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3. Kapitel. Wo Gepp lag

»Du sagtest doch, Alarich Gepp sei hier?«

Wir saßen unten im Gesellschaftszimmer des Hotels in weichen Sesseln, und die Sonne ließ alle Farbenschönheiten der echten Teppiche freudig aufleuchten. Wir hatten droben im Zimmer Gildas eine glückselige Frau zurückgelassen. – Wir waren hier allein, und nirgends konnten wir schwerer belauscht werden, als in diesem großen, behaglichen Raume. Die Fenster nach der Straße hin standen offen, Autos rollten vorüber, kleine Wägelchen ratterten vorbei ... Harst drehte sich halb um und blickte seitwärts hinaus ... »Alarich Gepp ist hier ... Vielleicht hat er zur Zeit lebhaftes Interesse für die Schaufensterauslagen des Salon Deister, mein Alter.« – Ich sprang auf und sah drüben am Schaufenster einen uralten schäbigen Gebirgler stehen – einen greisen Bettler mit grünem Filz und Spielhahnfeder und weißem Patriarchenbart ...

»Der war ja gestern abend am See, Harald, als ...«

»Der ist immer dort, wo es was zu sehen gibt. Moritzens Kragenwäsche interessierte ihn außerordentlich, und der geangelte Anhänger noch mehr. Ich bin nur neugierig, wieweit Alarich Gepp orientiert ist.«

Ich beschaute mir den alten Aelpler. »Das soll Gepp sein?!«

»Gepp hat tausend Gesichter, meinte Lücke mal.«

Der angebliche Gepp betrat den Salon Deister.

»Harald, er ging soeben hinein ...«

»In das Haus ... Die Haustür führt aber nicht nur in den Salon, sondern auch zu Moritz nach oben ... – Komm', vielleicht habe ich recht.«

Als wir die Treppen emporstiegen, öffnete sich im ersten Stock eine Flurtür und eine große, hagere, grauhaarige, grobknochige Frau fragte uns, zu wem wir wollten, – hier gäbe es keine freien Zimmer mehr.

»Zu Herrn Seligfeld wollen wir,« erklärte Harst höflich.

»Bitte, – oben in der Mansarde,« und die Frau schlug die Tür mit einem Krach zu, daß das ganze Haus zitterte.

Harst brummte etwas vor sich hin ...

»Wie meintest du?«

»Die Tür, meine ich ... Sie gefällt mir nicht, – keine Tür, die man so zuwirft ...«

Er hatte es sehr eilig, und oben bei Moritz klopfte er recht derb an und trat ein, obwohl sich drinnen niemand meldete. Moritzens Stübchen war leer.

Harald schaute sich wie suchend um.

»Findest du nicht auch, daß der fadenscheinige Teppich arg verrutscht ist?!«

Er ging zum Bett, dessen blaue billige Decke bis zu den Dielen herabhing, hob die Decke hoch, bückte sich und faßte unter das Bett und zog den leblosen Körper des alten Mannes hervor.

Alarich Gepps weiße Perücke war in den Nacken geglitten, der Bart hing halb herab, und die Stricke um Hände und Füße und der Knebel im Munde sowie eine blutrünstige Stelle vorn am Haaransatz besagten alles.

Dies war unser Wiedersehen mit Gepp nach sechstägiger Trennung.

Nun, Gepp hatte eine Pferdenatur, und als er erst leidlich wieder bei Sinnen war, meinte er erstaunt:

»Ich hätte dem Moritz niemals die Kräfte zugetraut! Solch' ein buckliger Lump, kaum bin ich hier in der Stube, als er mir auch schon mit einem Gummiknüttel eins auswischte – und es genügte. – Ich danke Ihnen, Harst. Vielleicht hätten die Schufte mich kalt gemacht.«

Ich fiel so ziemlich aus allen Wolken.

»Moritz muß Sie verkannt haben,« verteidigte ich Freund Seligfeld.

Gepp lächelte nur, und Harst sagte sichtlich amüsiert: »Natürlich – verkannt! Eine Krähe hackt der anderen doch mal die Augen aus.« Worauf Kriminalkommissar Gepp Harst mißbilligend anstarrte und meinte: »Sie sollten wissen, daß es in der Schweiz nur Raben und Dohlen gibt, Krähen sind selten.« Dann zog Gepp eine Tube Klebstoff hervor, klebte sich den Bart wieder fest, fischte unter dem Bett seinen Filz hervor und sagte gleichmütig: »Ich habe mich schon bedankt. Also leben Sie wohl, meine Herren. Ich arbeite nicht gern mit anderen zusammen. Die Diebstähle im Albana sind übrigens Bluff. – Auf Wiedersehen später ... Folgen Sie mir nicht. Es hätte keinen Zweck, ich habe unten ein geschlossenes kleines Auto bereit. Moritz Seligfeld wird sich wundern.«

»Sie auch, Herr Gepp!« rief Harald, aber Gepp schloß schon die Tür und stieg schnell die Treppen hinab.

