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7. Kapitel

Bechert und Chester Morwyn.

Chester Morwyn war ein hochgewachsener, vornehmer Engländer von tadellosem Benehmen und unauffälliger Eleganz.

Die Begrüßung zwischen den beiden Männern, die sich so lange nicht wiedergesehen hatten, war herzlich, jedoch ohne Ueberschwang. Als Gallandy über die Malaria klagte, lächelte Morwyn tröstend. Sein Lächeln hatte etwas ungemein Bestechendes an sich.

»Ich bitte Sie, was tut das bißchen Malaria bei Ihrer kernigen Gesundheit, Mr. Gallandy!«

»Das sagen Sie! Aber liegen Sie mal drei Tage mit Fieber zu Bett!«

Jessy brachte Wein, Zigarren, Zigaretten und entfernte sich wieder.

»Wie steht's mit Ihren Geschäften in Portugal, Morwyn?«, lenkte der Schloßherr auf ein anderes Thema über. »Wird die Regierung Ihnen die Kolonialkonzessionen gewähren?«

Der andere schnippte die Zigarettenasche ab. »Das hängt von der Höhe der Bestechungsgelder ab«, meinte er ironisch. »Ich lasse die Leute etwas zappeln ... Wer sofort zahlt, zahlt stets zuviel.«

Gallandy schmunzelte. »Also noch immer so schlau wie einst!! – Morwyn, was führt Sie nach Berlin? Auch wieder Ihre Unrast, stets neue Projekte zu verwirklichen?«

Der elegante Mann mit den leicht angegrauten Schläfen lächelte wieder. »Allerdings ... Besprechungen mit einem Konzern. Abends fliege ich wieder gen Portugal zurück, ich wollte Ihnen doch wenigstens einen kurzen Besuch abstatten, Mr. Gallandy, zumal ich ...« – er wurde ernst und streckte dem Alten die Hand hin – »annehmen durfte, Sie würden den Trost eines wahren Freundes sehr nötig haben. Zu meinem größten Bedauern las ich von ...«

Gallandy wehrte schroff ab. »Morwyn, bitte, – davon kein Wort!! Ich habe unter all das längst einen dicken Strich gezogen, und ...« – er hustete plötzlich sehr kräftig und wurde unruhig, klapperte mit einem Löffel auf das silberne Teebrett und schaute Morwyn forschend an.

Der Wind kam von Westen, und dieser Wind hatte soeben sonderbare, unheimliche Töne aus weiter Ferne herübergetragen.

Morwyn horchte. »Was war das?!«

»Meine Hunde«, sagte Gallandy schnell. »Die Köter wildern ...« –

Hinter dem Vorhang der Flügeltür der Terrasse stand die schlanke, hübsche Jessy, und dicht neben ihr ein ärmlicher gebeugter alter Europäer, in dessen Perücke noch ein paar kleine Strohhalme hingen als Zeichen seiner bescheidenen Lagerstatt auf einem Stallboden.

Als Morwyn Miene machte, sich nach einer halben Stunde zu verabschieden, führte die hellhäutige Orientalin den alten Mann schnell zu einer Seitenpforte, und als Morwyns Mietauto das kleine Dorf verließ, knatterte hinter dem Wagen ein Motorrad her, dessen Besitzer einen prall gefüllten Rucksack trug.

Der Radler hielt sich stets in vorsichtigem Abstand und ließ dem Auto einen großen Vorsprung. Drei Kilometer hinter Steubenhorst nach Berlin zu tippelten drei Landstreicher die Chaussee entlang, und dieses Trio fiel nur deshalb ein wenig auf, weil der eine der Pennbrüder einen Hund an der Leine hatte, einen schwarzen, fetten Pudel, der höchst unlustig die Fußtour mitmachte.

Als das Auto an den dreien vorüberglitt und eine mächtige Staubwolke aufwirbelte, sagte Kautschuk-Gustav zu Fred und mir:

»Es war die Nummer!! Der Deubel werde daraus schlau!«

Der Deubel kam nun auf einem Motorrad angesaust und glich durchaus einem ländlichen Händler und nicht mehr dem Vertrauten Jellys, dem Gebeugten. Er stoppte kurz.

»Hallo, – ihr wißt Bescheid...!« Dann lachte er über den »Pudel«. »Gustav. Ihre Scylla hat sich mächtig verändert!«

»Ja, durch einen alten Krimmermantel!«, knurrt« Gustav. »Sie hetzen uns hin und her wie die Hasen, und ...«

D«r Radler schoß bereits davon.

Das Auto, das scheinbar bisher auf kürzestem Wege nach Berlin hatte zurückkehren wollen, lenkte jetzt in einen Feldweg ein und fuhr langsamer.

Chester Morwyn hatte sich vorgebeugt und sprach mit dem Schofför.

»Herr Kommissar ...« – er beherrschte das Deutsche völlig fließend – »das, was Sie von mir verlangen, geht mir allzu sehr wider mein Gefühl. Ich habe bei Gallandy gar nichts ausrichten können, und ich halte Ihren Verdacht für vollkommen hinfällig. Gallandy will von Garp nichts mehr wissen, und es ist ganz ausgeschlossen, daß er seinen Neffen bei sich verbirgt.«

Kriminalkommissar Bechert, übrigens ein alter lieber Bekannter von uns, mäßigte die Geschwindigkeit noch mehr und lenkte den Wagen in ein Gebüsch.

