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Von Tabora nach Uschirombo.

Brief XX.

Die sechsundzwanzig Tage – einen Ruhetag mitgerechnet – die ich von Tabora nach Uschirombo marschierte, waren zwar für mich selbst unterhaltend, weil das mehr als thüringische Staatengemenge durch die fast täglich sich ablösenden Gesichter von Ober- und Unterhäuptlingen und durch die große Zahl zum Teil sehr wohl gehaltener Residenzen immer neue Anknüpfungen und Studienobjekte bot; sie waren auch – wenngleich ohne jede geographische Sensation – von kolonialem Interesse, weil sie unsere Kenntnisse um ein Gebiet bereicherten, das von einer relativ sehr dicht sitzenden und auffallend liebenswürdigen und lebhaften Bevölkerung bewohnt wird, aber sie bieten dem, der einen größeren Kreis mehr die Früchte seiner Muße als seiner Arbeit mitgenießen lassen möchte, einen spröderen und zu harmlos bunten Schildereien weniger anreizenden Stoff.

Wenn ich das Tagebuch dieses Wegabschnittes durchblättere, so finde ich viel Wechsel, aber auch viel Eintönigkeit im Wechsel, und zum Schluß überwiegt die Empfindung daß, wenn die Namen nicht wären, die den Leser fast niemals interessieren, diese Reise einem ringförmigen Wandeldiorama gliche, das sich vor dem Auge der Zuschauer mehrmals um seine Achse gedreht hat. In so regelmäßiger Folge kehren die gleichen Landschaftsbilder immer wieder. Das wäre also wenig lockend, wenn nicht in die nüchternen Aufzeichnungen hie und da kleine lustige Episoden wie Rosinen in einen etwas fade schmeckenden Kuchen eingestreut wären. Rosinen aus Kuchen herauszuholen – »Nester suchen« nennen das die Kinder in manchen Gegenden – ist mir stets eine angenehme Kurzweil gewesen und so will ich gleichsam auch heute tun; will die eigentliche Wegschilderung noch straffer als sonst zusammenfassen, aber doch zum Kern des ganzen Gewebes machen, so wie durch die Taue der englischen Marine jener farbige Faden läuft, der dünnste zwar, doch der Mittelfaden, den man nicht herausziehen kann, ohne das ganze Gewirke zu zerstören.

1.-5. Tag. Tabora, das seine Bewohner nicht so, sondern wie auch das ganze Sultanat, Unjanjembe heißen, liegt im Mittelpunkt einer Landscheibe, über die einige Stunden nach jedem Pfeil der Windrose zahlreiche Gehöfte, Weiler und kleine aber auch größere Dörfer regellos ausgestreut sind. Von dem Grunde der Scheibe erheben sich hie und da niedrige Hügelketten, die meisten davon sehr kahl und viele mit Granittrümmern besät, die fast auf allen Seiten die Stadt in weitem Kranze umgeben. Felder, auf denen, als ich nach Norden aufbrach, Mais und Maniok standen; helle Bananenhaine und dunkle Mangoschamben; dazwischen Grasflächen oder verwachsenes verwildertes unbesetztes Ackerland; hie und da eine Anmut und Kraft vereinende Dattelpalme oder eine breitästige Ficus; versprengte freiliegende Hütten oder größere, von hohen Euphorbienhecken eingehegte Komplexe, aus deren Dunkel der dumpfe Ruf der Wildtauben oder das Flöten der rotbäuchigen Cossypha schallt; auch Rinderherden, von mageren Watussihirten mit langen Stäben behütet; oder Kleinvieh unter der Aufsicht von nackten Bübchen, die den Ziegen immer wieder mit Steinwürfen die Maisfelder verleiden müssen; von irgendwo her der Metallklang von Schmiedehämmern oder der hölzerne Ton von Axthieben oder das Stampfen der Stößer in den Getreidemörsern; Rufen, Singen, Kindergeschrei und Hundebellen – das ist das Bild, und die Stimmung der Landschaft, wie sie die ersten Tage meines Marsches mir boten.

Ich war damals etwas verdrießlich, denn ich hatte mir aus der Zahl der Träger zwei neue Boys heraussuchen müssen, einen für meinen braven Maskathengst, den andern für meinen persönlichen Dienst. Den einen hatte ich fortjagen müssen, weil er am Tage betrunken und nachts besoffen war, oder manchmal auch umgekehrt, und weil ich nach sechsmonatelanger Beobachtung noch nicht herausbekommen hatte, ob er oder sein Hütling der größere Esel war. Um ihn tat es mir infolgedessen nicht leid, denn für einen Dummkopf, den man fortgeschickt, finden sich immer leicht zwei als Ersatz; um so mehr verdroß es mich, daß mein Page Kibana sich von mir getrennt hatte, und ob er gleich ein großer Gauner vor dem Herrn war, so wußte er doch gerade wegen seiner vielen Diebereien in meinen neunzig und mehr Lasten besser als ich Bescheid, so daß ich selten in Verlegenheit kam und Kibana das Gewünschte, wenn es überhaupt noch vorhanden war, zu finden wußte. Ich hätte ihn darum auch kaum freiwillig entlassen, um so mehr als mir schon in Europa unehrliche Dienstboten immer noch lieber als dumme waren, denn gegen die einen kann ich mich wehren, gegen die anderen aber schwerlich – doch er dachte anders und entließ mich, seinen Herrn. Noch dazu am letzten Abend vor der Abreise. Ich hatte nämlich durch Zufall entdeckt, daß Kibana meine vakante Bettwäsche für sich und seine Gattin als Unterlage benutzte und sie gelegentlich auch an gute Freunde verlieh, und durch diese kommunistische Gesinnung in meinem seelischen Gleichgewicht etwas alteriert, führte ich mit dem Jüngling in meinem Zimmer eine etwas turbulente Szene auf, in deren Verlauf Kibana wie ein schlecht verstautes Faß im Lagerraum eines schlingernden Schiffes von Wand zu Wand rollte. Als er auf diese Weise einmal durch den Rahmen der offenstehenden Tür gewirbelt wurde, verschwand er und hielt sich bei Freunden versteckt, bis einige Meilen zwischen ihm und seinem Herrn lagen. Übrigens ließ ich ihn gar nicht suchen.

Nach dem ersten Nachtlager entdeckte ich beim Aufbruch, daß sich dem Schwanz der Karawane genau so viel Weiber wie früher, eher noch mehr, anschließen wollten, als wäre nie nach schweren Wehen im Sindiwald der Befehl geboren worden, daß, sobald wir die Straße von Tabora erreichen würden, »man vom Liebsten, was man hat, muß scheiden«. Zwar hatte ich stillschweigend die Frist prolongiert, als beschlossen war, daß wir alle Tabora noch einmal sehen sollten, aber vorausgesetzt, daß der Tag des Weitermarsches von dort der letzte Termin sein würde. Als ich nun sah, daß die Leute sich den Teufel um meine Anordnungen gekümmert hatten, befahl ich auf der Stelle allen Weibern umzukehren. Nur die Frau meines Koches durfte uns begleiten, weil sie angeblich ihren Mann in der Arbeit für mich unterstützte. Das gab nun ein großes Wehklagen unter den Männern, denn sie hatten darauf gerechnet, daß die Weiber ihre persönlichen Bündel und Lasten tragen würden. Aber erst recht jammerten die Weiber und als ich befahl, den Abschied von ihren Gatten zu beschleunigen, wußte manche nicht gleich, wer alles ihr Gatte sei, weil sie geglaubt hatte, daß sich das schon während der Expedition von selbst arrangieren würde. Manch eine wurde auch falsch und frech und manch andere sah ich in weitem Abstand dem Zuge folgen, so daß ich zuletzt auch falsch wurde und die Nachzügler durch ein halbes Dutzend unbeweibter und deshalb uninteressierter Askaris ein Stück Weges nach Tabora mit einiger Nachhilfe zurückbegleiten ließ. Wie mir diese nachher erzählten, sollten die Weiber fürchterlich getobt haben. Sie verwünschten mich, meine Ahnen im Grabe und meine ungeborenen Kinder und Kindeskinder. Sie verwünschten das Land, aus dem ich kam und ganz Europa und das, wohin ich meinen Fuß setzen würde. Sie verwünschten ihre Männer und sich selbst und ihre Mütter, weil sie sie geboren und alles was lebte und webte – sie verlangten nämlich fast alle noch Geld von ihren »Männern« für geleistete Kammerdienste, aber die, als sie sahen, daß es doch mit der Trennung ernst wurde, wurden auf diesem Ohre taub, ergriffen schleunigst ihre Lasten und flüchteten, Furcht vor meinem Zorn bei längerem Säumen heuchelnd, behend an die Spitze der Karawane in meine Nähe, wo sie vor jeder Bedrängnis sicher waren. Hinc illae lacrimae und daher jene wilden Ausbrüche der Verzweiflung.

Am dritten Marschtage wurde die Gegend schon menschenleerer. Wir nähern uns der Peripherie von Unjanjembe. Die alten, am Hochwuchs der Wolfsmilchhecken und der Milumbabäume kenntlichen Gehöfte werden seltener; Buschpori beginnt das wellige Gelände zu bedecken und Steppenwald, in dessen frisch gerodeten Lichtungen Neusiedelungen stehen; auf den Feldern sah man noch vielfach gefällte Bäume, meist Kigelien oder die geschwärzten Stümpfe verkohlter Stämme. Wir überschreiten den Grenzfluß von Ulikampuri, dessen breites versumpftes und verschilftes Bett nur eine schmale Rinne und hie und da trübe Wasserlachen unterbrechen, und lagern in der Nähe am jenseitigen Ufer, auf dem unser Pfad in unzähligen Krümmungen zwischen pinienähnlichen Schirmakazien und von Ameisen wimmelnden Flötenakazien, bedächtig jedem Hindernis ausweichend, sich weiterschlängelt.

Wir waren nicht allein in diesem Lager, denn ein paar hundert Schritt tiefer im Pori hatte sich bereits die kleine Karawane eines Arabers niedergelassen. Ich muß den Arabern unserer Kolonie die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie freundliche Herren sind, meist mit taktvoll zurückhaltendem Wesen, sympathischen Manieren und ehrfürchtig gegen ihre Gäste.

