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Elftes Kapitel.
Neben dem Bräutigam.

Von diesem Tage angefangen machte Serena's Gemüth eine gewaltige Veränderung durch. Wie wenn ihre Leidenschaft für die Hauswirthschaft entzwei geschnitten worden wäre, ließ sie Küche, Speisekammer und Gemüsegarten im Stiche. Sie stand spät auf, legte sich spät nieder, versäumte am Toilettentisch die Mittagszeit, beschäftigte sich mit ihrem Pferde und dem Klaviere und ihr herzliches familiäres Beisammenleben mit der Familie des Verwalters nahm die Formen jener zuvorkommenden Freundlichkeit an, welche wohlerzogene Gräfinnen so gewandt zur Schau zu tragen verstehen, wenn sie mit Menschen zusammenkommen, die zu achten sie allen Grund haben, mit denen sie aber doch nicht jeden Abend um den Kamin sitzen wollen.

Die Verwalterin gewahrte dies sofort und äußerte sich Esti gegenüber auch diesbezüglich, wobei sie hinzufügte, daß sie es ohnehin vorhergewußt habe, daß die ganze Laune gar bald ein Ende nehmen werden. Desto nothwendiger schien es ihr, die Gräfin zu drängen, nach Klausenburg heimzukehren. Es ist ja geradezu unmöglich, daß ein gräflicher Bräutigam ein Grafenfräulein aus dem Verwalterhause zum Altare führe.

»Dorthin gehe ich nicht,« sagte die Gräfin. »Nach Klausenburg auf keinen Fall. Ich kenne die dortigen Kreise; sie würden einen neugebackenen Magnaten sehr schlecht aufnehmen, was für Adorjan einen schlimmen Ausgang nähme. Besonders rechne ich bei meinem Vater auf sehr geringe Zuvorkommenheit Adorjan gegenüber, denn er ist ein arger Demokrat; an seinem Tische sitzen stets Gelehrte, Künstler und Professoren. Es könnte ihm einfallen, für den gekauften Grafen am Katzentische decken zu lassen und ich könnte die Ironie nicht ertragen, welcher ich dort begegnen müßte.«

»Das ist einmal klug gesprochen,« dachte Verwalterin für sich. »Sie fürchtet für Adorjan und hat Recht. Sie sieht ein, daß er ein arger Schlingel ist, doch sie liebt ihn. So ist's auch recht. Es ist ebenfalls Gottes Segen, wenn ein Taugenichts von einem Manne eine gescheidte Frau kriegt.«

»Ich dachte mir, daß es besser wäre, zu meiner Tante nach Preßburg zurückzukehren.«

»Das ist sehr gescheidt; bei der gnädigen Tante befindet sich noch die vorjährige Aussteuer völlig unversehrt.«

Serena runzelte die schönen Augenbrauen, was ihr so gut ließ, das wohlgenährte gutmüthige Gesicht der Verwalterin überzeugte sie indessen davon, daß keinerlei Malice in dieser Bemerkung gelegen. Die gute Frau schien nur das allein für sehr schicklich zu halten, daß eine Braut mit einer ihrem Range entsprechenden Menge von Batisttaschentüchern bis zu ihrem Hochzeitstage versehen sei.

»Dann wird es für uns auch besser sein, uns in Preßburg trauen zu lassen, da man dort jene Leute mit mehr Vorliebe aufnimmt, die eine ganz neue Auszeichnung aus Wien erhalten.«

»Da Preßburg nahe zu Wien ist.«

»Am Ende kommt doch jeder Grafentitel aus Wien und gar viele, die zu eifrig nach den Quellen ihrer Titeln in den Biographien ihrer Vorfahren suchen, würden solche Gründe auffinden, die des Verschweigens würdiger wären als Adorjans gute Dienste!«

»Sie vertheidigt den jungen Mann,« dachte die Verwalterin. »Das ist in Ordnung. Die kommt auch nicht mehr nach Somlyohaza.«

»Und wann gedenkt die Comtesse zu ihrer Tante nach Preßburg zu reisen?«

»Das weiß ich selbst noch nicht. Wenn ich mich gerade dazu anschließen werde.«

»Ich möchte dies aber im Voraus wissen, – von wegen der Vorbereitungen.«

»Meinethalben brauchen Sie sich nicht die mindesten Umstände zu machen,« sagte Serena lachend.

»Ich weiß daß die Gräfin jeden Moment reisefertig ist; ich aber muß das Haus in Ordnung zurücklassen, wenn ich eine so lange Reise antrete.«

Serena that, wie wenn sie verwundert wäre.

»Ich verlange ja nicht von Ihnen, daß Sie meinethalben eine so lange, unangenehme und beschwerliche Reise unternehmen sollten. Sodann reise ich stets Tag und Nacht und dies würde Sie ganz krank machen«.

»Aber bedenken Sie doch liebste Comtesse, in welche Schande Sie mich dadurch vor Ihrem Vater, dem Herrn Grafen bringen würden, wenn ich es zugeben würde, daß sie allein, ohne meine Begleitung eine so lange Reise antreten. Ich würde es ja niemals wagen, ihm unter die Augen zu treten. Und wenn der Gräfin unterwegs was zustoßen sollte, könnte ich Zeit meines Lebens nicht mehr ruhig sein.«

»Was könnte mir zustoßen? Ich bin schon oft genug allein gereist. Dann habe ich ja meine Zofe und meine Pistolen bei mir.«

»Die bewahren Sie wohl vor Krankheit und Räubern; – aber vor der Zunge der Welt?«

»Ach!« sprach Serena mit höhnischem Lachen. »Die verwundet mich nicht.«

Die Verwalterin schien ganz betrübt durch eine derartige Verachtung der Welt, welche so wenig zu dem Liliengesichte eines jungen Mädchens paßt und sie bat sie nochmals zu bedenken, was sie thun wolle.

»Sprechen wir nicht weiter davon. Sie können schon wissen, daß je mehr man mir zuredet, ich nur um so halsstarriger werde. Diese Reise ist nichts für Sie, ich werde allein reisen.«

Dies machte den Unterhandlungen ein Ende. Die Frau Verwalterin gewann die Ueberzeugung, daß sie es mit einem unheilbaren Starrkopf zu thun habe; den Gott am besten gar nicht hierhergebracht hätte und wenn er ihn schon hierherbrachte, möge er ihn je rascher wieder an einen sicheren Ort entführen, wo ihn ein anderer zu bewachen hat.

Noch in derselben Stunde setzte sich Serena nieder und schrieb zwei Briefe die sie aufs sorgfältigste versiegelte. Der eine war an Herrn Adorjan Borcz, der andere an Herrn Julius Feher gerichtet und beide wurden mit Retourrezepissen nach Wien aufgegeben.

Fortan mußte der Reitknecht täglich in die Stadt reiten, um nachzufragen, ob die Rezepisse bereits zurückgekommen seien.

Zuerst kam es von Julius Feher und erst am zweiten Tage auch von Adorjan zurück; gleicher Zeit erhielt die Gräfin auch zwei Briefe von dem genannten Herren.

Als die Gräfin dieselben erhalten, ließ sie sofort Anstalten treffen, um übermorgen abreisen zu können. Der Verwaltersfamilie gegenüber war sie bereits so zurückhaltend, daß es fortan Niemand mehr für gerathen hielt, gegen ihre Bestimmungen Einspruch zu erheben.

Vollkommen zurückgezogen ordnete Serena ihre Geschäfte, einzig und allein nur von ihrem Stubenmädchen unterstützt; ihr Kutscher hatte Weisung erhalten, sich für einen langen Weg vorzubereiten, vorüber sich dieser ungemein freute. Die Hausleute wurden in gar nichts mehr eingeweiht.

In den letzten Tagen kam Serena nicht einmal mehr zum Speisen herunter, sondern ließ in ihren Zimmern für sich decken und aß allein. Ihr Zweck war, kein Mitleid oder Bedauern über ihre Abreise aufkommen zu lassen.

