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12.

… Ich habe meine Schreibarbeit unterbrochen und bin mit Wrangel draußen in den weißen Bergen gewesen, ganz hoch auf den nordöstlichen Abhängen, von wo aus man das Meer sieht, das Rote Meer, – links kann man mit dem Glase auch die Dämme und Bauten des Suezkanals erkennen.

Gupa sitzt neben mir auf dem länglichen Stein, er wohnt hier in einer der zahllosen Höhlen, das Kloster meidet er, aber wir sehen uns jeden Tag, und jeden Tag bittet er mich, wir sollten doch diese Felswildnis verlassen und zurückkehren in seine Heimat.

Gupa ist mir das geworden, was mir einst Coy Cala war, – nicht ganz … Aber dieser hünenhafte Mongole, der doppelt und dreifach sein Leben für mich wagte, ist mir doch Freund und lebendige Erinnerung an einen fernen Traum.

Gupa gleicht in vielem Wassili Gowin – äußerlich. Vielleicht ist er noch stolzer und hochmütiger. Er hat nichts von der kriecherischen Höflichkeit vieler Asiaten an sich, er spricht von seiner wilden Vergangenheit wie von den selbstverständlichsten Dingen, und wenn ihm auch Gowins überragende Intelligenz fehlt, so ist er in vielem wieder praktischer, urwüchsiger und besitzt nicht jenen anmaßenden Mut, mit dem Wassili damals verachtungsvoll in die Gewehrmündungen starrte.

Gupa und ich sprechen gern über jene Tage, als wir auf einsamen Karawanenpfaden durch die Nordostecke der Wüte Gobi zogen. Vieles, was mir entfallen, frischt Gupa wieder auf. Einzelheiten schälen sich so aus dem wirren Ganzen eines heißblütigen Erlebens heraus. Gupa nahm das alles gelassen hin. Seine Nerven versagten nie.

»… Sie hat ihn nicht mehr geliebt, Olaf«, meint er außerhalb jeglichen Zusammenhangs und stopft seine Pfeife aus dem fettigen Lederbeutel. »Es hätte dich ein Wort gekostet, und sie wäre dein geblieben …«

»Schweig doch …!«

Er lacht sehr hart. »Schreibst du noch immer von ihr und über sie und reißt dein Herz dabei auf?! Ihr Europäer seid Frauen gegenüber zu schwach.«

Er blickt mich von der Seite an, und mein Gesichtsausdruck zwingt ihn zu einem warmen »Verzeih, – reden wir von anderen Dingen …«

Dann gehe ich wieder mit Wrangel zurück zu meiner Klosterzelle, an der äußeren Mauer lächelt mir der Bruder Türhüter zu und im Garten reicht mir ein anderer eine Handvoll Rosinen … –

Ich bin allein in dem stillen winzigen Gemach und überlese die letzten Seiten.

Wera hatte alles gehört, und Steenpool hatte sich erhoben und war zu ihr hingegangen. Sie schaute an ihm vorüber ins Leere, sie hörte wohl kaum seine gutgemeinten Worte.

»… Fürstin, von feigem Mord oder dergleichen kann hier keine Rede sein … Und – mit aller Sicherheit kann ich auch nicht behaupten, daß damals im Dorfe Zubanowo Ihr Gatte in der Nähe war, als Sie mit Mr. Bix die Auseinandersetzung am Flusse hatten und er so niederträchtig gemein zu Ihnen wurde …«

Wera machte nur eine müde Handbewegung.

»Es ist gut … Es ist alles ja so gleichgültig … Wenn er nicht gemordet hätte, weshalb floh er vor mir?!«

Und da gerade kam Gupa in die Kajüte gestürzt.

»Zwei Motorboote!« keuchte er … »Hinter uns … Flußpiraten …!«

Mit einem Schlage war Fürst Zubanoff vergessen.

Aber Gupas Augen hingen an Steenpool wie an einem giftigen Gewürm.

