Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.
Auf welche Weise Bekanntschaften entstehen.

Die Türken bemitleiden einen jeden Menschen, der reist.

Zu den kleinen Unbequemlichkeiten des Reisens gehört auch der Umstand, wenn der Mensch seinen Reisegefährten nicht kennt; der Eine zieht sich in die eine, der Andere in die andere Ecke zurück; Keiner weiß, was er zu dem Andern sagen soll? ob er ihn durch eine Anrede nicht beleidigt? Keiner weiß, in welcher Sprache er den Andern ansprechen soll? ob er es mit einem freundlichen oder groben Menschen zu thun hat? Stundenlang kann man sich gegenseitig auf diese Weise beobachten und darüber grübeln, was der Andere sei, was aus den Gesichtszügen freilich nur schwer zu ersehen ist.

Und erst wenn der Kondukteur Leuten unseres Schlages sagt: »Bitte nur einzusteigen; es ist sonst Niemand drin, wie der Herr Graf allein

Julius Feher mußte in einer dringenden Angelegenheit von Füzes-Gyarmat nach Klausenburg reisen, als ihm der Kondukteur mit diesen ermuthigenden Worten die Treppen des Eilwagens hinaufhalf.

Vorsichtig trat der junge Mann in den Wagen, damit er nicht etwa wider Willen erfahre, ob sein hochgeborener Reisegefährte Hühneraugen habe und ob dieselben empfindlich seien. Dann drückte er sich bescheiden in die andere Ecke und trug Sorge dafür, daß sein Mantel den des Anderen nicht streife; der seinige war nämlich etwas kothig, denn bis Gyarmat hatte er ungeheure Kothmassen durchfahren müssen.

Sein Reisegefährte, von dem ihm der Schaffner nur gesagt hatte, daß es ein Graf sei, saß in einem grauen Wolfspelz in einer Ecke der Kutsche und hatte die blauen Brillengläser auf den Einsteigenden gerichtet.

»Wie mich dieser Mann fixirt,« dachte Julius und ging mit sich zu Rathe, ob er jenen nicht anreden müßte?

Der Wagen setzte sich in Bewegung und ward auf dem elenden Wege unbarmherzig hin- und hergeschleudert; die Brillengläser des Herrn Grafen genirten den jungen Mann ganz ungemein.

Dieser meinte bereits einen Gegenstand gefunden zu haben, über den er mit dem ihn fortwährend anblickenden Reisekameraden ein Gespräch anknüpfen könnte – rechts vom Wege waren nämlich sehr gute, links sehr schlechte Saaten zu sehen: es wäre demnach interessant gewesen, zu untersuchen, woher dieser Unterschied in demselben Boden käme? – als ihn gewisse schnarchende Töne auf ganz andere Gedanken brachten. Der Herr Graf schlief sanft und ruhig und es war gewiß seine geringste Sorge, seinen Reisekumpan fortwährend zu fixiren; dies thaten nur die Brillengläser.

Nach dieser Entdeckung lehnte sich auch Julius in die Kissen zurück und schlief um die Wette mit seinem Gefährten.

Es war warmes, zum Schlafe einladendes Wetter, und nicht nur die beiden Reisenden schliefen in dem Wagen drinn, sondern auch Kutscher und Schaffner auf dem Bocke draußen.

Da träumte Julius, der unbekannte Graf mit den blauen Brillengläsern falle ihm um den Hals und darauf purzeln Beide von einer Kirchthurmspitze herab, wobei er nach unten der Graf nach oben zu liegen kam.

Als er hierauf erwachte, war der Graf wirklich oben und er unten und zum Kutschenfenster blickte der Himmel herein. Sie waren eben in den Graben gestürzt.

Nun war es unmöglich, einander nicht anzusprechen.

»Es scheint, wir haben umgeworfen,« sprach der Graf.

