessen, Angesichts des Feindes in der beispiellosen Verlegenheit, eine neue Armee anwerben zu müssen und konnte es nur mit der größten Mühe dahin bringen, daß sich die Truppen nicht ganz verliefen. »Durchsuchen sie die Bände der Geschichte,« schrieb er zu jener Zeit, »und ich bezweifle sehr, ob sie einen dem unsrigen ähnlichen Fall finden werden, da wir genöthigt sind, sechs Monate einen Posten gegen die Elite der englischen Armee ohne Pulver zu behaupten, während die eine Armee sich auflöst und eine andere, innerhalb derselben Entfernung vom verstärkten Feinde, angeworben werden muß.« Die Engländer indessen waren freundlich oder lässig genug, dies Alles vor ihren Augen geschehen zu lassen, ohne anzugreifen, obgleich sie die amerikanischen Streitkräfte durch einen Ausfall gänzlich hätten vernichten können. Ja, sie räumten sogar Boston, und stellte sich der englische General Howe, der Gage im Commando gefolgt war, durch diesen eiligen Abzug aus einer durchaus haltbaren Position, kein glänzendes Zeugniß über seine militärischen Fähigkeiten aus.

Howe ging nach der Räumung von Boston zuerst nach Halifax und im Juni nach Sandy Hook (Eingang des New-Yorker Hafens), um dort die versprochenen Verstärkungen abzuwarten. Der vom Ministerium angenommene Operationsplan hatte nämlich für den bevorstehenden Feldzug New-York sowohl wegen seiner geographischen Lage, als wegen der royalistischen Gesinnung seiner Bewohner zum Schlüssel der Expedition bestimmt. Von hier aus konnte man sich, je nachdem es die Umstände erheischten, rechts nach Norden wenden, durch den Hudson in's Innere gelangen und mit Canada in Verbindung bleiben oder sich auf den Süden werfen. Zur Erreichung dieses Zweckes sollte Carleton von Canada aus, die Republikaner vor sich hertreibend, den Hudson herunter ziehen und sich mit Howe verbinden; Clinton dagegen sich nach einer, wie man voraussetzte, im Süden glücklich ausgeführten Diversion sich gegen Norden wendend mit der Haupt-Armee vereinigen. Auf diese Weise hoffte man den Feldzug mit einem Schlage zu beendigen. Die beiden letzteren Combinationen scheiterten übrigens im Süden an der Ungeschicklichkeit der englischen Generale und Admirale, und im Norden am Nichtvorhandensein einer Flotille für den Transport der Truppen über die Seen, weßhalb Carleton auch bei Crownpoint stehen blieb. Es kam somit nur noch der gegen die amerikanische Haupt-Armee zu führende Schlag in Betracht.

Diese stand seit Mitte April in New-York und nächster Umgebung. Da Howe zwei Monate lang unthätig in Staaten Island blieb, so hatte Washington Zeit, die Insel in nothdürftigen Vertheidigungszustand zu setzen und an deren nördlichen Ende am Hudson das nach ihm benannte Fort anzulegen, so wie ihm gegenüber auf der Jersey-Seite das, später nach General Lee genannte, Fort zu bauen.

Die aktive Streitkraft der schlecht ausgerüsteten Amerikaner belief sich auf etwa 11,000 Mann, wovon die Hälfte auf Long Island stand, während die Engländer mit allem Nöthigen versehen waren und an 25,000 Mann zählten. Die Verstärkungen der Letzteren landeten gegen Ende August an der südwestlichen Seite von Long Island. Am 27. August rückte die englische Armee in der Richtung auf New-York vor. Die Amerikaner versuchten ihr auf den Höhen von Flatbush Widerstand zu leisten; allein sie wurden, da sie eine Hauptstraße unbesetzt gelassen hatten, umgangen und gänzlich geschlagen; sie mußten froh sein, daß sie, von einem Nebel begünstigt, ungehindert nach New-York entkommen konnten. Howe stand jetzt der Weg dahin offen. Aus seinen Maßregeln ging hervor, daß er oberhalb der Kingsbridge (am nördlichen Ende der Insel) ein Lager aufzuschlagen und Washington New-York einzuschließen beabsichtigte. Natürlich konnte sich Washington mit seinen 9000 Mann nicht gegen eine Land- und See-Macht zu gleicher Zeit vertheidigen; er entschloß sich daher zum Rückzuge und concentrirte seine Truppen etwa acht Meilen von der Stadt auf den Höhen von Harlem. Eine englische Division unter Clinton landete schon, ehe Washington seine Armee in Sicherheit gebracht hatte, an Kip's Bai (jetzt etwa 42. Straße) und hätte, wenn er sofort die Insel ihrer Breite nach besetzt hätte, die Hälfte der amerikanischen Truppen abschneiden und gefangen nehmen können. Das den Engländern bei Harlem gelieferte Gefecht hatte keine großen Resultate und amerikanischer Seits nur das einzige Verdienst, daß die Truppen, die bisher Monate lang vor den Engländern geflohen waren, wenigstens wieder zum Stehen gebracht wurden.