Mein Lagergenosse war ein hellfarbiger, etwas gelbsüchtiger Mann in mittleren Jahren, mit dünnem Vollbart und mageren, sonngebräunten Händen, übrigens ein armer Teufel und Agent vom Ssef bin Ssad. Er besuchte mich gleich nach dem Essen, blieb ein Viertelstündchen und schwätzte von dem und jenem. Er hatte etwas Elfenbein von Wassumbwa-Händlern gekauft und klagte über die schlechten Zeiten; daß der Ankauf von Jahr zu Jahr teurer und der Erlös in Sansibar von Jahr zu Jahr geringer würde. Ich versuchte, ihm auf seine Bitte eine Erklärung zu geben, warum der Weltmarktpreis des Elfenbeins gesunken sei und vertröstete ihn auf eine bessere Zukunft. Dann empfahl er sich und lud mich zu sich ein, dem ich in der Dämmerstunde Folge leistete. Araber haben um ihr Zelt fast immer noch einen Zaun aus Bambusstöcken, zwischen denen sie weißen Stoff ausspannen. In diesen kleinen Vorhof trat ich ein, noch rechtzeitig genug, um seine unverfälscht schwarze Gattin mit fürchterlich entwickeltem Vor- und Hintergebirge in das niedrige Zelt kriechen zu sehen. Mein Wirt forderte mich zum Sitzen auf und wies mir einen Stuhl an, den üblichen Schusterschemel, aber sehr breit – offenbar nach den Maßen der Dame des Hauses gearbeitet und von ihr allmählich spiegelglatt poliert. Da ich aber merkte, daß er noch angewärmt war, zog ich vor, mich neben dem Araber auf eine bunte Strohmatte zu plazieren. Nach einiger Zeit verschwand er im Zelt und kehrte mit einer Rindenschachtel zurück, aus der er Datteln und eine Flasche Scherbet herauskramte, von dem er mir einen halben Becher voll einschenkte. Gott verzeih's ihm, denn es schmeckte wie ein besseres Vomitiv, ob es gleich nach Rosen und Minze duftete; umso besser mundeten die Früchte. Ich war beschämt, denn ich hatte ihm bei mir nichts angeboten und hätte doch recht gut aus meinem Mundwasser und einem paar Tropfen Lawendelgeist kein schlechteres und ihm sicherlich angenehmes Getränk zurechtbrauen können. Zur Beruhigung meines Gewissens schickte ich ihm noch denselben Abend eine Büchse Jam, den Araber sehr lieben und etwas Tabak.

Der eintönige Marsch der nächsten Tage ist rasch beschrieben. Hügelland mit stärkeren Steigungen als bisher, viel Wald, mehr oder minder dicht und stellenweise von Lichtungen mit Gesträuch unterbrochen. Zwischen den Bäumen viel Felsblöcke oder nackte Granitplatten. Zuletzt niedriger Busch, hie und da von Borassuspalmen überragt und Ankunft in der Tembe Kwa mbuma. Ansiedelungen lagen sonst nicht am Wege, nur einmal die Reste eines verlassenen Gehöftes. Lager in der Nähe der Tembe in einer Gruppe von Ficus und Hyphänen; unter meinen Leuten ein neuer Blatternkranker, den ich nach Tabora schickte, wo er bald darauf starb.

Von diesem Platz nahm ich eine Erinnerung mit, die mich noch oft in der nächsten Zeit in häßlichen Träumen heimsuchte. Ein Eingeborener kam zu mir und bat mich um Arznei. Als er auf meine Frage nach der Art seiner Krankheit seinen Fellschurz ablegte, sah ich einen Fall jener abscheulichen Elephantiatiden vor mir, wie ich ihn bisher nur aus Abbildungen kannte. Ein greulicher Anblick, wie ihm der Leibesauswuchs breit wie ein Benzinballon bis zu den Waden herabhing und von einem, um den Hals laufenden Stützband getragen wurde, um die Bauchhaut zu entlasten. Ich mußte mich trotz meines Arzttums voll Ekel abwenden und beschränkte mich darauf, dem Ärmsten ein Almosen statt einer Arznei zu geben, denn wer und was konnte da helfen?

Aber rasch ein lustigeres Bild. Am vierten Tage – wir hatten kaum das Lager verlassen – stürzten mein Führer von Tabora und die zwei Askari, die mir dicht voranschritten, plötzlich zur Seite, und der vorderste faßte einen Graupapagei, der am Wege auf einem Strauch saß, vergnügt vor sich hinpfiff und sich willig einfangen ließ, denn die Schwingen waren ihm beschnitten. Offenbar hatte ihn dieser Tage eine Karawane verloren. Natürlich sofort Streit unter meinen Leuten, wer ihn zuerst gesehen habe. Wir machten Halt, denn es war wichtig genug, und ich fragte, wer als Erster das Heureka ausgerufen hätte. »Der Führer« gaben alle zu. »Schön«, sagte ich zu dem Mann, »nun kann es sich also nur noch um dich oder um mich handeln; denn wenn ich dich nicht für diese fünf Tage verpflichtet hätte, säßest du ja jetzt in Tabora und hättest keinen Papagei finden können; ist es so?« »Ewallah, Bana« bestätigte er mit etwas langem Gesicht.

»Schön«, sagte ich noch einmal, »jetzt höre und urteile selbst, ob ich ein gerechter Richter bin. Du weißt, daß die Papageien sprechen können; so möge er selbst entscheiden. Ich werde ihn also fragen, ob er bei dir bleiben will; antwortet er mit ja, so sollst du ihn haben; schweigt er aber und bejaht er meine Frage nicht, so gehört er mir.«

Ein Beifallssturm meiner Leute, die dem fremden Führer den Fund nicht gönnten, erschütterte den Wald, und nur der Führer grimassierte sauersüß. Ich brauche wohl nicht zu verraten, wie das Schicksal meine Weisheit belohnte; der Papagei antwortete in der Tat nicht mit »ja«, trotzdem ich ihn dreimal fragte, sondern pfiff weiter und rief höchstens mit tiefer Bauchstimme seinen eigenen Namen Kassuku. So ging er also in meinen Besitz über und ich erfreute mich seiner. Die Herrlichkeit dauerte aber keine vierundzwanzig Stunden, denn am nächsten Morgen war der Kassuku verschwunden – der Führer aber auch.

6. – 11. Tag. Der sechste Marschtag war ein Nachmittagsmarsch. Nachdem wir eine sehr sumpfige Steppe gekreuzt hatten, traten wir in dichten Busch ein, in dem hie und da Grasinseln oder nackte Eisensteinflächen lagen. An einzelnen Stellen sperrten geradezu kolossale Termitenhaufen den Weg. Nach zwei Stunden endete der Busch und vor uns dehnte sich eine weit nach Norden sanft geneigte Steppe, mit leicht verteilten Sträuchern und Bäumen, die die Abendsonne mit unerschöpflichen Goldmassen übergoß. Fern im Westen erhoben sich blaue, graziös geformte Hügelketten, während andere vor uns im Norden näher lagen. Auf sie hielten wir zu. Aber so hurtig wir auch in der kühlen Dämmerung dahinschritten, sie wollten und wollten nicht an uns heranrücken. Die Nacht bricht herein und in mattem Mondschein marschierten wir weiter, schweigend, von der feierlichen Ruhe der schlafenden Landschaft beklommen und nur bei plötzlichen Weghindernissen fliegen die Warnungsrufe wie Feuereimer die Trägerkette entlang, bis sie den letzten Mann erreichen. Endlich geht es durch dichten Busch langsam bergan und beim Licht von Magnesiumfackeln schlagen wir die Zelte im Hofe einer kleinen Tembe auf, die in Dunkel gehüllt schlummernd neben uns liegt.

Am andern Morgen besichtigte ich zunächst unser Lagerdorf, dessen Bewohner erst in der Frühe gewagt hatten, die nächtlichen Gäste zu betrachten. Es war eine große Tembe mit zahlreichen Rundhütten im Hof und gehörte Msomma, dem jungen Sultan von Unjambewa, dessen Ikurru (Residenz) eine Stunde westlich lag. Ich ließ noch einmal den Blick nach Süden über das Steppen- und Buschland bis zu den Bergen von Ulikampuri zurückschweifen. Im Osten und Norden liegen auf Schußweite mit Felsblöcken besäte kahle Hügel, die die Kuppe dieses Plateaus bilden. Im Westen auch wieder Busch und Hügel und hie und da weiße sandige Streifen. Viel, viel Pori, und doch war Unjambewa einst eine wohl besiedelte Provinz; aber wehe dem Land, dessen Herrscher ein Kind ist. Msomma ist ein Junge und dazu, wie ich glaube, ein ziemlich dummer Junge, der sich von gewissenlosen Ministern beherrschen läßt und mehr noch von den Zauberern und auf diese Manier seine Untertanen in glücklichere Distrikte vertreibt. Ich hatte den Sultan schon in Tabora kennen gelernt, wo er zum Schauri zitiert war, weil seine Minister ein Weib – natürlich eine Hexe – mit gespreizten Beinen an Pfähle gebunden und zwischen sie ein Feuerchen angezündet hatten. Sie wollten sie nur »anrösten«, aber die Vorsehung ersparte ihr die Qual, solchermaßen weiter zu leben und befreite sie durch den Tod von ihren Henkern. Wir wollen nicht zu streng sein, denn es ist so, wie ich schon einmal anführte: die Neger und wir leben nicht in dem gleichen Jahrhundert; auch gibt es noch heute in Europa unzählig viel Leute, deren geistiger Verfassung eine Hexenverbrennung nicht sehr ungeheuerlich erscheinen würde, wenn sie nur kirchlich sanktioniert wäre.

Bei all den Stämmen, die man unter dem Sammelnamen Wanjamwesi zusammengefaßt, sind abergläubische Ideen und ihre Vertreter, die Zauberer, besonders mächtig; daher sind sie auch vorn Islam wenig berührt worden. Ob sie dem Christentum zugänglicher sein werden, muß sich erst zeigen. Die Katholiken sind mit ihren Anfangserfolgen zufrieden; die Arbeit der Protestanten in Urambo hat total versagt, was vielleicht zum Teil an der Unzulänglichkeit des englischen Missionars lag. – – –

Während die Karawane direkt westlich nach dem Ikurcu Msommas marschierte, ging ich noch einmal den Weg zurück, soweit ich ihn nachts nicht hatte aufnehmen können und strebte dann auf Umwegen demselben Ziele zu über Felder und Grassteppen, durch Busch mit viel jungen Hyphänen und Euphorbien und an kleinen von Bananen umschlossenen Dörfern vorbei mit sorgfältig gehaltenen Tabakskulturen in eingehegten Beeten. Msomma erwartete mich im Lager, war nett und freundlich und schenkte mir ein Rind und – eine Heuschrecke. Er hatte aber recht, der gute Junge, denn er machte mir wirklich eine Freude damit, es war nämlich eine jener merkwürdigen Riesengespenstheuschrecken, ein Schulexempel für jenen dunklen Vorgang, den man Mimicry nennt. Nicht nur täuschte sie ein ganzes Konglomerat von Blättern, Blättchen und Knospen vor, nein, sie war auch entzückend in der zarten Farbenharmonie von hellgrün, rosa und karmin, die leider im Tode viel von ihrer Schönheit einbüßte.

