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6. Kapitel

Der Brief im Futter.

Harst begann:

»Der Fall oder besser die beiden Fälle »Allan Garp« sind in groben Umrissen geklärt. Irgend jemand – ich schickte euch die von mir herausgesuchten Anzeigen aus den Zeitungen des Vorjahres – legte es darauf an, Garp mit seinem Onkel auseinanderzubringen. Der Jemand warb drei üble Burschen an, und Ellen Garp wurde totgefahren, Allan verurteilt. Alle Bekannten mieden Garp, nur Lohr hielt zu ihm, der Ellen eifrig umworben hatte. Doktor Lohr hatte die Geschwister in Potsdam kennengelernt, und – sehr wichtig! – sein Spürsinn regte sich, als er merkte, wie kühl Allan und Ellen miteinander standen. Er als Kriminaltheoretiker witterte hier ernstere Ursachen, und er wich zum ersten Male von seiner bisherigen Methode ab und spielte Ellens Bewerber. Das hat er mir selbst erklärt.«

Fred riß verwundert die blauen Augen auf.

»Er spielte nur Bewerber?!«

»Ja ... Er war von der Theorie zur Praxis übergegangen, aber seine Erfolge blieben gleich Null. Dann kam die Aprilnacht, – Ellen war tot. ... – Wir waren damals im Ausland, und für uns blieb der Fall ohne Bedeutung. Dies änderte sich, als Allan hier bei uns Schutz suchte. Ich blätterte die alten Zeitungsbände durch, und ich stieß auf die »Zaunlattenfabrik«, nachdem ich bereits gelesen hatte, daß »Zaunlatte« in dem Prozeß als Zeuge aufgetreten war. – Soweit seid ihr im Bilde. Nun kam Doktor Lohrs Anruf, wir möchten ihn besuchen. Lohr hat uns nicht angerufen. Es war der »Jemand«, der große Unbekannte ...«

Harst wehte die Zigarettenwölkchen zur Seite.

»Ich war leichtsinnig, das gebe ich zu ... Ich hatte mich bluffen lassen ... – Du besinnst dich auf den Ueberfall, mein Alter«, wandte er sich an mich. »Dieser Ueberfall, das betonte ich schon im Walde, war etwas wirr, konfus und klappte nicht. Die Leute, die uns mit den Gaspistolen betäubten, gehörten zur dritten Gruppe.«

Gustav brummte sehr bestimmt:

»Gruppe Musikus und verschleierte Dame.«

»Das trifft zu, lieber Schmiedecke«, nickte Harald zerstreut. »Ich muß mich geistig erst sammeln, denn die damaligen Vorfälle sind äußerst verworren. Außerdem bin ich bis zu einem bestimmten Grade zum Schweigen verpflichtet, und dies erschwert mir eine leidlich klare Darstellung. Nehmen wir also an, mein Alter, zwei Parteien hatten es auf uns beide abgesehen, und die eine, die mit der Limousine, kam der anderen zuvor.

»Gruppe Musikus mit Gaspistolen, also Gruppe drei«, warf Gustav ein und trank schnell seinen Kaffee, der nur noch Kognak war.

»Immerhin«, fuhr Harst fort, »wurde dadurch das gefährlichere Attentat vermieden, die Leute der Gruppe drei verscheuchten Herrn Jemand und die Zaunlatte, und Herr Jemand knallte Zaunlatte nieder, weil der Mann ihm unbequem wurde, ein Holzstoß lohte auf, ich erwachte, und eine weinende Frau klagte mir ihr Leid, und ich ... verschwand. – Das mag genügen. – Doktor Lohr ist schuldlos, er sollte getötet werden, er hatte Glück, Garp sollte als Raubmörder hingestellt werden, er entfloh. Heute nacht hat der Herr Jemand auch Stotter-Fred und Krokodil stumm gemacht, nachdem die beiden ihm Lohrs Aufzeichnungen geholt und die Kleidungsstücke beschmutzt hatten, damit Lohr nun in Verdacht geriete, bei alledem eine zweideutige Rolle zu spielen. Die Sachen soll Fred nachher sofort verbrennen, aber gründlich, da die Polizei euch zweifellos erneut vernehmen wird. Lohr ist nicht der Mann aus dem Paradies-Hotel und aus dem Blauen Schwan. Daß dürfte euch nun einwandfrei klar sein. – Hier habt ihr noch ein paar erneute Anzeigen. Ich muß mich verabschieden. Ihr hört schon zur rechten Zeit von mir. Ich verlasse das Haus durch den geheimen Ausgang zur Parallelstraße. Die Dinge liegen sehr ernst, nehmt euch also in acht. Bisher habe ich – und das ist die Wahrheit – nicht die geringste Ahnung, wer der Herr Jemand sein könnte, der mit Lohr einige Aehnlichkeit haben muß. – Lebt wohl.«

Er drückte uns fest die Hand und entfernte sich durch den Keller. Minuten später schlüpfte er in den Stall seines Grundstücks und bereitete sich im Bodenraum ein ärmliches Lager, stellte ein Telefon neben sich und legte einen zweiten Hörer dicht an sein Ohr. Dann schlief er vor Abspannung ein. Er mußte schlafen, er wußte genau, daß an seinen Körper sehr bald noch ärgere Anforderungen gestellt werden würden. –

Ich las die Anzeigen, die Harst ausgeschnitten und uns zurückgelassen hatte.

