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Die Ugalla-Sindi-Expedition.

Brief IX.

Ich schied von Bibi Njasso, ohne daß sie meinen Versuchen entgegengekommen wäre, über die Mauer zeremonieller Höflichkeiten hinweg einen Blick in ihre kleine Welt zu werfen und den Gängen und Irrgängen nachzuspüren, in denen ihr Geist zu wandeln pflegt. Denn diese Frau, die von dem großen Haufen derer, die die nicht zu schwere Bürde der gleichen Würde tragen, sich wohl unterscheidet, hat etwas in Erscheinung und Wesen, was zu solchen versuchen lockt. Ein jähes Aufflackern in den müden unter den halbgesenkten schweren Lidern hervorblickenden Augen, ein böses Zucken in den sonst nicht unliebenswürdigen Zügen ihres Antlitzes, wenn man den Namen einer Person oder Begebenheit nennt, die in ihrem Leben eine Bedeutung gehabt haben, erweckt den Eindruck, als wenn diese Gelassenheit und Gleichgültigkeit, diese fast demütige Ergebenheit nur eine Maske sei, hinter der sie ein sehr lebendiges Bewußtsein ihrer veränderten Machtstellung und ein brennendes Verlangen, das verlorene Gebiet zurückzuerobern, nur mühsam verberge. Mit diesem Eindruck würde auch übereinstimmen, was mir an der Küste erzählt wurde, daß sie noch vor kurzem versuchte, den Tribut sich der deutschen Herrschaft unterwerfender Häuptlinge in ihre »Schatzkammer« abzulenken, und das noch lange nach Festsetzung unserer Macht von ihr fortgeführte blutige Regiment. Daß man noch heute an ihrem Hofe nicht geneigt ist, den ethischen Vorstellungen der neuen Herren die ererbten zu assimilieren und durch alle ihre Gesetze sich für gebunden zu achten, lehrt ein zur Zeit wegen Sklavenhandels schwebender Prozeß gegen einen ihrer Minister, den sie vergebens durch Vorschiebung eines untergeordneten Subjektes der Einsamkeit der Boma von Tabora zu entreißen versuchte, was ihr auch soweit gelang, daß jetzt der schuldige Unschuldige und der unschuldige Schuldige gemeinsam den Ausgang der Untersuchung abwarten. Übrigens wird fast an jedem Schauri von Tabora über viel schlimmere Dinge abgeurteilt als über den in den Augen der Bevölkerung noch nicht allseitig als illegal anerkannten Verkauf eines Knaben nach Sansibar. Verbrechen, deren Schauplatz die nächste Umgebung von Tabora war, wie das Verbrennen einer Hexe durch die zwei Ratgeber eines vierzehnjährigen Sultans, die heimliche Ermordung einer anderen an einem zweiten Orte, Vergewaltigung auf offener Straße, dies und ähnliches waren Dinge, die ich an einem Schauritage zu hören bekam und die mich lehrten, daß noch vieles dunkel ist im dunkelsten Weltteil. Denn das ist das Erschütternde, daß die meisten dieser Verbrechen der heiligen Einfalt unheilige Kinder sind. Habgier bildet eine viel seltenere Quelle. Daß an meinem letzten Marschtage zwei Stunden vor Tabora ein frecher Geselle ein hinter einer Karawane zurückgebliebenes Askariweib niederschlug und ihrer Last beraubte, gehört nicht in die tägliche Chronik von Unjamwesi.

So blieb mir, als ich von Bibi Njasso schied, zu meinem Bedauern ihre Seele ein dreifach verschlossener Schrein, den auch der listigste Schlüssel nicht zu erschließen vermochte, von dessen vielleicht reichem Inhalt ich nicht mehr erfuhr, als ich gleichsam durch die kleinen Spalten, die sie selbst mir verriet erspähen konnte; und selbst das wenige ahnte ich mehr aus den dunklen Umrissen, als daß ich es klar erkannte.

»Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein.« So möchte ich vergnügt ausrufen, so oft ich in den Blättern meines Tagebuches auf den Namen der guten dicken Bibi Discha stoße. Da war keine Mauer höfischer Zeremonie zu übersteigen, da öffneten sich meinem psychologischen Spürtriebe von selbst alle Jagdgründe, da gab es keine versteckten Schluchten, keine Schlünde und Abgründe zu erforschen, und als ich nach drei Tagen die Strecke betrachtete, da fand ich kein reißendes Tier noch Edelwild, sondern nur ein Gewimmel harmloser, wohlgenährter Tierchen, die in den Gefilden der kleinen, fetten Seele der Bibi Discha ihren Tummelplatz hatten.

Ugunda, ihr Sultanat, wird im Norden von Kamidiho, im Nordwesten vom Wala, im Süden und Südwesten vom Ugalla begrenzt. Wie weit es nach Osten reicht, weiß ich nicht. Jedenfalls umfaßt es ein ziemlich großes Gebiet, in dem ihre Vizesultane, meist Verwandte oder offiziöse Kinder, cf. Brief VIII. die Herrschaft ausüben. Ihre gleichnamige Residenz (in der älteren Literatur als Gonda bekannt, ein Name, den ich heute nie hörte) ist von Tabora aus in vier bis fünf mäßig starken Märschen zu erreichen. Ich brauchte fast das Doppelte, denn erst am 24. Oktober hielt ich meinen festlichen Einzug, teils weil die Leute sich erst wieder an ihre Arbeit gewöhnen mußten, teils weil ich hoffte, daß man den Deserteur Musa in Tabora fassen und mir nachsenden würde. Den zweiten, Kibengo, hatten die Askari gleich am ersten Tage aufgegriffen, und da sie erfuhren, daß auch Musa sich noch nicht zur Küste aufgemacht hatte, kehrten alle zurück. Der kontraktbrüchige Kibengo, den angeblich ein:

»Wer wird künftig Deinen Knaben lehren,
Speere werfen und die Götter ehren?«

in Tabora zurückgehalten hatte, bekam auf Antrag der Wanjampara etwas daua (= Arznei), wie sie es nannten, d. h. 25, die erste Prügelstrafe, die ich zu verhängen hatte. Nach einem bei Ausreißern hier üblichen und bewährten Verfahren erhielt er für einige Tage einen Strick um den Hals, den ein Askari ihm tragen half, als Symbol der festen Bande, die ihn mit meiner Expedition verknüpfen sollten, bis wir weit genug von Tabora entfernt waren, um hoffen zu dürfen, daß es ihn nicht mehr zu seiner Andromache zurückziehen würde.

Am dritten Tage war ich erst sechs Stunden von Tabora entfernt. Die Landschaft, durch die wir marschierten, unterschied sich sehr von der großen Karawanenstraße. Die Anmut der nächsten Umgebung von Tabora habe ich schon an anderer Stelle geschildert. Ihr Hauptreiz liegt in der angenehmen Unterbrechung der Wiesen und Felder durch die zahlreichen, bald einzeln, bald in Schamben stehenden Mangobäume mit ihren gewaltigen, saftigen, dunkelgrünen, fast zum Boden reichenden Blattmassen, die tausenden von kleinen Reisvögeln als Unterschlupf dienen. Wenn man des Abends durch eine Mangoschambe geht, in denen es stets schwül und feucht ist wie in einem Treibhaus, so könnte man an einen plötzlich heranbrausenden Sturm denken, so stark ist das Geräusch der zahllosen Vögel, wenn sie erschreckt die Laubwolken durchbrechen und in einem benachbarten Baum wieder einfallen. Das scheint übertrieben, ohne es zu sein; ich wenigstens erlag, als ich es zum ersten Male hörte, dieser Täuschung. Hinter Uleia (»Europa«), der Viehstation des Gouvernements, werden die schönen Bäume seltener, um schließlich ganz einem niedrigen, lichten Akazienbusch zu weichen, den nur hie und da hochstämmige Bäume überragen. Dann teilt sich der Weg. Rechts geht es nach Kwiharra, der Arabervorstadt von Tabora, auf deren Feldern ein prächtiger Weizen gepflanzt wird. Sein Mehl liefert ein würziges, sehr schmackhaftes Brot, das aber eher, auch in der Farbe, unserem Roggen- als Weizenbrot ähnelt. Das Haus des Wali von Kwiharra, des intelligentesten Arabers von Tabora, entbehrt nicht der reizvollen Behaglichkeit, die wohlhabende Orientalen ihren Wohnstätten zu verleihen verstehen, obgleich sein Eigentümer wie viele seiner Stammesgenossen in Tabora seine Existenz nur mit Mühe vor dem Zusammenbruch bewahrt. Daß er trotzdem es sich nicht versagen konnte, sich noch in der jüngsten Zeit ein massives, silbernes Geschirr für seine Maskatesel in Sansibar anfertigen zu lassen, kennzeichnet ihn als Araber von unverfälschter Rasse. Aber ich merke, daß ich undankbar genug bin, den freundlichen Greis zu kritisieren, trotzdem er mich in seinem Tusculum gastlich bewirtete und ich bei Rosenwasser und Süßwerk an der prächtigen Filigranarbeit seiner Dolche und Schwerter und den leuchtenden Farben seiner Kissen und Teppiche mein Auge erfreuen durfte, während vom Hofe her gedämpft der melodische Gesang von siebzehn Weibern heraufdrang, deren zarte Hände nicht nur mit anmutigem Schwunge den schweren Baum in den korngefüllten Mörser zu stoßen, sondern mit gleicher Freudigkeit dem alten Herrn die Sorgen von der Schwelle seines schönen Heims zu scheuchen verstehen.

Von diesem Abstecher auf die Hauptstraße zurückkehrend und unseren Weg südwärts fortsetzend, nähern wir uns rasch den Hügeln, die dem Blick von Tabora aus nur ein beschränktes Gebiet gestatten und uns zu unserer Rechten noch einige Stunden begleiten. Kurz vor und hinter Itetemia führt unser Weg dicht an zwei Ruinen vorbei, die sehr verschiedene Gefühle in uns zu erwecken geeignet sind: an den Trümmern der mit viel blutigen Opfern eroberten Burg des »Rebellen« Siki und denen der Mission von Kipalapala, die sich gegen die Anfeindungen der Araber und der von ihnen verhetzten Bibi Njasso nicht zu halten vermochte. Ein Meer von Blättern und großen blassen Blumen brandet an diesen gewaltig gefügten Mauern, und sich über sie ergießend erstickt es mit seinen Liebkosungen fast die Steine, zärtlicher als die Menschen, die sie zertrümmerten. Ich aber fühle mich nicht gestimmt, mit Zarathustra zu sprechen: »Erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochene Decken blickt und hinab auf Gras und roten Mohn an zerbrochenen Mauern, will ich den Stätten dieses Gottes wieder mein Herz zuwenden« – sondern ich empfinde tiefes Bedauern, daß diese Stätte, die wie alle anderen, wo weiße Väter von Algier tätig sind, ein segensreiches Arbeitszentrum hätte werden können, wie es scheint, für immer aufgegeben ist. Als wollten sie das Andenken der Männer, die hier wirkten, nicht aussterben lassen, tragen inmitten der Schutt- und Steinhaufen alljährlich zwei Zitronenbäume eine Fülle von Früchten, mir willkommene Wegzehrung schenkend.

In den nächsten Tagen marschierten wir durch bald mehr, bald minder dichten Busch, der uns aber nicht wie auf der großen Karawanenstraße mit eintönigem Grau seines Gezweiges gleich Steinwällen einzwängte, sondern durch reiches Laub dem Auge wohltat. Der Unterschied ist sehr bemerkenswert. Schon einige Tage vor Tabora fing der Busch an, hin und wieder Blätter zu tragen, ehe noch Regen gefallen war, und in Tabora selbst prangten schon lange alle Sträucher in den zarten, grünen Farben unseres Frühlings. Man könnte an bessere Wasserverhältnisse denken. Aber durchaus nicht. (Die große Bevölkerung von Tabora ist auf ein paar kleine Erdlöcher angewiesen, Bei meinem zweiten Aufenthalt fand ich bereits einen Ingenieur beim Brunnenbau; es tat auch not. und da das über Nacht sich sammelnde Wasser frühmorgens schnell erschöpft wird, so sieht man den ganzen Tag eine Schar Weiber mit dem Schöpflöffel in der Hand auf der Erde kauern und von Zeit zu Zeit, d. h. immer, wenn sie eine Tagesneuigkeit erledigt haben und sich einer anderen, ihre Welt bewegenden Frage zuwenden wollen, einen Ruck durch die ganze Gesellschaft gehen, die das nachgeflossene Wasser hurtig in ihre Gefäße füllt.

Dieser Vorgang verläuft so regelmäßig, daß ich einem Herrn die Wette anbot, auf den ersten Blick aus der Höhe des Wasserstandes feststellen zu wollen, ob das Gespräch um einen guten Freund oder um eine gute Freundin kreist: natürlich in der unliebenswürdigen Voraussetzung, daß gewisse Eigentümlichkeiten Gemeingut der weiblichen Menschheit aller Zonen und Zeiten sind.)

Bisweilen unterbrachen den grünen Busch mit Gras bestandene Lichtungen oder ein Wald mit Schirmakazien, zwischen denen Kandelaber-Euphorbien und – häufiger als bisher – die bizarren Erscheinungen der Kigelien sichtbar waren. Die Niederlassungen der Eingeborenen standen in den Lichtungen, meist Temben, aber auch nach dem Modell von Itetemia eingehegte Rundhütten. Die schönen Euphorbienhecken von Ost- und West-Unjamwesi sah ich nur selten. Die Gebiete von Uruma und Pangale sind gut besiedelt; fast alle 2-3 Kilometer trifft man Wohnstätten. Die Nähe von Tabora als günstiges Absatzgebiet macht sich natürlich sehr geltend. Überall – zum Teil sehr ausgedehnte – Bananenschamben, Mangobäume, Erdnüsse, Sorghum, Mais, Maniok, für den eigenen Bedarf Tabak und Baumwolle, Rizinus, Kürbisse u. a. m. Die Fruchtbarkeit des Bodens – seine rasche Erschöpfung durch unrationelle Bewirtschaftung – die leichte Möglichkeit, sich an anderer Stelle anzubauen – der häufige Wechsel der Wohnstätten – die mangelnde Liebe zur Scholle – die Zersplitterung in kleine Gemeinden – der Mangel eines Zusammengehörigkeitsgefühls – das Ausarten kleiner Differenzen in Gehässigkeit, Feindseligkeit, Kriege – das Fehlen eines Nationalbewußtseins einem gemeinsamen Feinde gegenüber – das ist eine Kette, deren fehlende Glieder der Leser selbst ersetzen und die er fortsetzen möge, nicht nur, um die Geschichte eines großen Teils von Ostafrika bis in die neueste Zeit und die seltsame Tatsache zu begreifen, daß eine Handvoll Menschen eine Fremdherrschaft ausüben können, sondern auch, um sich daran zu erinnern, was immer von Zeit zu Zeit nützlich ist, daß wie wir geworden und andere nicht geworden sind, nicht eine Tugend unserer, ein Laster der anderen »Rasse« ist – ein Begriff, der in seinen landläufigen Sinne überhaupt meist unsinnig angewandt wird – sondern der Folgezustand von Faktoren, die außer, nicht in uns liegen. Das mag eine Wahrheit sein, die man heute im Fünfzig-Pfennig-Bazar kaufen kann, aber einmal ist sie noch so neu, daß Buckle sie vor fünfzig Jahren fast als seine Entdeckung verkünden konnte, teils wird sie wie viele andere Fünf-Groschenwahrheiten zwar theoretisch anerkannt, aber praktisch täglich – nicht nur in unserem Verhältnis zum Neger – vernachlässigt. Deshalb und weil sie mir selbst auf diesem Wege bei dem Anblick zahlloser verlassener oder zerstörter Niederlassungen von Tabora bis Ugunda gegenwärtig wurde, habe ich sie nicht unterdrücken wollen, vielleicht auch »weil Schweigen so schwer ist – besonders für einen Geschwätzigen«.

Die Eingeborenen, von denen wohl die meisten schon einmal einen Weißen gesehen hatten, waren zuvorkommend, wenn auch etwas mißtrauisch und ängstlich. In der Nähe der Tembe Kwa Msawilla zeigte sich das recht deutlich. Der Ortsvorstand und einige andere Männer waren mit Gastgeschenken erschienen. Als sie sich niedergesetzt hatten und die ersten Phrasen getauscht waren, rief ich meinen Boys zu, sie mögen die Kisten (mit Gegengeschenken nämlich) öffnen. Dies hören und mit Sporn und Streichen dem Kreis meiner erstaunten Blicke entschwinden, wurde von dem Häuptling so schnell vollbracht wie von mir niedergeschrieben. Mir wurde der Vorgang erst aus der Deutung durch die ruhig seßhaft gebliebenen Dorfgenossen klar. Der Held hatte in seiner, durch den hohen Besuch wahrscheinlich aus den Angeln geratenen Gemütsverfassung aus dem fungueni ( kufungua = öffnen) und sunduki (= Kiste) ein fungeni ( kufunga = binden) und bunduki (= Gewehr) herausgehört und da er weder sich binden noch erschießen zu lassen Neigung verspürte, die Flucht ergriffen. Eine ähnliche, mitten im freundlichsten Verkehr scheinbar unvermittelt und unbegründet auftretende Furcht der Eingeborenen, wenn auch nicht so unverhüllt und stark sich äußernd wie in diesem Falle, habe ich früher und später erlebt, als wären sie schon einmal mit einem plötzlich toll gewordenen msungu in häßliche Berührung gekommen.