Am Abend vor ihrer Abreise nahm sie von den Hausleuten kurzen Abschied und gab dem Verwalter mit kurzen Worten zu wissen, was er ihrem Vater sagen solle, wenn er nach Klausenburg reist.

Ihre Stimme zitterte blos ein wenig, als sie ihn bat, ihr liebes Schwesterchen Cecil von ihr zu grüßen.

Esti bat sie, ein Armband von ihr als Brautgeschenk anzunehmen. Jene hätte sich indessen über einen Kuß der Freundin, besonders zum Abschied, mehr gefreut, da Serena mit diesen Liebesbeweisen vor einigen Tagen, da sie sich zur Bürgerfrau vorbereitete, noch sehr freigebig war. Heute weiß sie indessen bereits, daß sie Gräfin bleiben muß und solche pflegen nur werthvolle Sachen zu schenken.

Endlich bat Serena die Anwesenden, ihrethalben nicht frühe aufzustehen, denn sie werde zeitlich Morgens ausbrechen, da noch alle im Hause schlafen.

Der kleine Verwalter lächelte schlau bei diesen Worten; ihm kann man mit den Worten nicht kommen: zeitlich Morgens. Für den Landwirth endet und beginnt der Tag niemals; er schläft wachend und visitirt um Mitternacht die Ställe der Reihe nach. Für ihn existirt das Wort »frühe« nicht.

Serena glaubte indessen, daß sie die Hausleute überlisten könne, wenn sie, da vorauszusetzen ist, daß jetzt auch die Wachsamsten ihren ersten Schlaf schlafen, geräuschlos einspannen läßt und den Hof verläßt ohne von Jemandem wahrgenommen zu werden. Die Nacht ist mondhell, die Wege befinden sich in gutem Zustande, die Reise ist demnach gefahrlos.

Der Plan gelang vollkommen; – nach dem ersten Hahnenschrei stand die Kutsche bereit, Serena bestieg dieselbe ohne jedes Geräusch und verließ das Haus ohne Jemanden gestört zu haben. Nicht einmal die Hunde kläfften ihr nach.

Auf ihrem Wege durch das Dorf begegnete sie Niemandem außer dem Nachtwächter, der aufs Gerathewohl die elfte Stunde verkündete, obschon sicherlich bereits Mitternacht war. Die in den Hausthoren liegenden Hunde bellten der dahinrollenden Kutsche verschlafen ein wenig nach, bald aber hatte auch dies ein Ende und der Wagen rollte auf der offenen Landstraße einher.

Als sie aus dem Dunkel der durch Bäume beschatteten Gassen aus den mondscheinbeschienenen Weg gelangten, blickte Serena durch das rückwärtige Fenster der Kutsche hinaus und gewahrte einen ihnen nachkommenden leichten Bauernwagen.

Es mag ein Kaufmann sein, der so spät reist, denn wer wählt sich diese Zeit zu einer Spazierfahrt?

Nach einer halben Stunde blickt sie wieder zurück und da war ihnen der Bauernwagen bereits näher gekommen. Er hatte blos drei Pferde vorgespannt, da er aber sehr leicht war, konnte er mit der vierspännigen Kutsche um die Wette fahren.

Der Bauernwagen begann nunmehr Serena's Aufmerksamkeit zu erregen; von zehn bis zehn Minuten blickte sie hinaus, der Wagen hatte die Kutsche bereits auf einige hundert Schritte eingeholt und blieb nun, wie mit dem Erfolge zufrieden, in derselben Entfernung, ohne vorkommen zu wollen.

Einmal befahl Serena dem Kutscher, rasch zu fahren und blickte sodann zurück, um zu sehen, was der Bauernwagen mache. Dieser schien eine Weile zurückzubleiben, hatte sie aber nach einer halben Stunde wieder eingeholt und war nicht abzuschütteln.

Wieder einmal hieß Serena ihrem Kutscher, stehen zu bleiben, wonach hinter ihr der Bauernwagen gleichfalls anhielt, der Kutscher stieg ab und hatte am Geschirre seiner Pferde so viel zu ordnen, daß Serena die Geduld verlor. So wie sie aber ihren Weg fortsetzte, folgte ihr der andere augenblicklich.

»Wer mag das sein, der uns da nachkommt und uns weder zuvorkommen, noch uns verlassen will?« fragte die Gräfin endlich ihren Kutscher.

»Es mag irgend ein frommer Handelsmann fein,« antwortete jener; »der sich freut, zu so später Stunde Jemanden vor sich zu sehen.«

Diese Erklärung hielt auch Serena für die wahrscheinlichste und den Kopf in die Wagenkissen stützend, begann sie zu träumen, ohne zu gewahren, daß sie gar nicht schlafe, sondern wach sei.

In dem Bauernwagen aber, welcher der Kutsche der Gräfin so ausdauernd folgte, saß Niemand anderes, als – der kleine Verwalter selbst, der sich vorgenommen, dem Grafenfräulein wenn nöthig, bis in die Hölle zu folgen.

Als sich der Wagen der Gräfin einen steilen Bergpfad emporzuwinden begann, war bereits der Morgenstern am Horizont emporgekommen und als man auf der Bergesspitze angekommen, die Pferde ein wenig ausschnaufen ließ, stieg Serena aus dem Wagen.

Es war ein wundervoller Herbstmorgen; von dem hohen Bergesgipfel konnte man tief in die ungarische Tiefebene hinabblicken, deren Horizont noch in einem bläulichen Dunstschleier schwebte, die immer niedriger werdenden Bergrücken folgten gleich riesigen Treppen auf einander; aus einer nebeligen Bergschlucht leuchtete die glühende Esse eines Eisenhammers hervor, während an der entgegengesetzten Seite des Horizontes der Himmel bereits ins Rosenrothe zu spielen begann und über den golden schimmernden Rissen der Szekler Berge der Morgenstern leuchtete.

Der grüne Sammt der Wiesen ist hier und dort mit Silber bestreut, an dem reinen Himmel zog eine Krähenschaar dahin, vielleicht um die aufsteigende Sonne zu begrüßen, deren Feuerball sich hinter den Bergwänden gleich einem wachsenden Goldklumpen emporhebend, ihrem vorausgesandten Sternboten folgt.

Lange verweilte Serena's Blick auf der Krähenschaar, ohne zu gewahren, das auf dem Bergpfade eine zweite, mit fünf Pferden bespannte Kutsche der ihrigen gegenüber emporklettert und erst, als die Glocken der vorderen drei Pferde ganz in der Nähe zu tönen beginnen, kehren ihre Gedanken auf die Erde zurück.

Auf den ersten Blick hatte die Dame die Pferde erkannt.

»He! Halt!« rief sie dem Kutscher des ihr entgegenkommenden Wagens zu, als derselbe bereits den ihrigen erreicht hatte. »Das sind die Pferde des Herrn Borcz.«

»Ja, die des Herrn Grafen!« antwortete der Knecht.

»Der Graf schläft sicherlich?«

»Möglich, denn wir reisten während einer ganzen Nacht.«

»Nun so werde ich ihn aufwecken.«

Serena verfiel auf den scherzhaften Gedanken, Adorjan in der Weise aufzuwecken, daß sie, während er mit offenem Munde in tiefem Schlafe in den Kissen seines Wagens lag, eine Pistole über seinem Kopfe abfeuerte.

Es war sehr spaßig mitanzusehen, wie der auf diese Weise aus dem Schlafe emporgeschreckte junge Mann plötzlich zu sich kam und im ersten Momente nicht wußte, ob er im Himmel oder unter dem Wasser sei, trotzdem aber vor allem nach seiner Börse griff, dann sich anschickte, zum rückwärtigen Fenster des Wagens hinauszuspringen. Seine neben ihm liegende Flinte zu ergreifen, kam ihm aber nicht in den Sinn.

»Hahaha!« lachte Serena mit gesundem Humor und schlug die abgeladene Pistole auf ihn an. » La bourse ou le coeur! Dein Geld oder Dein Herz!«

Im nächsten Momente war Adorjan bereits Herr seiner fünf Sinne, erkannte seine Braut und bedachte, daß er gute Miene zum bösen Spiele machen müsse, obschon der Mensch gewöhnlich ärgerlich zu sein pflegt, wenn man ihn aus tiefem Schlafe aufweckt. Mit einem Satze sprang er aus dem Wagen und war sofort schlagfertig.

