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3. Kapitel

Die Zeitungsannoncen und unser Gast.

Zu Hause fanden wir Kautschuk-Gustav im dick vollgequalmten Zimmer hinter einer frisch geöffneten Kognakflasche vor, während seine fette Scylla in der Sofaecke schlummerte.

Gustav Schmiedeckes Eigentümlichkeiten muß man schon mit in Kauf nehmen. Ein Mann mit so bewegter Vergangenheit ist als Hilfskraft nie zu unterschätzen. – »Herr Schraut, vorhin wurde ein Brief abgegeben«, sagte Gustav. »Der Ueberbringer war ein Papageien-Onkel, – Sie wissen, so 'n Kerl, mit 'm Kasten vorm Bauch und mit 'm Papagei durch die Lokale zieht ...: Liebesorakel und so! Aber es war Herr Harst.«

»Tatsächlich? Wann denn?«

»Vor drei Minuten vielleicht ...«

Fred und ich blickten uns verdutzt an. Gustav merkte das und wollte wissen, was wir ausgerichtet hätten. Er war eingeweiht worden, weil sich dies nicht umgehen ließ, und er hörte still zu, als Fred Bericht erstattete und ich den Briefumschlag öffnete, der nur Zeitungsausschnitte – Anzeigen – enthielt. Sonst nichts. Die Bleistiftsanschrift auf dem Umschlag stammte von Harald.

Diese drei Anzeigen waren mit Blaustift numeriert.

1.) Drei energische Leute, möglichst ein Autofahrer darunter, für gewinnbringende Tätigkeit gesucht. Offerten an die Exp. d. Z. unter Beifügung genauesten Lebenslaufes. – A. B. C. 100.«

2.) »Zaunlattenfabrik wird um noch sorgfältigere Auskunft über Teilhaber ersucht. Großzügiges Unternehmen. 1000 Mark Reingewinn. – A. B. C. 100.«

3.) »Zusammenkunft der Gesellschafter der Zaunfabrik 3. April abends ½ 8 Blauer Schwan, Gartenstr., Vereinszimmer. – Huber.«

– Auch Fred und Gustav prüften nun den Inhalt dieser merkwürdigen Anzeigen, die für mich ein weiteres Glied in der Kette meiner Schlußfolgerungen wurden. Schon allein »Zaunlatte« besagte genug. Der hochgewachsene elegante Fremde hatte also vor länger als einem Jahr auf diese Weise Verbündete gesucht, und zwar aus Verbrecherkreisen.

Meine beiden Nachbarn vor dem Kamin pflichteten mir in allem bei. Gustav meinte ehrlich empört: »Solch' eine Gemeinheit!! Da hat man also den armen Allan Garp damals mit voller Absicht in das Gefängnis geschickt, und die drei sind als Zeugen aufgetreten. Wer aber ist der Vierte? Doktor Lohr?! Hm – ich weiß nicht recht ... – Am besten ist, Herr Fred holt jetzt Ihren Gast herbei. Vorhin, als ich oben war, schnarchte er freilich noch.« – –

Zur Erläuterung über den Gast, den wir seit gestern vormittag heimlich beherbergten, muß folgendes nachgeholt werden. Gegen halb zwölf war bei uns während eines erneuten Regengusses ein Mann erschienen, der Harst flehentlich um Beistand gebeten hatte. Es war der bedauernswerte Garp, der uns dann blaß, erschöpft und verängstigt schilderte, weshalb er so eilig aus der Villa Lohr entflohen sei. – Er hatte mit Lohr die Villa betreten, hatte in der Diele Hut und Mantel abgelegt, Lohr war voraus in sein Arbeitszimmer gegangen. Plötzlich hörte Garp von dort einen Schuß fallen, stieß die Tür auf und sah Lohr blutend am Boden liegen und bemerkte auch den offenstehenden Wandtresor. Da er soeben aus dem Gefängnis gekommen war, hielten seine Nerven diese grausame Erschütterung nicht aus, er überlegte sich blitzschnell, daß man ihn als Täter verdächtigen würde, und in seiner Kopflosigkeit entfloh er und hegte nur die eine Hoffnung, daß Harst ihm helfen würde, auf den ihn Lohr während der Fahrt zur Villa selbst hingewiesen hatte, da Lohr stets Zweifel gehegt hatte, daß es bei dem Autounglück mit rechten Dingen zugegangen sei.

Garps Angaben hatten so sehr den Stempel der Wahrheit getragen, daß Harald den Aermsten bei uns aufnahm und oben im Fremdenzimmer verbarg. Entscheidend für diesen hochherzigen Entschluß Harsts war hauptsächlich die sehr einfache Ueberlegung, daß ein Mann wie Allan Garp, mochten auch sein sympathisches Aeußere und sein Auftreten trügerisch sein, niemals einen solchen Raubmord versucht haben würde, da sich der Verdacht doch sofort gegen ihn richten mußte. Doktor Lohrs Diener hatte ja gewußt, wen sein Herr aus Plötzensee abholte und hatte ein Zimmer für Garp herrichten müssen. Die Tat wäre den ganzen Umständen nach ein Wahnwitz gewesen, und Harald blieb dabei, daß ein Unbekannter sich eingeschlichen haben könnte und daß das Verbrechen bewußt auf Garp abgeschoben werden sollte. –