Am achten Reisetage marschierte ich in das Ikurru des Mlimassunso, dem Ukumbi gehört, und blieb den neunten Tag dort. Zuerst führte der Weg wieder über welliges, bebautes Terrain, über Strauchsteppen und durch Busch; dann wurde es reizvoller. Wir passierten eine Parklandschaft mit schönem, kurzem Rasen und dunklen Baumbosketts, darunter viel von Schlingpflanzen umsponnene Kandelaber-Euphorbien, in deren Schalten reichlich Arrowroot gedieh. Nachdem wir später lange durch dichten Wald mit sandigem Boden gezogen sind, und zuletzt über Wiesen und Felder, die unter Wasser stehen, kamen wir, begleitet von einer Menge Volks, die bald zurückbleibt, bald voraus springt, in der schönen schattigen Residenz an. Ich blieb in dem sauberen Dorf zwei Nächte, weil ich mir den rechten Fuß etwas verknaxt hatte. Ich hatte nämlich nach dem an sich sehr berechtigten Grundsatz gehandelt:

»Warum soll ich denn beim Gehen
Nicht auch in die Ferne sehen?
Schön ist es auch anderswo
Und hier bin ich so wie so.«

Daß der Weg, der durch »hier« führte, stellenweise mehr Löcher hatte, als ein preußischer Wachmantel, hatte ich leider übersehen. (Ich konnte aber in Afrika vom ersten Tage an – und dieser Eigenheit bin ich all die Jahre über treu geblieben – an keinem Loch vorübergehen, ohne mindestens mit einem Fuße zu untersuchen, wie tief es sei. Und diesen überneugierigen Fuß hatte ich mir diesmal verstaucht.)

Ich blieb übrigens nicht ungern diesen Tag bei Mlimassunso, denn es saß sich angenehm in seinem kühlen, allerdings auch etwas feuchten Hof unter den weit ausladenden Milumbabäumen. Der bärtige Mlimassunso, eine breitschultrige, kraftvolle Gestalt, saß nebenan in einer großen, nur als Unterhaltungsraum dienenden, nach zwei Seiten offenen Hütte und seine beiden Frauen spielten mit ein paar reizenden zutraulichen Kinderchen, die wie kleine Äffchen auf den beiden aus Lehm gemauerten Bänken, die sich halbkreisförmig den Wänden anschmiegten, lustig herumtollten. Es war ein schwarzes Familienidyll, an dem ich mich mit Auge und Herz erfreute. Das Ikurru lag inmitten von Maisfeldern, die eine enorme Fläche bedeckten. Der Unterschied zwischen dem von einem Knaben und dem Eigennutz seiner Ratgeber mißhandelten Unjambewa und Ukumbi, wo die Minister neben dem im besten Mannesalter stehenden Mlimassunso einflußlos sind, sprang so recht in die Augen, und ich glaubte es dem Sultan gern, daß immer neue Wanjambewa hierher übersiedelten. Denn den Negern geht es auch nicht anders, wie anderen Völkern; sie können auf die Dauer wohl Strenge ertragen, aber einem Willkürregiment unterwerfen sie sich nur mit Zähneknirschen und entziehen sich ihm endlich, wenn ihnen der Schutz eines Stärkeren winkt.

In den nächsten beiden Tagen durchquerte ich Ukumbi; man führte mich mit Absicht nicht durch den bevölkertsten Teil des Landes, sondern mehr östlich auf einem nicht sehr begangenen Wege. Mein nächstes Ziel war die zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer nördlich gelegene Nebenresidenz Mininga. Vom Marsch des ersten Tages ist nur der Übergang über den Kwandefluß bemerkenswert, der hundertzwanzig Meter breit nach Westen strömte. Er war brusttief und nur die letzten zwanzig Meter mußte man auf einer Knüppelbrücke überschreiten bezw. überkriechen. Wenn Brücke ein Ding ist, das zwei Ufer verbindet, so war auch dies eine Brücke. Entstanden war sie dadurch, daß man ein paar Dutzend Stämme mit unbehauenen Ästen neben und übereinander häufte und sie ließ, wie sie gerade fielen. In die Gabelung wurden kleinere Äste und in diese noch kleinere und so fort ganz regellos und willkürlich geworfen, bis ein unbeschreibliches Holzgewirr ein paar Meter über dem Wasserspiegel aufragte. Das war die Brücke. Indes: ich kam glücklich hinüber. Die Ziegen als sehr gewandte Kletterer und auch die Träger kamen unbeschädigt am jenseitigen Ufer an. Für die Rinder war die Passage natürlich unmöglich. Bei solchen und ähnlichen Gelegenheiten, wie z. B. auf schmalen Felspfaden an Abgründen vorbei, bewähren sich die Küstenleute vortrefflich. Nur eine Last mit Getränken stürzte ins Wasser, wurde aber herausgefischt und nur eine Flasche Rotwein zog einen Moment über die schmutziggrauen Fluten des Kwande einen purpurfarbenen Strich. Neben dem Hauptarm waren noch zahlreiche Nebenarme und ein großes Überschwemmungsgebiet zu passieren, in dem die Eingeborenen ihre Reiskulturen angelegt hatten.

Am Abend des zweiten Tages kam ich in Mininga an. Der letzte Teil des Weges brachte in die ewigen Busch- und Myombowald-Formationen willkommene Abwechslung und steigerte sich in der Nähe der Residenz zu einem wundervollen Panorama, weithin dehnt sich, sanft ansteigend nach Norden und Nordosten, dichter Wald und klettert zuletzt die Hänge einer Bergkette hinauf, die stellenweise von den nackten Felskämmen einer zweiten Kette überragt wird. Und mit solcher Kraft erhöhte die Abendsonne das natürliche Rot des Gesteins, daß ich beim ersten Anblick einen Moment verwirrt stehen bleibe und nach der Ursache der Gluten suche, die wie Flammenströme aus dem vorgelagerten Waldgebirge zu brechen scheinen. Freundlicher ist der Blick nach der anderen Seite. Hier neigt sich die Steppe in ganz leisem Abstieg, bis auch ihr die blauen Berge eine Grenze setzen; aber was ihr Charakter und schönsten Schmuck zugleich verleiht, das sind zahlreiche Borassuspalmen, deren herrliche Formen sich wie Bronzegüsse als Silhouetten vom westlichen Himmel abheben. Auch viele abgestorbene und vom Sturm geköpfte sind darunter, namentlich dort, wo das Land gebrannt und gerodet ist, und wie die ernsten Säulen zerfallener Tempel überragen sie die Ebene. Vor den Bergen, die sich im Nordwesten mit graziöser, tief eingebuchteter Kammlinie fortsetzen, zieht ein weites Tal, in dem versteckt in schwarzem Park von Euphorbien und Feigenbäumen und, von den hellen Scheiben der Maisfelder und Bananenschamben umschlossen, zahlreiche Dörfer, von denen nur der Rauch, der als feiner, blaßblauer Schleier von der feuchten Luft auf die Baumkronen niedergedrückt wird, verrät, daß sie Menschen und Leben beherbergen.

Ich lagerte in dem Dorf eines hinkenden Unterchefs von Mlimassunso. Da sich in Mininga mein Weg mit dem kreuzte, den vor etwa vierzig Jahren Speke und Grant genommen hatten, so bat ich, mir einige, mindestens fünfzig Jahre alte Leute zu bringen, die sich gewiß des Europäerbesuchs als eines seltenen Ereignisses, das sich seitdem erst durch meine Anwesenheit wiederholte, erinnern würden. Unmöglich. Unter den schätzungsweise dreitausend Menschen, die hier und in naher Umgebung wohnten, seien wohl einige alte Leute da, aber sie wären zu gebrechlich, um rasch hierher gebracht zu werden. Ich war frappiert, denn damals waren mir die Verhältnisse, die ich früher geschildert habe, noch nicht in vollem Umfange klar geworden, und ich glaubte die Ursache des Fehlens von Greisen in der ehemaligen Nachbarschaft Mirambos gefunden zu haben, jenes unruhigen Kopfes, den man etwas pompös den Napoleon von Ostafrika genannt hat.

12. – 16. Tag. In den nächsten Tagen – ich will den Leser nicht durch immer wiederkehrende Aufzählungen von Busch- oder Strauch- und Baumsteppen, von Myombo- oder Msimawald, von Feldern und Dörfern ermüden – kamen wir, nachdem wir einen Zipfel des Landes Ukunne passiert hatten, nach Mlära, einem Tributärstaat von Ujogo, dann nach diesem und über Uschetu nach Ulungwa. In Mlära und Ujogo waren zwei kleine Knaben Sultane, der eine mit Haaren wie ein Schnürenpudel. Die vielen Kinder, die man auf afrikanischen »Thronen« findet, illustrieren auch, was ich von der Lebensdauer der Neger erzählte. In Uschetu dagegen war ein älterer Herr am Ruder, der mit den heutigen friedlichen Zeiten sehr zufrieden war; weniger mit dem Zipperlein, das ihn plagte. Die Gegend wurde mit jedem Tage reicher an Siedelungen, namentlich zwischen Uschetu und Ulungwa, wo ich in wenigen Stunden 54 Dörfer zählte. Das Ikurru von Uschetu liegt allerdings noch etwas einsamer; der Hauptort nach allen Seiten von bewaldeten Bergen umschlossen. Merkwürdig sind am Wege die flachgewölbten, etwa zwanzig Meter hohen und ein paar hundert Meter langen Granitkuppen, die größtenteils nackt oder auf angewehter Erde spärliches Gras und ein stark nach Terpentin duftendes, klebriges, rotbraunes Kraut tragen. Das Terrain war meist hügelig; vielfach waren überschwemmte Wiesen oder Sümpfe zu überschreiten, deren Boden man durch parallel aneinandergereihte Äste etwas Festigkeit gegeben hatte.