»Darüber müssen wir uns gründlicher aussprechen, Herr Morwyn«, begann er von neuem, nachdem er sich eine Zigarre angezündet hatte. »Ich betone, daß die anonyme telefonische Denunziation sehr bestimmt lautete. Unsere schleunigen Ermittlungen ergaben, daß eine Limousine, die die Nummer des Wagens Gallandys trug, heute früh in fünf Dörfern gesehen worden ist.«

Der hochgewachsene Morwyn war ausgestiegen und schaute den Beamten überlegen an. »Ich kenne Gallandy besser als Sie, Herr Kommissar. Gallandy kann sich nur schwer verstellen. Er hat bestimmt ein reines Gewissen. Und Autonummern und Benzwagen?! Lieber Gott, Nummerschilder lassen sich fälschen, und Benzlimousinen gibt es übergenug.«

Der Schofför Bechert nickte widerwillig. »Alles ganz schön, Herr Morwyn ... Nur ... – wer hatte ein Interesse daran, die Polizei derart zu foppen?! Wer machte mich auf Ihre Person aufmerksam als auf einen nützlichen Helfer?! Bedenken Sie, wir hatten keine Ahnung, daß Sie im Paradies-Hotel abgestiegen waren, und im Grunde wußten wir überhaupt nichts von Ihrer Existenz.«

»Sollte da nicht ein gewisser Herr die Finger mit in dieser unappetitlichen Brühe haben, Herr Kommissar?! Ich las in den Zeitungen, Harst sei seit Tagen nicht aufzufinden. Ich kenne den Mann nur vom Hörensagen ... Er soll jedoch oft allzu rührig sein und der Polizei die Arbeit nur erschweren.«

Bechert horchte auf, blieb jedoch äußerlich gleichgültig.

»Harst?! Schon möglich...! Der Mensch ist zu vielseitig, milde ausgedrückt. Nur, – was sollte er beabsichtigen?! Die Sache liegt doch nun so, daß Lohr mit aller Bestimmtheit für Allan Garp eintritt, das wissen Sie. Wir tappen da blind im Kreise umher. Wer feuerte auf Lohr, wer stahl das Geld?! – Gewiß, wir trauen Doktor Lohr nicht ... Nein, aber diese Fährte, die nach Schloß Steubenhorst führt, hat doch zu viel sichere Merkmale ... Allerdings. Ihre Angaben über den alten Gallandy verleihen der Sache ein anderes Aussehen. – Wozu raten Sie, Herr Morwyn?«

Der Engländer überlegte. .»Ich ... würde Lohr verhaften ... Ich würde zweitens Harsts Wohnung genau beobachten oder noch besser sie genauestens durchsuchen. Ich werde den Eindruck nicht los, daß dieser allzu eigenmächtige Privatdetektiv Allan Garp schützt.«

»So?!« Bechert schüttelte den Kopf. »Ein scheußlicher Wirrwarr!! – Ach was«, fügte er ärgerlich hinzu. »Kehren wir nach Berlin zurück... Sie müssen ja ohnedies das Nachtflugzeug nach Amsterdam benutzen, ich darf Sie nicht länger in Anspruch nehmen. – Gestatten Sie, – ich muß nur mal etwas abseits gehen ...« – er lächelte vielsagend und tauchte in den Büschen unter.

Chester Morwyn blickte ihm mit zugekniffenen Augen nach. Ihm war seit heute mittag nicht recht behaglich zumute, er besaß ein außerordentliches Feingefühl für drohend« Gefahr, und doch vermochte er sich nicht darüber klar zu werden, was hier eigentlich gespielt wurde. Daß dieser Harst hinter alledem als treibende Kraft steckte, ahnte er wohl. Ob Harst alles wußte, hielt er für unwahrscheinlich und sogar für ausgeschlossen.

Seine starken, geschwungenen Brauen zogen sich unmutig zusammen, über der Nasenwurzel erschienen tiefe Falten, und der Gedanke an Doktor Lohrs Manuskript steigerte noch seine Unsicherheit.

Als der »Schofför« Bechert wieder erschien, war Chester Morwyn nichts anzumerken, und gleich darauf wendete das Auto und nahm im schnellsten Tempo bis Richtung nach Berlin.

Kaum hatte der Wagen ein Wäldchen an der Chaussee durchquert, als der ländliche Händler sich aus seinem Versteck erhob und sein Rad bestieg. Er fuhr den Landweg entlang, stoppte an den Büschen, und fand schnell die Stelle, wo der Kommissar vorhin den eiligst bekritzelten Zettel niedergelegt hatte.

Er entzifferte folgendes:

»Lieber H., Morwyn war eine Niete. Der Mann ist zu schlau. Er fahrt nachts 10.15 nach Amsterdam ab Flughafen. – B.«

Harst verbrannte mit einem sehr ironischen Augenzwinkern den Zettel und nahm die Verfolgung des Autos wieder auf. Sein starkes Motorrad fraß die Kilometer, und sein kühler Kopf verbiß sich mit immer wachsender Hartnäckigkeit in die sorgfältig abgewogene Ueberzeugung, doch auf der richtigen Fährte zu sein, obwohl selbst ihm der eine Punkt vollständig dunkel blieb, wie der mehrfache Mörder das Millionenvermögen Gallandys sich anzueignen hoffte.


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