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Erstes Kapitel.
Ein Fasching im Alföld.

»Alföld« heißt die Tiefebene Ungarns. A. d. Uc.

Vor einigen Jahren kamen am Morgen des heiligen Dreikönigstages vier Leute aus Szatmar zu einem sonderbaren Wettstreite überein. Der Gegenstand desselben war: – am ersten Tage des Fasching in Szenyer-Varallja den Tanz zu beginnen und an demselben bis an den hellen Morgen Theil zu nehmen, hierauf den schellenbehangenen Schlitten zu besteigen, nach Szamostelek zu fahren, dort den anbrechenden Tag ebenfalls tanzend zu begrüßen und wieder ohne Aufenthalt hinüber nach Aranyasmegyer, dort das Tanzen fortzusetzen, sodann wieder mit einem Dorfe weiter, Ugocsa, Bereg, Zemplen zu berühren, Szabolcs, Bihar durchzutanzen und all diese sechs Komitate ohne einen Moment des Ausruhens zu absolviren.

Die Bedingungen des Wettstreites waren die folgenden: kein bekanntes Haus auszulassen, in welches einer der Vier einzutreten wünscht, keinen Tanz von einem Andern beginnen zu lassen und keinen vor einem Andern zu beenden, jeden Toast zu erwidern und niemals einen Tropfen Wein im Glase zu lassen, während des ganzen Faschings in keinem Bette zu schlafen, sondern nur im Schlitten sitzend, auf der Fahrt von einem Dorfe ins andere und endlich bei unvorhergesehenen Abenteuern, wie da sind zum Beispiel Duelle, Liebesintriguen und dergleichen, einander aufs Fidelste zu unterstützen, da solche Eventualitäten in Folge dessen, daß niemals länger als ein Tag in einem Dorfe verweilt werden durfte, sehr rasch erledigt werden mußten.

Von den vier jungen Leuten, die den geistreichen Wettstreit unternommen, blieb einer bereits in Tisza-Ujlak zurück: er bekam Lungenentzündung und war nach zwei Tagen eine Leiche. Das war ein Schwächling.

Der zweite ließ die Gesellschaft bereits in Mandok im Stiche, der nun Zeit seines Lebens ein feiger, jämmerlicher Patron genannt wurde; er wagte sich auch gar nicht mehr vor der Welt zu zeigen, sondern ging heim nach Gödenyhaza und rührte sich nicht mehr weg von dort.

Zwei hielten die Sache aus und tanzten durch alle sechs Komitate, durch alle sieben Faschingswochen, tagsüber trotz Schneegestöber und Wasserdurchbrüchen, in rüttelndem Schlitten, auf holperigem Karren reisend, des Nachts tanzend, trinkend, verliebte Frauen küssend, mit eifersüchtigen Gatten sich duellirend und vor erzürnten Vätern fliehend.

Im ganzen Alföld hatten die beiden jungen Leute bereits einen Ruf, wie die Heuschreckenschaar, die die Felder verwüstet.

Man sprach von ihnen, wie von einer Märchenerscheinung, an die der Mensch nicht glaubt, so lange er sie nicht sieht, es aber dennoch weitergiebt und je nach Befund auch vergrößert.

Es war bereits in der letzten Faschingswoche, die herannahenden Fasten ließen jedwede Unterhaltung beschleunigen: Beltek, Erdöd, Majteny, Kiralydarocz bereiteten sich zum Tanze vor, was aber durch den Umstand erschwert wurde, daß die beiden reisenden Tänzer in Nagy-Karoly die einzige Zigeunerbande in Beschlag genommen hatten und diese überall hin mit sich schleppten, so daß die Fidler blos aufspielen konnten, wohin sie von jenen gebracht wurden.

In der ganzen Umgegend lautete die brennende Frage: wo werden Adorjan Borcz und Andreas Gabor heute einkehren? Dies waren die Namen unserer Helden.

Denn die ihrem Nahen voraneilenden Gerüchte erschreckten Niemanden, ja die jungen Mädchen und mit Töchtern gesegneten Mütter dachten bei jedem nahenden Schellengeklingel unwillkürlich an sie und es war eher Freude als Schrecken, der sie dann zu sich selbst sagen ließ: »wie wenn sie's wären.«

Psychologen mögen dies Neugierde für das Gefährliche und gewohntes Interesse für Sonderlinge nennen, einfältigere Menschen werden aber davon sprechen, daß Adorjan Borcz der Sohn des reichen Schweinehändlers Borcz ist, von dem man sich erzählt, daß er eine Million Baargeld habe, daß Adorjan dazu das Ideal der männlichen Schönheit sei und so ist's nicht zu verwundern, wenn man seinen Besuch eher wünschte als fürchtete. Und wer wollte junge Mädchen der Illusion berauben, die dem ganzen schönen Geschlechts gemeinsam ist, wonach ein Mann, der bei zehn Frauen sich als flatterhaft erwies, der elften treu bleiben wird und welche hielte sich nicht für diese Elfte?

Jeder muthwillige Streich, den die Fama als Geheimniß über Adorjan Borcz ausposaunte, machte ihn nur um so interessanter. Man nannte ihn einen genialen, originellen Patron.

