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Fünfzehntes Kapitel.

Die Gottlieb Hähnchen zunächst Sitzenden waren längst von dem bleich und in sich zusammengesunken auf seinem Stuhl hockenden Manne abgerückt.

Hähnchen hatte jetzt dicke Schweißperlen auf der Stirn. Er schaute nicht auf, war wie versteinert –

»Herr Marx hat schon angedeutet, daß ich alles Seltsame liebe,« begann Hosea. »So ist es auch. Andere sammeln Spazierstöcke, Reitpeitschen, Uhren und so weiter. Ich habe eine Leidenschaft für das Ungewöhnliche. Und was hier im Hause vorging, war recht ungewöhnlich. – Ich war an demselben Tage in Palmburg eingetroffen, als Herr Hähnchen gegen einen menschlichen Kopf eine Kugel abfeuerte, die keine Kugel war. Im »feurigen Roß«, der Stammkneipe einiger Mieter dieses Hauses, hatte ich genaueres über das Attentat gehört, auch davon, daß der »Tote« verschwunden und ein Schränkchen abgeholt worden war. Ich fuhr nach Palmburg zurück und stellte durch Nachfragen an den beiden einzigen Autohaltestellen den Chauffeur fest, der das Schränkchen hatte tragen helfen und es nach der Pension Teubler gebracht hatte. – Nachdem ich mich schon etwas über das Schränkchen informiert hatte, kehrte ich mit der Elektrischen nach Bäckershagen zurück und umschlich das Spukhaus. Es war etwas nach elf Uhr, als ich auf dem Fenstervorhang eines erleuchteten Hinterfensters des Erdgeschosses den Schatten einer Frau für einen Moment wahrnahm. Bei dieser Frau fiel mir die hohe, altertümliche Frisur auf. Dieselbe Frisur sah ich später auf dem Oelbilde der Hermine Löckner. Nach einer Weile erschien der Schatten der Frau wieder für einen Augenblick auf dem Vorhang – jetzt aber ohne die hohe Frisur, und der Kopf sah mir jetzt verteufelt nach einem Männerkopf aus. – Das war doch schon ganz interessant für den Anfang! – Dann wurde ich zum Glück verhaftet und gezwungen, einen warmen Raum aufzusuchen. Mittags sprach ich meinen Freund Malwa auf dem Polizeipräsidium, wo ich auch Herrn Märker kennenlernte. Nachher war ich dann wieder hinter dem Schränkchen her, besuchte auch Herrn Märker nochmals und hielt dann meinen Einzug in das Geister-Palais hier.«

Die Art, wie Hosea das erzählte, war geradezu köstlich. Es war ein leichter Plauderton mit allen Schattierungen von offensichtlichem Spott bis zu feinster Ironie.

