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3. Kapitel. Moritz wäscht Kragen

Wenn man von St. Moritz-Dorf den Weg am See nach St. Moritz-Bad entlanggeht, findet man in einer Ausbuchtung der Promenade ein paar Bänke, von denen man in Andacht die weißen Schneehäupter der drei Berge Piz Rosatsch, Piz Surley und Piz Roseg bewundern kann.

Lady Gwendolyn Hooy saß zwischen uns auf einer dieser Bänke, und ihr müdes, trübes Gesicht zeigte den tiefen Gram um ein zerstörtes Liebesglück.

»Mr. Harst,« sagte sie tonlos und senkte den Kopf noch weiter, »Sie zwingen mich nun geradezu, Sie ins Vertrauen zu ziehen. Ich war zu einem anderen Entschluß gelangt. Ich wollte mein Schicksal allein tragen ... Nachdem Sie den Brief gelesen haben, muß ich auch meinen Entschluß ändern. Ich hatte den blauen Hooy mit hierher nach St. Moritz genommen. Ich betrachtete den Stein als einen Talisman, ich hoffte, daß die Trennung von Percy bewirken würde, was bisher Worte nie erzielten: Daß er sein schwächliches Doppelspiel aufgeben würde! Er liebt seine Mutter nur allzu sehr. Lady Elisabeth Hooy hat mir meinen Gatten geraubt. Percy diente zweien Herren – hier zwei Frauen, mit keiner wollte er es ganz verderben. – Vor einer Woche traf ich hier ein. Ich hatte Percy diese vorübergehende Trennung selbst vorgeschlagen. Gestern nun entdeckte ich, daß der blaue Hooy mir gestohlen worden war. In dem Geheimfach meines Schrankkoffers lag an Stelle des echten Anhängers eine Imitation ...« – Sie wandte den Kopf, und das Abendrot, das von den rosigen Schneefeldern leuchtend zurückgeworfen wurde, ließ auch ihre blassen Züge lebenswarmer schimmern. »Eine Imitation, Mr. Harst ... Vielleicht hätte ich diesen Austausch des echten blauen Hooy gegen ein gefärbtes Stück Glas an einer mattsilbernen Kette nicht sofort bemerkt, wenn ich weniger Verständnis für Juwelen besäße. Ich war entsetzt, – ich eilte zu einem Juwelier, er bestätigte: Imitation! – Zu meinem Unglück habe ich nun noch aus früherer Zeit beträchtliche Schulden. Eine Schauspielerin, die auf Liebhaber verzichtet und ohne Vermögen ist, kann den Toilettenansprüchen der Bühne kaum genügen. Ich war zu stolz, Percy diese Schulden zu beichten. Wenn ich ihm nun den Diebstahl mitgeteilt hätte, würde er den Brief sofort Lady Elisabeth, seiner Mutter, gezeigt haben. Und diese weiß, daß harte Gläubiger mich bedrängen, sie würde Percy sicherlich voller Hohn erklärt haben, ich hätte den Stein verkauft, um meine Verbindlichkeiten heimlich aus der Welt zu schaffen. Sie kennen meine Ehe nicht, Mr. Harst: Lady Elisabeth Hooy ist maßlos stolz, ich habe sie noch nie gesehen und sie hat mich nie sehen wollen. – Möglich, daß meine Absicht, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, Ihnen unbegründet erscheint. Ich kann Ihnen nicht alles anvertrauen, was ich durchlitten habe.«

Sie schwieg ... Ihre Hand, die bisher im Schoße geruht hatte, schnellte hoch und ballte sich zur Faust. In ganz anderem Tone rief sie: »Oh – da ist er schon wieder, dieser ekelhafte Mensch ...!!«

Wir blickten zur Seite, und drüben auf dem breiten Bootsstege lehnte am Geländer Moritz Seligfeld und schien träumerisch in das Wasser hinabzustarren. Er hatte seinen Gummikragen an einen Bindfaden gebunden und den Kragen in die Flut getaucht, zog ihn jetzt empor, tauchte ihn wieder ein, – und so trieb er's mehrere Male.

