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XII.

Bleierner Schlaf, volle zehn Stunden. Schlaf, den nichts stören konnte. Unklare Erinnerungen, daß Jörnsen mir zwei Tabletten aufgezwungen hatte, weil er wohl fürchtete, daß das Lied des Meeres meinen Verstand verwirrt haben könnte. Ebenso unklar in meinem Gedächtnis das Bild, wie Jörnsen und Frau Helga mich in meine Koje geschleppt und mir die zerfetzten Hände, die zerschundenen Knie und die Schädeldecke bepflastert hatten.

Ich war aufgewacht und hatte mich aufrichten wollen ...

Wollen ...

Ich hatte keine Gelenke, keine Muskeln mehr. Nur noch schmerzende Stellen ... überall.

Durch den Treppenniedergang fiel in breitem, weißem Strahl Sonnenlicht in dieses Lazarett, das nach Jodoform, Lysol und anderem duftete.

Neben meinem Kopf an einem Nagel hing an der Holzwand meine Nickeluhr.

Eins zeigte sie, genau eins. Also ein Uhr nachmittags.

Zehn Stunden geschlafen ...

Der Kopf schwer und benommen. Die Augen so empfindlich, daß ihnen das grelle Licht wehtat. Und die Geschehnisse der Nacht nur noch wie verwaschene, unwirkliche Eindrücke aus der Welt der Träume.

Mühsam drehte ich den Kopf nach rechts. Drüben, an des Kameraden Schmerzenslager, saß Holger Jörnsen und nickte mir freundlich zu, sagte gedämpft:

»Er ist ebenso zäh wie du, Abelsen ... Vorhin hat er schon ein paar Worte geflüstert ... Wir bekommen ihn durch. Das Fieber ist kaum nennenswert. – Und du? Wie fühlst du dich?«

Ich so zäh wie Boche Boche??

Nein, wohl kaum ...

Ob ich mit der entsetzlichen Wunde drei Tage dort im Boot, doch fraglos ohne Speise und Trank, überdauert hätte – wohl kaum! Ich, der jetzt schon nur nach dieser Nacht hier wie ein Häuflein Unglück lag!!

Und diese Gedanken waren die beste Medizin ...

Der Gedanke ist alles, der Wille steht obenan, die Tat selbst ist nur ein Anhängsel ...

Ich richtete mich auf ...

Ich hätte schreien mögen vor Schmerzen – die Augen tränten mir ...

Der Wille ist alles.

»Ein bißchen steif, die Knochen, Jörnsen ...« – erwiderte ich und griff nach meinen Hosen.

»Bleib liegen!« mahnte der Alte.

»Denke nicht dran! Sonnenschein ist die beste Medizin. An Deck will ich ...«

»Du hast nicht ganz unrecht, Abelsen. Man muß sich nicht unterkriegen lassen. Der Wind hat gedreht. Vorhin waren es fünfundzwanzig Grad in der Sonne. Der Pazifik spendet uns die Wärme. Das ist hier nicht anders, mal eisige Luft und Schnee, mal wieder Tropenluft. – Danke dir auch, daß du den Torstensen gerettet hast, Abelsen. Auch das kommt auf dein Pluskonto. Hast deine Sache gut gemacht für eine Landratte. Wir liegen hier in einem Triftkanal, wie wir's nennen, in gleichmäßiger Strömung. Ist eine wunderliche Gegend hier unten. Hat noch kein Gelehrter erforscht, weshalb einzelne Kanäle trotz der Gezeiten stets gleiche Strömung haben, während andere, Wechselkanäle nennt der Schiffer sie, die reinen Hexenkessel sind.«

Ich stand aufrecht. Mir war ein wenig schwindlig. Aber der Wille ist alles. Mit meinen verbundenen Händen – nur die Fingerspitzen ragten hervor – war es ein Kunststück, die Hosenträger anzuknüpfen und die Schuhe zuzuschnüren.

Es ging – es mußte gehen.

Dann trat ich zu Boche Boches Lager. Er schlief. Von seinem Gesicht war nicht viel zu sehen. Aber was ich sah, hatte schon wieder Farbe.

