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2. Kapitel. Gilda gesteht

»... Ob Se mer glauben oder nich,« begann Moritz, nachdem wir uns jeder eine Mirakulum angebrannt hatten, – »ich bin zu alldem jekommen nur durch die Lady Hooy. Se lache mer aus: Ich lieb' ihr! Und weil ich bin geschlichen immer hinter ihr drein, hab' ich so manches gesehn, was andere nix haben bemerkt. Und weil ich nix ganz bin auf'n Kopf gefallen, hab' ich mir zusammengereimt allerlei, aber – es war gewesen alles Unsinn, denn ich bin nix 'e Detektiv wie Sie, Herr Harst. – Die Zigarett is gut ... – Nu hör'n Se zu. Wenn die Lady mit ihre scheene traurige Augen is gegangen spazieren und is gekommen in 'n Wald drüben oder hier auf disse Seite von 's Tal, immer is da noch einer gewesen, der ihr nachschlich ... Ich kenn' ihm nich ... Er hatt' ausgeschaut mal so, mal so ... Aber er hatt' gewußt von den Pfad, wo wir drei sein vorhin zur Hütte von dem großen Verbrecher rauf ... – Also das is nu alles.«

»Wirklich? Alles?« Harst fragte dies mit einer unmerklichen Handbewegung der Ungeduld. »Ihre unrichtigen Vermutungen interessieren mich ebensosehr wie diese magere Beichte, in der nur etwas als neuer Punkt auftaucht: Lady Hooys Verfolger.«

Moritz saß mangels eines dritten Stuhles auf der Bettkante. Sein Profil hob sich scharf gegen das offene Fenster und die Schneefelder des Piz Rosatsch ab. Er schüttelte leicht den Kopf und erwiderte, indem er behutsam jedes Wort abwog: »Ich bin nix kein Detektiv ... Ich kann nix zusammenreihen die Dinge wie Perlen auf 'ne Schnur, daß sie fein aneinanderpassen. Bei mir kommt vielleicht ne große Perl' ganz hinten ans Schloß von die Schnur. Ich hab' mir gedenkt, der große Verbrecher Oberspahn-Alderspohn muß hier im Ort haben gehabt 'e Vertrauten, e Freund, auch e Ganeff wie er selbst, und dieser Ganeff hatt's abgesehen gehabt auf den Blauen Hooy der Lady Gwendolyn. Wer rennt auch hier herum mit e Anhänger, wo is viele Tausende wert?! Das is wie Honig for die Wespen, sie kommen und wollen Honig stehlen, und der Moritz hat gewollt die Wespe verscheuchen.« Er blickte Harst forschend an. »Nich wahr, das is Unsinn, Herr Harst?«

Harald schaute an Moritz vorüber in die grandiose Erhabenheit der weißen Bergspitzen. »Herr Seligfeld, es ist wahrscheinlich nicht Unsinn. Oberspahn dürfte hier mehrere Freunde haben, und diese dürften die Diebstähle im Albana nicht nur sorgfältig vorbereitet, sondern auch ausgeführt haben. Wenn Sie imstande sind, mir zu erklären, weshalb die Diebe sich die Mühe machten, von den Stücken, die sie stehlen wollten, vorher Imitationen herzustellen und diese dann ihren Opfern zurückzulassen, würde ich die Bande sehr schnell entlarven können.«

Moritz knetete seine braunen, schmalen Hände und grinste schwach. »Darüber hab' ich mir auch schon meinen Kopf angestrengt,« nickte er eifrig. »Es muß geben hier sozusagen e Talmifabrik, wo die Ganeffs sehr rasch anfertigen die unechten Stücke. Lady Hooys blauer Diamant, der Anhänger, war nachgemacht worden, Frau Billinx' Brosche ebenso, und weiter noch drei andere Schmuckstücke ... Nu, wer kann das so im Handumdrehen?! Das muß e Künstler sein mit ne ganze Werkstatt und mit viel Tinneffmaterial, eben einer mit ne Talmifabrik. Kann sein, der Lewis Brance steckt mit in die faule Geschichte, kann sein, der Brance is der Mann, der immer der Lady folgte wie ich ... Ich weiß es nix. Er wird nu ja reden missen, wenn er wieder is bei volle Besinnung ...«