Howe hoffte Washington zu einer entscheidenden Schlacht zu zwingen; dieser aber vermied sie sorgfältig und traf Anstalten, sich auf das Festland zurückzuziehen. Als Howe ihm den Landweg nach Connecticut abschneiden wollte, zog er sich nach Whiteplains, auf dessen Höhen er sich in einem verschanzten Lager befestigte und auf Howe's Angriff vorbereitete, der indessen, mit Ausnahme einer am 28. October 1776 ausgeführten erfolgreichen Attake auf den rechten amerikanischen Flügel, nicht stattfand. Howe ließ dann, um sich den Besitz der Insel New-York zu sichern, am 16. November 1776 Fort Washington durch Kuyphausen mit seinen Hessen stürmen und machte die Besatzung zu Gefangenen, während Lord Cornwallis am 18. November mit 6000 Mann über den Hudson setzte und Fort Lee einnahm. Washington hatte sich bereits ein paar Tage vorher nach New-Jersey geworfen, überschritt erst den Passaic bei Newark, dann den Rariton bei Brunswick und ging über Princeton nach Trenton, wo er auf dem rechten Delaware-Ufer die Winterquartiere bezog. Seine Armee zählte kaum mehr als 3000 Mann, seine Mittel waren erschöpft, das Volk entmuthigt und die Soldaten liefen in Schaaren nach Hause. Ganz New-York hatte in einem kurzen Feldzuge aufgegeben werden müssen, New-Jersey war wehrlos in den Händen des Feindes und sogar die damalige Hauptstadt des Landes, Philadelphia, ernstlich von den siegreichen Engländern bedroht.

Die allgemeine Verwirrung und Unordnung, so wie der Mangel an Disciplin trugen offenbar das Meiste zu diesen unaufhörlichen Niederlagen und zu dieser allgemeinen Flucht bei. Sie hatten noch nicht gelernt, daß ein Haufe bewaffneter Menschen ohne Subordination, ohne militärische Durchbildung eben ein schwaches, leicht zerstörbares und unzuverlässiges Werkzeug ist; daß nicht die Begeisterung allein, nicht der bloße gute Wille es ist, der siegt, sondern daß mit dieser Begeisterung und diesem guten Willen die Disciplin, die taktische Gewandtheit und der strategische Verstand verbunden sein muß. Uebrigens war ihre Begeisterung nicht bloß längst erkaltet, sondern hatte sogar einem herzlosen Egoismus Platz gemacht. Die amerikanischen Milizen kehrten, sobald ihre jährliche oder halbjährige Dienstzeit abgelaufen war, selbst in der Mitte des Feldzuges nach Hause zurück und ließen sich durch die größten Versprechungen nicht bei den Fahnen halten. Ja, sie nahmen, wenn sie fortgingen, sogar die Gewehre mit, welche sie beim Eintritt in den Dienst erhalten hatten, und verkauften dieselben gegen baar an die Offiziere, welche die Waffen aufzukaufen in's Land geschickt waren. Jared Sparks Life of Washington, p. 170. Dabei war das Vertrauen in die eigenen Kräfte vollständig geschwunden. »Sind das die Leute, mit denen ich Amerika verteidigen soll?« Irvings Life of Washington II. p. 253 (8. edition). rief Washington erbittert aus, als vor seinen Augen bei Kip's Bay zwei Brigaden aus Neu-England, ohne einen Schuß abzufeuern, vor einer Handvoll Britten davonliefen.

»Unsere Lage« – schreibt er am 2. September 1776 an den Präsidenten des Congresses – »ist wahrhaft verzweifelt; der Unfall, welcher unser Detachement am 27. v. Monats traf, hat einen allzu großen Theil unserer Truppen entmuthigt und ihre Seelen mit Furcht und Verzweiflung erfüllt. Die Milizen, anstatt die äußerste Kraft zu einer tapfern, männlichen Gegenwehr aufzubieten und so den Verlust zu ersetzen, sind völlig muthlos geworden, sie denken nur daran, sobald als möglich heimzukehren und sind durchaus unlenksam. Sie machen sich in großer Anzahl davon; bei einigen Gelegenheiten fast zu ganzen Regimentern, zu halben und ganzen Compagnien auf einmal. Dieser Umstand ist an sich selbst verderblich genug, da uns ein wohlgeordneter Feind gegenübersteht, dessen Anzahl unsere ganze, gesammelte Macht übersteigt. Wenn aber das böse Beispiel dieser Truppen auch andere Theile des Heeres ansteckte, wenn ihr Mangel an Kriegszucht, ihre Weigerung, sich irgend einer Art des Zwanges oder Gehorsams zu fügen, ein ähnliches Betragen bei den Uebrigen nach sich ziehen sollte, wenn eine völlige Nichtachtung der Befehle und ein Auflehnen gegen die Autorität, ohne welche im Kriege nichts gelingen kann, sich der ganzen Armee bemächtigte, so muß unsere Lage noch viel gefährlicher werden; und ich muß mit der tiefsten Betrübniß bekennen, daß ich in den größten Theil der Truppen wenig Vertrauen setze.