»Beides gehört Ihnen schon längst meine Gnädigste!«

Sodann folgte ein Handkuß, denn mehr gestattete Serena nicht.

»Es ist sehr schön von Ihnen, daß Sie mir gehorchten und entgegenkamen.«

»Ich wäre auch sonst gekommen; Ihr liebes Schreiben fand mich bereits unterwegs.«

»Billigen Sie, was ich geschrieben?«

»Vollkommen.«

»Sind Sie mit der Dispensation in Ordnung?«

»Es kostete mich blos ein Wort beim Vicegespan. Und Sie meine Gnädige?

»Ich habe die meinige bei mir. Sorgten Sie auch für Zeugen?«

»Mein Brautführer Graf H. erwartet uns Ihrem Befehle gemäß, in Szathmar.«

»Weshalb wählen Sie einen so vornehmen Zeugen? der meinige wird Julius Feher sein.«

Dies schien Adorjan ein wenig in Verwirrung zu bringen, doch pflegte er über unangenehme Dinge nicht lange nachzudenken.

»Glauben Sie, daß wir Szathmar heute noch erreichen?«

»Ueberall werden uns frische Pferde erwarten; übrigens können wir, wenn Sie meine Gnädigste müde wären in Nagy-Lanya ausruhen.«

»Und würde es Ihnen um den derart verlorenen Tag nicht leid thun?« sprach Serena mit jenem tiefblickenden Lächeln, welches die Männer vor Seligkeit wahnsinnig zu machen vermag.

Bei diesem Worte bedeckte Adorjan mit seinen Küssen die Hand, die die Thüre seines Glückes öffnen sollte und meinte, die schöne Sphinx nun ganz zu verstehen, deren Räthsel bis jetzt noch kein Mann zu lösen vermocht hatte.

Serena kehrte hierauf zu ihrem Wagen zurück und nahm mit einem Händedruck für kurze Zeit Abschied von Adorjan, der ihr in den Wagen steigen half. Die beispiellose Aufopferung des jungen Herrn ging so weit, daß er dem Kutscher die Zügel aus den Händen nahm und voll Zärtlichkeit erklärte, bis sie das Ende des gefährlichen steilen Abhanges erreichten, nicht ruhig sein zu können, wenn er die Zügel in fremden Händen wüßte, deren Ungeschicklichkeit noch die Ursache sein könnte, daß sich die Göttin seines Glückes den Hals breche.

Er hoffte, daß eine feinfühlende Dame soviel Takt und Zartgefühl besitzen werde, um durchzublicken, daß dies blos ein Vorwand sei. Da der verliebte Bräutigam vom Standpunkte der Schicklichkeit nicht erwarten konnte, im Wagen neben seiner Braut sitzen zu dürfen, obschon es eigentlich völlig gleich bliebe, ob heute oder ob mit einem Tage später, wollte er wenigstens in demselben Wagen sitzen, um ihr nahe bleiben zu können und so nahm er denn den Sitz auf dem Kutschbocke ein.

Es ist dies ein schöner Gedanke, nur hat der Mensch keine Zeit, demselben ausführlicher nachzuhängen.

Der bewußte Bauerwagen stand wieder einige hundert Schritte hinter ihnen und der Herr Verwalter beobachtete den ganzen, zwar kurzen, aber bedeutungsvollen Auftritt.

So stehen also die Dinge.

Demgemäß wäre es also völlig überflüssig gewesen, der Gräfin auch nur einen Schritt weiter zu folgen. Wenn sie es so für richtig hält, so – nur immer zu. Vor Todesgefahren wird sie jetzt schon ihr Bräutigam beschützen, während man sich jetzt vor ihr eher zu hüten hat, als sie zu bewachen.

Der Herr Verwalter gewann die Ueberzeugung, daß dieser schöne idyllische Auftritt vollständig jenem gleiche, welcher im 63. und folgenden Verse im XXIV. Theile des ersten Buches Moses so schön beschrieben steht; nämlich Isaak ging auf das Feld, und sahete Rebekka seine Braut mit den Kameelen einherkommen, auch Rebekka ersieht Isaak ihren Bräutigam und steigt vom Kameele, Isaak eilte ihr entgegen, führte sie in das Zelt seiner Mutter und »liebete sie immerdar.«

Der kleine alte Herr besaß noch sehr patriarchalische einfache Gefühle und ergab sich in die Fügung des Schicksals.

Doch schmerzt dieselbe jenen, den die Naturwissenschaften eine andere Skepsis lehrten!

Die da wissen, daß die Bläue des Himmels sich nicht bis zum Himmelreich ausdehnt und daß es blos der Dunstkreis der Erde ist, welcher sich über dieselbe auf eine geometrische Meile hoch erhebt und daß der Himmel weiterhin sternenbesäet und schwarz ist.

Die da wissen, daß der Morgenstern kein Loch am Himmelsgezelte ist, durch welches man in dessen Herrlichkeit hineingucken kann, sondern blos eine kahle Felsenmasse ist, gleich unserer Erde, und schwarz erscheint, wenn uns seine von der Sonne nicht beschienene Seite zugewendet ist. Die da wissen, daß die Wolke dort vor der Sonne nicht das güldene Schiff der Götter, sondern die in Strato-Cumulus-Form verdichteten Massen der Erdausdünstungen ist; daß die Feuerkugel dort am Horizont gar nicht die Sonne selbst, sondern blos deren unter dem Gesichtskreis durch den Dunstnebel emporgehobenes, den Theorien der Strahlenbrechung gemäß sichtbar gewordenes optisches Trugbild ist;

Die da wissen daß, der Silberstaub auf den Wiesen keine Sternenasche, sondern Reif und dieser Sammt selbst nichts weiter als schädliches Wiesenmoos ist, welches der gute Landwirth schon längst hätte ausrotten müssen, da dasselbe das Gras vernichtet;

Die da wissen, daß die Wanderkrähen nicht deshalb von hier hinwegziehen, weil ihnen die qualvolle Gestaltung der hiesigen politischen Verhältnisse Schmerz bereitet und sie ein glücklicheres Land aufsuchen gehen, wo es noch keine Censur und Zeitungsstempel giebt, sondern deshalb, weil das Getreide hier bereits eingeheimst worden und sie nun dahinziehen müssen, wo auch ein zweites Mal geerntet wird.

Und die da wissen, was es bedeutet, wenn Braut und Bräutigam einander zufällig überraschend, zusammentreffen: das Erröthen, das Erglühen, der verschämte Augenniederschlag, der ermuthigende Händedruck, der unterdrückte Seufzer, das, das Herz erzittern machende Sehnen, das geflüsterte Wort, das glückstrahlende Lächeln, das neckende Kosen, der magnetische Gemeinwille, das unerklärliche Einverständnis ... die da wissen, was Liebe sei!

Die da wissen, daß auch dies nichts weiter ist, als Dunst und Nebel; als optische Täuschung, als Dunstgebilde des Erdbodens!

All' dies wußte der kleine Verwalter aber nicht, weshalb er denn mit seinem Wagen Kehrt machte und den Entschluß faßte, alles was er gesehen, vorerst daheim seiner Frau, und hierauf mit aller Aufrichtigkeit dem Grafen in Klausenburg zu berichten.

Am Fuße des Abhanges angekommen, ließ Serena ihren Wagen halten und befahl ihrem Bräutigam ohne Weiteres, nun seinen eigenen Wagen zu besteigen. Der Bräutigam gehorchte. Nach angestrengter Tour erreichten sie gegen Mittag Nagy-Lanya, wo sie einen kleinen Imbiß nahmen, der nur so lange währte bis die frischen Pferde angeschirrt wurden worauf sie weiter eilten.

Nach der kurzen Mittagsrast gewann Adorjan völlig die Ueberzeugung, daß die Liebe die Gräfin so eilen hieß. Wie eilig betrieb sie das Anspannen! Dem Kutscher versprach sie ein reichliches Trinkgeld, wenn er rasch fahren werde und als er fertig geworden, ließ sie ihn keinen Moment warten.

