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2. Kapitel. Die Brosche

»Percy, ich weiß, daß Du mir keinen Glauben schenken wirst ... Deine Familie hat es bereits fertig gebracht, unser Eheglück halb zu zerstören. Gwendolyn Lany vom Theater war ihnen stets verhaßt. – Ich schwöre Dir, ich habe den blauen Hooy nicht verkauft. – Lebe wohl für immer. Ich bin unfähig, das in Worte zu kleiden, was ich an grenzenloser Verzweiflung empfinde. Ich liebe Dich wie einst ...

Gwendolyn.«

»Sie hätte zweifellos Selbstmord begangen,« sagte er, nachdem er mir den Brief halblaut vorgelesen und ihn dann im Futter seiner Joppe verborgen hatte. »Sie wollte Hut und Brief in der Fex-Spalte liegen lassen. Es war nicht leicht, diese Frau zu bewegen, von ihrem unseligen Vorhaben abzustehen. Erst als ich ihr meinen Namen nannte und ihr zu helfen versprach, wurde sie zugänglicher, verschwieg mir jedoch den Grund ihres Kummers und meinte, sie würde nach dem Abendessen hinunter zum See gehen. Bis dahin würde sie sich dann entschieden haben.« Er schlüpfte in die Beinkleider seines dunklen Jackenanzugs und fügte hinzu: »Ihr Brief ist unser. Wir wissen nun, daß es um den blauen Hooy geht. Es mag 1908 gewesen sein, als ein Neger im Flußbett eines nur bei Regenzeit wasserführenden Stromes südlich von Kimberley ein bläuliches Glasstück fand. Er verkaufte es an einen fahrenden Händler für eine Flasche Rum. Der Edelstein ging durch mehrere Hände, bis Lord Hamilton Hooy von Hooyshire-Castle ihn erwarb, schleifen und in Platin als Anhänger fassen ließ. So erhielt dieser achtkarätige Stein, der im Innern in der Mitte seltsamerweise eine Luftblase hatte, aber gerade deshalb wundervoll brillierte, den Namen »Der blaue Hooy«. Lord Hamilton starb, und sein Sohn Percy überreichte die Kostbarkeit am Hochzeitstage seiner Braut Gwendolyn Lany, die bisher in London Schauspielerin gewesen war. – Es kann nie etwas schaden, wenn man selbst geringfügige Ereignisse aus den Kreisen der internationalen Aristokratie sich einprägt. Bevor Gwendolyn Lany, eine Künstlerin von tadellosem Ruf, Lady Hooy wurde, hatte sie das Fegefeuer infamster Intrigen von Seiten der Verwandten Lord Percys durchzumachen. Kein Mittel war insbesondere der alten Lady Hooy, der Mutter Percys, schlecht und verwerflich genug, die Liebenden zu trennen. London erlebte damals vor vier Jahren einen gesellschaftlichen Skandal ohnegleichen. – Genug, die Ehe kam dennoch zustande. Wie diese Ehe infolge der nimmermüden Sticheleien und schamlosen Ränke der lieben Verwandtschaft enden würde, war bei Lord Percys bekannter Charakterschwäche vorauszusehen. – Der Brief sollte eine Tragödie abschließen. Ein Zufall führte uns auf den Fex-Gletscher. Ich werde den blauen Hooy finden und Lord Percy dann wohl die Augen gründlich öffnen können. Einzelheiten wird Gwendolyn mir kaum vorenthalten, wenn ich ihr nachher mitteile, daß ich mich allerdings einer groben Indiskretion schuldig gemacht habe – in ihrem Interesse.«

Ich saß auf einem Stuhl neben der offenen Balkontür und band mir die Krawatte um. Den Stehspiegel hatte ich auf den Tisch gestellt – etwas schräg, damit ich besseres Licht hätte. Der Knoten fiel nach Wunsch aus, ich steckte die Perle hinein, sicherte sie durch die Spitzenschraube und erwiderte in einer Anwandlung von Sarkasmus, der mir sonst nicht liegt: »Eine Lady, gewesene Komödiantin, dazu eine Horde gehässiger Verwandter des Gatten, – drittens ein seltener Diamant, – viertens eine Gletscherspalte und ein Brief – – mehr kann man nicht verlangen! Erzähle unserer Freundin Gilda Tomahsen, die so versessen ist auf ein Abenteuer, diesen Roman, und sie wird dir um den Hals fallen und ...«

Es hatte geklopft, – herein schob sich die klägliche Gestalt Moritz Seligfelds, katzbuckelte verängstigt, schnappte nach Luft und sprudelte hervor: »Die Herren werden verßaihn meine Frechheit ... Drei Mol hat mir rausgeschmissen der Potjeh ... Nu hat er mich nix gesehn ... Ich hab' gedacht, die Herrn kennt'n kaafen viellaichte e schainen Schmuck ...«

Er zog ein Taschentuch von vorbildlicher Unsauberkeit aus seiner schäbigen Jacke und trocknete den Schweiß von Stirn und Nase.