»Und ich fühle, daß wir in einen Graben stürzten, denn das Wasser dringt unter mir ein.«

»Dann sehen wir zu, daß wir da hinauskommen.«

Damit zerschlug der Graf das Fenster und kletterte zu demselben hinaus, bat aber unterwegs Julius um Verzeihung, daß er mit beiden Füßen auf ihn getreten doch sei es nicht anders möglich. Nun kletterte auch Julius hinaus, worauf sich Beide umblickten.

Nachdem die frommen Pferde den Wagen in den Graben geworfen hatten, waren sie stehen geblieben, woran sie sehr klug gethan, da sie sonst den Kondukteur, der gerade mit dem Kopfe zwischen sie gefallen war, leicht hätten zerstampfen können. Der Kutscher lag im Graben und jammerte, er habe sich ein Bein gebrochen.

»Ihnen ist kein Schaden geschehen?« fragte der Graf seinen jungen Reisegefährten.

»Nicht der geringste.«

»Auch ich bin nicht beschädigt worden. Sehen wir demnach, weshalb die da jammern.«

Sie zogen den ohnmächtigen Schaffner hervor und begossen ihn mit Wasser, was aber gar nichts half.

»Man müßte ihm zur Ader lassen,« sagte Julius, indem er den Hemdsärmel des Mannes aufschürzte.

»Sind Sie Arzt oder Chirurg?«

»Das nicht, doch verstehe ich so viel, da ich es lernte.«

»Und womit wollten Sie ihm zur Ader lassen? Haben Sie ein Instrument dazu?«

»Ja; ich kaufte soeben eine Lanzette für Schafe, die auch für unsern Patron genügen wird.«

Bei aller Fatalität der Situation fand der Graf diesen Einfall sehr humoristisch; geschieht dem Schaffner recht, weshalb war er eingenickt.

Die Operation gelang vollständig; die Schafslanzette that das ihrige, der Kondukteur erholte sich und richtete sich empor.

»Nun sehen wir nach dem Kutscher.«

Dieser schrie während der ganzen Zeit ununterbrochen, er habe sich den Fuß gebrochen, man möge ihn aus dem Graben ziehen. Der Graf sagte ihm, er möge sich nur gedulden, denn der Schlamm thue seinem Fuß sogar gut.

Als sie nun mit dem Schaffner fertig geworden, zogen sie den anderen aus dem Kothe und legten ihn mitten im Wege nieder.

Es war sonderbar mitanzusehen, mit welch' unerschütterlichem Phlegma diese beiden Männer die Pflichten der Ambulance erfüllten, statt zu fluchen und zu jammern.

»Welchen Fuß habt Ihr Euch gebrochen?« fragte Julius den brüllenden Menschen.

»Diesen Rechten da, gnädiger Herr,« ächzte er bitterlich. »Da im Knöchel ist er entzwei.«

Mit sachverständigem Finger betastete Julius den schmerzenden Fuß, von welchem er mit seinem Federmesser den Stiefel abgelöst hatte.

»Der ist nicht gebrochen, Vetter, sondern nur ausgerenkt. Bitte Herr Graf, haben Sie die Güte, den Mann fest bei den Schultern zu packen, bis ich ihm seine Knochen in Ordnung bringe. Dem ist nämlich unter dem Tarsusknochen der Astragalus herausgesprungen und os naviculare abgeglitten, weshalb sich dann das ligamentum talianticum verrenkte. Das ist das Ganze.«

»Er muß doch ein Arzt sein,« dachte der Graf.

Jetzt gab Julius dem schmerzenden Fuß plötzlich einen heftigen Ruck, wobei er mit einem Daumen gegen die Knochen drückte, der Kutscher stieß ein Gebrüll aus und mit dem gesunden Fuße in die Luft empor.

»Nun stehet auf!«

Und der Mann konnte aufstehen.

»Es wird Dir nichts geschehen, bleibe nur ruhig und setze Dich dort am Grabenrand nieder, bis wir den Wagen aufrichten. Wo ist die Hebemaschine?«

Der Graf und Julius spannten die Pferde aus der umgeworfenen Kutsche, stemmten sodann die Hebemaschine dagegen, richteten die Arche wieder empor, setzten den kranken Schaffner und Kutscher in den Wagen, spannten die Pferde selbst wieder ein und bestiegen den Kutscherbock.