1.) »Zaunlattenfabrik sucht die vor einem Jahr entlassenen drei Arbeiter. – A. B. C. 100.«

2.) »Zaunlatte und Teilhaber 2. Mai elf abends Autofahrt, Beginn Ecke Gartenstraße. – Auguststraße. – A. B. C. 100.«

Fred, Gustav und mir waren diese Anzeigen inhaltlich durchaus verständlich. Der Herr Jemand hatte wieder Helfershelfer gebraucht, hatte die drei nicht aufstöbern können und daher annonciert. Die zweite Anzeige besagte, daß er die drei dann in seinem Auto abgeholt und im Auto mit ihnen verhandelt hatte.

– Wer war der Mann?!

Wer war die Verschleierte und der alte Musikus mit der verbogenen Brille?

Alles Hin- und Herraten half da nichts. Wir waren auch müde und ohne den richtigen Eifer, der ganze Fall bot so gar keine Handhabe, dieser Todfeind Garps verfügte über eine Intelligenz, der wir nicht gewachsen waren.

Gustav schlief im Sessel ein, Fred auch, ich döste vor mich hin, und dann fielen mir die Kleidungsstücke ein, die verbrannt werden sollten.

Ich ging in die Küche, entzündete ein Höllenfeuer und schob den Hut hinein, dann die Morgenschuhe, nur den Mantel untersuchte ich gründlich, – es war so eine Art Augenblickseingebung.

Die eine Tasche war abgetrennt. Ich befühlte das Futter, – und dann hielt ich eine brüchige Papierkugel in den Fingern, die ich nachher am Schreibtisch vorsichtig entfaltete.

Ein Brief, sehr feines Papier, ein zarter Parfümduft, eine energische große steile Damenhandschrift.

Der Brief trug das Datum des vorjährigen März.

Lieber Richard!

(Also war Lohr der Empfänger)

Unsere vielleicht etwas eigenartige Freundschaft gibt mir immerhin das Recht, dich vor einem übereilten Entschluß, den ich voraussehe, dringend zu warnen. Wir haben in vielem die gleichen Interessen, du als Kriminaltheoretiker, ich als deine – sagen wir – Konkurrentin. Du scheinst dich zur Zeit auf ein Abenteuer eingelassen zu haben, dessen Entwicklung ich mit wachsendem Befremden beobachte. Wahrscheinlich gehen meine Ermittlungen in anderer Richtung, ich halte mich für verpflichtet, dich als Freund nachdrücklichst zu warnen. Das Mädchen verdient zweifellos die Kälte, mit der ihr Bruder ihr gegenübertritt, und dein »Experiment«, lieber Richard, kann die unangenehmsten Folgen haben. Jenes Mädchen ist ein Blender besonderer Art, und du wärest niemals auf den Gedanken verfallen, deinen Weg der rein theoretischen Forschungen zu verlassen wenn nicht ein persönliches Interesse mitspräche, das du, im Grunde ein blinder Idealist trotz deiner kosmopolitischen Spötterallüren, in grauem Katzenjammer – verzeihe schon – enden sehen wirst, denn niemand kann zween Herren dienen, und ...«

Hier fehlte ein Streifen des Briefes, er war abgerissen worden, und dazu hatte Doktor Lohr noch quer über den Brief geschrieben – mit Blaustift, dick und in verärgerter Stimmung und mit drei Ausrufungszeichen:

Eifersucht!!! Pfui Teufel!!!

Hinter mir schnarchten Gustav, Fred und Fräulein Scylla wie alte Sägemaschinen.

Und ich hielt hier endlich den ersten Hinweis auf die Verschleierte in Händen. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie mir über diese Ellen Garp recht genaue Auskunft hätte geben können, aber ich sagte mir gleichzeitig, daß diese Frau wahrscheinlich längst Harst alles Nötige mitgeteilt habe, mit dem sie nun zusammen an der Auffindung des Herrn Jemand arbeitete. Die Frau zu suchen war also zwecklos – – vielleicht zwecklos, man mußte eben abwarten und prüfen, ob ein Eingreifen unsererseits (hierzu rechnete ich Fred, Gustav und mich) nötig werden würde.