»Wo kommt der her?!« Seine Fratze war bedrohlich. Erst jetzt lernte ich Gupa, den Mongolen, richtig kennen. Daß er, bisher Maschinist auf den Ölfeldern, geistig weit über Tschanli stand, hatte ich schon gemerkt. Nun zeigte er sein wahres Antlitz, und das sprühte vor verächtlichem Haß gegen den englischen Beamten.

Ich mußte vermitteln. »Mr. Steenpool haben wir nicht weiter zu fürchten, Gupa«, sagte ich scharf. »Er ist mein Gast hier an Bord. – Wie steht's mit den Booten draußen?«

Der Riese mit den kleinen harten Augen und der klobigen Stirn ward sofort wieder bescheiden. »Dann ist alles in Ordnung, Mr. Abelsen …« Er sprach ein recht flüssiges Englisch, wenn auch untermischt mit allerlei internationalen Hafenausdrücken.

Ich eilte an Deck. Wir fuhren in dünnem Nebel dahin, von dem Ufer war nichts zu sehen, nur hinter uns leuchteten drei matte helle Punkte und je zwei rötliche Flecke.

Gupa zog mich an die Reling.

»Ich weiß hier Bescheid … Nicht nur die Flüsse in China haben ihre Räuber, Mr. Abelsen … Der Amur ist gerade hier an der Mündung die Zuflucht von armen Leuten. Jeder will leben.«

Seine geheime Sympathie für diese »armen Leute« war ziemlich eindeutig.

»Es können auch Zollbeamte sein«, meinte ich etwas vorschnell.

»Die führen beiderseits Positionslaternen, rot und grün … – Sie sind einer von uns, Mr. Abelsen … Geben Sie das Zeichen … Vielleicht hilft es. Die Leute sind schneller als unser Schoner, und die armen Leute lassen hier niemals einen am Leben, wenn sie Beute machen.«

Zeichen?! – Das war eine neue Seite des Wang-Bundes, der also auch mit den Flußpiraten in Verbindung stand. – Ich durfte es Gupa nicht merken lassen, daß ich nichts von diesem »Zeichen« wußte.

»Tu du es, Gupa … Ich habe mit der Fürstin zu reden.«

Ich blickte ihn dabei gleichgültig an. Eine der Decklaternen schien ihm gerade in das gelbbraune Gesicht.

»Du erlaubst es also, Missu?« – und sein Flüstern und seine Anrede verrieten eine Vertraulichkeit, die mich erschreckte.

»Ja …«

Ich schritt gemächlich der nur angelehnten Kajütentür wieder zu. Steenpool lugte durch den Spalt.

»Wie steht's?!«

Ich trat ein, drückte die Tür zu und sah Wera auf einem Klappstuhl zusammengesunken sitzen und vor sich hinstarren. Sie hob den Kopf.

»Wir haben doch Waffen«, sagte sie nur, und ihr schöner Mund zuckte leicht. »Als Chedee und ich nach Sachalin fuhren, erzählte er mir viel von den ›armen Leuten‹ – den Seeräubern … Es ist das kein Märchen, Olaf. Chedee aber kannte ein Signal, das …«

»Und wie war das Signal?« fragte ich schnell.

»Drei lange, drei kurze Lichtblitze einer Laterne …«

Ich rannte wieder an Deck, wo ich Gupa, Tschanli und die beiden anderen Chinesen am Heck versammelt fand. Mein Erscheinen störte ihre hastige Beratung. Ich ahnte, was sie besprochen hatten. Gupa war mißtrauisch geworden, er glaubte nicht mehr recht an meine Eigenschaft als Tschu-Wang, mein Eintreten für Steenpool mochte ihn schon stutzig gemacht haben, und meine offenbare Unkenntnis des »Signals« hatte den Ausschlag gegeben. Es war höchste Zeit, meine bereits halb verlorene Würde als Tschu-Wang zurückzugewinnen.

»Weshalb gibst du nicht das Zeichen, Gupa?« fragte ich energisch. – Die beiden Motorboote waren kaum mehr zwanzig Meter hinter uns. Es mußten ganz alte Motoren sein, denn sie knatterten und knallten wie Maschinengewehre.