Dann stellte ich mich vor den Spiegel. Meine Nase war eine blaurote Kartoffel, die Oberlippe eine Wurst. Der Stoppelbart war mir am scheußlichsten.

»Ich will versuchen, mich zu rasieren«, meinte ich ...

»Brav so!« lobte Jörnsen. »Wer auf sein Äußeres etwas hält, wer dazu ein Mann von deiner Qualität ist, zwingt das Leben. Nur die Intelligenz, gepaart mit frischem Draufgängertum, ist eitel in gutem Sinne. Ich wünschte, meine Frau begriffe das. Hol dir nur warmes Wasser aus der Kombüse. Du hörst ja, Helga wirtschaftet dort schon wieder herum. Die Schwarzen haben ihr all die schönen Aluminiumtöpfe versaut. Sie hat die Scheuerwut. Nur nicht für sich selbst.«

Die Treppe hinan – alle Qualen der Hölle ...

Aber nun der Sonnenschein, Licht, Luft, der Odem der Ozeane ...

Ich atmete tief, tief, und die Kraft wuchs.

»Morgen, Helga ...«

»Morgen, Abelsen ...«

Sie kniete am Boden der Kombüse und scheuerte die Planken mit weißem Sand, schaute gar nicht auf, trug wieder ihren Südwester, die alte Brille, und Haarzotteln baumelten hin und her.

»Warmes Wasser ...? – Dort im Kessel ... Nimm die Schöpfkelle ... Kaffee steht dort unter dem Wärmer.«

Eine Viertelstunde später war ich rasiert, hatte gefrühstückt, hatte gefressen, nicht gegessen, hatte obenauf einen halben Becher Kognak gesetzt. Und Jörnsen hatte mir dabei so mancherlei über die Wetterecke erzählt ... vorsichtig flüsternd, denn Boche Boche sollte nicht gestört werden. Aus dem, was der Alte erzählte, ging nun klar hervor, daß er Schiffskapitän gewesen, daß er Frachtdampfer geführt hatte, daß er hier im Magelhaens zu Hause war.

»... Vergangene Nacht, mein Junge, als der Torstensen sich wie ein wildes Pferd benahm, hast du das wohl für was Besonderes angesehen. Irrtum! War nur das übliche hier ... Als ich mit der Medusa 1912 von Honolulu kam und nach der La-Plata-Mündung wollte, haben wir keine acht Meilen von hier volle zehn Tage vor vier Ankern gelegen – was man so liegen nennt. Und diese zehn Tage, Abelsen, gab's zwischen Vorschiff und Heck keine Verbindung, so kamen die Seen über ... Neben uns trieb eine Salpeterbark vorbei ... Fünf arme Teufel in den Wanten festgebunden, fünf Erfrorene ... Acht Grad Kälte, Abelsen ... Eine verrückte Gegend. – Nun schau dir mal von unserem Heck die Aussicht an. Sie ist sehenswert.«

Sehenswert ... stimmte!

Alles sehenswert. Der Torstensen lag in einem Kanal von etwa vierzig Meter Breite, das Heck ragte über die scharfe Krümmung nach Süden hinaus. Ringsum kahle Felsenmauern –

Nur dunkler Granit. Aber nach Süden zu erweiterte sich der Kanal wie eine Trompete, und vielleicht fünfhundert Meter entfernt konnte ich dasselbe Schauspiel wie nachts beobachten: dort zogen ungeheure Wogenberge dahin, dort war freies Wasser, und nur am Horizont erkannte ich düstere Gestade ...

Jörnsen war neben mir erschienen.