Dennoch war es bereits ziemlich spät, als sie in Szathmar anlangten. Nach einander rollten die beiden Kutschen in den Hof des Gasthauses, wo kein anderer Wagen zu sehen war.

Serena wartete nicht auf Adorjan, damit er sie aus dem Wagen hebe; leicht wie wenn sie gar nicht soeben eine anstrengende Reise zurückgelegt hätte, sprang sie rascher als jeder andere vom Wagen.

»Drei Zimmer, die sich in einander öffnen!« befahl die Gräfin dem ihr entgegen eilenden Gastwirthe.

»Ach, das geht ja prächtig!« dachte Adorjan, dem bei dem Gedanken an die Zimmer, die sich in einander öffnen, das Blut zu Kopfe zu steigen begann.

Ihrem Befehle gemäß wurden die drei Zimmer geöffnet, deren jedes auch einen separaten Ausgang hatte. Das mittlere hatte zwei Fenster und glich eher einem Saale; an den Seiten desselben, rechts und links befand sich je ein kleineres Gemach.

»Dies hier zur Rechten ist Ihr Zimmer, jenes linker Hand gehört dem Stubenmädchen, das mittlere behalte ich für mich,« sprach Serena zu Adorjan, der diese Anordnung vollkommen billigte. »Jetzt bitte ich Sie aber, sich für einige Zeit in Ihr Zimmer zu begeben, bis ich umgekleidet.«

Adorjan fand diesen Wunsch ganz gerechtfertigt, ja selbst darin, daß Serena hinter ihm die Thüre versperrte, fand er mehr Reiz, als Zurückweisung.

In seinem Zimmer allein geblieben, stellte er sich zwei Aufgaben. Die eine bestand darin, ebenfalls einen kleinen Toilettenwechsel vorzunehmen, denn solch' eine Reise nimmt den Menschen her, beeinträchtigt ungemein die Tournüre und im nächsten Momente muß er doch mit all' seinen männlichen Vortheilen einer Dame gegenüber brilliren, die ihrerseits in den Augen des Bräutigams gleichfalls schön erscheinen will.

Die zweite Aufgabe bestand darin, mittelst des verrätherischen Schlüsselloches der Zukunft seiner Seligkeit jene Momente zu rauben, da eine schöne und liebenswürdige Dame sorglos am Toilettentisch sitzt. Die verstohlenen Blicke besitzen einen größeren Reiz, als die erlaubte Wonne.

Seine erregte Phantasie machte diese zweite Aufgabe zur ersten, da er dachte, daß er zur zweiten noch immer Zeit habe, während er hier etwas versäumen könne. Also vor allem das Schlüsselloch.

Durch die verrätherische Oeffnung konnte er gerade auf den Tisch blicken, an welchem Serena in ihrem Reisenecessair suchte. Sicherlich Waschmittel. Er täuschte sich. Sie nahm Schreibzeug hervor und setzte sich an den Tisch, um zu – schreiben.

Ach, dies beginnt langweilig; unterdessen kann man sich waschen.

Adorjan suchte also aus seiner Reisetasche die verschiedenen Hilfsmittel der männlichen Schönheit hervor. Eau de millfleur, Mundwasser, duftige Seife, eine Haarpincette, einen Handspiegel, Wachspomade, parfümirtes Oel und das alles in Schlachtordnung auf seinem Tische ausstellend, ging er ans Werk.

Bevor er Graf geworden, hatte er derlei Dinge nicht benützt; ehedem hatte er es vorgezogen, mit seiner natürlichen wilden Schönheit, die Frauenherzen zu erobern, wenn der Mensch aber plötzlich eine so hohe gesellschaftliche Stellung erringt, muß er sich derselben auch entsprechend qualifiziren.

Als er vor allem das Rasiren beendete – dies währte nicht zu lange, da er dem Journal gemäß nur sein Kinn zu befreien hatte – legte er das Rasirmesser nieder und ging wieder zum Schlüsselloch. Serena – siegelte gerade ihren Brief.

Sicherlich benachrichtigt sie jetzt ihre Eltern über ihren raschen Entschluß.

Adorjan kehrte zurück, um sich zu waschen.

Jetzt klingelte Serena. Das Stubenmädchen trat herein und Serena sprach leise mit demselben.

»Ach, sicherlich hat sie kein warmes Wasser zum Waschen und läßt sie sich dasselbe erst bringen.« Das Stubenmädchen entfernte sich, klingelte draußen ebenfalls, übergab dem herbeieilenden Hausknecht einen Brief und kehrte sodann in das Zimmer zurück.

Wieder war Adorjan beim Schlüsselloch. Serena bedeutete der Zofe, sich in ihr Zimmer zu begeben und sich zu Bette zu begeben, denn sie werde sie früh Morgens wecken.

Also endlich! Wann beginnt sie sich aber umzukleiden?

Adorjan hatte noch Zeit, sich das Haar zu kräuseln und so oft er auch während dieser Beschäftigung zu dem »trou Judus« hinschlich, wie man die Schlüssellöcher der einander gerade gegenüberliegenden Thüren in den Gasthöfen nennt, so sah er niemals etwas anders, als eine stumme Frauengestalt, die den schönen Kopf in die Hand gestützt, in die Flamme der flackernden Kerze starrt.

Worauf sie nur so lange warten mag?

Adorjan beschnitt sich noch die Nägel, präparirte seinen Schnurrbart, nahm eine andere Weste, frische Manschetten, parfümirte sein Taschentuch und besah mit der zusammenwirkenden Hilfe des Hand- und Wandspiegels, ob seine Frisur auch rückwärts in Ordnung sei? Serena rührte sich noch immer nicht aus ihrer Stellung, um sich vor ihm interessanter zu machen.

Endlich ertönten Männerschritte am Korridor es klopfte an der Thüre, Serena erhob sich und öffnete. Adorjan stand bereits am Schlüsselloch und sah – Julius Feher ins Zimmer treten.

Als Serena den Eintretenden erblickte, eilte sie ihm mit dem elektrisirten Gemüthe entgegen, mit welchem man lange und sehnsüchtig erwartete Bekannte zu empfangen pflegt.

»Grüß' Sie Gott! Ich danke Ihnen, daß es Ihnen nicht widerstrebte, dem Worte eines närrischen Weibes entsprechend, sich hierher zu bemühen.«

Julius ließ seine Hand zwischen den kleinen Händen der Gräfin drücken.

»Ich erachte es für meine Pflicht, nach Szathmar zu kommen, nachdem mir die Gräfin geschrieben, daß sie meiner Dienste in einer sehr ernsten Angelegenheit benöthige.«

»Ich schrieb nicht ›Dienste‹; in meinem Briese steht ›Samariterhilfe‹'. Ich erinnere mich des Ausdruckes sehr gut. Sie müssen ein verlorenes Kind zu seinem Vater zurückführen.«

Julius lächelte über diesen Ausdruck. Er meinte, diesem Weibe bis in die Seele zu blicken.

