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II.

Chaussee nördlich von Trelleborg.

Es regnet noch immer. In der Strohhütte einiger Steinschläger, die ihre Arbeit noch nicht begonnen hatten, schaute ich in den Spiegel hinein, den ich aus der Chauffeurstube gleichfalls entliehen hatte. Ein Rasierspiegel zeigte mir so ein graues, mageres Gesicht mit dunklem Haar, und eine Mund- und Kinnpartie, die der Herr Staatsanwalt vor acht Monaten zum Gegenstand besonderer Bemerkungen gemacht hatte: brutal, selbstbewußt, fast roh in der Linienführung, auf Jähzorn hindeutend – und so weiter!

Der Mann hatte nicht so ganz unrecht gehabt. Nur eins stimmte nicht. Von Jähzorn hatte ich bei mir nie etwas gespürt. Lächerlich – ich, der schon als Schüler die Kunst der Selbstbeherrschung mit allen Kniffen modernster Seelenforschung geübt hatte!

Die Schminkstifte unauffällig zu benutzen war nicht ganz so einfach für einen Laien auf dem Gebiete der Gesichtsveränderung. Nach mehreren mißglückten Versuchen war ich mit dem rotwangigen Gesicht Olaf Karl Abelsens – nein doch, des Chauffeurs Gunnar Aalfström zufrieden. Ich hatte auch Aalfströms Paß an mich genommen, ohne den ich niemals den Dampfer nach Travemünde hätte betreten können, da jetzt so kurz nach dem Ende des großen Völkermordens die Grenzkontrolle noch sehr scharf gehandhabt wurde.

Ich wanderte dem Hafen zu.

Trelleborg ist ein elendes, reizloses Nest, und wer von den eindrucksvollen Gestaden Bornholms oder anderer Inseln zum erstenmal nach Trelleborg kommt, muß unsagbar enttäuscht sein.

Ich wußte, daß der Dampfer um sieben Uhr Trelleborg verläßt. Ich hatte gerade noch Zeit, mir eine Fahrkarte zu lösen. Gerda hatte mir in das Päckchen auch fünfhundert Kronen hineingelegt, dazu noch – mir sehr wertvoll – eine Miniaturpistole, wie die Stockholmer Waffenfabrik sie vor einigen Jahren mit Patronenrahmen zu sieben Stück auf den Markt gebracht hat.

Die Paßkontrolle ging ohne Weiterungen vonstatten, desgleichen die Zollkontrolle. Mein kleiner Koffer enthielt nur die allerbescheidensten und allernotwendigsten Reiseutensilien. Die Schminkstifte hatte ich weggeworfen.

So betrat ich denn den Rauchsalon der eleganten ›Drottning Viktoria‹, setzte mich in einen Klubsessel und bestellte beim Steward Frühstück.

Die Schiffsglocke am Kai begann zu läuten.

Ich atmete doch ein wenig erleichtert auf. Gleich mußte der große Dampfer die Liegestelle verlassen.

Die Schiffsglocke hörte plötzlich mit ihrem Gebimmel auf.

Die Maschinen, die bereits in Gang gewesen, stockten wieder, und das dumpfe Dröhnen, das sie hier zum Oberdeck emporgeschickt hatten, verstummte.

Ich nahm den ersten Schluck Kaffee und den ersten Happen des noch bäckerwarmen Brötchens, dann schob ich die kleine Pistole in den rechten Ärmel – entsichert.

Lebend fing mich niemand.

Und aß weiter, nur die Linke benutzend.

Außer mir befanden sich nur noch zwei Herren im Rauchsalon, ein fetter Handelsbeflissener und ein schlanker Mann mit bartlosem Gesicht, der nach mir hereingekommen war und mir nun den Rücken zukehrte und Zeitung las.

Was ich vermutet, geschah.

Drei Herren in Zivil betraten den Salon und näherten sich mir. Mein Herz tat zehn raschere Schläge, beruhigte sich wieder. Mein Haar wurde durch die tief herabgezogene Reisemütze verdeckt, und mein rotes, gesundes Gesicht und die Schatten um den Mund hatten von dem Aussehen eines vor fünf Stunden aus dem Staatshotel urplötzlich verschwundenen Gastes mit der Nummer 311 wenig übrig gelassen.