»Kragenwäsche ...!« meinte Harald lächelnd. »Billig und praktisch ... – Also Moritz Seligfeld schleicht Ihnen nach, Mylady?«

»Ja. – Heißt dieses bucklige Scheusal so?«

»Wahrscheinlich nicht, Mylady ... Er ist Postkartenverkäufer, sagt er ... Wir sind bereits sehr gute Bekannte.«

Gwendolyn Hooy schaute Harst ungläubig an. »Bekannte?!«

»Wir machen Geschäfte miteinander ...«

»Sie – mit ihm?!«

»Gewiß ...« Harst beobachtete Moritz unausgesetzt. »Er war heute ebenfalls auf dem Fex-Gletscher – in der östlichen kleineren Spalte ... Er verbarg sich dort. Vielleicht weiß er mehr, als wir ahnen ...«

»Worüber?! Dieser Mensch?!« Gwendolyn Hooy lächelte verächtlich. »Er ist ein frecher aufdringlicher Hausierer ... Ich kaufte ihm gleich am ersten Tage hier ein paar Postkarten ab ... Denken Sie, vorgestern kam er in meinen Salon im Hotel und bot mir Edelweiß an ... Er war einfach nicht loszuwerden ... Wo ich gehe und stehe, immer ist er in der Nähe.«

»Er war bei Ihnen,« wiederholte Harst langsam ... »Vorgestern ... Und Sie kauften Edelweiß?«

»Ja ... Aber ich drohte ihm auch, mich hier an die Polizei zu wenden, falls er mich weiterhin belästige. Er erwiderte sehr demütig, – und das brachte mich noch mehr auf: »Die Polizei wird Ihnen nicht helfen, fürchte ich ...« – Als ich den Portier herbeirufen wollte, verließ er mich mit einem unverschämten Grinsen ...«

Harst stand auf. »Entschuldigen Sie mich Mylady ...« Er ging zum Stege hinüber, Moritz zog gerade wieder seinen Gummikragen empor, und an dem Kragen hing irgend etwas, das im Abendrot wie ein feuriger Funke blitzte.

Gwendolyn Hooy lief wie gehetzt hinter Harald drein, ich folgte, und Moritz Seligfeld stotterte tödlich verlegen:

»Gott der Gerechte, – was for'n Fisch hab' ich jeangelt!!« Der Fisch war ein Platinkettchen, an dem der blaue Hooy befestigt war.

Gwendolyn sagte drohend:

»Sie ... Sie haben gesehen, wie ich gestern abend diese Imitation hier ins Wasser gleiten ließ ..! Und jetzt ...«

»...Gott der Gerechte, – nur e Imitation?!« winselte Seligfeld enttäuscht ... »Ich mecht' wetten, das is e echter blauer Diamant ...!«

Lady Hooy griff nach dem Schmuck.

»Echt?! Es ist die Imitation!! Und Sie haben den echten blauen Hooy gestohlen, Sie Spion, Sie ...!«

»... Bei dem Gott meiner Väter, schöne Dame: Der Moritz is kan Dieb!! Ich lass mir nix beleidigen ... auch von Sie nich, schöne Dame ... Da haben Se den Dreck ... Mein Kragen is sauber, mein Gewissen auch ... Gute Nacht!«

Und stolz zog er davon.

Lady Gwendolyn begann zu weinen. Ihre Nerven streikten plötzlich. Hastig schritt sie nach dem Badeteil hin den Weg entlang. Die Imitation war leise klirrend Harst vor die Füße gefallen.

»Wenn sie jetzt nicht kehrt macht und sich bei diesem höchst eigenartigen Angler nicht entschuldigt,« sagte Harst, und steckte den Anhänger in die Tasche, »dann würde sie mich sehr enttäuschen. Selbst für eine frühere Schauspielerin und Engländerin hat sie sehr viel Temperament. Es ist etwas Unausgeglichenes an ihr, das freilich anderen Quellen entspringt als bei Frau Gilda Tomahsen. – Ah – sie macht kehrt ... Sie winkt uns zu, – ihr Gang ist wundervoll, selbst die hastigen Schritte stören die Vornehmheit ihrer Erscheinung nicht. Schade, ein Schwarm der juwelenbehängten Wolkenkratzerbewohner drängt sich zwischen Lady Gwendolyn und unseren Freund Moritz. Trotzdem bin ich glücklich. Gwendolyn Hooy ist so, wie ich sie einschätzte.« Harst lächelte dann still vor sich hin. »Im Grunde beherbergt dieses köstliche Tal ein paar Menschen, die es wert sind, unsere Feiertage auch mit ihnen auszufüllen. Uebrigens – die Dame heißt Frau Mabel Billinx, mein Alter.«

»Welche Dame?« Aber kaum hatte ich diese höchst überflüssige Frage gestellt, als ich sie auch schon selbst beantwortete. »Du meinst die Amerikanerin am zweiten Tisch mit der echten Brosche ... Ich glaubte, du hättest dieses Gegenstück zu Moritzens Talmi nicht bemerkt.

