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4. Kapitel

Der Papageienonkel.

Derweil waren Fred und ich längst bei Doktor Lohr angelangt. Wir hatten während der Fahrt scharf aufgepaßt und die Waffen bereitgehalten, aber dies erwies sich, als unnötig.

Der Diener empfing uns und führte uns nach oben in das Schlafzimmer. Lohr lag mit dick verbundenem Kopf im Bett, und seine erste Frage galt Harst. »Wo ist Ihr Freund, Herr Schraut?«

»Beschäftigt«, wich ich aus. – Das also war Doktor Richard Lohr, der große Kriminaltheoretiker! Gewiß, von der bewußten Fotografie her kannte ich ihn schon, aber der bleiche Mann dort in den Kissen mit den spitzen Zügen und dem ironischen Gewohnheitslächeln um die dünnen Lippen glich dem Bilde nur sehr wenig. Der Blutverlust und das leichte Wundfieber schienen Doktor Lohr sehr mitgenommen zu haben.

»Setzen Sie sich, bitte ... – Haben Sie das Feuer drüben im Waldstreifen gesehen?« – Er sprach sehr abgehackt, und seine braunen Augen öffneten sich nur selten zu voller Größe. »Mein Diener berichtete mir davon, diese Fenster gehen nach der anderen Seite hinaus, und aufstehen darf ich noch nicht, der Arzt hat noch jede Aufregung verboten, nicht einmal Zeitungen gibt man mir ...«

Er lachte hart. »Wenn nur das Fieber verschwände! Ich bin weiß Gott nicht verweichlicht. Ich finde keine Ruhe. Ich habe da den armen Allan Garp in einen Verdacht gebracht, der vollkommen sinnlos ist. Erst heute ist mein Erinnerungsvermögen so zuverlässig, daß ich mit aller Bestimmtheit sagen kann: Der Tresor war bereits offen, als ich mein Herrenzimmer betrat! Ein fremder schoß mich von hinten nieder, und dieser Fremde muß auch den Tresor geöffnet haben ...«

»Kennt die Polizei diese Ihre neue Ueberzeugung fragte ich vielleicht etwas zu kühl.

Lohr blickte mich fest an. »Nein! Und das hat seine gewichtigen Gründe, über die ich nicht sprechen will.« Ein finsterer, feindseliger und verschlossener Zug zeigte sich um seinen Mund. »Ich hatte das alles jedoch schriftlich niedergelegt, die beschriebenen Blätter lagen hier auf dem Nachttisch, die Balkontür war nur angelehnt, ich war eingeschlummert, erwachte und erblickte im Zimmer zwei fremde Gestalten, riß die Waffe unter dem Kissen hervor und gab ein paar Schreckschüsse ab, die draußen im Garten scheinbar ein Echo fanden ...«

»Scheinbar?!«

Lohr nickte kurz. »Ja, scheinbar ... Ich will damit andeuten, daß zweifellos auch im Garten geschossen wurde und zwar ebenfalls mit Schalldampfer ...« – Er holte seine Pistole unter der Steppdecke hervor, und ich sah, daß der Lauf ein Aufsatzstück trug. Im übrigen hegte ich Lohrs Angaben gegenüber sehr berechtigte Zweifel. Er mochte meine Voreingenommenheit vielleicht spüren, denn sein Gesichtsausdruck und sein Blick wurden noch finsterer. »Ich errate Ihre Gedanken, Herr Schraut«, meinte er fast herausfordernd. »Sie möchten gern die Kugeleinschläge sehen ... Nun, mein Bett steht so, daß ich von hier bequem durch die Türspalte in die Luft feuern konnte, und ich bin ein guter und sicherer Schütze ...«

... Ich dachte unwillkürlich an die erste verkohlte Leiche mit den beiden Brusttreffern.

»Wie oft drückten Sie heute ab?«, fragte ich etwas doppelsinnig.