Harst beugte sich plötzlich weit vor. »Es ist eine Anregung, lieber Moritz,« sagte er lebhafter. »Ich danke Ihnen dafür. – Ob der Maler Termoolen hier Bilder los geworden ist?«

»Verkauft? – Und ob!« Seligfeld fügte voller Geschäftsneid hinzu: »Termoolen soll e berihmter Mann sein ... In Holland soll er e großen Ruf haben. Natürlich hat er verkauft ... mindestens vier Bilder ... Ich hält' nix gegeben fünf Franc dafor, die reichen Touristen zahlten tausende.«

»Mit Recht. In Termoolens großem Zimmer hier unter Ihnen sah ich noch zwei fertige Gemälde. Auch ich würde dafür einen Scheck mit vier Nullen ausstellen. – Wenn wir nur Termoolen erwischten! Vielleicht könnte er uns so manches erklären.«

Moritz hüstelte. »Hm, unter uns, Herr Harst: Ich glaub', wir beid' denken nun dasselbe ... Man wird Termoolen nie kriegen, fürcht' ich, – oder: man hat ihn schon!«

Harst stand auf. »Haben Sie Beweise, Moritz?«

»Nu ja, – einen sicher: Ich hab' Brance und Termoolen nie gleichzeitig gesehen, nie beide zusammen, nie ...«

»Aber der junge Deister behauptete, Brance habe mit Termoolen mal ein paar Worte gewechselt.«

Moritz blickte über seine Brille zu Harald empor. »Er lügt ...!« meinte er beinahe haßerfüllt. »Er lügt wie gedruckt, der schöne Natzi ... Mir hat er gesagt, er hätt' nie nix bedient die Lady Hooy, und die Resi, was die erste Gehilfin unten is, hat grad' gesagt,' der Natzi lass' nie nix 'nen andern an die feinen Damen ran, und das wär' gemein wegen der Trinkgelder, sagt die Resi, was ein nettes Mädel is.«

Harald hatte sich an den Fensterkopf gelehnt und hob warnend die Hand. »Still, es kommt jemand ...«

Es klopfte. Der Hausdiener aus dem Albana bat uns dringend, sofort Frau Tomahsen aufzusuchen, die soeben erst aus ihrer Ohnmacht erwacht sei und nach uns verlange.

»Gut, wir kommen,« erklärte Harst. »Gehen Sie nur ... Wir sind im Augenblick drüben.«

Der Hausdiener verschwand. – Moritz seufzte kläglich. »Ich möcht' mit dabei sein ... Ob sie leugnen wird?! Wenn sie tut leugnen, Herr Harst, dann denken Se an die Gondel. Immer abends fuhren die beiden, und meist ohne Gondelführer.«

»Ich hätte daran gedacht, lieber Seligfeld. Ich würde Sie auch mitnehmen, aber Sie sind doch nicht ganz im Bilde, was die Gemälde betrifft, und das ist gut. Allzu viel wissen ist Ballast ...« Er drückte Moritz zum Abschied die Hand. Der sagte noch, als ich schon die Tür öffnete: »Nu, den Ballast trag' ich doch mit mir herum, Herr Harst. Ich bin nix e Detektiv, aber ich bin auch nix auf'n Kopp gefallen.«

Harst wandte sich rasch um. »Und auf Sie ist Verlaß?«

»Wie auf'n Grab ... N' Grab redt nix, der Moritz auch nich.« –

Gilda Tomahsen sah erbärmlich aus. Der Diwan, der ihre schöne Gestalt trug, stand schräg vor dem Fenster.

»Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind ...« – sie roch an einem Riechfläschchen, hustete und fragte noch leiser: »Ob man Termoolen verhaften wird?« Ein paar Tränen rollten über die Puderschicht ihrer Wangen.

Harst rückte seinen Stuhl ganz nahe an das Kopfende des Diwans. Er blickte Gilda ruhig an und erwiderte: »Ging es Ihnen pekuniär so schlecht, daß Sie zu solchen Mitteln greifen mußten?!«

Die bezaubernde Frau versuchte ein wenig Komödie zu spielen. »Ich verstehe Ihre Frage nicht, Herr Harst, wirklich nicht ...« Ihre Augen senkten sich, und ihre Hand führte das Riechflacon wieder unter die Nase. »Wir leben in durchaus geordneten Verhältnissen, Herr Harst, und ...« »Ja, jetzt ...!« meinte Harald vorwurfsvoll. »Jetzt, nachdem Termoolen hier wieder Absatz für seine Bilder gefunden hat, nachdem er außerdem eine persönliche Note als Künstler sich angeeignet hat.«

Sie richtete sich mit einem Ruck auf. Ihre Augen waren weit und voller Angst. »Was geht ... mich Termoolen an?!« flüsterte sie mit brüchiger Stimme.