Sein Nebenbuhler erfreute sich keiner so großen Aufmerksamkeit; von Andreas Gabor war blos bekannt, daß er ein sehr starker Mann sei, Wein in unkontrollirbaren Mengen trinke, ohne daß es ihm jemals anzumerken wäre und so viele Gläser er auch geleert, niemals übermüthig werde und mit so vielen Frauen und Mädchen er auch getanzt haben mag, keine eines Lächelns würdige, noch hernach auch nur ein Wort mit ihnen spreche und daß seine beste Laune sich nur in einer Weise dokumentirt, die darin besteht, daß er aus purer Freundschaft den geleerten Glasbecher aufißt. Im Uebrigen sitze er während vollen drei Vierteln des Jahres daheim auf seinen Gütern, die er tadellos bewirthschafte, nichts weiter trinke als reines Quellwasser, so wie sich aber der Winter einstellt, wird er ein jede Probe bestehender Lump, den Niemand zu überbieten vermag. Wenn es aber Frühling wird, kehrt er wieder zu seinen Erdschollen zurück.

Hiermit wären aber blos die vagen Gerüchte wiedergegeben, die über sie von Mund zu Mund gingen und auf die, wie wir wissen, nicht viel gegeben werden kann ...

Die drei letzten Tage des Faschings werden bei uns so gut wie anderwärts auf die lustigste Weise hingebracht und der Gast mag um diese Zeit in welchem Dorfe immer, in welches Haus immer eintreten, – er kann sicher sein, eine lustige Gesellschaft beisammen zu finden. (So war's wenigstens bis jetzt; wie's fortan sein wird, weiß ich freilich nicht.) Man hat gute Bekannte, gute Freunde, die werden eingeladen, Kummer und Sorge werden für die Spanne Zeit vor die Thür gestellt, der Wein fließt in Strömen, Klagen werden keine laut – der Fasching ist ja kurz, und die Fasten so lang, weshalb sich nicht belustigen, wenn die Zeit dazu da ist?

Abseits von dem von Nagy-Karoly in die Gegend von Szilagy führenden Wege befindet sich das Gut des Grafen Somlyohazi. Es ist eine aus einigen tausend Morgen bestehende und in bester Ordnung gehaltene Besitzung, deren Felder und Wiesen in einem zwischen zwei bewaldeten Bergen liegenden Thale sich befinden; das Thal wird von einem Bache durchschnitten, welcher weiter unten eine Mühle treibt und in der Nähe des Gutsparkes entspringt, welcher Obst- und Tannenbäume enthält und wo sich inmitten der immer grünen Tannen das am Hügelabhange erbaute Herrschaftshaus mit seinem rückwärts weißen Dache romantisch erhebt.

Das Herrschaftshaus ist in zwei Flügel getheilt; der eine ist für die gräfliche Familie bestimmt, den anderen bewohnt der Amtmann.

Matthäus Malai ist ein alter Beamter der Familie, der von Kindsbeinen an in dem gräflichen Hause erzogen wurde und auch seine Frau aus demselben nahm, die die Tochter des Rechnungsführers war. Der Vater des jetzigen Grafen war ihr Brautführer gewesen, er selbst stand Gevatter bei ihrer einzigen Tochter. Wenn sich diese nach Klausenburg begaben, mußten sie im Hause des Grafen absteigen, da dieser es nicht anders duldete; kam der Graf nach Somlyohaza, brachte er zuweilen nicht einmal Dienerschaft mit sich, sondern meldete sich bei Malais zum Abend- und Mittagbrod zu Gaste. Kam Herr Matthäus zu dem Grafen, so mochten noch so viele vornehme Gäste sich bei ihm befinden, dieser sprach doch nur wie mit einem guten Bekannten zu ihm und es gab weder gute noch böse Zeiten im gräflichen Hause, an denen der Verwalter nicht hätte theilnehmen dürfen. Beide Parteien hatten sich daran gewöhnt, einander wie zwei zusammengehörende Hälften zu betrachten, welche statt des Befehlens und Gehorchens ein ruhevolles Sichverstehen zusammenhält, welches sich von den beiden Männern nicht nur auf die beiden Frauen, sondern auch auf die beiden Mädchen erstreckte.

Aus alledem wäre es aber sehr falsch, den Schluß zu ziehen, daß Graf Samlyohazi irgend ein besonders leicht zugänglicher Mann und andererseits, daß Herr Mathäus ein sanfter, freundlicher, einschmeichelnder Patron wäre. Im Gegentheil ist der Graf dafür bekannt, daß er übertrieben wählerisch in den Leuten, im gewöhnlichen Leben eine Art Kritiker ist, der nicht nur nicht nach Volksthümlichkeit hascht, sondern auch seine Freundschaft sehr hoch hält, während der Amtmann ein geradezu moroser, mürrischer, unangenehmer Mann ist, der nie in seinem Leben noch einem Menschen ein Kompliment machte.

Bei Amtmanns bereitete man eine große Unterhaltung für den letzten Tag des Faschings vor. Es war der Tag ihrer silbernen Hochzeit, das Gedenkfest von fünfundzwanzig in Liebe und Frieden verbrachten Jahren. Bis zum Abend hatten sich nun zahlreiche Gäste eingefunden und wurden noch mehr erwartet, was das Benehmen des wachsamen Vorpostens des Hauses bewies.