Bereits um Elf vormittags meldete sich die hohe Behörde bei uns. Aber bei der umständlichen Vernehmung kam nicht viel heraus. Ich blieb bei der Wahrheit, jedoch selbst »Wahrheit« ist ein relativer Begriff, ich gab zu, Doktor Lohr hätte uns in der Nacht zu sich gebeten, da ihm Aufzeichnungen gestohlen waren. – Ueber die wichtigsten Punkte ging das Verhör großzügig hinweg, und als die beiden ernsten Herren uns verließen, waren sie um nichts klüger, wir dagegen wußten, daß bei der Polizei »jemand« angerufen und Lohr verdächtigt hatte, die beiden Einbrecher erschossen und verbrannt zu haben. – Herr Jemand war leider nicht auf seine Kosten gekommen. Die Scheinbeweise für Lohrs Schießwut und Tätigkeit als Einäscherer lagen als Asche im Müllkasten bei uns. – –

Im nördlichen Teile der Provinz Brandenburg gibt es ein Gebiet, daß aus Seen, Sümpfen, uralten Wäldern und unfruchtbarer Heide besteht. Diese ganzen endlosen Ländereien hatten vor Monaten den Besitzer gewechselt, und der neue Rittergutsbesitzer dieser romantischen Wüsteneien tat alles, das Rittergut Steubenhorst nur für seine Jagdpassion herzurichten, das heißt, er bebaute die Felder nur, damit die Hasen, Rehe und Hirsche reichlich Aesung fänden, er stellte zuverlässige, verschwiegene Wildhüter ein und fand seine bisherigen Gutsarbeiter großzügig mit hohen Summen ab und entvölkerte so das Dörfchen Steubenhorst derart, daß sogar die Autobuslinie dorthin im Frühjahr eingestellt worden war.

Für einen Mann, der sein halbes Leben im tropischen Dschungel zugebracht hatte und der als vielfacher Millionär jeder Schrulle nachgehen konnte, war Steubenhorst ein idealer Wohnsitz.

Das alte Schloß, vollkommen von Efeu umrankt und von einem Riesenpark umgeben, enthielt nun die riesigen exotischen Sammlungen des Herrn Theodor Gallandy. der in den Sälen und Zimmern ein Stück Indien hervorgezaubert hatte. Zahllose Möbelwagen hatten diese Schätze des Orients herbeigeschafft, und ein Dutzend indischer Diener nebst Weibern und Kindern huschten lautlos durch das Schloß und verehrten ihren weißen Sahib wie einen Gott.

Gallandy, ein graubärtiger, straffer Sechziger mit durchdringenden schwarzen Augen, war ein ebenso leidenschaftlicher Reiter wie Jäger. Als er in das Schloß einzog, hatte er alle europäischen Arbeiter weggeschickt. Drei etwas seltsame Möbelwagen hatten dann noch tagelang auf dem Hofe gestanden und waren nachher zum Teil verbrannt worden.

Der neue Herr von Steubenhorst hütete sich, allzu viel Aufsehen zu erregen, er war ein guter Menschenkenner und wußte die Macht des Geldes richtig zu gebrauchen.

In der Umgebung redete man kurze Zeit von dem früheren Plantagenbesitzer, dann kümmerte sich niemand mehr um ihn.

Während der letzten Tage war Gattandy unpäßlich gewesen, und wenn ihn wieder einmal die Malaria packte, durfte nur sein Diener Ahmed zu ihm.

An demselben Tage, als uns Allan Garp entführt worden war, saß um die Nachmittagsstunde der Herr von Steubenhorst auf der großen Schloßterrasse und blinzelte etwas müde in die durch die Parkbäume verdeckte Sonne.

Sein hartes, scharfes, braunes Gesicht zeigte einen finsteren, nachdenklichen Zug.

Jessy, Ahmeds älteste Tochter, brachte ihm Tee und Gebäck. Er lächelte das Mädchen freundlich an und staunte wie schon so oft ihre vollendete Grazie und ihre nur leicht getönten feinen Züge an, die ihn immer wieder daran erinnerten, daß die Nordweststämme Indiens ursprünglich Arier gewesen.

»Etwas Neues, Zessy?« fragte er mehr aus alter Gewohnheit.

»Mr. Chester Morwyn ist überraschend eingetroffen«, sagte das Mädchen in fließendem Deutsch, aber äußerst kühl.

»Ah – Morwyn?! Wo kommt der denn her?! Seine letzte Karte erhielt ich aus Portugal ... – Gut, er soll sich herbemühen, Kind ...«

Als die hellhäutige Inderin still davongehuscht war, setzte Gallandy sich straffer hin und streichelte seinen Bart.

Was mochte Morwyn hierher führen??

... Gallandy verspürte eine leichte Unruhe. Sein ehemaliger, so äußerst tüchtiger Plantagendirektor kam ihm nicht sehr gelegen. Diese häßlichen Geschichten, die Allan da in Berlin begangen, empfand Gallandy als persönliche Schmach. Hoffentlich war Morwyn taktvoll genug, diese Dinge nicht zu berühren.


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