Alle diese Umstände bestätigen nur zu sehr die Meinung, welche ich stets gehegt und welche ich so frei war, mehr als einmal dem Congreß mitzutheilen, daß man sich nämlich nur auf solche Truppen verlassen kann, die für eine längere Zeit angeworben sind, als unsere frühern Verordnungen vorschrieben. Ich halte dafür und bin fest davon überzeugt, daß unsere Freiheit in der größten Gefahr, wo nicht unwiederbringlich verloren ist, dafern sie nicht von einem stehenden Heere vertheidigt wird, ich meine von einem solchen, das für die Dauer des Krieges angeworben ist. Die Ausgaben, welche die Unterhaltung einer für jeden Bedarf hinreichenden Kriegsmacht erforderte, würden auch die Summen nicht um Vieles übersteigen, welche täglich verwendet werden müssen durch das Herbeiziehen von Hülfstruppen und neuen Anwerbungen, die, wenn sie bewerkstelligt werden, uns wenig Nutzen verschaffen. Menschen, welche an Freiheit gewohnt sind und sich nie einem Zwange unterworfen haben, können nicht in kurzer Zeit zur Ordnung geführt werden; die Vorrechte und Freiheiten, welche sie verlangen, verleiten Andere zu denselben Forderungen, und der Nutzen, den wir von ihnen haben, wird fast aufgewogen durch die Unordnung, Unregelmäßigkeit und Verwirrung, welche sie verbreiten.«

In allen anderen Ländern, welche ihre nationalen Erhebungen hatten und in Folge davon gezwungen waren, gegen die einfallenden Feinde zu kämpfen, wurden diese revolutionären Soldaten, so lange sie den Dienst noch nicht kannten, bei dem ersten Zusammentreffen mit geübten Truppen meistens in die Flucht geschlagen. Solche Niederlagen dienten aber nur dazu, die Energie des Volkes zu erhöhen und einen opferfreudigen Geist in den Individuen zu wecken, der allen Widerstand vor sich niederwarf und jeden Nerv zur Erkämpfung des Sieges anstrengte. Hier zeigte sich verhältnißmäßig wenig von einem solchen patriotischen Geiste, ja es machte sich mit jedem Jahre eine immer größere Gleichgültigkeit gegen den Ausgang des Krieges geltend, die zuletzt in volle Apathie ausartete. Das Volk, statt seine eigene Armee mit den nothwendigsten Bedürfnissen zu versehen, verkaufte statt dessen dem Feinde für baares Geld die erforderlichen Lebensmittel. In welchem Lichte stehen die Amerikaner denjenigen europäischen Völkern gegenüber, bei denen eigentliche volkstümliche Erhebungen stattgefunden haben: der Abfall der Niederlande, die französischen Revolutionskriege, die deutschen Kriege von 1813 bis 1815 gegen Napoleon bieten auf einer einzigen Seite mehr Beispiele von Begeisterung, von Hingebung und Aufopferungsfähigkeit als der ganze Unabhängigkeitskrieg zusammen genommen!

Es war während dieses harten Winters von 1776 bis 1777, daß Washington als einziges Heilmittel gegen dies täglich mehr um sich greifende Uebel der Insubordination, Desertion und Apathie die Diktatur vorschlug. »Die Dringlichkeit unserer Lage« – schrieb er am 20. December 1776 an den Präsidenten des Congresses – »läßt nicht den mindesten Aufschub zu, weder in der Berathung noch im Felde, denn ich bin überzeugt, daß der Feind, wenn es überhaupt der Fall sein sollte, nur für kurze Zeit Winterquartiere beziehen wird. Ich glaube jedoch, daß es General Howe's Absicht ist, sich wo möglich in diesem Winter in den Besitz von Philadelphia zu sehen und ich sehe wahrlich nicht ein, was ihn daran hindern könnte, da unsere Armee von heute an in zehn Tagen kaum mehr existiren wird. Es scheint mir so fest zu stehen, als meine eigene Existenz, daß sein Hauptzweck dahin geht, uns soviel als möglich zu beunruhigen, damit unsere Rekrutirung und die Einbringung von Vorräthen, so wie anderen Bedürfnissen für den nächsten Feldzug verhindert und unterbrochen wird. Wenn deshalb während des kurzen Zwischenraums, in welchem wir diese großen und schwierigen Vorbereitungen zu treffen haben, alle Dinge, die sich eigentlich ganz von selbst verstehen, bei einer Entfernung von 130 bis 140 Meilen, dem Congreß vorgelegt werden müssen, so wird offenbar so viel Zeit unbenutzt verstreichen, daß unsere Zwecke ganz vereitelt werden.

