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VIII.

Ich hatte mir, als ich schon als Junge Körper und Geist ganz systematisch zu trainieren begann, damals bereits zum Grundsatz gemacht, nie vorschnell zu urteilen und jeden Entschluß nochmals zu überprüfen.

Dieses Bild mit dem Bernsteinrahmen hatte ich soeben, in den Fehler der meisten Menschen zurückfallend, für mich als bedeutungslos abgetan. Was sollte diese Photographie eines mir unbekannten Knaben??

An diesem Rückfall war wohl zweierlei schuld. Erstens die starke Erregung, in die mich der Besuch der Schwimmerin versetzt hatte, und zweitens die noch immer nicht völlig überwundenen Folgen der acht Monate Zuchthaus. Ich war noch nicht wieder der Olaf Karl Abelsen von einst.

Ich betrachtete den Rahmen, das Bild von neuem. Ich saß auf meinem Bett und ließ die feingeschliffenen Bernsteinperlen im Lichte der Karbidlampe, die nach Boche Boches Bett hin durch ein Stück gebogene Pappe abgeblendet war, ihre zarten Strahlenbündel meine Sehnerven sanft reizen. Jetzt sagte ich mir, daß dieses Geschenk meiner Retterin doch unfehlbar zu meiner Person irgendwie in Beziehung stehen müsse. Allmählich überkam mich eine müde, träumerische Stimmung, wie auch behagliche Dämmerstunden sie erzeugen. Meine Gedanken entglitten mir gleichsam und wandelten ihre eigenen Wege, schlichen sich in meiner Jugend freudlose, ernste Tage zurück ...

Ich sah mich als kleines Bürschlein in einem Garten unter blühenden Obstbäumen stehen ... Vor mir ein Mädelchen in weißem Kleidchen mit blonden, üppigen Locken ... Sie weinte, und wir hielten uns bei den Händen: Abschied zweier Jugendgespielen, schwerer, tränenreicher Abschied, denn mein Vater war in eine andere Stadt versetzt worden, und unser Häuschen, unseren Garten und die kleine Gerda Arnstör und deren jüngeres Schwesterlein, unsere lieben Nachbarn, würde ich vielleicht nie mehr wiedersehen.

Gerda Arnstör ...

Mit einem Schlage war diese Jugendzeit in mir wieder zu frischem Leben erwacht, sogar der Name war mir zugeflogen ohne jegliches Bemühen.

Nun wußte ich, wer meine Retterin war, wen dieses Bild im Bernsteinrahmen darstellte. Ich selbst war's. Ich selbst hatte Gerda das Bild damals beim Abschied geschenkt, und meine Mutter, die zwei Jahre später starb, hatte den Rahmen ausgewählt.

Vieles war mir nun verständlich, was ich in jener Nacht meiner Flucht nicht recht begriffen hatte. Gerda, mit der ich nachher nie wieder zusammengetroffen war, hatte mich damals in ihrem Schlafzimmer wohl sofort erkannt. Ihre weitgehende Hilfsbereitschaft galt nicht lediglich dem zu Unrecht Verurteilten, sondern dem Jugendgespielen.

Was tat Gerda jetzt hier in Punta Garras auf dem großen Fünfmaster??

Wenn ihr Vater noch Schiffskapitän gewesen wäre! Aber ich erinnerte mich genau: er war deutscher Vizekonsul – damals!

Ich mußte Gerda sprechen, entschloß ich mich. Sie mußte mir Auskunft geben, welches Interesse sie für unseren Kutter hatte. Sie würde es begreifen, daß ich mich nicht mit ihren unklaren Andeutungen begnügen könnte.

Ich behielt nur die Leinenhosen an, schlich wieder an Deck. Es war leer wie vorhin. Drüben leuchteten die vielen Laternen des Fünfmasters noch verschwommener durch die Nacht. Es hatte zu regnen begonnen. Ein warmer, erschlaffender Regen, den mein nackter Oberkörper nicht als Erfrischung empfand.

Ich ließ mich ins Wasser gleiten. Es war kühler als der Regen, und dieses Bad feuerte mich an. Ich schwamm langsam, kraftvoll. Meine Muskeln freuten sich der Arbeit. Etwas wie ein glücklicher Übermut überkam mich.

Wie schön Gerda geworden ...

Und wie beseligend das Bewußtsein, daß ich, der Ausgestoßene, nicht nur einen treuen Kameraden, sondern nun auch ein beglückendes Teil meiner Kindheit wiedergefunden hatte: Gerda!