»Ich verstehe es sicherlich besser als Sie, Pferde zu lenken?« fragte der Graf die Zügel ergreifend.

»Ich überlasse es Ihnen, obschon auch ich gewöhnt bin, meine Pferde selbst zu lenken. Doch sind das sehr sanfte Thiere und nur zu Zweien eingespannt, während dies ein Fünfergespann ist, welches ich noch nicht zu lenken versucht.«

»Vielleicht irgend ein Wirthschaftsbeamter,« bemerkte der Graf für sich.

»Mir ergeht es nicht zum ersten Male so,« sprach der Graf, »daß man mich auf dieser Strecke umwirft. Trotzdem kann ich mich nicht entschließen, meine eigenen Pferde zu gebrauchen, wenn ich allein nach Pest reise, da dies eine höchst unnütze Ausgabe ist und von vier Pferden eines gewiß zu Grunde gerichtet wird.«

»Das mag ein absonderlicher Graf sein,« dachte Julius in sich; »der erwägt, was eine unnütze Ausgabe ist und der die Pferde bedauert.«

Der Graf lenkte sehr gut, nach einigen Stunden hatten sie Großwardein erreicht, wo den Grafen die eigene Equipage erwartete, welche er bestieg und nach einer andern Richtung davonfuhr. Der Eilwagen wechselte Pferde, Schaffner und Kutscher und Julius erfuhr nicht, wer es gewesen, mit dem er gereist war.

Nach einigen Wochen reiste Julius nach S...i, einem hübschen Badeort. Er hatte sich soviel Zeit und Geld erübrigt, um seiner Gesundheit zu Liebe einige Wochen hier verbringen zu können. Er that es blos seiner Gesundheit zu Liebe und ein gescheidter Mensch, der von seiner Arbeit lebt, weiß es sehr gut, daß die Gesundheit ein Kapital ist, welches unangegriffen erhalten werden muß.

Das Dorf Arpas liegt etwa eine Stunde weit von diesem Badeorte entfernt; als er vor das Dorf gelangte, war dasselbe gerade in Flammen gehüllt. Eine ganze Straße brannte und Geschrei und Gebrüll tönte von allen Seiten.

Sofort stieg Julius von seinem Wagen und eilte auf den Brandschauplatz, um wenn möglich Hilfe leisten zu können.

Als er vor der Kirche anlangte, sah er dort die größten Menschengruppen, die sich bemühten, das heilige Gebäude zu schützen; auf dem Platze vor der Kirche stand eine große Feuerspritze, deren Stangen beiderseits unaufhörlich in Bewegung erhalten wurden, auf der Pumpe selbst stand ein Mann in einer Sommerblouse, der den Schlauch dirigirte. Dieses Gesicht, diese blauen Brillengläser waren Julius bereits bekannt. Es war sein gräflicher Reisegefährte.

Indessen schien die Spritze einen Fehler zu haben, denn sie sandte den Wasserstrahl wohl hoch genug, doch nicht fortwährend, sondern stets in Zwischenpausen, was alle Löschversuche vereitelte.

»Was zum Geier mag denn dieser Spritze fehlen?« schrie der Graf, ohne den auf seiner Wange niederrieselnden Schweiß von dem erhitzten Gesichte abzuwischen.

»Gleich soll da geholfen sein,« sagte Julius, indem er hineilte. »Es kann ja nicht arg sein.«

»Ah, Sie sind's. Helfen Sie um Gottes willen; Sie können ja Alles.«

Damit begrüßten sie einander gar nicht – sie konnten sich doch nicht inmitten eines brennenden Dorfes guten Tag bieten – sondern schraubten eine Seite der Maschine ab; Julius erbat sich einen der Hirschlederhandschuhe des Grafen, zerriß denselben, wand die Stücke sodann um den einen Pumpkolben und nun ging der Wasserstrahl ohne Unterbrechung in die Höhe und sogar bedeutend kräftiger als vorher. Gegen Abend gelang es, des Feuers Herr zu werden und der Graf und Julius trafen gleich durchnäßt, berußt und ermüdet an der rauchenden Brandstätte zusammen.