Polizeibeamte! – Fragten nach meinem Paß ...

»Bitte!«

War in Ordnung.

Ich kaute und nahm wieder einen Schluck Kaffee. Sechs Augen musterten mich, ließen sich täuschen.

Die drei wandten sich dem Zeitungsleser zu. Der erschien mir sichtlich nervös, und als ich nun sein Profil gegen die dunkle Wandtäfelung als klare Silhouette sah, kam er mir merkwürdig bekannt vor. Nun, ich kenne viele Herren in Schweden, die mich nicht mehr kennen wollen.

Und ich frühstückte weiter.

Die drei zogen ab, und sehr bald bimmelte die Kaiglocke von neuem. Die ›Drottning Viktoria‹ – jeder Schwede ist mit Recht stolz auf sie – dampfte in die stark bewegte Ostsee hinaus.

Der zweite Punkt meines Programms war erledigt. Wenn der dritte, die Landung in Travemünde, ebenso tadellos klappte, war ich nach fünf Stunden in Sicherheit.

Der Steward brachte mir Zeitungen. Ich nahm ein amerikanisches Blatt und orientierte mich über die Weltgeschichte, denn das Hotel ›Düsterburg‹ hatte in dieser Beziehung miserabel für seine Stammgäste gesorgt.

Der Krieg war aus.

Das Schicksal Deutschlands beschäftigte die Herren Politiker. Ich habe für Politik nie etwas übrig gehabt.

Ich blätterte weiter.

Der Dampfer schaukelte sanft, und die eintönige Musik des Regens, der gegen die Fenster des Salons klatschte, ließ mich in den tiefen, weichen Klubsessel einschlafen. Als ich erwachte, war der Salon leer. Draußen schien die Sonne, und die Fahrgäste wanderten auf und ab. Der Steward räumte den Tisch leer, ich bezahlte, bestellte noch Zigaretten und begab mich gleichfalls auf das Promenadendeck hinaus, ging bis zum Bug und beobachtete die Leute des Minenauslugs, denn es sollten sich noch zahllose, vom Sturm losgerissene Minen in der Ostsee umhertreiben, hatte mir der Steward vertraulich mitgeteilt.

Ich stand an der Reling halb hinter einem der Rettungsboote und sah nun von Westen her, aus dem berüchtigten Regenloch, eine pechschwarze Wolke heransegeln. Die Sonne verschwand, die ersten Tropfen fielen, und das Deck leerte sich schnell.

Es goß.

Ich hatte den Mantelkragen hochgeklappt. Das Rauschen des Regens erquickte mich. Auch der Wind blies schärfer. Es wurde sehr dunkel, und die ›Drottning Viktoria‹ fuhr langsamer, ließ ihre Scheinwerfer spielen, um die gefürchteten Riesentöpfe aus Eisen rechtzeitig sichten zu können.

Das Schiff, von den Wogen breitseits getroffen, rollte jetzt ziemlich schwer, da der Kapitän aus Vorsicht die Geschwindigkeit noch weiter mäßigte und die Kraft der Schrauben gegenüber den anrollenden Wasserbergen keinen genügenden Ausgleich mehr schaffte. Die Wellenkämme schickten ihren Gischt nur zu oft bis auf das Promenadendeck empor, und Regentropfen und das salzige Naß der Ostsee suchten mit keckem Übermut mein geschminktes Gesicht zu treffen, was für mich doch unangenehme Folgen hätte haben können, denn verlaufene Schminke würde wohl nur zu bald Argwohn erregt haben.

Ich zog die Mütze noch tiefer, knöpfte den Mantelkragen zu und schritt breitbeinig, dem Unwetter den Rücken kehrend, davon, und – schwenkte plötzlich nach rechts ab.

Wie wenig ich, der wegen Totschlags zu zwei Jahren Zuchthaus Verurteilte, doch die Kniffe der Polizei kannte!

