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Sechstes Kapitel.

Gleich darauf klingelte es.

Ich ging öffnen. Es war Herr von Balting-Gattary.

»Haben Sie geschossen, Herr Malwa?« meinte er ärgerlich.

Was sollte ich erwidern? – Ja oder nein? – Wie leicht durchkreuzte ich durch eine ungeschickte Antwort Hoseas schönste Pläne.

»Wollen Sie nicht nähertreten, Herr Major?« bat ich sehr verbindlich. Ich wollte Zeit gewinnen.

Da erschien auch schon der Menümaler. – Ich machte die Herren miteinander bekannt, und wir gingen ins Wohnzimmer, wo Balting sich setzte und dann sofort dieselbe Frage tat.

»Sie haben also den Schuß gehört, Herr Major?« meinte Hosea. »Oh, es tut mir sehr leid, daß ich Sie und Ihre Damen vielleicht erschreckt habe. Verwünschte Ungeschicklichkeit! Ich ließ meinen Revolver fallen. – Erwin, reiche dem Herrn Major doch eine Zigarre –« – Hosea redete wie ein Wasserfall. Balting kam jedenfalls kaum zu Wort. Als er dann ging, mußten wir ihm versprechen, ihn nach dem Abendbrot ganz zwanglos zu besuchen. Hosea sagte für uns beide dankend und sehr bereitwillig zu.

Dann erschien Frau Hähnchen in Begleitung ihres Mannes mit einem Tablett voller leckerer Sachen. Hosea erklärte etwas unvermittelt, der biedere Meister hätte einen wahren Charakterkopf, nahm sein Skizzenbuch vor und entwarf in wenigen Minuten eine verblüffend ähnliche Zeichnung Gottlieb Hähnchens, die er dann dem Hochbeglückten mit der darunter geschriebenen Widmung schenkte: »Dem guten Geiste des Spukhauses zur freundlichen Erinnerung, Hosea Garblig.«

Als wir wieder allein waren, sagte er feixend:

»Ob Gottlieb jetzt wohl glauben wird, daß ich Maler bin?! – Er wie alle Hausbewohner sollen nicht etwa denken, ich sei Kriminalbeamter.«

Kurz bevor wir dann zu Baltings gingen, kam noch das alte Schneiderlein, dem ich auf Empfehlung Frau Hähnchens die Verarbeitung der Kleidungsstücke der Tante übertragen hatte, und brachte mir den Pelz, der tadellos saß und in dem ich mir wie ein Nabob erschien. –

Der Major war seit sechs Jahren Witwer. Die drei Töchter Asta, Margot und Irmgard führten den Haushalt mit Hilfe des alten Inventarstücks von Köchin, der im ganzen Hause ob ihrer bösen Zunge berüchtigten Minna, betätigten sich aber noch nebenbei künstlerisch und schienen recht erwerbstüchtig zu sein. Irmgard malte als Spezialität imitiert alte Holländer Bauernteller, Asta schrieb Novellen und Artikel für Frauenzeitungen und Margot war Bildhauerin.

Wir wurden sehr herzlich und wirklich sehr zwanglos empfangen, saßen dann im Salon um den großen Tisch herum, tranken Glühwein, naschten Nüsse und Pfefferkuchen, rauchten (auch die Damen!), und fühlten uns bald wie zu Hause.

Hosea wurde von den drei Damen förmlich belagert, so daß ich mich ganz dem Major widmen konnte, der von seinem Aufenthalt in den Kolonien recht interessant zu erzählen wußte.