»Die Magelhaens-Straße, Abelsen ...« Ganz ehrfurchtsvoll sagte er es ... »Wir sind hier unter Wind. Droben in den Zacken pfeifen die Orgeln ... Aber die Töne verwehen. Gnade Gott dem Schiffe, das jetzt im Magelhaens ist. Stürme bei Sonnenschein sind am schlimmsten. Es stirbt sich schlecht, wenn die Sonne heuchlerisch lacht ... vor fünf Tagen beruhigt sich die See nicht. Wir haben also Zeit. Das Kunststück, jetzt die Santa-Ines-Insel drüben zu erreichen, bringt selbst ein transtinkender Feuerländer nicht fertig. Unser Mann wird warten müssen, und wir werden als erste an Ort und Stelle sein ...«

»Unser Mann?«

Meine Augen forschten in seinem gegerbten Gesicht.

»Ja – er, der Feind, dein Feind, unser Feind ... – Komm, holen wir Boche Boche an Deck in die Sonne ... Bring eine Matratze nach oben und Decken ... Er ist aufgewacht ...«

Boche Boches Hand lag in meinen umwickelten Fingern. Ich beugte mich über ihn. Mir schnürte die Rührung die Kehle zu ...

»Gott sei Dank – du lebst ...«

Seine matten Augen winkten. In ihrem Blick war etwas, das mich verwirrte.

»Vielleicht ... besser ... tot ...«

Jedes Wort quälte er über die verschwollene Zunge.

»Unsinn!!« Ich zwang mich zur Munterkeit. »Oben an Deck werden dir andere Gedanken aufgehen ... Die Sonne ist eine Zauberin ...«

»Faß an!« mahnte Jörnsen hinter mir.

Wir trugen ihn nach oben. Und nun lag er da und schaute zu den Felswänden empor, in deren tiefen Klüften die fröhlichen Möwen hausten und unser Deck mit weißen Klecksen beehrten.

Jörnsen ging in die Heckkajüte, und ich setzte mich neben den Kameraden auf einen Klappstuhl, rauchte und hatte Falten auf der Stirn. Soeben hatte der Kapitän mich beiseite genommen.

»Abelsen, eine Bitte ... Du wirst Boche Boche nichts von deiner Jugendfreundin Gerda Arnstör erzählen – nichts! Erzähle, gewiß ... Es wird ihn ablenken. Aber – du bist allein in dem Versteck gewesen, verstanden! Hast es zufällig gefunden. Rege ihn nicht auf. Die Gefahr, daß das Wundfieber ihn packt, ist noch nicht vorüber.«

Und nun saß ich neben Boche Boche, dem einzigen Freunde, und wußte mit aller Bestimmtheit, daß er Gerda kannte ... Vermutet hatte ich es ja schon. Sein Ohnmachtsanfall, seine Andeutungen nachher, sein Kampf mit seinem toten Gedächtnis. Er kannte Gerda. Vielleicht besser als ich. Und ihre zweifelhafte Rolle hier in diesem Rätseldrama sollte, so wünschte Jörnsen es, geheim bleiben: Nicht aufregen!

Ich erzählte ...

Und Gerda blieb ausgeschaltet. Ganz allein hatte ich drei Tage Haft in der Kammer durchlebt. Ich berichtete halb scherzend von dem Kielraum und der Flasche Lysol. Ich machte Witze – ohne Erfolg.

Boche Boche starrte in den blauen Himmel. Ich schilderte Samuel und Manuel ...

Boche Boche verzog keine Miene.

Nur als ich dann von dem Ende meiner Haft berichtete, da schaute er mich an ...

Ich berichtete in knappen Worten von dem Leichenschiff: Zyankali!

Er bewegte die Lippen ...

»Wie ... konnte der Weiße ... entrinnen ...?« Und lauter: »Ich ... glaube ... nicht, daß er ... den ... Kaffee ... vergiftet ... hat – nein!«

»Wer sonst?? Ich bitte dich ...!«

»Nur ... ein Dummkopf ... hätte ... den Kutter ... aufgegeben ... – Olaf, bedenke ... das! Jörnsen ... ist ... auch jetzt ... nicht ehrlich ... mit uns ... Hier ... waren ... stets ... fünf an Bord, Olaf! ... Das Lied ... damals ... die Gitarre, Olaf ...«

Er schloß die Augen ...

