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Tabora.

Brief VIII.

Erst am 16. Oktober konnte ich von Tabora aufbrechen, nachdem ich fast drei Wochen meinen Marsch hatte hinausschieben müssen. Arbeit gab es für mich in Fülle, während meine Leute sich mästeten und alle Kindereien verübten, die zu den traditionellen Gepflogenheiten einer feiernden und unbeaufsichtigten Karawane gehören. Prügeleien, Schulden, Bezechtheit, Ausbruch aus der eigenen ehelichen Hürde und Einbruch in fremde – das waren ungefähr die Klagen, die mir fast täglich ins Haus gebracht wurden, ohne daß ich infolge der wetteifernden Lügenfertigkeit von Klägern, Zeugen und Beschuldigten annehmen darf, den Lauf der Gerechtigkeit jedesmal in sein richtiges Bett gelenkt zu haben, wieviel Enttäuschungen und Verdruß, wieviel Verlust an Zeit, Geld und Arbeit hat mir die Unzuverlässigkeit des Negerwortes schon bereitet, und man empfindet den Schaden nicht minder, wenn man sich auch bemüht, den häßlichsten ihrer Fehler aus ihrer Geschichte sich zu erklären und aus den Tugenden der Sklaven: der Furcht des Herrn und der Liebedienerei.

Auch mein unerwartet langer Aufenthalt in Tabora rührte zum Teil von meiner mangelhaften Kenntnis dieser Negereigentümlichkeit her. Wie schon früher erwähnt, setzte sich meine Karawane aus Küstenleuten und Wanjamwesi zusammen. Die letzteren verpflichten sich fast ausnahmslos nur zum Marsch bis Tabora, in dessen Nähe sie beheimatet sind, wieder andere laufen jahrein, jahraus auf den Straßen von Tabora nach Udjidji oder Muansa. Abseits dieser viel begangenen Wege geht ein Mnjamwesi nur selten und ungern. Trotzdem machte ich etwa zwanzig Tage vor Tabora, als ich der Frage näher treten mußte, wen ich am besten vorausschicken könnte, um Ersatzleute anzuwerben, den Versuch, mit meinen Wanjamwesi zu verhandeln. Zu meiner Überraschung erklärte mit ihr Mnjampara sofort, er wie fast alle Träger würden gern meine Reise mit mir fortsetzen; ich hätte durchaus nicht nötig, jemanden vorauszuschicken, und der Worte mehr. Die Antwort befriedigte mich in mehr als einer Einsicht. Die Wanjamwesi werden nämlich als Träger von niemandem übertroffen. Lasten, die wie die meinen so Pfund nicht übersteigen, sind für sie Spielerei. Einer ihrer Unterführer trug eine Perlenlast in der herkömmlichen Form der mdalla, d. h. je die Hälfte an den Enden einer langen Stange verschnürt. Eines Tages bemerkte ich, daß seine Last ungewöhnlich umfangreich war und erfuhr, daß er die eines erkrankten Landsmannes übernommen hatte, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Und diese jetzt 120 Pfund schwere Last schleppte der Mann auf seiner linken Schulter mehrere Wochen täglich vier bis fünf Stunden mit sich, mit dieser Last hatte er den wasserlosen Marsch von 52 Kilometern vom Tjonifluß nach Tura zurückgelegt, und trotzdem verzichtete er nicht auf die Ehre, in der rechten Hand einen meiner schweren Vorderlader Zu tragen, sondern singend und in einer dicken roten preußischen Husarenjacke schwitzend marschierte er jederzeit guter Dinge an der Spitze seiner Kameraden. Eine solche Leistung bringt ein Küstenmann kaum zustande, selbst wenn sein Ehrgeiz darauf gerichtet wäre. Dazu kommt, daß die Wanjamwesi höchst willig und anspruchslos sind, daß man ihnen für Monate voraus Brotgeld in Stoffen geben kann, ohne daß sie es vor Ablauf der gesetzten Frist verbrauchen, daß sie unempfindlich gegen die Einflüsse des Klimas, des Wetters und des Marsches sind, ganz im Gegensatz zu den fortwährend an Rheumatismus, Fußwunden und Fieber leidenden und dann ganz hinfälligen Wasuaheli, daß sie stets in bester Laune zwar langsam, aber immer geschlossenen Trupps marschieren, jeden Befehl rasch und ohne Wimperzucken ausführen, kurz, daß sie Träger sind, wie sie im Buche stehen, oder vielmehr leider nicht stehen, denn sonst wäre es unbegreiflich, daß so viele Herren, deren Ziel auf den großen Karawanenstraßen liegt, andere als sie in ihren Dienst stellen.