Die Entfernung bis zu dem Fünfmaster betrug etwa vierhundert Meter. Ich näherte mich dem Schiffe. Ich sah, daß an Deck Leute bedächtig hin und her gingen.

Leute??

Nein – chilenisches Militär war's, Infanteristen in blauer Uniform mit schwarzen Helmen, wie ich sie schon in den Straßen Iquiques getroffen hatte ... Uniformen, die so sehr an preußisches Militär von ehedem erinnerten.

Soldaten, Gewehr im Arm.

Posten ... Wachen.

Der Fünfmaster wurde also bewacht. Daß Punta Garras eine kleine Garnison hatte, war mir durch Boche Boche bekannt. Und daß Meutereien auf den Salpeterschiffen nicht selten, hatte er gleichfalls gelegentlich erwähnt.

Also wohl Meuterei.

Wahrscheinlich lagen die Meuterer unten im Raum in Eisen. Daher auch die Illumination ...

Ich war auf dreißig Schritt heran, war im Lichtbereich der Laternen und auch schon entdeckt. Eine der Wachen rief mich an ...

Bedauere – spanisch ist mir spanisch ...

Da hebt die Pickelhaube dort an der Reling das Gewehr und zielt ...

Schießt wahrhaftig ...

Mit feinem Zischen, als ob man ein glühendes Eisen ins Wasser stößt, schlägt das Geschoß halbrechts vor mir ein und wirft eine Tropfenkaskade hoch ...

Die Pickelhaube erhält Verstärkung ...

Ich brülle hinüber: »Gut Freund« ...

Die anderen Pickelhauben feuern gleichfalls. Rasch lasse ich mich hinabsinken, schwimme unter Wasser, bis mich der Luftmangel hochtreibt ...

Die Chilenen scheinen mich für einen Helfer der Meuterer zu halten.

Kaum erscheint mein Kopf, als die Knallerei auch schon von neuem beginnt ...

Meine Feuertaufe ...

Wie die Bienchen summen die Kugeln ...

Ein leichter Schlag gegen die Stirn ...

Ein rasch wieder schwindelndes Ohnmachtsgefühl ... Ich sinke wieder mit vollgepumpten Lungen in die Tiefe ...

Die Dunkelheit nimmt mich dann schützend auf. Es regnet stärker. Boote mit Laternen beleben den Hafen. Die Verfolger sind hinter mir her. Warm rieselt es mir von der linken Schläfe herab. Der Streifschuß kann doch nicht so ganz harmlos sein. Meine Kräfte schwinden. Ich muß Pausen machen. Und das schlimmste: ich habe die Richtung verloren! Ich bin fraglos längst an unserem Kutter vorüber ...

Gevatter Tod streckt wieder einmal seine Knochenhände nach mir aus. Um Hilfe rufen?? Eins der Boote herbeilocken?? Und dann? Soll ich verraten, daß ich Gerdas wegen zum Fünfmaster schwamm ...??

Wo ist der Kutter??

Alles Umherspähen nützt nichts ... Die Regenschleier haben alles verschluckt ... Und der Regen ist jetzt eisig – zum Glück ...

Die Luft hat sich abgekühlt. Temperaturstürze von zwanzig Grad sind in dieser schönen Gegend nichts Seltenes.

Ich sehe jetzt nur noch Regen ... Regen ...

Werde matter und matter ... Sollte diese Feuertaufe meine erste und letzte bleiben??

Ersaufen – – wie ein angeschweißter Hund??

Ich biß die Zähne zusammen ...

Zum Teufel, bin ich nicht Olaf Karl Abelsen, der bei den Streiktumulten am Jungfrautunnel hundert besoffene Italiener mit einem uralten Revolver auseinandertrieb??

Zähne zusammengebissen!!

Oho – noch ist's nicht so weit, Gevatter Knochenmann! Noch haben wir keine Muskelkrämpfe ...

Aus der Finsternis vor mir löst sich ein schnell dahingleitender schmaler Kahn ... drei Gestalten darin ...

Ich will ausweichen ...

Will ...

Der Schlag der Bootsspitze gegen den Schädel gibt mir den Rest ... Ich rufe, schlucke Wasser ... Man packt mich, reißt mich empor ... im letzten Moment. Ich sinke auf dem Boden des Kahnes zusammen ... Ein dunkles Gesicht ist vor dem meinen ... Das eines Indianers ...