Am 16. Tage waren zwei Flüsse zu passieren. Die Kasimana, an der von den Eingeborenen Salz gekocht wird, und der Grenzstrom, die ca. 60 Meter breite, rasch fließende Ulungwa, über die wir uns mit Hilfe einer mit einem Tau verbundenen Strickleiter hinüberzogen. Die Bevölkerung war allerorts über die Maßen liebenswürdig. Mehrere Tage lang schickten uns die Sultane reichlich Lebensmittel nach. Dabei waren die Leute keineswegs einfältig und stupid. Im Gegenteil, sie schienen mir intelligenter als alle Neger, die ich bisher auf meinen Reisen kennen gelernt hatte. So erinnere ich mich z. B. an einen Büchsenmacher, der alte Gewehre vortrefflich erneuerte, indem er nicht nur die Holzteile, sondern auch einzelne Eisenteile ersetzte, z. B. Korn, Visier und selbst Hähne. Und wie halten die Leute ihre Gewehre, meist uralte vierzig- und mehrjährige Vorderlader englischen Fabrikats! – (Ein preußischer Kompagniechef würde zufrieden sein, und das ist gewiß kein kleines Lob.

Auch sehr zutraulich waren die Leute, und als sie auf irgend eine Weise gehört hatten, daß ich ein Arzt und dunkler Wundertäter bin, strömten die Kranken von allen Seiten herbei, um sich bei mir Rat und Arzenei zu holen. Ich glaube auch damals manchen Schmerz gelindert und manche Wunde geheilt zu haben. Nur einer hätte besser getan, sich meinen Händen nicht anzuvertrauen, und dies kam so: Als ich in Uschetu lagerte, kam da ein Männlein Ende der Dreißiger, stellte einen Korb mit süßen Kartoffeln vor mich hin, beugte das Knie, klatschte dreimal in die Hände und bat mit großem Wortschwall, ob ich nicht seine linke Wange von einer entstellenden Geschwulst befreien wollte. Warum eigentlich? Es war ein harmloses Fibrom, wie ein halber Apfel groß, machte ihm keine Schmerzen bestand seit seiner Kindheit – warum also? Ich weiß es heute noch nicht, denn er hat es mir nicht verraten; offenbar war er eitel, und weil ich ein paar Tage vorher einem Mädchen einen haselnußgroßen Tumor von der Stirn entfernt hatte, wünschte er das gleiche für sich. Ich dachte zwar: »Junge, Junge, wenn das nur nicht schief geht.« Als er aber immer wieder drängte, ließ ich mich doch erweichen. Er setzte sich also auf einen Stuhl, und ich machte zunächst, weder Mut in der Brust noch siegesbewußt, einen riesigen senkrechten Hautschnitt; – aber, aber – der Mann blutete gleich wie ein geschächteter Bulle. Die zwei Arterienfänger, die ich besaß, hingen bald; aber da spritzten noch an fünf, sechs anderen Stellen stoßweise kleine Fontänen. Als ich sie endlich soweit hatte, daß sie versiegten, waren beide Operateur und Operierter, am Ende ihrer Kraft, nur daß des einen Nasenspitze kreideweiß, die des anderen fahlgrau geworden war. Es fiel mir bei diesem ungewöhnlichen Blutreichtum nicht ein, noch weiter zu schneiden, sondern ich flickte die Wunde möglichst rasch wieder zu, so daß der Hügel durch die Schnittlinie in zwei Hälften geteilt wurde, streute dick Jodoform darauf und hüllte den Kopf so in Watte und Binden ein, daß es dem Patienten unter keinen Umständen möglich war, die Wunde zu besichtigen. Der Unglückliche saß, während ich ihn vermummte, mit verglasten Augen da, klatschte aber gleichwohl unaufhörlich mit den Händen und dankte mir heißen Herzens, daß alles so rasch von statten gegangen war. Ich befahl ihm zum Schlusse noch, die nächsten acht bis zehn Tage um keinen Preis den Verband zu öffnen – denn bis dahin dachte ich doch mich so weit entfernt zu haben, daß mich seine Rache nicht mehr erreichen könnte, wenn er entdeckte, daß er zu seiner alten Apfelgeschwulst nun noch eine riesige Narbe im Gesicht sein Leben lang tragen muß.

Merkwürdig, was für ein chirurgisches Pech ich in Afrika habe: Neulich wollte ich einem Träger einen Backzahn reißen und war schließlich froh, daß ich die Kinnlade wieder mitsamt dem Zahn einrenken konnte. Ein andermal eröffnete ich einem Kinde einen Abszeß, aber so tief ich auch einschnitt, es wollte nichts als Blut herauskommen. Und nun das Fibrom; es scheint, daß auch aller schlechten Dinge drei sein müssen. »Es ist der Fluch der Heidelberger Gans«, schrieb ich damals in mein Tagebuch. Nun habe ich es hier wiederholt, und nun bin ich eigentlich eine Erklärung dafür schuldig. Zwar ist diese buchstäblich so erlebte Historie nicht afrikanisch, aber ich gestatte mir gleichwohl diesen kurzen Appendix schon damit ich ob dieser chirurgischen Untaten etwas gerechtfertigt vor einem hohen Adel und p. t. Publikum da stehe. Also recht kurz!

Ich war Student im sechsten Semester und wohnte in Heidelberg bei einem Schneider, der, wie sich das für einen Schneider nicht anders schickt, schwindsüchtig und mit sehr ergiebigem Kindersegen verheiratet war. Der arme Teufel lag fast stets im Bett, und als ich eines Tages nach Hause kam und meine Wirtin schluchzend vorfand, wollte ich ihr schon kondolieren: aber es war noch nicht so weit, sondern ein anderes Unglück war geschehen. Die Frau Schneider stopfte nämlich in ihrer freien Zeit Gänse und hatte einer unseligen Gans einen Kloß in die falsche oder eigentlich in die richtige Kehle gesteckt, so daß sie, d. h. die Gans, am Ersticken war. Ich besah mir den Unglücksvogel mit kritischen Blicken. Er saß auf einem Tisch in der Schlafstube und wurde von den tränenden Kindern festgehalten, während der Schneider auf seinem Schmerzenslager mit letzter Kraft über den »Leichtsinn« seiner Frau trübe Betrachtungen anstellte. Bereits fiel der Gans der Kopf abwechselnd auf die eine oder andere Seite. Aber wozu war ich sechstes Semester und wozu hatte ich theoretische Chirurgie gehört?

»Weinet nicht,« sagte ich also salbungsvoll, »ich werde diese freundliche Gans retten, indem ich ihr den Luftröhrenschnitt mache.«

Alles blickte mit einem Gemisch von Vertrauen und Hochachtung bald mich, bald die Gans an. Ein feines Federmesser besaß der Schneider, eine Metallhülse von meinem Bleistift sollte als Kanüle dienen. Und nun los. Der Schnitt: vorzüglich; aber die Kanüle will nicht halten; also tiefer hinein und etwas Gewalt angewendet. Nun saß sie fest, wundervoll. Im selben Augenblick aber machte die Gans einen Japser, sah mich mit einem Auge vorwurfsvoll an, legte sich sanft auf die Seite und verschied, während sich der Schneider gramvoll der Wand zukehrte. Bei der Sektion stellte sich heraus, daß die Kanüle quer durch Luft- und Speiseröhre in der Wirbelsäule saß. Daher der anfangs so rätselhafte Tod. Ich konnte seit jenem Tage lange Zeit keine Gans ohne Gewissensbisse ansehen, und so oft ich später ein chirurgisches Mißgeschick erlebte, wußte ich, daß es der Gänsefluch war, der auf mir lastete.

Bergfrieden am Kiwu-See, Ende Oktober 1899.

Brief XXI.

17. – 18. Tag. Der Leser hat mich im vorigen Brief bis zum Übergang über den Ulungwafluß begleitet. Auf dem rechten Ufer begann das gleichnamige Sultanat, das neunte, seitdem wir Tabora verlassen haben. Alle diese Gebiete sind nicht so klein, wie man glauben könnte, sie sind umfänglicher als die thüringischen Staaten, aber da ihre größte Ausdehnung in ostwestlicher Richtung läuft, so konnte mein im wesentlichen südnördlich gerichteter Marsch ihrer viele kreuzen, ohne daß durch die kürzere oder längere Passage ein Maßstab für die wahren Größenverhältnisse gewonnen wäre. Von Ulungwa z. B. trennte mein Weg nur die äußerste Südwestecke ab, von Ukunne die Spitze eines Keils und dies noch öfter.

Am anderen Ufer beginnen wieder Felder und Dörfer einander abzulösen. In dieser Gegend, wo drei Gebiete – Uschetu, Ulungwa und Ulewe – zusammenstoßen, ist ein solcher Konflux von Niederlassungen, daß sie für die Etablierung einer Mission wie geschaffen wäre. Aber die Missionare lassen sich in der Auswahl ihrer Plätze manchmal von Gesichtspunkten leiten, die ein unbefangener Beobachter nicht begreift. Auf die Katholiken, die wenigstens ihre Mißgriffe korrigieren, komme ich später noch zurück. Die Protestanten scheinen aber einen viel unglücklicheren Blick zu haben. Da sitzen sie z. B. seit mindestens fünfzehn Jahren in Kilimani Urambo – die ersten zehn Jahre durch ein englisches Missionspaar vertreten. Und trotzdem in dieser langen Zeit kaum ein Eingeborener für die christliche Lehre gewonnen wurde, bleiben sie hartnäckig dort, während die Katholiken Jahr für Jahr die besten Plätze in Ruanda und Urundi in Beschlag nahmen, wo sie nach zehn Jahren Tausende von Neophyten um sich geschart haben werden. Mir ist dies Verhalten unbegreiflich. Lesen denn die Leiter der evangelischen Propaganda nicht die katholischen Missionszeitschriften? Oder nicht einmal die Berichte der amtlichen Kolonialzeitung? Als ich nach Afrika ging, kamen auch zwei Missionsehepaare nach Urambo. Welche Erfolge hätten diese jetzt hinter sich haben können, wenn sie meinen Fußspuren in das Innere von Ruanda gefolgt wären. Aber es scheint beinahe, daß dem schönen Hause in Urambo zuliebe die fruchtbarsten Äcker verschmäht und dafür der steinigste Boden umsonst mit Schweiß gedüngt wird. Heute arbeiten auch in Ruanda und Urundi evangelische Missionen, in Urundi die Neunkirchener, in Ruanda die Bielefelder unter Leitung meines vortrefflichen Freundes, des von Europäern und Farbigen gleichverehrten Pastors Johanssen.

siehe Bildunterschrift

Träumerei.