Man wird es nach diesen Erfahrungen begreifen, wenn ich die Mitteilung des Mnjampara mit Vergnügen vernahm, in das sich noch die eitle Genugtuung mischte, die Abneigung der sonst so spröden Wanjamwesi gegen Reisen über die ihnen bekannten Striche hinaus so mühelos überwunden zu haben. Es leuchtete mir auch ein, daß der Mnjampara die endgültige Auswahl und Verpflichtung der Leute bis Tabora hinausschob, da ja »dieser oder jener« durch seine Frau oder sonstige vis major abgehalten werden könnte, seinen Kontrakt zu erfüllen. Va bene. Wir kamen nach Tabora und ich bestellte Hirt und Herde auf den dritten Tag, um ihnen ein bakschischi zu verabreichen und die Willigen meiner Karawane einzureihen. Es schwante mir auch noch nichts Böses, als in den nächsten 24 Stunden die Leute mein Quartierhaus belagerten und mir mit sanfter Rede und Gebärde das versprochene Geschenk entlocken wollten. Aber der Landgraf war hart, und so blieb es beim dritten Tage 10 Uhr vormittags. Die dritte Eos erschien, und ich legte eine schöne Stofflast zurecht, einen schönen Bogen Papier und einen schön gespitzten Bleistift, lang genug, um die Namen von 62 Wanjamwesi zu notieren, und stand im Hof und wartete. Ich mußte an das geistvolle Kinderspiel denken: »Die Uhr schlägt zehn – der Wolf kommt nicht. Die Uhr schlägt elf – der Wolf kommt nicht. Die Uhr schlägt zwölf – aber der Wolf kam immer noch nicht.« Endlich, im Laufe des Tages stellte sich – mich der letzten Hoffnung eines Mißverständnisses beraubend – ein ganzer Mnjamwesi-Jüngling ein und erklärte seine Bereitwilligkeit, meine Pilgerfahrt mit mir fortzusetzen. Einem zweiten, der den Wunsch aussprach, seinen Bakschisch in Empfang zu nehmen, in sein heimatliches Dorf Abschieds halber sich zu begeben und dann zurückzukommen, ließ ich gerade so viel Zeit, meinem Wegsegen zu entgehen, wie nötig ist, eine 15 Meter lange Veranda und eine 18 Stufen hohe Treppe auf Windesflügeln zu durchmessen. »Dieser oder jener« aber, d. h. 60 sympathische wohlgenährte Wanjamwesi waren »zu Schiff nach Frankreich«, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Ich habe keinen von ihnen wiedergesehen. So wanderte die Stofflast wieder in den Lagerraum, den sie bei etwas mehr »afrikanischer« Erfahrung meinerseits nie verlassen hätte, und ich bald darauf um eine Enttäuschung reicher und 61 Wanjamwesi ärmer nach Süden.

Die Sache war sehr fatal, wenn ich mich auch auf das Notwendigste beschränkte, blieben immer noch neunzig Lasten, denen gegen siebzig Träger gegenüberstanden. Zurzeit war es überaus schwer, brauchbare Leute zu erhalten, weil die Regenperiode vor der Tür stand und die Eingeborenen ihre Feldarbeiten verrichten müssen. Der deutsche Kaufmann in Tabora vermochte nur mit Mühe, tageweit Sendboten ausschickend, einen Teil der Träger zu erhalten, die er mit leeren Händen zur Küste schicken wollte, um von dort Lasten zu holen. Und er mußte gerade soviel zahlen, wie er im Frühjahr bepackten Leuten geben muß. Die »Wilden« verstehen eben auch, was es heißt, »eine Konjunktur auszunutzen«.