»Und das verlorene Kind?«

»Bin ich selbst, wie Sie gut wissen.«

»Und zu welchem Zwecke wünschen Sie meine Vermittelung Comtesse?«

»Sie können es ja leicht errathen: ich will mich mit Vater und Mutter aussöhnen.«

»Gestatten Sie mir Gräfin, eine praktische Frage, wie sie von einem Industrieunternehmer meines Schlages zu erwarten ist: welches ist der Zweck dieser Aussöhnung? Soll der Graf bewogen werden, seine Einwilligung zu ihrer Heirath zu geben, oder die Frau Gräfin, um Ihren väterlichen Besitzantheil auszufolgen?«

»Hier ist von keinem dieser beiden Fälle die Rede, denn vorläufig heirathe ich gar nicht.«

»Sie heirathen nicht? Alle Welt spricht doch von Ihrer Heirath!«

»Möge sie sprechen; sie wird es schon müde werden. Ich sehne mich nach Hause. Ich sehne mich nach Vater und Mutter.«

»Sonderbar!«

»Sonderbar, nicht wahr? Daß ein Frauenzimmer, das bisher in der Wahl seiner Sklaven launenhaft gewesen, sogar jetzt auf einmal selbst den Ort aufsuche, wo es keine andere Bedingung giebt, als sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. So ist es aber. Ich will meinen Eltern eine gehorsame Tochter sein, reumüthig Asche auf mein Haupt streuen und anerkennen, daß alles, worin ich bisher meinem eigenen Kopfe folgte, falsch und irrig gewesen und versprechen, mich fortan bedingungslos dem Willen jener zu unterwerfen, die weiser sind als ich und die mich noch immer lieben, wie ich sie.«

»Meine werthe Gräfin. Ich vermag mich nicht so rasch zurechtzufinden. Sie sprechen davon, nicht heirathen und zu Ihren Eltern zurückkehren zu wollen, während ich erst heute vom Vicegespan vernahm, daß er Adorjan einen Dispens gegeben und daß Adorjan sofort nach Somlyahaza abgereist sei. Wurde dieses Verhältniß aufgelöst? welcher Grund mochte dazu vorhanden sein? war die Trennung eine wohl überlegte? – all' dies kann ich mir nicht beantworten. Sie sehen Comtesse, daß nachdem Sie wünschen, ich möge mich in eine sehr ernste Angelegenheit mischen, ich in dieselbe auch allen Ernstes eingeweiht sein will.«

»Das wird auch geschehen. Ich habe einige freie Stunden vor mir und Sie werden so liebenswürdig sein, bei mir zu bleiben und mir diese Zeit zu opfern.«

»Mit größtem Vergnügen.«

»So setzen Sie sich also neben mich.«

Serena wies Julius den Platz an ihrer Seite auf dem Sopha an.

»Sie denken sich jetzt, da bin ich nun einer veritablen Närrin in die Hände gefallen; dies ist eine launenhafte Abenteurerin, deren kleinste, unbedeutendste Eitelkeit darin besteht, ihre Bräutigams an den Stufen des Altars im Stiche zu lassen. Ich verdiene es, daß Sie dies über mich denken. Das ist meine Strafe, weil ich eine Ausnahme aus der althergebrachten Weltordnung bilden wollte, wonach das Weib keinen Willen haben darf. Und sehen Sie, es ist unrichtig, denn ich habe diesen Menschen sehr geliebt.«

Verzagt ließ Serena den schönen, lockenumflatterten Kopf sinken, ihr Gesicht war einen Moment von aufrichtigstem Schmerze beschattet, aber nur einen Moment; im nächsten Augenblicke war sie wieder stark wie ein Mann; nein! stärker: – wie ein Weib.

»Ich glaubte in diesen Menschen das von mir gesuchte Ideal gefunden zu haben. Sie entsinnen sich des feierlichen Momentes, da wir in dem Badeorte S...i ein Wohlthätigkeitskonzert gaben und er so großherzigen, opferfreudigen Antlitzes vor mich hintrat, daß ich glauben mußte, daß in seinem Herzen die kostbaren Perlen verborgen sind und daß blos der Taucher fehlte, der hinuntersteige, um die Schätze zu heben. Sie, der Sie den Ursprung dieser wohlthätigen Spende kannten, mochten damals über mich gelacht haben; nein, nein, ich will Ihr Herz nicht beleidigen, sicherlich bemitleideten Sie mich insgeheim, doch schwiegen Sie von dem Gedanken geleitet, daß im Leben das meiste Glück auf Täuschung beruhe. – Uebrigens war es ja gar nicht Ihre Aufgabe, mich vor einem falschen Vorgehen zu bewahren; ich hatte ja Verwandte, hatte Vater und Mutter, konnte von seinen Feinden genügend Schlechtes über seine Vergangenheit vernehmen; ich war gewarnt, war aufmerksam gemacht worden – weshalb hätten da noch Sie zwischen uns Beide treten sollen, als Sie sahen, daß ich ihn jedem gegenüber vertheidige, daß ich ihn liebe? ... Und ich liebte diesen Menschen aufrichtig. Ich meinte, mein Ideal in ihm gefunden zu haben; meinte, er sei das Gegentheil von all' jenen, die sich äußerlich schminkten, innerlich schändeten, die sich gerne den Anschein von wackeren Menschen geben, die aber unter dem silberbenähten Kleide egoistische, feige, herzlose Durchschnittsseelen sind. Und er sei von alledem das Gegentheil. Er wolle schlecht erscheinen, um jenen nicht zu gleichen, beweine es aber in tiefster Seele, auf dieser Welt nicht zwei Augen zu finden, für die es sich verlohnte, sein eigentliches, wahres Wesen zu enthüllen. Ich sah in ihm einen Mann, aus dem ein Bürgerkampf den Patrioten, ein Krieg den Helden hervorzaubern könnte, während ihm dieses verfaulte, matte Zeitalter keine andere Rolle zu geben vermag, als die eines nichtsthuenden, müßiggängerischen Raufboldes. – Sehr schön von Ihnen, daß Sie noch nicht zu lachen begonnen.«

Julius aber gewahrte sehr gut in Serena's Auge den unterdrückten Blitz, welcher der Bote hervorbrechender Thränen ist.

»Nach Jahren, wenn das gestrige ›Ich‹ mir selbst eine fremde Person geworden sein wird, werden wir viel lachen. Wie konnte ein verwöhntes Mädchen den Glauben hegen, fortan zwei Lebenssysteme: das eines Mannes und das eigene auf einmal völlig umändern zu können! Und trotzdem, wie dominirt sie über ihr Gemüth, um dasselbe der gebieterischen Nothwendigkeit eines bürgerlichen Lebens anzupassen! wie widmete sie sich der Hauswirthschaft, dem Haushalte! Monate verbrachte sie bei dem Verwalter ihres Vaters, um demselben alle die ihr bisher unbekannt gebliebenen Mysterien abzulauschen, welche der kleine Edelmann an seiner Gattin so hoch schätzt! wie bemühte sie sich, jeden Faden der Vergangenheit zu zerreißen und ohne demselben sich eine neue Zukunft zu weben und zu spinnen! wie verwarf sie die guten Rathschläge der Bekannten, wie trug sie im Herzen des Vaters Hohnlächeln, der Mutter Kälte! Ach mein Herr! nach Jahren wird dies alles furchtbar lächerlich sein, heute läßt es mich aber noch zusammenschauern. Jener Mensch dem zu Liebe ich aus der Krone des von meinen Vorfahren mir unbefleckt hinterlassenen Wappens ganze Zweige abbrechen wollte, um dieselben der seinigen gleich zu machen, – erwarb sich während derselben Zeit einige Hörner zu der seinigen und zwar für Geld, um seine Krone mit der meinigen gleich zu machen!«

Serena überwältigte die Schmach derart, daß sie mit beiden Händen ihre glühenden Wangen verdeckte.