Am 21. Oktober passierten wir die trockenen, je 50 Meter breiten Bette des Wala und seines Nebenflusses Kasissi und lagerten in ihrer Nähe in der Tembe Pangale. Hier machte ich wieder einmal die Erfahrung, daß man in Afrika Pläne nur faßt, um nicht nach ihnen zu handeln oder, wie der Küstenwitz mit Geist und Geschmack sich ausdrückt: In Afrika kommt erstens alles anders, zweitens als man glaubt. Ich war von Tabora mit der Absicht aufgebrochen, bevor ich in die nordwestlichen Länder ginge, erst den Lauf des Wala zu verfolgen und dann eine Route einzuschlagen, die auf unseren Karten den weißen Fleck im Südwesten der Kolonie etwas verkleinern sollte. Aber als ich nach Pangale kam, sah ich die Unmöglichkeit, in dieser Jahreszeit meinen Plan durchzuführen, rasch ein. Weder führte der Wala Wasser noch ein Weg seinem Bett so nahe, daß er mir eine zuverlässige Orientierung gestattet hätte. Täglich aber einige Stunden nach Wasser für eine fast 200 Köpfe zählende Karawane zu graben, schien mir in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Resultate zu stehen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

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Bevor ich aber in der Schilderung des Reisewegs, den ich statt dessen einschlug, fortfahre, möchte ich erklären, aus welch sonderbaren Gründen ich überhaupt diese, von meinem geplanten Forschungsgebiet ziemlich weit abliegende Route verfolgt habe, denn ich war ja von Europa in der Absicht fortgegangen, geographisch nur in dem Quellgebiet des Nils zu arbeiten. Aber schon an der Küste bereitete sich die Erweiterung meines Reiseprogramms vor und war, als ich Tabora erreichte, beschlossene Sache. Und dies kam so. Es schien mir, daß ich bei den weißen Bewohnern der Küste einen merkwürdigen Eindruck hervorgerufen hatte, etwa so, als ob ich mich direkt aus einer Lungenheilstätte heraus nach Afrika eingeschifft hätte. Mit Worten, Blicken und Gebärden gab man mir zu verstehen, daß es doch eigentlich nicht nett von mir wäre, die Mortalitäts-Statistik der Kolonie unnötig zu verschlechtern, und jeder Abschiedsbesuch, den man mir bei meinem Aufbruch ins Innere machte, schien mir mehr oder weniger wie eine Kondolenzvisite auf Vorschuß, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn besonders höfliche Leute mir gleich die Trauerkränze für meinen eigenen Sarg, mitgegeben hätten. Selbstverständlich drückte man mir all dies auf keine unzarte Weise aus. Im Gegenteil. Wagte ich z. B. bescheiden einige Bemerkungen über Ruanda, das Land meiner Pläne, dann hieß es: »Sie sind ja noch nicht in Ruanda, der Weg ist weit, mein Lieber,« und wie Seufzer schleifte es durch die letzten Worte. Oder ein alter Afrikaner, ein ganz alter, der mich mit besonderer Ehrfurcht erfüllte, sagte: »Ich habe einen merkwürdig guten Blick und sehe es« – hier durchbohrten mich düster seine Augen – »jedem sofort an, ob er es in Afrika aushält oder ob er dort eingeht; ich habe Herrn X.,« fuhr er fort, »als er nach Tabora ging, gewarnt, und sehen Sie, gerade heute kam seine Todesnachricht an die Küste.« Nur nebenbei sei erwähnt, daß es sich schon einige Tage später herausstellte, daß das Gerücht gelogen hatte und der Mann vergnügt und fettleibig in Tabora lebte und Weiße wie farbige mit gleichem Erfolg bemogelte. Andere Herren wieder erzählten mir von einem Gutsbesitzer – ein reicher Mann, oh! – der zu seinem Vergnügen hier herauskam und nach drei Wochen schon dem Wurm zum Fraße fiel, oder von den Schrecken der Nostalgie oder von zum Selbstmord getriebenen Melancholikern und was derlei lustige und unterhaltende Geschichten mehr sind. Ich weiß in Wahrheit heute noch nicht, ob man an der Küste Neulingen immer in dieser Weise die Freude an ihrer neuen Heimat zu vertiefen trachtet oder ob ich allein das Glück hatte und der Berliner Winter so stark an mir abgefärbt hatte, daß man mit meinen 29 Jahren Mitleid hatte – genug, da außerdem die übertriebensten, auf gar keiner literarischen Basis beruhenden Vorstellungen von den Gefahren Ruandas ein Betreten dieses Landes mit so geringer bewaffneter Mannschaft, wie der meinen, ganz unbegründet zu einem äußerst gewagten Unternehmen stempelten, so war mein baldiger Tod mit überwältigender Majorität beschlossen und nur Frist und Art noch unsicher, wenn ich mich auch hundertmal darauf berief, daß ich immer »schlank und blaß« durch dieses Jammertal gepilgert bin und trotzdem so leicht wie nur irgend wer alle Strapazen des Soldaten- und Kouleurstudenten-Lebens ertragen habe – half alles nichts. Nach wie vor klangen die Weisen in den düsteren Refrain aus: »Du paßt einmal nicht hierher, also verlasse diese ungastlichen Gefilde, bevor du klanglos in den Orkus hinabsteigst.« Wer mir solches riet, kannte mich freilich schlecht, und wenn ich allen Einwänden schließlich immer damit ein Ende zu machen suchte, daß ich erklärte, lieber eingehen als umkehren zu wollen, so gefiel ich mir damit nicht in einer heroischen Pose, sondern es war meine aufrichtige Gesinnung, die in der Überzeugung wurzelte, daß ich mein Leben lang eine unglückliche und so recht verfehlte Existenz führen würde, wenn ich diesen Ratschlägen ein williges Ohr und feiges Herz leihen würde. Nicht der Zufall, sondern die Notwendigkeit hatten meiner Seele das » never give up«, das ich über dem Tor eines Palazzino in der Nähe der römischen Villa Borghese einst leuchten sah, so fest eingeprägt. Und wie viele von denen, die mir so rieten, sind heute schon in der rasch zehrenden Erde Afrikas vermodert! Wie viele liegen still in ihren Gräbern, deren Körper jedem Angriff gewachsen schien, während ich, der Schwächling, trotz meiner an Strapazen und Fährnissen nicht zu armen Reise von Tag zu Tag mich in dem afrikanischen Klima heimischer fühlte. C'est l'Afrique.

Auch aus der Heimat trieb der Wind Unkentöne herüber, und im Innern erhoben sich neue und begleiteten meinen Marsch. In Berlin stellte General, damals Oberst v. Trotha in der Gesellschaft für Erdkunde dem »Sendboten des Auswärtigen Amtes«, der ich übrigens nie gewesen, ein ungünstiges Horoskop, »wenn anders der Gouverneur ihn überhaupt reifen lasse.« Zum Glück für mich kam dieser Wink erst zu einer Zeit nach Afrika, als ich schon tief im Innern außer Schußweite des Gouvernements mich befand. Auf dem Marsch klangen die Kassandrarufe besonders stark und aufrichtig. So bedauerte ein Leutnant bereits den Bezirkschef von Udjidji, Hauptmann Bethe, wegen der Arbeit der Ordnung meines Nachlasses, und jetzt deckt den Armen selbst schon lange die Erde seiner fränkischen Heimat. Als ich Mpapua erreichte und im Fieber lag, sagte mir der Arzt in durchaus wohlwollender Absicht: »Kehren Sie um, Kollege, denn ich gebe Ihnen sonst nur noch zwei bis drei Monate«; in Kilimatinde redeten fast alle noch stärker auf mich ein, und erst in Tabora verstummten die schlimmen Propheten. Ich glaube, daß dort das Bier zu gut gepflegt war, um solche düsteren Stimmungen aufkommen zu lassen. Ich will weder in Unbescheidenheit renommieren, noch in Bescheidenheit lügen, wenn ich versichere, daß mein Gemüt von all den Vaticinien unberührt blieb. Zwar fing ich nach einiger Zeit an, mich öfter im Spiegel zu betrachten, wie weit die Verwesung schon vorgeschritten sei, auch beobachtete ich, als ich eines Tages zwei Spiegel zugleich benützte, daß mein Absterben schon an den Wirbelhaaren begann, aber im ganzen überwog höchstens die Empfindung, daß ich jetzt doch eigentlich ein ganz unhöflicher und unliebenswürdiger Mensch wäre, wenn ich mich nicht bald bemühte, ins Gras zu beißen. Im übrigen aber überhörte und übersah ich alles, was an Unken und warnenden Vogelscheuchen meinen Weg belagerte; nicht aus Gleichgültigkeit bargen, wie mein Würfel im Spiel mit dem Schicksal fallen würde; denn wenn ich das Leben auch nicht mehr ganz so lebenswert fand, wie ich als Primaner einst hoffte, so gibt es doch genug vollkommene und unvollkommene Dinge auf der Welt, die ich liebe und an denen ich mich gern noch eine Zeitlang erfreuen wollte. Sondern, weil ich mir sagte, daß all solche Prophezeiungen schlechterdings Unsinn sind, namentlich dann, wenn sie ohne körperliche Untersuchung rein nach dem äußeren Augenschein gefaßt werden. Um jemandem in den Tropen eine Lebensprognose stellen zu können, müßte man zuvörderst den Zustand seines Herzens genau kennen, denn davon hängt ja fast alles ab; oft genug aber steckt in einem scheinbar schwächlichen Körper ein kräftiges Herz und umgekehrt. Dann aber dringen die paar Krankheiten, denen der Europäer hier erliegt, mit einer solchen Tücke, dem Diebe in der Nacht gleich, in die Häuser der Menschen, suchen sich ihre Opfer scheinbar so willkürlich – was für Schwachmatizi und Stubenhocker kommen jährlich als Missionare heraus, ohne darum dem Tode geweiht zu sein – daß auch schon deshalb jedes Prophezeien ein Tappen im Dunklen ist. Es ist nicht Hybris, wenn ich der Propheten spotte, sondern Hybris spricht aus ihnen. Jene Hybris, die so leicht bei Leuten entsteht, die wie unsere kolonialen Beamten und Militärs ausgewählt kräftige Individuen sind, bei denen nur zu oft neben der Freude und dem berechtigten Stolz auf den eigenen Körper, Geringschätzung des weniger robust Gebauten wächst. Krafthuberei nennt man das in Süddeutschland, ist aber ein so übles Ding nicht.

Nur in einem, allerdings einem sehr wichtigen Punkte, ließ ich mich von den warnenden Stimmen beeinflussen. Ich hatte nicht mehr den Mut, den ganzen Erfolg meiner Reise gleichsam auf eine Karte zu setzen. Darum beschloß ich die Wala- und dann die Ugalla-Expedition. Denn sollte es mein Schicksal so wollen, daß ich aus Ruanda nicht mehr zurückkehren würde, so hätte ich wenigstens nicht ganz umsonst gelebt, und die Erforschung des eben erwähnten Flußgebietes hätte, woran mir am meisten lag, bewiesen, daß nicht die Sucht nach Abenteuern und äußeren Erfolgen, noch andere als wissenschaftliche Gründe mich in den dunklen Erdteil eindringen hießen. »Ach, es gibt so viel Lüsternheit nach Höhe! Es gibt so viel Krämpfe der Ehrgeizigen!« Diese Überlegung war das Triebrad der beabsichtigten Wala-Expedition; sie war es, die den Fuß meiner Karawane statt nordwärts in die Quelländer des Nils, nach Süden zum Wala lenkte. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

*

Als ich nun, wie oben geschildert, diesen Plan scheitern sah, entschloß ich mich rasch zu einer anderen Aufgabe, die mich stets gereizt hatte, aber als meinem Ziele zu fern liegend, von mir nicht ernsthaft erwogen war. Es handelt sich um den Ugallafluß, an dem Böhm, Kaiser und Reichard ihr unglückliches »Weidmannsheil« einst erbaut hatten. Merkwürdig genug hat Kaiser, der Geograph der Expedition, von seinem Laufe kaum einen Tagemarsch aufgenommen; und auch aus den Briefen Böhms geht nicht hervor, daß er den Fluß mehr als einige Tagemärsche stromauf- und abwärts besucht hat. Ja, ich kann fast den Punkt bestimmen, über den er nicht hinausgekommen ist, den er, der beste Detailschilderer der afrikanischen Landschaft, in seiner Eigenart zu schildern sonst nicht unterlassen hätte. Als ich am 20. Oktober früh aufbrechen wollte, merkte ich zu meiner nicht geringen Überraschung, daß meine große und einzige Karte des Westens unserer Kolonie nicht aufzufinden war. Nachdem ich alle Lasten durchgestöbert, blieb mir nichts übrig, als die sechs Stunden nach Tabora zurückzulaufen. Meine Erkundigungen betreff des Ugalla an zuverlässigster Stelle ergaben das Resultat, daß er jederzeit »Lachen« haben sollte; auch auf der Kaiser'schen Karte findet sich eine ähnliche Notiz. Aus Böhms Briefen wußte ich, daß der Fluß aus einer Reihe von Becken und schmalen gewundenen Kanälen bestehe, die in der Regenzeit mächtig steigen, miteinander in Verbindung treten und dann, oft so groß wie der Rhein, dahinströmen. Ich machte mir daraus dasselbe Bild, wie die Herren in Tabora und rechnete darauf jetzt, wo noch jede Landschaft ganz unter dem Einflüsse der Trockenheit stand, zwar genügend Wasser zu finden, aber, wie erwähnt, nur in Lachen. Ich möchte daher vorweg bemerken, daß einzelne dieser »Lachen« Seen von ½ bis 1 Kilometer Breite waren und daß das Strombett in seinem weiteren Verlauf als Sindi, scharf von zwei Gebirgszügen begrenzt und nur auf wenigen Furten wegen seines tiefen Papyrussumpfes passierbar, sich stellenweise auf über drei Kilometer verbreitert, in dem das Wasser infolge dieser kolossalen Dimensionen selbst in der stärksten Regenzeit nicht mehr als ein Meter den jetzigen Stand übersteigen soll. Die Aufgabe, die ich mir also jetzt stellte, war: »Von der Stelle aus, wo ich auf den Ugalla stoßen würde, ihn in seiner ganzen Kontinuität bis zu seiner Mündung in den Malagarassi zu verfolgen, nicht nur dort ihn aufzunehmen, wo gerade ein Weg ihn berührte, sondern mich allen seinen Krümmungen anzuschmiegen und so ein ins Detail gehendes Bild des Flusses zu liefern.« Diese Aufgabe habe ich durchgeführt, trotzdem es mir oft sauer genug gemacht wurde, wie die Leser später sehen werden. Vierzig Nächte habe ich dicht am Flusse oder Sumpfe gelagert, mehrfach, wo ein jäh aufsteigender Berg es nicht anders gestattete, mein Bett drei Schritte vom Wasser entfernt aufzuschlagen; nur vier Nächte in menschlichen Ansiedelungen. Ich brauchte mehr als das Doppelte der berechneten Zeit, weil der Fluß infolge seiner zahllosen Krümmungen einen Lauf von etwa 200 Kilometern Luftlinie auf 800 Kilometer verlängert, und weil es nicht möglich ist, mit 200 bepackten Menschen schnell vorwärts zu kommen, wenn man wochenlang fast täglich mehrere Kilometer bis zum Knie im Sumpf marschiert oder über die steilen Abhänge eines weglosen Gebirges klettern oder durch Steppen mit verfilztem, undurchdringlichem Gras förmlich »treppensteigend« seinen Weg zu nehmen hat, einen Weg, den ich in drei Vierteln der Marschtage erst selbst schaffen mußte, froh, wenn Nilpferde ihn mir vorgearbeitet hatten. Aber nur so war es mir möglich, von dem einmal gesteckten Plane nicht abzuweichen und ihn bis zur letzten Minute durchzuführen.

siehe Bildunterschrift

Am Ugalla.

Am Geburtstag unserer Kaiserin, der in Tabora durch Hauptmann Langheld unter Teilnahme vieler von fern her erschienenen Häuptlinge und aller Araber mit großer Festlichkeit gefeiert wurde, setzte ich meine Route wieder von Pangale aus fort. Noch einen Tag begleitete mich der Busch, dann begann ein Waldgebiet, das sich über kolossale Flächen des Südens unserer Kolonie fast kontinuierlich erstreckt, wo die Bäume lichter standen, haben die Eingeborenen ihn – oft sehr ausgedehnt – gerodet und ihre Niederlassungen gegründet. In der Nähe von Uganda beginnt eine andere Formation sich inselförmig in den Myombo hineinzuschieben, der lichte Steppenwald, der aber hier oft ein ganz anderes Bild gewährt, wie der an der großen Karawanenstraße. Die Bäume, unter denen sehr viele große, gelappte Blätter (ähnlich denen der italienischen Feigen) tragen, treten vielfach zu Gruppen zusammen, die der Landschaft das Aussehen eines Parks geben. Dieser Eindruck wird noch dadurch gesteigert, daß meist neben den Bosketts noch kleine Erdhügel die Grasflächen unterbrechen, die nur mit zwei, drei Bäumen bestanden, aber von einem bis in die höchsten Wipfel kletternden, dunklen Gewirr von Schlingpflanzen bedeckt werden, wo noch ein Stück weißer Erde oder verwitternden Steines durch eine Lücke hervorlugt, glaubt man den Torso einer Statue durch die dichten Aste von Zypressen schimmern zu sehen. Tauchen noch, wie kurz vor Uganda, tausende ganz niedriger, grauer Termitenbauten auf, so wird der Parkcharakter bis zur Täuschung vollkommen, und man fühlt sich auf einen riesigen Friedhof eines ausgestorbenen Geschlechts versetzt, der von den Menschen vergessen wurde, dessen verwitterte Denksteine der Wurm zerstörte, dessen Grabdenkmäler unter der Last wuchernden Blattwerks erstickt werden.

An anderen Stellen wieder ordnen sich die Bäume in Reihen und gleichen Schulen oder Obstgärten, und nur auf nicht sehr großen Gebieten findet man jenes unruhige Bild, das der Steppenwald, wie wir ihn an der großen Karawanenstraße kennen gelernt haben, dem Auge bietet.

Als ich am 23. Oktober einen weithin sich ausdehnenden »Friedhof« entdeckt hatte, stieß ich auf eine große Lichtung frisch gerodeten Landes und bei einer Wegbiegung fast plötzlich auf eine Riesentembe, die eine Fläche von fast einem halben Quadratkilometer einrahmte, und befand mich eine Viertelstunde später, von den zwei ersten Ministern und einer Menge Volkes empfangen, am Haupttor der Residenz von Discha, der Herrscherin von Uganda.

Ihre Residenz ist nach dem System von Dantes Höllenkreisen angelegt: drei konzentrische Temben, von denen die äußerste ihren Leuten als Wohnraum dient, die mittleren für den Hofstaat und die Dienerschaft – Knaben und Mädchen in gesonderten Räumen – und die innerste für sie selbst, »die herrlichste von Allen«, bestimmt ist. Außerdem stehen noch in allen Höfen zahlreiche Rundhütten.

Die Psyche Dischas habe ich schon vorhin mit einigen kräftigen Schnitten viviseziert; sie harmoniert mit ihrem Äußeren, ihrem gutmütig-blöden Geschau und ihrem kurzen, dicken, wabbligen Körper. Die klimatischen Verhältnisse von Uganda müssen besonders bekömmlich sein, denn wie die Königin, so die Jungfrauen des Hofstaats. Als Discha mich das erstemal in ihrer Begleitung besuchte, glaubte ich, daß eine Prozession riesiger »Flammeris« auf mich zu wandelt, und wenn die Fürstin lachte – und sie lachte fortwährend mit und ohne Ursache – da ward ihr Busen von solchen Krämpfen geschüttelt, daß es aussah, als müßte er jeden Augenblick über die Ränder des miederartig gebundenen Gewandes quellen und uns alle begraben. O grauslicher Aspekt! Übrigens erzählte man, daß Discha in ihrer Jugend nicht ohne Reize gewesen sei und damals einen berühmten Reisenden in ihre Netze verstrickt habe. Chi lo so?! Möglich ist alles, und in zwanzig Jahren verändert sich jegliche Kreatur. Außerdem haben mir schon so viele Leute, denen ich es nie angesehen hätte, versichert, wie schön sie in ihrer Jugend waren, daß ich keinen Grund zu zweifeln habe, daß auch Dischas »spröde Wonnen« einst üppiger geblüht haben.