Wer der wachsame Vorposten des Hauses war? Das werden wir sofort erklären.

Das Herrschaftshaus war noch in altfranzösischer Manier erbaut, die unter Maria Theresia auch bei uns stark in Mode kam. Der geräumige Hof war von einer hohen, steinernen Mauer umschlossen, die aus gitterartig gelagerten Ziegeln erbaut war; in einer Entfernung von je zwei Klaftern erhob sich eine steinerne Säule, die eine Platte trug, auf welchen sich liebreizende Amorettengruppen in Rokokostil erhoben, die die sittenstrenge Moral der ehrsamen Zeit mit weiten Mänteln bekleidet, einigen selbst den Dreispitz aufgesetzt und das Haar mit einem bebänderten Zopf verlängert hatte.

Nun ist's aber schon zu spät, diese niedlichen Amoretten zu bemitleiden, die die Zeit bereits derart geschwärzt hatte, daß sie nicht mehr zu erkennen sind, während einige ihren Posten sogar schon verlassen hatten, so daß die Säulenplatte leer dastand.

Ein derart leer gewordenes Säulenpiedestal ist aber ein ganz ungemein verlockender Ort, daß, wenn bei Amtmanns Gäste erwartet werden, Drava, der wachsame Vorposten des Hauses, dort hinaufspringe und von dort die Ankunft der Gäste überwache, wobei er bald das eine, bald das andere Ohr hoch emporreckt, je nachdem er mit sich zu Rathe geht, ob man von rechts oder von links nahe, zuweilen aber beide verzagt hängen läßt, da von keiner Richtung Gäste kommen. Nun fällt es ihm ein, daß sie sich verirrt haben möchten und nicht hierher finden, und da reckt er denn den Hals empor, stößt ein tiefes Geheul aus, wie wenn der Thurmwächter dem irrenden Wanderer ein Zeichen gäbe: »hierher! hierher!« und horcht sodann auf das Resultat seines Bemühens. Jetzt hat er etwas erlauscht; sein linkes Ohr ist gen Himmel gerichtet, wie aus Draht gezogen, dann springt er von seinem erhabenen Standpunkte herab, stürmt in den Flur, bleibt vor der Küchenthüre stehen und kläfft freudig durch dieselbe hinein: »Sie kommen schon! sie sind schon da!« Dann eilt er wieder zu seinem klassischen Lugaus zurück und bläst jetzt ohne Unterlaß das Alarmhorn (nämlich jenes, über welches ein Hund verfügt), wobei er sich mit der bewunderungswürdigen Gewandtheit eines Seiltänzers auf der Säulenplatte, wo gerade seine vier Füße Raum haben, um sich selbst dreht. Jetzt hört er die Nahenden nicht nur, sondern fühlt sie auch bereits. Er könnte sagen, wer es sei, die da kommen. Nun steht er verwundert, daß noch Niemand zum Empfange der Gäste herbeieilt. Hat man seine Meldung nicht verstanden? Sprach er nicht deutlich genug? Abermals stürmt er in den Hausflur, wirft die ihm entgegen kommende Verwalterin beinahe über den Haufen, die ihn gerne prügeln würde, wenn sie was bei der Hand hätte, so aber nur ein »dummer Köter!« brummt. Nach diesem Erfolge hält es der zottige Wächter für seine Pflicht, den Nahenden ein gutes Stück entgegen zu galoppiren; das Schellengeklingel ist schon deutlich vernehmbar, Drava hat sie nach zwei Minuten erreicht und macht ihnen laute Vorwürfe darüber, daß sie so lange säumten. Nun aber mir nach! und damit rennt er wieder voran, um ihnen den Weg zu zeigen und kommt viel früher bei dem Thore an wie der Schlitten und rennt demselben abermals entgegen. Ei! wie langsam geht doch das! und damit läuft er wie der Vorreiter eines Triumphzuges eine Spanne vor der Nase der Pferde in den Hof, und er ist der Erste, der den angekommenen Gästen an den Hals springt, ihnen den Pelz dadurch noch schwerer machend; so wie sich diese entfernen, beginnt er mit dem Kutscher zu fraternisiren, wobei er mit seinem Schweife so derb dessen Stiefelschäfte trifft, daß er ihn beinahe umwirft, endlich knüpft er mit den Pferden Bekanntschaft an und als diese ausgespannt worden, wälzt er sich bequem in dem guten weichen Schnee. Er erwartet keine Gäste mehr.

Dem Menschen aber verlieh die Natur keinen so rasch erkennenden Instinkt, und die Frau Verwalterin betrachtete lange Zeit die Ankömmlinge, erkannte sie aber erst, als sie deren Stimmen vernahm, so sehr waren sie durch Pelze, Kappen und den an ihren Bärten hängenden Reif vermummt.

»Kommen wir gelegen, Frau Muhme?« fragte der eine der Pelzträger, wobei er mit dem Handschuh über den Bart strich.

Erst jetzt erkannte sie die Verwalterin.