»Ach wie gedemüthigt fühlte ich mich, wie sehr habe ich gebüßt. Ich fühlte, ich müsse diese Ränke zerreißen, welche mein Herz derart umgarnt hatten und wenn dasselbe darob bersten sollte. Die Wunde bleibt unheilbar, reicht aber trotzdem bis an die schmerzende Stelle. Ich gehe zu Grunde daran, doch lebe ich nicht mit diesem Polypen in meinem Busen.«

Das Gesicht der Gräfin zeigte den Ausdruck wildesten Schmerzes, als sie Plötzlich auflachte, von ihrem Platze emporsprang und voll Naivität den Arm des ihr folgenden Julius ergreifend, sprach sie gleichgiltigen Tones:

»Erschrecken Sie nicht mein lieber Freund; ich bin bereits geheilt. Was ich soeben gesprochen war blos lebhafte Phantasie, ich fühlte nichts davon.«

Damit begann sie mit Julius im Zimmer aus- und abzuschreiten, wobei sie zu sprechen fortfuhr:

»Wenn ich nur dies allein gewußt hätte, so würde es mich getödtet haben; da ich jetzt aber jetzt alles weiß, ist er todt – für mich Ich kann wie über einen völlig fremden Menschen von ihm sprechen, kann Alles wie eine in der Zeitung gelesene Anekdote erzählen. Seine Hochwohlgeboren der Herr Graf Adorjan Borcz ist nicht blos eine ganz gewöhnliche Alltagsseele, sondern ein veritabler, auserlesener Schurke. Vor Jahren knüpfte er ein Liebesverhältniß mit einer schönen und wie ich glaube, auch liebenswürdigen Dame an; Sie konnten es auch bemerkt haben, denn wir trafen mit Beiden eines Abends in Somlyohaza zusammen. Die beiden Väter, echte Schächer, schloffen auf Grund dieses Liebesverhältnisses ein Geschäft ab, wie es an der Börse Sitte ist, auf die gute Freundschaft und die Feindseligkeiten von Fürsten zu spielen. Der Vater des Sohnes brachte von dem Vater des Mädchens in Erfahrung, daß dessen Reichthum blos Schein und Trug sei und nun bemühten sie sich, den Vertrag zu annulliren. Anderthalbhunderttausend Gulden betrug das Reugeld, welches die Partei zu zahlen hat, die von dem Bündniß zurücktritt. Mir war dies bekannt, als sich der junge Borcz zum ersten Male erklärte und ich erwähnte es ihm auch und er gab mir sein Ehrenwort, daß ihn die ganze Geschäftssache nichts kümmere, dies mögen die beiden Schächer nach eigenem Ermessenen unter einander ausmachen; er für seinen Theil trete entschieden zurück und werde niemals an das gelöste Verhältniß denken. Ich glaubte ihm, weshalb hätte ich ihm nicht glauben sollen? Ein Mann verlor im Kartenspiele Hunderttausende; weshalb könnte er für die Dame seines Herzens nicht dieselbe Summe verlieren, die er ›coeur dame‹ geopfert? Ich hielt ihn für leichtsinnig, meinte, er verachte das Geld und denke gar nicht an den großen Verlust, wenn er sein Herz um Rath fragt. Sie kennen das Weitere?«

»Nur oberflächlich. Die andere Partei wurde kontraktbrüchig?«

»Aber auf welche Weise! Um ihr aufs Spiel gesetzte Geld zu retten, brachen diese Menschen vorerst einem armen, schütz- und arglosen Mädchen das Herz, damit es ihnen nicht im Wege sei. Sie thaten und geberdeten sich ohne Unterlaß, wie wenn sie den Heirathskontrakt allen Ernstes einhalten wollten, trafen Vorbereitungen zur Vermählung und schmiedeten unterdessen niedrige Ränke, um die Braut zu Falle zu bringen, indem sie dieselbe durch einen elenden Abenteurer verführen ließen, den sie unter dem Titel eines Brautführers in die Falle lockten und während sich der alte Borcz zu einem schmutzigen Kuppler erniedrigte, spielte der Zunge in dieser Komödie eine andere, eine abscheuliche, ehrlose Rolle: die des nichtswürdigen Verlobten, dessen Aufgabe es ist, die Braut zur Verzweiflung zu treiben, sich ihr verhaßt zu machen und er spielte diese Rolle in vollstem Selbstbewußtsein nach einem Souffleur gleich einem Dorfkomödianten! Nicht wahr, dies ist eine amüsante Geschichte?« fragte Serena geflissentlich vor der Thüre ihres Verlobten stehen bleibend.

Dann schritt sie stumm durch das Zimmer, die gefalteten Hände hängen lassend.

»Die Komödie gelang vollständig, – bis zur letzten Scene. Am Hochzeitstage erschien der junge Borcz im Hause seiner Braut und stellte sich vollständig berauscht, nachdem er vorerst in der ganzen Stadt Skandale provocirt hatte und in derselben Nacht entfloh die Braut. Hierauf sagte der eine Schächer Konkurs an und entfloh gleichfalls, der andere kehrte triumphirend nach Hause zurück, rettete sein Geld und machte seinen Sohn ohne Kosten von der Heirath frei, wie es beim Militär Sitte ist, indem man ein körperliches Gebrechen heuchelt. Und während dieser Zeit war ich fortwährend verlobt mit ihm und träumte ihn mir für einen Halbgott!«

Was fühlte Adorjan während dieses ganzen Gespräches, von dem ihm kein Wort entgehen konnte?

Wie fühlte sich die in die Falle gerathene Bestie?

Sein Zimmer hatte keinen separaten Ausgang, sodaß er seiner Strafe nicht entgehen konnte. Er mußte jedes Wort der furchtbaren Demüthigung mitanhören, jeden Geißelhieb empfinden; er mußte sich in dem ihm vorgehaltenen Spiegel erblicken, der ihm seine Seele unverhüllt zeigte und dabei mußte er sich ruhig verhalten, mußte seinen Athem zurückdrängen und regungslos an einer Stelle verweilen, damit im Nebenzimmer nicht jemand frage: wer ist dort? und erfahre, daß es gerade der sei, von dem sie sprechen.

Einmal hatte ihn Wuth und Schmach so weit hingerissen, daß er zur Thüre hintrat und ihm der Gedanke durch den Kopf fuhr, das Schloß zu erbrechen, hinauszustürzen und dem Manne zu sagen, der dies Alles mitangehört: Herr, Sie haben Dinge vernommen, die es fordern, daß entweder Ihnen oder mir das Lebenslicht ausgeblasen werde. Reichen Sie mir ihr Taschentuch Madame und sehen Sie zu, wie zwei Männer, die Zipfel des Tuches haltend, auf einander schießen werden. In demselben Momente aber tönte ein Hohnlachen von Serena's Lippen und dieses Lachen benahm ihm jeglichen Muth; er zitterte gleich einem Kinde, welches sich eines dummen Streiches bewußt ist und statt die Thüre aufzureißen, drückte er sich an dieselbe, um besser hören zu können.

Und je mehr er vernahm, desto mehr verließ ihn sein Muth; jedes Glied zitterte an ihm, jede Muskel ward schlaff und kraftlos, – er war kein Mann mehr; endlich sank er in die Knie und blickte derart durch das verrätherische Schlüsselloch und auf den Knieen liegend sah er das Cherubantlitz seiner Braut, die so voller Verachtung von ihrem Bräutigam sprach.

Mit derselben Neugierde mochte einst Damians zugesehen haben, als der Henker in seine offenen Wunden brennendes Oel goß.

Endlich hatte der Zorn ausgetobt. Ermattet sank Serena auf einen Stuhl nieder.

»Sie sehen nun,« sprach sie so ruhig, wie wenn sie jetzt nicht mehr wollte, daß auch andere sie vernahmen; »daß ich einen Ort dringend benöthige, wo ich mein in Schmach erglühtes Gesicht verbergen kann. Dieser Ort ist der Busen meiner Mutter.«

»Hierin haben Sie Recht Gräfin; indessen bleibt mir eine Frage noch immer ein Räthsel. Die Enttäuschung traf sie in Somlyohaza, Ihre Eltern wohnen in Klausenburg; Klausenburg liegt ostwärts von Somlyohaza und ich finde Sie dennoch in Szathmar, westwärts vom Kastell zu Somlyohaza.«

»Dies scheint Ihnen ein Räthsel, doch werden Sie es begreiflich finden, wenn ich Sie daran erinnere, daß wenn ich von Somlyohaza zu meinen Eltern heimkehren will, ich die Szamos passiren muß und wenn ich über die Brücke gehe und daran denke, daß ich jetzt den verachtungsvollen Augen meiner Mutter entgegentreten soll – so fürchte ich, daß mir der Grund des Wassers sehr verlockend erschiene. Jemand muß demnach meiner Rückkehr zuvorkommen, jemand, der da sagt: das verlorene Mädchen kehrt zurück; es war närrisch verliebt, doch ist es nicht gefallen; jemand, von dem ich weiß, daß wenn er mich vor meinen Eltern entschuldigt, er mich auch in Wahrheit für entschuldigt hält und von dem meine Eltern wissen, daß er die Wahrheit spricht. Unter meinen Verwandten ist Niemand hierzu geeignet. Nah und fern sind Sie es allein.«

»Das Eine abgerechnet, daß Sie in meiner Seele stets über jeden Argwohn erhaben waren, überschätzen Sie mich in allem Uebrigen.«

»Nicht um Haares Breite. Ich hörte in unserer Familie oft und stets mit größter Liebe von Ihnen sprechen, denn bei uns liebt Sie ein jeder; verstehen Sie: ein jeder.«

Julius seufzte tief auf und antwortete nicht, sondern schlug die Augen nieder und schien Serena's Blicken auszuweichen.