Freund Menümaler hatte inzwischen bereits eine Auswahl getroffen, welcher der jungen Damen er sich hauptsächlich widmen solle. Es war dies Margot, die etwas stiller und gesetzter als die beiden anderen zu sein schien und vorhin für Marvilles sehr energisch eingetreten war, als Irmgard eine wegwerfende Bemerkung über den früheren »Sträfling« gemacht hatte. Da hatte sie nämlich gesagt: »Marville hat nie zugegeben, den Diebstahl im Museum verübt zu haben. Und wenn man ihn sieht, kann man schwer glauben, daß er ein Einbrecher ist.«

Irmgard wurde sichtlich verstimmt, als sie merkte, daß Hosea jetzt hauptsächlich sich mit Margot beschäftigte. – Ich gewann immer mehr den Eindruck, die jüngste Balting wäre eine recht berechnende, tieferen Gefühlen ganz unzugängliche Natur und – auf der Jagd nach einer guten Partie –!

Hosea war es dann, der um dreiviertel zwölf aufbrach, obwohl der Major lebhaft gegen dieses »vorzeitige Abrücken in die Quartiere« Einspruch erhob. Doch der Menümaler verstand so meisterlich den von der Reise Ermüdeten zu spielen, daß wir glücklich fünf Minuten vor Mitternacht in meiner Wohnung waren.

Ich war neugierig, ob Hosea für die Nacht besondere Vorbereitungen treffen würde.

Nichts davon. Er verschloß nur die beiden Türen unseres Schlafzimmers, des dergestalt entweihten Salons, nachdem er sich noch die Zigarrenkiste und die Kognakflasche aus dem Buffet geholt hatte.

Dann zog er den Rock und die Stiefel aus und setzte sich in einen der Seidensessel, indem er mir zuwinkte, dasselbe zu tun.

»Ich denke, wir plaudern noch ein wenig,« meinte er. »Vor ein Uhr morgens möchte ich das Licht nicht auslöschen. Du weißt, ich bin mit den Nerven sehr herunter, und in Deinem Hause sollte man gerade die Geisterstunde über das Gas stets brennen lassen.«

Ich wunderte mich, daß er auch mir gegenüber jetzt wie ein normaler Mensch sprach, wunderte mich nicht weniger über den Inhalt seiner Sätze, die mir ganz den Eindruck machten, als wären sie mehr für einen heimlichen Lauscher als für mich bestimmt.

Und dieser Eindruck verstärkte sich noch durch das, was Hosea weiter tat und sprach.

»Gieße mir einen Schnaps ein, Erwin,« meinte er nach einer Weile. »Ich merke geradezu, wie ich nur ständig aufpasse, ob ich nicht irgend welche unheimlichen Geräusche höre. Alkohol ist zwar eine schlechte Medizin, aber – er täuscht doch Mut vor.«

Dann steckte er sich eine Zigarre an und sagte:

»Wie haben Dir die Majorstöchter gefallen? – Mir imponiert ihr Fleiß. Ich glaube, sie verdienen ganz nett zu den Kosten des Haushaltes mit hinzu. Die Margot ist offenbar die am meisten talentierte. Die Modelle künstlerischer Tintenfässer haben mir sehr gefallen, und das ist nicht etwa ironisch gemeint.«

Ich schnitt gerade die Spitze von meiner Zigarre ab, als – mir die kleine scharfe Klinge in das Daumenfleisch fuhr. Und das hatte seinen guten Grund: Schreck!

Ein seltsamer Ton durchzitterte plötzlich das Haus, – ein helles Kreischen, zuweilen ein paar Sekunden anhaltend, dann wieder kurz abgerissen wie entsetzliche Aufschreie. – Die Töne wurden schwacher, dumpfer, schwollen wieder an, hörten auf, begannen wieder – woher sie kamen, war nicht festzustellen – Zuweilen schien es, als befände sich die Quelle der unheimlichen Musik dicht vor der Salontür im Flur, dann wieder, als läge sie draußen vor den Fenstern oder in der Wohnung Marvilles.

Ich saugte mir den Schnitt aus und blickte dabei Hosea an. Die Oberlippe stand ganz schräg vor Hohn, und die weißen, großen Vorderzähne leuchteten wie die Bestandteile eines künstlichen Gebisses.

Dann rief er laut:

»Erwin, das ist ja furchtbar!« Und er tat, als ob er sich die Zeigefinger in die Ohren bohrte.