»Ihr seid das also? O Ihr landbekannte, nichtswürdige Strauchdiebe!«

Damit ergriff sie die landbekannten, nichtswürdigen Strauchdiebe bei den Ohren und küßte sie herzhaft auf beide Wangen, ohne sich um die Eiszapfen ihrer Bärte zu kümmern.

»Was zum Teufel führt Euch hierher, Ihr landstreicherisches Gesindel? Ihr Allerweltsnarren, Ihr; einfältige, vermaledeite Kerle!« – Damit umarmte sie sie neuerdings. »Das ist schön von Euch, daß Ihr auch an uns gedacht. So kommt also herein! Ihr seid ordentlich erfroren, wie? Ihr Spitzbuben!«

Damit schlug sie mit der breiten Rechten bald dem einen, bald dem andern in den Rücken und dirigirte sie in dieser Weise hinein, fortwährend scheltend und keifend.

Jene aber lachten fortwährend.

»Wir hatten ja die Absicht«, sprach jener, dessen Stimme wir schon vorher vernommen, »ganz anders, unter lustiger Zigeunermusik hier einzuziehen, die Helmaczer aber verfluchten uns, daß der Schlitten unserer Zigeuner am Dorfende zerbrach. Die Kerle folgen uns zu Fuße, werden aber gleich da sein.«

Unterdessen hatten sie die Küche erreicht, da die Wohnung des Verwalters in der guten alten Weise eingerichtet war, daß man nur durch die Küche in die Zimmer gelangen konnte. Dies war das Erste im Hause, die erste und ansehnlichste Räumlichkeit, das Arbeitszimmer der Hausfrau, nicht die Küche der heutigen übelriechenden Sparherde, sondern der alte gesunde Feuerherd mit seinem flammenden Kamin, und knatternden Holzscheiten auf dem eisernen Roste. Hier röstet ein am Spieße steckendes Spanferkel am Feuer, auf der andern Seite schmoren mit Eiweiß bestrichene Krapfen, in großen weitbauchigen Töpfen brodelt Appetit erweckendes gefülltes Kraut, in den ungeheuren Pfannen mag was Gutes dampfen, denn sie sind mit Gluth bedeckt und stehen sogar auf glühenden Kohlenstücken, die offenen Backröhren verrathen mit frischem Kuchenduft die Geheimnisse des Tages, das Hausfräulein ist ein wenig ungehalten, denn sicherlich bereitet es Krapfen und der Teig kann sich nicht heben, wenn man zu ihr spricht und ein zweites Fräulein ist geradezu verzweifelt, denn es hat aus der feinsten Butter ein schönes Kaninchen mit solchem Fell, wie ein lebendes bereitet, es hatte sogar Augen aus zwei großen Rosinen, – nun hatte es Jemand dem Feuer zu nahe gebracht und es war zur Hälfte zerschmolzen.

Nur hinein mit den Männern ins Zimmer, denn die haben zu solcher Zeit hier garnichts zu suchen! Die Frau Verwalterin schiebt ihre gescholtenen Gäste ins Vorzimmer, und nimmt ihnen dort Pelze, Mützen und Handschuhe ab, bis sie endlich in menschlicher Gestalt dastehen.

Dies sind also die beiden berühmten, sechs Komitate durchtanzt habenden Patrone.

Adorjan Borcz' bleiches Gesicht und müde Augen tragen nur zu deutlich die Spuren der schlaflosen Nächte; man sagt, er sei ein schöner Mann, so aber, wie er da steht, sollte es ihm Niemand ansehen: sein schwarzer Bart und schwarzes Haar sind wirr und ungeordnet, schlaff liegen die Wimpern über den eingefallenen Augen, seine dunklen Brauen und die bleiche Stirne sind gerunzelt, seine Gestalt kann sich vor Mattigkeit kaum aufrecht halten, die Schultern fallen nach vorn, ein Fuß scheint dem andern im Wege zu sein, und wenn er geht oder steht schlottern die Knie unter ihm.

Bis jetzt hatte er noch keinen Laut von sich gegeben und nur seinen Genossen mit der Hausfrau sprechen lassen.

An diesem ist keine Spur von Ermüdung sichtbar; es ist ein hagerer, knochiger Mann, eine hohe magere Gestalt mit einem offenen ehrlichen Gesichte, welches nicht mehr verspricht, als was im Kopfe ist; von seinem Barte verlohnt es sich, dessen Spärlichkeit halber, nicht zu sprechen.

Wer sie so sieht, würde niemals sagen, daß der eine der Adonis der Gegend, der andere Herkules selbst sei.

Sorgfältig reinigte die Verwalterin die Gewänder ihrer Gäste von den Pelzhaaren, damit sie anständig vor den übrigen Gästen erscheinen, denn es ist eine schöne Gesellschaft beisammen, die den Menschen arg besehen.