Serena blickte eine Weile scharf und prüfend in das Gesicht des Jünglings, wie wenn sie aus dessen Gesichtszügen errathen wollte, worüber er jetzt nachdenke.

Und als sie es errathen zu haben meinte, da erglühte tief ihr weißes, alabasterglattes Angesicht, immer tiefer färbte sich dessen Gluth, bis sie auf einmal zu lachen begann.

»Ach, ach! Sie denken sich jetzt: da haben wir eine der sieben thörichten Jungfrauen des neuen Testamentes, die den zweiten Bräutigam schmählich im Stiche ließ und die nun einen dritten sucht, um sich für die beiden ersten zu revanchiren! Nein mein lieber Freund, so war's nicht gemeint. Ich liebe Sie, wie meinen Bruder, – wie meinen zukünftigen Bruder, meine Eltern lieben Sie, gleich einem Kinde und dann ist noch Jemand in unserem Hause vorhanden, der oder die Sie anders liebt als ich.«

Nun war's an Julius, vor innerlicher Hitze zu erglühen.

»O Gräfin, dies ist ein grausamer Scherz von Ihnen.«

»Es ist das weder grausam, noch ist es ein Scherz. Es steht das bereits in den Sternen geschrieben mein guter Freund; Sie verursachen sehr viel Trauer damit, daß Sie unser Haus meiden und zwar verursachen Sie diese Trauer einem engelguten Herzen. Weshalb unterbrachen Sie Ihre Besuche'?«

»Gräfin, ich kann vor Ihnen nicht heimlich thun. Ich fühle, daß mich jeder Zug meines Gesichtes verräth, ich ergebe mich. Ich gestehe Ihnen, daß ich sehr liebe; ich gestehe Ihnen, daß ich sehr unglücklich bin.«

»Und weshalb eilen Sie denn dann nicht dahin, wo Sie wiedergeliebt werden?«

»Ich werde aufrichtig sein. Unsere gesellschaftliche Stellung ist so weit entfernt von einander, wie der Himmel von der Erde. Ich bin ein Mann der Arbeit, der mit dem Leben kämpft, der sich mit Koth und Erde abmüht, um das Glück zur Rückgabe dessen zu zwingen, was es uns genommen; sie aber ist ein überirdisches Wesen, ohne von der Prosa des Lebens einen Begriff zu haben. Es ist wahr, daß das Herz nicht fragt, wen es lieben solle? Zuweilen ist aber hier drinnen außer dem Herzen noch etwas Anderes vorhanden, was man ›Charakter‹ nennt. Dieser fragt: was willst Du? Willst Du Dich in einen Kreis emporheben, wo Du fremd bist? wo andere Gewohnheiten, andere Lebensweisen, andere Leidenschaften herrschen, oder willst Du, daß jemand, den Du liebst, sein bisheriges Leben verlasse und Dir zu Liebe ein anderes beginne? ein so demüthiges, wie das Deinige? Denn mein Leben ist ein demüthiges Leben, Gräfin. Ich bin nicht der stolze Komitatsredner, nicht der Parteiführer mehr, wie es meine Vorfahren gewesen; ich bin Industrieller. Ich arbeite und handle. Was gestattet das Schicksal nun eher: daß der Industrielle seiner Gattin zu Liebe Magnat, oder daß eine Gräfin dem Gatten zu Liebe eine Handelsfrau werde? Wiederholt sich hier nicht ins Unendliche die Liebe des Fischers zur Seejungfer: mochte er zu ihr ins Wasser, oder sie zu ihm ans Ufer steigen – stets bedeutete es den Tod des einen.«

»Auf diese Frage wird Cäcilie antworten und ich weiß, was sie antworten wird.«

»Sie wissen es?«

»Mit Gewißheit. Wir sprachen oft hiervon. Cäciliens Herz liegt unverhüllt und offen vor mir. O, wir sprachen gar oft über diesen Gegenstand mit einander. Ich erinnere mich, als wir einmal eine große, aus lauter Frauen bestehende Gesellschaft bei uns hatten, begann eine alte Fadesse eine Abhandlung über die Rangesunterschiede. Die Debatte war hervorgerufen worden, als Jemand nicht zu entscheiden vermochte, ob Marquise mehr oder weniger sei, als Gräfin. Manche behaupteten, es sei mehr wie Baronin, aber weniger als Gräfin, während Andere meinten, Marquise nehme dieselbe Rangstellung ein, wie Herzogin. Als die Stimmenmehrheit endlich sich dahin geeinigt hatte, der Titel Herzogin sei thatsächlich das Allerhöchste, was im Range zu erreichen sei, warf Cäcilie dazwischen: ›Ich kenne einen noch höheren Rang, dessen Titel »glückliches Weib« ist‹. Alle lachten sie aus und insgeheim gaben ihr Alle Recht. Sie vielleicht nicht?«

»O Gräfin!«

»Sagen Sie nicht: o Gräfin! sondern sagen Sie: o Schwester! Sehen Sie, es ist ein so seltener Fall im Leben, daß man einen Mann derart bittet, wie ich Sie jetzt bitte: ›komme, bleibe nicht fern, man liebt Dich dort, erwidere das Gefühl‹. Es ist dies zwar ein zur Genüge außerordentlicher Fall, doch Sie verdienen es, daß er stattfinde.«

Erglühend stand Julius auf.

»Gut. Ich glaube und gehe.«

»Und ›bleibe dort‹!«

»Das hängt nicht von mir ab.«

»Ganz gewiß. Ihr erstes Wort zu meinen Eltern wird sein: ›ich will ein Glied dieser Familie werden‹. Glauben Sie mir, daß man Sie mit offenen Armen empfangen wird. Und wenn dies so geschehen, werden Sie sagen: ›diese unsere Familie hat noch ein Glied: ein verlorenes Kind. Dieses arme Mädchen steht vor unserem Thore draußen, mit dem härenen Seil um den Hals. Dieses Mädchen ist bereits meine Schwester. Darf ich für sie meine Fürsprache erheben, darf ich bitten, daß sich das Elternhaus, der elterliche Busen vor ihr öffne? sie kehrt reuig zurück; sie bereut, was sie gethan und bereut, was sie geträumt‹. Sie werden dies sagen, nicht wahr? mein lieber lieber Bruder!«

Und selbstvergessen schlang Serena ihre Arme um des Jünglings Nacken, küßte schluchzend dessen Wangen. Dann schauerte sie zusammen und sprach mit tiefer Stimme:

»Sie werden wissen, daß Sie durch diesen Kuß zu meinem Bruder geworden.«

»Noch in dieser Stunde breche ich nach Klausenburg auf.«

»Ich bitte Sie recht sehr darum; Sie wissen, die Verleumdung hat Flügel. Nach einer halben Stunde folge ich Ihnen. Bei jeder Station werden wir neuerdings zusammentreffen.«

»Gott behüte Sie, leben Sie wohl.«

»Sagen Sie lieber: Gott verzeihe Ihnen.«

Julius ergriff seinen Hut und ging.

Serena begleitete ihn bis zur Thüre, schon hatte Julius die Schwelle überschritten, als ihn Serena zurückhielt:

»Wollen Sie denn kein einziges Mal sagen: ›meine schlechte Schwester‹?«

Gerührt erfaßte Julius die Hand der schönen Dame:

»Lebe wohl, meine liebe gute Schwester!«

Serena wartete, bis sich die Thüren hinter Julius geschlossen, dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück und sich der Länge nach auf das Sopha niederwerfend, neigte sie die Stirn auf die gefalteten Hände und betete lange, lange.