Die gräßliche Musik dauerte etwa drei Minuten.

Ich gebe zu: wäre ich heute wieder wie gestern allein gewesen, so hätte ich mich sicher abermals unter das Zudeck verkrochen.

Die Töne machten einem wirklich die Nerven vibrieren –!

Als wieder friedliche Stille eingetreten war, seufzte Hosea erleichtert auf.

»Nur gut, daß wir nicht das Schlafzimmer Deiner Tante bezogen haben,« sagte er. »Dort wäre ich vor Angst umgekommen. – Gieß' mir noch einen Kognak ein. – So danke – Dein Wohl! – Ob ich lange Dein Gast bleiben werde, lieber Freund, bezweifle ich. Dieses Haus ist mir zu ungemütlich. Womöglich taucht auch noch das Gespenst im Garten auf oder die andere Erscheinung, die der Lehrer Bruchstück gesehen haben will – Das wäre für mich das Signal zur schleunigen Rückkehr nach Berlin.«

Es war klar: er nahm an, daß wir belauscht wurden! Sonst hätte er mir doch nicht derartigen Unsinn vorgeschwatzt.

»Ich bitte Dich inständig, Hosea: laß mich hier nicht allein,« erwiderte ich, seinem Gedankengang folgend. »Ich muß Dir ein Geständnis machen. Aber versprich mir, hier zu bleiben, sonst behalte ich das Geheimnis lieber für mich.«

Plötzlich sah ich nun, wie er unauffällig den Zeigefinger auf die Lippen legte.

Ich schwieg daher.

Und mir war's nun, als hörte ich im Flur vor unserer Tür ein leises Schlurfen wie von müden Schritten.

»Na, – heraus mit Deiner Beichte, Erwin!« rief Hosea dann. »Hast Du etwa den Geist Deiner armen Tante zu sehen bekommen?«

»Ja – leider. – Natürlich glaube ich nicht an Geister. Aber der Schreck war furchtbar. Heute früh, als der Morgen graute, saß sie dort drinnen am Schreibtisch. Es war eine Sinnestäuschung, – aber meine Nerven beben noch, wenn ich daran denke!«

»Sinnestäuschung, – hm ja! – weißt Du, ich möchte morgen doch lieber nach Berlin zurück, – wirklich, Erwin, es ist besser so. Hier werde ich krank!«

Ich bat nun wieder so inständig, daß er schließlich erklärte, noch drei Tage bleiben zu wollen.

Dann meinte er, er möchte nun zu Bett; ob auch ich bereits müde wäre.

Wir gingen also schlafen. Hosea stellte sich zwei brennende Stearinkerzen auf den Nachttisch und blätterte noch die Kontobücher meiner Tante durch.

Ich schlief bald ein und erwachte erst, als Hosea mich derb rüttelte.

Die Sonne lag bereits wieder auf den Fenstern. Es war neun Uhr vormittags. – Hosea war schon fix und fertig angezogen.

»Soll ich allein ohne Dich Kaffee trinken?!« sagte er brummig.

Ich sah jetzt durch die halb offene Flügeltür, daß der Frühstückstisch im Wohnzimmer gedeckt war. Frau Hähnchen mußte also schon hier gewesen sein.

Während ich mich vor dem großen Eckspiegel rasierte, ging Hosea in den beiden Räumen wie ein Raubtier im Käfig finster auf und ab.

»Du scheinst schlecht geschlafen zu haben?« meinte ich.

Er lachte kurz auf. »Weißt Du, was ein Blitzableiter ist?«

»Ein Apparat, um –«

»So?! Ein Apparat? – Na gut! – Ein solcher Apparat ist in diesem Hause auch wohl vorhanden?« Er war jetzt vor mir stehen geblieben und sprach ziemlich leise.