In Ulungwa lagerte ich am Eingange eines großen Dorfes neben einem alten Baum, unter dem eine lange Bank in den Boden eingelassen war. In seinem Schatten pflegen die Dorfbewohner täglich bei Tabak und Pombe ihr Schwätzchen zu machen oder zeitweise ihre Beratungen abzuhalten. Als Sultan stellte sich mir ein älterer wohlbeleibter Herr vor, der ebenso wie sein nicht minder gutgenährter Sohn einer stark jüdischen Physiognomie und der Behäbigkeit eines Kommerzienrates sich erfreute. Je mehr ich nach Norden kam, desto häufiger zeigten sich bei den Vornehmen Spuren semito-hamitischer Abstammung, denn Watussi hatten einst in all diesen Ländern geherrscht, bis sich das Volk gegen seine Zwingherren erhob und sich ihrer entledigte. Der Alte hatte eine ungeheure Fettgeschwulst im Nacken, verlangte aber mit keiner Silbe ihre Entfernung, was ich ihm auch sehr verübelt hätte, denn ich hatte Nase und Gemüt noch von der letzten Operation voll, die noch nicht viel mehr als 24 Stunden und zwei Meilen hinter mir lag. Nachdem wir eine Viertelstunde harmlos parliert hatten, gestand er, nur ein Unterchef des Sultans zu sein, und bald darauf erschien dieser auch selbst, Kirogassia, ein etwa neunzehnjähriger Jüngling, gewachsen wie ein Ephebe und Eigner einer seltsamen Schönheit. – – – – – – – – – – – – –

Wie weit entfernte sich sein Bild und das so vieler anderer von der verbreiteten Volksanschauung, die sich einen »Mohren« nur mit blutroten, wurstartigen, ein Riesenmaul einrahmenden Lippen vorstellen kann, einer kurzen dicken Nase, weißglänzenden runden Billardball-Augen und bekleidet mit Schurz und Kopfputz aus bunten Vogelfedern, also genau so, wie ihn in meiner Jugendzeit die Ladenschilder der Zigarrenhändler zeigten. In Wirklichkeit findet man (und nicht nur unter dem Stamm der Watussi) viele Köpfe, die unserem Schönheitsideal sehr nahe kommen und auf manche Desdemona einen tiefen Eindruck machen würden. Ich gebe dabei gern zu, daß ein längerer Aufenthalt in Afrika die Urteilsfähigkeit über diese Frage einigermaßen einschränkt, wie man sich nämlich an Eigenheiten seiner eigenen Gesichtszüge so gewöhnen kann, daß man sie gar nicht mehr bemerkt, so auch an gewisse, auf den ersten Blick auffällige Typenmerkmale seiner Umgebung. So verliert der Afrikaner nach einiger Zeit die Sehschärfe für die allzu vollen Lippen und die etwas zu breit geratene Nase des Negers, ja mehr noch, er vergißt selbst die farbige Haut. Je schärfer die Masse, die ihm, wenn er frisch von Europa an der afrikanischen Küste landet, so gleichförmig scheint, daß er verzweifelt, sie je differenzieren zu können, sich dem Betrachter auflöst und in zahllose, durch sehr viele Merkmale individuell gekennzeichnete Physiognomien zerfällt, um so stärker treten für ihn die Rassezeichen zurück und werden (namentlich in Erinnerungs- und selbst in Traumbildern) zugunsten der jedem Einzelwesen originellen Züge unterdrückt. So kann es kommen – und daß es so kommt, habe ich oft genug erlebt – daß ein Gesicht schön gefunden wird, obgleich es die unserem hellenischen oder germanischen Ideal widersprechenden Eigentümlichkeiten der Negergesichtsbildung hat; aber nicht diese werden beachtet, sondern die individuellen: vielleicht ein lebhaftes Auge, ein zierliches Ohr, ein edler Teint, die sich dem Beschauer zu einem harmonischen Ganzen vereinen. Das sicherste Urteil ermöglicht die Photographie. So wie viele Menschen ihr eigenes Gesicht so schlecht kennen, daß ihnen ihr Bild fremd und unähnlich scheint, so findet der Afrikaner auf der Photographie – oft zu seinem Erstaunen – am Neger die auffallenden Rassezeichen wieder, die er am lebenden Modell zu übersehen sich gewöhnt hat; und ich persönlich konnte oft genug in solchem Augenblick, z. B. erst jüngst bei der Betrachtung eines Bildes meines mir leidlich hübsch scheinenden Boys Mabruk, nicht den Gedanken unterdrücken: »Kerl, du bist ja doch ein richtiger Nigger.« So sehr hatte ich das über dem Boy »Mabruk«, ich meine über dem Einzel- und Eigenwesen, vergessen. Mit anderen Worten: Man gewöhnt sich in Afrika neben seinem alten Schönheitsideal, das man für bessere Zeiten wie einen Feiertagsrock in den Kasten schließt, allmählich an ein neues für den Werktag, das durch gewisse Rasseneigentümlichkeiten nicht beeinträchtigt wird, wenn sie das Bild nicht zu auffällig beherrschen. Man glaube übrigens nicht, daß ein intelligenter Neger seine Rassezeichen schön findet. Je mehr ein Gesicht durch eine schmale Nase, durch wohlgeformte Lippen unserem europäischen Ideal sich nähert, um so mehr gefällt es auch dem Neger. Ich habe das wiederholt und auf vielerlei Weise geprüft. Das einzige Rassemerkmal, das ihn nicht übel dünkt, ist die farbige Haut, vorausgesetzt, daß sie nicht zu dunkel ist. »Schwarz ist ja schön,« sagen sie, »aber so schwarz wie dieser X., das ist nicht mehr nett.« Ich komme auf diesen Punkt bald noch einmal zurück, wenn ich ein paar Worte über »Albinos« sage. – – – – – – – –

Kirogassia, mein Wirt, zeichnete sich durch ganz besonders edle Züge aus; die schmale gerade Nase, der feingeschnittene Mund, vor allem aber Teint und Hände, verrieten seine vornehme Abstammung. Es ist kein leerer Wahn, daß eine aristokratische Herkunft in der Erscheinung ihrer Träger sich spiegelt, soviel Ausnahmen die Regel in Europa haben mag, ohne daß man jedesmal nötig hätte, an einen pater incertus zu denken. Auch afrikanische Aristokratengeschlechter, die in jahrhundertelanger Folge keine körperlichen Arbeiten zu leisten hatten, weder Sonnenglut noch Unwetter sich aussetzten und ihre Haut durch tägliches Salben geschmeidig machten, vererben ihren Enkeln in immer wachsendem Maße edle Körperformen und insbesondere Wohlbildung der Hände und des Teint, deren Feinheit allein schon verraten, daß die Vorfahren ihrer Eigner über die rauhe ungepflegte Masse ein Herrenrecht geübt haben. Auch die Ernährungsweise spielt eine große Rolle. So wie bei den Bienen aus denselben Eiern sich Arbeiterinnen oder Königinnen entwickeln können, je nachdem die jungen Larven in kleinen Zellen mit gewöhnlicher Nahrung oder in großen Weiselwiegen mit den feinsten Fruchtsäften versorgt werden, so züchtet sich der Neger aus demselben Stamme sein Arbeitsvolk und seine in den besten Wohnstätten mit bester Speise genährten Fürsten heran. Es ist schwer, solche Königshaut zu beschreiben. Es ist, als wenn auf ihr ständig der milde Glanz der Abendsonne läge, oder besser noch, als ob eine Abendsonne sie von innen heraus durchleuchte. Ein goldbrauner Ton mit einer Spur Olivfarbe, weich wie zartester Sammet für die hinübergleitenden Finger.

Aber genug der Dithyramben, stimmen wir die Leier auf einen nüchterner klingenden Ton herab, denn es gilt auf Schusters Rappen sich zu schwingen, um zu schauen, was hinter jenen Hügeln sich verbirgt, die jetzt im Morgenschimmer vor uns liegen.

In aller Frühe erschien Kirogassia pünktlich, um sich von mir zu verabschieden, worauf wir zusammen aufbrachen und ein Stück Weges zusammen gingen. Dann, während er sich in der Nähe des Flusses hielt, marschierte ich mehr nördlich, aber noch lange sah ich seine durch das lange weiße Hemd noch schlanker erscheinende Gestalt von Zeit zu Zeit zwischen den Gräsern auftauchen. Nun senkt sich sein Weg, immer seltener blitzten und funkelten die Silberstickereien seines schwarzen ärmellosen Kisibao zu uns herüber und zuletzt glitt nur noch sein brennend roter Fez, von der Sonne grell beleuchtet, wie eine wandelnde Mohnblume über die Spitzen der Maisstauden.

Nachdem wir ein paar Stunden durch flachhügeliges Terrain auf Feldrainen und gewundenen Strauchsteppenpfaden gezogen waren, kamen wir wieder an den Ulungwa- (oder vielleicht zu einem Nebenfluß), der hier von Süden herströmend die Grenze von Uschetu bildet. Jenseits der schmalen aber tiefen Furt erwartete mich der Sultan Jako und brachte mich zu seinem Dorf. Da dies aber keinen Schatten bot – es war erst vor wenigen Jahren erbaut worden, weil die Umgebung des alten, durch schonungslose Kultivierung ausgesogen, nicht mehr genügend Frucht trug – so gondelte ich noch einmal den Weg zum Flusse zurück und suchte mir ein Lager auf der Ulungwaseite, von woher ein im Grünen verstecktes Dorf mir zuwinkte. Ich winkte wieder und fand bald darauf meine kühnste Hoffnung erfüllt, denn ich konnte mein Zelt in einem saubergefegten Hof unter einen Baum stellen, der sich dicht über dem Boden gabelte und mir nicht nur ein kühles Dach gewährte, sondern auch mit zwei vielfach verzweigten, dichtbelaubten, horizontalen Ästen das Zelt von beiden Seiten her umarmte. Nicht ohne Grund erwähnt dies der gewissenhafte Chronist. Denn auf einem dieser Arme spielte sich in der folgenden Nacht eine Tragödie ab, die mich eines Kameraden beraubte, der seit Beginn meiner Reise mir manche Trübsal weggeblasen hatte.