»Wir werden sie auch beschauen,« scherzte Gabor, »denn wir kamen zur Brautschau hierher.«

»Zur Brautschau? hierher?« rief die Verwalterin plötzlich zornig aus. »Ihr braucht einen Besenstiel, aber kein Mädchen! Meine letzte Magd würd' ich Euch nicht geben, nicht einmal, wenn Du tausend Joch Felder hast und diesem andern da sein Vater gleich eine Million Gulden baar giebt. Ihr seid keine ehrsame Jungfrau werth!«

»Da habt Ihr Recht, Frau Muhme; ich hab' selbst schon daran gedacht, daß ich nicht zu den Fräuleins dort passe. Adorjan mag immerhin in die große Stube gehen, er spricht ja auch deutsch, während ich in der Küche bleiben werde.«

»In der Hölle wirst Du bleiben! Dort hat man Dich jetzt nöthig, denn dort ist noch garnichts gebraten.«

»Ich habe aber eine schmucke Maid dort am Herde erblickt.«

»Na, Du Hansnarr! sieh' mal, sieh'. Hast sie vielleicht Dein Lebtag noch nicht gesehen? Das ist ja meine Ester, Du Maulaffe!«

»Ja, die eine, aber die andere?«

Bei diesen Worten erhob die Frau Verwalterin ihren gewichtigen Zeigefinger und vollführte vor der Nase des jungen Mannes allerlei Perpendikularbewegungen.

»Die andere ist nichts für Euch. Die wurde nicht für Euch erzogen, Dominus Wirthshaus; dort rührt Euch nicht hin, denn dort klopft man den Leuten auf die Finger.«

»Na das werden wir doch sehen!« Der Patron that einen Schritt zur Küche, die wohlbeleibte Frau Verwalterin aber verstellte ihm rasch den Weg und stieß ihn zur Seite.

»Na Du Galgenvogel! Das Mädchen ist die Tochter des Grafen.«

Der junge Mensch stutzte ein wenig bei diesen Worten, wollte es aber doch noch nicht recht glauben.

»Wie kommt denn die daher?«

»Sie ist einmal da. Der Graf ist ein kluger Mann. Als die junge Gräfin von allen Professoren und Erziehern genügend mit Weisheit ausgestattet worden war, sagte der Graf zu ihr: »Mein liebes Kind, Du kannst nun englisch und französisch, kannst malen, Klavier spielen und singen und kannst trotzdem noch gar nichts, denn Du verstehst nichts von der Wirthschaft; weißt nicht, wie man einen Knödel macht und kannst Deinem Herrn kein Mittagessen kochen, wenn er es wollte; Du kennst die tausende von Geheimnissen der Haushaltung nicht und würdest demnach das Verderben desjenigen werden, der Dich einmal heirathet, und wenn er noch so reich wäre. Deshalb gehe jetzt von neuem ins Erziehungsinstitut zu meines Verwalters Frau in Somlyohaza, bei der Du alles lernen kannst.« Na, die brave Seele lernt auch alles und ich gelobe, ehe ein Jahr vergeht, wird 'ne solche Hausfrau aus ihr, daß, wer sie heirathet, ihre Fußstapfen küssen kann. Und das weiß der Graf, daß Jedermanns Tochter bei der Verwalterin von Somlyohaza gut aufgehoben ist, denn die achtet besser auf sie, wie die Wiener Madam! – Jetzt aber marsch vorwärts.«

Die jungen Leute mußten sich mit der Erklärung zufrieden geben, ob sie sie nun glaubten oder nicht, denn die Verwalterin ergriff sie beim Kragen und ohne Widerstand zu dulden, schob sie die Beiden durch die Thür des anstoßenden Saales hinein, von wo das lebhafte Geräusch der versammelten Gäste herausdrang.

Hei, wie war das damals anders!

Ich weiß nicht, liegt es in unserem Blute, oder in der Luft; ist es unser Fluch, oder sollen wir es als verhängnißvollen Gewinn ansehen: etwas können wir nicht, was noch unsere Väter konnten: – wir können uns nicht mehr unterhalten.

Wenn wir jetzt mit einander zusammenkommen, müssen wir entweder über galleerregende Gegenstände streiten, oder wir nehmen die Politik vor und wetteifern, wer von uns traurigere Konjunkturen über unter allen Umständen eintreffende Uebel aufstellen könne? oder wir sitzen am Kartentische festgenagelt; im besten Falle aber tanzen wir und sehen den Luftsprüngen Anderer zu.

Jene gemüthliche, an sich selbst Genügen findende Unterhaltung ist nicht mehr zu finden, zu welcher keine Karten, keine Musik, keine Politik, keine schönen Frauen benöthigt wurden und dennoch war Jung und Alt lustig bis an den hellen Morgen und erinnerte sich noch im nächsten Jahre, wie gut man sich damals unterhalten!

Es ist aber auch bereits aus der Mode gekommen: die Pfänderspiele, die Anekdoten erzählenden alten Herren, das gute, lachlustige Publikum, welches jeden Scherz so beifällig aufnahm, jene heiteren jungen Herren und die neckischen Mädchen – alle gehören bereits in den Sagenkreis; hier und dort, in Dörfern und in kleinen Städten finden sich noch geringe Nachklänge, aber auch die tönen nicht mehr, wie ehedem. Wir sind klüger geworden; – es ist aber die Frage, ob auch glücklicher?

Als die Frau Verwalterin den beiden landbekannten Tänzern die Saalthüre öffnete, war das Geräusch dort drinnen so laut, daß die Eintretenden kaum von Jemandem wahrgenommen wurden.