Also: Leute mußte ich haben, und zwar möglichst rasch. Einige Wasuaheli, die bei früheren Gelegenheiten hier hängen geblieben waren, füllten einige Lücken aus. Dann engagierte ich gleichsam als Renommier-Mnjamwesi jene einzige Säule, die von verschwundener Pracht, wenn auch dürftig, zeugte. Damit waren aber die vorhandenen Vorräte erschöpft; ja, es wurden mir sogar zwei meiner alten Leute so krank, daß ich sie entlassen mußte. Schließlich biß ich in einen Apfel, der mir gleich am ersten Tage angeboten, aber als zu sauer abgelehnt wurde: ich stellte für die überschüssigen Lasten Manjema ein. Das ist böses Volk, dessen Ruf nicht fein ist. Sie wohnen am westlichen Ufer des Tanganika im Lande des Elfenbeins und ehemals des Sklavenraubs, dem Lande, in dem Tippo-Tipp, Rumalisa und Genossen ihre unrühmlichen Siegeskränze und Reichtümer gesammelt haben. Ich machte sie aber höflich und eindringlich darauf aufmerksam, daß jeder, der etwa meiner Karawane sich in der Hoffnung anschlösse, morden, brennen und plündern zu können, besser täte, im Lande zu bleiben und sich redlich – wahrscheinlich aber unredlich – zu nähren. Denn ich sei fest entschlossen, den ersten, den ich bei einer der oben erwähnten, in ihren Augen ja ganz harmlosen, mir aber unsympathischen Beschäftigungen erwischen würde, mit großem Bedauern, aber einem noch größeren Strick zu hängen. Daß ich dazu nur in effigie Recht und Lust hätte, fügte ich vorsichtshalber nicht hinzu. Ziemlich rasch fand ich einen des » kitussi« mächtigen Dolmetscher, den mir Sef bin Ssad, ein kleiner beweglicher Araber und seit langem Wali von Tabora, ohne Entgelt sehr zuvorkommend besorgte. Damit wäre meine Karawane wieder vollzählig gewesen, wenn nicht ein sehr wichtiges Mitglied ihrem Verbande untreu geworden wäre, Hamiß bin Juma nämlich, member of the High-Church of England, Her Majesty's größter Halunke und leider Gottes auch mein Koch. Gott auf den Lippen, ein Kreuz auf der Brust, ein paar englische, ihm ganz unverständliche Gesang- und Gebetbücher in der Last und die bête humaine im Herzen – also ist das sympathische Bild dessen, dem ich die Sorge für mein leibliches Wohl anvertraut hatte. Nachdem er in der Probezeit an der Küste sich ausgezeichnet und für 4¼ Monate Vorschuß empfangen hatte, war sein Plan, als er sah, daß ich kein Freund des »Prügelns und prügeln lassen« bin, rasch gefaßt und beharrlich durchgeführt. Er hoffte offenbar, durch fortgesetzte schlechte Arbeit mir seine Person so zu verleiden, daß ich schließlich froh sein würde, wenn er trotz und mit dem Vorschuß aus dem Weichbild meines Lagers verduften würde. Aber da er wie alle Überschlauen auch eine große Portion Dummheit besaß, überdies in seinem Leben nicht viel von dem Unterschied zwischen Ethik und Ästhetik gehört hatte und infolgedessen nicht wußte, daß meine Abneigung gegen die Prügelstrafe mehr dieser als jener entsprang, so überschätzte er meine Gutmütigkeit außerordentlich. Ich hatte ihm ein paar Wochen vor meiner Ankunft in Tabora seine Entlassung in Aussicht gestellt. Da ich aber dort trotz eifrigen Suchens keinen passenden Ersatz fand, so regte sich mein gutes Herz, und ich verhieß Hamiß noch einmal einen Versuch mit ihm machen zu wollen. Die Aussicht, seinen Vorschuß doch abverdienen zu müssen, konsternierte ihn so, daß er rundweg erklärte, er hätte keine Lust, weiter » barra«, d. h. ins Innere zu gehen. Damit war der Fall für mich erledigt; ich übergab den Ehrenmann der Station, die ihm eine Disziplinarstrafe von zunächst vierzehn Tagen diktierte, und genoß jeden Abend, wenn ich vor Sonnenuntergang von meinem Spazierritt heimkehrte, die reine Freude, ihn im trauten Verein mit einer Kette von 10-12 Galgenvögeln zu sehen, mit denen er gemeinsam den Tag über um den Bau der neuen Boma sich verdient machte. Übrigens schlug ihm bald die Stunde der Befreiung; wohl aus Furcht, seine Architektentätigkeit noch länger fortsetzen zu müssen, trat er in die Dienste eines zum Viktoriasee reisenden Stabsarztes unter der Bedingung, die ersten drei Monate den voraus erhaltenen Lohn abzuarbeiten. Wer mein Vorgehen für zu hart oder gar boshaft hält, vergißt, daß der Mann andernfalls mit Vergnügen und Vorschuß zur Küste zurückgeeilt wäre, um sein einträgliches Geschäft bei einem anderen fortzusetzen, und vergißt, daß ich hinausgegangen bin, um Zeit, Geld und Kräfte an besseren Objekten aufzuwenden, als an einem durch das absolut schädliche Prinzip englischer Missionare: »Wir sind gesandt, die Schwarzen zu Christen zu machen, nicht zu Arbeitern« verdorbenen Sansibariten. (Übrigens riß er, wie ich später hörte, seinem neuen Herrn schon am fünften Tage aus.)