Mit letzter Kraft englisch gelallt:

»Bringt mich zum Kutter Torstensen – hohe Belohnung!« – und die Sinne schwinden mir für kurze Zeit.

Ich erwache, liege auf meinem Bett ... Jörnsen verbindet mir die Wunde. Boche Boche steht dabei ...

»Du mußt dich schlafend stellen«, befiehlt der Alte. »Decke dich bis oben zu ... Die Soldaten werden sofort hier sein ...«

Und er zieht mir einen Ölhut über den Kopf ...

»Boche Boche – über Bord mit der nassen Hose! Schnell!! Dann hier die Nässe aufwischen, schnell!«

Nun – die Pickelhauben ziehen bald wieder ab. Der schwedische Kutter erscheint ihnen harmlos. Ich habe geschnarcht, daß ein Tierstimmenimitator mich um die Leistung beneidet hätte!

Der Kamerad meldet, daß die Luft wieder rein.

»Wo warst du, Olaf?« fügte er mißtrauisch hinzu.

»Gebadet habe ich ... Wollte dann sehen, weshalb der Fünfmaster so hell erleuchtet war. – Waren es wirklich Rothäute, die mich an Bord brachten?«

»Ja, Olaf ... drei. Sie hatten so allerhand mit Jörnsen zu flüstern. Sie waren auf dem Wege hier zum Kutter, als sie dich auffischten. Der Alte war wütend, weil ich merkte, daß er mit den drei Kerlen Palaver abhielt. Ich wette, wir sind nur deshalb hier eingelaufen, weil Jörnsen mit den Indianern sich treffen wollte. Mir macht er nichts vor.«

Er lehnte am Tischchen, und seine grauen Augen tasteten mein Gesicht ab ...

»Also ein Bad ... so, so ...! Ein Bad, Olaf. Sag' mal, wie bist du mit einem Male zu dem Bilde unter deinem Kopfkissen gekommen. Als ich dich auf dein Bett legte, entdeckte ich es ... Bisher hattest du kein solches Bild im Bernsteinrahmen«.

Er hätte ahnen sollen, daß mir das andere Bild in Jörnsens Kajüte weit wichtiger war!

»Bücke dich ...« Ich flüsterte ... »Es ist ein Jugendbildnis von mir, Kamerad. Nur dir vertraue ich's an: es war heimlicher Besuch an Bord ...«

Ich erzählte ...

»... Ja, Kamerad – auch der Name meiner Retterin fiel mir plötzlich ein – meiner Jugendgespielin ... Dir bedeutet er nichts, mir die einzigen frohen Stunden meiner Vergangenheit – Gerda Arnstör war ...«

Seine vornübergeneigte Gestalt schnellte hoch. Ein heiserer Schrei kam über seine Lippen ...

Sein Gesicht war grauenerregend verzerrt. Dann sank er nach vorn – sank ohnmächtig über mein Bett. Sein Kopf schlug auf meine Brust. Im Nu war ich auf den Beinen, flößte ihm Kaffee ein, rieb seine Schläfen. Nichts half. Da lief ich nach achtern, pochte an das Oberlichtfenster ...

»Käpten, Boche Boche ist umgekippt!« rief ich. »Bitte – – Rum!!«

Der Alte erschien sofort, begleitete mich ...

Wir mühten uns um den Bewußtlosen.

»Wie ist das gekommen?« fragte der Alte und goß Boche Boche einen Löffel Rum in den Mund.

»Ohne jede äußere Ursache ... Viel los ist mit dem armen Kerl überhaupt nicht ... Ein Kopfschuß bleibt ein Denkzettel fürs Leben ... Ich berichtete ihm von meiner Schwimmtour zum Fünfmaster, dessen Lichter mich lockten – – Neugier! Und mit einem Male klappte er um!«

Boche Boche regte sich. Wenige Minuten später war er wieder bei Kräften, bat um eine Zigarre, bedankte sich bei uns und meinte achselzuckend:

»Das ist mir schon häufiger passiert ... Man gewöhnt sich daran ... Die Hitze vorhin mag schuld daran gewesen sein ...«

Jörnsen packte am Tische die kleine Schiffsapotheke wieder zusammen. Sein Gesicht hatte bereits von neuem denselben ablehnend-verschlossenen Ausdruck angenommen, den wir nun bereits zur Genüge an ihm kannten. Es wurde mir daher auch nicht ganz leicht, hier nun die günstige Gelegenheit zu benutzen und ihm vorzuschlagen, Boche Boche und mich weiter auf dem Torstensen zu behalten.