»Was ist der Affe für den Menschen?« fragt Zarathustra den Pöbel auf dem Markte. Und er gibt ihm selbst die Antwort: »Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.« Über die Scham bin ich rasch hinweggekommen, denn wenn wirklich meine Vorfahren vor fünfzig oder hundert Jahrtausenden so oder so ähnlich ausgesehen haben, so teile ich das Schicksal mit Cäsar, Goethe und anderen Größen, abgesehen davon, daß es ein schlechter Charakterzug sein soll, sich seiner Ahnen zu schämen. Um so mehr freue ich mich der Affen als vieler Gelächter. Affen und Papageien sind in Afrika die einzig möglichen Hausfreunde; Hunde gibt es nicht, sondern nur Köter, und selbst diese haben mit ihren europäischen Vettern nur den Namen gemein. Vom fünften Lebensmonat an beginnen sie einen langen Schlaf, der bis zum Tode an dauert und nur täglich ein paarmal zum Herunterschlingen ihres Fraßes und zum Kratzen ihrer meist räudigen Haut unterbrochen wird. Von Anhänglichkeit so gut wie keine Spur. Zwar gibt es auch Herren, die »Perlen« haben, aber meist sind es solche, denen alles zu Perlen wird, was sie anrühren und besitzen, die immer die besten Boys haben, die treuesten Hausdamen, die kräftigsten Reittiere, den reichsten Bezirk, die intelligentesten Eingeborenen die anhänglichsten Askaris usw. Es gibt merkwürdig zufriedene Menschen in diesem Jammertal, die an allen Dingen eine Butterseite sehen. Ich erinnere mich eines solchen Allgenügsamen, der von der Wahnidee befallen war, seinem Köter das »Pfötchengeben« beizubringen und der nach einigen Monaten voll von Mühsal und Hundegeheul es so weit gebracht hatte, daß er auf das Kommando »gib Pfötchen« seine eigene Pfote dem Köter gab und es nicht einmal merkte. Aber eines Tages schlug auch ihm wie allen die Stunde der Erkenntnis, und als ich den Hund vermißte, ward mir die Antwort, er sei an Verdauungsstörung gestorben. Sie sterben nämlich alle an Verdauungsstörung und mit wunderbarer Plötzlichkeit. Wer sich aber die Mühe nehmen würde, gleich nach dem jähen Hinscheiden die Patronen des Besitzers zu zählen, der würde immer finden, daß nur noch » minus 1« vorhanden sind. Das nennen sie Verdauungsstörung und es muß in der Tat schwer sein, eine Kugel im Hirn zu verdauen. Übrigens will ich aus Gerechtigkeitsgründen zweierlei nicht verschweigen, nämlich erstens: daß in Gegenden, wo die Eingeborenen Jäger sind, sie sich auch allmählich eine bessere Rasse herangezüchtet haben, die zur Jagd tauglich, im Hause unerträglich ist; und zweitens: daß fast alle Hunde Ortssinn haben und selbst eine viele Tage lange Strecke nach einmaligem Passieren wieder zurückfinden (namentlich wenn eine Hündin sie zurücklockt). Im ganzen machen die afrikanischen Hunde den Eindruck, als ob sie erst relativ kurze Zeit zu Haustieren erzogen wären; an die Abstammung vom Schabrackenschakal erinnert noch jetzt die oft sehr starke Rückenmähne und die fast ausnahmslos weiße Schwanzspitze. Kreuzungen mit importierten europäischen Hunden geben zwar sofort eine ungleich angenehmere Art, doch glaube ich, daß das bessere Blut in den Nachkommen bald wieder unterdrückt wird. Aufmerksamkeit verdient auch die ungeheure Fruchtbarkeit der afrikanischen Hunde im Verhältnis zu den europäischen. (Die Hündin eines Feldwebels in Usumbura warf vierzehn Junge auf einmal; meine eigene Hündin zehn Junge. Solcher Beobachtungen gibt es viele.) – – – – – – – – – – – – – –

Chef des Distriktes und Haupt des Lagerdorfes war ein Albino – ein msungu ja barra, d. h. ein Weißer des Binnenlandes, wie diese Leute vielfach von den Küstennegern genannt werden. Die Haare seines Kopfes und großen Vollbarts waren ebenso unnatürlich strohfarben wie die der europäischen Albinos, auch kniff er die lichtscheuen Augen ebenso zu wie sie. Im übrigen erinnerte die stark gekrümmte Nase eher an arabische als an Bantuherkunft. Alle diese Leute sind den Negern höchst widerwärtig, vor allem wohl wegen der, überdies durch Sklerodermie krankhaft veränderten Haut. Ich glaube, daß, wenn sie von Jugend auf ihren Körper gegen die Einwirkung der Sonnenstrahlen schützen würden, ihre Haut ein weniger häßliches Ansehen haben würde. Ich sah einige Tage später ein Albinokind das einige Monate alt war und noch ein sehr niedliches zarthäutiges Baby war. Die Mutter, die sehr betrübt war, daß ich ihr keine Arznei geben konnte, war ebenso wie der obenerwähnte Häuptling überzeugt, daß der Zauberspuk irgend eines Feindes Schuld an dem Leiden habe. Ich wunderte mich, daß solche Kinder überhaupt aufgezogen werden, weil andere mit viel kleineren oder überhaupt keinen Fehlern getötet werden, z. B. bei vielen Stämmen solche, denen die oberen Schneidezähne zuerst wachsen. Aber in solchen Dingen zeigt sich das scheinbar widerspruchsvolle des Negercharakters, der aber in Wahrheit keinen Widerspruch enthält, weil in solchen Dingen nicht ein individueller Wille, sondern Glaube, Tradition, Dogma bestimmend sind. Übrigens würde auch ein Neger, der unsere Bräuche nicht kennt, vieles an uns widerspruchsvoll finden, z. B. daß die Damen erschrecken, wenn man sie zufällig im Negligé überrascht, während sie umgekehrt oft uns erschrecken, wenn sie im Ballsaal ungleich mehr von dem, was wir ihre Reize nennen, unseren Blicken enthüllen. Und doch liegt in dieser und ähnlichen Erscheinungen für den kein Widerspruch, der ihre Gründe kennt.

Es ist sehr wichtig, sich dessen auch den Negern gegenüber bewußt zu sein.

Ich werde später, wenn ich auf das engbegrenzte Gebiet zu sprechen komme, dem seit Jahren meine Arbeit gehört, und das ich, ach, noch so wenig kenne, daß ich fast täglich neues erfahre und alte Irrtümer berichtige, noch öfter Gelegenheit haben, solche scheinbaren Widersprüche aufzudecken und zu erklären. Das ist durchaus nicht so nebensächlich, denn solange wir nicht über all die Völker, die wir beherrschen, in gründlicher Weise orientiert sind, ist all unsere koloniale Arbeit ein Tappen im Dunklen. Diese Erkenntnis ist zwar glücklicherweise an den einflußreichsten Stellungen unserer Kolonialverwaltung und kolonial interessierter Institute die obwaltende – und deshalb, soweit die schmalen Mittel es gestatten, Forderung wissenschaftlicher Tätigkeit – aber sie muß auch die Lokalbehörden und subalternen Funktionäre durchdringen; einem Teil ist sie wohl geläufig, aber nicht der Mehrzahl, geschweige denn allen. Und auch diese Bescheidung müssen die Geister üben, daß die Erforschung eines Volkes keine Arbeit von heute auf morgen, sondern daß es nötig ist, mit langem, kritischem Bemühen all den Gängen und Irrgängen ihrer Seelen zu folgen und bis in ihre verstecktesten, dunkelsten, unzugänglichsten Höhlen und Schlupfwinkel hineinzuleuchten, um sagen zu können, wozu selbst dann noch Mut gehört: »Dies ist die Wahrheit«. Dann wird auch das unselige Dogma keine Anhänger mehr finden, daß wir einen Stamm erst dann für kulturwillig und entwickelungsfähig halten dürfen, wenn wir ihn einmal gründlich gezüchtigt haben. Schießen ist leichter als Sprachen und Ethnographie treiben, aber es trägt auch weniger Früchte. Will ich nun sagen, daß bei Feindseligkeiten mit den Eingeborenen die Schuld immer an dem Europäer liegt? Gewiß nicht! Auch die Schwarzen sind Menschen und sehr schwache Menschen und mißverstehen den Weißen nicht minder oft, als er sie, aber da wir zu ihnen gekommen sind, ohne gerufen zu sein und da wir ihnen (schon aus Klugheit) Vermittler zu einem von höheren Idealen erfüllten Dasein sein wollen, so ist es an uns, sie uns verstehen zu lehren, indem wir zuerst lernen, sie zu verstehen. Ich erinnere mich eines sehr wahren Wortes aus dem Kolleg meines verehrten Lehrers Herrn von Luschau, als er auf manche traurige Erscheinung in der neueren Kolonialgeschichte der europäischen Völker zu sprechen kam. Er machte mit Recht darauf aufmerksam, daß es nur selten angeborene Bestialität, sondern meist ethnographische Unkenntnis gewesen sei, die manche Personen zu gewissen unerfreulichen Exzessen hingerissen habe. Allerdings fügte er hinzu, gäbe es auch Menschen, deren Charakter ein ihr ganzes Leben lang dauerndes Studium der Ethnographie nicht sehr ändern würde, so daß aus ihren Reisewerken schließlich nur zu lernen sei, daß die Hütten der Eingeborenen in diesem Gebiet besser brennen als in jenem. Das klingt gewiß hart, ist aber wahr, und verheißt uns in gewissem Sinne eine tröstliche Zukunft. Es gibt nichts Logischeres als primitive Naturvölker, die wir oft mit Unrecht die »Wilden« nennen. Aber um ihre Logik zu verstehen, müssen wir das Erdreich erkennen, aus dem sie ihre Nahrung ziehen. Dann verschwinden auch die Widersprüche und die Mißverständnisse, die nur zu oft Grund zu Konflikten gegeben haben. Daß diese von Jahr zu Jahr seltener werden, hängt gewiß auch nur mit unserer wachsenden Kenntnis und dadurch wachsenden Geschicklichkeit in der Behandlung der Eingeborenen zusammen und infolgedessen auch mit ihrer wachsenden Kenntnis von unserem Charakter.