Man wird vielleicht sagen, daß dies eine Beanspruchung von Gewalten ist, die nur mit großer Gefahr einem Einzelnen anvertraut werden können. Ich kann nur sagen, daß verzweifelte Krankheiten verzweifelte Mittel verlangen, und erkläre in aller Aufrichtigkeit, daß ich keine äußere Macht begehre, sondern daß ich eben so sehnsüchtig wie irgend ein Mensch auf diesem ausgedehnten Continent die Zeit herbeiwünsche, wo wir das Schwert mit der Pflugschar vertauschen können. Indessen sind meine Ansichten als Offizier und Mann derartig, daß ich gezwungen bin zu sagen, daß Niemand noch mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, als ich. Es ist überflüssig hinzuzufügen, daß Anwerbungen auf kurze Zeit, ein irriges Sichverlassen auf die Milizen und die kolossale Anschwellung unserer Schuld der Grund all' unseres Unglücks gewesen sind. Wir finden, daß der Feind täglich mehr Stärke und Anhang unter den Unzufriedenen gewinnt. Diese Stärke wird, wie ein Schneeball im Rollen, wachsen, wenn nicht irgend ein Mittel gefunden werden kann, den Fortschritt der feindlichen Waffen zu hemmen. Die Miliz wird nur für eine kurze Zeit hinreichen; doch die Milizen jener Staaten, die schon häufig aufgerufen sind, werden gar nicht mehr ausrücken wollen, oder wenn es wirklich der Fall sein sollte, so wird es so langsam und widerstrebend geschehen, daß es eben so gut wäre, es geschähe gar nicht. Zeuge dessen ist New-Jersey, Beweis Pennsylvanien! Hätte irgend eine andere Macht als die des Flusses Delaware Philadelphia retten können? Kann irgend etwas (die Wichtigkeit der Sache mag entschuldigen, was ich sage) verderblicher auf das Anwerben der Rekruten einwirken, als daß zehn Dollars Löhnung für sechswöchentlichen Dienst der Miliz gezahlt werden, die kommt, man weiß nicht wie, sich wieder entfernt, man weiß nicht wann, und kämpft man weiß nicht wo, die alle Lebensmittel verzehrt, alle Vorräthe erschöpft und uns endlich im entscheidenden Augenblick im Stich läßt. So sind die Menschen, auf die allein ich mich nach Verlauf von zehn Tagen verlassen soll. Das ist die Grundlage auf welche unsere heilige Sache sich stützt, so lange bis ein großes stehendes Heer zusammengebracht wird, mächtig genug, um allein den Feind zu bekämpfen.«

So lag nicht allein ganz New-Jersey, sondern selbst Pennsylvanien mit Philadelphia einem Englischen Einfall offen, wenn Howe seine Armee concentrirt, den Delaware überschritten hätte und ein eben so vorsichtiger und geschickter General wie Washington gewesen wäre. Er traf jedoch nicht einmal Anstalten, die wichtigen Posten am linken Ufer des Delaware gegen einen plötzlichen Ueberfall Seitens der Amerikaner zu sichern. Der englische Commandirende unterschätzte den Feind, entfernte sich von der Armee und bot durch seine Nachlässigkeit Washington Gelegenheit, einen kühnen Streich zu wagen und seinen Soldaten das Selbstvertrauen wieder einzuflößen, welches dieselben in Folge ihrer verschiedenen Niederlagen verloren hatten. Der Ueberfall von Trenton am 26. December 1776 ist eine der geschicktesten und gewagtesten kriegerischen Bewegungen des vorigen Jahrhunderts und stellt sich den Thaten der größten Feldherren würdig an die Seite. Er wird aber noch durch die Unternehmung auf Princeton übertroffen, und diese beiden Operationen sind allein hinreichend, dem Namen des Feldherrn, der sie gedacht und glücklich ausgeführt hat, die Unsterblichkeit zu sichern, um so mehr, wenn er so wie hier für das Wohl seines Vaterlandes streitet und mit so geringen Kräften gegen einen überlegenen Feind zu kämpfen hat. Amerikanische kritische Blätter sagen, daß Friedrich II. Washington in Anerkennung dieser Thaten einen Ehrensäbel geschenkt habe. So unglaublich dies Faktum auch ist, so möge es doch hier seinen Platz finden, wenn auch nur, um gründlich widerlegt zu werden.

