Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Kapitel

Ein Stück Monokelglas.

Wir bogen in einen Fußpfad ein, der nach dem Wäldchen führte. »Tragen Sie gefälligst das Bündel«, meinte ich scharfen Tones. »Bitte!!«

Fred grinste mich von der Seite an. »Das Bündel? Nein! Ich schleppe mich nicht mit unnötigem Ballast, ich habe Augen im Kopf ... Die Sohle des einen Morgenschuhs ragt weit vor, und wenn Sie gefälligst den Winkel zwischen dem flachen Absatz und der Sohle sich ansehen wollen: Ich sehe dort trockenes Leder! – Die Schuhe sind absichtlich, aber zu oberflächlich beschmutzt worden. Wer bei diesem aufgeweichten Boden mit den Morgenschuhen im Garten und im Waldstück gewesen wäre, hätte die Dinger vor Nässe auswringen können.«

Abermals grinste Fred, und ich betrachtete den trockenen Fleck und wollte grob werden und hielt trotzdem den Mund.

Lohr war doch nicht im Garten gewesen?! Sollte ich das glauben?! Der Mann war mir mit seinem unleidlich überlegenem Getue höchst widerwärtig. Ich wollte den Argwohn gegen ihn nicht aufgeben.

»Fred«, erklärte ich streng verweisend, »Sie sind ein Frechdachs und ein Strohkopf! Wenn sich in die Ecke zwischen Absatz und Sohle Blätter eingeklemmt haben, muß die Stelle trocken geblieben sein.«

Fred rauchte sich eine Zigarette an. »Blätter?! Woher?! Haben wir Oktober oder Mai?! Lohrs Garten ist ein Schmuckkästchen. Im Mai fallen keine Blätter.«

Ich sagte nichts mehr. Wir näherten uns dem Scheiterhaufen und den wenigen Neugierigen. Die Polizei hatte die Leichen weggeschafft, und die Menge hatte sich verlaufen. Es gab hier nichts mehr zu sehen. Nur ein älterer hagerer Mann im schäbigen Lodenmantel lehnte abseits an einer Kiefer und sog träumerisch an seiner Pfeife. Ich musterte ihn. er hatte Aehnlichkeit mit dem alten Musikus aus dem Blauen Schwan, – ich war mir meiner Sache jedoch nicht sicher, und wir wanderten dem anderen größeren Wäldchen zu, wo der erste Tote aufgefunden worden.

Die Stelle war noch deutlich erkennbar, und als ich nun mit einem langen Ast in den verbrannten Hölzern umherstocherte, eigentlich ohne bestimmte Absicht, blinkte meinen Füßen ein Glasstück auf. Ich bückte mich schnell, säuberte es und hielt es Fred hin.

»Was ist das?!«

»Ein Stück von einem leicht gewölbten Monokel, – das sieht jeder!«

»Ja, und« – ich hob es auf, »und Zaunlatte trug ein Monokel, Sie junger Fant!!«

Fred Steen beugte sich vor. »Donnerwetter, – Sie meinen, daß Zaunlatte hier eingeäschert werden sollte?«

Die Antwort gab ein anderer. Hinter den Erlensträuchern trat Harst schnell neben uns, – der Alltagsharst, ohne jede Verkleidung.

»Morgen allerseits«, grüßte er zerstreut. »Dein Fund, mein Alter, bestätigt nur, was ich bereits wußte. Dieses Monokel gehörte Zaunlatte ... Der meineidige Bursche, der Garp ins Gefängnis bringen half, starb dort drüben in Lohrs Straße, wo wir überfallen wurden ... Er sollte mit uns endgültig aufräumen, aber sein Herr und Meister erkannte rechtzeitig, daß die Sache vorbeiglücken würde und machte ... Schluß. Zwei Kugeln genügten.«

»Woher weißt du das?«, fragte ich völlig benommen. »Warst du dabei?«

»Nein. Dann wäre nicht Zaunlatte. sondern der andere gestorben. Ich weiß es von Leuten, die die Schüsse hörten und die leider zu wenig geeignet waren, es mit »ihm« aufzunehmen. »Er« ist nämlich noch immer unentdeckt. Ich kenne den Mann nicht. Ich kenne ihn nur als einen absolut gewissenlosen, skrupellosen Schurken. Selbst heute kam ich zu spät ... Nun sind auch Stotter-Fred und Krokodil tot, und die nächsten sollen wohl Doktor Lohr und wir drei sein, – der Bursche macht gern reinen Tisch, der tut nichts halb ...«

Ich fand die Sprache wieder. »Harald, dein Mantel hatte zwei Kugellöcher ...«

»Ja – durch meine Clement ...«

»Und wer sind die Dame und der Musikus?«

Er hob die Schultern. »Bedaure ... In unserem Beruf sind wir zur Diskretion verpflichtet ... – Gib mir das Monokelstück ... Danke. Und nun – – lebt wohl, meine Zeit ist sehr besetzt. Sorgt dafür, daß Allan Garp sich nicht etwa auf die Straße wagt ... Er ist am allermeisten gefährdet.«

Wir fuhren heim ... Allerdings dauerte es geraume Zeit, bis wir eine leere Taxe erwischten. Fred, der sonst den Schnabel nie halten kann, schwieg mit einer Beharrlichkeit, die ihm zweifellos einige Mühe machte. Erst in der klapprigen Taxe sagte er undeutlich, ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen:

»Mit Ihrem Kleiderbündel locken Sie keine Wanze hinter der Tapete hervor, Herr Schraut. Sogar Harst nahm von Ihrem Paket nicht die geringste Notiz. Ich wette hundert Mark, daß er genau weiß, wer die Sachen durch den Schmutz zog. – für gewöhnlich werden nur Menschen durch den Schmutz gezogen ...«

» Seine Diplomatie!!«, bemerkte ich achselzuckend.