Wie er so neben der Tür stand mit seinen zerrissenen braunen Schuhen, den unglaublichen O-Beinen und dem häßlichen, mitleiderregenden Gesicht, – in dieser mehr als fadenscheinigen Kluft, in ausgefransten Hosen und einem schmierigen gelblichen Gummikragen und verschossener grünlicher Schnallenschleife, war ihm wirklich nicht anzusehen, daß er »schainen Schmuck« auf redliche Art erworben haben könnte.

Harst schaute ihn denn auch eine Weile abschätzend an und sagte dann ablehnend: »Mein lieber Herr Moritz aus St. Moritz, wie kommen Sie gerade auf uns?! Woher wissen Sie, daß wir hier im Albana in Nr. 49 logieren?!«

Seligfeld zog die dicken Lippen kummervoll herab. »Nu – man muß sich bei die mieße Geschäfte die faine Kundschaft warm halten ... Ich hab' gesehn die Herrn reingehn hier, und ich hab' gesehn den Herrn da auf 'm Balkon vorhin ... Sehr einfach.«

Harst trat dicht an ihn heran. »Zeigen Sie mir den Schmuck.«

Ich vermutete, ich würde nunmehr den blauen Hooy zu sehen bekommen. Das hätte so wunderschön in den schmalzigen Roman hineingepaßt. Aber auf Moritzens Handfläche von zweifelhafter Reinheit lag jetzt eine Brosche mit drei blitzenden, erbsengroßen Steinen, ein ganz modernes Schmuckstück in Form einer gereckten Acht aus Mattgold.

»Nu – fain, nicht wohr?!« meinte der Postkartenhändler triumphierend.

Harst nahm die Brosche und trat damit in die offene Balkontür. Wie ein Blitz war Moritz hinter ihm her, riß ihn am Arm zurück und keuchte entsetzt: »Herr, Sie wollen doch nich sterzen ins Unglick e armen Jidd?!«

Dann schien ihm bewußt zu werden, wie verdächtig sein Benehmen wäre, und er grinste gezwungen und stotterte rasch: »Wenn Se sich widder emol rasieren tun oder e Schlips umwirgen, Herr ...« – das galt mir –, »dann stelle Se nich das Spiegelche da off'n Tisch ...«

Harst lächelte unmerklich. »Wohnen Sie drüben in dem Eckhaus, Herr Moritz?« fragte er nun.

»In die Mansarde, ganz obben, – es stümmt ... Da wohn' ich ...«

»Und Sie meinen, der Spiegel zeigt so manches, was wir hier im Zimmer tun?«

»Auch das stümmt, Herr ...« nickte der Bucklige eifrig. »Und unter mir in das Zimmer mit das Eckfensterche wohnt wer, der hat gehabt e Fernglas und hat gehabt Neugier for Sie boide ... Was er hat tun sehen, sah ich durch meine Brillen, Herr ... Stecken Se das Briefle anderswohin, sag' ich Ihne im Vertraun ...«

Harst ging still zur Balkontür, drückte sie zu und zog die Vorhänge vor. Ich schaltete das Licht ein, und dann erst sagte Harst kopfschüttelnd: »Sie sind ein eigentümlicher Herr, Herr Moritz Seligfeld ... Sie gestatten doch, daß ich einige Zweifel hege, was Ihren Beruf angeht. Mein Freund Lücke erzählte mir gelegentlich von einem Angestellten der Berliner Detektei Sollux, der ein äußerst gewandter Detektiv sein soll, obwohl sein Aeußeres dies kaum vermuten ließe. Herr Seligfeld, demaskieren Sie sich. Sie sind dieser Mann.«

Moritz glotzte Harst eine Weile durch seine verbogene Nickelbrille verständnislos an. Sein ungeheures Riechorgan schien sich dabei zu verlängern, seine Wulstlippen zuckten und ein Kichern folgte, als ob Moritz daran schier ersticken müßte. »Ich – – e Detektiv, – – ich ...?!« Er krümmte sich vor Heiterkeit. »Gott der Gerechte, – Moritz e Detektiv ...?! Da muß man lache, Herr, verzeihn Se schon ...«

Allerdings: Moritz in dem Beruf war undenkbar!