»Ich fand meinen Freund Malwa ein wenig verstört und er hatte auch wirklich schon in der ersten Nacht im neuen Heim so allerlei erlebt, morgens dann den Geist seiner Tante dort am Schreibtisch sitzen sehen. – Nun – über diesen Geist wußte ich schon etwas Bescheid. Der Schatten auf dem Fenstervorhang, einmal mit, dann ohne Perücke, war vielsagend genug. Ich dachte: schau, schau, Meister Hähnchen produziert sich hier als Gespenst. Gucken wir ihm daher ein wenig auf die Finger! – Ich ließ mir von Malwa seine Erlebnisse in diesem Hause ganz genau erzählen. Hierbei fiel mir auf, daß das Ehepaar Hähnchen sich offenbar alle Mühe gegeben hatte, meinen Freund sofort durch die Andeutungen über den Spuk und durch die Erwähnung, daß Fräulein Löckner durch Selbstmord geendet hatte, einzuschüchtern, was ihnen ja auch leidlich gelungen ist. – Wenn Meister Hähnchen ein wenig mißtrauischer gewesen wäre, so hätte er eigentlich schon aus der Widmung, die ich auf die schnell entworfene Porträtskizze schrieb, etwas Argwohn schöpfen müssen. Aber die Worte »dem guten Geiste des Spukhauses zur Erinnerung!« kamen ihm ganz harmlos vor, waren es aber durchaus nicht. – Dann beschäftigte ich mich in Gedanken hauptsächlich mit dem Attentat auf Wehrhut. Ich gebe zu, daß ich zunächst wirklich annahm, daß Marville und der Maler dabei eine recht verdächtige Rolle gespielt hätten. Doch das Schränkchen belehrte mich schnell eines besseren. Ich merkte, daß Wehrhut und Herbst ein und dieselbe Person waren, und ein Zettel in Geheimschrift, der Malwa zugesteckt wurde, zeigte mir die Beziehungen zwischen Marvilles und Wehrhut in einem ganz eigenartigen Licht infolge einer geheimen Telephonverbindung zwischen den beiden Wohnungen. Hatte schon die Doppelrolle jenes Wehrhut-Herbst die Vermutung in mir auftauchen lassen, hier könnte ein Detektiv an der Arbeit sein, so wurden das Telephon und der Fund einiger Reste der präparierten Kugel auf dem Flurläufer ausschlaggebend. – Natürlich ein Detektiv, sagte ich mir. Und ich erinnerte mich daran, daß Frau Hähnchen zu meinem Freunde Malwa von Marville als dem Herrn gesprochen hatte, der nicht in dies anständige Haus hineingehöre. Näheres hierüber wußte mir auch der Herr Major zu berichten. – Kurz – Marville war vorbestraft, beteuerte aber stets seine Unschuld und – konnte daher ganz gut sich den Detektiv im eigenen Interesse verschrieben haben. – Dann aber – und dies ist sehr wichtig! – stellte ich durch ein Experiment fest, daß der Attentäter aus der leeren Wohnung der verstorbenen Hausbesitzerin gekommen und nach dem Schuß dorthin auch zurückgekehrt war. Die Schlüssel zu dieser Wohnung hatten Hähnchens in Verwahrung. Und dieser Umstand gab den Anlaß, daß ich der Frage nähertrat, ob nicht