Ich armseliger Tor hatte mir eingebildet, daß die drei Polizeibeamten in Zivil die ›Drottning Viktoria‹ noch im Trelleborger Hafen verlassen hätten! Und eben hatte ich zwei von ihnen oben auf der Brücke neben dem Kapitän im Lichtkreis der Strahlenflut eines Scheinwerfers erkannt, und den dritten rechts von mir an der Reling, mich mit eindeutiger Schärfe beäugend.

Wieder hatte da mein im Hotel ›Düsterburg‹ doch ein wenig nervös gewordenes Herz, das einst selbst bei den waghalsigsten Kletterpartien in den Felsschluchten der Jungfrau nie versagt hatte, zu hüpfen begonnen.

Ein wahres Glück, daß ich die ›Drottning Viktoria‹ in all ihren Teilen so genau kannte.

Wäre es nicht der Fall gewesen, hätte der Mann an der Reling, der mir tatsächlich nun folgte und mir so den Beweis lieferte, daß ich mich einem völlig verfehlten Sicherheitsgefühl hingegeben hatte, die kleine Pistole mir wieder in die Hand gezwungen, und die drei Herren, die schließlich nur ihre Pflicht taten, wären von Travemünde lediglich mit der Totennummer 311 nach Schweden zurückgekehrt.

Nach wenigen Minuten hatte ich den Verfolger abgeschüttelt und stand in einem matt erleuchteten Raume, der zwischen den tieferen Decks der ›Drottning Viktoria‹ lag. Ölgeruch und rauchige Luft, an den Wänden Tische mit allerlei Werkzeugen und am Heck und Bug zwei gewaltige eiserne Flügeltüren, nun verschlossen und doch unschwer zu öffnen.

Ein anhaltendes Klirren von Eisenteilen und Poltern und Stoßen und Vibrieren verschiedenartigster Töne erfüllt den Raum, unter dem die Kessel stöhnen und fauchen und die Schraubenwellen kreisen.

Wieder ein Blick in die Runde.

Ich bin hier am Heck allein. Und ich will nicht sterben. In meinen Jahren klammert man sich an das Leben, besonders wenn man noch eine Aufgabe zu erfüllen hat wie ich.

Zwei Jahre Zuchthaus!! Sollte ich das auf mir sitzen lassen?? Niemals! Totschläger, wo nur die Aussage eines jämmerlichen Weibes mir den Schutz des Notwehrparagraphen geraubt hatte?? Niemals!!

Noch ein Blick in die Runde.

Dann klappte ich den Deckel des Holzkastens empor. Daß der Kasten Korkwesten enthielt, wußte ich. Zwei davon genügten. Und wenn das Wasser der Ostsee nicht gerade allzu unbarmherzig mit mir umging und die nasse Kälte mir den Lebensodem nicht raubte, würde ich schon die Küste Laalands oder Fehmarns erreichen.

Dicht vor der Flügeltür war es noch dunkler. Jetzt erst sah ich, daß der eine Torflügel eine kleine Pforte besaß. Ein schwerer Klappriegel verschloß sie. Als ich sie geöffnet hatte, brodelten und schäumten gerade unter mir die von den Schrauben gepeitschten Wasser.

Ich mußte einen Anlauf nehmen, mußte durch weiten Sprung aus dem Bereich der saugenden Kraft der Schrauben heraus. Aber durch das Schlingern des Schiffes schlug die Pforte krachend wieder zu, und in wilder Hast rückte ich eine große Ölkanne vor das rasch wieder geöffnete Eisentürchen, trat ein paar Schritte zurück, duckte mich zusammen und wagte den Sprung, versank in den schäumenden Wogen, tauchte wieder auf, und war den wirbelnden Schrauben glücklich entronnen.

Bange Minuten dann.

Würde die ›Drottning Viktoria‹ wenden, war meine Flucht von Bord bemerkt worden?

Ich sah, daß das Türchen noch immer offen stand.

Niemand erschien in der Türöffnung. Niemand war oben auf dem im Sommer so prächtig mit Blattpflanzen geschmückten Heckausbau sichtbar.

Ich war allein, inmitten der heranstürmenden Wasserberge. Ich war längst bis auf die Haut durchnäßt. Noch fror ich nicht. Noch kreiste das erregte Blut wärmend durch die Adern.

Noch ...


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