»Ich danke Ihnen herzlichst für die geleistete Hilfe,« sprach der Graf, die Hand des jungen Mannes drückend. Er konnte sie drücken, denn sie war ebenso schmutzig wie die seinige. »Wie kamen Sie aber hierher?

»Ich wollte nach S...i«

»Und ich komme von dort. Als ich den Brand erblickte, ließ ich die Spritze anspannen, und eilte hierher. Sie werden nun die Güte haben, mich jetzt auf Ihrem Wagen zurückzuführen, denn meine Pferde müssen noch da bleiben, um Wasser zu schleppen.

»Recht gern.«

»Und ich werde Sie recht gern in S...i bei mir sehen; Sie bekämen ohnehin nur sehr schwer Quartier, denn es ist Alles in Beschlag gelegt.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Graf.«

Die beiden Männer reinigten sich im Hause des Dorfrichters, wo sie auch die Kleider wechselten.

»Die Kurgäste könnten es leicht als Ostentation auslegen, wenn wir in diesem Zustande, beschmutzt und angebrannt nach S...i kämen,« sagte Julius und seine Meinung gefiel dem Grafen ungemein, denn er selbst dachte dasselbe.

Der Dorfrichter dankte den Herren für die geleistete Hülfe und bedauerte blos, daß die Schule und auch das Pfarrhaus abgebrannt seien.

Der Graf winkte den Richter für einen Moment bei Seite und übergab ihm im Geheimen hundert Gulden, damit er das Geld unter den Beschädigten vertheile. Er gab es im Geheimen, um seinen Reisegefährten nicht in Verlegenheit zu bringen.

»Ich danke Ihnen, Herr Graf, und werde sofort die zweihundert Gulden austheilen. Dieser Herr hier gab mir dieselbe Summe.«

Der Graf erfuhr hierdurch, daß sein unbekannter Bekannte denselben Gedanken hatte wie er, ja daß er gerade die Summe gegeben hatte, wie er, wie wenn sie sich verabredet hätten. – Das ist denn doch kein Maschinist.

Während der Graf und Julius auf dem Wege nach S...i dahinfuhren, begegneten sie etwa zehn Wagen, die mit vornehmen Herren vollgepfropft waren; auf manchen saßen sogar sechs bis sieben, die mit furchtbarer Eile nach dem Brandorte drängten. Der Graf bat Julius, gar keine Antwort zu geben, was immer sie fragen mögen.

»Das sind lauter renommirende Windbeutel, die sich nicht vom Platze rührten, so lange es Gefahr gab. Jetzt sehen sie, daß der Brand bereits gelöscht ist und eilen Hals über Kopf dahin, werden dort ein furchtbares Gelärme anheben und nach einer Stunde furchtbar kothig und berußt zurückkehren, wie, wenn sie einen Aetna gelöscht hätten. Passen Sie dann morgen auf, was das für Deklamationen auf der Promenade vor den Damen absetzen wird: wieviel Kinder ein Jeder gerettet hat, wie sie in den brennenden Thurm emporgeklettert seien und wie ganze Straßenreihen durch ihre muthige Geistesgegenwart gerettet worden sind.«

Julius fragte den Grafen nach dem Namen eines Jeden, der ihnen entgegen kam und verzeichnte dieselben in seinem Notizbuche.

»Was wollen Sie damit?«

»Ich denke gerade über einen kleinen Streich nach. Morgen gehe ich diese wackeren Herren, die ihren verunglückten Nächsten heute so warme Theilnahme bezeugen, der Reihe nach ab und mache eine Kollekte für die Abgebrannten.«

Der Graf lachte über den Einfall.