vielleicht gar Meister Gottlieb der Schütze gewesen sein könne. Auf den ersten Blick schien dies ausgeschlossen zu sein. Dann dachte ich an den Blitzableiter, der an der Rückfront des Hauses hochläuft. Vielleicht hatte Hähnchen nicht geschlafen, sondern war auf diesem Wege in die leere Wohnung geklettert, um von dort aus über den Flur zu Wehrhut zu gelangen. Ich verwarf diese Annahme schnell wieder. Am Tage wäre eine solche Kletterpartie zu gefährlich gewesen; jeden Moment hätte Hähnchen dabei von einem der Einwohner überrascht werden können. – Ich hatte nun auch den Fenster-Kopf in der Küche untersucht und darauf eigenartige Spuren gefunden, runde Stempel von Gummiabsätzen, die mir nachher bewiesen, daß Marville fraglos mal, wahrscheinlich nachts, mit Hilfe des Blitzableiters in Fräulein Löckners Wohnung eingedrungen war. Ich merkte mir das, was von Spuren vorhanden war, sehr genau und schüttete dann, bevor wir, Malwa und ich, gleich am ersten Abend nach meiner Ankunft zu Baltings gingen, auf das Fensterbrett der Küche eine dünne Schicht Ofenasche. Als wir dann von Baltings in unser Heim zurückkehrten, schloß ich selbst die Flurtür ab und legte die Sicherheitskette vor. Kam das Gespenst in dieser Nacht, so konnte es nicht durch die Flurtür eindringen und mußte, wenn es den Blitzableiter benutzte, in dem Aschenstaube des Fensterbrettes notwendig Spuren hinterlassen. – Und – es kam! Wir hörten es im Korridor umherschlurfen, während wir im Salon saßen und ich mir alle Mühe gab, mich möglichst als Angsthasen durch laute, zweckentsprechende Reden hinzustellen. Außerdem hörten wir aber auch jene unheimlichen Töne, deren Ursprung sich niemand zu erklären vermochte. – Am nächsten Morgen lag die dünne Aschenschicht unberührt da. Somit – geben Sie acht, meine Herrschaften! – hatte ich den Beweis erbracht, daß – es zu der Wohnung noch einen zweiten geheimen Zugang geben müsse! – Und dieser zweite Zugang, den zu finden ich mich redlich bemüht habe, den ich aber erst heute fand! –, ließ mich wieder an Hähnchen denken als an den Geist der Tante und auch als an den Attentäter, – denn Marville und Merling hatte ich bereits von der Liste der hier in Betracht kommenden Personen gestrichen. Daß er der verkleidete Geist gewesen war, der in dieser Wohnung im Flur umhergewandert war, – also Hähnchen, unterlag für mich keinem Zweifel mehr. Und wenn er als Gespenst mit Hilfe eines verborgenen Zugangs in die Wohnung hineingelangt war, konnte er auch derjenige sein, der zwei Dielen zum Knarren gebracht hatte und nach dem Schuß schnell wieder in die Wohnung geschlüpft war, die man ruhig hätte durchsuchen können, ohne etwas Lebendes darin zu finden. – Mein Verdacht gegen Hähnchen nahm also immer bestimmtere Formen an.«