Woran liegt es denn, daß die Missionare im allgemeinen mit den Negern so gut auskommen, und ihr Einfluß in vielen Gebieten größer ist, als der der Verwaltungsbeamten? Ich meine, nur an ihrer Sprachkenntnis und der durch sie vermittelten Einsicht in die Sitten und Charaktere der Eingeborenen. Oder weiß jemand eine bessere Erklärung dafür? Nur komme man mir nicht mit dem Einwand, daß die Vertreter des Gouvernements wegen ihrer amtlichen Tätigkeit (Steuern, Arbeitsauflagen usw.) bei den ihnen unterstellten Völkern weniger beliebt sind. Denn einmal gibt es Gegenden, in denen von den Schwarzen noch sehr geringe Opfer gefordert werden und zweitens darf man nicht unterschätzen, was die Missionare an Leistungen aller Art von ihren Schützlingen verlangen. Außerdem aber kommt den Regierungsvertretern zugute, daß sie nicht wie die Missionare gezwungen sind, tief in Sitten und Gewohnheiten einschneidende Lehren zu propagieren.

Nein, nur durch ihre Sprachen- und Landeskunde haben die Missionare einen Vorsprung; in allem andern haben sie nichts vor Offizieren, Forschern und Beamten voraus. Den Glauben, daß sie alle von höchsten Idealen erfüllte, fehllose Menschen sind, begierig den Märtyrertod für ihre Lehren zu erleiden, habe ich längst aufgegeben. Es gibt auch unter ihnen Gerechte und Ungerechte, Herrschsüchtige und Milde, Fanatiker und Tolerante, Daseinsverächter und Lebensfrohe wie in jedem andern Stande. – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Ich erwähnte oben, daß Konflikte mit den Eingeborenen von Jahr zu Jahr seltener werden. Daß militärische Züchtigungen nicht die ausschlaggebende Ursache davon sind, zeigt, daß wiederholt gerade in Gebieten, die oft Strafexpeditionen verfallen waren, immer wieder Unruhen entstehen. Mir fällt, wenn ich an so manchen Konflikt denke, der sicher und zweifellos aus – bisweilen beiderseitigem – Mißverstehen entstanden ist, (ich könnte sehr viel Beispiele dafür anführen) jedesmal das Gleichnis von dem Wanderer ein, der den in der Sonne schlafenden Hund tritt, wie es der Dichter schildert, dessen Worte ich so oft und gerne anführe: wie ein Wanderer unversehens auf einsamer Straße einen schlafenden Hund anstößt, der in der Sonne liegt; wie da beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei zu Tode Erschrockenen – – – und doch und doch, wie wenig hätte gefehlt, daß sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser Wanderer! – – – – – – – – – – – –

Ich bemerke mit einem gewissen Schrecken, daß ich wieder einmal vom einfachen ins zehnte und vom hundertsten ins tausendste gekommen bin, daß ich nur ein weniges von Albinos erzählen wollte, und mich statt dessen in weisen Betrachtungen über den Negercharakter und die Bedeutung der Ethnographie ergehe und mit Zarathustra ende. Es geht bei mir oft umgekehrt zu, wie bei den römischen Mahlzeiten, ich beginne nicht ab ovo, aber ich kehre a malis ad ovum zurück. Bin ich geschwätzig? Es wäre kein Wunder, Geschwätzigkeit ist das Laster aller Einsiedler. Aber es ist noch ein anderes. Ich halte es für beide Teile, d. h. für Leser und Verfasser für vorteilhafter, jede Ideenassoziation sofort zu fixieren, sobald sie auftaucht, als Dinge, die doch einmal gesagt werden müssen, an anderer Stelle unorganisch einzuschieben und mir Situationen auszuklügeln nach dem Sekundanerschema: »Nicht nur Cäsar war ein großer Feldherr, sondern auch Friedrich der Große spielte die Flöte,« oder nach der Methode jenes Försters zu handeln: »Fiel da nicht ein Schuß? Da fällt mir eine Geschichte ein.« Notabene fiel nie ein Schuß. Niemand wird leichter vom Hauptweg abgelenkt, als der, welcher fremde Völker und fremde Kulturen beobachtet. Man nehme der größten einen, Bastian; ihm strömen die Gedanken so reich zu, ihm assoziieren sich die Ideen mit solcher maniakalischen Leichtigkeit, daß er ihrer oft nicht mehr stilistisch Herr wird und an die Aufmerksamkeit der Leser durch parenthetische Sätze, die oft das Satzgefüge überwuchern, außerordentliche Anforderungen stellt. Da sind wir kleineren doch rücksichtsvollere Menschen. Fällt mir etwas Parenthetisches ein, so lege ich es auf meinen Spinnrocken, spinne den Faden fein säuberlich ab und lasse das Rädchen lustig schnurren.

»Schnurren«
gellt ihm ein langes Echo spottend nach.

Übrigens bedarf es für den intelligenten Leser keiner Rechtfertigung, weil er dies Buch im Gegensatz zu anderen Reisebüchern nicht als Menu, sondern à la carte genießen wird. – – – – – – – – – – –

*

Aber jetzt will ich noch einmal für einen Sprung zu den Albinos zurückkehren. Sie sind wie erwähnt, dem Neger widerwärtig und zumeist ob ihrer Haut willen. Es ist nicht das Weiße der Haut, das ihm eklig ist, denn die Europäerhaut stößt ihn nicht ab, wenn sie ihm auch nicht sonderlich sympathisch ist; es sind auch nicht in erster Reihe die vielfachen Entzündungen, sondern überhaupt das Krankhafte, Anormale, widernatürliche der Farbe im Gegensatz zur gesunden, normalen Europäerhaut, so wie uns an jungen Mädchen Röte sehr gut gefällt, wenn sie auf den Wangen, aber nicht ganz so gut, wenn sie auf der Nase sitzt. Die Haut spielt überhaupt in dem Schönheitsideal der Neger eine große Rolle. Ich sagte schon früher, daß ein intelligenter Schwarzer auf seine Rasseabzeichen nicht sehr stolz ist, daß er eine schmale Nase für schöner als eine breite, einen kleinen Mund – aber nur, wenn die Lippen nicht zu schmal sind – für schöner als einen großen hält; nur die farbige Haut zieht er der pigmentlosen des Europäers durchaus vor, und ich gestehe, daß ich seinen Geschmack in dieser Beziehung für gar nicht schlecht halte. Insbesondere vom Standpunkt des Malers aus betrachtet, gewährt die farbige Haut durch die Art der Lichter- und Schattenverteilung einen unendlich größeren Reiz als die weiße. Und wie mannigfaltig nuanciert ist der Teint der Neger, denen ich auch darin zustimme, daß eine hellfarbige Haut schöner ist als eine dunkelfarbige. Würde man es glauben, daß es Negerdämchen gibt, die um ihren Teint nicht minder besorgt sind als unsere Damen? Aber ich hörte erst dieser Tage die Klage einer Bibi, die des Reisens müde war und es damit motivierte, daß sie an Gesicht, Armen und Brust zu sehr von der Sonne verbrannt werde. Tatsächlich sind auch die bedeckten Teile der Haut immer um einen Grad heller als die ungeschützten. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß in dieser Beziehung der Neger vielleicht dadurch beeinflußt ist, daß Hellfarbigkeit Kennzeichen der vornehmen, Dunkelfarbigkeit (entstanden durch Einfluß der Sonnenstrahlen auf Generationen von Feldarbeitern) Kennzeichen der Geringen ist und daß infolgedessen das soziale Ideal das ästhetische gefärbt hat. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Da ich gerade vom »Färben« spreche, möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß, wenn ich die farbige Haut für künstlerisch schöner als die weiße halte, bei mir das moralische Ideal vielleicht das ästhetische gefärbt hat. Denn – ich muß das mit aller Entschiedenheit betonen – die schwarze Haut ist unendlich, aber unendlich sittlicher als die weiße. Der nackteste Neger wirkt nie so unbekleidet wie sein weißer Bruder im gleichen Kostüm. (Für etwas differenzierte Sinne gibt es ein Analogon in dem Eindruck von Bronze- und Marmorstatuen.)

In einer Zeit aber, wie der heutigen, wo der Satan der Fleischeslust wieder unter uns umgeht wie ein brüllender Leu und Menschen, die eine verderbte Presse zu großen Künstlern stempelt, in der Darstellung des Nackten geradezu scheußliche Orgien feiern, als sei die Scham schon zu den Hunden entflohen, ist es doppelt Pflicht aller Gutgesinnten für die sittliche schwarze Haut und gegen die ruchlos weiße einzutreten. – – –

Ich lasse nun wieder einige Zeilen aus meinem Tagebuch folgen:

Mein Albinowirt war ein sehr merkwürdiger Kauz. Ich sah mit Verwunderung, daß er sein Essen selbst kochte und als ich ihn nach dem Warum fragte, antwortete er trübselig, daß ihn keine Frau zum Manne haben wolle, Sklavinnen aber besitze er nicht. Ich riet ihm nach Tabora zu gehen, wo die Weiber weniger heikel wären und für Geld jede Ware zu haben wäre. Er fand die Idee ausgezeichnet und meinte, ich solle ihm das Geld dazu geben. Als ich daraufhin schwerhörig wurde, wandte er sich wieder eifrig seinen Töpfen zu. Seine Leute nannten ihn Pendakula, oder zu deutsch: »Vielfraß«, wörtlich: »Speisenliebhaber«. So wie andere im Trunk, so betäubte er seinen Schmerz im Essen, und wenn er sich den Bauch bis zur Speiseröhre mit Ugalliknödeln vollgestopft hatte, dann breitete sich ihm wieder ein freundlicher Schimmer über die Zukunft.