Auch heute noch ist sie trotz des Gewichts ihrer 45 Jahre und ihrer 250 Pfund alles andere als eine Vestalin, und sie soll diejenigen, denen sie – natürlich bildlich – das Schnupftuch zuwirft, gleichzeitig zu Liebhabern und Ministern machen.

Die Methode scheint sich bewährt zu haben, denn sie hält seit vielen Jahren an ihr fest; immerhin ist es anzuerkennen, daß sie selbst sich hinreichend den Regierungsgeschäften widmet, um mit zwei solcher Ministerien auszukommen; und nur ein ganz böser Mensch wird behaupten, daß je andere als Staats-Interessen einen Wechsel in der Besetzung dieser wichtigen Ämter herbeiführten oder daß der Verwaltung des Sultanats je durch eine Vakanz Schwierigkeiten entstanden wären. Denn wie ein guter, seinen Wald pfleglich behandelnder Forstmann fällt Discha in ihrem Liebesgarten die alten Bäume erst dann, wenn sie aus den Schonungen der Jugend des Landes neue Stämme als Ersatz für die morsch gewordenen verpflanzt hat. – – – – – – – – – – – – – – –

Nur ein paar kurze Tage blieb ich an dem fröhlichen Hof, der auch einen Vetter Dischas, einen alten, wackligen, querulierenden Schwachkopf von Prätendenten beherbergt, dann zog ich auf eintönig durch Steppe und lichten Wald sich windendem Pfad nach Süden weiter.

15. Dezember 1897.
Im Lager am Malagarassi.

Brief X.

1. November. Nachdem wir heute vier Stunden durch die gleiche Landschaft wie an den vorhergehenden Tagen gezogen waren – abwechselnd Myombo- und Steppenwald und ausgedehntes Grasland – fing gegen 11 Uhr das Bild sich zu verändern an. Das gelbe glänzende Hochgras verschwand und verwandelte sich in frischen grünen Rasen, in welchem eine weiße Blume ansehnliche Beete bildete; auf kleinen Erdhügeln standen hohe, schattige Bäume, von tausenden von dunklen Schlingpflanzen umsponnen, und nicht zu fern sah man eine große Reiherschar spielend in den Lüften schweben. Über den Bäumen, die hie und da in Bosketts oder wie Baumschulen geordnet, die Steppe unterbrachen, lag ein Hauch von Frische und Duft, der mir etwas Ungewohntes war und meine Gedanken in weit zurückliegende Zeilen und Länder ablenkte. Zwanzig Minuten später stiegen wir einen steilen Graben hinab und befanden uns in dem 15 Meter breiten, doch trockenen Bett des Ugalla. Aber schon als wir die andere Seite hinaufstiegen, sahen wir ganz nahe ein mit Blättern und Bäumen bedecktes Gewässer, das zwischen hohem Uferdickicht sich verbarg, erst schmal, allmählich aber auf 40 Meter sich verbreiternd. So weit das Auge sah, dehnte sich die gleiche, frische, grüne Parklandschaft aus, von einer reichen Vogelwelt belebt. Schwarze Sporngänse gehen watschelnd, den Kopf rechts und links drehend, in der Nähe der Ufer spazieren und entschließen sich nur unwillig zur Flucht; über die Wasserspiegel huschen zierliche rotbraune Hühnchen und berühren kaum die breiten Blätter, von einem zum andern mit gesenktem Köpfchen trippelnd; ein Zwergsteißfuß fährt erschreckt mit schwirrendem Fluge aus dem Schilf auf und verschwindet am nahen Ufer, wo der merkwürdige Schlangenhalsvogel unbeweglich, einer großen hölzernen Fledermaus vergleichbar, mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Baumstamm sitzt und sein glänzendes schwarzes Gefieder von der Sonne trocknen läßt. Mit stolzer Haltung und schwerem, gleichmäßigem Flügelschlag streicht ein Riesenreiher längs des Wasserspiegels. Auf den Ästen eines abgestorbenen Baumes sitzen Geier und äugen furchtlos nach den Fremden, erst spät die Flucht ergreifend, um am anderen Ufer rasch wieder aufzubäumen. Weiße Kuh-Reiher sitzen zu zwanzig, dreißig auf einem Baum, der weit über den Fluß hängt, als drückte ihn die Last der Vögel hinab. Regenpfeifer fliegen mit ärgerlichem Geschrei um die Träger, die sich nach allen Richtungen zerstreuen, um Brennholz zu suchen, und erfüllen die Luft mit ihrem drolligen Schimpfen. Aus der Ferne aber tönt wie leiser Glockenklang der reine, bald tiefe, bald hohe Ton eines Vogels, der kein anderer als der Orgelwürger sein kann. Außer diesen sehe ich noch eine Unmenge großer und kleiner Vögel, deren Identität ich weder kenne noch vorläufig festzustellen vermag. Ein Rekognoszierungsmarsch lehrt mich, daß unser bisheriger Weg nach Süden weiter läuft, während der Fluß nach Nordwesten zieht, aber bald versiegt. Ein Weg ist auf beiden Ufern nicht sichtbar. Die Fragen: Werden wir täglich Wasser finden? Wie werde ich die Leute verproviantieren? machten mir etwas Sorge.

2. November. Wir zogen heute immer durch die schöne Parklandschaft dicht am Flusse, der nach einer halben Stunde versiegte. Aber sein Bett blieb immer durch dichten Baumwuchs bezeichnet, dessen Wurzelwerk, vielfach von dem in der höchsten Regenzeit heftig strömendem Wasser der Erde beraubt, wie Hilfe flehend in die Luft ragt. Auf der Suche nach einem Weg kreuzten wir mehrfach das Bett und stießen dabei auf die Reste einer Fischerhütte, mit vielen Netzen und Fallen, von der aus ein verwachsener Pfad das linke Ufer entlang führte, bis er sich in einer weiten von Wald und kleinen Erdhügeln eingerahmten Steppe verlor. In ihrer Mitte fließt der Ugalla als schmale Rinne mit trübem Wasser und offenen oder mit Mimosen bestandenen Ufern, zu denen von beiden Seiten viel Wildfährten laufen. Mehrfach scheuchten wir eine flüchtige Gazelle auf, die in dem hohen Gras ihr Schläfchen hielt und erschreckt die Trägerreihen durchbricht. – Ohne Besinnen schleudert der Fähnrich Kipenda Matako das ihm anvertraute schwarz-weiß-rote Heiligtum als Wurfspeer durch die Luft, das Signal zu einer unsinnigen Hetze; krachend fliegen die Kisten zur Erde, und Männer, Weiber und Rinder verfolgen die in ihrer Angst doppelt raschen Tiere mit wildem Geschrei, das ich vergebens zu übertönen versuche. Das Ende ist, daß ich eine Viertelstunde Marschzeit verloren habe, etliche Flaschen zerbrochen sind, die Leute atemlos und mit scheuem Verbrecherblick zurückkehren, der Schausch den Fähnrich prügelt und die Gazellen über alle Berge sind.

Ich war grade mit dem Entwurf einer für meine Leute bestimmten Rede über das Unnützliche, Gefährliche und Verwerfliche einer improvisierten Treibjagd beschäftigt, als ich bei einer kleinen Wegbiegung ganz unvermittelt ein Bild vor mir sah, das mich allen Ärger vergessen ließ und mich mit stummen Staunen gebannt hielt. Vor mir lag der Ugalla als 80 Meter breiter, weithin in sanfter Windung sich dehnender Strom mit kristallklarem, blauem Wasser, inmitten einer Landschaft, deren Zauber nach der Öde der letzten Monate wie ein leiser warmer Frühlingsregen auf meine Seele fiel.

Bald bis dicht an die Ufer tretend, bald weit zurückweichend, zieht sich ein Akazienwald längs des Wassers, und die leuchtenden Blüten liegen so dicht auf den Ästen wie goldener Schnee. Wo die Ufer frei sind, bedeckt sie das zarte Grün der Wiesen, auf denen rote brennende Astern-ähnliche Blumen gleich großen Blutstropfen glühen, und auf den hellen Gräsern tanzen die Sonnenstrahlen und leuchten aus den Tautropfen mit tausend jauchzenden Kinderaugen zum wolkenlosen Himmel, welch ein Reichtum an Formen und Farben! Zahllose Winden ranken sich um die dunklen dichtbelaubten Äste hochstämmiger Uferbäume und werfen von oben eine Fülle weißer und violetter Blumen hinab, die bei jedem Lüftchen gleich Schmetterlingen auf und nieder schweben. Und als wären es ihre eigenen Blüten, so neigen sich die alten morschen Gesellen eitel über das Wasser und strecken ihre Arme weit vor, als wollten sie das eigene Bild liebkosen. Und die Eitelsten der Eiteln greifen sogar mit plumpen Fingern nach den Seerosen hinab, die ihre goldblonden Köpfchen kokett zwischen den breiten grünen Kragen wiegen. Als Zuschauer aber liegen in der Mitte des Stromes, unbeweglich wie verankerte Baumstämme, zwei Krokodile und glotzen träge zu den Sonnenstrahlen, Bäumen und Seerosen hinüber. Sonst tiefe Einsamkeit um uns. Doch nein! Weitab löst sich aus dem Dunkel des jenseitigen Uferdickichts ein Kahn, den ein aufrechtstehender Eingeborener über das stille Wasser lenkt, wir eilen rasch vorwärts und finden die Stelle, wo er gelandet ist, Kahn und reiche Beute im Stich lassend. Nicht weit davon auf einer kleinen Wiese dicht am Fluß lasse ich das Lager aufschlagen. Einige Kähne, geschickt aus der Rinde je eines Myombobaumes gefertigt und zum Trocknen aufgehängte Netze verrieten uns die Nähe einer größeren Fischerniederlassung, wir finden sie auch bald in dem dichten Uferwald versteckt, ärmliche Hütten, von nomadisierenden Wagunda zu temporärem Gebrauch errichtet. Auf hölzernen Rosten liegt Nilpferdfleisch und eine reichliche Menge barschartiger Fische, die ich als willkommenen Proviant kaufe. Zwischen einem der Fischer und meinem Träger Ferusi, seinem Neffen, findet ein rührendes Wiedersehen statt. Nachmittags schoß ich ein Zierböckchen.

3. November. Ruhetag. Ich machte einige Photographien der schönen Landschaft. Meine Leute gehen auf Fischfang aus, und unbekümmert um die sich respektvoll in einiger Entfernung haltenden Krokodile baden sie, bis zum anderen Ufer schwimmend, und sind guter Dinge. Eine Anzahl, die ich einige Stunden weit in Dörfer geschickt habe, kommen mit reichlichem Proviant wieder. Also auch diese Sorge unnötig.

Nachmittags lockt mich der Wildreichtum wieder zur Jagd, wobei ich eine Antilope schoß. Während ich einen der beiden mich begleitenden Askaris mit der Beute zum Lager schicke, gehen ich und der andere dem Wild nach. Beim Verfolgen einer großen Kuhantilope werde ich von der Dämmerung überrascht, und da der Himmel seit Mittag mit dichtem, grauem Regengewölk bedeckt ist, senkt sich rasch die Nacht auf den Wald, ohne daß ich weiß, wo die Sonne untergegangen ist oder das Lager sich befindet. Auch von meinem Gefährten, der den Spuren von Zebras nachgegangen ist, ist nichts zu sehen, noch zu hören. Ich suche mir ungefähr den zurückgelegten Weg zu rekonstruieren und eile dann in der angenommenen Lagerrichtung vorwärts. Ich rechnete, nach einer Stunde auf den Fluß zu stoßen und damit eine Direktion zu haben. Aber nach 1½ Stunden ist der Wald noch immer so dicht wie vorher und keine Spur vom Flusse zu entdecken. Die Situation war um so unbehaglicher, als ein feiner Regen fiel und die dünnen Kleider rasch durchnäßte. Oft gerate ich in dichtes Dorngestrüpp, aus dem ich mich nur mit zerrissenem Zeug und blutigen Händen herausarbeite, oder eine am Boden kriechende Schlingpflanze packt mich an den Füßen und verwickelt sich in die Schnüre meiner Schuhe. Zweige schlagen mir ins Gesicht, Baumstämme kreuzen hindernd meinen Weg, oder ich versinke mit einem Bein in das Erdloch eines Wildschweins. Bisweilen fährt schwirrend ein Vogel neben mir auf, daß ich von dem plötzlichen Geräusch erschreckt zur Seite springe, oder die dunklen Umrisse eines Termitenbaus veranlassen mich, mit dem Gewehr in Anschlag klopfenden Herzens still zu stehen und den Angriff eines Raubtieres zu erwarten. Bisweilen zerreißt der Wind das Gewölk ein wenig, und dann erleuchten die Sterne mit fahlem Scheine die Baumstämme, deren welke Äste in den sonderbarsten Formen von der grauen Dämmerung sich abheben. Von dem raschen Laufen, Klettern und Stolpern und dem mir ungewohnten Tragen des Gewehrs erschöpft, überlege ich gerade, ob ich nicht besser täte, unter einem Baume den Morgen abzuwarten, als in meiner Nähe ein Schuß fällt. Es ist mein Jagdgefährte, der meinen Signalschüssen nachgegangen war. Auch er weiß nicht, wo die Sonne unterging, bezeichnet aber mit aller Bestimmtheit die Richtung des Lagers. Ich bin anderer Ansicht, weil ich, als der Himmel etwas sichtbar war, die Figur des Cetus erkannt haben wollte. Er wagt nicht zu widersprechen und wir verfolgen meine Richtung, aber nach einer weiteren halben Stunde fange ich selbst an zu zweifeln, da immer noch nicht der Fluß sich zeigt, wieder gibt er mit Bestimmtheit eine Richtung an. Wir verfolgen sie und kreuzen viele Wildpfade und weite Lichtungen, über denen der Regen wie eine feine Wolke liegt. Abermals muß eine Stunde vergangen sein, und ich beginne schon ungerecht zu werden und dem Askari in gereizten Worten die Sicherheit seines Urteils vorzuhalten, als wir, eine Lichtung passierend, plötzlich das ohrenzermarternde Kreischen eines Antilopenhorns hören, und gleichzeitig tanzen auch schon wie große Leuchtkäfer brennende Holzfackeln zwischen den Bäumen vor uns und erleuchten märchenhaft die alten Stämme. Es war ein Trupp zum Suchen ausgesandter Leute. Jetzt erst spürte ich auch, daß ich seit vielen Stunden nichts gegessen habe, und bin herzlich froh, als ich nach etwa dreißig Minuten das Lager erreichte, von den Leuten mit Freudengeschrei empfangen. Es war ½10 Uhr vorbei. Ich war also in einstündigem Umkreis des Lagers 3½ Stunden umhergeirrt.

5. November. Ich kann mir keine größere Eintönigkeit im Wechsel denken als diese Wälder. Fast hätte ich mich heute bei einer botanischen Exkursion wieder verirrt. Es sind immer wieder die gleichen Hochgraslichtungen mit ihren Erdhügeln und dem dunklen Waldrahmen, die den dichten Baumbestand unterbrechen. Jedes dieser zerstreuten Buschdickichte gleicht dem andern. Immer wieder stößt man auf Stellen, wo ein Haufen entwurzelter Stämme von Gras und Schlingpflanzen überwuchert wird, oder wo eine spärliche Krautvegetation auf nacktem, baumlosem, sandigem Boden weite Flächen bildet, oder wo junger Nachwuchs gleich Schonungen geordnet steht, vielfach zerwühlt und zerstampft von den zu ihren Weideplätzen eilenden Nilpferden. Kein Wunder, daß mir nachts jede Orientierung fehlte.

Mittags marschierten wir weiter.

Ich staune und staune über die jähen Veränderungen des Flusses von einer 300 Meter breiten Bucht zum Tümpel oder vom mächtigem Strom zur Trockenheit. Aber noch mehr staune ich und kann mich nicht satt sehen an seiner Schönheit. Wenn ich heute in einem der stillen Gewässer plötzlich einen der Fischer seinen Kahn durch die Fluten lenken sah, war es mir, als würden die Bilder, die ich als Kind im Robinson gesehen habe, zu Gestalt und Leben erweckt.

7. November. Ich marschierte in den letzten Tagen immer dicht am Fluß, obwohl es oft sauer genug war. Die Karawane mußte mehrfach landeinwärts gehen, weil mit den Lasten nicht vorwärts zu kommen war. Das Gras schießt täglich üppiger in die Höhe, so daß wir die Beine so hoch heben müssen wie bei sehr hochstufigen Treppen. Dazu ist es frühmorgens so naß, daß wir in kurzer Zeit bis auf die Haut gebadet sind. Schlimmer war es noch an einzelnen Stellen des Waldes. Oft starrten uns förmlich Wälle von Sträuchern und Schlingpflanzen entgegen, durch die wir mit Äxten und Haumessern Minen legten. Ein fortwährendes Bücken, Kriechen, Hängenbleiben und Stolpern. Schimmerte nicht das Wasser durch die Lücken, so hätte ich für meine Peilungen gar keine Direktion gehabt.

Gestern lagerten wir an einer Stelle, wo der Fluß sich, bevor er sich zu einer 200 Meter breiten Bucht erweitert, in mehrere Arme teilt, die zwei kleine Sandinseln umfassen. Als ich mit einem Askari eine von ihnen aufsuchte, hätte den armen Burschen beinahe ein böses Geschick ereilt. Ein Regenpfeifer rettete ihn. Ich neckte den kleinen Kerl, der uns schimpfend verfolgte, und nach oben sehend, bemerkte ich einen schweren Baumstamm an einer Schnur hängend. Ich hatte gerade noch Zeit, den Askari anzurufen, denn zwei Schritt vor ihm lag auf der Erde, unter Gras versteckt, das andere Ende der Schnur, das den Apparat auslösen sollte, offenbar das Werk eines umherschweifenden Jägers zum Töten von Nilpferden bestimmt.