So ward die drohende Gefahr abgewendet. Der Schrecken und das Mißtrauen, die in den mittleren Staaten sich aller Gemüther bemächtigt hatten, verloren sich; Philadelphia war gerettet, ein großer Theil von New-Jersey wiedererobert und Lord Cornwallis, der mit seinen überlegenen Streitkräften den Amerikanischen Fabius vergeblich zur Schlacht zu zwingen gesucht hatte, mußte sich nach New-Brunswick zurückziehen, wo er für den noch übrigen Theil des Winters Quartiere bezog.

Die Schwierigkeiten des letzten Feldzuges hatten wenigstens eine gute Folge. Der Congreß überzeugte sich nämlich, daß er in der Anwendung der demokratischen Prinzipien auf die Armee ein wenig zu weit gegangen war, daß er Unrecht hatte, wenn er auf die Truppen zu eifersüchtig war und sie nicht mit den nothwendigen Mitteln zur kräftigen Fortführung des Krieges versah. Er schaffte deshalb einige der schlimmsten Mißbräuche ab, billigte Washingtons Vorschläge und übertrug ihm beinahe unbeschränkte Gewalten.

Trotz alledem verbesserte sich aber die Lage der Dinge nicht, denn Washington stand ganz isolirt und fand wenig oder gar keine Stütze in den Einwohnern von New-Jersey oder in den übrigen Staaten. Er war gezwungen, sich mit seinen paar tausend Mann ruhig und unthätig in seinen Winterquartieren in New-Jersey zu verhalten. Howe brauchte nur vorzurücken und die ganze Amerikanische Streitkraft war vernichtet; allein er that nichts und verlor sechs kostbare Monate, ohne etwas zu unternehmen. Es ist beinahe unmöglich, sich diese Kurzsichtigkeit des Englischen Generals zu erklären, der durch diese seine Nachlässigkeit einer der Hauptbeförderer der Amerikanischen Unabhängigkeit wurde.

Als Howe im Juli 1777 den Krieg nach Pennsylvanien trug und, dies von der Seeseite angreifend, den Delaware hinauf fuhr, um Philadelphia zu nehmen, war Washington bei der traurigen Lage seiner Truppen wieder nicht im Stande, ihm energischen Widerstand zu leisten; er nahm indessen am Brandywine eine Schlacht an, weil von ihr der Besitz Philadelphia's abhing. Die Amerikaner hielten hier aber nicht lange Stand gegen die ungestümen Angriffe von Cornwallis und Knyphausen und wurden total geschlagen. Es fehlte den Engländern an Cavallerie, um ihren Sieg gehörig auszubeuten und zu verfolgen. Lafayette, der in diesem Treffen verwundet ward, sagt, daß der Feind, wenn er gewollt hätte, die ganze Amerikanische Armee hätte vernichten können. Der Verlust Philadelphia's war die unmittelbare Folge dieser Niederlage, Washington ließ jedoch den Muth nicht sinken, er zog sich in die Wälder in der Nähe von Philadelphia zurück und überfiel am 4. Oktober die Englische Armee ganz unerwartet bei Germantown. Er ward indessen abermals geschlagen, hauptsächlich weil seine Befehle nur mangelhaft und schlecht ausgeführt wurden. Er nahm dann eine die Engländer bedrohende Stellung am Schuykill ein.

Die schlimmen Folgen dieser Unglücksfälle wurden mehr als aufgewogen durch den Erfolg, den mittlerweile die nördliche Armee unter Gates über Bourgoyne errungen hatte. Dieser General hatte den erfahrenen Carleton von seinem Posten verdrängt und wollte von Canada aus die Seen herunter und den Hudson entlang nach New-York vordringen und sich dort mit Clinton vereinigen. Er trat Mitte Juni 1777 seinen Marsch von St. John an. Anfangs siegreich, gelangte er ungehindert bis an den Hudson; indessen vereinigten sich bald die heiße Jahreszeit, Mangel an Lebensmitteln, die Unwegsamkeit der Gegend und die Schwierigkeiten des Terrains (er brauchte u. A. einmal zwanzig Tage, um einen Weg von acht Stunden zurückzulegen), um Bourgoyne am weiteren Vorrücken zu hindern. Er verlor immer mehr Leute, während die Amerikaner sich verstärkten und ihn umzingelten, und hörte nicht auf den Rath seiner umsichtigeren Generale Riedesel und Frazer, welche die Situation richtiger würdigten und deshalb dringend zum Rückzuge riethen, so lange es noch Zeit war. Aber es wurde sehr bald zu spät. Bourgoyne mußte sich daher, da er keinen Ausweg aus seiner verzweifelten Lage mehr wußte, indem weder Howe, der sich nach Süden gewandt hatte, noch Clinton, der sich nicht aus New-York wagte, ihm zu Hülfe kamen, am 17. Oktober 1777 dem General Gates bei Saratoga mit seiner ganzen gegen 6000 Mann starken Armee übergeben.