Fred ging nach oben, kehrte mit unserem blassen, übernervösen Gast zurück, und wir vier erörterten nun nochmals all die Geschehnisse, wobei die drei Anzeigen eine große Rolle spielten. Auch Garp erkannte jetzt, daß er bestimmt damals am 3. April vor einem Jahr durch niederträchtigste Machenschaften seine Schwester Ellen hatte überfahren sollen, und es war erstaunlich mit anzusehen, wie der junge Deutsch-Engländer angesichts dieser Gewißheit mit einem Schlage seine Selbstbeherrschung zurückgewann und wie er nunmehr mit eisiger, unheimlicher Ruhe meinen Argwohn hinnahm, Doktor Lohr könnte auch jetzt wieder versucht haben ihn in schwerste Ungelegenheiten zu bringen. Ich blieb dabei, daß Lohr sich selbst den Kopfschuh beigebracht und dem Tresor schon vorher das Geld entnommen habe.

Allan Garp, dessen Mutter eine Deutsche gewesen, erklärte dann seinerseits, er traue Lohr derartige Schurkenstreiche nicht zu, obwohl Lohr als Mensch nie nach seinem Geschmack gewesen sei. »Er bewarb sich um Ellen, und da ich selbst mit meiner einzigen Schwester nicht besonders herzlich stand, übertrug ich diese kühle Reserve auch auf den Rechtsanwalt. Nach dem Autounglück freilich bewies er sich als wahrer Freund. – Nein, Lohr kann kein derartig raffinierter Bösewicht sein, Herr Schraut. Hinter alledem steckt eine andere, uns unbekannte Persönlichkeit als treibende Kraft ...«

»Ja, treibende Kraft: Geld!«, sagte Kautschuk-Gustav mit Nachdruck. »Bestimmt Geld! Ihr Onkel mütterlicherseits ist sehr reich, Herr Garp. Sie und Ihre Schwester lebten jahrelang auf dessen indischen Plantagen ... – Sind Sie jetzt der einzige Erbe dieses Herrn Theodor Gallandy?«

»Der einzige ... Es gibt keine anderen erbberechtigten Verwandten. Oder besser: Ich war der einzige Erbe, denn jetzt hat mein Onkel mich enterbt, weil er Ellen sehr liebte und weil er mir zutraute, meine Schwester ... beseitigt zu haben.«

»Verrückt!«, meinte der alte Schmiedecke grob, aber ehrlich. »Schrieb er Ihnen, daß er Sie enterbt habe?«

»Ja.«

»Ihr Onkel muß ein etwas komischer Herr sein!«

»Das stimmt. Wer wie er sein Leben in einer halben Wildnis zugebracht hat, wird leicht ein Sonderling, und Ellen ..., nun, Ellen verstand es nur zu gut, sich bei ihm einzuschmeicheln, meine Schwester und ich sind völlig verschiedene Charaktere gewesen. – Herr Schraut, was halten Sie von dieser Unterredung mit der Verschleierten und dem alten Musiker«, wandte er sich mir wieder zu, und man merkte ihm an, wie rege sein Hirn arbeitete, um die Person herauszufinden, die sein Todfeind war.

Wir verstummten, da das Telefon sich meldete.

Es war jetzt ein Uhr, früh, und ich begriff nicht recht, wer uns noch anrufen könnte.

»Herr Harst selbst?«, fragte ein männliche Stimme.

»Nein, Schraut ...«

»Bitte, kommen Sie sofort zu mir, – hier ist Doktor Lohr ... Ich habe soeben Einbrecher verscheucht, die mir von meinem Nachttisch meine Ausarbeitungen stahlen ... Ich habe Ihnen noch mehr mitzuteilen, möchte dies aber nicht durch den Fernsprecher tun ... Beeilen Sie sich ...« – Lohr war bei alledem sehr beherrscht wie stets.

Ich überlegte kurz.

»Wir kommen, Herr Doktor ...«

Ich wollte den Mann endlich persönlich kennenlernen, der für mich einzig und allein als Garps Todfeind in Betracht kam.–

Dieses Gespräch hatte ein alter, schäbig gekleideter Kerl, der sich im Stalle des Grundstücks Arnoldstraße 21 häuslich eingerichtet hatte, durch Anzapfen der Telefonleitung mit abgehört. Es war ein großer, etwas gebeugter Mensch mit mehreren Warzen im Gesicht. Lautlos verließ er nun den Stall und bestieg gleich darauf ein an der nächsten Ecke wartendes Privatauto, an dessen Steuer eine Dame saß, wie man trotz der Vermummung erkannte.

»Villa Lohr«, flüsterte der Alte hastig.

Dann sauste die Limousine auch schon davon.

Zwanzig Minuten später lohte in dem Waldstück unweit der Villa Lohr ein mächtiger Holzstoß auf, den irgend jemand aus Kiefernkloben aufgeschichtet hatte. Bevor das Feuer bemerkt wurde, bevor man noch den Brand löschen konnte, hatten auch einige Bäume Feuer gefangen, und als die Feuerwehr anrückte und nach vieler Mühe diesen zweiten Scheiterhaufen erstickt hatte, entdeckte man in der noch schwelenden Glut die unkenntlichen Ueberreste zweier Männer. Die Polizei erschien, und mitten unter dem Kreis der Neugierigen stand regungslos der große, bärtige, gebeugte alte Mann, und um seine Lippen spielte ein Lächeln, das niemand recht zu deuten gewußt hätte.


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