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Dreizehntes Kapitel.

Als wir nach Tisch in den Sesseln und der Sofaecke Frau Gustes vorzüglichen Rinderbraten behaglich verdauten, öffnete der bisher auffallend schweigsame Hosea endlich den Mund und sagte:

»Der armen Kleinen muß etwas sehr Unangenehmes begegnet sein. Sie hat mich gehörig über unseren Fall ausgefragt, natürlich des Malers wegen. Besonders interessierte sie sich für den Geist der Tante Hermine.«

Er meinte Lore Hähnchen mit der »armen Kleinen«, und Borwin lachte nun und drohte ihm mit dem Finger:

»Ei – ei – was Unangenehmes! Na, Du hast sie ja wenigstens ordentlich getröstet, Hosea!«

Also war es auch dem Kommißbock aufgefallen, daß Hosea sich dem Hühnchen sehr stark gewidmet hatte. –

Gleich darauf kam Bruchstück. Er hatte es eilig, wollte zum Nachmittagsunterricht.

»Herr Garblig, ich wollte nur noch wegen des Eiszapfens etwas bemerken,« sagte er leise und geheimnisvoll, – natürlich geheimnisvoll; er war ja einer meiner Mieter! »Ich habe mir die Bruchstelle, wo die Hauptmasse sich losgelöst hat, heute früh genau angesehen. Und da glaube ich, festgestellt zu haben, daß mit einem scharfen Instrument gegen den Eiszapfen mehrere Schläge oder Stöße geführt worden sind. Das erweckt den Verdacht, daß – daß – hm ja –«

Hosea unterbrach ihn hier.

»Vorwärts – ohne Scheu heraus mit der Plempe! – also – »daß der Eiszapfen absichtlich losgebrochen worden ist, damit er unten jemandem auf den Schädel fliege,« – das ist doch des Pudels Kern oder die Plempe?!«

»Allerdings! Und ich möchte nicht unterlassen, auch noch darauf hinzuweisen, daß ich, bevor Sie und der Herr Major auf den Boden kamen, noch den leisen, schleichenden Schritt eines einzelnen Menschen gehört habe und dann vier dumpfe Schläge – vielleicht die Stöße gegen den Eiszapfen.«

»Richtig, richtig,« meinte Hosea, liebenswürdig lächelnd. »Sie machten uns ja gestern auf Ihr vorzügliches Gehör aufmerksam.«

»Mit Recht, Herr Garblig, mit Recht. – Doch nun muß ich fort, meine Herren. – Empfehle mich allerseits.«

Als die Flurtür zuklappte, sagte Hosea:

»Schlauer Fuchs!« Weiter nichts.

Ich glaubte zu wissen, was er meinte. Und ich erklärte:

»Also der Lehrer hat dieses Attentat inszeniert – Und nun kommt er so recht harmlos zu uns und will uns auf eine falsche Spur bringen!«

»Ein geriebener Schuft!« bestätigte der Kommißbock empört.

»Ja – ein sehr geriebener Schuft!« wiederholte Hosea. Aber sein Gesicht war eine Fratze, auf der es von Hohn, Spott und Triumph wetterleuchtete.

Ich wurde unsicher. Sollte sich dieses »Schlauer Fuchs!« gar nicht auf den Schulmeister bezogen haben –?!

Um drei Uhr ging's wieder nach der Rodelbahn.

Lore Hähnchen hatte offenbar geheimen Kummer. Aber nicht Merlings wegen, denn als ich ihr bei guter Gelegenheit leise sagte, Heinz Merling würde vielleicht bald aus der Haft entlassen werden, sah sie mich mit so merkwürdig leerem Blick an und erwiderte nur: »Da wird sich Irmgard von Balting vielleicht freuen – vielleicht!« Und sie lächelte bitter und geringschätzig.

Weiber sind ja nun alle gute Komödianten. Aber ich hätte doch wetten mögen: Merling war ihr gleichgültig geworden! – Vielleicht war Hosea daran schuld. Ich wußte ja von Berlin her: wenn er wollte, hatte er an jedem Finger gleich zehn. Aber – er wollte eben nicht –

Auf dem Rückweg blieb ich absichtlich mit Irmgard zurück. – Ich kann nun einmal nicht anders: ich muß Vorsehung spielen! – Bietet sich dazu eine Gelegenheit, würde ich mir gewissenlos vorkommen, wollte ich sie versäumen. – Hosea sagt, ich hätte einen Charakter wie Maschinenöl: ich schmiere den Schicksalswagen anderer ein, damit die Karre glatter läuft.

Also ich redete Irmgard etwas ins Gewissen.

Natürlich fiel ich nicht mit der Tür ins Haus. Ich muß die Sache wohl ganz schlau angestellt haben, denn sie »schnappte« nicht etwa »ein«, – nein – sie begann zu – weinen –

Sie war doch wohl nicht so schlecht, so oberflächlich und berechnend, als ich geglaubt hatte.

»Ich bin eine Natur, die leicht zur Eifersucht neigt. Ich wußte bis dahin nicht, daß Merling mit Marvilles verkehrte. Und Doris Marville – ich überschätze mich nicht! – hat vor mir nicht nur den Reichtum voraus –«

Da gewann die Sache freilich ein anderes Aussehen.