Um einem großen Eichentisch in der Mitte stand eine Gruppe alter Herren und junger Leute in bunter Mischung und in ziemlich zwangloser Toilette: dieser im Rock, jener im Mantel, der dritte in einer Blouse. Alle Augen sind auf einen wohlbeleibten alten Herrn gerichtet, der sicherlich interessante Geschichten erzählt, wie es die zum Lachen verzogenen Züge jedes Gesichtes vermuthen lassen.

Der alte Herr trägt einen staubgrauen langen Zrinyidolman mit großen silbernen Filigranknöpfen und breiter Verschnürung, eine ungarische Hose von ähnlicher Farbe und Stiefeln mit silbernen Sporen; sein taubenweißes Haar ist dicht wie eine Bürste und ganz kurz geschoren; zuweilen strich er auch während des Sprechens über dasselbe hin, wie wenn er dadurch die Elektrizität des Witzes sammelte.

Der Schnurrbart des alten Herrn war ebenso weiß, wie sein Haar, während das Rasirmesser sein ganzes übriges Gesicht von jedem Härchen frei hielt, welches glatt und gesundheitsstrotzend war und selbst wenn es nicht lächelte, zu lächeln schien.

Seine schmetternde Stimme übertönte das laute Gelächter; er erzählt gerade sein Abenteuer, wie er einst durch die Straßen der Hauptstadt schritt in demselben staubgrauen Rock, mit einer großen Schirmmütze auf dem Kopfe und einem Rohrstocke mit Elfenbeinknauf in der Hand und da sah er, wie ein Mensch mit hohlen Wangen neben ihm einherschlich. Er meinte der wolle ihm sein Taschentuch ziehen. Als er nun des Abends ins Theater geht und im zweiten Stock sich auf seinen Sitz niederläßt, zieht man den Vorhang in die Höhe und wen sieht er auf die Bühne treten? Sich selbst, in dem langen Rock, mit dem weißen Schnurrbart, mit der großen Schirmmütze und dem langen Rohrstock in Händen ... »Der Galgenvogel! Ein Komödiant war's! Deshalb hat er mich so genau betrachtet, um mich des Abends im Theater auszuspielen!« Wurde der alte Herr vielleicht ungehalten darob? Bei Leibe nicht! im Gegentheil, er begann zu lachen und hämmerte mit den Fäusten gegen die Brüstung, daß aller Augen auf ihn gerichtet waren und dann rief er: »ich bin das dort, dieser spitzbübische Komödiant! ich bin das dort!« Noch jetzt rinnen ihm die Thränen über die Wangen, wenn er es erzählt, so lacht er darüber. Die ihn hören, lachen mit ihm, obschon es da so niedergeschrieben, gar keine Wirkung hat; jenes Gemüth, jene glückselige gute Laune gehörte dazu, damit man etwas derart erzählen und derart darüber lachen könne.

In einer entfernten Ecke sitzen ehrwürdige Matronen, die sich mit irgend einem ausgezeichneten Manne amüsiren. Es ist kein junger Mann mehr, sondern bereits ein Fünfziger, trotzdem verrathen seine Mundbewegungen, daß er sich auch jetzt noch für einen sehr angenehmen Gesellschafter hält und seine Züge zeigen deutlich das Bestreben, jedem etwas Angenehmes und Schönes zu sagen. Sein Anzug ist elegant, Kragen und Manschetten sind aus Sammet, seine Weste zeigt rothen Sammet, um den Hals hängt ihm eine schwere goldene Kette, an den Fingern trägt er massive Ringe mit großen Steinen, an denen er fortwährend etwas zu richten hat; wenn er mit Jemandem spricht, neigt er sich immer so nahe zu der betreffenden Person, wie wenn er sie mit einem Geheimnisse beglücken wollte und es Niemand anderem gönnte. Eine alte Dame scheint ihm sehr unangenehm zu fallen, denn die hält ihn am obersten Knopf seines Rockes gefaßt und will ihn durchaus nicht loslassen, worüber die anderen insgeheim lachen und der alten Dame mit den Augen zuwinken, ihren Gefangenen ja nicht loszulassen.

Im Saale wandelt eine junge Dame auf und ab, die man das Ideal einer Schönheit nennen könnte, wenn hierüber blos die Augen entscheiden würden. Es ist ein wunderbares blaßbraunes Kreolengesicht, mit unruhigen dunklen Augen, die beiden Lippen sind geschlossen kaum größer als eine Erdbeere, ihr Wuchs gleicht einer antiken Statue; – kein Dichter, kein Künstler kann sich eine schönere Gestalt als Ideal wünschen.

Indessen liegt etwas in jedem Zuge, in jeder Bewegung dieser schönen Gestalt, was deren Schönheit Eintrag thut und dies ›Etwas‹ ist, daß man ihr ansieht, daß sie weiß, wie schön sie ist.

Sie gleicht jenen Schönheiten, welche man auf den Modebildern steht. Welch' Idealbild dieselben auch zeigen mögen, so geht es dem Menschen doch nicht aus dem Kopfe, daß es blos ein Modenbild sei.