»Käpten«, begann ich ohne jede Einleitung, »ich habe mir's überlegt ... – Ich – und wohl auch mein Kamerad – wären bereit, weiterhin an Bord zu bleiben, wenn Sie das Geschehene vergessen wollen und wenn wir dagegen versprechen würden, den seinerzeit vereinbarten Vertrag genau zu befolgen«.

Boche Boche warf mir einen erstaunten Blick zu. Der Alte aber, dem es nicht entgangen war, daß ich das doch eigentlich recht unpassende bisherige »Du« in das formellere, höflichere »Sie« verwandelt hatte, klappte die kofferähnliche Apothekentasche geräuschvoll zu, faßte in die Jacke und holte den Büttenpapierzettel hervor, den ich damals in dem verwitterten Schmöker gefunden hatte. Mit Betonung einzelner Stellen las er vor:

»Da ich Leute von Energie, Mut und rücksichtslosem Draufgängertum brauche, könnten Sie mich gegen entsprechende Bezahlung auf dem Kutter längere Zeit begleiten. Mein Vorhaben wird Sie in keiner Weise mit den Gesetzen in Konflikt bringen. Anderseits ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß Sie gezwungen sind, für meine Interessen Ihr Leben in die Schanze zu schlagen. Ich habe mit Gegnern zu rechnen, die sich außerhalb von Gesetz und Recht gestellt haben, und im Falle eines Zusammenstoßes mit diesen Leuten müßte ich darauf rechnen können, daß Sie mir auch in diesem Punkte unbedingt gehorchen. Einzelheiten unseres Abkommens bleiben einer mündlichen Festlegung vorbehalten.«

Nun, uns war der Inhalt dieses Blattes noch durchaus geläufig, und Boche Boche meinte daher auch nur nebenbei:

»Wissen wir alles Käpten ... Wissen auch, daß wir nichts fragen dürfen, daß jeder nachher fünfzigtausend Kronen erhalten soll, und daß es nicht um Goldgräberei geht – falls du, was den letzten Punkt betrifft, nicht geschwindelt hast. – Entschuldige die Offenheit.«

»Es geht nicht um Goldgräberei ...« erklärte Jörnsen sehr ernst, indem er das Wort an mich richtete. »Du hast mich soeben mit ›Sie‹ angeredet, Abelsen. Wir wollen bei dem bisherigen ›Du‹ bleiben. Wir haben uns daran gewöhnt, und ob ›Sie‹ oder ›Du‹ – wir wissen, was wir voneinander zu halten haben ...«

»Und ob!« murmelte Boche Boche.

Jörnsen zog sich einen Schemel an den Tisch und nahm seinen Füllfederhalter zur Hand.

»Ihr könnt bleiben ... Es wäre mir sogar lieb, wenn ihr bliebet ... Ihr gefallt mir. Ich werde jedem von euch sofort fünfundzwanzigtausend Kronen auszahlen. Ihr quittiert darüber auf dem Vertrag hier, den ihr dann gleichzeitig unterschrieben habt. Nur eins noch: spioniert ihr mir irgendwie nach oder unternehmt ihr irgend etwas ohne meine Einwilligung, so seid ihr sofort entlassen, ganz gleich, wo wir uns gerade befinden – – sofort entlassen!« Sein Blick traf mich ... »Deine Schwimmtour, Abelsen, hätte mir böse Scherereien bereiten können ... Derartiges hat zu unterbleiben.«

Boche Boche lachte halblaut ...

»Na, deine drei indianischen Vertrauten sind ja noch rechtzeitig wieder verduftet, Käpten ... Araukaner waren's, Käpten ... Habe hier in der Nähe ein halbes Jahr auf einer Schaffarm gearbeitet ... Kenne die Brüder ... Sind unruhige Untertanen für Chile und Argentinien ...«

Jörnsen hörte scheinbar gar nicht hin ...

»Wollt ihr also unterschreiben?«

»Ja«, erwiderte ich ohne Zögern.