Auch zwei meiner Boys, Muinimbegu der Kellner und Kombo der Lampenputzer, wurden von mir in Acht und Bann getan; zwei gutmütige manierliche Jungen, aber von einer übertriebenen Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit, der ich den Verlust einer Reihe, zum Teil schwer ersetzlicher Dinge verdanke. Ein sonderbarer Zufall hatte mir gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes in Tabora nicht nur eine Wildkatze in die Hände gespielt, sondern auch zwei Schakale, überdies eine Form ( canis adustus, nicht canis variegatus), die in unserem Schutzgebiet noch nicht mit Sicherheit festgestellt war. Am vierten Tage war der eine verschwunden, am fünften Tage der andere. Die Boys hatten trotz meiner strengen Befehle die Tür ihres Gewahrsams sperrangelweit geöffnet, und die Schakale, die mit ihren kleinen Zähnen durch fortgesetztes Nagen die stärksten Stricke zerbissen, hatten sich die günstige Gelegenheit zu entweichen nicht entgehen lassen. Es ist begreiflich, daß ich in meinem ersten Zorn die Schuldigen sofort mit Reisegeld zur Küste versah. Sehr häufig scheinen übrigens die Streifenschakale nicht zu sein, weil die Eingeborenen, die den Schabrackenschakal, den » umbwa wa porini« (Hund des Port) sehr gut kennen, ausnahmslos die Tiere als » mbäha«(grauer Maki) bezeichneten.

Eine große Anzahl, zum Teil sehr wenig vertrauenerweckender Leute meldete sich zum Dienst als Askari. Ich verzichtete jedoch, nachdem sich auf dem Scheibenstand herausstellte, daß sie – aber auch die Hälfte meiner alten Mannschaft – vom Schießen so viel verstanden wie ich vom Seiltanzen. Nur drei zeigten sich brauchbar, von denen zwei mich mit den wohlklingenden Namen Schulze und Stift wadi Langheld überraschten. Der letztere, durch eine starke hamitische Blutmischung auch für europäische Begriffe ein selten hübscher Bursche, blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück. In frühester Jugend geraubt, wurde er vor etwa acht Jahren von seinem Paten befreit und dauernd bemuttert. Trotz seiner Jugend – er ist etwa 18 Jahre alt – hat er schon mehrfach Wunden in Gefechten davongetragen. Daß er auch schon etliche Ehen mit allem Zubehör hinter sich hat, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Auch für meinen missionboy schickte mir ein gütiges Schicksal einen Ersatz in einem hellfarbigen Mann von den Comoren, den ich heute als das Ideal eines Kochs bezeichnen muß, mir doppelt sympathisch durch sein ernstes Wesen und leises, zurückhaltendes Benehmen.