Lohr war klug. »Heute?! Ich habe die Waffe seit langem nicht benutzt, Herr Schraut. Es mögen also »heute« vier Schuß gewesen sein, ja, es waren vier, hier ist der Rahmen, vier Patronen fehlen, vier Hülsen liegen dort ... Mein Diener hat sie aufgehoben.« Dann wechselte er schnell das Thema. »Ich kann nur annehmen, daß meine ursprüngliche Annahme, hinsichtlich des ersten Falles Garp, also betreffs des Autounglücks, durchaus richtig gewesen ist, obwohl mir die Beweise fehlen, – – für Garps volle Schuldlosigkeit«, ergänzte er schnell, wobei sich sein Gesicht verdächtig rötet«. »Und ich bin auch der Ansicht, daß irgendein Mensch existiert, der Allan Garp vollends ins Unglück stürzen möchte. Diese Person arbeitet mit Helfershelfern, und zweifellos bestahlen sie mich um meine sehr genauen Ausarbeitungen, die ich hier auf dem Krankenbett ergänzt und weitergeführt hatte und die den Leuten eine leider allzu günstige Handhabe bieten, Gegenschachzüge vorzubereiten.«

– Was sollte das alles?, fragte ich mich abermals, da die Zerfahrenheit der Angaben Lohrs bei mir nur den Eindruck verstärkte, er selbst sei es, der diese Gegenschachzüge genau überlegt habe. Weshalb hatte er uns gerufen?! – In dem Augenblick, als ich mir diese Fragen stellte, wußte ich ja noch nichts von der Auffindung der beiden Toten in dem neuen Scheiterhaufen.

In diesem Stadium unserer Unterhaltung ereignete sich ein nur von mir bemerkter geringfügiger Zwischenfall ...

Ich saß so, daß ich durch die Türspalte auf den Balkon hinausblicken konnte. Der Himmel hatte sich ein wenig aufgeklärt, und gegen ein Stück dieses hellen Nachthimmels gewahrte ich draußen auf dem Balkon eine Gestalt, die äußerst vorsichtig uns zu belauschen suchte. Ich sah von dem Mann nur den Schlapphut und den beschatteten bärtigen Kopf und den gebeugten Rücken, – ich blickte schnell wieder weg, aber der Fremde war doch wohl argwöhnisch geworden, er verschwand, und als ich mit drei langen Sätzen draußen auf dem Balkon anlangte. rutschte der Mann bereits in die Tiefe, zog das Doppelseil ein und huschte um die Hausecke.

Am Balkon aber klebte, nur leicht mit einem Faden umwickelt, ein Zettel, den ich schleunigst in den Aermel schob, bevor Fred noch neben mir auftauchte.

»Beruhigen Sie Doktor Lohr«, sagte ich zu unserm patenten Jüngling sehr hastig. »Es war ein Horcher hier oben ... Er ist entwischt.«

Lohr rief nach uns. Fred trat wieder ins Zimmer zurück, ich drückte mich in eine Ecke und schaltete meine Taschenlampe ein und las den unsauberen Papierwisch. – Harsts Handschrift:

»In dem neuen Scheiterhaufen zwei neue verkohlte Leichen mit je zwei Schußwunden. Richte Dich danach. H.«

Auch ich ging in das Zimmer zurück. Doktor Lohr starrte mich forschend an. In seinem Blick lag jedoch nichts von Angst, und – täuschte ich mich?! – hatte sich nicht der ironische Zug um seine Mundwinkel noch verstärkt?!

Ich setzte mich und rückte wie unabsichtlich weiter vom Bettende zur Seite. Lohr fragte nach dem Horcher, – ich antwortete vollkommen geistesabwesend ... Unter Lohrs Bett lagen zwei völlig mit Schlamm und Erde bedeckte rote Morgenschuhe ...

Lohr war draußen im Garten gewesen. Lohr hatte seine Helfershelfer erschossen ... Lohr heuchelte Fieber und Krankheit ...

Ich zog meine Taschenlampe wieder hervor. Meine Augen glitten zu Fred hinüber ... – Fred ist ein heller Kopf.