Hier räusperte sich Hosea, um dann mit zerknirschter Miene zu erklären:

»Ich habe mir nun die größte Mühe gegeben, niemand etwas von diesem Verdacht, der schon halb Gewißheit war, merken zu lassen, habe so getan, als ob ich allen möglichen Leuten mißtraute, habe Wahres und Falsches gemischt in meinen Bemerkungen, um sowohl Freund Malwa als auch sonst jeden irrezuführen, während ich doch in Wirklichkeit nur ein Ziel im Auge hatte: Gottlieb Hähnchen, – der jetzt wieder dort sehr bleich dasitzt und wohl überzeugt ist, daß er das Spiel verloren hat. – Ich muß hier nun einschalten, daß ich aus den Kontobüchern der Hermine Löckner ersehen hatte, daß das alte Fräulein noch eine größere Summe in Staatspapieren besessen haben müsse. Diese Papiere fehlten jedoch im Nachlaß, so daß man unter Berücksichtigung der Charakterveranlagung und der ganzen Lebensführung der Tante sehr leicht zu dem Schluß kommen mußte, dieser Selbstmord verdiene ein großes Fragezeichen. – Als ich dies Malwa gegenüber äußerte, ließ er seinen Rasierapparat am Morgen nach dem Besuche bei Baltings fallen. Zwei Stunden später kam Märker zu uns und teilte uns mit, daß Herbst entwischt wäre. Ich hatte das vorausgesehen, ebenso auch, daß Herbst-Wehrhut hier wieder als neuer Mieter in anderer Maske auftauchen würde, da nur zu diesem Zweck das Mobiliar Wehrhuts auf einen ein wenig gefälschten Brief hin – gefälscht, was die Zeit der Abfassung anbetrifft! – so schnell abgeholt worden sein konnte. Märker vernahm dann hier Marville und Merling, wobei er ersterem erklärte, es wäre in diesem Hause auch noch ein Raubmord begangen worden, – was Marville jedoch so ruhig mitanhörte, daß ich mir sofort sagte, auch er müsse den Verdacht hegen, Fräulein Löckner wäre absichtlich durch Gas getötet worden. Er und Merling blieben bei der Vernehmung dabei, »vorläufig« sich nicht äußern zu können, und – wurden verhaftet, was sie wieder in keiner Weise zu beunruhigen schien, für mich ein weiterer, wenn auch bereits unnötiger Beweis ihres reinen Gewissens und ihres Einverständnisses mit dem Detektiv Wehrhut-Herbst. – Malwa und ich machten dann einen Spaziergang, wobei ich meinem Freunde einen im Schnee fest eingetretenen Fußpfad zeigte und eine Stange. Beide waren mir schon am ersten Abend aufgefallen, als ich das Haus umschlich, und damals hatte an der Stange eine kleine Laterne gebrannt. Bei der Rückkehr begegneten wir Herrn Bruchstück, der damals die mir hochinteressante Bemerkung machte, Hähnchens hätten es hintertrieben, daß er sich einen Hund halten dürfe. Der Hund mit seiner feinen Nase wäre Hähnchens eben in Rücksicht auf die Ruine leicht gefährlich geworden, da diese auch ihr besonderes Geheimnis hatte. – An diesem Tage geschah noch mancherlei: Doktor Schellhorn mietete die Wohnung Wehrhuts, die Nichte der Frau Sauerbier, in Wahrheit die Polizeiagentin Frau Helmbach, meldete sich an, ich selbst fuhr nach Palmburg und stellte fest, daß Wehrhut wenige Stunden nach seiner »Ermordung« mit einem Pflaster auf der Stirn auf der Straße gesehen worden war, hatte nun also den untrüglichen Beweis dafür, daß alle meine Kombinationen stimmten, was dieses Attentat und den wahren Beruf Wehrhuts und des Herrn Herbst anbetraf, und erfuhr zu allem Ueberfluß noch von Märker, daß der ihm entschlüpfte Aufkäufer der Münchener Kunsthandlung, als der Kommissar mit ihm in der Pension Teubler verhandelte, starke Migräne gehabt und daher ein nasses Tuch um den Kopf getragen hätte. Die Migräne mußte aber der Stirnwunde wegen erfunden werden. – Der Abend dieses Tages war aber doch am ereignisreichsten: ich sah zum ersten Male das Haubengespenst im Garten und – stürzte von dem Blitzableiter ab, den sehr wahrscheinlich Meister Hähnchen durchschnitten haben dürfte, um mir einen Denkzettel zu geben – das heißt, mich entweder ganz oder doch für einige Zeit unschädlich zu machen, weil er eben mittlerweile eingesehen hatte, daß ich nicht der Feigling war, den ich spielte, und ich ihm gefährlich dünkte. Ebenso bin ich davon überzeugt, daß er ahnte, ich würde an demselben Abend noch in den Garten kommen und mich nach dem Haubengespenst umtun. Mir ist damals eine regelrechte Falle gestellt worden. Man wollte mich ermorden, – ich sage »man«, da das Haubengespenst nicht etwa auch Hähnchen war, sondern – seine kräftige Walküre von Gattin. – Während ich dann draußen im Freien im Schneegestöber sechs Männer mit verhüllten Gesichtern den Weg nach der Ruine einschlagen sah, hatte Malwa oben im Salon genau um die Mitternachtsstunde ein abermaliges Erlebnis mit dem schlurfenden Geist, dem er gern eine Revolverkugel auf den Pelz brennen wollte. Er durchlöcherte aber nur die Türfüllung und wurde an weiteren mutigen Taten dadurch verhindert, daß das Gaslicht plötzlich erlosch – Und dieses Versagen der Beleuchtung empfehle ich, nicht vergessen zu wollen. Ich komme noch später darauf zurück.«