Und ich schwieg. Mein Hirn durchflog die jüngste Vergangenheit. Mein Hirn war nicht trainiert für folgerichtige Schlüsse. Die Widersprüche lösten sich nicht, schmolzen nicht ineinander. Ich tappte weiter im dunkeln.

Der Kamerad war eingeschlafen. Schnarchte sogar. Die Sonne strahlte stechend auf uns herab. Aber sie heilte. Der feine Schweiß, der mir aus allen Poren drang, machte meine Gelenke geschmeidig. Ich erhob mich leise und ging wieder zum Heck. Drüben in der Ferne tobte das Meer. Auf den Riffen vor uns sonnten sich Robben, kaum vom dunklen Fels zu unterscheiden. Um den Torstensen spielte eine Herde Delphine. Das grünblaue Wasser war so klar, daß ich die Unterseeriffe schimmern sah – steinerne Schwerter, denen kein Schiffsboden, noch so gut gepanzert, widersteht.

Fünf an Bord!!

Der Gedanke kehrte immer wieder. War hartnäckig wie ein italienischer Bettler, umschlich mich, winselte mir Fragen in die Ohren, die ich nicht beantworten konnte.

Frau Jörnsen rief mich zu Tisch. Jetzt war die Heckkajüte kein verbotenes Gebiet mehr. Wir drei aßen, und der Alte würzte das Mahl mit Berichten über Feuerland ...

Manche humorvolle Bemerkung streute er ein, manch geradezu unwahrscheinlich Abenteuerliches schöpfte er aus dem Vorrat eigenen Erlebens. Den argentinischen Gelehrten Gonzales Silvio, der nach dem Schiffbruch seiner Jacht auf einer der Clarence-Inseln noch weiter südlicher als Santa Ines ein volles Jahr als Robinson gelebt hatte, den fand er durch einen Zufall bei der Jagd nach einem schachmatten, durch Harpunenschuß schwer verletzten Walfisch auf.

Und so wie diese Mahlzeit verliefen auch die folgenden. Jörnsens Erzählertalent berauschte mich. Er war ein gänzlich anderer, wenn er auf solche Erlebnisse romantischen Beigeschmacks zu sprechen kam. Er hatte genau wie Boche Boche und ich eine ausgeprägte Ader für alles Abenteuerliche. Nur von etwas sprach er nie – nie: Von Gerda, dem Feinde und dem Zweck dieser Fahrt nach Ultima Thule!

Zwei Tage Sonnenschein und strahlender Himmel, Wärme, Ruhe und Einsamkeit. In zwei Tagen ein Wunder: Boche Boche erholte sich verblüffend schnell. Seine zähe Katzennatur spottete der noch eiternden Wunde.

Am zweiten Tage abends wagte er die ersten unsicheren Schritte, nahm er zum ersten Male eine Zigarre und trank einen vollen Becher Kognak mit Wasser, halb und halb. Die Zunge war auch wieder völlig in Ordnung, und längst wußten wir nun, wie es dem Kameraden ergangen war, nachdem ich ihn scheinbar so schmählich im Stiche gelassen hatte.

Während des Kampfes in unserer Kajüte war er, von der Dunkelheit begünstigt – er hatte die Lampe zertrümmert –, bis an die Treppe gelangt. Hier erst empfing er den furchtbaren Hieb mit einem großen Schraubenschlüssel, konnte trotzdem noch an Deck flüchten und glitt an einer losen Leine vom Bugspriet ins Wasser. Die Meuterer fanden ihn nicht. Erst nach Stunden kroch er dann mit letzter Kraft in das Boot, befestigte die Persenninge wieder und verlor das Bewußtsein, erwachte immer nur für kurze Zeit, fiel wieder zurück in die gräßlichen Arme des rasenden Fiebers, erwachte von neuem, trank das durch kleine Löcher auf der Innenseite der Persenninge angesammelte Regenwasser, kühlte die Wunde, wurde von neuem hinabgezerrt in das unheimliche Reich der Fieberphantasien. Bis das Fieber von selbst nachließ und die Erschöpfung des nahenden Endes sich immer mehr steigerte. Da fand ich ihn.

