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10.

Chedees Hütte verträgt keinen Vergleich mit dem großen Blockhause. Chedee-Ponas Hütte ist ein nachlässiges Bauwerk nach Giljakenart: Doppelte Wände aus dünnen Tannenstämmen, die Ritzen mit Lehm verschmiert, der Zwischenraum mit Moos, Sand, Laub ausgefüllt, dazu ein flaches Dach aus demselben Material, bespannt mit rohen Robbenhäuten, eine Tür aus Flechtwerk, beiderseits mit Fellen abgedichtet, und zwei Fensteröffnungen unter der Decke, von denen die eine auch dem Rauch des Steinherdes Abzug gewähren soll.

Innen nur das Allernotdürftigste, Tannenstämme als Fußboden, darüber Lehm, der rissig und bröckelig ist, – ein altes Segel teilt Weras Kemenate ab … Zwei Petroleumlaternen sind fast Luxus. –

Wera verhängt die Fensterlöcher, ich zünde die beiden Laternen an, und zwei Schemel aus Wurzelknorren bilden unsere Sitze neben dem Herde, auf dem die Flammen langsam höher lecken und den eisernen Kessel umspielen.

Wera wird uns nachher Reis kochen …

Nachher.

»Fürstin, ich hätte gern gerade dies verschwiegen«, beginne ich wenig diplomatisch.

»Gerade dies?!« Sie wird bitter. »Es gibt nichts, das meine Seele noch mehr zermürben könnte, – höchstens das Gefühl, daß auch Sie nicht aufrichtig sind!«

In diesem Vorwurf klingt etwas mit, das mir geradezu wohltut. Wera ist mir im Verlauf von anderthalb Tagen mehr geworden als nur Kameradin. Was mich zu ihr hinzieht, ist nicht lediglich das vergröberte Gefühl des Augenblicksbegehrens. Zwischen uns schwingen feinere Saiten. Und daß auch sie dies empfindet, zeigte mir ihre letzte Bemerkung.

Wir sitzen uns gegenüber, das Herdfeuer beleuchtet ihr rassiges Antlitz … Kein Künstler könnte die Feinheiten dieses einseitig von rosigem Licht bestrahlten Gesichtes wiedergeben. Ich strecke ihr die Hand hin, und Hand in Hand erzähle ich ihr von meiner Vermutung, daß ihr Gatte der dreizehnte Tschu-Wang, der Großmeister, sein müsse und die beiden Chinesen vorhin gleichfalls zum Bunde gehören.

Ihre Züge zeigen keinerlei Veränderung. Sie denkt scheinbar angestrengt nach, schweigt und sagt schließlich mit unmerklichem Kopfschütteln:

»Fürst Zubanoff ist Europäer, europäischer Russe. Wie könnte er den phantastischen Ideen des Doktor Wang Ho, eines Chinesen, dienen?!«

Auch die Frage habe ich mir längst überlegt.

»Bedenken Sie, Fürstin: Er muß die neuen Machthaber Rußlands hassen! Oder die Zubanoffs waren, wie Sie mir selbst mitteilten, Tscherkessenfürsten … Sollte in dieser Familie nicht irgendwie auch Asien vertreten sein?«

Sie nickt widerwillig. »Ja … Sie haben recht, Olaf … Witschas Mutter war die Tochter des Baschkirenschans Umir Dabar, der zu den modernsten asiatischen Steppenfürsten zählt …« Sie nickt energischer. »Ja … – nicht Haß, Olaf, nein, – ein Gatte war wohl immer ein wenig Schwärmer, redete oft von Dingen, die mir gänzlich fernlagen.« Ihre Hand zuckt in der meinen, und sie fügt bitter hinzu: »So hat er also seine politischen Phantastereien mir vorgezogen! Eine herbe Erkenntnis für eine Frau, die all diese Jahre ihn gesucht hat, während er doch zweifellos mit Doktor Wang Ho bis zu dessen Hinrichtung in engster Verbindung stand.«

Sie starrt in die Flammen. »Eine sehr herbe Erkenntnis! Und dennoch, – irgend etwas bei alledem stimmt nicht, Olaf … kann nicht stimmen! Tatsache ist doch, daß er nach Rußland von den beiden Schurken, deren Tod ich wahrlich nicht bedauere, ausgeliefert wurde. Wie entfloh er? Weshalb erhielt ich nie Nachricht von ihm?! Weshalb und wie erwählte Doktor Wang gerade ihn zu seinem Nachfolger?! – Olaf, wir tappen noch immer im Dunkeln, – Olaf, wir dürfen nicht urteilen, erst recht nicht verurteilen, bevor wir nicht vollkommen Klarheit gewonnen haben!« Sie drückt meine Hand, steht auf und wendet sich dem Herde zu. »Olaf, es ist besser, wir lassen diese Dinge vorläufig ruhen … Etwas wird geschehen. Hier bleiben wir nicht. Ich bin nicht die Frau, die abwartet. Mir wird schon irgendein Weg einfallen, der für uns gangbar ist …« Sie dreht mir jetzt den Rücken zu, aber an ihrer Körperhaltung erkenne ich, daß sie diesen Weg bereits undeutlich vor sich sieht.