Hosea strich sich über die Stirn.

»Wo war ich doch stehengeblieben –? – Richtig – Haubengespenst! – Es würgte mich – natürlich nicht mit den Skelettfingern, – nein, die Totenarme und der Schädel waren nur Requisiten der kraftstrotzenden Frau Guste, über deren Kochkünste ich mich so oft ehrlich gefreut habe. Totenschädel, Skelettarme und das Kleid des Geistes der Tante sowie die Perücke liegen dort in jenem Pappkarton, den wir vorhin mitgebracht haben. – Minka rettete mich. Und Malwa depeschierte nach unserem gemeinsamen Freunde von Bock-Palluck. – Ich erholte mich schnell. Nun hatte ich auch eine persönliche Rechnung mit den zwei Geistern wettzumachen. Nun sollte die Spukkomödie hier schleunigst ein Ende finden. – Ich tat jedoch so, als hätte ich jede Lust verloren, mich weiter in Dinge zu mischen, die mich scheinbar nichts angingen. Wir wurden Rodler. Hierbei lernten wir Lore Hähnchen kennen. Weswegen sie von Dresden so schnell nach Hause geeilt war, will ich übergehen. Jedenfalls spielt sie hier eine nicht unwichtige Rolle. – Ich komme nun zu dem Eiszapfen, der der »Nichte« Frau Sauerbiers auf den Kopf fiel. Ich hatte mir zusammen mit dem Major die Bruchstelle an der Dachrinne angesehen und natürlich sofort bemerkt, daß das Eisstück absichtlich abgebrochen worden war, mir auch gesagt, daß es nur die Frau treffen sollte, die Hähnchen ebenso gut wie ich als Polizeiagentin erkannt hatte und die er ebenfalls verscheuchen wollte als eine ihm höchst unbequeme Aufpasserin. Von Bruchstück erfuhr ich, daß er auf dem Hausboden vor dem Absturz des Eiszapfens schleichende Schritte und dumpfe Schläge gehört hatte. Und Fritz Weigand wieder versicherte, Hähnchen wäre zur Zeit des Unfalls weder in der Werkstatt noch in der Wohnung gewesen. Das genügte mir. Ich wußte nun, wie gefährlich Hähnchen war, wie raffiniert, – und daher wollte ich ihm beweisen, daß ich noch schlauer war. Ich gedachte den Stein dadurch ins Rollen zu bringen, daß ich Meister Gottlieb – stempelte, wenn er als Geist im Flur umherschlurfte, – so stempelte, daß alles Leugnen ihm nichts half, daß ich ihn in die Presse nehmen und langsam alles aus ihm herausquetschen konnte. – Dann brach der gestrige Tag an. Morgens kam Märker. Er hatte die Strafakten Marville mit. Er erzählte von den zahlreichen Geldschrankeinbrüchen und langen Frauenhaaren, die man dann und wann, nicht immer, am Tatort gefunden hätte, – Haare von einer eigentümlich rostbraunen Farbe. Und solche Haare hat – Frau Hähnchen! Das schoß mir sofort durch den Kopf! Ja, Frau Hähnchen, dieses starke Weib, von deren Fingerkraft ich bereits am eigenen Leibe Beweise erhalten hatte! Und weiter fiel mir nun Schlag auf Schlag ein: die sechs Männer mit den verhüllten Gesichtern, der vielbegangene Pfad im Schnee, der vom Fabrikviertel Palmburgs bis in die Nähe der Ruine läuft, das Laternchen an der Stange, fraglos ein Signal, und der Umstand, daß Hähnchen Schlosser ist! Und gerade dieses Handwerk stellt ja die meisten Rekruten für die Garde der Geldschrankknacker! – Märker vermutete, Berliner Einbrecher gäben hier Gastrollen; ich dagegen, daß es eine einheimische Verbrecherbande war, daß diese hier im Hause ihre Zusammenkünfte abhielt, und daß das Ehepaar Hähnchen sozusagen die Leiter des Ganzen wären. Und als ich nun hörte, daß Hähnchens abends das Palmburger Schauspielhaus besuchen wollten, da – verschaffte ich mir gleichfalls ein Billett. Ich wollte die beiden eben auch nicht einen Moment mehr aus den Augen lassen. – Während des ersten Aktes verschwanden sie. Ich auch. Ich schlich ihnen nach. Sie waren ganz ahnungslos. So wurde ich Zeuge, wie in die landwirtschaftliche Darlehnskasse ein Einbruch verübt wurde. Vier Männer standen draußen Schmiere. Ich markierte den Trunkenen, torkelte an ihnen vorüber zur nächsten Polizeiwache. Das weitere hat Märker besorgt. Die vier Schmieresteher und die zwei, die Hähnchens geholfen hatten, sind in der vergangenen Nacht verhaftet worden. Hähnchens ließ man ungeschoren. Ich wollte es so. Ich kam vor ihnen nach Hause, – kurz nachdem Ihre Tochter, Gottlieb Hähnchen, in einer Verkleidung in diese Wohnung sich eingeschlichen hatte, um uns zu belauschen, – uns, von denen sie vermutete, daß sie aus unseren Gesprächen vielleicht Gewißheit darüber erlangen könnte, ob – ihre Eltern wirklich Verbrecher wären!«

Hähnchen, seit langem schon wieder ein wahres Bild des Jammers, hob den Kopf. Und dann streckte er flehend die Hände nach Hosea aus und rief:

»Lore – Lore, – sagen Sie mir um Gottes Barmherzigkeit willen, – wo ist sie – wo – wo?!«

Er liebte sein Kind. Diese Töne ärgster Seelenqual, peinigender Ungewißheit schnitten mir ins Herz.

Hosea blieb hart.

