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XVII.

Die Magelhaens benahm sich recht anständig, als wir den Freunden ein letztes Lebewohl zuwinkten. Ausnahmsweise anständig. Zumeist ist sie Szylla und Charybdis in hundertster Potenz. Unser hochbordiger Kahn, der wie ein Tranfaß stank, tanzte unter dem Druck dreier Ruderpaare über die tief grünen Wogenkämme, glitt in die Wellentäler pfeilschnell hinab, was mich stets an eine Fahrt auf einer Berg- und Talbahn erinnerte, wurde wieder emporgehoben, mit Tropfenregen besprüht und abermals in die Wasserschluchten hinabgeschickt – ein wundervolles Spiel, wenn drei Kerle wie Coy Cala, Chico und Chubur auf den Ruderbänken sitzen und ohne Rollsitz ihre prächtigen Muskeln arbeiten lassen.

Ich am Steuer, und als Schlagmann dicht vor mir Coy Cala mit seinem kühnen, braunen Gesicht und den schwarzen, übermütigen Augen.

Schon da gefiel er mir. Hatte mir schon auf der »Skansen« gefallen, gewiß. Sonst hätte ich mich den dreien nicht zugesellt. Aber nun, als ich beobachten konnte, wie Coy Cala die schweren, langen Ruder wie Löffel handhabte, mit denen ein Kind im Wasser pantscht, da erst merkte ich, daß dieses Araukaners Kräfte etwas Göttliches an sich hatten. Kraft, vereint mit natürlicher Grazie und der Freude, dieses Göttergeschenk betätigen zu können, ist ein Genuß für den Zuschauer. So war Coy, der braune Athlet.

Als die Jacht »Skansen«, die von dem Kutter »Torstensen« geschleppt wurde, hinter irgendeinem der Felseneilande der Magelhaens verschwunden war, hatte mein eigener Wille gleichsam den Faden zwischen der Zivilisation und mir, dem Ingenieur und steckbrieflich verfolgten Totschläger Olaf Karl Abelsen, für alle Zeit zerschnitten.

Gerhard Dorner, mein lieber Kamerad, dazu seine Gattin und der prächtige Kapitän Holger Jörnsen: die drei strich ich aus meinem Gedächtnis!

Es mußte sein.

Erinnerungen solcher Art taugen nichts. Und wenn ich hier überhaupt darüber spreche, so geschieht's nur, weil ich auf der Stufenleiter zum Herrenmenschen entschieden einige Schritte höher geklommen bin und das Gewesene nur noch als angenehme Fata Morgana empfinde, die meiner Seele Mollsaiten nur ganz, ganz schwach zum Klingen bringt.

Ja – und dann war das Malheur schon geschehen.

Nie vergesse ich Coy Calas nachsichtiges Lächeln, als ich, die Landratte, in dem Kanal zwischen den Santa Ines-Inseln unseren Robbenkahn glücklich auf eins der sensenscharfen granitenen Riffe gesteuert hatte.

Die Spitze hatte genau die Mitte des Bodens unseres Fahrzeugs getroffen, hatte sich armlang durch die festen Planken hindurchgebohrt, und alle Kraft der der drei Araukaner half hier nichts mehr – nichts.

Wir saßen fest, waren aufgespießt, und Coy Cala grinste voller Nachsicht und meinte nur:

Mistre, Mistre, nasse Füße ... nasse Füße ...«

Er hatte recht.

Zugleich mit dem Splittern der Planken waren auch beträchtliche Wassermengen eingedrungen, und da ich leider nicht so praktische, lange Seehundstiefel trug wie meine drei Begleiter, sondern nur derbe Schnürschuhe und blaue Seemannshosen, war ich im Nu bis zur halben Wade naß ...

Saß da wie ein Häuflein Unglück und schaute hilfeheischend rundum. Aber dieser Blick war nur eine grobe Zerstreutheit meinerseits, denn daß es hier im Kanallabyrinth der Südspitze Südamerikas keine helfende Wasserpolizei, keinen Wasserschutz, keine Sportsegler, kein Radio, keinen Kulturknecht, keine Siedlung auf viele hunderte von Kilometern gab, fiel mir schon im nächsten Moment ein, als ich um uns her nichts als himmelhohe Steilküsten von einer berauschenden Nacktheit bemerkte, – ein gewohntes Bild im übrigen.