Ich weiß, es wird wieder ein Weg abseits der großen breiten Heerstraße der Erdenpilger sein.

Ich prüfe Wrangels Verbände, und die Fürstin spielt Köchin. Wir reden über gleichgültige Dinge.

Dann unser gemeinsames Mahl, – Wera mit einem zerkratzten Blechteller im Schoße, mit einem Holzlöffel, den Chedee geschnitzt hat …

Auch der Hund erhält sein Teil, und gerade als die Reste der einfachen Konservensuppe ausgelöffelt sind, spitzt Wrangel die Ohren, knurrt und schleicht zu Tür.

»Licht aus!«

Ich werfe eine Decke über die Laternen, Wera gießt eine Kelle Wasser in die Herdglut, und ich hebe die Büchse halb zur Schulter.

Draußen eine hastige Stimme: »He, Missu Abelsen, – hier sein alte Tschanli …« Und dann das Kennwort: »Tschu-Wang – – Wang Ho …«

Es kann nur der greise Kuli mit dem vertrockneten Gesicht sein. – Ich schiebe die beiden Holzriegel zurück, und der Chinese schlüpft herein, Wera zieht die Decke von den Laternen, und unser Gast verbeugt sich tief.

»Missu Abelsen, ich nur wollen fragen, ob ich euch irgendwie helfen können …«

Ich verriegele die Tür.

»Bist du allein, Tschanli?«

»Nein, Missu, am Ufer sein noch drei Wangs.«

»Woher kennst du meinen Namen?«

»Missu Steenpool …« – er spuckt kräftig aus – »Missu Steenpool kommen zu Ölfelder und reden mit Oberingenieur … Dann er mit Hunden und zehn Kulis eilen nach Süden in großen Urwald …«

Er grinst plötzlich …

»Unter zehn Kulis ich sein, und ich finden Blockhaus von Tschu-Wang dreizehn früher, und als Engländer kommen, alles schon in Flammen …«

»Recht so, Tschanli!«

»Dann wir treffen Tiger, lange Jagd, Missu, – wir verfolgen Tiger, wir sehen dich, Missu. Du Wang sein wie wir … – Engländer nannte deinen Namen, ich gute Ohren …«

»Setz dich, Tschanli …«

Er bleibt bescheiden stehen. »Nicht viel Zeit, Missu … Heimlich wir weg von Jagdtrupp.«

Auf gut Glück fragte ich: »Wo ist Fürst Zubanoff?«

Tschanlis Schlitzaugen ruhen auf Wera. Er zaudert …

Wera tritt dicht vor ihn hin.

»Sprich die Wahrheit, – was es auch sei!« Aber in ihrer Stimme bebt die ungewisse Angst.

Der alte Tschanli flüstert scheu: »Ich Chedee treffen … Chedee immer mit uns in Verbindung. Er sagen, Fürst Zubanoff nicht mehr großer Tschu-Wang, sondern nur noch Gowin großer Tschu-Wang … Fürst Zubanoff …« – wieder zögert er – »… sein … tot …«

Wera erbleicht, aber sofort ruft sie auch:

»Dann hat Gowin ihn ermordet.«

Tschanlis verkniffenes Gesicht verzieht sich zu einer unklaren Grimasse.

»Er nicht so tot sein«, sagt er leise. »Anders tot … Chedee mir nicht alles mitteilen, aber Gowin kein Mörder …«

Wera rüttelt den Alten. »Rede! Rede! Was deutete Chedee an? Wenn mein Mann nicht tot ist, weshalb ist dann nun Gowin dreizehnter Tschu-Wang?! Rede!«

Tschanli blickte sie hilflos an. »Ich nicht mehr wissen … nichts mehr … Chedee nur sagen, er sehr weite Reisen vorhaben …«

»Nach Charbin?« fragte ich mit einigem Recht.

»Vielleicht«, nickt der Alte grübelnd.

Ich bin zu einem Entschluß gelangt.

»Tschanli, hat der Engländer etwa Leute nach unserem Steinhaus an der Küste geschickt?«

»Nein, Missu …«

»Dann werdet ihr vier uns dorthin begleiten. Es soll euer Schade nicht sein.«

Er verbeugte sich nur. »Wir gehorchen, Missu. Du kennen Zeichen von Tschu-Wangs, du sein Tschu-Wang, wir nur Wangs.«

Die Organisation dieses Bundes ist musterhaft. Ich habe nie einem geheimen Orden angehört, nun habe ich mich selbst zu einem der zwölf Tschu-Wangs befördert. Es ist Betrug, aber – in diesem Falle muß jedes Mittel mir recht sein. Es gilt Wera zu helfen, und Fürst Zubanoff hat mir Wera gleichsam anvertraut.

Wir werden mit dem Schoner Sakramento in See stechen, und ich werde Charbin kennenlernen.


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