Und Irmgard fügte noch hinzu: »Eifersucht war der erste Anstoß. Und der andere – Komödie, für die Meinen berechnet! Ich bin stolz. Ich gönne niemandem einen Blick in mein Inneres. – Sie haben eine ganz besondere Art, Herr Malwa. Sonst wäre ich auch Ihnen gegenüber stumm geblieben.«

Ich war zufrieden mit mir. –

Um sechs Uhr fuhr Hosea nach der Stadt. Der Biberpelz begann um halb acht.

Um sieben brachte uns Fritz Weigand das Abendbrot.

Nach Tisch besprachen wir den Diebstahl im Museum und studierten gemeinsam die Akten Marville. Die Stunden gingen schnell hin. Borwin gähnte bereits verstohlen.

Dann glaubte ich im Flur ein leises Geräusch zu hören – so etwa, als wenn jemand mit dem Fuß gegen die dort stehende Kleidergarderobe gestoßen hätte.

Borwin lachte jetzt laut.

»Ein Prozeß?! – Ein Skandal ist's, sag' ich Dir, Phantasiemörder, – ein Skandal –!«

Er saß der Tür am nächsten, war schon bei dem ersten »Skandal« aufgestanden und hatte sich sprungbereit zusammengeduckt.

Ich ahnte, was er vorhatte, – erhob mich gleichfalls, indem ich als Waffe eine leere Rotweinflasche am Halse packte und wie eine Keule bereit hielt –

»Du gibst mir doch recht – nicht wahr? Eine solche Art von Richtern muß raus – raus –«

Und beim dritten »raus« kam der lange Satz zur Tür – ein famoser Weitsprung –

Die Tür flog auf, und Borwin stürmte in den Flur.

Ich hinterdrein.

Durch die weit offene Tür strömte genügend Licht in den etwa sieben Meter langen Gang, um in der Ecke zwischen Mauer und einem Kleiderschrank links von uns eine Gestalt, einen Mann, zu erkennen, der sich dicht in den Winkel geschmiegt hatte.

Borwin war ganz in seinem Element.

»Heraus da – vorwärts! – Etwas hurtig, – und hier vorbei an mir ins Zimmer. – Los – zum Donner! Oder wollen Sie probieren, ob ich Sie mit dem Revolver treffe –?!«

Langsam löste sich die Gestalt aus der Ecke, kam auf uns zu –

Ein schmächtiges Bürschchen – Ah – aber mit einer schwarzen Larve vor dem Gesicht –

Ich glaubte, ein trockenes, qualvolles Aufschluchzen zu hören, vielleicht hatte ich mich aber auch getäuscht –

Dann saß unser Gefangener – er hatte vor Schreck und Angst umzusinken gedroht – uns gegenüber, und zwar auf dem Schreibtischsessel der Tante Hermine.

Er hatte einen schwarzen, weichen Filzhut auf, trug eine dicke Winterjoppe, um den Hals einen wollenen Schal, blaue, sehr weite Leinenhosen, wie sie die Schlosserlehrlinge zu tragen pflegen, und dazu – was mich noch mehr stutzig machte als die schwarze Maske, zierliche, hohe Knopfstiefel mit Lackbesatz, – sehr elegante – Damenschuhe –!

Borwin begann jetzt das Verhör.

»Wer sind Sie?«

Keine Antwort. Nur abermals das trockene Schluchzen. Ich hatte mich also doch nicht getäuscht.

Da sprang der Gefangene plötzlich auf –

Hut und Maske riß er sich ab –

Ein geisterbleiches Gesicht, ein in dieser Blässe noch reizenderes –

Lore – Lore Hähnchen –

Dann sank sie in den Stuhl zurück, schlug die Hände vor das verstörte Antlitz und weinte – weinte –

Borwin warf mir einen Blick zu – der sprach Dutzende von Fragen aus –

Langsam wurde das verzweifelte Weinen wieder zu einem gelegentlichen Schluchzen –

»Sie sehen uns auf das peinlichste überrascht, gnädiges Fräulein,« sagte Borwin nun sehr förmlich. »Was wollten Sie hier, und – wie sind Sie eigentlich hier in die Wohnung hineingelangt?«

Die Tränen versiegten ganz und die Hände sanken herab. Lore schaute Borwin mit einem Blick an, in dem nichts mehr von Angst und Verzweiflung zu lesen war, – nur noch eine feste, trotzige Entschlossenheit.

»Daß ich nicht stehlen wollte, werden Sie mir ja wohl glauben, Herr Baron!« erwiderte sie und die Stimme zitterte nur ganz wenig. »Im übrigen verweigere ich jede Antwort!«

»Nun – wie Sie hier in den Flur gelangt sind, das ist für uns kein Geheimnis mehr. Sie sind am Blitzableiter hochgeklettert. Den Weg haben schon andere vor Ihnen benutzt.«

»Nun ja denn – ich bin an dem Blitzableiter hochgeklettert. – Und was ich hier wollte: ich hoffte, Sie belauschen zu können, hoffte, hier Dinge zu erfahren, die mir endlich Klarheit geben konnten, ob ein Mann, der mir einst etwas galt, zu Recht in Untersuchungshaft sich befindet.«

Lore erhob sich schnell.

»Dann darf ich also wohl gehen?« fragte sie gespannt.

»Bitte sehr. – Ich werde nur das Gas im Flur anzünden und Ihnen ein Licht mitgeben.« –

Wir hörten Lore die knarrenden Stufen hinabgehen, sahen den Schein der flackernden Kerze, die in einem schmiedeeisernen, einen dienenden Pudel darstellenden Leuchter steckte, schwächer und schwächer werden.


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