»Sie werden es schon noch erfahren. – Lore Hähnchen suchte hier bei uns Gewißheit. Sie ahnte, daß wir hinter dem Spuk her waren. – Sie hatte gestern morgen das in einem Winkel des Kleiderschrankes ihrer Mutter versteckte Kleid gefunden, das der Geist Tante Hermines trug, dazu eine graue, hochfrisierte Perücke, ein Kästchen Schminke und eine lange, spitze Wachsnase. – Da war der erste Argwohn in ihr aufgestiegen, daß ihre Eltern Dinge treiben könnten, die das Licht des Tages scheuten. – Sie war gestern sehr bedrückt, wie ich merkte. Und sie fragte immer wieder nach dem Gespenst der Tante, versuchte mich auszuhorchen. Abends, als sie allein war, hat sie dann die ganze Wohnung durchstöbert. So entdeckte sie in dem kleinen Hinterzimmer, der Schlafstube ihrer Eltern, unter einem Linoleumteppich eine Falltür, unter der eine Treppe in die Tiefe führte. Mutig wagte sie sich mit einer Laterne hinab, fand so einen gemauerten Gang, der unter dem Hause entlangläuft, stellte fest, daß am anderen Ende dieses Ganges wieder eine schmale Treppe in einem Schacht emporführte und vor einer zweiten Falltür, die mit einem besonderen Mechanismus versehen war, aufhörte. Diese zweite Falltür ist der geheime Zugang zu dieser Wohnung und befindet sich gegenüber der Flurtür dicht an der Außenmauer im Fußboden des Flures. Der Schacht aber geht in dem alten Mauerrest entlang, an den sich das Spukhaus anzulehnen scheint. – Ich will hier gleich bemerken, daß die Falltür so sorgfältig gearbeitet ist, daß ich sie bei meinem Suchen nach dem zweiten Eingang nie bemerkt habe. – Aber Lore fand noch mehr. Von dem Gang unter dem Hause zweigte nach rechts ein anderer ab, der sich bald zu einem großen Gelaß erweiterte. Hier standen allerlei Maschinen, auch ein Benzinmotor als Antrieb für diese, – Maschinen, mit denen Hähnchen die tadellosesten Einbruchswerkzeuge herstellte, – hier standen Schränke und Tische und Betten, – hier war also eine geheime Werkstatt und gleichzeitig ein Schlupfwinkel für lichtscheues Gesindel. – Dieser Seitengang endete vor einer Steintreppe von wenigen Stufen. Darüber lag eine schwere, eherne Falltür in einer viereckigen Oeffnung der Decke des Ganges. Als Lore die Eisentür endlich nach oben zu aufgedrückt hatte, strömte ihr eisige Kälte entgegen: die Tür lag mitten in einem Dickicht der Ruine! – Dies alles stellte Lore fest. Und dann kam sie durch den Schacht in diese Wohnung, nachdem sie sich für alle Fälle verkleidet hatte. Meine beiden Freunde faßten den nächtlichen Besuch jedoch ab. Lore tat, als wäre sie mit Hilfe des Blitzableiters eingestiegen. Sie wollte die Eltern nicht verraten. Dann ging sie – die Treppe hinab, den Weg, den alle gehen – Aber – sie hatte nicht daran gedacht, daß sie weder in die Wohnung ihrer Eltern hineingelangen, da sie keinen Schlüssel zu der Flurtür mitgenommen hatte, noch ins Freie konnte, da ja beide Haustüren verschlossen waren. Sie war im Treppenhaus eingesperrt – Während sie dann frostzitternd auf einer der untersten Stufen saß, während sie auf Vater und Mutter wartete, überlegte sie sich all das, was sie gesehen hatte. Ihre Gedanken vermag ich hier nicht wiederzugeben. Jedenfalls kam sie zu dem Entschluß, sich Doris Marville anzuvertrauen. Und ihr hatte sie mitgeteilt, was sie in den Tiefen der Erde gefunden hatte, von ihr hat sie Antwort auf die Frage verlangt, ob ihre Eltern wirklich das seien, was sie vermute –: Verbrecher! – Doris Marville hat nichts beschönigt. Und nun liegt Lore Hähnchen schwer krank in der Wohnung Marvilles. – Dies alles erfuhr Doktor Schellhorn oder Marx, wie wir ihn nennen wollen, von Doris durch das geheime Telephon, und Marx hat es mir heute morgen erzählt, nachdem Fräulein Marville ihm hierzu die Erlaubnis gegeben hatte. Ich schickte Fräulein Marville heute einen Brief, bat sie, Lore mitzubringen, da ich hoffte, diese würde ihre Eltern am leichtesten zu einem reumütigen Geständnis bewegen können. Aber – Lore ist krank –«


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