Ich hob also meine Beine und legte sie vertrauensvoll Freund Coy in den Schoß.

Der handelte als Mann, der gute Coy – als Mann, dem solch ein Zwischenfall nichts ausmacht, drehte sich nach seinen Stammesgenossen um und sprach mit ihnen in dem harten Kauderwelsch der halb zivilisierten Araukaner des südlichsten Patagonien.

Ich war gespannt, was sie nun unternehmen würden, damit wir wieder frei kämen. Ohne ein Vollbad, sagte mir mein Ingenieurverstand, würde es für uns kaum abgehen, denn mittlerweile war das Granitnäschen noch kecker geworden. Das Wasser bespülte bereits meine Sitzpolster, und im Nachen schwamm so allerlei umher, was besser trocken geblieben wäre: Wollene Decken, Kisten, Blechkisten ... und so weiter.

Die Beratung der drei braunen Herrschaften war beendet.

Coy Cala wandte mir seine Vorderansicht wieder zu und holte eine der Geschenkzigarren Holger Jörnsens aus der Innentasche seiner Seehundjacke hervor, warf einen flüchtigen Blick auf die nächste Granitwand, biß die Spitze der Zigarre ab, und sein Luntenfeuerzeug verhalf ihm zu dem Genuß der ersten, tief in die Lunge eingesogenen Rauchwölkchen.

Dann hielt er es doch für angemessen, meinen fragenden, scharf auf sein leicht ins Gelbliche spielendes Antlitz gerichteten, Augen Rechnung zu tragen und beiläufig zu erklären:

»Mistre, dort am Steilufer Flutmarke ... Wasser sinkt ... Ebbe kommt ... Noch Stunde, dann Boot trocken auf Riff hängen. Wir verstopfen Leck und ans Ufer fahren.«

Flutmarke – stimmte. Es war genau zu erkennen, wie hoch der Ozean an den Felsmauern emporleckte. Und dieser grünliche Streifen lag bereits frei.

»Mistre, auch rauchen ...« schlug Coy mir anschließend vor. »Zeit schneller laufen so ... Auch trinken ...«

Und er deutete auf die Kiste mit den Kognakflaschen.

Das »Mistre« war dem guten Coy nicht abzugewöhnen. Möglich, daß er auf der amerikanischen Missionsstation, wo er als Junge zwei Jahre Unfug getrieben und von wo er dann ausgekniffen war, irgendwie etwas von Maestro hatte läuten hören. Jedenfalls – »Mistre« war unausrottbar, und genauso fest eingewurzelt war bei ihm der hypochondrische Gedanke, er leide an Spulwürmern, die sich nur durch Sprit in irgendeiner Form vertreiben ließen.

Ich war so roh, die zarte Anspielung auf einen Schluck gebrannten Wassers zu überhören, befolgte jedoch im übrigen Coys Mahnung und rauchte gleichfalls.

Unsere Strandung auf der einzelnen Klippe hier in den Kanälen wäre nun ja fraglos weit weniger harmlos gewesen, wenn das Wetter kalt, windig und regnerisch gewesen wäre, was ja eigentlich hier im Magelhaens-Archipel die Norm ist. So jedoch konnten wir eben getrost abwarten, bis die Ebbe das Riff freilegte und wir das Boot wahrscheinlich trockenen Fußes von dem merkwürdigen Anker herabheben könnten.

Coy rauchte wie ein Fabrikschlot. Und seine Freunde Chico und Chubur desgleichen. Es war ein Jammer, wie Jörnsens tadellose Zigarren hier geradezu gefressen wurden.

Coy erzählte ...

Er war ein unglaublicher Schwätzer und Aufschneider. Er meinte wohl, ich hätte von den Dingen und Verhältnissen hier unten am Ende der Welt keine Ahnung.

»Du lügst, Coy«, warf er ein, als er mir genau schilderte, wie ein Walfisch mal weiter südlich bei den Clarence-Inseln an Land geworfen worden sei und, da es eine Walmama gewesen, auf dem Trockenen ein Junges geboren habe, das er, Coy, dann gezähmt habe, so daß es sein Fischerboot wie ein Schleppdampfer zog ... »Du mußt mich nicht für dumm halten, Coy ... Das würde dir Enttäuschungen einbringen und ...«

Er lächelte mild ...

