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10. Kapitel

Der Fuchs stirbt ...

»Gustav, Ihre Scylla brauche ich«, sagte Harst draußen im Garten und im Schutz einer Hecke. »Ziehen Sie Ihrer fetten Freundin aber erst einmal den Wintermantel aus. Diese warme Mainacht macht einen Krimmerpelz überflüssig.«

Kautschuk-Gustav stellte seine Scylla auf eine Bank und zog sein Messer. »Herr Harst«, meinte er gedämpft, »der Kerl, der uns Schmiere stehen ließ, war wirklich Chester Morwyn?«

»Ja. – Die Erklärung dafür ist sehr einfach, obwohl ich diese Zusammenhänge zunächst nur vermutete. Chester Morwyn hat stets verschwiegen, daß er einen Zwillingsbruder hatte, der ... zumeist in Gefängnissen Freiquartier sich verschaffte. Diesen Charles Morwyn fand ich verschiedentlich in Zeitungen erwähnt, aber der Name Morwyn ist zu häufig, als daß ich mit Sicherheit annehmen durfte, es handele sich um Chesters Bruder. Nun steht fest, daß beide gemeinsam den Gallandy-Millionen nachjagten. Das Flugzeug, mit dem Morwyn gen Amsterdam aufgestiegen war, landete auf polizeilichen Befehl nach großer Schleife in Staaken, und Bechert rief mich an, wir hatten die Tankstation dort hinten als Anrufort vereinbart. Der Morwyn aus dem Flugzeug war Charles Morwyn und sitzt nun in Haft. Die Zwillingsbrüder hatten sich mit Bechert drüben in den Büschen den Scherz erlaubt, die Rollen zu wechseln, das heißt, Bechert fuhr mit Charles Morwyn gen Berlin, und Chester gesellte sich euch zu. Natürlich wußte er, wer ihr wart. Er wollte gleich mehrere Fliegen mit einem Schlage erledigen, zunächst Doktor Lohr, dann euch drei. Aber ich sah seinen Angriff auf den Tresor voraus, und Frau Alice verdarb ihm den Spaß. Ich kenne nun die ganzen Zusammenhänge, nur eins weiß ich nicht: Wo Allan Garp steckt! – Chester Morwyns Versuch, den Umschlag »Irmi« zu stehlen, erbrachte den allerletzten Beweis. Der Mann ist teuflisch schlau, und sein Bruder war ihm sehr wertvoll. Die Pläne klappten jedoch nicht, und Schraut und ich werden nun Garp suchen, der zweifellos hier in der Nähe verborgen gehalten wird. Daß Frau Alice mit Gallandy Hand in Hand arbeitete, daß Gallandy der alte Musikus war, daß Alice Gallandy dazu bewog, sein Vorurteil gegen seinen Neffen aufzugeben, – – das brauche ich nicht nochmals zu betonen. – Jetzt Aufbruch, mein Alter ... Scylla nehmen wir an die Leine ... Und ihr beide, Gustav und Fred, paßt hier scharf auf, denn das Paar Alice-Richard dürfte fürs erste mit anderen Dingen beschäftigt sein, und ich traue Chester Morwyn die Frechheit sehr wohl zu, nochmals zurückzukehren. – Wiedersehen ...«

Harsts Motorrad hatte einen Soziussitz, und so ungern ich mir die Eingeweide durchschütteln lasse, diesmal überließ ich meinen werten Kadaver doch ohne Zaudern der höllischen Stuckermaschine, und das Rad sauste gen Steubenhorst, passierte das schlafende Dörfchen und wollte in den Weg zum Gut einbiegen.

Hinter einem Baum wachte die schlanke Gestalt der hübschen hellhäutigen Jessie auf, die ich hier zum ersten Male sah.

Harst stoppte. Das Mädchen huschte herbei und flüsterte atemlos:

»Er kam hier vorüber, Herr Harst ... Er nahm den Seitenweg nach dem Walde drüben ... Und ...«

Sie verstummte, lauschte angestrengt, – genau wie wir ...

Fernher kamen abermals dieselben Tierstimmen, die mich schon einmal erstaunt hatten aufhorchen lassen.

»Die Tiger!«, hauchte die Inderin verwirrt.

