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4. Kapitel. Noch einige Diebstähle

»Wo läßt man sich hier am besten das Haar schneiden, Zenzi?«

Unser Stubenmädchen, frisch und rosig und flink, lächelte und zeigte tadellose Zähne. Sie betrachtete Harsts nicht allzu üppige Haarfülle und schlug den Salon Deister vor ... »Ein ganz ein neues G'schäft, Herr Harst ... Gleich drüben im Eckhause unten. Vom Balkon sehen Sie's. Erst eine Woche alt, der Salon ... Der alte Deister hat einen Sohn, und dem hat er's Geschäft eingerichtet. Sehr feiner Coiffeur, der junge Deister ... In Wean hat er gelernt ... Ach, kennen's Wean, Herr Harst?«

»Du kannst mitkommen,« sagte Harald, nachdem Zenzi davongeflitzt war. »Wenn man in einem Orte wie St. Moritz über einen Hausbewohner Auskunft haben will, muß man den nächsten Friseur aufsuchen und sich vom Chef bedienen lassen. Alles weitere ergibt sich dann von selbst, wenn man nur eben Konversation zu machen versteht.«

Harsts Rezept war gut und bewährt. – Im Salon Deister gab es rechts die Abteilung für Damen, links die für Herren, in der Mitte lag das neutrale Gebiet, eine achteckige Diele mit Korbmöbeln, Tischchen und allerhand Zeitschriften. Wie üblich hatte der Herrensalon keine trennenden Wände, sondern Sessel stand an Sessel, und der gewaltige Spiegel gestattete, auch die Nachbarn dauernd zu beobachten. – Zwei Sessel waren frei. Eine Maid im weißen Mantel mit dunklem Wuschelkopf und recht pikantem Gesichtchen seifte mich ein. Harst wurde von einem schwarzhaarigen Gentleman bedient, der so gewiß italienisches Blut in den Adern hatte wie ich ausschließlich germanisches habe. Es war der Herr Chef: Ignatz Deister, der schöne Natzi genannt. Sein Augenaufschlag, sein bleiches, etwas gelbliches Gesicht mit sehr regelmäßigen, sehr weichlichen Linien, seine schlanken Hände mit blitzenden Ringen, die selbstbewußt-lässige Art seines Gebahrens, eine tief getönte Stimme und – nicht zu vergessen – der künstlerisch-geniale Haarschopf mußten unbedingt auf Frauenherzen von harmloser Natürlichkeit ungeheuer verwirrend wirken.

Dieser Natzi Deister legte Harald den Frisiermantel um, stopfte ihm einen Wattestreifen ins Genick und redete wie ein Wasserfall. Ich lauschte andächtig. Meine einseifende und rasierende Maid gab sich bei mir weiter keine Mühe, wärmere Empfindungen für ihr kokettes Persönchen hervorzurufen. Ich spiele überall den guten alten Onkel, dem man eher eine Gichtzehe als Seitensprünge zutraut.

» ... Freilich g'hört das Haus meinem Vater, mein Herr ... Wir bewohnen's ganz allein, aber wir geben natürlich Zimmer an Gäste ab ...« Natzi ließ den kleinen Motor der Haarschneidemaschine surren ... »Gewiß, – ganz oben in der Mansard' wohnt der Hausierer Seligfeld ...« Natzis Stimme drückte eine Geringschätzung aus, als ob unser Moritz ein vielfacher Raubmörder wäre ...

Harst warf aufmunternd ein: »Ich angle leidenschaftlich, und Herr Seligfeld meinte, Mr. Lewis Brance könnte uns tadellose Forellenstellen angeben ...«

»So – –?!«

Merkwürdig, wie jäh die Lippen Natzi Deisters verstummten. Das »So – –?!« schien seinen Atemvorrat erschöpft zu haben.

»Ist Mr. Brance ein zugänglicher Herr?« bohrte Harst ohne Rücksicht auf Natzis Verschlossenheit weiter.

»Ich muß bedauern, mein Herr, ich habe mit Mr. Brance noch keine drei Worte gewechselt,« erklärte der junge Chef mit schwachem Achselzucken. Jedenfalls ist Mr. Brance den Tag über am Flusse, bei jedem Wetter ... Wenn ich mir ein Urteil erlauben darf: Er ist sehr wenig zugänglich, und mit unserem dritten Mieter hat er bisher nur kühle Grüße ausgetauscht, obwohl sie doch Zimmer an Zimmer wohnen, mein Herr. – Darf ich die Schläfen auch mit der Maschine schneiden?«

»Ja. – Ich möchte dennoch versuchen, mit Mr. Brance bekannt zu werden ... Ich bin hier fremd, und Angler pflegen einander ...«

Natzi wehrte energisch ab. »Mein Herr, es wäre zwecklos ... Auch unser dritter Mieter, Professor Termoolen aus Amsterdam, hat sich umsonst bemüht, Mr. Brance seine Begleitung aufzudrängen ... – darf ich vorn das Haar noch kürzer schneiden, mein Herr? Bitte, hier ist der Spiegel ... Sie entschuldigen, – eine Dame muß onduliert werden ...«

Natzis Rückzug geschah etwas plötzlich. Er ließ einen Jüngling von erstaunlicher Magerkeit die Arbeit vollenden, und das Ergebnis dieses Besuchs im Salon Deister war mithin ebenso mager, wie dieser Ersatzmann.