Sie mußte lange und viel beten, um all' die Flüche zu entkräften, die im Nebenzimmer eine ergrimmte Bestie gegen sie nach der Hölle schleuderte. Jetzt begann Adorjan gleich einer wahrhaftigen gefangenen Hyäne im Zimmer auf und ab zu rennen. Eine so geflissentliche mit Absicht zugefügte Schmach mußte jeden Tropfen Blutes in Gift verwandeln.

Dieses entsetzliche Frauenzimmer begnügte sich nicht damit, was ein anderes Weib gethan hätte, wenn es den Geliebten verachten gelernt, es demselben nämlich brieflich mitzutheilen, sondern sie rief ihn tollkühn zu sich, schloß ihn in ein Zimmer ein und hielt ihm dort seine Niederträchtigkeiten Angesichts eines Dritten vor.

Eine derartige Scene muß traurig enden.

Wer sich mit einer Hyäne vor dem Publikum produzirt, möge daraus vorbereitet sein, daß es der Bestie bei einem der demüthigenden Peitschenhiebe einfallen wird, ihrem Bändiger an die Gurgel zu springen und denselben Angesichts der staunenden Menge zu zerfleischen.

Ein schwaches Weib! Dies einem Manne anzuthun, der nur seine fünf Finger zusammenzupressen braucht, um Jenem den Tod zu geben.

Er that einen greulichen Schwur, dieses Weib zu tödten. Es wird nicht mehr über die Begebenheiten dieser Stunde lachen. Zuerst sie, dann sich selbst.

Er kleidete sich an, steckte seine doppelläufige Pistole in die Tasche seines Oberrockes, löschte die Kerzen aus und ergriff die Klinke der gemeinschaftlichen Thür, um dieselbe aus ihren Angeln zu heben. Das wird nicht schwer sein. Wenn es Geräusch verursacht, – immerzu. Mit zwei Schüssen wird ohnehin Alles zu Ende sein; mögen die Leute dann errathen, weshalb dies geschehen!

Einen Moment stand er still, denn er vernahm Serena's Stimme. Die Gräfin weckte ihre Zofe und befahl ihr, die Vorbereitungen für die Weiterreise zu treffen und einspannen zu lassen.

Die Zofe entfernte sich gähnend, wie Jemand, dem es ungemein widerstrebe, seinen besten Schlaf zu unterbrechen.

Und damit blieb Serena allein im Zimmer.

Nun kam Adorjan ein neuer Gedanke.

Wozu der Lärm? wozu ein Selbstmord? Es war Gelegenheit da, die Rache ungestraft zu vollziehen: rasch die Thür eindrücken, sich auf die Wehrlose zu stürzen, ihr ein Seidentuch auf den Mund zu drücken, bis sie erstickt sei, – und dann die Thür zuzuschließen und zu entfliehen.

Als ihm dieser Gedanke das Blut sieden machte, hörte er plötzlich, daß Serena den Schlüssel im Schlosse umdrehe und die Thür stand offen vor ihm; allein stand ihm die weibliche Gestalt gegenüber.

Dieser Blick scheuchte die Bestie zurück. Das Gesicht war leichenblaß, die Haare verworren, die Zähne schlugen gegeneinander, lähmende Furcht erfaßte seine Glieder – er vermochte den Blick dieser Augen nicht zu ertragen.

»Nun, mein Herr,« sprach Serena ruhigen festen Tones; »reisen wir nicht weiter? Ich bin bereit?«

Ein weißer flockiger Schaum trat vor Adorjans Lippen, das Weiße seiner Augen war mit Blut unterlaufen und seine Hände zerrten krampfhaft an dem Seidentuche.

Dreimal wollte er zu sprechen beginnen, doch krampfte ihm etwas die Brust zusammen und als er endlich die Stimme wiedergewann, war dieselbe vollständig heiser geworden!

»Nach dem, was die Gräfin soeben, – hier in diesem Zimmer – sprach – ist daran zu denken?«

»Sie haben gehorcht?« fuhr Serena stolz empor. »Das auch noch? – Fi donc!«

Damit maß sie mit stolzem, hoheitsvollem, verächtlichem Auge den Mann, der sich vor diesem stolzen Blicke zu Nichts werden fühlte; – er taumelte in sein finsteres Zimmer zurück und wo ihn kein Kerzenschein erreichte, warf er sich der Länge nach aus das Sopha und einer gebändigten Hyäne gleich biß er in das in den Händen gehaltene Seidentuch, dasselbe kauend und windend.

Und dann hörte er, wie Serena das Zimmer verließ, wie sie den langen Korridor entlang schritt, – im Hause schlief Jedermann und da bildete er sich ein, er schleiche ihr jetzt auf den Fußspitzen nach, in dem langen lautlosen Korridor erreicht er sie, in der Dunkelheit kann er das Blitzen ihrer stolzen Augen nicht sehen, dort erfaßt er die Flechten ihres Haares, dort schleudert er sie auf den Boden zu seinen Füßen nieder, die göttliche Anmuth der schönen Gestalt mit seinen Fersen zerstampfend, dort badet er seine Hände in ihrem warmen Blute und schleift sie bei ihren langen Zöpfen die kalten Steinfliesen entlang, so lange noch ein Nerv in ihr zuckt.

Und all dies war blos ein Gebilde seiner erregten Phantasie – denn dort lag er schlaff, ohnmächtig in dem finsteren Zimmer und fügte Niemandem ein Leid zu, blos dem zwischen seinen Zähnen gehaltenen Seidentuche.

Dann lauschte er noch lange, ob er die Stimme jenes bezaubernden Weibes nicht nochmals vernehmen werde, welches er bereits für sein eigen ansah, mit dem er prahlen werde können, dessen Schönheit ihn berauschte? Wozu hätte er denn diese Stimme noch einmal vernehmen sollen? weshalb wartete er so sehnsüchtig auf dieselbe? – Niemals hörte er sie wieder.

Nach einer Weile hörte er blos das Oeffnen von Thüren, das Geräusch von Pferdehufen – dann rollte ein Wagen davon, das Thor schloß sich und dann wurde Alles wieder ruhig. Es war noch Nacht.

Nun erhob er sich; er sagte sich, daß es auf dieser weiten Welt keinen so elenden Menschen gebe, wie er sei, und damit drehte er aus dem Seidentuche einen Strick, machte eine Schlinge daran, suchte nach einem Nagel an der Wand, der einen Menschen aushalten könnte, band das eine Tuchende an denselben und sich mit einer Hand anklammernd, prüfte er die Haltbarkeit. Dann sagte er sich: Dies ist ein häßlicher Tod und nahm das Tuch wieder vom Nagel.

Man ist ein Edelmann und hat Pistolen. Und dies ist auch ein viel schönerer Tod. Eine doppelläufige Pistole, beide Hähne zugleich abgedrückt, tödtet ganz gewiß. Es ist blos die Frage, ob ins Herz oder in die Schläfe? Durch das Herz zu schießen, ist interessanter, das Gesicht bleibt unversehrt, doch ist dies nicht genügend sicher. Wenn die Hand schlecht zielt, tritt der Tod nicht sofort ein, man kann noch sehr viel leiden, die Kugel kann in den Rippen stecken bleiben und geht fehl. Eine Kugel vor den Kopf ist sicherer, nur daß das Gesicht dadurch verunstaltet wird; die Schädeldecke kann leicht zersprengt werden und dies giebt einen häßlichen Anblick.

Und dann starrte er lange in die beiden Läufe der Pistole, in diese zwei schwarzen Höhlen, in denen die Vögel des Todes wohnen, spannte die Hähne, streckte das Ende der Läufe in den Mund und dachte nun, wie sonderbar es sei, daß es jetzt blos eines Druckes seines Daumens bedarf, damit Alles zu Ende sei und damit zog er die Pistole wieder aus dem Munde, setzte die Hähne in Ruhe und legte die Waffe ins Etui zurück.

Dieser Mensch hatte weder Muth sich selbst, noch einen anderen zu tödten.

*


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