Ohne Gupas Antwort abzuwarten, bückte ich mich und hob die Karbidlaterne hoch, die den Kompaß unter einer Haube beleuchtet hatte.

Ich hielt sie empor, deckte meine Mütze über das Glas, zog die Mütze wieder weg und gab dann die sechs Zeichen: Dreimal lang, dreimal kurz, – und stellte die Laterne unter die Haube zurück.

Das vordere Boot erwiderte sofort das Signal, – Gupa murmelte etwas wie eine Entschuldigung, und ich verließ die vier fragwürdigen Kameraden.

Das Geknatter der Motoren verstummte, die beiden Boote verschwanden, und ich war um vieles klüger geworden.

In der Kajüte hatten Steenpool und Wera auf dem kleinen Tisch unsere Schußwaffen bereitgelegt: Meine Repetierbüchse, Steenpools beide Pistolen und Weras Liliputpistole.

»Erledigt …« sagte ich leise. »Sie, Fürstin, haben die Situation gerettet. Gepriesen sei Chedee!« Ich erklärte das Nähere, und Steenpool schmunzelte. Wera blieb gleichgültig, obwohl gerade sie es gewesen, die eine energische Verteidigung vorgeschlagen hatte. Sie nahm ihre Waffe an sich und meinte müde: »Ich möchte allein sein … Gute Nacht.« Die kleine Tür fiel hinter ihr zu, und Steenpool machte ein sehr betroffenes Gesicht.

»Abelsen, es war Pech«, flüsterte er. »Die arme Frau tut mir von Herzen leid … daß sie auch ausgerechnet das hören mußte!« Er setzte sich auf den Bettrand und winkte mich neben sich. »Abelsen, ich bin ein alter schlauer Fuchs … Aber das Verhalten Zubanoffs ist mir ein Rätsel. Daß er den Russen ausgekniffen war, nachdem Bix und Fattmoore ihre Schurkerei so teuflisch durch seine Auslieferung gekrönt hatten, wußte ich längst. Wir sind über die Vorgänge in Rußland sehr gut unterrichtet, und wenn eines Nachts ein Gefängnis von Unbekannten gestürmt wird und Menschenleben dabei so billig wie Sand sind, kann uns das nicht verborgen bleiben. Zubanoff wurde gewaltsam befreit. Er verschwand samt seinen Rettern spurlos, und wer diese Retter waren, – nun, seine Mutter war die Tochter des reichsten Steppenfürsten, das sagt genug. Er ist halber Asiate, und das erklärt ein Drittel, der Rest bleibt dunkel. Er heiratet aus Liebe Ihre Landsmännin, und nachher gibt er ihr keinerlei Lebenszeichen … Das wäre das eine.«

Er hielt mir sein goldenes Etui hin.

»Rauchen wir, Abelsen … Ich bestehe nur noch aus Nikotin, und ich hoffe, daß ich nicht alt werde. Ich kann mir nun einmal Howard Steenpool als klapperigen Greis nicht vorstellen. – Hier ist Feuer … So, – – zurück zu Iwan Zubanoff. Bedenken Sie: Es sind über vier Jahre her, seit er seine Frau, die nicht seine Frau wurde, über sein Schicksal im Ungewissen ließ. Und Wera?! Hochachtung vor ihr, die mit eiserner Energie ihr Ziel verfolgte. Für mich war Bix und Fattmoores Tod nur Vorwand. Der Wang-Bund nagte an Englands asiatischen Mauern. Und England hatte allen Grund, Hongkong zu hüten. Aber von Politik werden Sie wenig verstehen. Politik ist Geschäft, Schacher. Politik soll die Güter der Nation hüten. England ist der Schuldner Amerikas geworden. Der Weltkrieg vernichtete zwar einen Konkurrenten auf dem Weltmarkt, gebar jedoch unter Strömen von Blut einen weit gefährlicheren: Amerika – und das erwachte Nationalgefühl der Asiaten.«