10. November. Heute Ruhetag, da die Leute trotz der kleinen Märsche wegen der sich häufenden Marschschwierigkeiten etwas erschöpft sind, wir lagern in der Nähe eines aus wenigen Hütten bestehenden neuerbauten Dorfes. Sonst haben wir noch keine Niederlassungen berührt. Doch liegen landeinwärts des Flusses einige Stunden entfernt Wagalladörfer, deren Häuptlinge Friedensversicherungen und Geschenke zu mir schickten. Durch einen Mann, der sich meiner Karawane angeschlossen hatte, war das Gerücht verbreitet worden, daß ich käme, um sie zu bekriegen, weil ihm angeblich von einem Mgalla-Sultan Unrecht zugefügt war. Durch allerhand Schreckbilder suchte er mich vom Flusse weg und in die Gegend seiner Feinde zu locken. Als ihm das nicht gelang, erfüllte er die leicht erregbare Phantasie meiner Leute mit fürchterlichen Bildern von gefährlichen Sümpfen, reißenden Flüssen, wütenden Nashörnern und ähnlichem Nonsens. Deshalb jagte ich ihn vorgestern, als wir die Straße von Ugunda nach Karema (Tanganika) kreuzten und er seine Beschwörungen wieder aufnahm, mit seiner Sippschaft davon, wobei er mir angeblich Rache geschworen haben soll. Als ich daher gestern vor mir plötzlich zehn Schüsse hörte, glaubte ich, daß er den Augenblick sich zu rächen wahrgenommen hatte, und eilte im Sturmschritt vorwärts. Die Sache war ungefährlicher. Sieben meiner Askaris hatten die tollkühne Tat vollbracht, ein ganzes Krokodil anzugreifen, und von den zehn Schüssen, aus drei Schritt Entfernung abgefeuert, hatte auch wirklich einer getroffen. Das gibt einen Maßstab für die Fähigkeiten der Helden, mit denen ich den Tausenden von Kriegern des Königs von Ruanda imponieren soll.

Ich verzweifle bei dem Versuch, der immer aufs neue sich wandelnden Schönheit der Flußlandschaft mit meinen Worten gerecht zu werden, ihrer heiteren Anmut und ihrer herben Größe. Welch eine ernste Sprache reden diese dunklen Seen mit ihrer düsteren Uferwaldung im dämmernden Abend, wenn auf den Wassern schon die Schatten schlummern und nur noch ein matter Glanz am westlichen Himmel die Kronen der Bäume goldbraun umsäumt; wenn in lautlosem Fluge die Fledermäuse ihre schwarzen Kreise ziehen und aus den Tiefen des Dickichts die eintönig-klagende Weise des Orgelwürgers die stille Luft durchzittert, bis der kühle modrige Duft, der aus dem Schilf aufsteigt, die Nacht verkündet und zuletzt jede Farbe, jeder Laut in dem großen schwarzen Schweigen der Einsamkeit erstirbt.

Welch ein Kontrast, wenn der dampfende Strom im luftigen Schein der Morgensonne taufrische Wälder und Wiesen durchströmt, wenn tausend kleine Wölkchen seinen Spiegel entlang kriechen, an den Ufern emporklettern und in den Wipfeln der Bäume sich verlieren; wenn die Netze der Spinnen auf Sträuchern und Gräsern wie köstlich glitzernde Perlenschnüre hängen; wenn der Seeadler, der stolzeste und einsamste, seinen hellen Schrei kampfesfroh über die Wasser sendet, daß alle anderen Vögel ängstlich verstummen und die Luft so rein und klar ist, daß die entferntesten Schirmakazien – noch bis in die zartesten Verzweigungen sichtbar – ihre Körper verlieren und wie von einem feinsten Pinsel auf den Himmel gemalt erscheinen.

Und die Nächte – wie denn vermöchte ich, die Nächte zu schildern und ihre Schönheit, die nicht von dieser Welt ist, an der jedes Wort zum Verrat wird, die meine Seele wie ein köstliches Geheimnis empfand, das die Gottheit ihr anvertraute.

Wenn über dem Wasser der Nebel braut, wenn das Mondlicht aus Wald und Wiesen rieselt, wenn Silber von jedem Blatt tropft, zu Silber alles Gestein wird, wenn überall ein silberner Dunst wallt und wogt und flutet, – dann beginnen die Geister, sich zu regen. Dann stehe ich atemlos hinter einem Baum und sehe, wie sie aus allen Tiefen ihre durchsichtigen silbernen Leiber erheben, wie sie in nicht endenwollendem Zuge feierlich über den Fluß ziehen, wie sie im Reigen sich drehen, wie sie auseinander fliehen, wenn der plumpe Kopf eines schnaubenden Nilpferds aus der Tiefe zwischen ihnen auftaucht, wie sie in tollem Mut in die Wipfel der Bäume klettern und von oben sich wieder hinunterstürzen, wie sie als schimmernde Schlangen um die Felsblöcke sich winden, oder als schwere gesanglose Vögel durch die Lüfte ziehen, oder als menschliche Ungeheuer mit langen zerfetzten Mänteln durch die Bäume schleichen, oft dicht an mir vorbei, daß ich ihren kalten feuchten Atem an meiner Stirn spüre. Und das Rauschen des Windes im Schilf begleitet die Feier mit eintönigen Weisen.

14. November. Die Schwierigkeiten des Marsches häufen sich, aber die Schönheit des Ugalla bleibt unverändert. Vorgestern kamen wir an eine Stelle, wo er sich in eine Reihe von Armen teilt und dann ein sehr breites flaches Bett bildet. Aus einem Dickicht heraustretend kamen wir an eine große Lichtung. Hier war der Fluß wieder vereint und verschwand gradlinig als breiter Kanal von vielen Pflanzen bedeckt, zwischen dunklem, parkähnlichem Wald. Es lag eine tiefe Traurigkeit über der Landschaft, eine hoffnungslose Verlassenheit, die das wahnsinnige Angstgeschrei der schwarzen Hagedasch-Ibisse noch erhöhte. Um so mehr war ich erstaunt, Reste einer Niederlassung zu finden, die in der Nähe eines hier einmündenden Nebenflusses standen. Als ich die Situation auf Grund meiner Skizzen bedachte, blieb mir kein Zweifel; ich befand mich am Wala, und die verkohlten, später von nomadisierenden Jägern notdürftig wiederhergestellten Reste einer Wohnstätte waren die Überbleibsel des unseligen Weidmannsheil. Mit schmerzlichen Empfindungen dachte ich der Männer, die hier gewirkt haben; ubi sunt qui ante nos in mundo fuere? Kaiser tot, Boehm tot, Reichard verschollen und alle halb vergessen. Wenn diese Ruinen reden könnten, was würden sie erzählen von Arbeit und Entbehrungen, von Fiebernächten und Kämpfen mit dem Tode, von Seufzern und Verzweiflung, aber auch von unerhörter Energie und Unverzagtheit, die die letzten dieser Männer auch dann nicht verließ, als das schrecklichste Verhängnis, der Brand von Weidmannsheil mit seinen furchtbaren Verlusten über sie hereinbrach. Die Briefe Boehms aus jener Zeit sind ein wahres Labsal für jeden, der sich von dem Gewimmel kleiner Seelen angewidert und mutlos abwendet.

17. November. Wenn die Aussage eines nomadisierenden Jägers richtig ist, daß das Flußbild von jetzt an so bleibe, wie wir es heute gefunden haben, so scheint für meinen Marsch eine neue Phase zu beginnen, die nichts weniger als erfreulich ist.

23. November. Der Jäger hatte Recht. Das Bild des Ugalla ist total verändert. Am 16. November bot es noch die alte Abwechselung, ja an diesem Tage und den ersten Stunden des nächsten kam als neuer Reiz noch das Auftreten von Tausenden von prachtvollen Borassuspalmen hinzu, dann aber kam die Wandlung. Es verschwanden die dichtbewaldeten oft hohen Ufer mit ihren alten schönen Bäumen, die stillen Buchten, die kleinen und großen, heiteren und herben Seen, die Parklandschaft mit ihren scheinbar wohlgepflegten Rasenflächen, ihren gradlinigen Kanälen, ihren dichten Laubgängen, es verschwindet der rasche Wechsel vom Strom zum Bach, vom See zum Tümpel, von weiten Buchten zur Trockenheit – eintönig, ohne große Breitenunterschiede, mit offenen Ufern, von Sumpf oder verfilztem Hochgras eingerahmt, schlängelt sich der Ugalla 50 Meter breit durch weite heiße Steppen, die mit zahllosen kleinen Grashügeln besät sind oder durch lichten schattenlosen Steppenwald, während ihn landeinwärts dichter Myombo begleitet, der aber nur selten bis in unseren Marschbereich sich erstreckt. Die Wegschwierigkeiten waren außerordentlich groß. Um den Fluß nicht zu verlieren, machte ich immer wieder den Versuch, mich ihm zu nähern und geriet immer wieder in die tückischen Sümpfe, die sich unter einer dichten Hochgrasdecke verbergen.

Mehrfach suchte ich das andere Ufer zu gewinnen, das oft mit Myombo-Wald besetzt ist und weniger Schwierigkeiten zu bieten scheint, aber stets täuschte das klare Wasser und ich mußte immer wieder umkehren, weil die Träger mit den Lasten nicht hinüberschwimmen können. Dann war der Marsch mit den wassergetränkten schweren Kleidern doppelt unangenehm. Denn es ist ohnedies schon entsetzlich ermüdend, täglich einige Kilometer gleichsam treppansteigend zurückzulegen, den Fuß mit Gewalt aus dem in der Tiefe verfilzten Schilf und dem Schlamm loszureißen und bei jedem Schritt bis zum Leib in das Gras zu sinken, das so dicht steht, daß es unter dem sich dagegen lehnenden Körper nicht zusammenbricht, sondern elastisch wie ein Heuhaufen nachgibt. Oft verharrten die Leute, aber auch ich, wenn wir besonders tief einsanken, in halb stehender, halb liegender Stellung, bis wir uns etwas erholt hatten. So ging es sechs Tage, in denen wir täglich einige Stunden keuchend durch die Sümpfe tappten; aber ich konnte es ihnen nicht ersparen. Wo ich von einem der kleinen Erdhügel aus einen Überblick hatte, vermied ich die schlimmen Ufer; aber leider war das nur selten, weil das hohe Gras die Aussicht total sperrte. Seit heute ist es wieder etwas besser. Wir erreichten heute die Berge von Kawende und Gombe, die bis an den Fluß herantreten, so daß er keine Gelegenheit zu großer Sumpfbildung hat. Menschliche Niederlassungen sehen wir mehrfach am jenseitigen Ufer, ein Dorf auch am diesseitigen. Vier bis fünf Hütten standen mitten im Sumpfe auf kleinen drei Meter hohen Erdhügeln; auch für die ärmlichen Pflanzungen waren kleine Erhebungen benutzt. Ein jammervolles Dasein. Und diese armen Toren flohen mit ihrem Kahn zum jenseitigen Ufer, als wenn irgend etwas zum Rauben hätte reizen können.

24. November. Längs der Berge und des Flusses marschierend, kamen wir heute an ein Dorf, Ngalamila. Obwohl ich Parlamentäre vorausschickte, flohen die Leute in die Berge. Ich stellte zum Schutz ihres Eigentums Wachen auf. Später griffen wir einen ahnungslos vom Honigsuchen heimkehrenden Mann und belehrten ihn über das Törichte der Flucht. Nach langem Schauri überredete er die Seinen zur Rückkehr; aber sie taten es nur in großem Bogen. Ich schenkte dem Manne Stoffe und versprach für morgen noch mehr.

25. November. Unbegreiflich. Der Beschenkte ist heute nacht entflohen und die anderen haben all ihre Habe in ein Dorf ans jenseitige Ufer gebracht. Daß ich, wenn ich zum Rauben Lust gehabt hätte, dies gestern bequem hätte tun können, scheinen sie übersehen zu haben. Der Ortschef kroch heute in einer so menschenunwürdigen Weise vor mir, daß es mich anekelte. Beim Verkauf von Lebensmitteln zeigte er sich übrigens sehr auf seinen Vorteil bedacht.

26. November. Meine Leute tun mir während des Marsches leid. Nichts entschädigt sie für die Strapazen. Ein gebahnter Weg durch bebend heiße Steppen dünkt ihnen tausendmal schöner als Fluß und Gebirge, wenn man sich ihren Anblick erkämpfen muß. Sind sie aber im Lager, dann haben sie wieder alles vergessen. Dann entwickelt sich rasch ein bewegtes heiteres Leben, wenn die Zelte aufgeschlagen sind, beginnt sofort die Tätigkeit, die ihrem Dasein erst seinen Inhalt gibt, die Zubereitung des Essens. Sie selbst beschränken sich allerdings meist nur darauf, die Lebensmittel einzuhandeln und als Sachverständige um die Töpfe zu sitzen, in denen die Weiber den Ugalli, den täglichen Mehlbrei, zusammenrühren. Gewöhnlich hat jede Speisegenossenschaft, zu der sich nach altem Reisebrauch fünf bis acht Leute zusammentun, ein Mitglied mit einer besseren Hälfte, die dann für alle sorgt. Das Herbeischaffen von Wasser und Brennholz wird meist gemeinsam betrieben, während die Grasbündel, die als Bett dienen, fast ausschließlich von den Boys besorgt werden, wenn nun an allen Ecken und Enden die Feuer an den Töpfen emporlecken, wenn es überall brodelt und zischt und dampft, dann kommt wieder Frische und Leben in die ermüdeten Glieder. Die einen gehen in den Wald, um Honig zu suchen, die anderen angeln mit der primitivsten Angel der Welt, einer langen Schnur mit einem gekrümmten und geschärften Nagel am Ende und doch bringen sie mit ihr mannslange Welse und andere Fische ans Land, die sie auf hölzernen Rosten braten. In gleicherweise behandeln sie das Fleisch der Nilpferde, die ich ihnen schieße. Aber nur die Leute von Pangani und die Wanjamwesi essen es, während die anderen es um keinen Preis annehmen, weil die Tiere nicht mit durchschnittenem Hals verendet sind. Dabei sind sonderbarerweise die Pangani-Leute vielmehr vom Islam durchsetzt; sie trinken keine Pombe und halten zum Teil regelmäßige Andachten ab, was meinen übrigen Küstenleuten nicht einfällt. Die Antwort auf alle Fragen nach den Gründen ihres verschiedenen Verhaltens lautet immer » dasturi«, »das ist einmal so Sitte«. Einzelne Leute von Bagamojo sind so schlau, sich ihre Ration geben zu lassen, auch wenn sie sie nicht essen, um sie an Eingeborene gegen andere Nahrung einzutauschen. Andere verschmähen das Fleisch, aber benutzen das reichliche Fett, um Lampenöl herzustellen, oder sie schneiden aus der Haut die berühmten Nilpferdpeitschen.

Während die einen so einen geschäftigen Müßiggang treiben, geben sich die anderen ganz dem süßen Nichtstun hin. Hier wird geschwätzt und gelacht, dort mit von langjährigem Schmutz klebrigen Karten gespielt; hier läßt einer unaufhörlich den ngubu, die einsaitige Guitarre der Küste ertönen, und dort widmet man sich eifrig einem hübschen Brettspiel, mbau, das man in jedem Dorfe findet. So geht die Zeit bis zu dem großen Augenblick hin, wo das Sachverständigen-Kolleg, das schon mehrfach die beim Rühren am Löffel hängen bleibenden Reste geprüft hat, den entscheidenden Spruch fällt. Dann kommen sie um den großen Topf, greifen mit der Rechten abwechselnd hinein, kneten den Brei in der Hand zur Kugel und dann erst schieben sie ihn – o Augenblick, gelebt im Paradiese – in den Mund, mit den Augen schon nach der Stelle schielend, die zunächst in Angriff genommen werden soll. Gesprochen wird wenig beim Essen, das würde nur die Behaglichkeit stören. So macht die ganze Mahlzeit einen so automatischen Eindruck, daß ich immer an die mechanischen Figuren in den Schaufenstern kleinstädtischer Uhrmacher denken muß, an den Unglücklichen, der ewig Wurst zu essen verdammt ist, an die Schuster mit vierundzwanzigstündiger Arbeitszeit usw.

Ist die Mahlzeit beendet, dann wird geschwatzt und ich höre von meinem Schreibtisch aus oft noch lange nach Mitternacht das gedämpfte Lachen und Plaudern einzelner Gruppen.

Dämmert aber der Morgen und heißt es, die Lasten packen, dann sind die Mienen – ach so sauer, dann ist nichts mehr übrig geblieben von der strahlenden Wonne des vergangenen Tages, bis wieder der Befehl zum Lagern gegeben wird und der Ruf » hema, hema«, »das Zelt, das Zelt«, sich vom ersten bis zum letzten fortpflanzt wie einst das ???è?ëáôôá è?ëáôôá der Griechen. Und wieder lächelt diesen Kindern das Leben.

27. November. Die letzten Tage boten wieder neue Marschschwierigkeiten; aber der Ugalla entschädigte mich durch seine alte Schönheit. Es ist, als wolle er beim Abschied noch einmal alle seine Wunder entfalten, denn der große See, an dem ich heute lagere, ist sein Ende, von morgen ab heißt es »der Ugalla ist tot; es lebe der Sindi«. Gestern lagerten wir an einer kleinen Bucht, zwischen dicht bewaldeten Hügeln, über die wir uns mühsam einen Weg gebahnt hatten, mit dem Blick auf den blauen Spiegel, den das zarte Grün einiger Inseln freundlich unterbrach. Heute versiegte nach einer Stunde plötzlich das Wasser und eine Fortsetzung war nicht sichtbar; von einem kleinen Erdhügel aus sah ich nichts als einen Papyrussumpf, der mehrere Kilometer breit war. An seinem Rande marschierten wir weiter, einige Ausläufer kreuzend.

Dann sperrte uns ein steiles Tafelgebirge den Weg, aber vorwärts mußten wir. So gingen wir auf den jähen Abhängen, auf Wildpfaden, die der Regen erweicht hatte, über glattes Gestein durch Dickicht und Schlinggewächs mit den Messern uns Bahn schaffend, zur Rechten den steil aufsteigenden Berg, zur Linken den Sumpf. Ich eilte in der Hoffnung, auf bessere Wege zu stoßen, möglichst rasch vorwärts; hinter mir verrät von Zeit zu Zeit das Geschrei der Karawane, daß ein Träger gestürzt oder eine Last den Abhang hinab gerollt ist. Nachdem wir so zwei Berge passiert hatten und der Sumpf einem schönen See, mit Nilpferden und Krokodilen reich belebt, gewichen war, ließ ich auf einer schmalen Lichtung lagern. Die Leute von Ngalamila hatten mir gesagt, ich würde in den nächsten Tagen auf Dörfer stoßen; so bestieg ich den Berg, an dessen Fuß unsere Zelte standen, gegen Abend, um Umschau zu halten. Aber so weit ich auch mit dem bewaffneten Auge sah, keine Spur einer Ansiedelung. Von jähen Gebirgen eingerahmt, dehnt sich der Sindi, mit Papyrus bedeckt, mehr als 1000 Meter breit, fast gradlinig, unter mir aus; ein ernstes Bild, aber von nicht beschreiblicher Erhabenheit. An einzelnen Stellen, auch dicht unter mir, bilden die Berge lange Spalten, deren Talboden von einer wilden, von Menschenhand unberührten, von Menschen unbetretenen Vegetation erfüllt ist.