Mein verdutztes Gesicht erweckte in Harsts rätselvoller Brust ein dröhnendes Gelächter.

»Lieber Alter, du solltest ihn doch bereits kennen. Gepp ist ziemlich unverdaulich. Seine Herren Vorgesetzten behandelt er wie Hanswürste, mit den Kollegen spielt er Schindluder, und uns beide hält er für bessere Narren mit Detektivfimmel. Der Mann gefällt mir ausgezeichnet. Er ist in seiner Art zu redselig. Daß er die Diebstähle im Albana als Bluff bezeichnete, hat mich auf eine neue Spur geführt. – Gehen wir. Der Ober in unserem Hotel weiß alles, den werde ich fragen.«

Im Hotelbüro stand der Ober katzbuckelnd vor uns. Seine Verneigungen waren allzu devot. Sein Lächeln zu höflich. Sein Smoking saß zu tadellos. Seine Lackschuhe und Beinkleider waren ebenso erstklassig. »Bitte, fragen Sie, Herr Harst ...«

Harst im Schreibsessel musterte den Geschniegelten bewundernd. »Sind Sie schon lange im Albana, Herr Oberkellner?«

»Vier Jahre, Herr Harst.«

»Dann kennen Sie hier wohl so ziemlich alles und alle ...?«

»Gewiß, Herr Harst ... Haben Sie besondere Wünsche?«

»Sie brauchen sich nicht derart in Ueberhöflichkeit zu erschöpfen. Wir werden die Diebe fangen.«

»Oh, – mir fiele ein Stein vom Herzen ...«

»Hoffentlich ist der Stein harmloser als die Felsbrocken.«

»Pardon, – wie meinen Sie das, Herr Harst?«

»Ein Scherz ... – Seit wann ist der Hausierer Moritz Seligfeld hier?«

»Hm – vielleicht zwei Wochen ...«

»So ... so, zwei Wochen. Und Lady Hooy?«

Der elegante Ober stutzte. Sein zumeist kühl-verschlossenes Gesicht mit dem eingefrorenen Lächeln wurde starr, steinern.

»Seit wann also?«

»Oh – genau dreizehn Tage ...«

»Dreizehn, eine ominöse Zahl, Herr Ober. – Ist das Gemäuer über der Blockhütte des Herrn Oberspahn eine Burgruine und irgendwie zugänglich?«

»Verzeihung, – ein Gemäuer?! Das ist ein Irrtum, Herr Harst. Die Felsen machen nur den Eindruck von Ruinen. Die Gäste haben die Bergkuppe Geisterberg getauft, weil man in den zackigen Felsen verschiedentlich Licht gesehen haben will, aber das ist natürlich ein Märchen, die Kuppe ist noch nie erklettert worden. Lord Percy Hooy machte im vorigen Herbst den Versuch, aber ...«

»War die Mutter Lord Percys einmal hier in St. Moritz?«

Harsts Maschinengewehrfeuer von Fragen ließ den Ober stottern ...

»Lady Palmyra Hooy – gewiß ...«

»Wann sahen Sie sie zum letzten Mal?«

Der Gefragte schien plötzlich heftige Schmerzen zu empfinden.

»Lügen Sie nicht! Wann?!«

»Vor vier Tagen, Herr Harst,« flüsterte der Smoking ... »Aber ich bitte Sie inständigst, Herr Harst, dies nicht etwa Lady Gwendolyn mitzuteilen, denn die alte Lady, der ich nur zufällig in Samaden begegnete, hat mir strengstens befohlen, ich solle ...«

»... schweigen – natürlich.«

»Oh – sie ist fürchterlich« stöhnte der Ober. »Wenn sie hier absteigt, sehnen wir den Tag herbei, an dem sie wieder abreist.«

»Wo wohnt sie denn jetzt?«

»Ich weiß es nicht ... wirklich, ich weiß es nicht, ich hätte auch nie gewagt, sie danach zu fragen, sie kann unglaublich grob werden.«

»Danke. – Ist Lady Gwendolyn auf Ihren Zimmern?«

»Jawohl ... Nach dem Reiten pflegt sie immer zu ruhen, und sie ritt heute wieder im Tattersall ...«

»Zirkus nennen sie das hier, und Theater sollte man's nennen,« lächelte Harst und schritt zur Tür. »Lady Gwendolyn liebt den Sport ... ich weiß. Nächstens wird sie auch fliegen, nehme ich an.«

Der Ober stierte uns mit offenem Munde nach. Der Ober behagte mir in keiner Weise.


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