Harst sagte gedämpft: »Vielleicht ist es dir neu, mein Alter, daß Gallandy sich vier halbgezähmte Tiger mit herübergebracht hat ... Drüben in dem verwilderten, zum Teil sumpfigen Forst hat er den Bestien in aller Heimlichkeit ein großes Gehege und Käfige angelegt, die bisher den Umwohnern verborgen blieben. Gallandy liebt die Raubtiere, er besaß sie schon in Indien, und nach Jessies Schilderung hat er ihnen ein Heim geschaffen, das alle modernen Anlagen der Zoologischen Gärten in den Schatten stellt.«

»Die Tiger!«, rief die Inderin abermals, und aus ihrer Stimme klangen eine so verzehrende Angst und Ungeduld mahnend hervor, daß Harst sich ihr mit fragendem Blick wieder zuwandte. »Die Tiger sind frei, sind nicht in ihren Käfigen, und nur mein Vater und Herr Gallandy und ich versorgen die Tiere ... Wer hat sie herausgelassen?! Sie sollen nachts nicht umherstreifen und jaulen, damit die Leute hier nicht argwöhnisch werden.«

Harsts Gesichts veränderte sich jäh. »Sollte Morwyn den Gefangenen etwa ...«, – er führte den Satz nicht zu Ende, er schwang sich wieder in den Sattel, packte Jessy, befahl mir aufzusteigen, und sauste mit der Inderin im Arm weiter, die ihm mit hastigem Tuscheln den richtigen Weg angab. Es wurde eine tolle, fast wahnwitzige Fahrt, – wir bogen in den Wald ein, ein schmaler Pfad lief durch das Dickicht, Zweige schlugen uns in die erhitzten Gesichter, Moorlachen spritzten auf, Knüppelbrücken dröhnten, dann stoppten wir vor der Pforte eines hohen, starken Maschendrahtzaunes, Jessie schloß auf, wir ließen das Rad zurück, der Morgen begann bereits heraufzudämmern, eine pfadlose Wildnis empfing uns, ich setzte Gustavs fetten Liebling auf die Erde, und Harst hielt dem klugen Hunde einen schwarzen Stoffetzen aus einem Beinkleid unter die Nase. Die kleine eifrige Scylla rannte aufgeregt schnüffelnd hin und her, plötzlich gab sie Laut, zog schärfer an der Leine und trabte vorwärts, die Nase auf dem Boden, rannte auf einen mit Dornen dicht umwucherten Windbruch zu und schob sich in das enge Geäst hinein. Wir sahen, daß in diesem grünen Versteck ein Mensch gelegen hatte, – Scylla machte wieder kehrt, hatte es noch eiliger, und Minuten später standen wir vor einem starken, fünf Meter hohen Eisengitter, das eine Verlängerung von Stacheldrähten hatte. Die Drähte waren zerschnitten, in den Drahtspitzen hingen Stoffetzen, der Boden war zertrampelt, und zweifellos war hier ein Mensch über das Gitter gehoben worden.

»Binde Scylla fest«, befahl Harst in höchster Aufregung. »Dieser Morwyn ist schlimmer als ein Tiger!«

Jessy war mit kraftvoller Gelenkigkeit bereits über das Gitter geklettert, wir folgten, zum Glück wurde es immer heller, wir konnten der Fährte folgen, die Inderin war stets ein Stück voraus, und die Blässe ihrer Züge bewies, daß hier wohl nicht lediglich die Sorge um irgend ein Menschenleben sie bewegte.

»Sollte eins der Tiere auftauchen, klettern Sie auf einen Baum«, rief sie uns zu, als nicht allzu fern das Jaulen einer der Bestien abermals ertönte.

Wir blieben noch weiter zurück ... Daß die Inderin die halbzahmen Raubtiere nicht fürchtete, die sie mit hatte großziehen helfen, wußten wir.

Dann erreichten wir eine kleine Lichtung, die durch eingegrabene Palmenkübel ein Stück tropischen Urwaldes vortäuschte, und hier stand aufrecht an einem Baum Allan Garp, mit Stricken an den Stamm geschnürt, den Kopf zur Seite gedreht und den Blick starr auf einen fast ausgewachsenen Tiger gerichtet, der mit pendelndem Schweife unschlüssig seine Beute betrachtete.

Jessie, jetzt dicht neben uns, flüsterte aufatmend:

»Es ist der Tiger Brutus, den Herr Allan vor drei Jahren selbst in Indien im Dschungel eingefangen hat. Brutus war Herrn Allans Eigentum ... – Da, – wie er seinen früheren Herrn genau so erstaunt mustert wie dieser ihn ...!«

Garp mußte das Tier erkannt haben ... Er sprach zu ihm.

»Zurück, Brutus!«, rief Jessie befehlend und eilte vorwärts ...

Die gestreifte gelbe Bestie zauderte ... Geifer troff ihr aus dem Maule, und die großen Katzenaugen hingen verlangend an dem frischen blutigen Stück Fleisch, das Chester Morwyn in die Stricke geschoben hatte, um durch den Blutgeruch die Tiere anzulocken.