Die Taxe hielt, wir stiegen weit vor unserem Hause aus, gingen das letzte Stück zu Fuß, es war heller Tag geworden, ein Milchwagen klingelte, Bäckerjungen rasten auf Rädern vorüber, ein Betrunkner hielt einen Laternenpfahl für seine Geliebte, umarmte ihn und redete sehr zärtlich auf ihn ein. – Dann bogen wir in den kleinen Vorgarten unseres bescheidenen Eigenheims ein, und – – blieben stehen.

Die Haustür war halb offen.

Im Flur sahen wir Kautschuk-Gustavs fette, aber bissige gemästete Scylla liegen, und dieses Unding von Terrier hielt noch einen Stoffetzen zwischen den Zähnen.

Fred pfiff durch die Zähne ...

Im Nu war er wieder ein anderer.

»Oberfaul, Herr Schraut!«

Er faßte in die Hüfttasche ... Die Sicherung seiner Pistole sprang knackend zurück.

»Lassen Sie das Schießeisen stecken!«, knurrte ich ... »Wenn hier ungebetene Gäste waren, sind sie längst über alle Berge.«

»Hm, – und Scyllas Schwanz?!«

Ich blickte schärfer hin.

Scylla hatte den Schwanz eines Windspiels, einen Rattenzagel.

Ich sah eine behandschuhte Hand, die diesen Zagel packte und die scheinbar tote Hündin zur Seite zog.

Fred, jetzt in seinem Element, hatte blitzschnell den Schalldämpfer über den Lauf der Waffe gestreift und auch schon abgedrückt. Der gedämpfte Schuß wurde durch das Bimmeln eines Milchwagens übertönt.

»Fred, Sie gehören in eine Kaltwasserheilanstalt, und außerdem sind Sie ein Sauschütze«, rief jemand aus dem Flur.

»Kommt herein«, befahl Harst ungemütlichsten Tones.

Er schloß die Haustür hinter uns ab. Die Tür rechts, die in unser »Büro« führte, stand weit offen. In einem Sessel lag der arme Gustav gefesselt und geknebelt und mit einem Ausdruck in den Augen, der einfach unbeschreiblich war.

Harald sagte düster: »Allan Garp ist verschleppt worden ... – Dieser Mensch, der sein Todfeind ist, bringt auch mich langsam ins Grab.«

Wenn ich »Harald« als »Harst« hier bezeichne, so stimmt das nur bedingt. Harst war zur Zeit ein alter gebeugter bärtiger Mann im feuchten, schäbigen Lodenmantel.

»Kümmert euch um die bewußtlose Scylla«, ordnete er in seiner knappen Art an. »Ein Glück, daß ich mich beeilte, hier mal nach dem Rechten zu sehen ...«

Er befreite Gustav, und der gebesserte Exsträfling, d«r wie betont ein sehr tüchtiger ehrlicher Bursche geworden, wollte sein vielgestaltiges Register von Kraftausdrücken spielen lassen. Er barst vor Wut.

»Schweigen Sie«, fauchte Harst ihn an. »Was ist geschehen?«

Gustav massierte eine nette Beule auf seinem Schädel und erstattete Bericht.

»Vor knapp zehn Minuten läutete es. Ich öffnete, da der Papageienonkel draußen stand und ich annahm, Sie wären es ...«

Harst warf den Kopf zurück. Ein erstaunter Blick traf den jetzt kleinlauten Kautschuk-Gustav.

»Unglaublich!! – »Er« weiß alles ... Da kann man noch so oft die Maske wechseln! – Weiter!«

»Der Mann kam herein, nickte uns zu und tat sehr erschöpft und füllte sich ein Glas mit Kognak und trank. Dann – schlug er zu ... Und wie!! So etwas von Fixigkeit im Gummiknüppelgebrauch stellt einen Rekord dar. Ich knickte um, Allan knickte um. und selbst die tapfere Scylla bekam eins übergezogen. Mehr weiß ich nicht. Ich erwachte sehr bald, aber da war das Zimmer leer ...«

Harst hatte sich mit versteinertem Gesicht in den Schreibsessel niedergelassen.

Scylla winselte, rappelt« sich hoch und kroch zu Gustav, der sie zärtlich auf den Schoß nahm.

»Geben Sie mir mal den Stoffetzen«, meinte Harald versonnen.

Die Hündin hielt den schwarzen Lappen noch immer zwischen den Zähnen.

Harst betrachtete das Stück Stoff.

»Von einer Frackhose ...!«, entschied er. »Fred, brühen Sie Kaffee auf. Wir müssen Kriegsrat halten. Hier geht es um Menschenleben.« Er sprach ruhig und gleichgültig. Aber ich kannte diesen Ton. Harald war in diesem Stadium eisgekühlten Abwägens jeden Wortes und jeder Geste am gefährlichsten.

Er nahm eine Zigarette, rauchte still und schwieg, bis Fred mit dem Teebrett wieder erschien.

Wir setzten uns um das Tischchen vor dem Kaminofen, und nachdem Harst eine Tasse brühheiß und schluckweise getrunken hatte, begann er seinen Vortrag.

Wir drei andern spitzten die Ohren ... Nur Gustav goß sich heimlich in den Kaffee ein Quantum Kognak, das einem normalen Menschen zu einem Kater verholfen hätte.


 << zurück weiter >>