Ein anspruchsloser junger Mann scheint sie amüsiren zu wollen; vorläufig haben wir nicht viel über ihn zu sagen. Er gehört zu den Leuten, mit welchen der Mensch hundertmal zusammenkommt, bis sie einmal auffallen. Es kann ja sein, daß es sehr tüchtige und wackere Menschen sind. Es kann ja sein, daß dies auch bei diesem der Fall ist; – nun, wir werden ja sehen.

Inmitten der fröhlichen geräuschvollen Gesellschaft schleicht eine kleine unbedeutende Gestalt umher, die sich dadurch noch kleiner zu machen sucht, daß sie den Kopf zurückzieht, bald Weinflaschen aus einem Zimmer ins andere trägt, bald mit den Dienstleuten flüstert; wenn sie Jemand aus der Gesellschaft bemerkt und sie anspricht, verzieht sie den Mund zu einem halben Lächeln und schleicht wieder weiter, wobei sie jedem Menschen derart ausweicht, wie wenn diese aus Glas wären und sie fürchtete, dieselben zu zerbrechen.

Plötzlich tönt die schrille Stimme der Verwalterin in die Gesellschaft, indem sie die eben eingeführten Gäste einzeln den Gruppen vorstellt.

»Das sind die beiden guten Vögel!« sprach sie vor dem anekdotenerzählenden alten Herrn angekommen. »Adorjan Borcz und Andreas Gabor. Dies aber ist mein allerliebster Verwandter Gida Simandi, wenn Ihr schon von ihm gehört habt.«

Freilich, hatten sie bereits von ihm gehört. Alle drei drückten sich herzlich die Hände und freuten sich, gegenseitig die Ehre zu haben.

Nun folgten die Vorstellungen bei den Damen.

»Meine liebe Gevatterin, Frau Borsod; das sind da die beiden Schlingel. Dies ist Adorjan Borcz, dieser da Andreas Gabor.«

»Die beiden berühmten Tänzer,« rief die heitere alte Dame aus und ließ dabei den Knopf ihres Gefangenen fahren. »Gott sei Dank, daß sie gekommen sind, so werde ich wenigstens auch mit Jemandem tanzen können.«

»Glaub's schon!« brummte die Verwalterin; »wenn Krücken und Rollstuhl gleichfalls tanzen könnten.«

Alles lachte. Die alte Dame parirt den Hieb, indem sie sagt, sie benöthige keine Krücke, wenn sie von schönen jungen Leuten zum Tanze aufgefordert wird, denn da vergesse sie daran.

Nun kommt der Herr mit dem Sammetkragen.

»Wohlgeboren Herr Torhanyi ... er kann's noch zur Excellenz bringen« (der Herr mit dem Sammetkragen lächelt verbindlich) »dort seht Ihr Fräulein Amalia; nun sperrt aber die Augen auf.«

Mit einer Wendung stehen die beiden Kavaliere vor der schönen Dame. Beim ersten Blick beginnt sich Adorjan betroffen zurechtzurücken, während Gabor die Haare seines widerspenstigen Schnurrbartes zu wirbeln sucht und bei Seite, halb zur Verwalterin gewendet, sagt:

»Ein kapitales Mädchen!«

»Die ist schon was für Euch!« wirft jene nachlässig hin. Wie mochte sie das meinen?

Fräulein Amalie nahm Adorjan sofort in Beschlag und nun wurde ein noch hübscheres, noch lebendigeres Modenbild aus ihr. Der Jüngling, der bisher mit ihr gesprochen, war auf einmal in den Hintergrund gedrängt und mengte sich nun unter die Uebrigen, um den Anekdoten zu lauschen.

Irgendwie wurde die Hausfrau auch des zuletzt erwähnten kleinen alten Herrn habhaft, dem sie nun ihre beiden neuen Gäste vorstellte.

»Dies ist mein kleiner Mann,« sprach sie lächelnd und mit einer, ihrem energischen Gesichte sehr gut lassenden Rührung fügte sie hinzu »mein alter Bräutigam; – mein silberner Bräutigam.«

Der kleine Mann verneigte sich vor den jungen Leuten und brummte etwas, mit gewöhnlichen sterblichen Ohren nicht Vernehmbares, zwischen den Zähnen, wobei er eine halbe Sekunde lang lächelte, worauf Gabor antwortete:

»Freut uns ungemein.«

Der alte Herr aber schien die Bemerkung gemacht zu haben, daß er seine Rechte deshalb nicht reichen könne, da er beide Hände mit Korkziehern voll habe.

Als Herr Torhanyi und Adorjan Borcz einander vorgestellt wurden, als sich Adorjan zu Amalia wandte, konnte man auf keinem Gesichte der drei Personen soviel Veränderung gewahren, die verrathen hätte, daß »wir bereits die Ehre hatten«; o, die Ueberraschung pflegt man blos auf der Bühne zu marckiren, im gewöhnlichen Leben sind die Menschen viel bessere Schauspieler, denn dort spielt man nicht dem Publikum zu Liebe, dort besteht die Kunst darin, nicht sehen zu lassen, was ich jetzt empfinde. Und diese drei Leute müssen doch etwas fühlen, von denen zwei schon lange in einander verliebt sind und der Dritte sie schon seit langer Zeit bewacht, damit diese Liebe auf der geraden Landstraße verbleibe. Derlei hängt man aber der Welt nicht auf die Nase und deshalb lassen sich Herr Torhanyi und Fräulein Amalia und Adorjan Borcz einander gleich ehrsamen Fremden vorstellen.