»Langsam ...!« meinte Boche Boche dagegen. »Sag' mal, Jörnsen, um mit dir als Mensch und nicht als Kapitän zu sprechen – würdest du einen solchen Vertrag unterzeichnen, wenn du, wie wir, nun bereits wochenlang hier mit ansehen müßtest, daß die Rätsel, die deine Person umgeben, immer unlösbarer werden?«

Der Alte schraubte den Füllfederhalter auf, und dabei bewunderte ich abermals seine Hände. Gleichmütig entgegnete er:

»Entweder schätzt ihr mich als Verbrecher oder als anständigen Menschen ein ... Im ersteren Falle würde ich nicht unterzeichnen, im zweiten Falle ohne jedes Bedenken.«

»Du bist schwer zu fassen, Käpten ... Her mit der Feder ... Nur – das Geld bewahre für uns noch auf ... Was sollen wir damit ... Bei dir ist es sicherer ...«

So sprach Boche Boche.

Und so blieb's ...

Wir blieben!

Jörnsen gab uns die Hand.

»Ihr werdet's nie bereuen! Gute Nacht! Und du, Boche Boche, laß meine Frau in Ruhe ... Wenn sie auch nicht gerade viel auf ihr Äußeres gibt: sie steht ihren Mann, wenn ich mich so ausdrücken darf. Das wißt ihr beide ... Ihr habt auch eure Fehler ... Jeder hat sie ... Gute Nacht ...«

Eine ungewöhnliche Weichheit, fast Zärtlichkeit, klang durch die letzten Sätze ...

Schweren Schrittes stampfte er die Treppe nach oben.

Wir waren allein ...

Mein Kamerad hockte auf dem Rand seines Bettes ... Als des Alten Schritte oben an Deck verklungen waren, flüsterte Boche Boche in seltsam müdem Ton:

»Gott sei Dank ...! Nun brauche ich nicht länger zu heucheln ...« Er schaute mich an ... In seinen grauen Augen war wieder derselbe Ausdruck verzweifelter Schwermut wie so oft, wenn er mit den finsteren Gewalten kämpfte, die sein Hirn in Fesseln hielten. »Olaf, Olaf ..., weißt du, weshalb ich vorhin wie ein hysterisches Weib umsank? Olaf – ich habe ja gelogen ... Noch nie ist's mir passiert ... Aber der Name, den du aussprachst, der Name deiner Jugendgespielin – – der warf mich um ... Erinnere dich an den Gesang und das Gitarrespiel. Damals sagte ich dir, daß in meinem kranken Hirn ein Bild aufblitzte und rasch wieder erlosch ... Olaf – – so war's wieder, als der Name über deine Lippen kam ... Der traf mich wie ein Hieb ... Rote Glut sprühte mir vor den Augen ... Es schien, als wollte der Riegel der Tür des Vergessenen zurückspringen ... Aber – dann kam die Nacht der Bewußtlosigkeit!« Er schrie das letzte ... bohrte die Fäuste in die Augenhöhlen ... »Olaf – – und jetzt ... jetzt ... weiß ich den Namen nicht mehr. Nein – – er ist wieder weggewischt ... Olaf – der Name – – der!! Ich kannte ihn ... Ich muß deine Jugendgespielin kennen ... – Mein Gott, was leide ich!«

Ich setzte mich neben ihn ... legte ihm den Arm um die Schultern ...

»Soll ich dir den Namen nochmals nennen?«

Er fuhr hoch ...

»Nein – – nein!! Nur das nicht! Nur nicht diese trügerischen Erwartungen immer aufs neue durchmachen, daß das Einst in mir wieder aufleben könnte. Nur nicht diese höhnischen Winke eines erbarmungslosen Geschickes, als ob es je mit mir besser werden würde ...!«

Ich fühlte, wie er zitterte. Ich hatte ihn wieder auf den Bettrand zurückgezwungen.

Wollte ein tröstendes Wort anbringen ...

Eine leise Erschütterung ging durch den Kutter. Ein Stoß ... Als ob ein Boot angelegt hätte.

Mein Kamerad war im Augenblick wieder Mann ... Sein Gesicht spannte sich ... Wir lauschten ...

»Es kann vielleicht ein Militärboot sein«, raunte er mir zu ... »Lege dich nieder – schnell! Hier ist die Ölkappe ... Rasch ... Es ist ein Boot ...«

Ich war schon auf meinem Bett ...

Boche Boche schraubte die Lampe kleiner ...

Dann vom Heck her ein merkwürdiger Laut.

Huschende Füße über uns ...

Auf der engen Treppe drei ... vier Gestalten ...

Matrosen ... Neger ...

Eine Menschenwelle quoll herein ...