»Mistre, wenn ich nun sagen, es kommt feines, kleines Boot mit feinem Mistre angerudert – he, was Sie dann antworten, he!«

Da sowohl er als auch die beiden anderen Araukaner starr an mir vorbei nach Süden schauten, fürchtete ich nicht, daß der kecke Coy sich etwa mit mir einen Spaß erlauben wollte. Ich drehte den Kopf.

Wahrhaftig, aus einer der drei noch schmaleren Gabelungen unseres Kanals nahte ein kleines, hellgelb gestrichenes Boot. Darin saß ein Gentleman in einem weißen Flanellanzug, blauem Sporthemd mit weichem Kragen, weißem Binder, dessen lange Enden im Luftzuge lustig flatterten, und mit einer weißen Mütze auf dem rotblonden Schädel, einer Mütze, wie sie die Köche auf manchen Dampferlinien zu tragen pflegen.

Der Gent hatte sich halb umgewandt, beäugte uns offenbar mißtrauisch aus dreißig Meter Entfernung, ließ die tadellosen Blattriemen seines Diggys schleifen und zog sie dann ein, bückte sich, ergriff einen kurzen Karabiner, legte ihn über die Knie und wartete, bis die Strömung sein Boot noch näher herangeführt hatte.

Es war jetzt fünf Uhr nachmittags. Vorhin hatte ich nach der Uhr gesehen. Ein wichtiger Tag, eine wichtige Stunde. Denn sie vermittelte mir die Bekanntschaft mit einem Manne, im Vergleich zu dem die rätselhafte Persönlichkeit meines Kameraden Boche Boche ein alltägliches Männlein gewesen.

Als das Boot auf zehn Meter heran war, faßte der weiße, bartlose, sonnengebräunte Gent in die Tasche seines Sportgürtels.

Sollte man's für möglich halten: er brachte ein Monokel ohne Rand zum Vorschein, klemmte es mit ungeheuer lässiger Selbstverständlichkeit ein und rief mir dann zu:

»Gestatten: Näsler ist mein Name, Joachim Näsler, zur Zeit Vergnügungsreisender auf meiner Miniaturluxusjacht »Alexandra« ...«

Englisch rief er's. Aber mit so ausgesprochen deutschem Beiklang, daß ich, dessen Mutter Berlinerin war, sofort deutsch erwiderte, indem ich auf seinen humoristischen Ton einging:

»Gestatten: Abelsen mein Name, Olaf, Karl Abelsen, zur Zeit Vergnügungsreisender auf meiner Miniaturjacht »Feuerland« ...«

Aber dieser halbe Landsmann von mir, dessen abschreckend mageres Gesicht trotzdem so etwas wie aristokratische Linien zeigte, schien die Situation noch nicht für genügend geklärt zu halten und meinte jetzt gleichfalls in deutscher Sprache, wobei er mit erstaunlicher Fertigkeit in den mir von meiner Charlottenburger Studienzeit her so wohlvertrauten Berlinschen Jargon verfiel:

»Weshalb liejen Se denn da am selben Lokus wie verankert fest, Herr Abelsen? Fischen Sie Perlmuscheln?! Oder sind Se etwa aufjelaufen?«

»Perlmuscheln gibt es hier nicht, Herr Näsler. Also aufjelaufen ...«

»So ... so! Pech!!« ...

Er war nun mit seiner »Alexandra« dicht neben uns, sah die Felsnase, das Wasser in unserem Nachen und fügte kopfschüttelnd hinzu:

»Ihre Jacht hat 'n unbejabten Kapitän, Herr Abelsen ... Und Ihre Besatzung – was sind denn det for Erfindungen? Einjeborene? – Entschuldjen Se schon, Herr Abelsen, aber ich stehe auf dem Standpunkt, man soll in diesen jottverlassenen Jewässern doppelt Porzellanladen sein – vorsichtig, Sie verstehen woll.«

»Natürlich begreife ich das vollkommen, Herr Näsler ... Sie können Ihren Porzellanladen aber getrost aufgeben ... Wir vier hier im lecken Boot sind weder Menschenfresser noch Großfinanziers ... Was dasselbe ist ... Ich beabsichtige, diese Inseln zu erforschen. Vielleicht finde ich Kohlenlager, Erz, Gold, Silber, Diamanten. Ich bin auf alles vorbereitet. Im übrigen haben wir vor rund vier Stunden von unseren Freunden Abschied genommen, die weiter östlich nach Punta Arenas gedampft sind.«

Er hatte sein Boot mit einem kurzen Bootshaken Bord an Bord mit unserem Kahn gebracht. Sein Mißtrauen war offensichtlich geschwunden.

