Franz Kafka
Tagebücher 1910–1923
Franz Kafka

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1919

27. Juni. Neues Tagebuch, eigentlich nur, weil ich im alten gelesen habe. Einige Gründe und Absichten, jetzt, dreiviertel zwölf, nicht mehr festzustellen.

 

30. Juni. Im Riegerpark gewesen. An den Jasminbüschen mit J.Kafkas zweite Verlobte, Fräulein Julie Wohryzek. – Diese Beziehung dauerte nur etwa ein halbes Jahr. auf- und abgegangen. Lügenhaft und wahr, lügenhaft im Seufzen, wahr in der Gebundenheit, im Vertrauen, im Geborgensein. Unruhiges Herz.

 

6. Juli. Immerfort der gleiche Gedanke, das Verlangen, die Angst. Aber doch ruhiger als sonst, so als ob eine große Entwicklung vor sich ginge, deren fernes Zittern ich spüre. Zuviel gesagt.

 

5. Dezember. Wieder durch diesen schrecklichen langen engen Spalt gerissen, der eigentlich nur im Traum bezwungen werden kann. Aus eigenem Willen ginge es allerdings im Wachen niemals.

 

8. Dezember. Montag Feiertag im Baumgarten, im Restaurant, in der Galerie. Leid und Freude, Schuld und Unschuld, wie zwei unlösbar ineinander verschränkte Hände, man müßte sie durchschneiden durch Fleisch, Blut und Knochen.

 

9. Dezember. Viel Eleseus.Kafka las damals den Roman ›Segen der Erde‹ von Knut Hamsun; diesen Dichter liebte und bewunderte er ganz besonders. Aber wohin ich mich wende, schlägt mir die schwarze Welle entgegen.

 

11. Dezember, Donnerstag. Kälte. Schweigend mit J. im Riegerpark. Verführung auf dem Graben. Das alles ist zu schwer. Ich bin nicht genug vorbereitet. Es ist in einem geistigen Sinn so, wie es vor sechsundzwanzig Jahren der Lehrer Beck, ohne allerdings den prophetischen Spaß zu merken, sagte: »Lassen Sie ihn noch in die fünfte Klasse gehn, er ist zu schwach, solche Überhetzung rächt sich später.« Tatsächlich bin ich so gewachsen, wie allzu schnell hochgetriebene und vergessene Setzlinge, eine gewisse künstlerische Zierlichkeit in der ausweichenden Bewegung, wenn ein Luftzug kommt; wenn man will, sogar etwas Rührendes in dieser Bewegung, das ist alles. Wie bei Eleseus und seinen Frühlings-Geschäftsfahrten in die Städte. Wobei man ihn gar nicht unterschätzen muß: Eleseus hätte auch der Held des Buches werden können, wäre es sogar wahrscheinlich in Hamsuns Jugend geworden.


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