Ich trenne mich schwer von der ernsten Größe dieses Bildes,

Welch höchste Weisheit liegt in dem Gegensatz von Gebirge und Ebene.

Der wirre Lärm des Lagers, das Brüllen der Maskathengste, das Schnarchen der Nilpferde – alles vereint sich, bis es nach oben kommt zu einem feinen Summen, das der Wind in zerrissenen Lauten hinaufträgt.

Dort liegt der Weg von heute morgen! Wo sind seine Widrigkeiten? Wo die schlimmen Sümpfe, das spitze Gestein, das dornige Buschwerk, die schlüpfrigen Pfade? Alles vereint sich hier oben zu einem schönen Teppich, der in allen Farben leuchtet; zum weichen, olivenfarbenen Sammet wurden die schlimmen Sümpfe, zu Perlen das spitze Gestein, zu dunklen, zierenden Flecken und Streifen das dornige Buschwerk, die schlüpfrigen Pfade. Das Disharmonische in Akkorde zu bringen, das Häßliche, widrige Rauhe in sein Gegenbild verwandeln, das ist die Weisheit der Berge; das ist es, was unsere Seelen auf den Bergen so erhaben stimmt. Was trieb denn Moses, was Christus auf die Berge? Gab es in der Ebene nicht schweigende Wüsten genug, nicht Inseln der Einsamkeit, wo keines Vogels Laut ihre Zwiesprache mit dem hinter Wolken Verborgenen gestört hätte?

siehe Bildunterschrift

»Le bon père«

Und ward nicht mancher, der seinen Gott in der Ebene verloren hatte, von Gott auf den Bergen wiedergefunden? Und ich selbst: Habe ich den Spruch des Psalmisten »Blicke auf zu den Bergen, von denen die Hilfe kommt« nicht oft genug an der eigenen Seele erprüfen können?

In Runsewe, Ende März 1898.

Brief XI.

Es war ein wundervolles Bild, das ich am 27. November von der Höhe des Tafelberges aus genoß, ein Bild, das ich in den nächsten Jahren noch – ach, wie oft – sehen sollte, für dessen seltsame Schönheit mein Auge nie stumpf geworden ist, dessen Reize aber damals mit erster Frische auf mich wirkten.

Eine Stunde weit dehnt sich das 1000 Meter breite Tal unter mir aus, von Papyrus bedeckt, dem heute der graue Himmel nicht jenes freundliche Grün gönnt, über das an sonnigen Tagen die violetten Wolkenschatten wie ungeheure, wandernde Mückenschwärme ziehen. Heute aber liegt er dunkel da, ernst, fast verdrossen, eine einförmige, nur selten von einsamen Phönixpalmen überragte, tiefgrüne Masse, die hier und dort kleine Tümpel wie bleierne Scheiben mit stumpfem Glanz unterbrechen. Eine Rinne ist nirgends zu sehen, geschweige ein offener Flußlauf. Zu beiden Seiten steigen jäh die finsterbewaldeten Berge zu mäßigen Höhen auf. An einzelnen Stellen greifen sie weit in den Sumpf mit kulissenförmig gestellten Steilwänden hinein, zwischen denen sie sich amphitheatralisch ausbuchten und im Halbkreis helle Graslichtungen umfassen. Dicht unter mir zieht eine mit üppiger Strauch- und Baumvegetation erfüllte Spalte, die nach dem Sumpf hin mündet und im Osten mit einer zweiten fast rechtwinklig zusammenstößt. Der Regen hat schon seit einigen Stunden aufgehört, aber noch streichen schwere Wolken wie Nachzügler langsam die Berghänge entlang und schmiegen sich ihnen dicht an, als tasteten sie nach einer Öffnung, durch die sie entweichen und ihre Gefährten einholen könnten, von menschlichen Wohnungen ist nichts zu entdecken, obwohl man mir vor einigen Tagen im letzten Dorf am Ugalla den Namen einer Niederlassung genannt hatte. Aber auch die Tierwelt scheint in diesem Tal der Verlassenheit fast ausgestorben zu sein. Wohl dringt aus dem Dunkel unter mir von Zeit zu Zeit das lang ausgehaltene Kurren eines Pisangfressers, und irgendwo in meiner Nähe antwortet ihm klopfend ein rotköpfiger Specht, den ich schon beim Aufstieg an den morschen Ästen einer Akazie habe herumrutschen sehen, aber sonst ist alles still und leer, und nichts scheuchen meine Schritte auf, als ich zum Lager, dessen Lärm hier oben zu feinem Summen erstickt ist, den Berg wieder hinabsteige. Es begann schon zu dunkeln, denn an trüben Tagen ist die Dämmerung noch kürzer als sonst, und ich hatte mich in den Anblick des selten schönen und mir so fremden Bildes verloren, überall erheben sich aus dem feuchten Grunde die feinen nächtlichen Nebelschwaden und schweben in leiser Unruhe zwischen den hohen Gräsern auf und ab, um zuletzt als dichte, weiße unbewegliche Masse mit scharf abgeschnittenem Rand wie ein Gemäuer mit flachem Dach auf dem Sumpf zu liegen, den sie zu erdrücken scheinen.

Mit raschen Schritten stürme ich den Berg hinab, meinen Lauf an jedem Baume brechend, der mit einem Regenschauer die gestörte Nachtruhe rächt, und ich hemme erst meine Eile, als ich die Lagerfeuer in den Waldrand ihre flackernden Reflexe werfen sehe. Denn ein beklemmendes Gefühl war jäh über mich gekommen, wie über einen Dörfler, der um Mitternacht an der Mauer eines in Schnee und Mondschein schlafenden Kirchhofs vorübergeht. War es feige Schwäche, oder gibt es in uns allen alte Kinderstuben-Erinnerungen, die in einem Winkel der Seele liegen bleiben, um, von günstiger Gelegenheit geweckt, aus dem langen Schlaf emporzufahren und wie schwarze Fledermäuse uns zu umflattern?

Wie mochte aber erst dem armen Teufel zu Mute sein, dessen Schicksal mich die nächste Nacht beschäftigen sollte. Als ich nämlich ins Lager zurückkehrte, fand ich mich bereits sehnlichst erwartet. Mein Mnjampara Hamiß, den die Pombe-Abstinenz der letzten im Pori verbrachten Zeit in eine Art pathologischen Stumpfsinn versetzt hatte, kam mir überraschend lebhaft entgegen und meldete mir, daß einer seiner Träger vermißt werde. Er sei mit einigen Kameraden wilden Honig suchen gegangen, habe sich im Dickicht der Bergspalte von ihnen getrennt, unfreiwillig getrennt und wahrscheinlich den Heimweg nicht finden können.

Und nun gab es eine unruhige Nacht. Auf dem Kamm des Berges wurden Scheiterhaufen aufgetürmt, deren Flammen hoch zwischen dem regenschweren Gezweig der Bäume aufzüngelten, daß sein Dampf sich mit dem gelben Rauch des feuchten Holzes mischte. Antilopenhörner sandten ihren gellenden Ruf durch den Wald und in die Schluchten, aus denen ein gebrochenes Echo fern und gedämpft wie aus den Eingeweiden der Berge zurücktönt. Nach jeder Stunde stieg eine Salve in die Höhe, und jedesmal fiel prasselnd ein Hagel morscher Äste aus den Wipfeln, dem langsam gaukelnd die zerfetzten Blätter folgen.

Eine Stunde hatte ich mit den Wachen am Feuer gesessen und mir abwechselnd die eine Seite geröstet, während die andere fror. Es träumt sich gut am Feuer, wenn nur die einförmige Weise der Gubu-Guitarre und das Glucksen der Wasserpfeifen die Stille unterbricht, und wenn man mit eingelullter Seele in die Flamme blickt, die die Tabakswolken in sich hineinzieht, oder in die Höhe, wo Mücken und Motten und allerhand fliegendes Nachtgetier feine Striche über das Stückchen Himmel zeichnen, das zwischen den vom Glutstrom leise auf und nieder schwankenden Zweigen hervorlugt. Immer dieselben beiden Töne spielt der Mann neben mir; immer im gleichen Takt schlägt er mit dem Rohrstäbchen auf die Sehne des Bogens, dessen Holz in der Mitte einen halben Kürbis als Resonanzboden trägt; immer vier Viertel: hell, dunkel, hell, dunkel und dann ein gespaltener, hölzerner Vorschlag, der mit einer Art Fingerhut gegen den Kürbis geklopft wird. Djink, djunk, djink, djunk; dekkedjink, djunk, djink, djunk.

Und welche Träume ziehen durch die schläfrige Seele? Und worüber hält sie Zwiesprach mit dem Monde, der mehr noch der Landfremden als der Verliebten Vertrauter ist? Ach, wovon träumt, wer fern von der Heimat ist, wovon könnte er träumen! Und während die Bilder von allem, was ich liebe, durch die Flammen ziehen, singt ein Lied in mir, eintönig wie das Spiel des Gubu und immer mit demselben Refrain endend: Djink, djunk, djink, djunk. Wann? Wann? Dekkedjink djunk, djink, djunk. Wann? Wann?

Aber wehe dem, der nicht stark genug ist, solche Träume in kurze wohl- und wehmütige Feiertagsstunden zu drängen: Ihm schweifen immer abwärts die Gedanken,

Ihm zehrt der Gram das nächste Glück
Von seinen Lippen weg – – –

Für solche Naturen wird Afrika zum Verhängnis. Sind doch selbst an der Küste, wo Hunderte von Deutschen zusammenleben, schon einige allzu zarte Menschen an Heimweh zugrunde gegangen. Und in Wirklichkeit ist die Sehnsucht nach geliebten Personen anderer Art und vielleicht weniger aufreibend als das Heimweh nach teuren Orten und vor allem Stimmungen, die mit ihnen verknüpft sind. So erinnere ich mich, manchmal geradezu wie einen physischen Schmerz das Verlangen nach einem kalten, norddeutschen Wintertag empfunden zu haben, und ich hätte damals meine Seele an jeden Teufel verkauft, wenn er mir für eine halbe Stunde meinen Wunsch erfüllt hätte. – – –

Doch man lebt nicht von Träumen allein, und nachdem ich mich an jenem Abend jede Viertelstunde wie ein Huhn am Bratspieß um meine eigene Achse gedreht hatte, um nicht vorne zum Flunder, hinten zur Fürst Pückler-Speise zu werden, strebte ich in Beherzigung des Philosophen, der da sagt, daß, wer weise wählt, Wolle wählt, meinem Zelt und Bett zu, das wenige Schritte vom Wasser seinen Platz hatte. Und wenn man am Tage einige Stunden durch Sümpfe getappt und auf schlüpfrigen Wildpfaden sich die Gelenke abwechselnd aus- und wieder eingerenkt hat, dann schläft man in kurzem wie ein Murmeltier, auch wenn Antilopenhörner gellen, Salven krachen und harmlos neugierige Flußpferde, 30 Meter entfernt, mit wohligem Geschnaufe das Wasser aus den Nüstern stoßen.

Als ich am andern Morgen erwachte, galt meine erste Frage dem Vermißten. Er war nicht zurückgekehrt. So hielt ich denn einen Konvent mit den vier Chargen ab, dem Führer der Askari und den Wanjampara der Leute von Bagamojo, Pangani und Tabora. Ich hatte immer noch starke Zweifel, aber die anderen waren nur über die Todesart mit sich uneinig, ob Löwe oder Schlange, Leopard oder die Furcht vor den Schrecken der Nacht ihn gefressen hätte. Immerhin hielt ich es doch für angebracht, eine Patrouille durch die Schlucht zu schicken, in der man seine Leiche vermutete, während ich mit der Karawane weiter marschierte.

Seit dem frühesten Morgen fiel wieder ein feiner Regen, und verdrossen zogen wir um den Fuß des Berges herum, um in das Sindital zu gelangen. Zu meiner freudigen Enttäuschung fand sich ein Weg, der noch nicht zu sehr verwachsen war, dicht am rechten Ufer zwischen Sumpf und Bergen. Von der anderen Talwand war wenig zu erkennen. Die Berge, die auch da, wo sie am weitesten zurückweichen, keinesfalls mehr als zwei Kilometer entfernt waren, schienen durch die Schleier von Nebel und Regen hindurch meilenweit abzuliegen. An einer Stelle klaffte eine mächtige Spalte, und an den dichten Nebelmassen, die sie erfüllten, konnte man erkennen, daß dort das breite Sumpftal eines Nebenflusses einmündete. wir waren etwa ¾ Stunden marschiert, ich hatte unter dem Dach einer Fächerpalme gegen den stärker werdenden Regen Schutz gesucht und starrte, Heft und Bleistift zwischen den klammen Fingern, trübselig in die graue Verdrossenheit vor mir, als meine Leute mich auf zwei Punkte aufmerksam machten, die in einiger Entfernung sich bewegen sollten. Ich wischte mir das Regenwasser aus den Augen und sah mit einiger Anstrengung zwei Punkte durch die feuchten Schleier vor uns schwimmen, einen roten und einen weißen, die scheinbar auf der Decke einer Hochgrasparzelle auf und nieder huschten. Nach wenigen Minuten ließ sich unschwer erraten, daß es zwei Köpfe waren, von denen der eine einen roten, der andere einen weißen Turban trug, und als sie bald darauf in das Niedergras der Weglinie traten, zeigte sich auch, daß an den Köpfen zwei ausgewachsene Körper hingen, die sich, als sie mich erreicht hatten, nach vielem Kniebeugen und Händeklatschen als die Abgesandten der Sultanin Fundikila von Butembo vorstellten, in deren Gebiet zu weilen ich jetzt die Ehre hätte. Fundikila sei gesund und hoffe das gleiche von mir, Fundikila grüße und erwarte freudig meinen Besuch, Fundikila sage dies und sage das, kurz: in der nächsten Viertelstunde schwärmten die Fundikilas wie Mücken um meine Ohren, und ich war herzlich froh, als der Regen aufhörte und mein Weitermarsch einen Grund gab, den Strömen der loyalen Beredsamkeit einen Damm entgegenzusetzen. Der Weg ging immer zwischen Sumpf und Bergen nach Norden, und nur, wo diese sich ausbuchten, führte er über Grasflächen mit morastigem Boden zum Ende der nächsten Kulisse. Gegen 10 Uhr begann der Regen wieder, und ich überlegte gerade, wo ich auf diesem schmalen Terrain heute mein Lager aufschlagen konnte, als die schwatzenden Deputierten Fundikilas hinter einem Querriegel, dessen Fuß wir passiert hatten, nach rechts und eine schmale Talspalte hinauf bogen; in ihrer Mitte stand eine Tembe mit einem Komplex von Hütten, über deren Dächer blauer Rauch, vom Regen gedrückt, hinab zur Erde kroch. Was mich aber am meisten überraschte: Am Eingang des Dorfes lehnte in einem Gewimmel schwarzer Leiber und grüßte mit wohlwollenden Gebärden die Leiche des vermißten Trägers. Da das doch etwas Ungewöhnliches ist, näherte ich mich ihm vorsichtig und stellte einige Fragen, worauf ich erfuhr, daß er durchaus nicht gestorben, sondern, weil er das Lager nicht finden konnte, in beliebiger Richtung weitergegangen sei, bis holzsuchende Weiber ihn gefunden und hierher geführt hätten.

Das kleine, unansehnliche, von zwei kinderreichen Familien bewohnte Dorf, das zwischen Felsgeröll und Buschwald in dieser Einsamkeit sich eingenistet hatte, barg nichts Bemerkenswertes, es sei denn, daß ich zum ersten Male in Afrika genötigt war, meine Augen sittsam niederzuschlagen. Denn die Vertreterinnen des säugenden Geschlechts zeigten sich vom Backfisch bis zur angejahrten Matrone den bewundernden Blicken meiner Leute so »voll und ganz«, daß wirklich nicht mehr viel zu verbergen übrig blieb. Es war eigentlich fast alles ausgeschnitten.

In den nächsten Tagen folgten wir dem Strombett, immer zur linken den Sumpf und rechts das Gebirge. Der Weg war meist gut, nur bisweilen, wo der Papyrus bis dicht an die Berge herantrat, mußten wir auf steilen und von dem nicht enden wollenden Regen schlüpfrigen Pfaden klettern, und mehr als einmal stürzten Träger und Last. Das Flußbett hatte sich sehr verschmälert und war durchschnittlich nicht breiter als 200 bis 300 Meter; die Marschrichtung N. N. E. Von menschlichen Ansiedelungen trafen wir nur zweimal kümmerliche Gehöfte mit Euphorbienhecken und kleinen Bananenschamben, deren Bewohner sich scheu verborgen hielten. Als Führer dienten uns Fundikilas Leute, die die Zeit benutzten, um uns durch ausschweifende Lobpreisungen einen möglichst hohen Begriff von dem Ansehen und der Tugend ihrer Herrin zu geben. Als ich am vierten Tage der Karawane etwas Ruhe gönnen wollte, baten sie mich, noch ein kleines Stück weiter zu marschieren. Denn Fundikila, die aus ihrer Residenz sich an den Fluß begeben habe, weil ich selbst ihn nicht verlassen wollte, sei in der Nähe und erwarte mich, um Geschenke und Höflichkeiten auszutauschen. Trotzdem das Wetter zum ersten Male wieder schön und sonnig war, und ich einen Lagerplatz mit Wiesen, Blumen und Bäumen und prächtigem Blick in das von den roten Sandsteinbergen eingerahmte Flußtal gefunden hatte, wollte ich so liebenswürdige Ungeduld doch nicht enttäuschen und setzte meine Karawane wieder in Bewegung. Nach einiger Zeit kamen wir an eine Stelle, wo das Sumpftal des Sindi stark nach rechts ausbuchtete, wir folgten seinem Rande, um eine einigermaßen trockene Furt zu suchen, was uns auch glückte. Im Begriff, sie zu durchschreiten, sahen wir aus einem Hüttenkomplex der anderen Seite eine Kette von 100 Männern im Gänsemarsch uns entgegenlaufen. Nachdem sie zu uns gestoßen waren und mich im Namen Fundikilas stürmisch begrüßt hatten, führten sie uns auf kleinem Umweg zu den jenseitigen Hügeln hinüber. Ich hatte dort gerade mein Zelt aufschlagen lassen, als einer der Führer aus einem Gehöfte heraustrat. Auf seinen Schultern saß ein Kind, das ein Stück Zeug um die Hüften geschlungen hatte, und um den Kopf ein zopfartig über den Rücken fallendes Band von Rindsfell trug, vorsichtig stellte er es vor mich auf die kleinen Beine. Es war ein sechsjähriges Mädchen, das mit verlegen gesenktem Kopf dastand und die großen, schwarzen Augen scheu zu mir aufschlug und, während sie verschüchtert mit der Linken den zarten Schenkel kratzte, verschwand der Zeigefinger der Rechten in beängstigender Weise immer tiefer in dem breiten Näschen. Und dies war Fundikila, die Herrscherin, die Mächtige, die Tugendreiche, um deren willen ich mich so beeilt hatte. Ein sterbendes Reh soll ja, wie behauptet wird, in seinem Auge einen rührenden Ausdruck von Vorwurf und Klage haben; ich glaube aber, daß der Blick, den ich in diesem Moment der Deputation Fundikilas zuwarf, von keinem sterbenden Reh der Welt erreicht wurde.