»Nicht schlecht: Für einen Scherz sogar sehr gut; – wenn Sie nämlich für ein Karrikaturenalbum amüsante Physiognomien sammeln wollten, so wird dies zum Ziele führen; weniger aber, wenn sie für die Abgebrannten Geld sammeln wollen. Einen werden Sie vielleicht überrumpeln, die übrigen nehmen Reißaus oder verlegen sich aufs Feilschen und unterschreiben Heller. Ach! zu wohlthätigen Zwecken pflegt man die Leute nicht auf diese Weise zu erschrecken. Da habe ich eine viel bessere Idee. Wir veranstalten ein Konzert zum Besten der Beschädigten.«

»Das ist ein praktischer Gedanke.«

»Wir fixiren unerhört hohe Preise; je höher der Eintrittspreis, je mehr werden sich die Leute um die Karten reißen, denn hier muß Jeder den Aristokraten beweisen. Auf diese Weise werden wir eine runde Summe eintreiben, die man sonst den Leuten auf keinerlei Wegen aus den Taschen zu locken vermag.«

»Das ist wahr. Wo aber die Künstler für das Konzert hernehmen?«

»Ach, das ist das Wenigste. Die werden wir schon stellen. Können Sie singen oder deklamiren?«

»Ich versuchte noch keines, doch glaube ich es zu können, wenn ich will.«

»Nun, da haben wir den einen. Ich habe eine Tochter, die recht nett singt, dann eine Stieftochter, die das Klavier mißhandelt. Die Leute werden neugierig sein zu erfahren, wie ein Grafenfräulein singt und spielt, und soviel ist sicher, daß sie sie tadeln werden, wie immer sie gesungen und gespielt haben mögen. Dies ist dann schon ein kleines Opfer.«

»Werden die Gräfinnen da nicht zurückschrecken?«

»Ach nein. Die eine thut's aus Gutherzigkeit, die andere aus Eitelkeit. Ich kenne sie. Uebrigens gehorchen mir Beide aufs Wort.«

Der Graf sprach die letzten Worte so selbstzufrieden, aber auch ein wenig zögernd, denn es lag etwas Prahlerei in denselben. – Ein Graf, dem seine Kinder gehorchen!

Beide Männer fanden es nunmehr hoch an der Zeit, einander zu fragen: »nachdem wir einander so nahe getreten, so wäre es vielleicht denn doch gut, einander zu fragen, wie ein jeder von uns heißt?« Indessen dachte jeder von ihnen zugleich, daß man morgen Jemanden im Bade finden werde, den man fragen könnte: »wer denn dieser, mein guter Freund sei, mit dem ich schon so lange und so gut bekannt bin, dessen Name mir aber unbekannt ist?« Und je länger sie diese Frage hinausschoben, je vertrauter begannen sie mit einander zu werden und desto ungeschickter, ungereimter erschien es ihnen, die Unterhaltung damit zu unterbrechen, daß sie einander sagten, jetzt weiß ich aber noch immer nicht, wer Sie sind?

Die Ueberzeugung gewannen sie indessen, daß sie für einander passen. Julius konnte wahrnehmen, daß der Graf ein geschickter, freisinniger, vorurtheilsloser Mann sei, der es zwar liebt, ein Edelmann zu sein, es aber auch zugiebt, daß es ein anderer ebenfalls sei und keine Unterwürfigkeit fordert, weil er stolz ist; der es wohl wünscht, daß ihn Jedermann als Grafen respektire, der dann aber auch Jeden behandelt, wie wenn es Grafen wären. Dann konnte auch er erkennen, daß Julius kein Industrieritter ist, während man sonst Niemanden zu meiden hat und so hatte er denn auch keinen Grund, seine Einladung zu bereuen. Julius nahm sich vor, im Hause des Grafen endlich seinen Namen zu nennen.

Bald hatten sie den Badeort erreicht. Der Graf gab die Richtung an; am Ende der Promenade befand sich eine niedliche Villa, Eigenthum des Grafen, denn er pflegte, wie er sagte, den Sommer stets hier zu verbringen, ohne ins Ausland zu gehen und überredet sogar seine Bekannten, das Renommée der heimatlichen Kurorte zu heben. Denn wenn sie schon nichts Anderes thun, so mögen sie sich wenigstens aus Patriotismus unterhalten.