Harst lachte mit. »Irren ist menschlich. – Also dann: Woher haben Sie die Brosche?«

»Gefunden!«

»Na nu, – wo denn?«

»Hier im Rinnstein mang allerlei Schmutz, – wahrhaft'ger Gott, ehrlich gefunden!«

»Und unehrlich nicht abgeliefert ...«

»Doch – doch, – frage Se bei die Polizei an ... Ich hab' ihr abjeliefert, aber se hab'n mir rausjeschmissen, die Brosche wär' Tombak und die Steine Glas, hab'n se jesagt, und se hatt'n n' Juwelier jeholt und der hatt' mir dasselbichte jesagt: Dreck!!«

Harst deutete auf einen Stuhl. »Bitte, Platz nehmen..!! So ... – Und weshalb bieten Sie uns den ... Dreck an, Herr Moritz aus St. Moritz..?«

Seligfeld schielte über den Brillenrand zu Harst empor. In den kleinen verkniffenen Augen wetterleuchtete es merkwürdig. »Ich hab' jedacht, das wär' wos for Sie ...« entgegnete er achselzuckend. »S' is e schainer Schmuck, sieht wie echt aus, – man kann so was brauchen e mol, geben Se mir e Franc dafor ...«

Harst betrachtete die Brosche längere Zeit. »Ich werde Ihnen zehn Francs geben, Herr Seligfeld,« erklärte er gemütlich. »Aber unter einer Bedingung ...«

Moritz schoß vor Freude vom Stuhle hoch

»Tausend Bedingungen, tausend – –, was reden Se von nur eine..?! For zehn Francs kletter' ich in zwei Stunde zum Fex-Gletscher rauf mit disse Stiebel!« Und er zeigte seine linke Sohle, die ein Riesenloch hatte.

»Wer ist der Herr, der drüben im Eckhause in dem Erkerzimmer wohnt? – Das ist meine Bedingung,« erklärte Harst sehr ernst.

Moritz grinste selig. »Der?! Nu, das is e verrickter Engländer ... Um finfe morjens jeht er angeln mit 'n Rucksack und Angelstock, und um sieben is er abends widder zu Haus und manchmal auch frieher – wie heit ...«

»Er heißt?«

»Levy Brendt ...«

»Hm – Levy brennt..?! Er wird sich wohl Lewis Brance schreiben, denke ich.«

»Tut er, tut er..!! Ich nenn' ihm Levy Brendt ... Ich kann nix englisch, Herr, nur e paar Worte, wo ich neetig hab' zu mein' Handel ...«

Harald bezahlte schweigend die Brosche, und Moritz flutete vor Dankbarkeit über. »Wenn Sie widder was kennten brauchen, Herr ... For zehn Francs renn' ich auf'n Gletscher ...«

Harst legte ihm die Hand auf die Schulter. »Mein lieber Herr Moritz aus St. Moritz, man soll nicht zweimal an einem Tage auf den Fex-Gletscher klettern ... Einmal waren Sie heute schon oben ... – Gute Nacht.«

Er schob ihn zur Tür hinaus.

Ich rieb mir die Stirn. Dieses Intermezzo hatte mich etwas verwirrt.

»Harald, Moritz war wirklich oben?!«

»Ich sage dir: Er war!! – Und wenn er nicht trotz allem der Detektiv vom Sollux ist, den Lücke als Genie schilderte, aber auch als Phantom von mannigfacher Gestalt, will ich nie wieder eine Zigarette rauchen. Seligfeld, behaupte ich, weiß längst, wer wir sind. Er »arbeitet« hier, und er braucht Verbündete ...« –

Als Harst nach zehn Minuten unten im Speisesaal Gilda Tomahsen erzählte, er habe vorhin im Rinnstein diese Brosche gefunden (er zeigte sie ihr verstohlen), wurde die schöne Frau leichenblaß. Aber sie hatte sich gut in der Gewalt, heuchelte einen augenblicklichen Schwächeanfall, hustete stark und erklärte geringschätzig:

»Simili natürlich, – wertlos!«

In demselben Moment sah ich etwas anderes, das nicht Simili sein konnte. Aber ich schwieg und widmete mich dem Fischgericht, während Frau Gilda Harst die Brosche als Andenken an unsere Tischgemeinschaft abzuschmeicheln suchte. – Das alles war sehr sonderbar.


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