Missugi, Mitte April 1898.

Brief XII.

Ich hatte ursprünglich, als ich noch die schmählich getäuschte Hoffnung hegte, eine so interessante Erscheinung, wie die früher in diesen Blättern geschilderte Bibi Njasso zu finden, die Absicht gehabt, mich bei Fundikila etwas aufzuhalten, um mit ihr, wie sie es gewünscht hatte, Geschenke und Höflichkeiten auszutauschen. Das erstere geschah auch, das andere aber hatte seine Schwierigkeiten. Denn sie war so beharrlich in ihrer Verlegenheit und kehrte trotz der Belehrungen ihrer Minister so eigensinnig in die erwähnte wenig königliche Position zurück, daß bei längerem Verweilen eine Katastrophe für ihr Geruchsorgan zu fürchten war, weshalb ich den Abschied beschleunigte und am nächsten Morgen schon wieder aufbrach. Man hatte mir gesagt, daß ich das Butembo-Ufer verlassen und mich auf die andere Seite nach Kawende begeben müsse, weil ich andernfalls auf einen breiten Nebenfluß stoßen würde, dessen Sumpftal ich auf tagelangem Umweg zu umgehen hätte. Daraufhin kreuzte ich am 30. November – zum erstenmale – das Bett des Sindi. Wir querten das Tal, das sich wieder verbreitert hatte, in schräger Richtung in etwa 20 Minuten. Dabei ereignete sich sonderbares. Als ich nämlich das andere Ufer erreichte, atmete ich, wie von schwerem Alb erlöst, auf und wunderte mich nicht, als ich von dort aus zurück sah, wie einige Weiber auf dem Wege hinstürzten, viele Träger aber blaß – auch ein Neger errötet und erbleicht – und schwankenden Schrittes die diesseitige Böschung erstiegen und sich erschöpft ins Gras warfen. Wie geschah das?

Cameron, der vor mir den Sindi kennen gelernt und bei Tamballa gekreuzt hat, spricht von den » îles flottantes« dieses Flusses. Der Ausdruck Insel ist nicht ganz glücklich und vielleicht dadurch entstanden, daß der Reisende den Fluß nur an der einen Furt von Tamballa überschritten hat und deshalb nicht wußte, daß fast das ganze Bett die Eigenschaft hat, die ihm dort aufgefallen war. Es handelt sich um folgendes: Betrachtet man das Flußbett, so sieht man zwischen den Gräsern und dem Papyrusschilf einen schwarzen, scheinbar festen und in der Trockenzeit wenig feuchten Humusboden. Sobald man aber nur die Furt wenige Schritte begangen hat, beginnt der Boden bei jedem Schritt nachzugeben und in weitem Umkreis in flacher Wellenbewegung zu wanken. Wie ein ausgespanntes Tuch, das elastisch jedem Druck nachgibt, so sinkt die Erde ein, um sich rasch wieder auszugleichen. Das verursacht ein infames Gefühl, das alle Schrecken der Seekrankheit in uns wachruft, vermehrt um die Empfindung, jeden Augenblick durchbrechen zu müssen, um in einer unbekannten Tiefe elend zu versinken. Am ausgeprägtesten ist das Phänomen natürlich dann, wenn Leute in langer Folge das Bett gleichzeitig kreuzen; im übrigen es ist nicht an jeder Stelle gleich stark, vielleicht auch in verschiedenen Jahreszeiten verschieden, aber doch überall zu beobachten; ich wenigstens habe es von den fünf Furten, auf denen ich den Sindi überschritt, jedesmal wiedergefunden, am unangenehmsten allerdings an der, die mich am 30. November von Butembo in das Land Simba's führte. Es sind also nicht nur einzelne »Inseln«, sondern es ist das ganze Strombett, das mehr oder weniger »flottiert«. Wenn ich mich recht erinnere, nimmt Cameron an, daß in der Tiefe Wasser ist, auf dem die durch Wurzelwerk zusammengehaltene Erdmasse schwimmt. (Daß es sich tatsächlich so verhält, habe ich später am Kagera-Nil wiederholt beobachtet. Es ist dieselbe Bildung, die am oberen Nil » Sedd« genannt wird und dort der Schiffahrt große Schwierigkeiten bereitet hat.)

Als ich das linke Ufer des Sindi erreicht hatte, befand ich mich im Gebiet der Wawende, das sich westwärts bis an den Tanganika erstreckt. Es ist in eine Unmenge kleiner Landschaften zersplittert, deren Herrscher sich früher durch ewigen Streit das Leben erschwerten, seit der deutschen Okkupation aber ruhiger geworden sind. Und wie fast überall sind die »Achäer« mit der Veränderung zufrieden, während die »Könige«, soweit sie einst die Stärkeren waren, mit Wehmut der guten alten Zeit denken, da sie über einen schwächeren Nachbar herfallen und ihrem Harem frisches Blut, ihrem Volke neue Sklaven zuführen konnten. Einer der unruhigsten Köpfe war Simba (»Der Löwe«), der in den Jahren Böhms und Reichards am Sindi herrschte. Ein Simba war es auch, durch dessen Gebiet ich die ersten Tage auf dem linken Ufer marschierte, aber da ich ihn nicht zu Gesicht bekam, so weiß ich nicht, ob der alte Löwe noch lebte, oder ob nur sein Name sich auf seinen Nachfolger vererbt hat.

Die Eingeborenen, die die Sindi-Länder bewohnen, halten sich vom Fluß selbst ganz fern; ich fand ihn fast leer von Ansiedelungen. Am 30. November traf ich keine, am 1. Dezember zwei, am nächsten ebensoviel und bis zu meiner Ankunft an der Vereinigung mit dem Malagarassi, neun Tage später, noch etwa sechs bis acht. Das ist herzlich wenig und um so auffallender, als der Boden einen vorzüglichen Eindruck macht, schöne Wälder mit viel Hyphaenen und anderen hochstämmigen Bäumen häufig sind und an natürlichen Brunnen kein Mangel ist. Aber ich glaube, daß das Klima in diesem mückenreichen Sumpftal mörderisch ist und die Leute abschreckt. Als ich am Dezember eine Tembe mit reichen Feldern passierte und den Besitzer fragte, warum so wenig Menschen am Flusse wohnten, antwortete er, daß auch er nicht hier wäre, wenn er nicht einer »Giftprobe« hätte entfliehen wollen, und, um mir vielleicht zu zeigen, warum er sich hier nicht wohl fühle, holte er seinen alten Vater und zwei Frauen herbei, deren kachektische Jammergestalten allerdings mehr, als Worte vermocht hätten, mir die Ungunst der hiesigen Verhältnisse demonstrierten. Ich habe auch nie wieder ein solches Moskitotal angetroffen. Wenn ich des Abends meine Lampe angesteckt hatte, wurde ich so umschwärmt, daß ich es bald aufgab, mich zu wehren. Als meine Boys eines Tages die Stiche an meinen beiden Ellenbogen und Knien zählten, erreichten sie nahezu die Zahl 50, und nur mit großen, entnervenden Chiningaben gelang es mir, die immer wieder drohenden Fieber abzuwehren. Man begreift, daß schon mächtige Gründe vorliegen müssen, um in so unwirtlicher Gegend ein Asyl zu suchen; einer der häufigsten ist der, den der Mann einfach, ohne ein Wort der Klage, als spräche er von einer unabwendbaren, vom Himmel gesandten plage, mir angab: »er sei dem » mwawi«, d. h. der Giftprobe entflohen.« Diese scheußliche Institution findet sich in einem großen Teil von Afrika, besonders aber scheint sie in den Gebieten der Wanjamwesi und ihrer Verwandten und unter diesen bei den Wawende am stärksten zu wüten. Erst in einer ziemlich neuen Veröffentlichung eines Missionars finde ich, daß er von zersprengten Dörfern in Kawende erzählt, deren Einwohner die Giftprobe auseinandergetrieben hat, und in demselben Jahre, in dem ich das Land bereiste, fand eine besonders ausgiebige statt, die zahlreiche Leute tötete und noch mehr, wie man annehmen darf, aus ihren Wohnstätten vertrieb.

»Was ist eine Giftprobe?« wird mancher Leser verwundert fragen, der von dieser Verirrung noch nichts gehört hat. Wer eine Blasphemie nicht scheut, könnte sie ein Gottesurteil nennen, sonst ist sie die Rache eines Toten an den Lebendigen, ist sie der Hochmut des Negerherrschers, der nicht an die Möglichkeit glaubt, daß ein Mann wie er, eines natürlichen Todes sterben könnte und die abergläubische Unterwürfigkeit der schwarzen Masse, die die Konsequenzen eines solchen Dünkels geduldig erträgt.

Ein Sultan liegt im Sterben. Sein von Trunk und Ausschweifungen zerrütteter, von häßlichen Krankheiten zerfressener Körper will zusammenbrechen. Alle Mittel der Ärzte und Priester sind erschöpft; vergeblich hat man diesem Geist unter jenem Baum geopfert; vergeblich alle verstorbene Ahnen und Verwandten durch reiche Libationen zu versöhnen versucht. Es geht zu Ende. Aber der Elende will nicht allein sterben. »Man hat mich verhext,« stöhnt er, »aber ich verlasse mich darauf, daß mein Nachfolger mich an meinen Mördern rächen wird.« Nun darf er seine Augen ruhig schließen, denn es geschieht nach seinem Wunsch. Doch wer ist der Schuldige? Niemand weiß es. Und nun geht ein Zittern durch alle Dörfer Wann werden die Häscher kommen, wen werden sie fortschleppen? Niemand fühlt sich sicher, denn die haltloseste Denunziation eines Feindes genügt, um zum Gerichtsplatz geschleppt zu werden, wo das Gift verabreicht wird. Wer an ihm stirbt, ist als Zauberer, als Giftmischer überführt, wer es erträgt, hat seine Unschuld bewiesen. Daran glaubt alle Welt und es scheint ein Widerspruch, wenn trotzdem Leute mit gutem Gewissen die Probe fürchten. Scheint! Denn, denken viele, könnte nicht ein böser Zauberer durch seine Künste fertig bringen, daß ich statt seiner sterbe, auch wenn ich unschuldig bin? Und so ziehen sie es vor, in irgend einer Wildnis sich eine neue Heimat zu gründen, wo sie fern von dem Hofe ihrer Tyrannen sicher sind, keinen Verdacht zu erregen.

Ich habe natürlich so wenig wie ein anderer Europäer je einer Giftprobe beigewohnt, aber ich habe einen Bericht in Händen, der nicht den Eindruck macht, als habe ihn ein Schönfärber geschminkt und aufgeputzt. Er stammt von einem Neger, der in Malta christlich erzogen wurde, dort Medizin studierte und später nach Afrika zurückging, wo er unter den Wawende und anderen Stämmen als Arzt und Katechist tätig ist. Von ihm rührt der Bericht her, der an einen seiner Oberen gerichtet ist und dem Bulletin der weißen Väter einverleibt wurde. Einer dieser Herren, Pater Brard, war so gütig, mir die Einsicht zu verschaffen und ich benutzte mit seiner Erlaubnis die Gelegenheit, um mir davon einen Auszug zu machen, den ich für interessant genug halte, um ihn den Lesern dieser Blätter nicht vorzuenthalten.

»Ich war überrascht,« heißt es da, »auf dem Platz eine so zahlreiche Menge zu finden, wie an den schönsten Festtagen; aus den entlegensten Teilen des Landes waren sie gekommen, um das Schauspiel zu genießen. Ich bemerkte vor allem eine seltsame Arena: etwa zwanzig Gräben, die mit Schilf eingezäunt und unter sich verbunden waren. In jedem Graben befindet sich eine Person, die zur Probe verdammt ist. Daneben sind Strohhütten, in denen die Unglücklichen liegen, bei denen die Wirkung schon eingetreten ist. Einige haben das Gift von sich gegeben, aber bei vielen zeigen die leichenfarbenen Züge, daß es bald den Tod herbeiführen wird. Andere, die kaum noch atmen, werden zwanzig Schritt entfernt auf einen Haufen geschleppt und ihr Ende durch Keulenhiebe beschleunigt. Am Abend werden dann die Kadaver vor das Dorf geworfen, zur Beute für Hyänen und Schakale. Ich sehe, wie der Henker Fuira sich einem jungen Mann nähert, um ihm das Gift zu reichen, aber die Eltern des Jünglings erbitten einen kleinen Aufschub, um ihrem Sohn noch einige Worte sagen zu dürfen. »Mein Sohn«, sagt der Vater, »ich habe nichts gegen dich, obwohl du mich einmal geschlagen und öfter beschimpft hast; aber du bist mein Kind und ich trage es dir nicht nach. Habe nur Mut und laß dich von der Angst nicht niederbeugen, dann wirst du das Gift schon von dir geben.« »Es ist wahr«, antwortete der Sohn, »ich habe dich geschlagen und beschimpft; es war nicht recht von mir, aber deshalb bin ich doch noch kein Giftmischer. Bin ich aber einer, so möge ich sterben, wo nicht, so werde ich das Gift ausspeien.« Fuira nähert sich ihm und gibt ihm eine mwawi-Pille, die der junge Mann ohne Zögern verschluckt. Dann beginnt er in seinem Käfig auf- und abzuwandern, von Zeit zu Zeit bleibt er stehen, trinkt etwas Wasser und setzt seinen Weg fort. Nach etwa zwanzig Minuten sehe ich ihn sich erbrechen. Fuira winkt ihm, die Arena zu verlassen und bringt ihn in eine der Hütten, wo er unter dem Einfluß des Giftes aufgeregt zu schwätzen beginnt. Ein Greis, der gleich ihm die Probe überstanden hat, leistet ihm Gesellschaft und schreit nach Kräften: »Ich bin kein Zauberer und Giftmischer! Ich nicht! Ich habe niemandem etwas zu Leide getan! Tod den Giftmischern!« Aus einer anderen Hütte daneben antwortet es: »Jawohl, Tod den Vergiftern, weil unser Häuptling Mlera umgebracht wurde. Seine Schwester Warumba hat ihn getötet, aber jetzt hat sie selbst daran glauben müssen. So ist es recht. Mögen alle Hexenmeister so enden.« Und ein dritter von denen, die die Probe überstanden: »Da sieht man, wie es den Vergiftern geht. Krepieren und den Hyänen zum Fraße fallen.« Zu einem alten Töpfer, der seit drei Stunden die Beute heftiger Schmerzen ist, sagen die Umstehenden: »Wahrhaftig, du mußt ein großer Giftmischer sein, du, weil du weder leben noch sterben kannst,« Aber er: »Wäre ich einer, so würde ich rascher sterben.« Der Ärmste hatte den ganzen Leib gebläht. Ein Bekannter von mir fragte mich: »Was gibst du mir, wenn ich ihn dir verkaufe?« Ich bot ihm Stoffe an. »Gut«, sagte er, und ließ ihn herausbringen. Ich wollte ihm eine Arznei (ein emeticum) geben, aber Fuira verhinderte es: »Warte«, sagte er, »wir wollen ihn ausblasen«. Dann zogen sie ihn ruckweise an den Haaren, Fingern und Zehen, indem sie schrien: »Spei, Spei«, und wirklich übergab er sich und entging so dem Tode, der unvermeidlich schien. Der Urheber all dieser Greuelszenen wohnte der Probe nicht bei, aus Furcht, das Augenlicht zu verlieren«. Soweit der Bericht.

Das charakteristischste und erschütterndste an dieser Erzählung scheint mir, daß gerade die, die dem Tode notsam entronnen sind, am tiefsten von der Gerechtigkeit des Verfahrens überzeugt sind. Die Ärmsten! Einst werden ihre Nachkommen vielleicht wissen, daß dieses »Gottesurteil« nichts anderes beweist, als daß es Menschen mit stark ausgebuchtetem Magengrunde gibt, wie ihn die Pferde haben, und andere mit gering ausgebuchtetem, wie der von Säuglingen, und daß die einen ihren Mageninhalt darum schwerer auswerfen, als die anderen.

Wird die Christianisierung solcher Völker diesen Greueln ein Ende machen? Sicherlich. Aber ebenso sicher dünkt mich, daß wenn die christianisierten sich wieder selbst überlassen sein werden, – und das soll ja das Ziel aller Missionierung sein – andere Exzesse einer ausschweifenden Phantasie unter anderen Formen auftreten werden. Es ist wahrlich kein Zufall, daß der schwärzeste Aberglauben im dunkelsten Erdteil die wunderlichsten Blasen aufgetrieben hat. Religion kann vieles, aber sie kann nicht alles; sie kann selbst den Charakter von Menschen und Völkern umwandeln; sie kann Krieger zu Knechten und Knechte zu Kriegern machen. Was sie aber nicht kann, auch mit Kreuz und Schwert nicht kann, das ist: eine von den Jahrtausenden ererbte und in physikalischen Ursachen tief wurzelnde geistige Rassenkonstitution ausrotten. Die Natur kehrt immer wieder, gleichviel ob man sie mit der Heugabel oder mit dem Weihwedel ausgetrieben hat. Aber die Wissenschaft? Es gab eine Zeit, wo ich unter dem Einflusse von Buckle u. a. an die allesseligmachende Kraft der Wissenschaft geglaubt habe. Aber die Jahre haben mich skeptisch gemacht. Auch die Wissenschaft kann nicht alles. Aber gleichwohl glaube ich, daß jeder Fortschritt der schwarzen Menschheit, der Bestand haben soll, von einem Fortschritt ihrer Kenntnisse und ihrer Intelligenz erzeugt werden wird, und daß der Veredelung ihres Gemütes durch die Religion eine Veredelung ihres Geistes Schritt halten muß. Bisher aber ist für solchen Einklang noch nichts geschehen und nicht eher werde ich den Werberufen derer Glauben schenken, die von der Überlebtheit der christlichen Weltanschauung predigen und dem Herandämmern einer neuen, in der jedes Gesetz der Moral ein Gesetz der Vernunft ist, als bis ich gesehen habe, daß sie Kraft genug in sich hat, um soviel selbstlose Hingabe für die Förderung des Geistes zurückgebliebener Rassen hervorzubringen, wie sie für die Veredelung ihres Gemütes die alte Lehre bis zum heutigen Tage in staunenswerter Fülle erzeugt hat. – – –

Vom Marsch an einem Fluß wollte ich erzählen, aber ich merke, daß, während er schweigsam ein tiefgründiges Dasein führt, ich selbst über aller Dinge Oberflächen lustig zu plätschern beginne. Doch daran wird sich der Leser gewöhnen müssen.