Dies Ereigniß, herbei geführt durch den Mangel an Einheit und Zusammenwirken in den Operationen der Englischen Generale, bildet den Wendepunkt im Amerikanischen Kriege, denn Bourgoyne's Gefangennahme brachte das Bündniß mit Frankreich zu Stande.

Während sich diese Ereignisse im Norden zutrugen, standen sich Washington und Howe in der Nähe von Philadelphia gegenüber. Jener hatte sich in Witemarsh verschanzt. Am 4. Dezember rückte Howe gegen ihn an; da er aber die Stellung seines Gegners als vortheilhaft erkannte, wagte er keinen Angriff, begab sich nach Philadelphia zurück und bezog die Winterquartiere; Washington schlug die seinigen am 12. December etwa 6 Stunden nordwestlich von Philadelphia am westlichen Ufer des Schuylkill in Valley Forge auf, wo sich der Valley-Bach in den erstern ergießt, um den Engländern wenigstens die Zufuhren zu Lande abzuschneiden. Seine Soldaten lagerten in hölzernen Baracken und waren nicht bloß der ganzen Strenge eines ungewöhnlich kalten Winters, sondern auch allen nur denkbaren Mühsalen und Beschwerden ausgesetzt.

Dies Lager wurde erst am 18. Juni 1778 aufgehoben. Die Zeit von Dezember 1777 bis Juni 1778 ist die traurigste des ganzen Krieges für die Amerikaner. Alle Mißbräuche und Mängel, welche in ihrer Armee herrschten, erreichten damals ihren Culminationspunkt und bewiesen die dringende Nothwendigkeit radikaler Reformen. In Folge der schlechten Einrichtungen des Kriegs-Commissariats brach u. A. eine allgemeine Hungersnoth im Lager aus, obgleich es genug Lebensmittel in der Umgegend gab. »Wenn nicht« – schreibt Washington zu dieser Zeit an den Congreß – »eine plötzliche und bedeutende Aenderung eintritt, so wird die Armee unvermeidlich zu einer dieser Alternativen getrieben, sie muß verhungern oder sich zerstreuen und ganz auflösen, um das nackte Leben zu retten.« Auf der andern Seite war das General-Quartiermeister-Amt von wenig Nutzen, da es früher schlecht verwaltet, später lange ohne Oberhaupt war, und nicht vom Obergeneral, sondern vom Congresse abhing. Wenn es im Laufe dieses Winters auch im General Greene einen tüchtigen Chef erhielt, konnten dessen energische und umsichtige Maßregeln doch nur mit der Zeit und nicht sofort der Armee zu gute kommen. Am 1. Februar 1778 waren 3989 Mann im Lager wegen Mangel an Kleidern dienstunfähig. Die natürlichen Folgen dieser Uebelstände waren Meutereien und häufige Desertionen unter den Soldaten und die Ueberhandnahme von Fiebern und andern Krankheiten, welche gräßliche Verheerungen anrichteten. Im Februar 1778 belief sich der Effektivbestand auf 5012 Mann, während die Armee im Laufe des Feldzuges über 17,000 Mann im Ganzen gezählt hatte.