»Schon gestern, schon gestern abend ... Es sind drei Steine von reinstem Feuer, und Frau Billinx trägt die Brosche als Vorstecknadel vor der Brust ... Gilda Tomahsen hat mir die Imitation abgeschmeichelt – als Andenken – durch viele harmlose Redensarten ... – Wirklich, Lady Hooy und Moritz Seligfeld stehen jetzt drüben am Gondelsteg ... – Ist es nicht seltsam, daß hier zwei Imitationen wertvoller Schmuckstücke auftauchen?! Ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß noch mehr derartiger Talmi hergestellt werden wird? Wenn es Hoteldiebe sind, arbeiten sie nach einer völlig neuen Methode: Sie wechseln die echten Stücke gegen Tombak aus, und die Geschädigten dürften nur zufällig sofort bemerken, daß sich Platin oder Gold und Edelsteine in Bijouterie verwandelt haben.«

Ich blickte träumerisch zum weißen Piz Surley empor. Die Schatten der Nacht senkten sich langsam über dieses Hochgebirgsparadies herab.

»... Es wird hier sehr viel gestohlen werden, fürchte ich,« sagte Harst in demselben sinnenden Tone. »Alle Anzeichen deuten darauf hin ... Du solltest besser dem Piz Rosatsch deine Blicke widmen. Es berührt mich nicht gerade angenehm, daß zwei Fenster von Professor Oberspahns Hütte matt erleuchtet sind, was doch nicht sein dürfte. Oberspahn ist unterwegs nach Chur, die Polizei hat seine Hütte verschlossen, und es ist kaum wahrscheinlich, daß Touristen das Blockhaus erbrochen haben oder ein Beamter zu dieser Stunde dort seine Pfeife raucht.«

Zwischen weißen Schneehalden lag droben düster und unzugänglich die Steilwand, auf deren Terrasse der Mann, den Harst noch immer Oberspahn nannte, seinen Schlupfwinkel besessen hatte: ein großer Verbrecher, ein großes Genie!

Ich mußte sehr genau hinsehen, wenn ich dort hoch oben am Rande des ewigen Schnees die leuchtenden Pünktchen erkennen wollte.

»Harald, er ist entflohen ...« meinte ich erregt, und ich erwartete als Antwort ein Kopfnicken zumindest.

Harst erwiderte mit leichtem Gähnen:

»Wenn ich nicht fürchten würde, morgen mit einigen kaputten Knochen im Bett zu liegen, würde ich Kriminalkommissar Alarich Gepp sehr gern besuchen.«

Ich starrte ihn verblüfft an. »Gepp?!«

»Er ist bestimmt hier, mein Alter, noch hier oder schon wieder hier. Gepp ist der Außenseiter der Herren vom roten Alex in Berlin. Er ist stets vorn an der Front, wenn man es am wenigsten vermutet. Wer kennt Gepps wahres Gesicht?! Eigentlich niemand. Man verwendet ihn nur in besonderer Mission. Man muß solche Leute in Bereitschaft haben, die dem internationalen Gaunertum völlig fremd sind.«

Er blickte noch immer schräg nach oben über den See hinweg. »Gepp ist hier,« wiederholte er. »Ich spüre seine Anwesenheit mit jenem sechsten Sinn, der feiner ist als die anderen. Beweise habe ich nicht.«

»Dann ist es Moritz,« behauptete ich ohne Zaudern.

»Nein, nein, weder Moritz noch der Angler Lewis Brance, mit dem wir uns morgen beschäftigen wollen. Ich wünschte, ich wüßte, in welcher Maske Alarich Gepp hier umhergeistert.«

Eine Gondel, von einem schwarzhaarigen langen Italiano gerudert, strich an unserem Stege vorüber. In der Gondel saß Gilda Tomahsen in einem weißen flockigen Mantel, einen Blaufuchs um die Schultern gelegt. Die eine Hand ließ sie im Wasser nachschleifen. Der Italiener sang leise ein schwermütiges Lied südlicher Gestade. Gilda sah uns nicht. Zu ihren Füßen lag auf einem bunten Teppich ein Mann, der eine Zigarette rauchte.

Wie eine Vision zog die Barke schnell dahin und tauchte in die milchige Dämmerung ein. Ich hatte den Kopf des Mannes nicht deutlich gesehen, denn Frau Gildas Mantelzipfel bedeckte ihn halb.

»Gehen wir zu Bett, mein Alter ...«

»Wer war der Liebhaber?!«

»Vielleicht Alarich Gepp ... Seitdem ich mich so sehr von ihm bluffen ließ, traue ich ihm alles zu ... Er steckt uns beide in die Tasche – leider ...!«


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