Der Marsch am linken Flußufer war in den ersten Tagen wenig abwechslungsreich. Meist hatten wir dicht zur Rechten den Sumpf, zur Linken bewaldete Hügel mit viel hochstämmigen Palmen. Einmal überraschte mich mein Führer mit der Mitteilung, daß wir bald den »Berg der Perlen« passieren würden, aber es stellte sich gleich heraus, daß er ihn nur deshalb so nannte, weil die Farbe des Gesteins den blauen Perlen gleichen sollte, die in dieser Gegend bei den Eingeborenen beliebt sind. Als ich dann an den Fuß des Berges kam, sah ich nichts, als daß der Kamm des schroff abfallenden, im übrigen roten Sandsteins einen tiefblauen Rand hatte, von dem aus gleichfarbige Streifen ein Stück nach unten liefen. Die gebildetsten meiner Leute erklärten es für rutturuttu, das heißt Kupfersulfat und damit werden sie der Wahrheit ziemlich nahe gekommen sein.

An die nächsten Tage erinnern mich folgende Notizen:

2. Dezember. Marsch am linken Ufer. Vegetation wie gestern. Die Gegend menschenleer, nur zwei kleine Temben am Wege. Lager am Fuße des schroffen Kuba-Berges, zehn Schritte vom Papyrus. Der Raum für die Zelte mußte erst aus dem Dickicht mühsam herausgehauen werden, so daß sie wie in Gruben sitzen; die der Leute den Abhang hinauf verstreut. Noch greulichere Mückenplage als an den letzten Tagen. Meine Hände, drei-dimensional verschwollen, erregen mein Kopfschütteln; sehen ganz unmöglich aus; wie Klumpfüße. Des Nachts eigenartiges Bild der Feuer, die überall auf dem Hang durch Sträucher und Gräser schimmern; das Dunkel des Waldes von den hellen Flecken der von unten erleuchteten Laubmassen seltsam zerrissen.

3. Dezember. Heute morgen erbitterter Streit unter meinen Boys. Warum? Ich habe von einer Kröte geträumt, von meinen beiden Traumdeutern behauptet der Sansibarite Kibana, mein Page, eine Kröte bedeute langes Leben; der Comorenser Dahoma, mein Koch, das Gegenteil. Einer wird wohl recht behalten. Sie ereiferten sich aber so, daß Dahoma die Milch anbrennen ließ und ich mir vornahm, nie mehr von einer Kröte zu träumen. (Übrigens halte ich Traumdeuterei in dieser Art bei den Negern für europäischen – oder arabischen? – Import, vielleicht durchgesickerte und mißverstandene Missionsanschauungen. Allgemein verbreitet ist nur der Glaube an die Bedeutsamkeit eines Traumes von fernlebenden oder toten Personen; dann ist von den Lebenden – die Seele, von den Abgeschiedenen – der Geist erschienen. Ich habe mir eine Zeitlang die Träume meiner Leute erzählen lassen; ihr beliebtes Morgen-Gespräch. Sie waren aber sehr eintönig und oft unangenehmer Natur; Gewehrschüsse spielten eine große Rolle. Übrigens – der schlafende Neger, darüber ließe sich ein Buch schreiben. So gleichmäßig gestimmt sie am Tage zu sein pflegen, des Nachts plagt sie der Teufel. Furchtbar viel Stöhnen und Seufzen; viele schwatzen im Schlaf von abends bis morgens. Ein Weib im Lager wimmerte und jammerte allnächtlich so laut, daß sie disloziert werden mußte. Besonders drollig ist die Art, mit offenen Augen zu schlafen, denn auch solche Käuze kommen vor. Die Pupillen werden freilich verdeckt, indem der Augapfel stark nach oben gedreht wird, aber die Lider bleiben halb offen und zeigen das schimmernde Weiße.)

Ich versuchte heute morgen vergebens, das Ufer entlang zu marschieren. Die Berge fielen so schroff zum Papyrus ab, und der Weg war so glatt, naß und verwachsen, daß ein Durchdringen unmöglich wurde. Wir mußten deshalb umkehren und über den Kuba-Berg klettern, jenseits dessen wir den Fluß wieder erreichten.

Unterwegs auf der Platte passierten wir ein Geisterzeichen, einen Stock, an dem Eisendraht- und Stroh-Ringe hingen, inmitten eines Haufens von Steinen und welken Gräsern. Von meinen Leuten, auch den Mohammedanern wagte keiner unaufmerksam vorüberzugehen, sondern jeder nahm einen Stein oder einen Grasbüschel und warf sie zu den übrigen. Ein ähnlicher Aberglaube, den dieser oder jener Leser kennen wird, findet sich auch in Deutschland, ich meine die Steinhaufen, die in der Mark »toter Mann« genannt und von vorbeiziehenden Wanderern immer noch vergrößert werden. Ich weiß nicht, worauf dieser Brauch zurückgeht. Hier in Afrika ist er überall im Innern verbreitet; es genügt aber, in die Richtung der heiligen Stelle zu werfen? Ich fuhr später öfter mit meinem Boot an einer kleinen Insel am Kiwu vorbei, auf der sich solche Geisterstätte befand; die Bootsleute nahmen dann etwas Gras oder Bast aus dem Einbaum und warfen es nach der Inselseite zu ins Wasser.

siehe Bildunterschrift

Warundi.

Es handelt sich hier offenbar um ein symbolisches Opfer. Symbolik findet sich auch sonst vielfach in den Bräuchen der Neger. An der Küste wie im Innern gewöhnlich ist z. B. die Versinnbildlichung des Säuglings durch die verschiedenartigsten Gegenstände, die die Mutter an sich trägt oder ad occasionem ergreift, wenn sie sich – sei es auch nur für Augenblicke – von ihm trennen muß.

4. Dezember. Marsch über den Fuß licht bewaldeter Hügel oder durch nasse Grassteppen; der Sumpf bald zu riesiger Ausdehnung verbreitet, bald wieder eingeschnürt; zuletzt hinüber zum jenseitigen Ufer auf schlechter Furt mit tiefen schwarzen Wasserlöchern und Ankunft in Tamballa, Land Uwinsa, in demselben Ort, wo Cameron einst den Sindi kreuzte. Das Lager auf Wiesengrund nicht weit von einigen Dörfern und Sumpfteichen, in denen zahlreiche Nilpferde schnaufen. Eine wundervolle Deputation der Gemeindeältesten brachte mir kümmerliche Geschenke. Falstaffs Rekruten! Ein Spitzfußlahmer, ein Einäugiger und ein Dritter, dessen Arme und Beine glänzend rosa und braun gefleckt waren, wie die Haut haarloser mexikanischer Rattler. Diese Anomalie findet man nicht ganz selten, aber meist auf kleine Partien beschränkt, bisweilen angeboren, häufiger in späteren Jahren erworben, immer aber ekelhaft anzuschauen.

Von dem Marsch der nächsten Tage blieb mir nur wenig in Erinnerung haften. Nur einen verhexten Berg habe ich nicht vergessen, den wir dreimal hinanstiegen, um dreimal an seinem Fuß wieder anzukommen, wo wir begonnen hatten. Es war entschieden Zauberei im Spiel, wenigstens behauptete es Dahoma, mein Koch, und dem pflege ich selten zu widersprechen.

Am 6. Dezember merkte ich gegen Mittag, daß die Landschaft ihren Charakter veränderte. Die Wiesen wurden frischer, die Blumen mehrten sich, die Bäume schlossen sich enger zusammen und waren von üppigem Schlinggewächs überwuchert; zahlreicher und bunter als in der letzten Zeit wurde die Vogelwelt, aus dem Dickicht drang glockenrein der Ruf des Orgelwürgers – alles erinnert mich an die herrlichen Tage an den Wassern des Ugalla, und mein Herz begann schon sehnsüchtig und traurig zu werden, als wir bei einer Wegbiegung vor einem schmalen See standen, der mit seinen dunklen Uferwaldungen, die einen hellen Grasstrich begrenzten, seinen klaren, tiefgrünen Fluten, seinem Reichtum an Krokodilen, Flußpferden, Wasservögeln und springenden Fischchen die Bilder verwirklichte, die ich eben noch kaum zu träumen gewagt hatte.

Mein Entschluß war sehr rasch gefaßt. An einer der schönsten Stellen ließ ich das Lager aufschlagen, und die folgenden drei Tage vergingen in einem angenehmen far niente, dem die nächsten Briefe gewidmet sein sollen. Ich habe mich dazu entschlossen, nachdem ich lange geschwankt hatte, ob ich dies an Erlebnissen arme, an freundlichen Stimmungen reiche Kapitel meines Tagebuchs nicht überschlagen sollte; aber als ich die schon halb vergilbten Blätter nach langer Zeit wieder überflog und im Geiste die losen Glieder fester zusammenfügte und Ungeordnetes ordnete, schien es mir doch, daß, wie es mich selbst vergnügte, noch einmal die schönen Stunden zu durchleben, auch dieser oder jener Stadtmensch es wohltuend empfinden muß, die Genüsse nachzufühlen, die die undressierte afrikanische Natur dem bietet, der ihr mit Liebe und Empfänglichkeit entgegentritt.

Aber aus rein technischen Gründen – um nämlich den chronologischen Zusammenhang der Expedition nicht zu sehr zu zerreißen – will ich im nächsten Brief die Schilderung meines Marsches bis zum Malagarassi fortsetzen und dann erst die Erinnerung an jenes süße Nichtstun einschieben, die gleichzeitig zu mancher ernsten und heiteren Betrachtung, über dieses und jenes interessante physiologische und psychologische Problem aus dem Leben des Afrikaners Anlaß geben wird.

Missugi, Mitte April 1898.

Brief XIII.

Drei Tage verlebte ich in angenehmster Muße an dem Seebecken des Sindi, dann zog mich die Not weiter; denn wenn irgendwo Zeit Geld ist, dann auf afrikanischer Expedition, wo der Mann nicht nach seiner Arbeitsleistung, sondern nach der Tageszahl besoldet wird, wobei Ruhe ebenso wie Marschtage berechnet werden. Am letzten Abend wurde die Gleichförmigkeit unseres Lebens durch ein Intermezzo unterbrochen, das meinen Leuten für einige Wochen dankbaren Gesprächsstoff lieferte. Wieder war der kurzen Dämmerung rasch die Nacht gefolgt, und ich war gerade damit beschäftigt, um meine Lampe herum ein Büchergebirge zu errichten, um dem Wind, der regelmäßig nach Sonnenuntergang aufkam, zu wehren, als vom Flusse her, aber ziemlich weit ab, langgezogene, gellende Hilferufe erschallten. Sofort wimmelte es im Lager und, ohne Befehle abzuwarten, stürzte alles mit Gewehren, Lanzen, Stöcken und brennenden Holzscheiten davon, während ununterbrochen der Notschrei tönte und das Echo in den schlafenden Wäldern jenseits des Stromes weckte. Ich wußte keine rechte Erklärung dafür, trotzdem alle Welt »Simba« – »Löwe« kreischte, denn die Weiber hatten nicht nötig, sich so sehr vom Lager zu entfernen, um Wasser zu holen, und eine Weiberstimme schien es zu sein. Indessen sah ich an dem Schein der lebhaft auf- und abtanzenden Fackeln, daß die Leute im Sturmschritt die schnurgerade Uferstraße entlang liefen, und es sah lustig aus, wie die Lichter bald zur Linken aus den schwarzen Laubmassen helle Flecken schnitten, bald zur Rechten auf den dunklen Fluten schwammen oder zuckend über den Wasserspiegel schossen, bis sie zuletzt in der Ferne stehen blieben, miteinander verschmolzen und endlich erloschen. Als dies geschah, war auch der Hilferuf schon verstummt, und ich ging, der Kommenden harrend, wieder an meinen Tisch, um an meinem Gebirge weiter zu arbeiten. Es dauerte auch nicht lange, und ich war gerade damit fertig, den Pelion »Matschie« auf den Ossa »Reichenow« zu türmen, da kam der ganze Zug, zu dichten Haufen gedrängt, lachend und schreiend zurück, und aus dem großen Klumpen löste sich ein junger, schlanker Träger, dem das dünne Hemd total durchnäßt am Körper klebte, so daß die braune Haut überall durchschimmerte. Der Mnjampara von Bagamojo, der bereits sein Quantum wieder inne hatte – wenn dieses Epitheton einmal fehlt, wurde es nur vergessen –, wollte mir mit seinen bekannten, großen Gebärden die Begebenheit erzählen, aber ich schnitt ihm das Wort ab und fragte den Betreffenden selber. Der aber antwortete mit verlegener Unwilligkeit nur »Simba« und wollte mich damit stehen lassen. (Es ist sehr beliebt bei den Negern, den Europäer aus einem Worte alles übrige erraten zu lassen, ich weiß nicht, ob aus Zutrauen zu seiner Klugheit oder aus Mundfaulheit. Wenn meinem Koch eine Ziege entlaufen ist, so kommt er zu mir und sagt: »Ziege, Herr«; und wenn er eine für mich schlachten will, so kommt er und sagt ebenfalls: »Ziege, Herr.« Es hat mich unglaubliche Kämpfe gekostet, um wenigstens meinen Boys diese Unart abzugewöhnen.) Nach vielem Fragen und Wiederfragen stellte sich heraus, daß der Mann so vertieft geangelt hatte, daß er von der Nacht sich hatte überraschen lassen. Im Begriff, aufzubrechen, sah er plötzlich, wie ein Löwe aus dem Walde an den Fluß und in seine nächste Nähe trottete. Voll Angst sei er bis zum Halse ins Wasser gelaufen und habe von dort aus gebrüllt, jetzt weniger aus Furcht vor dem Löwen, als vor den Nilpferden und den zahlreichen Krokodilen. Aus dieser unangenehmen Situation sei er erst durch das Eintreffen der Leute erlöst worden. Als ich ihm wegen seines eigenmächtigen Absentierens vom Lager Vorwürfe machte und auf die schlimmen Folgen hinwies, die ihn treffen konnten, antwortete er mir achselzuckend, was ich überdies hätte erwarten können: » Amri ja mungu« – »Gottes Wille« wörtlich: Gottes Befehl. Daß diese Historie an den Lagerfeuern bis tief in die Nacht hinein bis in ihre verstecktesten Möglichkeiten verfolgt, zerlegt, analysiert und atomisiert wurde, ehe jeder sein Zelt aufsuchte, ist leicht zu begreifen, und noch von meinem Bett aus sah ich im Türrahmen die groteske Silhouette des Mnjampara von Bagamojo bald an diesem, bald an jenem Feuer auftauchen und mit unnachahmlichen Hand- und Armbewegungen seiner Meinung Nachdruck verleihen. – – – – – –

*

» Amri ja mungu« – das ist mehr als eine Phrase; es ist eine Weltanschauung, ist die Philosophie des Negers. Mit » amri ja mungu« springt sein Geist spielend über alle Gräben und Barrieren, die ihm das tückische Schicksal in den Weg stellt. Alles ist notwendig, lautet der Kern seiner Lehre, weil Gott es wollte; wenn ich am Scheidewege rechts gegangen bin, war es notwendig; wäre ich aber links gegangen, so wäre es auch notwendig gewesen. Im Grunde enthält diese Lebensweisheit nicht die Negation des freien Menschenwillens, sondern des freien Gotteswillens. Theoretisch sagt der Neger: »Was ich tat, tat ich, weil Gott es wollte«; in Wirklichkeit aber will Gott immer das, was er, der Neger, wollte. Das scheint mir überhaupt der Kern aller fatalistischen Religionen und Philosophien zu sein, wobei es gleichgültig ist, ob sich das Fatum mit dem Namen Gott oder mit einem philosophischen terminus technicus bezeichnet. Dem Willen die Freiheit nehmen, ist immer ein contradictio in adjecto, und heißt, ihn zum Herrn machen. Da sich der Wille Gottes erst aus der Handlung ergeben muß, läßt sich der Neger durch das amri wenig beeinflussen, nämlich nur darin, daß er leichtsinniger an eine Handlung mit zweifelhaftem Erfolge herangeht, indem er sich sagt, daß ohne Allahs Wille ein schlimmer Ausgang nicht zu befürchten ist. Besonders gern legt er allerdings die Zukunft in den Schoß des Himmels, wenn nicht er selbst, sondern andere Gefahr laufen, durch ein unfreundliches amri geschädigt zu werden, wie überhaupt charakterschwache Leute jede Schlechtigkeit damit decken möchten. Ein Beispiel: Mein Koch hatte einen kleinen eingeborenen Boy, der ihm jahrelang gute Dienste leistete. Dieser Junge wird schwer krank, liegt lange darnieder, magert zum Skelett ab und erholt sich nur sehr, sehr langsam, so daß seine Arbeit selbst den geringen Sold, den er von seinem Herrn erhält, nicht lohnt. Darüber findet eines Tages ein zufällig von mir belauschtes Gespräch statt, in dem der Koch seine Freunde um Rat fragt, was er mit dem Jungen anfangen soll.

»Schicke ihn doch fort«, sagte mein Boy Max, ein mit allen Hunden gehetzter Mohammedaner heidnischer Abkunft aus Uganda.

»Aber er will nicht«, antwortete der Koch, »er sagt, bis zu seinen Eltern seien es zehn Tagemärsche, und er habe nicht Kraft genug, dies zu leisten, überdies wisse er nicht, wie ihn seine Eltern aufnehmen würden, da er gegen ihren Willen von Hause fortgegangen sei.«

»Haifai! Unsinn! Zehn Tage kann der Junge schon laufen, und wenn er nicht will, dann jage ihn einfach fort.«

»Aber er wird sicher am dritten Tage auf dem Wege sterben«, wirft ein gutmütiges, kleines Mtussimädchen von sieben Jahren ein.

» Amri ja mungu!«

Mit diesen Worten von Max ist die Sache für alle entschieden, und der Junge hätte bestimmt seinen Todesgang angetreten, wenn ich nicht als Mungu ex machina eingegriffen hätte. Ich trat nämlich plötzlich unter die Gruppe und machte eine lieblose Attacke auf das wollige Haupt meines Boys Max. Als ich ihn dabei fragte, was das gewesen sei, und von ihm die Antwort erhielt: » Kofi bana, eine Ohrfeige, Herr«, erwiderte ich: »Erstens waren es drei und zweitens war es amri ja mungu«.