Als ich am 16. Oktober in einer Mangoschamba in der Nähe von Tabora Musterung abhielt, fand ich eine Karawane von 17 Askaris mit 2 Führern, 91 Trägern mit 3 Wanjampara, 5 Boys, einem Dolmetscher, 25 Weibern, 40 Trägerboys, 2 Reiteseln, etwas Vieh und 93 Lasten. Das Endergebnis war: zwei Träger fehlten, nachdem sie noch vormittags ihr Brotgeld in Empfang genommen hatten. Da meine Karawane durch den langen Aufenthalt in Tabora in ihrer Disziplin sehr gelockert war und ich die Ansteckungskraft des bösen Beispiels fürchtete, so wählte ich sofort sechs der besten Askaris aus und schickte je drei auf den Weg zur Küste und nach Tabora, auf den Kopf – natürlich den lebenden – jedes Trägers eine hohe Prämie setzend. Ich selbst rückte mit den übrigen in kleinen Märschen südwärts. Die erste Nacht lagerte ich in Itetemia, dem Ikuru (Residenz) der Bibi Njasso. bibi (Weib) ist der offizielle Titel einiger Sultaninnen. Die Dame Njasso gehört zu den wenigen regierenden Herrschaften Ostafrikas, die etwas mehr als einen Schein von Macht und Ansehen besitzen. Man liest ja häufig, auch in amtlichen Berichten, von diesem oder jenem Sultan, ist aber heute über afrikanische Verhältnisse genügend unterrichtet, um zu wissen, wie wenig die Wirklichkeit der Vorstellung entspricht, die wir mit dem Träger des stolzen Titels zu verknüpfen gewöhnt sind. Zu dieser Klasse gehört die Bibi Njasso nicht. Sie wird tatsächlich von einem großen Teil der Wanjamwesi als Sultanin des Südens, als Herrin von Unjanjembe anerkannt und respektiert, und wenn auch seit Befestigung der deutschen Herrschaft ihr Machtgebiet sehr eingeengt ist, so flößt ihr Name doch noch weiten Kreisen große Ehrfurcht ein und ihr Wille Gehorsam. Ihre Kinder und Verwandten sitzen an vielen Orten als Statthalter und halten den Konnex zwischen den zerstreuten Gebietsteilen aufrecht. Sie ist die Schwiegermutter von Tippo-Tipp, Tippo-Tipp, der einst vom indischen bis atlantischen Ozean einflußreiche Araber, wird den Lesern aus Stanley's Werken bekannt sein. der mit weiser Berechnung diesen Bund schloß, um seine Stellung gegenüber den wilden Ruga-Rugas Etwa: Landsknechte, Söldner. des Araberfeindes Mirambo zu befestigen. Wie eifersüchtig zu jener Zeit noch die Wanjamwesi auf ihre Selbständigkeit bedacht waren, dafür zeugt, daß die Frau Tippo-Tipps wegen ihrer Heirat von der Nachfolge als Herrscherin ausgeschlossen sein soll. Offiziell ist die Bibi übrigens wie alle regierenden Damen in Unjamwesi kinderlos. Sie darf sehr ausgiebig verheiratet sein, aber das Klappern des Storches gilt als verpöntes Geräusch. (Hier sei bemerkt, daß ich zwei Exemplare des nützlichen Vogels an einem der letzten Oktobertage in den großen lichten Steppenwäldern unweit des Ugalla-Flusses mit freudigem Erstaunen bemerkte. So tief in das Innere erstrecken sich also seine Wanderungen.) Da er auch hier seine wohltätige Funktion nicht versäumt, die Gesetze der Wanjamwesi aber nicht immer respektiert, so wird dem hochwohlgeborenen Kinde eine Verwandte oder Freundin der Bibi als Mutter sozusagen übergeschoben, und Thronfolge und Tradition sind gerettet. Als ich, einer Anregung des Herrn Hauptmann Langheld Folge leistend, wie ein Unwissender die Frage an die Dame richtete, wie groß der Kindersegen sei, dessen sie sich erfreue, sah sie sich mit verlegenem Lächeln im Kreise ihrer Getreuen um, und ihre hilflose Miene schien zu sagen: Shocking, very shocking indeed. Bibi Njasso ist heute eine Dame von etwa 60 Jahren. Ihr hellfarbiges, nicht unsympathisches Gesicht, das ein altes körperliches Gebrechen durch eine tiefe Leidensfalte und ein gezwungenes Lächeln durchgeistigt hat, zeigt sehr deutlich, daß ihre Aszendenz viel Mtussiblut in sich ausgenommen hat. Wo im Innern Ostafrikas ein Gesicht unserm Schönheitsideal sich nähert, kann man fast stets eine Vermischung mit den im Westen der deutschen und englischen Gebiete als herrschende Klassen sitzenden, in Unjamwesi zerstreut als Viehhirten lebenden Watussi (auch Wahuma oder Wahima genannt) feststellen. Wir werden ihnen noch oft in diesen Briefen begegnen, da von ihrer Stellung zu meiner Expedition deren wesentliche Gestaltung abhängig ist.

Die augenblickliche Residenz der Bibi Njasso – sie wechselt sie von Zeit zu Zeit aus mir unbekannten Gründen, vielleicht durch den Raubbau ihrer Untertanen gezwungen – ist ein sehr stattliches Dorf, in dessen Umzäunung mehr als hundert sauber gebaute Rundhütten mit hohem Kegeldach stehen. In der Nähe eines seiner Eingänge liegt der Vater der Bibi begraben, dessen Geist eine Zauberhütte und zwei mächtige Totenbäume versöhnen.