»Woher kommen Sie denn, Herr Näsler?« fragte ich, da er nur noch Interesse für meine drei Gefährten hatte, besonders für Coy Calas wildes, kühnes, verschmitztes Gesicht.

»Prächtiger Bursche, der da ...« sagte er und schaute mich wieder an. »Alle drei nicht schlecht ... Und Sie, Herr Abelsen, jefallen mir desjleichen ... Ick bin so 'n bißchen Menschenkenner ... Ihre Augen verraten deutsche Treue, Ihr Name Vetternschaft mit Sven Hedin, dem größten Schweden aller Zeiten, noch berühmter als die schwedischen Streichhölzer ... – Also: mein Dampfer liegt an der Westspitze der Clarence-Insel, und ich selbst lieje hier neben Ihnen ...«

»Hm, da haben Sie sich etwas sehr weit von Ihrem Schiffe entfernt, Herr Näsler ...«

»Stimmt ... Kann nicht mehr an Bord ... Paddele seit drei Tagen hier in der Jejend nun und suche Männer ...«

»Männer?«

»Ja – Männer, richtigjehende Männer, etwa wie euch ...«

»Entschuldigen Sie, Ihre Angaben sind etwas verworren. Weshalb können Sie nicht mehr an Bord?«

»Weil ich meine Stellung als Koch jekündigt habe und weil ich keinen Taucheranzug nebst Zubehör nich besitzen tun tue, Herr Abelsen.«

»Taucheranzug?«

»Ja ... Det Schiff liejt nämlich in zwanzig Meter Tiefe zwischen den Klippen auf dem Meeresjrund, und mehr Jrund wie icke hatte wohl noch keen Schiffskoch, von eenem Dampfkahn heimlich abzumustern. Es jab nämlich erstens keene Seele mehr zum Bekochen, und zweetens und drittens – – na, davon später ...«

»Der Dampfer ist also gestrandet?«

»Nee – explodiert ... Hatte eene Höllenmaschine im Bauch ...«

»Unmöglich!«

»Jestatten Se – das weeß ich nu zufällig wirklich besser, denn ick sah den »Starost«, so hieß das Schiff, wegsacken, und von den fünfzehn Leuten bin ick der allereenzigste, der mit dem Leben davonkam ... Das heeßt, andere hatten sich noch früher als ich jedrückt.«

»Wie – und Sie haben die Besatzung nicht gewarnt?!«

Er blickte mich merkwürdig an ...

»Besoffene lassen sich nich warnen, Herr Abelsen ... Waren alle besoffen, vom Kapitän herab bis zum schwarzen Kajütboy ... – Aber ich denke, Sie klettern nu mal erst hier in meine »Alexandra« rüber, und wir machen Ihre Barke flott ... Nachher reden wir eingehender, Herr Abelsen. Ich habe Ihnen etwas anzuvertrauen, was wie ein tolles Märchen klingt ...« Er sprach plötzlich in ganz anderem Tone. »Nein – Märchen ist nicht der richtige Ausdruck ... Es handelt sich um eins der ungeheuerlichsten Geschehnisse ... Auch das besagt zu wenig. Es ist mir da eine Reihe von Erlebnissen aufgedrängt worden, die in ihrer Gesamtheit fraglos für jeden Durchschnittsverstand ein außerordentliches Geheimnis darstellen. So, nun bitte, rüber zu mir, und dann an Land ... Ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen und getrunken, und Ihre Konservenbüchsen und Ihr Trinkwasserfaß dort bereiten mir Pein ... vorwärts!«

Eine halbe Stunde drauf lagen Joachim Näsler und ich an einem lustig knatternden Feuer am Ufer einer kleinen Bucht. Die drei Araukaner flickten unseren Nachen aus. Näsler aß ... aß mit dem beherrschten Anstand des Gebildeten und erzählte ...

Er war unser fünfter Mann geworden.


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