Ich brauche nicht zu versichern, daß der Junge blieb.

Viel stärker als der bewußte Einfluß auf das Handeln ist der unbewußte und indirekte, im Gemütsleben wurzelnde. Reue, Trauer, Mitleiden und eine Menge anderer Gefühle werden dank jener Weltanschauung unvollkommen ausgelöst; hier erst tritt der Fatalismus, den sie birgt, so recht in die Erscheinung und wird am stärksten dem Tode gegenüber offenbar. Es ist ein bekannter und oft wiederholter Satz, daß in Afrika das Menschenleben keinen großen Preis hat, einer der nicht zu zahlreichen Sätze, deren Wahrheit ich bestätigt fand. Notabene, nur das fremde Menschenleben gilt nichts; das eigene wird durchaus geschätzt und so lange wie möglich geschont. Diese Empfindungsarmut und Gemütsleere ist es, die auch dem humanen Europäer das Leben unter den Schwarzen oft so schwer macht, daß er sich unter Tausenden wie in einer Wüste fühlt und mit Zarathustra seufzt: »Ein anderes ist Einsamkeit, ein anderes Verlassenheit, das lernte ich nun.« – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

*

Nach dieser Abschweifung wird es Zeit sein, wieder an die Schilderung meines Weitermarsches zu denken. An die letzten Tage der Ugalla-Expedition erinnern mich folgende Notizen:

8. Dezember. Heute verließ ich das schöne Ugagabecken und kreuzte etwa unterhalb das Papyrusbett des Sindi, um einen großen Bogen abzuschneiden, den er dort, nach Osten ausweichend, macht. Jenseits stießen wir auf Felder und einige alte Hütten, die unbewohnt schienen. Eine Zeitlang hatten wie zur Rechten eine jetzt trockene, kurze Ausbuchtung, die wir bis zur Einmündung in das Haupttal verfolgten. In diesem, das ca. 700 Meter breit war, hatte sich der Sumpf in zwei Arme geteilt, die nicht ganz die Hälfte der Talbreite bedeckten und zwischen sich eine nur wenig höher gelegene Fläche faßten, mit einem kleinen Dorf, das ein uns begleitender Jäger Muntamuko nannte. Etwa dreißig Leute waren mit Feldarbeit beschäftigt und schauten, auf die Hacken gestützt, dem Zuge nach, kamen aber weder auf unsere Rufe heran, noch grüßten sie uns, gaben sich auch keine Mühe, ihre bissigen Röter anzulocken, die ich mit dem Gewehrkolben auf den Schädel schlagen mußte, damit sie sich verzogen. Ich sah auf den Feldern drei oder vier Vorderlader mit Pulverhörnern an Baumpfosten hängen und daneben kleine Kinder sitzen, die sich die Mäulchen mit Erde vollschmierten. Ein paar Säuglinge wurden auf den Rücken ihrer Mütter, in ein Fell gebunden, getragen und schliefen, durch die Bewegung beim Hacken sanft eingewiegt. Wenn sie aber einmal, von einem dunklen Drange ihres Innern getrieben, erwachten und beweisen wollten, daß sie nicht nur Konsumenten, sondern auch Produzenten seien, dann reckten die Mütter, als wären sie von dem Rieseln eines warmen Frühlingsregens erschreckt, einen Moment die steifgewordenen Rücken, um gleich wieder emsig in ihrer Arbeit fortzufahren und der lieben Sonne die »Trockenlegung« von Mutter und Kind zu überlassen.

Die beiden Arme des Sumpfes vereinigten sich bald wieder und bildeten eine zwar schmale, aber schlechte, nasse Furt, zu der man über Felsblöcke hinunter- und wieder hinaufklettern mußte. Einen Hügel entlang marschierend, traten wir bald in eine Steppe ein, die sich nach Westen dehnte. Dieselbe Richtung nahm auch das Flußbett, das sich hier wieder in zwei Arme von wechselnder Breite teilte. Nur stellenweise sah man trübe Wasserlachen und Papyrushaufen, die das Schilfgras unterbrachen. Es wäre schwer gewesen, die Grenze des Bettes von der fast im gleichen Niveau liegenden Grassteppe zu unterscheiden, wenn zwischen dem Schilf nicht tausende von goldgelbleuchtenden Blüten, die ich früher schon am Ugalla angetroffen hatte, ein Merkmal geboten hätten. Jenseits der Steppe im Westen und Osten sah man die stattliche Hügelkette des Ssanje und Kanjologo und andere, die die bizarren Bilder des Itwe und Singoni, deren Hut- bezw. Pilzform die Tage vorher uns zur Linken begleitet hatten, unserem Fernblick entzogen. Am Rande der Steppe, auf einem vorspringenden, bewaldeten Hügel bezog ich das Lager. Am Nachmittag wurden wir von einem furchtbaren Hagelwetter heimgesucht, dessen Körner zum Teil taubeneigroß und darüber waren. Ich wunderte mich, daß die Esel und das Vieh, die, von dem lichten Grün der Bäume nur notdürftig geschützt, im Freien standen, unversehrt blieben. Nur ein Huhn – wahrscheinlich das sprichwörtliche Unglückshuhn – wurde mit total eingedrücktem Schädel aufgefunden. Mir selbst war beim Schließen der Zelttür ein kirschgroßes Stück an die Hand geschleudert worden, so daß der getroffene Finger sofort schmerzend anschwoll. Hagelwetter sind im Innern Afrikas, trotz der vielen, schweren Gewitter, viel seltener als in Europa. Ich habe durchschnittlich kaum eins pro Jahr erlebt, teils in der großen Regenzeit, teils gleich bei Beginn der kleinen. Übrigens verbinden sich bei manchem Stamm mit dem Hagel abergläubische Vorstellungen. In Ruanda zum Beispiel gilt er als Strafe für das Brechen des » tsch'umweru«, des »weißen Tages«, das heißt, des jedem vierten Arbeitstage folgenden Feiertages, an dem alle Feldarbeit ruhen muß.

9. Dezember. Der heutige Marsch führte uns erst westlich, später nordwestlich längs des goldgelbschimmernden Bandes, oft hart am Rande des östlichen Flußsumpfarmes, bis zu seiner Vereinigung mit dem westlichen. Das gestrige Gewitter hatte die Luft außerordentlich gereinigt, so daß die Berge zum Greifen nahe sichtbar waren. Leider hatte es aber auch den Boden sehr erweicht, der in großen Schollen an den Stiefeln kleben blieb, von denen ich sie von Zeit zu Zeit durch einige Beingymnastik abschleudern mußte. Auch die Karawane kam auf dem glatten Terrain nur langsam vorwärts. Einige tiefeingeschnittene Wasserrisse, auf deren Sohlen massenhafte Baumabfälle in lehmig gelben Pfützen lagen, wurden ohne große Beschwerde überschritten. An zahlreichen niedrigen Akazien, deren von früheren Bränden geschwärzte Stämme einen seltsamen Kontrast zu dem hellen, frischen Grün der Kronen bildeten, waren die Blütenkätzchen vom Hagel abgeschlagen und lagen, wo der Boden sandig und spärlich begrast war, in großen Ringen um den Baum. Auffallend waren einige riesige Felsblöcke, die, 30 Meter hoch und darüber, isoliert am Sumpfrand lagen. An einzelnen Stellen sah man auf dem Kamme des nördlichen Gebirges groteske Sandsteinformationen, die an gewisse Partien der sächsischen Schweiz erinnern. Gegen Mittag erreichten wir in lichtem Walde die Vereinigung beider Arme, von denen der westliche offenes Wasser führte. Nicht weit davon lagerte ich; Zelt und Tisch dicht unter einem kolossalen Felsblock, der ein mehrstöckiges Haus hätte fassen können. An seinen Wänden hatte eine große Kolonie von Angolaschwalben ihre Nester, die, unbekümmert um den Lagerlärm, ab- und zuflogen. Wir hatten des Nachts einen klaren Sternenhimmel und Mondschein, und es sah wundervoll aus, wie Fledermäuse und Palmenhunde mit seltsam rauschendem Flattern den Felsen umflogen, über den meine Lampe lange Schatten warf. Dazu das Zirpen von tausend Grillen in der Grassteppe zu unserer Linken, dahinter der dunkle Sumpf, aus dem der Sang der Frösche aufstieg, noch weiterhin vom Flusse her dumpfer Kranichruf und jenseits von Steppe, Sumpf und Gewässer der Wald, der dem unsicher in der Ferne verschwimmenden Gebirge vorgelagert ist und unter dem Einfluß des Mondlichts eine geheimnisvolle Tiefe gewinnt, als stände meilen- und meilenweit eine dunkle Laubkrone neben der anderen.

10. Dezember. An diesem Tage kamen wir noch weniger weit als sonst, weil die Karawane unterwegs durch einen Bienenschwarm überfallen und aufgehalten wurde. Der Weg folgte dem Flußbette, das überall offenes Wasser, wenn auch in wechselnder Menge führte. Manchmal behielt es eine längere Strecke die gleiche Breite, und lag dann wie ein schimmerndes Band mit bunten Streifen und Flecken zwischen den Ufern. Der Wasserspiegel brach nämlich heute an vielen Stellen die Sonnenstrahlen in allen Spektralfarben, als wäre er mit einer dünnen Ölschicht bedeckt: ich weiß nicht, ob dies durch faulende Substanzen oder wodurch sonst verursacht wurde. Dann aber schnürte und weitete er sich in jähem Wechsel vielmals hintereinander, so daß ich mir wünschte, aus der Vogelperspektive auf dies Bild wie auf eine schimmernde Perlenkette herabschauen zu können; aus der Nähe betrachtet, bot es wenig Reiz; auch wehte eine erstickende Hitze von dem stagnierenden Gewässer und dem Schilfdickicht her uns an. Hinter den Hügelketten, die immer in unserer Nähe blieben, wenn wir nicht direkt über ihren Fuß marschierten, sollte nach Angabe des Jägers der Malagarassi fließen, was uns allen recht wäre, denn meine Leute wittern schon einen heimlichen Wohlgeruch von Pombegelagen, nachdem sie die letzten Tage in dieser menschenleeren Gegend hatten fasten müssen. Heute trafen wir nur alte, jetzt nicht mehr bearbeitete Felder und einmal eine halb eingestürzte Hütte, in der zerrissene und verfaulte Reusen umherlagen, und einige Schritte ab ein Stilleben aus einem Schädel ohne Unterkiefer und einem Paar Rippenknochen, vielleicht die Reste eines einsam hausenden Fischers.

Ich hatte mich gerade durch ein abscheulich dichtes Hochgras hindurchgedrückt und schöpfte etwas Atem, ehe ich den Weg, der sich zwischen Fluß und Berg zwängte, weiterverfolgte, als von hinten Boten kamen, ich möchte warten, weil der Schwanz der Karawane von Bienen überfallen worden sei. Ich konnte zuerst ein boshaftes Lächeln nicht unterdrücken, denn die Nachhut wurde immer von einem Haufen langsam zottelnder Weiber gebildet, aber als ich hörte, daß auch noch die letzten Träger angegriffen waren, wurde mir doch etwas schwül zu Mute. – – – – – –

*

Bienenattacken gehören immer zu den wenig angenehmen Reiseepisoden, denn die Träger lösen sich sofort nach allen Windrichtungen in wilder Flucht auf, was für Flaschenlasten oder subtile Instrumente nicht gerade förderlich ist; oder sie werfen die Lasten zur Erde, was ihnen noch weniger förderlich ist. Manchmal bewirken die Bienen übrigens überraschende Wunder. Ich hatte einmal einen Manjematräger, einen etwas seltsamen Herrn, der eines Tages ohne objektiven Befund schwer fußkrank wurde, seine Last nicht mehr tragen konnte und am Ende der Karawane humpelte, wo er meinem Gesichtskreise entzogen war. Nun ereignete es sich aber, daß ich in Urundi von den Eingeborenen angegriffen wurde und infolgedessen gegen meine Gewohnheit hinten marschierte, um die nachrückenden Gegner im Auge zu haben. Dicht vor mir aber hinkte jener Träger. Am zweiten Tage der Feindseligkeiten stiegen wir einen unendlich steilen Berg zum Ruwuwu hinab und passierten dabei ein verlassenes Gehöft, das am Abhange geradezu klebte. Meine Karawane, die kaum vierzig Mann stark war, hielt sehr zusammen, so daß wir den Hüttenkomplex ziemlich gleichzeitig durchschritten Plötzlich ergoß sich aus einem großen Stock heraus ein Bienenschwarm auf uns, und wir alle rannten wie toll den jähen Berg hinab, während die Warundi, die auf dem Kamm zurückgeblieben waren und den Grund unserer Panik nicht erkannten, in ein triumphierendes Geheul ausbrachen. Ich selbst hatte schon ein paar Angeln in der Haut, aber ich mußte gleichwohl vor Vergnügen und Bosheit heulen, wie mein fußkranker Träger, dessen Kopf durch keine Last geschützt den Bienen ein besonders exponiertes Angriffsobjekt darbot, wild und hurtig wie eine verrückt gewordene Windmühle mit den langen Armen durcheinanderfuchtelnd, einem Böcklein gleich, über die Felsen hinabsprang und fast als erster von allen eine Platte dicht über dem Fluß erreichte. In meiner boshaften Stimmung hatte ich große Lust wie die armen Ungeheilten von Lourdes zu sagen: »ah, oui – celui-là! il a la chance!« Den Segen aber, den er von mir für diese Chance und als prophylacticum gegen Rezidive seines Fußleidens empfing, würden sie ihm kaum mißgönnt haben. – – – – – – – – – – –

Indes ich es mir auf dem Fuße des Hügels im Schatten einer Euphorbie bequem machte, kam der Askariführer, der die Nachhut bildete, ein vierzig Jahre alter, bärtiger Abessynier mit krummen Knien und stets schläfrigen Hanfraucheraugen, der sich Schausch, das heißt Sergeant Ali nannte und nennen ließ, trotzdem er seine ehrenvolle Soldatenlaufbahn als Gemeiner abgeschlossen hatte und meldete mir, daß die Bienen zwei Lasten »genommen«, aber nur zwei Weiber zerstochen hätten. Ich ging nun selbst auf den Kampfplatz und fand dort zwei Kisten vollkommen bedeckt von unruhig hin und her laufenden Bienen und die Luft ringsum von dem aufgeregtem Summen der anderen erfüllt. Während meine Leute Grasbüschel präparierten, um sie anzuzünden und durch den Rauch die Insekten zu vertreiben, widmete ich mich den beiden gestochenen Weibern, die sich gegenseitig im Jammern überboten, und wenn die eine: »Ich verbrenne« rief, so stöhnte die andere: » Nakufa baba, ich sterbe, Vater.« Allein sie starben nicht, auch verbrannten sie nicht; sie schwollen nur etwas an, und in den nächsten Tagen sah die Frau meines Kochs, die die Angeln in den Backen gehabt hatte, aus, als ob sie fortwährend niesen wollte, so daß man geradezu Schnupfen von ihrem Anblick bekam; die andere aber, die eine von Geburt an etwas anspruchsvolle Oberlippe hatte, lief umher, als habe man ihr eine Schlummerrolle unter die Nase gebunden. Doch erlitten sie – il hamdu lillah! – keine dauernde Einbuße an ihrer natürlichen Schönheit.

Übrigens sind die afrikanischen Bienen im allgemeinen sehr harmlos – vielleicht auch die europäischen, als Städter weiß man das ja nicht –; nur wenn sie viel Honig im Stocke haben, behaupten meine Leute, dulden sie nicht gern die Nähe von Menschen, vermutlich also zur Zeit der beginnenden Palastrevolution. Aber die herumschwärmenden, Nahrung suchenden sind nie aggressiv und genieren mich schon längst nicht mehr, auch wenn ein Dutzend gleichzeitig auf dem Frühstücksteller zwischen Messer und Gabel herumkriecht. Gegen Rauch sind sie ebenso empfindlich, wie ihre europäischen Schwestern, denn sie lassen sich von ihm wehrlos vertreiben. Man glaube übrigens nicht, daß die afrikanischen Bienen, trotzdem sie der gleichen Art angehören, den unseren vollkommen in ihren Gewohnheiten gleichen. Es war weder mir befreundeten Missionaren noch mir selbst möglich, die Bienen daran zu gewöhnen, ihre Waben an anderen als runden Rahmen zu bauen, offenbar weil sie vom Walde, wie von den Stöcken der Eingeborenen, an hohle Baumstämme gewöhnt sind.

11. Dezember. Ich lagerte die letzte Nacht unweit des gestrigen Schauplatzes der Bienenattacke, in einem Meer von Trümmern, die die Ebene von den 200 Meter entfernten Bergen bis an den Fluß hin bedeckten. Jenseits des Tals, das sich hier auf so Meter verengte, trugen die Hügel dichten Baumwuchs, der sich besonders in einer amphitheatralischen Einsenkung zu kompakten Massen häufte. Nachdem es nachmittags stundenlang geregnet hatte, wurde die Nacht wieder herrlich, und, auf einem Felsen sitzend, ward ich nicht satt, das Spiel der vom Mond hell beleuchteten Nebelstreifen zu beobachten, wie sie den Fluß hinab- und hinaufzogen und den Kamm des Amphitheaters wie mit einem silbernen Dach abschlossen. Heute morgen – wir brachen eines feinen Landregens wegen spät auf – wandte sich der weg erst beschwerlich zwischen Trümmern hindurch, die von Schlingpflanzen und großblumigem Gesträuch umsponnen waren, wurde aber bald bequem und führte das hier wieder von dichtem Papyrus erfüllte Flußbett entlang, abwechselnd durch Niedergraslichtungen und Msimawald mit starrem, glänzendem Laub, das an Lorbeerblätter erinnert. Die Berge zur Rechten weichen immer mehr zurück, während sie jenseits des Tals direkt zum Sumpf steil abfallen. Im Norden tauchen neue Ketten auf. Ganz unvermittelt stießen wir auf eine Ebene mit Tausenden von Akazien mit brennend roten, von Ameisen bedeckten Stämmen, und während ich noch überlege, wie wohl der Weg weiterführen wird, stehen wir plötzlich vor einem breiten Gewässer mit reißender Strömung und von Schirmakazien und Fikus bewaldeten Ufern, in das der Sumpf des Sindi in der Nähe einer riesenhaften einzelstehenden Fächerpalme einmündet. Ein Zweifel war nicht möglich: wir hatten den Malagarassi erreicht und damit das Endziel dieser Expedition, und ohne kommandiert zu sein, rollte ein dreifaches Hurra aus ein paar hundert Kehlen über den Strom und verlor sich jenseits in dem Buschwald, der, in einem tiefen Bergeinschnitt beginnend und langsam nach Norden ansteigend, in unendlichen Fernen verschwindet.

Usumbura, Ende September 1898.


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