Das Haus, in dem sie mich empfing, war eines ihrer Schlafhäuser, denn sie liebt es, wie sie sagt, nicht immer unter dem gleichen Dach zu schlafen. Die Hofkapelle, ein Quartett, brachte ihr gerade ein greuliches Morgenständchen. Da sie mich etwas antichambrieren ließ, weil sie wohl noch nicht in großer Toilette war, hatte ich Muße, mich etwas umzusehen. Ein halbmondförmiger Vorraum diente als Vorratskammer und Küche. Die Feuerstellen waren von Lehm geformt und in den Boden eingemauert, im übrigen dem Drei Steine-System gleich. Der Hauptraum des Hauses enthielt nichts als eine schmucklose Bettstelle, davor ein Leopardenfell, eine roh gezimmerte Leiter, die in eine Dachkammer hinaufzuführen schien, und einige der landesüblichen niedrigen, an unsere Schusterschemel erinnernden Stühle. Origineller sind ihre Doppelsitze, die ich sonst nirgends sah, entwicklungsgeschichtlich den Urkeim eines Sofas vorstellend: zwei aus einem Holz geschnitzte, durch ein langes Zwischenstück verbundene Stühle. Das ist alles; wie man sieht, kein überladener Parvenü-Stil, sondern jene vornehme Einfachheit, die in der ganzen Welt ein Kennzeichen alter Adelsgeschlechter ist. Äußerlich unterscheidet sich das Haus der Bibi Njasso vor den übrigen nur durch seine Größe – es ist wohl fast acht Meter hoch – und durch die Sorgfalt, mit der es gedeckt ist. Das Material ist das gleiche wie das aller anderen Hütten: Lehmmauern, die durch ein Gerüst von schlecht behauenen Stämmen gestützt werden, und ziegelartig sich deckende Strohbündel. Die Kunst des Dachdeckers liegt in den Händen der Watussi. Vor dem Wohnhaus der Sultanin befindet sich eine Daua, d. h. ein Zauberapparat, wie es deren tausende verschiedene vom Indischen bis zum Atlantischen Ozean gibt. In Itetemia war es ein kleiner Hügel von gebleichten Knochen, aus dem ein Stock mit dem Schädel eines Leoparden und dem Schnabel eines Schattenvogels hervorragte. Die Bedeutung war nicht zu eruieren.

Das Hauptdorf, worin sie nur mit ihren nächsten Verwandten und Vertrauten wohnt, liegt auf einem großen, durch einen hohen Pfahlzaun dem Blicke des profanum vulgus entzogenen Platze, inmitten der übrigen Hütten. Einst mögen die Spitzen der Pfähle, wie es ältere Forschungsreisende beschreiben, die Schädel ermordeter Feinde und dem Argwohn oder Aberglauben geopferter Untertanen geziert haben; heute begnügen sich die hohen Herrschaften mit zerbrochenen Kalebassen und Töpfen, oder der Hirnschale eines erlegten Tieres, und – wie der verstorbene Parlamentarier v. Meyer-Arnswalde zu sagen pflegte – »es geht auch so«. Aber freilich, es ist nicht mehr die gute, alte Zeit, wo die Großmama mit Kindern und Enkelkindern an schönen Sommernachmittagen um den Zaun spazieren ging und wie vor den Bildern einer Ahnengalerie den lieben Kinderchen von dem Träger dieses und jenes Schädels mit Wehmut zu erzählen wußte, von dem schönen Leichenschmaus, den man nach der Verbrennung des Onkels Pandajiro abhielt, oder erst von den siebentägigen Tänzen, als die gute Tante Katelige – »dort oben, rechts – nein, ganz oben« – die das Vieh verhexte, an den Beinen aufgehängt wurde, bis sie ihre sündige Seele aushauchte. Noch bequemer machte es sich Mirambo. Im Besitz von Hauptmann Langheld sah ich seine Halskette, an der in symmetrischer Anordnung von jedem erschlagenen Araber ein Zahn »z. frdl. Erinnerung« hing – edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Nicht ohne Ergriffenheit war ich der Rührung Zeuge, die Bibi Discha, Sultanin von Ugunda, mannhaft bemeisterte, als ich mit ihr von jenen Tagen, in denen es noch »eine Lust war, zu leben,« in traulichem Gastgespräch plauderte. Aber von ihr und ihrem Herrschersitz ein andermal.

Am Ugalla-Fluß, 1. November 1897.


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