Der Congreß gab endlich den unermüdlichen Vorstellungen des Obergenerals nach und ernannte einen Ausschuß, der sich während des Winters im Lager aufhielt, um sich über den Zustand der Armee zu vergewissern und über die ihm geeignet scheinenden Maßregeln Bericht zu erstatten. Washington legte ihm eine Denkschrift über die Lage der Truppen, über die gegen die verschiedenen Mißbräuche zu treffenden Maßregeln und über die für deren künftige Sicherheit zu ergreifenden Schritte vor. Indessen geschah wenig oder gar nichts zur Erledigung von Washingtons Wünschen. Der Congreß schien nur seinen guten Willen zeigen zu wollen; er konnte im Grunde auch nicht viel mehr thun. Ohne Macht, seine Befehle ausführen zu lassen, ja ohne das Recht, in Sachen der Besteuerung etwas zu bestimmen, darauf beschränkt, die Bedürfnisse anzuzeigen und die dreizehn verbündeten Staaten um Herbeischaffung derselben zu bitten, im Angesichte eines ermüdeten Volkes, eines zerrütteten Handels, eines verschrienen Papiergeldes blieb dieser Versammlung selbst bei dem besten Willen nichts Anderes übrig, als sich an die Staaten mit neuen Ermahnungen zu wenden und neue Vollmachten an Washington zu schicken, mit dem Auftrage, Aushebungen, Geld, Lebensmittel, kurz alle Kriegsbedürfnisse von den Lokalbehörden selbst zu fordern. Deshalb wurden die Reformen, deren Nothwendigkeit seit Monaten, ja seit Jahren bewiesen war, nur theilweise und schlecht ausgeführt. Die Armee-Verwaltung war nach wie vor schwankend und unsicher, die Regimenter blieben unvollzählig und ungleich. Wenn sie später auch auf acht und achtzig Bataillone vermehrt und fixirt wurden, so standen diese doch nur auf dem Papier und wurden nie vollzählig. Die Soldaten litten beständig Noth und starben zu Hunderten, die Offiziere verließen den Dienst, weil sie einer elenden Gegenwart und ungewissen Zukunft nicht Alles opfern wollten. Wenn unter diesen kritischen Umständen überhaupt noch eine Armee existirte, so war es nicht der Congreß, der sie zusammenhielt, nicht das Land, welches seine Soldaten unterhielt und stützte, sondern es war der commandirende General, dessen Schultern mit der Verantwortlichkeit für das ganze Heer beladen wurden.

In anderen Nationen ist bei ähnlichen Ereignissen der Antrieb zur Ausdauer und Aufopferung vom Volke ausgegangen; hier dagegen griffen bald Muthlosigkeit, Trägheit und der Wunsch, sich den unausbleiblichen Lasten und Anstrengungen des Krieges zu entziehen, in erschreckender Weise im Volke um sich. Nur die Führer belebte Begeisterung und Hingebung; sie spornten das Volk am, nicht dieses jene, und sie waren die Träger des Kampfes, der im Namen des ganzen Landes unternommen war. Wo die Massen sich an Enthusiasmus und Aufopferung einander überbieten, da finden Einzelne nicht so leicht Gelegenheit sich bemerklich zu machen, da verkörpert sich der Geist der Bewegung nur in dem einen oder andern volksthümlichen Individuum. Der Umstand, daß die Amerikanische Revolution trotz ihrer bedeutenden Führer, trotz der Vortheile des Terrains und trotz der Hülfe Frankreichs volle acht Jahre brauchte, ehe sie ihr Ziel erreichte, berechtigt eben zu dem Schlusse, daß das Volk nur theilweise seine Schuldigkeit that.

Die Amerikanische Unabhängigkeit würde ohne Washington schwerlich so glücklich erkämpft worden sein. Er war die Seele und, ohne es zu wollen oder zu scheinen, der Leiter des Krieges. Er war kein Genie, aber ein großes Talent und ein edler, uneigennütziger Charakter. Er erscheint in seinen Briefen an den Congreß als ein größerer Feldherr, denn in seinen militärischen Operationen, bei welch' letzteren man nie die grenzenlose Schwäche seiner Mittel außer Acht lassen darf. Seine Unthätigkeit war meistens eine erzwungene. Wo die Umstände es nur zuließen, war es: sogleich aktiv, wie dies der Ueberfall von Trenton und Princeton beweist. Hundert Andere würden in seiner Lage, bei so viel Schwierigkeiten den Muth verloren haben; er blieb sich stets gleich, wankte nie in dem Glauben an den Erfolg seiner Sache und theilte seine Zuversicht zuletzt seinen Truppen mit. Washington besaß eine große Menschenkenntniß und verstand es meisterhaft, die Denkart der Massen zu entdecken und ihr zu folgen.