Die Inderin wollte die Stricke Allans lösen, – sie war etwas hastig, und jetzt erst zeigte sich, mit welch höllischem Raffinement Morwyn diesen Mord vorbereitet hatte: Bei einem allzu starken Zerren der einen Strickschlinge ertönte ein leises Puffen, und die präparierten Stricke, die ja ohne diese Vorsichtsmaßregel verraten hätten, daß Allan Garp gefesselt den Bestien überliefert wurden, verbrannten wie Zunder, so daß Harst mit drohendem Abscheu mir zuflüsterte: »Eine teuflische Erfindungsgabe besitzt dieser Morwyn!«

Der Tiger war plötzlich verschwunden ... Garp stand vor uns und lächelte gequält. »Ich habe böse Stunden hinter mir ... Aber ...« – er verstummte, wir alle horchten, ein Büchsenschuß war nicht allzu weit gefallen, und gleich darauf erschien die hohe, hagere Gestalt Theodor Gallandys auf der Lichtung ... Bei unserem Anblick stutzte er und senkte die im gebeugten Arm liegende Büchse. Seine klaren, harten Augen überflogen unsere kleine Gruppe, und plötzlich lächelte er ein wenig und sagte leichthin: »Was hat es denn hier gegeben?! Ich hörte die Tiger übermäßig laut jaulen, und soeben lief mir da ein Fuchs in den Weg. der in einem Moorloch versank, wo er am besten aufgehoben ist ...« Sein Lächeln wurde unerbittlich und fast grausam. »Frau Alice hatte mich angerufen und mir gewisse Andeutungen gemacht ... Allan, mein Junge, ich habe dir bitter unrecht getan ... Herr Harst wird uns nun wohl das Letzte erklären ...«

»Gern, Herr Gallandy ... In aller Kürze: Ellen Garp, Ihre Nichte, hatte sich von Chester Morwyn zu einer heimlichen Ehe beschwatzen lassen. Das Kind kam hier in Berlin zur Welt, und Morwyn nahm es Ellen weg und übergab es Frau Berndt. Als Ellen ihm unbequem wurde, richtete er es so ein, daß Allan seine Schwester tötete und ins Gefängnis kam. Nachher suchte er auch ihn zu beseitigen, und der Nächste wären Sie gewesen, Herr Gallandy, denn Ellens Tochter Irmgard blieb Ihre gesetzliche Erbin. Die Papiere über die geheime Eheschließung und über die eheliche Geburt Irmgards hatte er Frau Alice übergeben. – Das wäre alles. Hoffentlich ist der Fall Allan Garp nun endgültig beendet.«

»Das ist er!«, erklärte Gallandy festen Tones. »Allan, mein Junge, – ich denke, wir kehren wieder nach Indien zurück. Meine Plantagen habe ich nur verpachtet, nicht verkauft ... – Na, Jessie, was sagst du zu diesem Plan?! Einverstanden?!«

Allan Garp blickte dem hellhäutigen Mädel in die strahlenden Augen. »Was Jessie sagt, Onkel?!« Ein liebes Lächeln flog über sein erschöpftes Gesicht. »Jessie weiß, welchen Dank ich ihr schulde ... Ihr und Ihnen, meine Herren!« Er drückte uns fest die Hand ...

Gallandy winkte uns beiden ... »Kommen Sie, wir wollen die Tiger in ihre Käfige zurücktreiben ... Ich alter Narr hatte mich von Allans Schwester allzu sehr umgarnen lassen ... Allan war der klügere. Morwyn muß mich um ungeheure Summen betrogen haben. Kein Wunder, daß Allan von seiner Schwester, die Morwyn allzeit deckte, keine besonders günstige Meinung hatte ...« – –

Am Abend dieses Tages saßen wir alle auf der Terrasse der Sommervilla Alice Berndts und bewunderten das Farbenspiel des Sonnenuntergangs, das den Steuben-See in bunteste Tinten tauchte.

Die Polizei hatte umsonst nach Chester Morwyn gesucht, und Gallandy hatte soeben, die kleine Irmi auf dem Schoße, die bereits fest schlief, leise geäußert: »Den finden sie nicht!! Es ist auch besser so!«

Dann bracht« Frau Alice mit mütterlicher Sorgfalt das verwaiste Mädelchen zu Bett, und Doktor Lohr begleitete sie.

Kautschuk-Gustav, der eine dicke, feine Importe rauchte, meinte so ganz nebenbei, als auch Jessie und Allan zum Seeufer hinabgingen:

»Herr Gallandy, war es ein sehr großer Fuchs, den Sie heute früh geschossen haben?«

Der alte Pflanzer hüstelte ärgerlich ...

»Wenn Sie ihn sich ansehen wollen, holen Sie ihn aus dem Moortümpel heraus, – – was Ihnen kaum gelingen dürfte ...«

Harst schaute ernst in die flammende Abendröte.

»Schweigen wir von dem Fuchs ...! Seien wir froh, daß die kleine Irmi so liebe, reizende Eltern finden und nie erfahren wird, wie ihr Vater endete ... – Reden wir von anderen Dingen ...«

»Prosit, Herr Harst!!« – und Gallandy trank Harald mit langem Schlucke zu. Ihre Augen ruhten ineinander ... Sie verstanden sich.

Der Fuchs war eben tot, – und er hatte es reichlich verdient ...


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