»Friß ihn aus den Fraß der Labe
Und vergiß den herben Schmerz
Balsam fürs zerrissene Herz
wundervoll ist Ceres' Gabe.«

Heute nacht wurde ich durch Lärm gestört. Ich hörte einen Affen schreien, den Posten rufen, Leute aus den Zelten herauslaufen, so daß ich Licht machte und ins Freie trat. Dort bot sich mir ein jämmerlicher Anblick. Der Affe Makanga, der keine drei Schritte von meinem Bett entfernt auf einem der horizontalen Äste geschlafen hatte, war von einem Leoparden überfallen und fürchterlich zugerichtet worden. Da er an einer Kette befestigt war, hatte die Bestie offenbar an ihm gezerrt und ihn von den Schultern quer über die Rippen bis zum Leib hin zerfleischt, so daß die Därme auf der Erde schleiften. Er winselte in seiner kläglichen Art, wie er auch sonst tat, wenn er unzufrieden war und sprang trotz der gräßlichen Wunde wie schutzsuchend einem Askari auf den Arm. Ich gab dem armen Tier rasch den Gnadenschuß. Wunderbarerweise war das Weibchen, das sich gar nicht beruhigen lassen wollte, unverletzt, trotzdem sie wie allnächtlich in der bekannten engen, drollig und rührend nett anzuschauenden Umarmung geschlafen hatten. Solche Dinge erinnern von Zeit zu Zeit daran, wo man sich befindet und haben den einzigen Nutzen, daß sie die Vorsicht wachhalten. Noch viele Tage verlangte das Weibchen klagend nach ihrem Genossen und bekam erst allmählich die alte Munterkeit wieder.

18. – 23. Tag. Von den nächsten sechs Tagen, in denen wir durch die beiden Sultanate Alt- und Neu-Ulewe marschierten, ist nicht viel zu berichten. Die erste Hälfte des Weges war meist schwach wellig und führte durch viel Pori, meist Myombo mit Lichtungen, in denen toter Wald steht, bisweilen viel Unterholz, üppige Farren, Krautvegetation und tief ausgetretene Elephantenspuren im aufgeweichten Boden. Die zweite Hälfte war genau so, nur waren die Hügel etwas weniger flach. Nur einmal schliefen wir nicht im Pori, sondern in einem größeren Dorf in Neu-Ulewe, dessen Sultan, ein ruhiger Mann in mittleren Jahren, mich besuchte. Seinen Namen habe ich vergessen, aber des Mannes erinnere ich mich noch sehr gut, weil ich ihm eine Zigarre angeboten hatte, bei deren Genuß ihm schlecht wurde. Ich bitte danach aber nicht die Güte des Krauts einschätzen zu wollen, das wäre ungerecht. Nein, man kann das häufig an den Eingeborenen beobachten, daß sie, die selbst sehr starke Pfeifenraucher sind, deren Tabak mir oft zu schwer ist, keine Zigarre, ja nicht einmal eine Zigarette vertragen. (Die Küsten- und Safarineger rauchen dagegen beides mit Vorliebe und klauben jeden Stummel vom Wege auf.) Ich weiß nicht, woran das liegt; ich glaube, daß auch Auto-Suggestion mit im Spiele ist, weil sie schon von vornherein das unbekannte Kraut mit Mißtrauen betrachten.

Am 22. Tag wurde – ich schlief in einem Pori – meine Nachtruhe wieder gestört; diesmal durch einen Ameisenüberfall. Das ist sehr fatal, aber zum Glück hatte ich sie zufällig schon bemerkt, ehe sie in mein Bett eingedrungen waren. In solcher Situation muß man das Zelt mit einer Waberlohe umgeben, worauf bald Ruhe eintritt. Vorher ist es aber für ein wohlwollendes Gemüt sehr amüsant, das Tanzen der Leute zu beobachten, die gebissen, bald das eine, bald das andere Bein hochziehen, als schritten sie über glühenden Rost.

Am 23. Tage kam ich in das Ikurru des Sultans Ntalano von Ugombe, eines äußerst fidelen Herrn. Ntalano ist ein Christ, aber eine Art »Renommierchrist«. Bei Sultanen drückt die Mission klugerweise und nur nicht häufig genug ein Auge und mehr als eins zu, weil seine Taufe die Propaganda unter seinen Leuten sehr erleichtert. Ntalano bat mich bald, ihm ein Mittel zu reicherer Fortpflanzungsmöglichkeit zu geben, aber als ich ihm darauf sagte, er solle zunächst mal ein Jahr sich des Pombegenusses enthalten, dem er mehr als nötig ergeben war, da sah er mich mit einem merkwürdig wehleidig-komischen Blick an und erwiderte mit leisem Kopfschütteln: » Hapana Bana«, »lieber nicht, Herr!«

Die letzten Tage führten durch die gleiche Landschaft wie die vergangene Woche; Hügelland mit Wald oder auch sumpfige oder trockene Strauchsteppen, und so blieb es bis zu meiner Ankunft in Uschirombo.

Die Besiedelung war die letzten neun Tage sehr ungleich gewesen, doch kann dies an dem von mit gewählten Wege gelegen haben, wenigstens behaupteten die Führer, daß die Bevölkerung abseits dichter säße. –

Ich habe in den letzten Briefen, wie von vornherein beabsichtigt, die eigentliche Marschschilderung möglichst straff zusammengezogen, um den sonst unvermeidlichen Wiederholungen zu entgehen. Ich möchte aber rückblickend noch einige Besonderheiten erwähnen, die mir fast vom ersten bis zum letzten Tage dieser Expedition aufgefallen sind, die ich im weiteren Verlauf meiner Reise nicht mehr beobachtet und bisher gar nicht oder nur streifend erwähnt habe. Das ganze von Wanjamwesi und weiter nördlich von ihren Verwandten, den Wassumbwa bewohnte Gebiet ist durch besonders schöne Dörfer ausgezeichnet. Was ihnen in unseren Augen den besonderen Reiz verleiht, ist der reiche Schatten, den sie dem Wanderer bieten. Der Weiße lernt diesen Vorzug in Afrika schätzen. Es gibt dort viele Völker, denen am Schatten gar nichts gelegen ist und die sich selbst von den wenigen Bäumen, die sie besitzen, fernhalten Anders die Stämme zwischen Tabora und Uschirombo. Fast jeder Hüttenkomplex hat zum mindesten einen Baum, unter dem die Anwohner ihre geselligen Zusammenkünfte abhalten, und unter denen oft eine primitive Bank steht. Die größeren und älteren Dörfer aber verschwinden in einer Fülle von Euphorbien und Ficus, so daß man aus der Vogelperspektive auf sie wie auf heimische Parkanlagen hinabblickt. Oft ziehen sie sich in drei Reihen um das Dorf oder die Tembe, so daß zwei konzentrische kreisförmige Alleen entstehen. Da die Art des Lagers natürlich einen großen Einfluß auf die Stimmung des Reisenden ausübt, so verdanke ich diesen Dörfern eine Zahl schöner Stunden und nicht selten fesselten sie mich so, daß ich mich nur schwer von ihnen losriß, und deshalb viel Nachmittagsmärsche in mein Programm aufgenommen wurden.

Im Pori, das ja meist hochstämmiger Myombo-Wald war, trafen wir sehr oft sonderbare Zeichen, die offenbar mit dem Geisterglauben der Eingeborenen zusammenhängen; so sah man vielfach Stöcke, an deren Spitze drei Grasschwänze herabhingen oder dünne Stämmchen waren zum Torbogen über den Weg verbunden; auch die Bänke, auf die wir häufig im Walde stießen, waren nicht dem Ruhebedürfnis entsprungen. Weiter nördlich kamen auch noch primitive Kreuze hinzu, die in der Nähe solcher Zeichen wahrscheinlich von christlichen Eingeborenen als Protest gegen die »Götzen« aufgestellt waren. Einige Mal fiel mir auf, daß Bäume von zeltartig schräggestellten Staketen umgeben waren; ich hielt dies für eine Grenzmarke, aber die Führer sagten, es sei eine Eigentumsmarke und tatsächlich waren auch jedesmal Merkmale früherer Gehöfte in der Nähe. Solchermaßen soll der Besitzer sein Wiederbesiedlungsrecht an dem alten Platz zu erkennen geben. Erwähnenswert sind ferner an zwei Stellen beobachtete Jagdzäune, die sich jedesmal durch ein großes Gebiet des Poris erstreckten und aus zwei, einen rechten Winkel bildenden Schenkeln bestehen. Von der offenen Seite her wird das Wild angetrieben, und was in den Winkel hineingerät, findet natürlich keinen Ausweg mehr. Übrigens schien es mir, als ständen diese Zäune noch aus früheren Zeiten, und als seien sie schon lange nicht mehr benutzt worden.

Endlich möchte ich noch eine Erscheinung erwähnen, die an sich erfreulich sein könnte, weil sie für die wachsende Ausbreitung der Bevölkerung spricht, aber gleichwohl ein peinliches Gefühl in mir wachrief, so oft auch mein Verstand dagegen rebellierte; ich meine den fast täglich sich mehrmals wiederholenden Anblick toter Wälder. Will ein Eingeborener eine neue Ansiedlung anlegen, so ist das erste, daß er den Wald mordet, aber nicht mit ehrlichen, schweißkostenden Axthieben, sondern auf bequemere, fast heimtückisch anmutende Art. Er schält nämlich von den Bäumen ein großes Stück Rinde rings um den Stamm ab und überläßt sie dann ihrem Todeskampf. Dies langsame Absterben hat etwas Tragisches an sich, etwas, das mich im Innersten verletzte, und oft war es mir, wenn ich in der Dämmerstunde spazierend plötzlich auf eine solche Lichtung trat, die schweigend in den milden Gluten der lichten Abendsonne lag – denn auch die Vögel fliehen diese Sterbenden, deren welkes Laub ihnen keinen Schutz mehr bietet – als müßte ich ihnen tröstend zurufen und sie über die Gefahr hinwegtäuschen, wie ich es in meinem Leben so manchem sterbenden Menschen getan habe. Das tat ich nun freilich nicht, aber immer trug ich von solchen Gängen ein schmerzliches Gefühl heim, als hätte ich unvermutet eine facies hippocratica erblickt. – – – – – – – – – – –

Am 26. Tage meines Marsches hatte ich einen Hügelkamm erreicht, und als ich auf der anderen Seite hinabsteigen wollte, blickte ich in eine Steppe, die weit nach Norden sich dehnte. Zwischen dieser und dem Fuß der sanftgeneigten Hügelkette lag ein riesiges Dorf, von einer mehrere Kilometer langen Euphorbienhecke umschlossen, und dicht hinter diesem schimmerten im Schein der klaren Februarsonne große, weiße Gebäude, die überragt wurden vom Zeichen dessen, der Besitz von diesem Lande genommen, überragt wurden vom Kreuze. Und gerade als die Glocke, die den Angelus läutete, ihre hellen Klänge hinauf zu den Bergen und hinab in die Ebene sandte, erreichte ich die Mission Mariahilf von Uschirombo, in der die weißen Väter von Afrika seit Jahren eine segensreiche Tätigkeit entfalten.

Bergfrieden, Ende Oktober 1899.


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