Stunden später wäre es ... zu spät gewesen!

Boche Boche war am dritten Morgen bereits munter, als ich noch schlaftrunken und gähnend dem Plätschern eisiger Regengüsse lauschte. In der Back war es kalt – bitter kalt. Der Kamerad kniete vor dem eisernen Ofen, und das Prasseln des trockenen Holzes übertönte fast das andere, gleichmäßige Geräusch: der Motor arbeitete, der Kutter war in Fahrt!

»Morgen, Olaf ...!« klang es vom Ofen her, die Stimme war klar und laut ...

Aber schon gestern, als es ihm so wesentlich besser ging, hatte ich's gemerkt: Es war etwas Fremdes an ihm und besonders in seinem Blick. Auch jetzt. Es fehlte die Herzlichkeit. Diese grauen Augen, in deren Tiefen stets das melancholische Dunkel nimmer erlöschender Seelenpein schimmerte, waren verschlossen, forschend und kalt.

»Morgen, Kamerad ...!« Ich mußte Zwanglosigkeit heucheln ... »Ein Leichtsinn von dir! Mute dir nicht zuviel zu ...!«

Ich kleidete mich schnell an. Boche Boche hatte derweil den Ofen gründlich gefüttert und sich dann auf einen Schemel gesetzt. Aber nichts mehr gesprochen. Die Stille wurde peinlich.

»Wir sind also schon wieder unterwegs«, begann ich von neuem.

»Noch nicht, Olaf ... Jörnsen probiert den Motor, den er gründlich gereinigt hat. Er war vorhin hier. Der Wind soll nach Süd gedreht haben. Daher auch die Kälte. Und in der Magelhaens-Straße steht nur noch schwache See. Der Alte will sehr bald Anker lichten. Was ihn zur Eile treibt, weiß ich nicht. Ich weiß ja überhaupt nichts. Ich bin hier im abenteuerlichen Spiel jetzt die blinde Kuh.«

So, wie er dies vor sich hinsprach – mit gesenktem Kopf, mit Augen, die am Boden hingen, mit krankem, müdem Zug um den blassen Mund, war er für mich wie der verkörperte Vorwurf. Eine unklare Ahnung kam mir, daß seine letzte Bemerkung »jetzt die blinde Kuh« für mich die Andeutung enthielt, er schenke auch meinen Angaben über das, was während seiner Leidenstage im Boote geschehen, keinen Glauben mehr. Ich wurde dadurch noch unsicherer. Ich fühlte, daß er mir als Freund entglitt, daß meine unwahre Schilderung meiner Haft in der Geheimkammer drüben von ihm, der so kritisch zu prüfen verstand, allerlei Zweifel geweckt hatte!

Zum Glück erschien jetzt Frau Jörnsen, schlumpig und schmutzig wie immer, und brachte den Kaffee. Sie begrüßte uns kurz. Redselig war sie nie gewesen. Für Boche Boche fand sie ein paar kühl-freundliche Worte über die überraschende Besserung in seinem Aussehen und seinen Bewegungen. Er half ihr den Tisch decken.

»Ich bin eben doch noch nicht reif für das Ende gewesen«, sagte er nur, und auch der Satz war vielleicht nicht ohne Doppelsinn.

Wir waren wieder allein. Ich rasierte mich flink. Der Kamerad füllte seinen Becher und begann zu frühstücken. Als ich ihm gegenüber Platz nahm, schob er mir die Kaffeekanne hin.

»Olaf, hat Jörnsen immer noch nicht Farbe bekannt?« fragte er und rührte mit dem Löffelchen in dem Becher. Er liebte süßen Kaffee, und zumeist hatte er noch einen Schuß Kognak hinzugetan – ein merkwürdiger Geschmack.