Was auch von seinen Bewunderern gesagt sein mag, es erschöpft den Mann nicht in seiner Totalität. Es ist gewiß eine erhabene Stellung, als der Erste an der Spitze eines glänzenden Kreises von Männern, wie Franklin, Jefferson, Greene, Hamilton, Jay und unzähligen Anderen zu stehen; es ist ein weltgeschichtlicher Ruhm – und gäbe es einen größeren? – die Seele und der Ausdruck eines großen historischen Ereignisses gewesen zu sein; es ist ein ganz beneidenswerthes, nur Wenigen beschiedenes Loos, zugleich als der Erste im Kriege, als der Erste im Frieden und als der Erste in den Herzen seiner Landsleute den kommenden Generationen noch Jahrhunderte lang vorzuleuchten. Washington ist mehr als Alles dies; er ist nicht blos der Held seines Volkes und der neuen Welt, er ist zugleich der Held der alten Welt, der Held der ganzen großen germanischen Race, der klassische Ausdruck ihres Wollens und Könnens, ihrer Zähigkeit und Energie, ihrer Genügsamkeit und ihrer Größe, ihrer Entsagungs- und ihrer Aufopferungs-Fähigkeit. Es ist eine Ungereimtheit, Washington mit einem Eroberer wie Napoleon oder irgend einem europäischen Feldherrn der neueren Zeit zu vergleichen, da es zwischen ihnen gar keine Vergleichspunkte giebt. Es ist ein Widerspruch in sich, ihn den königlichen Staatsmännern und Politikern des vorigen Jahrhunderts an die Seite zu stellen, da er mit ihnen weder Anschauungen, noch Motive und Zwecke gemein hat. Es sind solche hinkende Vergleiche nur ein Beweis dafür, wie tief selbst unbewußt die französisch-romanischen Autoritäts- und Centralisations-Dogmen in das Leben der modernen Völker eingedrungen sind, daß sie die Größe eines Mannes wie Washington nur nach der Zahl seiner gewonnenen Schlachten, nach der Ausdehnung seiner Eroberungen und nach dem äußeren und sichtbaren Glanze seines Wirkens schätzen. Washington war eben dadurch groß, daß er alle die Eigenschaften nicht besaß, die bei anderen geschichtlich hervorragenden Männern gewöhnlich als groß gelten. Er steht an der Schwelle der Gegenwart und schließt das Reformationszeitalter ab, indem er den politischen Forderungen und Consequenzen der großen kirchlichen Bewegung staatliche Existenz erkämpfte. Schlage die Bücher der neueren Geschichte auf und du wirst im Leben der germanischen Völker manche Charaktere finden, die Washington theils verwandt sind und eine notwendige Ergänzung seines Wesens bilden, theils vor oder mit ihm, wenn auch auf anderen Gebieten, die Welt in dieselben Entwicklungsbahnen haben treiben helfen. Da begegnet dir zuerst Luther, der große deutsche Reformators, der den römischen Despotismus stürzte, da mahnen dich die schweigsamen, aber majestätischen Gestalten der beiden edlen Oranier an ihre große geschichtliche That, an den Todesstoß, den sie der finstern spanischen Weltherrschaft versetzten, da grüßt dich der große Tragöde William Shakespeare, welcher die neue Weltanschauung poetisch verklärte, da tritt dir der tapfere Schwedenkönig Gustav Adolph entgegen, der die Gewissensfreiheit auf den Schlachtfeldern Deutschlands mit seinem Blute besiegelte, da führt der große Lord-Protector, der eherne Olivier Cromwell die ersten Keulenschläge gegen den morschen Bau der alten Gesellschaft und weiht die Größe Englands ein, da endlich ruft Immanuel Kant der Welt seinen kategorischen Imperativ zu und schließt wie Washington zu derselben Zeit in der Politik, so auf dem Gebiet des Geistes das Reformationszeitalter ab. Alle diese Männer sind hervorgegangen aus demselben Stamme wie er, und getragen von derselben Idee, der Autonomie des Individuums, die sie durch Maßhalten, durch Beschränkung und Concentration ihrer Kraft auf diesen einen Punkt in's Leben einführten, förderten und zuletzt siegreich durchsetzten. Giebt es eine germanischere Natur als Washington, einen Charakter, der eine größere Disciplin gegen sich selbst anwandte, der sich durch jeden Akt seines Lebens höher hob und läuterte, der die Arbeit um ihres ihn befriedigenden Genusses willen that, der seine dem Vaterlaude geleisteten Dienste als eine sich von selbst verstehende Pflicht betrachtete, der nüchtern und maßvoll sein Ziel erstrebte, und als er es unter persönlichen Entsagungen und Aufopferungen erkämpft hatte, sich anspruchslos und bescheiden in's Privatleben zurückzog?

So ist Washington einer der edelsten und bedeutendsten Exponenten des germanischen Geistes, der in allen fünf Continenten und in allen Meeren zu Hause ist, der die Civilisation in die Wildnis trägt, nicht mit Pauken, Trompeten und Wappenschildern für ein paar Jahrzehnte, wie einst die Franzosen, sondern mit der Pflugschaar und der Axt für alle Zeiten, der heute die Wüsten Afrika's erforscht, und morgen die Telegraphen-Drähte von Europa nach Amerika spannt, der die Völker mit der Schnelligkeit des Blitzes zu einander reden gelehrt hat und noch lange nicht gesonnen ist, seine weltgeschichtliche Mission den Barbaren des Ostens zu übertragen.

Unter diesem Feldherrn eröffnete und beschloß Steuben seine kriegerische Laufbahn in Amerika.


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