»Allerdings. Die Leitung läuft –«

»Ob man durch die zerschlagene eine Scheibe des Küchenfensters wohl bis an die Riegel des Fensters hindurchreichen kann?«

Da besann ich mich, daß der Blitzableiter dicht am Fenster meiner Küche vorbeiläuft, daß eine Scheibe zerschlagen ist, und somit ein Weg gegeben zu sein scheint, von außen in meine Wohnung einzudringen. – Hosea hatte mich auf seine Art hierauf aufmerksam gemacht.

»Hast Du schon mal eine Enttäuschung durchgemacht wie diese?« fragte er, immer noch mit gedämpfter Stimme.

Ich sah ihn unsicher an, begriff ihn nicht.

»Soll ich noch länger nach einem anderen Zugang suchen, wo doch der Fensterkopf Spuren zeigt?!« meinte er.

»Wir sind also gestern nacht wirklich belauscht worden?« forschte ich begierig.

»Hoffst Du auch, daß der Lauscher jetzt glauben wird, daß wir beide feige sind?«

Ich nickte. Da lächelte er in höhnischem Triumph. Dann beugte er sich ganz dicht zu mir hin und flüsterte mir ein paar Worte ins Ohr –: »Kein Selbstmord, – Raubmord! – Das Allerneueste!«

Der Rasierapparat aus dem Drei-Mark-Bazar entglitt der einen, der weißflockige Pinsel der anderen Hand. Und Hoseas rechter Lackschuh bekam einen weißen Seifenfleck.

»Hast Du schon nach einem Kindermädchen für Dich annonciert, he?!« höhnte er.

»Wie – nicht einmal bei dieser Nachricht darf ich erschrecken?!« fuhr ich auf.

»Wäre es nicht möglich gewesen, daß auch Du in den Kontobüchern die Beweise gefunden hättest?«

Ich schüttelte fassungslos den Kopf.

Das grelle Schrillen der Flurglocke rief Hosea nach der Flurtür.

Der Besucher war Kriminalkommissar Märker. Obwohl ich die eine Gesichtshälfte noch eingeseift hatte, kam er doch in den degradierten Salon, meinte, wir seien ja unter uns Männern, ich solle nur dem Reste der Bartstoppeln ruhig zu Leibe gehen, nahm dann mit Hosea am Kaffeetisch Platz und brachte sein Anliegen durch die offene Tür vor.

Er hätte, wie uns ja schon bekannt wäre, jenem Herrn Herbst, dem Käufer des Schränkchens, gestattet, für einige Tage nach Thorn zu verreisen, natürlich aber dabei die Nebenabsicht gehabt, diesen immerhin etwas bei ihm in Mißkredit geratenen Herrn durch einen Beamten im Auge behalten zu lassen. Nun hätte es dieser schlaue Fuchs von Herbst aber tadellos verstanden, seinen Wächter, dessen Anwesenheit im Zuge nach Thorn er wohl geahnt hätte, abzuschütteln und spurlos zu verschwinden.

»Eine sehr ärgerliche Sache, meine Herren! Sehr ärgerlich! Ich habe da sehr klug zu handeln geglaubt, und bin nun böse hereingefallen,« fügte er hinzu. »Dieser Fehler muß ausgeglichen werden! Herbst, Marville und der Maler Merling stecken fraglos unter einer Decke. Die beiden anderen sollen mir nicht entgehen. Ich werde sie mit Ihrer Erlaubnis, Herr Malwa, sofort hier in Ihrer Wohnung nochmals vernehmen und dann sehr wahrscheinlich verhaften.«

»Etwa auch Fräulein Marville?« fragte ich schnell.

Ich dachte an ein Paar schöne, verängstigte Augen, die mir seit gestern wie Rätselsterne ständig in der Erinnerung schimmerten –

»Wäre das nicht des Guten zuviel?!« meinte Hosea mit stark verzogenem Munde.

»Allerdings,« erklärte Märker. »Die junge Dame soll frei bleiben. Ich hoffe, sie wird irgendeine Dummheit machen, wenn sie allein auf sich angewiesen ist, – eine Unvorsichtigkeit begehen, die uns endlich Klarheit gibt, was nachher aus Wehrhut geworden ist.«


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