Er wehte den Zigarettenrauch mit der Hand weg. »Abelsen, dieser Doktor Wang-Ho starb für keine blöde Idee, im Gegenteil: Der Tag wird kommen, an dem Japaner, Chinesen, Mongolen, Siamesen, vielleicht auch Inder jeden Europäer massakrieren. Vielleicht erleben wir beide den Tag nicht mehr … Ich weiß, daß auch meine Mission hier nur ein Bremsversuch ist. Ich tue meine Pflicht. – Daß die japanische Regierung, daß die chinesischen Machthaber – sie wechseln täglich – gegen die Wangs ebenfalls vorgehen – kein Wunder! Ein geeintes ostasiatisches Reich fegt natürlich all diese Herrschaften hinweg. Und kein Mensch verzichtet gern auf Macht und Geld. Die Wangs sind weitschauende Idealisten, daher köpft und erschießt man sie, wo man sie irgend bekommen kann. – Fürst Zubanoff ist auch Idealist. Ich sage absichtlich nicht Phantast, und wahrscheinlich hatte Doktor Wang-Ho längst auf ihn als nützliches Mitglied ein Auge geworfen. Möglich, daß Zubanoffs Retter ihn verpflichteten, seiner Frau keinerlei Nachricht zu geben, möglich, daß die Vorschriften des Bundes derart sind, daß es keinerlei Rücksichtnahme auf Familie, Frauen, Kinder geben darf. Das würde ja eine Erklärung für Zubanoffs Verhalten gegenüber seiner Frau sein – vielleicht. Aber …« – er blickte mich fragend an – »würden Sie einem Geheimbunde so weit gehorchen, wenn Sie solch ein Weib besäßen, wenn Sie wüßten, daß Sie nach Ihnen sucht?! Und selbst gesetzt den Fall, Zubanoff tötete Bix und den anderen Betrüger und Verräter, – würden Sie deshalb vor Ihrer Frau fliehen?! – Ich nicht. Es sei denn, die Frau wäre ein Satan, aber Wera ist ein streitbarer Engel.«

Wir schwiegen … Ich hatte nichts zu erwidern. Steenpool hatte in allen Punkten recht.

Er gähnte ungeniert. »Ich bin müde, Abelsen. Ich werde nun vier Stunden schlafen. Das genügt mir. Dann löse ich Sie ab. Einer von uns muß an Deck bleiben. Wegen der Polizei hier auf dem Flusse und wegen der Pässe machen Sie sich keine Sorgen …« Er lächelte verschmitzt. »Ich hatte unten im Kielraum meinen Gepäcksack, und ich habe vielleicht meinen Beruf verfehlt …« Er griff in die Tasche und holte zwei Paßhefte hervor. »Da – alles tadellos … gefälscht … Es fehlen nur noch die Photos, und die sind morgens schnell herzustellen. Sie sehen, Sie sind englischer Untertan, – ein netter Name: Parker Smith, die Fürstin ist Ihre Gattin – Jane Smith … Die Stempel sind glänzend, nicht wahr?! Und die Fürstin wird notgedrungen Jane Smith spielen müssen, wenn sie nicht gerade Sibirien im nordöstlichen Teil kennenlernen will.«

»Sie sind wirklich ein Allerweltskerl, Steenpool!«

Er legte sich schon zum Schlafen zurecht. »Machen Sie das Licht aus, Abelsen … außer den Pässen habe ich noch ein Paket Pfundnoten bei mir, und diese Noten spielt jeder gern … Gute Nacht.«

Ich ging an Deck …

Vorn auf der Ankerwinde saß Wera Zubanoff, jetzt Jane Smith, meine Frau. Ihre Kammer hatte noch eine zweite Tür, und sie hatte sich leise hinausgestohlen und starrte in die dünnen Nebelschwaden, die über dem Amur lagerten …

»Störe ich, Fürstin?«

»Sie stören mich niemals, Olaf …«

Als ich ihr von den Pässen erzählte, sagte sie nur:

»Wir sind ja ohnedies bereits gute Kameraden, Olaf … Glauben Sie, daß wir die Gesuchten in Charbin finden werden?«

»Vielleicht …«

Und mein Herz sprach: »Hoffentlich nicht!« – Zubanoff konnte dieses Prachtwerk niemals so lieben, wie ich es liebte …


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