Dachte ich.

Als wir dann auf der Straße standen, belehrte mich Harald eines Besseren. »Weißt du, mich interessiert jetzt dieser holländische Professor Termoolen fast mehr als Mr. Brance,« sagte er und schaute nach Moritzens Postkartenstand hinüber. – Moritz hatte sich wieder unweit der Post aufgebaut. Melancholisch hockte er auf seinem Klappstühlchen in der prallen Sonne und betrachtete tiefsinnig seine ausgefransten Hosen.

»Morgen, Herr Seligfeld,« begrüßte Harst den fragwürdigen buckligen Postkartenhändler. »Na, Ihr Kragen ist durch das Bad gestern abend entschieden eindrucksvoller geworden ...«

Moritz erhob sich rasch. »Nu, wie hat er gefallen die Herren?!« sprudelte er in seiner so sehr verblüffenden Zielsicherheit hervor und blinzelte uns durch seine schiefe Brille verständnisvoll an. »Sehr ein patenter Herr, der schöne Natzi – sehr ein patenter Herr!« äffte er den Weaner Ton miserabel nach. Dann – in ganz anderem, geheimnisvollem Flüsterton: »Der Moritz is nur e armer Jidd ... Der kann nix geihn in den feinen Salon ... Aber, wozu mißten Sie gehn da hinein, wozu?! Wollen Se sich vermasseln e großes Ding?! Wozu frag'n Se nich den Moritz, he?! Nu laufe Se herum mit'n kahlen Kopf, und der schöne Natzi wird Ihne nix gesagt haben, wie ich ihm kenn', den Natzi ... Das is e ganz gerissener ...«

Ich war ziemlich sprachlos. Moritzens Schlauheit verdiente Anerkennung. – Harst wählte zum Schein ein paar Karten aus.

»Mein lieber Freund Moritz,« sagte er dabei eindringlich, »wer und was sind Sie eigentlich? Mir müssen Sie doch keine Komödie vorspielen ... Reden wir ehrlich miteinander. Sie waren gestern Lady Hooy auf den Fex-Gletscher gefolgt. Ich sah Sie.«

Seligfeld senkte den unschönen Kopf und murmelte trübselig: »Nu – ich kenn' ihr doch ... Ich ... lieb' ihr, Herr Harst ... Warum soll ich ihr nicht lieben?!«

»Sie schleichen hinter ihr her, Moritz.«

»Gott, e Verliebter macht noch verricktere Sachen ...« Er grinste schämig. Aber – ihm war nicht beizukommen. Er war aalglatt.

Harst zählte zehn Postkarten ab und reichte Moritz drei Franc. »Wer war der Herr, mit dem Frau Gilda Tomahsen gestern abend gondelte?«

»Professor Jan Termoolen ...« flüsterte Moritz und blinzelte noch stärker. »Auch sehr ein patenter Herr – sehr patent, – graue Haare, schitzen nix vor Torheit, und die Frau Tomahsen verbraucht jeden Tag dreißig Taschentüchlein ... Da – nehmen Sie's, Herr Harst ...« Er steckte Harald blitzschnell ein winziges Päckchen zu. »Wenn das Blut in den Tüchlein aus der Lunge is, laß ich mir taufen ... – Nu gehn Sie ... gehn Sie ...! Der Ober kommt ... Im Hotel Albana is heit der Teifel los, heit frieh ... Die Polizei war da in Zivil, und ... gehn Sie, gehn Sie ...!«

Er wandte uns den Rücken zu und ordnete seine Karten.

Blaß und verstört stand der elegante, geschmeidige Ober vor uns.

»Herr Harst ... Herr Harst ... würden Sie vielleicht die Liebenswürdigkeit haben ...« – er konnte kaum sprechen, der Aermste ... »... Liebenswürdigkeit haben und in das Geschäftszimmer kommen ...«

Er warf Moritz einen grimmen Blick zu ...

»Herr Harst, vier von den Amerikanern behaupten, sie seien in dieser Nacht bestohlen worden ...« – er dämpfte seine zitternde Stimme noch mehr. »Es handelt sich um Juwelen im Werte von vielen Tausenden, und die amerikanischen Detektive stehen einfach vor einem Rätsel ...«

»Hm, – weil die Schmuckstücke zwar noch vorhanden, aber nicht mehr echt sind, nicht wahr?!«

Der Ober nickte übertrieben. »Es ist unbegreiflich ...! Es ist so: Nicht mehr echt, nur Imitationen!«

»Das ist gar nicht so unbegreiflich,« meinte Harst ebenso leise. »Gut, wir kommen mit ...«


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