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Zur vierten Fahrt.

Könnt' man die Menschen aus der Erde graben,
An denen einstmals unsre Herzen hingen –
Könnt' man die Seelen alle wieder haben,
Die im Gewühle uns verloren gingen –
So aber wird es kalt in unserm Herzen,
Und einsam fröstelnd sitz' ich am Kamin.
Die Glut zerfällt; es knistern leis die Kerzen,
Und an den Wänden stille Schatten ziehn.

Richard Kandt, »Meine Seele klingt,« Berlin 1919

Eine neue Reise soll jetzt Caput Nili antreten, und dieses Mal ohne den Verfasser, der wie die Besten Deutschlands vom Weltkriege verschlungen wurde. Als die vorige Auflage seines köstlichen Buches vorbereitet wurde, saßen wir zusammen am Strande der Deutschen Ostsee, und der Freund wünschte seinem Werke als »Glückhaft Schiff« eine gute Reise. Aber schon damals dräuten die Wetterwolken am politischen Horizont, die Mordtat von Serajewo lastete auf uns, und der schöne Ferienaufenthalt mußte jäh abgebrochen werden durch die Mobilmachung. Richard Kandt stellte sich sofort als Arzt zur Verfügung. Der Krieg drückte unendlich schwer auf den empfindsamen Mann, der, stets durch Ahnungen vom bösen Ende gequält, seines Lebens nicht mehr recht froh werden konnte; seltenere heitere Tage wechselten mit langen Zeiten starker Depression ab. Und seine Ahnungen sollten recht behalten. Der Krieg ging verloren, der unglückselige Umsturz brachte unser Vaterland noch weiter ins Verderben, und der Freund selbst büßte im Kriege Gesundheit und Leben ein. Aber glücklich ist er zu preisen, daß er Niederlage und Umsturz nicht mehr zu erleben brauchte, daß er sein Leben hingab zu einer Zeit, als Deutschland noch auf der Höhe stand, als eben die große Frühjahrsoffensive glücklich beendet war. Am 2. Juli hatte er sich eine Gasvergiftung zugezogen, als er einem Schwerverwundeten helfen wollte. Da seine entzündeten Luftwege in den Unterständen der vordersten Linie nicht gesunden konnten, ging er weiter rückwärts, wo er pflichtmäßig als Arzt auch die wolhynische und ruthenische Landbevölkerung behandeln mußte, die sehr stark tuberkulös verseucht ist. Bei der Untersuchung solcher Patienten hat der noch Leidende sich selbst infiziert und sich eine Miliartuberkulose zugezogen, an der er nach langem, mit rührender Geduld getragenem Leiden am 29. April 1918 zu Grunde ging.

Mit ihm schied einer der Besten, der Jeden, der ihn kennen lernen durfte, geistig reich beschenkt entließ. Als die vierte Auflage seines schönen Buches notwendig wurde, richtete sein treuer Verleger und Freund, Ernst Vohsen, an mich die Bitte, das Andenken an Richard Kandt an dieser Stelle noch einmal zu feiern. Aber noch ehe ich seine Bitte erfüllen konnte, folgte er selbst dem Freunde in den Tod nach. Autor und Verleger, beide so eng verknüpft mit dem afrikanischen Boden, dem sie jeder auf seine Art ihr Leben geweiht hatten, sind dahin; ihr Werk aber ersteht von Neuem und wird immer wieder erstehen, solange die Liebe zu Afrika und der Glaube an unser unvergängliches Recht auf die uns geraubte Kolonie Deutsch-Ostafrika in uns lebendig bleibt.

Man behauptet, wir wären nicht fähig, die dortigen Eingeborenen richtig zu behandeln, wären nicht würdig, das Land zu beherrschen. Gerade dieses Buch aber beweist die grenzenlose Irreführung der öffentlichen Meinung der Welt in dieser Beziehung, zeigt die Falschheit der feindlichen Behauptungen. In seiner Eigenschaft als Psychiater hatte Kandt es gelernt, die Seelenzustände seiner Patienten zu verfolgen, eine Fähigkeit, die ihm im Verkehr mit halbzivilisierten Völkern besonders zu statten kam. Als in Deutsch-Ostafrika die Verwaltung ausgebaut wurde, war er der beste Mann, um 1907 die Kaiserliche Residentur in Ruanda zu übernehmen, wo er unter Erhaltung der Stammesorganisation dafür zu sorgen hatte, daß das Land allmählich an unsere Herrschaft gewöhnt wurde, ein Unternehmen, das neben Organisationstalent besonders große diplomatische Fähigkeiten erforderte. Glänzend gelang ihm seine Aufgabe, die Anhänglichkeit des Msinga und seiner Leute im Weltkriege ist das sichtbare Zeichen dieser Erfolge. Männer von der Gesinnung Richard Kandts gab es aber zahllose in Afrika, welche die Eingeborenen menschlich nahmen, ihnen mit Liebe nahe traten, und denen es zu danken ist, daß die Ostafrikaner im Kriege treu zu uns hielten.

So mag die Neuauflage von Caput Nili dieses Mal ihre Reise antreten als ein Andenken an die Kolonie Deutsch-Ostafrika und an die Männer, die dort wirkten, als ein Memento für die Raubgier unserer Feinde. Es soll uns dauernd zurufen

exoriat aliquis, nostris ex ossibus ultor.

Wir geben innerlich Deutsch-Ostafrika nicht auf! Wir hoffen auf seine Zurückgewinnung! Es bleibt geistig unser! Dazu trage auch dies Buch bei, dadurch wirken wir am besten im Sinne seines Verfassers.

Hamburg, Juli 1919.
Dr. Franz Stuhlmann.


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