»Zum Teil ... Er leugnet nicht mehr, Schiffskapitän gewesen zu sein ... Er hat mir mancherlei aus seiner Seemannszeit erzählt, und Feuerland und die Inselgruppen ringsum kennt er ausgezeichnet. Auch das Endziel unserer Fahrt verriet er in einer Bemerkung: die Insel Santa Ines weiter südlich, oder doch eins der Eilande, die mit zu der Insel gehören. Im übrigen blieb alles, wie es war: ich kenne den Zweck seiner Reise hierher ebensowenig wie du.«

Jetzt schaute Boche Boche mich an ... Geradezu durchdringend ...

»Und das ist die Wahrheit, Olaf?«

»Ja!«

Es war ja die Wahrheit. Wenigstens über diesen Punkt. Unsere Blicke ruhten ineinander. Dann bat er ablenkend:

»Gib mir die Kognakflasche ...«

Er mischte sich seinen Morgentrank, tat einen Schluck und aß ein paar Happen. Nach einer geraumen Weile meinte er:

»Ich habe mir die Klapptür dort in der Wand hinter deinem Bett in der Nacht angesehen, als du Wache hattest ... Ich war auch in deinem Versteck ...«

Mir schoß die Röte ins Gesicht ... aber er blickte nicht auf.

»... In deinem Versteck ... Du hast es also wirklich zufällig gefunden?«

Jetzt sah er mich an ... seine Wangen brannten.

Ein trostloses Lächeln zuckte um seinen Mund.

»Ich verzichte auf eine Antwort, Olaf ... Ich kenne dich ... Du meinst es nur gut mit mir.« Er senkte den Kopf, stützte ihn in die Linke und fügte hinzu: »Du willst mich schonen, Olaf ... Du willst mir verschweigen, daß deine Jugendgespielin die drei Tage Haft mit dir teilte ... Sie war's, die dich zum zweiten Male rettete. Sie kannte das Versteck. Sie zwang dich, dem Kampf mit den Meuterern auszuweichen. Du selbst hättest mich nie allein gelassen, nie! Ich habe mir das alles gründlich überlegt. Und dort in der Kammer fand ich dies, eingeklemmt in eine Spalte eines Kistendeckels ... dies ...«

Er holte aus der Innentasche der Jacke ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor ... breitete es auseinander. Ein paar lange, blonde Frauenhaare lagen darin. Er stand auf, warf Papier und Haare in die Ofenglut und setzte sich wieder.

»Keine Antwort, Olaf«, sagte er müde. »Ich will dir nur noch eins mitteilen: Ich kann mich jetzt wieder auf den Namen des Mädchens besinnen, der mir wieder entfallen war, als ich ohnmächtig über dein Bett stürzte ... Nur auf den Namen: Gerda Arnstör! Und es ist gut – vielleicht gut, daß mein Gedächtnis noch immer streikt, daß ich Boche Boche bleibe ... Denn dieses Mädchen muß in meinem Dasein einst der Mittelpunkt starken Erlebens gewesen sein – bestimmt! Und so, wie ich heute bin, ein Namenloser, ein Flüchtling vor mir selbst, würde das Erwachen des Einst mir nur die letzten Stützen rauben. – Sprich nichts, Olaf ... Tröste nicht. Trost sind Worte. Und wir, denke ich, sind Männer der Tat. Wir haben unsre Sach' auf nichts gestellt. Wir wollen erleben, vergessen. Neues in uns aufspeichern und das Alte ersticken ... Kein Wort, Olaf ... Wir sind Freunde ... Bleiben wir es. Ich kenne dich ...!«

Und seine abgemagerte Hand umfaßte die meine, deren Innenfläche lange Pflasterstreifen trug.

»Freunde, Olaf ... Kameraden, Heimatlose, Weltentramps, Abenteurer, aber ... Männer, denen das Weib nichts mehr bedeutet.«

Dann lächelte er mir zu ... und in seinem Blick war alles Fremde verschwunden ...

Ich aber fühlte mich wie befreit. Ich verstand jetzt alles – auch des Kameraden Angst vor der toten Vergangenheit ...

Vielleicht hatte er Gerda geliebt ...

Und Gerda??

Sie war des Kutters Torstensen größtes Rätsel.

Gleich darauf rief Jörnsen mich nach oben.


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