Er erhob sich, und bevor der Anwalt ihn noch zurückstoßen konnte, hatte er ihm die Pistole entwunden.

Der Lichtkegel glitt unter das Bett ... Ich bückte mich. Hinter den durchweichten schmutzigen Schuhen lag ein zusammengeknüllter nasser Mantel und ein feuchter zerbeulter Hut. Ich angelte die Gegenstände hervor, ohne Lohrs Gesicht auch nur für Sekunden unbeobachtet zu lassen. Seine Züge wurden seltsam starr, seine Augen weiteten sich, und dann, als ich auch den Hut auf den Stuhl neben mich legte, lachte er urplötzlich ganz zwanglos auf ...

»Eine gute Idee. Herr Schraut! Allan Garps Todfeind ist nun auch der meinige geworden. Fallen Sie etwa auf den Bluff herein? Die Sachen gehören mir, ja. – aber ich beschmutzte sie nicht ... Ich schlief, man holte dies« Beweisstücke, durchnäßte sie und schob sie unter das Bett ... Eine gute Idee. Jedoch Sherlock Holmes, mein erlauchtes Vorbild, würde sagen: »Nein, lieber Watson, es ist nicht meine Art, mich so plump betrügen zu lassen. Wenn Doktor Lohr das Bett verlassen und die Sachen getragen hätte, würde er sie kaum unter das Bett gesteckt und dann Harst und Schraut herbeigerufen haben.« Nicht wahr, das hat doch Hand und Fuß?«

»Nein!«, erklärte ich kalt. »Das hat weder Hand noch Fuß. Sie sind im Garten und im Waldstück gewesen, Doktor Lohr. Wo sollten Sie die nassen Sachen wohl verbergen?! Jedes Verbergen dieser Kleidungsstücke wäre gefährlicher gewesen als Ihre jetzige schlaue Ausrede. Aber mich führen Sie nicht hinters Licht. Ich werde sofort die Polizei verständigen ...«

Meine Hand langte nach dem auf dem Nachttischen stehenden Telefon. Ich berühre den Hörer, – – da schlägt die Glocke an ...

»Hallo, – hier bei Doktor Lohr, Zehlendorf ...«, meldete ich mich.

Klar und deutlich ertönte aus dem Mikrofon Harsts Stimme zurück:

»Mache gefälligst keinen Unsinn, mein Alter ... Falls du die Polizei benachrichtigen wolltest, so warte damit noch ... – Schluß ...«

Der Apparat sprach sehr laut an. Lohe mußte jedes Wort gehört haben. Ich schaute ihn an ...

Er lächelte nachsichtig. »Siehst du, Watson, meine Art ist doch die richtige«, spöttelte er triumphierend.

Meine Geduld war erschöpft. Ich kam mir hier wie ein Narr vor.

»Sie gestatten, daß wir uns verabschieden, Herr Lohr ... Auf Wiedersehen – unter anderen Umständen aber ...!!«

»Hoffentlich. – Gute Nacht, meine Herren, sagte Lohr sehr höflich.

Ich nahm die Kleidungsstücke mit, rollte Hut und Schuhe in den Mantel und nickte unten in der Diele dem uns hinauslassenden Diener nur flüchtig und mißtrauisch zu. – –

Um dieselbe Zeit saß unten in Doktor Lohrs Arbeitszimmer im Dunkeln ein Mann mit einem Papageienkäfig und hatte neben sich das Tischtelefon und im Mundwinkel eine süßlich riechende Zigarette. Als er die Haustür klappen und die Schritte der sich entfernenden vernahm, hob er den Hörer von der Gabel.

»Hallo, Doktor ...«

»Hallo ...!«

»Ich habe an der Tür gehorcht ... Ich kam gerade noch zur rechten Zeit nach unten. Die Sache mit den Kleidern hätte böse werden können ... Dieser Schraut fällt auf alles herein! – Wiedersehen ...«

Der alte Papageienonkel vernahm noch Lohrs vergnügtes Kichern, dann legte er den Hörer weg.


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