Julius fuhr in einen netten kleinen Hof ein, dessen Mitte ein in vollster Blüthe stehender Tulpenbaum einnahm. Julius bewunderte den Baum, worauf der Graf bemerkte, er habe denselben selbst gepflanzt und aufgezogen. (Der Graf mag ein alter Gärtner sein.)

Der Graf wollte seinen Gast vorerst in seine Zimmer führen, damit er sich ein wenig zurechtrichten könne, bevor er ihn den Damen vorstelle. Wir wissen ja, wie eitel die Männer sind. Indessen vereitelte der Zufall diese vom Anstand gebotene Maßregel, denn kaum betraten sie den Korridor, als sich die Thüre vor ihnen öffnete und die beiden jungen Gräfinnen durch das Wagengerassel herbeigelockt, dem Vater entgegengeeilt kamen.

In demselben Moment erblickte der Graf drei auf verschiedene Weise überraschte Gesichter vor sich: die seiner beiden Töchter und das seines Gastes, die sich einen Moment erstaunt anblickten, bis die ältere Gräfin endlich eine Hand Julius, die andere ihrem Vater entgegenstreckte und beide herzlich drückend, mit ungeheuchelter Freude sagte:

»Grüß' Sie Gott! Das nenne ich eine Ueberraschung. Wo hast Du diesen unseren Burschen gefunden, Vater?«

»Diesen unseren Burschen?« fragte der Graf staunend.

»Nun ja, Julius Feher, dessen wir so oft gedacht.«

Nun wandten sich die beiden Männer gegen einander: jetzt wußten Beide, wer der Andere sei. Julius schätzte und achtete den Grafen Somlyohazi schon lange als bekannten wackeren Patrioten; vielleicht erinnerte ihn auch etwas Anderes häufig an diesen Namen.

»Wir sprachen in der That häufig von Ihnen,« sagte der Graf. Mehr sagte er nicht, doch war dies selbst als viel genug. »Nun lassen Sie sich meiner Frau vorstellen. Sie brauchen sich nicht umzukleiden, denn Sie sind ja ohnehin daheim bei uns.«

Daheim bei uns? was bedeutet dieses Wort?

Die Gräfin befand sich nicht in ihren Gemächern; man sagte, sie sei in den Garten hinuntergegangen, um Hortensien zu versetzen, was sie niemals dem Gärtner anvertraut, sondern stets mit eigenen Händen besorgt. Es sind ihre Lieblingsblumen.

»So gehen wir ihr nach,« sprach der Graf und schritt Arm in Arm mit Julius in den Garten hinab, wo er ihn der Gräfin vorstellte, der jener nicht einmal die Hand küssen konnte, denn die Handschuhe der Dame waren ganz schwarz von der Erde der Hortensien. Indessen nahm die Gräfin ihren Gast sehr freundlich auf und gestattete ihm sogar, ihr im Umsetzen ihrer Blumen behilflich zu sein, was eine ganz unerhörte Gnadenbezeugung ihrerseits einem jungen Menschen gegenüber war, der wie aus den Wolken zwischen sie hinabgefallen erschien.

Die ganze Familie nahm ihn wie einen alten lieben Bekannten auf; Serena wußte ihm so schön von der Stunde ihrer ersten Begegnung zu erzählen und ihre schweigsame Schwester wußte so schön zu ihren Worten zu erröthen.

Ein Mensch von etwas minder starkem Kopfe als Julius, hätte sich gleich in dieser ersten Stunde bis über die Ohren in die ganze gräfliche Familie verliebt; von dem wackeren Oberhaupte angefangen, bis zu dessen jüngster Blume; – Julius aber war unglücklich, oder sagen wir lieber glücklich genug, seinen Kopf über sein Herz zu setzen.

Wie lieblich auch der Himmel auf die Erde niederlächeln mag, so ist doch das eine der Himmel, das andere die Erde und welch ein Raum zwischen beiden liegt? das vermochten mit Zahlen bis heute nicht einmal die Astronomen zu berechnen ...

*


 << zurück weiter >>