Ein riesiger Schwarzer im blauen Heizeranzug holte mit einer dicken Eisenstange aus ... Boche Boche wich zurück ... Seine Faust traf die Lampe ...

Finsternis ...

Und da – – eine Hand auf meinem Gesicht. Eine weiche Stimme ... dicht an meinem Ohr ...

»Kommen Sie – –«

Das weitere verstand ich nicht ...

Dieselbe Hand zerrte mich näher an die Wand, an der mein Bett stand. In den starken Brettern war ein längliches, niederes Loch – eine Tür – nie geahnt bisher – eine Klappe ...

Die Hand ließ mich nicht los ...

Die Angreifer fluchten im Finstern ... Ein Zündholz flammte auf ...

Sollte ich Boche Boche im Stiche lassen??

Die weiche Stimme wieder: Gerda! ...

»Wollen Sie alles verderben, Olaf ...?? Es sind die Meuterer vom Fünfmaster ... Schnell!«

Ich rutschte durch die Öffnung hindurch ...

Holz knirschte ... Die Tür war wieder zugedrückt worden ...

Die kühle, schmale Hand geleitete mich weiter – aus der engen Segelkammer in den Vorratsraum der Kombüse – im Dunkeln ...

Dann hinein in ein Gelaß, durch einen ganz engen Eingang – im Dunkeln ...

Holz knirschte ... Metall klappte: Riegel ...

Ich stand dicht neben Gerda Arnstör ... Ihr Atem schlug mir ins Gesicht ...

»Sie werden uns hier nicht finden ... – Da – – die Anker gehen hoch ... Der Motor springt an ... Es sind die Meuterer, Olaf ...«

Ich horchte ... schämte mich ...

»Gerda, ich habe Boche Boche diesen Schuften überlassen ...«

»Sollten wir alle sterben?? Vielleicht töten sie ihn nicht ...«

Mit einem Male lehnte sie an meiner Brust. Ihre Nerven versagten ...

»Es ... war ... entsetzlich, Olaf ...« – und ihr Schluchzen ging in ein leises Weinen über.

Im Dunkeln ...

Sie – an meiner Brust ...

Gerda Arnstör ...

Mein Arm stützte sie ...

Im Dunkeln ...

Wie ein Liebespaar standen wir ...

»Was war entsetzlich, Gerda?«

Der Kutter schwankte ...

Sie antwortete nicht ...

Der Motor raste ...

Der Kutter bebte ... Wasser klatschte gegen die Bordwände ...

Von oben das Kreischen des laufenden Tauwerks ... Die Kerle setzten Segel ...

»Was war entsetzlich, Gerda?«

Wieder keine Antwort ... Nur ein leises Weinen ... Wimmern ...

Dann ein schwaches: »Fragen Sie nichts, Olaf. Fragen Sie nichts ... Ich bitte Sie ... Ich werde sprechen, wenn es Zeit ist ...«

Nichts fragen!!

Genau wie Jörnsen ... Und Gerda Arnstör war hier doch Gegenpartei!

Wie kam sie wieder auf den Kutter??

Über uns das Trampeln zahlreicher Füße ...

Der Kutter lag schräg. Wir mußten bereits auf offener See sein, wo die Sandberge von Punta Garras den Wind nicht mehr abfingen ...

Auf Deck wurde es immer lebhafter. Jetzt brauchten die Meuterer, die sich des Torstensen so überraschend bemächtigt hatten, ihre Stimmen nicht mehr zu dämpfen ... Die Regenfinsternis machte jede Verfolgung unmöglich ... Zumal unser Kutter kaum einzuholen war.

Der Lärm von wilden Stimmen, gebrüllten Zurufen ließ Gerda leicht erbeben ...

Dann stürmte ein Teil der farbigen Piraten nebenan in die Kombüse, in den Vorratsraum ... Flaschen klirrten ... Gejohle ...

Unsere Rumvorräte! Wenn die Horde sich nur bis zur Bewußtlosigkeit besaufen wollte!!

»Olaf ...!«

»Gerda?«

»Du hast also das Bild erkannt?«

Du – – du ... – wie einst, als sie mir die wenigen, glücklichen Stunden meiner Kindheit schenkte ...

»Ja, Gerda, und das Bild verriet mir, wer mich im Auto nach Trelleborg gebracht hatte: du!« Ich drückte sie sanft an mich ... »Ich danke dir, Gerda ...«

Nebenan knallten Pfropfen ... johlten die Schwarzen, feierten Sieg, Freiheit ...


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