»Der echte Termoolen dürfte in Amsterdam sein und nicht ahnen, daß sein dänischer Kollege Holger Tomahsen hier als Termoolen wirkt ...« entgegnete Harst nachsichtig. »Seien wir ehrlich – in allem, gnädige Frau ... Brance und Termoolen sind ein und dieselbe Person, und diese Person ist eben Holger, Ihr Gatte.«

Sie sank aufschluchzend zurück. »Mein Gott, nun ist alles verloren,« klagte sie kaum verständlich. »Als Sie hier im Albana abstiegen, habe ich Holger angefleht, schleunigst abzureisen ...! – Gott im Himmel, wie werde ich das alles ertragen?! Was habe ich nicht schon gelitten, wie jämmerlich bin ich mir vorgekommen, als ich die Kranke spielte, – wie entsetzlich waren die Nächte, nachdem ich noch in Holgers Tasche ...«

»Sprechen Sie getrost weiter. Sie fanden in Ihres Gatten Tasche die Similibrosche, die Sie nachher wegwarfen, und Ihr Gatte brauchte Ausflüchte, wie er zu der Brosche gekommen sei. Ich denke, diese Ausflüchte sind leichter und harmloser zu erklären, als Sie es vermuten, Frau Tomahsen. Holger wird die Brosche gefunden haben und hielt sie für echt und behielt sie, eben weil er sie als wertvoll erachtete. Sie Aermste jedoch legten sich das alles weit ärger aus. Sie wußten als Zimmernachbarin Lady Hooys, daß deren Anhänger gestohlen war ...«

»Ich ... sah, daß sie eine Imitation trug, ich verstehe etwas von Edelsteinen.«

»... Und Sie sahen auch Frau Billinx' echte Brosche und hielten Holger für den Helfershelfer einer Diebesbande. Sie tun ihm Unrecht. Seine Schuld besteht lediglich in seinem hiesigen Auftreten als Termoolen. Die Diebe sind anderswo zu suchen, glauben Sie mir. – Ihr Gatte fand die Brosche wo?«

Gilda Tomahsen weinte nicht mehr. »Oh – wie soll ich Ihnen danken!« flüsterte sie mit einer Inbrunst, die am besten bewies, wie sehr sie Holger liebte. »Nun mag geschehen, was da will: Er ist kein Dieb!! Alles andere wird sich irgendwie einrenken lassen. – Wo er das unglückselige Ding fand? Mir sagte er, auf dem Treppenpodest vor seinem Zimmer ...«

»So – vor seinem Zimmer, sehr möglich ...« sagte Harst und hob Gildas Riechflacon vom Teppich auf. »Und das andere nun, – daß er nebenbei Lewis Brance spielte. Er ist wohl eifriger Angler, und bei schlechtem Wetter kann man durch Forellenfang immerhin die Unkosten des Lebensunterhaltes herabsetzen.«

Gilda betupfte ihre Wangen. »Holger verkaufte die Forellen im Dorfe Samaden, einen Teil ließ er für sich durch die alte Frau Deister herrichten.«

»Ganz wie ich es mir dachte ... – Wie geht es ihm? Haben Sie Nachricht?«

»Der Arzt, bei dem er als Patient untergebracht ist, gab telephonisch dem Oberkellner Auskunft. Es besteht keinerlei Gefahr für ihn ...«

»Das freut mich. Er wird als Lewis Brance genesen, Frau Tomahsen, und Professor Termoolen bleibt eben unauffindbar.« Er nickte Gilda gütig zu, zog sein Scheckbuch hervor und auch den Füllhalter. »Zwei Gemälde Termoolens sind noch unverkauft ... Bitte – nehmen Sie nur ... Ich werde die Gemälde für mich beanspruchen als Lohn für die Entlarvung der Gaunerbande hier ... Nehmen Sie, seien Sie nicht kleinlich ...«

Gilda weinte, aber der Scheck bleibt in ihrer Hand.


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