Als sich die Glieder der Gesellschaft erwärmt, als die Fremden sich mit einander befreundet hatten, wurde ein Spiel vorgeschlagen.

Kein Karten-, sondern ein Unterhaltungsspiel, wo ein Mensch mit dem anderen spielt, blos damit er lache und die gute Laune erhöht werde. Sowie es einer wünschte, waren die übrigen sofort bereit dazu und man berieth blos, was gespielt werden sollte.

Man behauptet, es stecke keine Gemüthlichkeit in dem Ungarn; – hättet Ihr uns nur in unserer Jugend gesehen, wie wir uns spät Abends am dreifachen Lauf belustigten; die Aufgabe bestand darin, daß jeder das eigene Liebchen erhasche und wenn er dessen nicht habhaft werden konnte, ein anderes Mädchen zu fangen und wenn sich die Paare fanden, welche Freude gab es da! Wer ohne Paar blieb, wurde ausgelacht, im nächsten Augenblick ward ein anderer verspottet, um zuletzt in Eintracht die Theilung vorzunehmen: diese ist mein, jene dein.

Oder wenn der blinde Geiger gespielt wurde, da man einem der Mitspielenden die Augen verband, ihm einen Kochlöffel in die Hand gab, während die übrigen Glieder der Gesellschaft, Männlein und Weiblein im Kreise sich um ihn drehten; der in der Mitte Stehende deutete nun mit seinem Holzscepter auf einen der im Kreise sich Drehenden, worauf der ganze Kreis sofort anhielt und auf den Befehl des Fragers der Bezeichnete einen Ton von sich geben mußte; des nur mit Mühe unterdrückten Lachens halber konnte der Ueberraschte den verlangten Ton kaum hervorbringen, es gab nun schallendes Gelächter, wenn er sich verrieth, aber ein noch schallenderes, wenn der Frager nichts errieth.

Hatten wir auch hieran genug, so wurde etwas anderes vorgenommen und ein junger Mann und ein junges Mädchen ausgewählt: dies ist das Lamm, jener der Wolf; die Gesellschaft bildete einen Kreis, der den Zaun vorstellte; innen das Lamm, draußen der Wolf, der den Zaun zu durchbrechen suchte; gelang es ihm, so ward das Lämmchen hinaus gelassen und der Wolf zurückgehalten, bis auf einmal das Lämmchen sich selbst fangen lassen will, der Wolf aber frißt es nicht auf, sondern küßt es herzhaft und es wird ein Pärchen aus ihnen, das sich nun mit in den Kreis stellt, worauf die Reihe an die übrigen kommt.

Wenn wir auch dies satt hatten, setzten wir uns nieder und warfen uns gegenseitig ein Tuch zu, wobei wir herzählten, weshalb und mit wem wir böse seien? Zuweilen hatten wir großen Grund zum Bösesein, den wir in der Schnelligkeit gar nicht anführen konnten, worauf ein Pfand gegeben werden mußte. Die vielen Pfänder bildeten bald einen ganzen Berg, worauf uns irgend eine alte Frau Gevatterin vornahm und Gericht über uns hielt: was wohl der Sünder verdiene, dessen Pfand sie jetzt in der Hand hat? wie athemlos man ihr Urtheil erwartete! Wurde bestimmt, daß wir Statue stehen sollen? oder uns selbst küssen? Dreimal lügen oder betteln gehen? in den Brunnen fallen? Verse hersagen? singen oder deklamiren? endloses Holz finden? auf den Knieen liegend Kerzen anzünden? Beichte ablegen? eine Predigt halten, wobei einer spricht, der andere gestikulirt? – Ach, dies alles war so unterhaltend, daß man sich darüber zu Tode lachte und man sich vor guter Laune nicht zu lassen wußte.

Heute hat das alles ein Ende; heute spielen wir nur Karten, tanzen, politisiren und fangen wieder von vorne an: spielen Karten, tanzen und politisiren; Niemand spielt, Niemand unterhält sich mehr, sondern staunt darüber, wie man sich mit solchen Nichtigkeiten so gut amüsiren konnte.

Eben ist die Gesellschaft beim Schnupftuchwerfen angelangt, wozu sich bereits die junge Gräfin Cäcilie und Fräulein Esti einfanden, nachdem sie ihre Arbeiten in der Küche beendeten. Einer Verabredung gemäß waren die beiden Mädchen ganz gleich gekleidet: beide in Rosa, mit einer Rosenknospe im Haar und trotzdem waren sie einander so wenig gleich, wie Erde und Wasser: Esti ein braunrothes, lebhaftes, unruhiges Geschöpf, ein geistvolles, schwatzhaftes, muthwilliges Ding, sprudelnd von Witz und Laune; Gräfin Cäcilie ein ruhiges, sanftes, träumerisches Gesicht, mit großen, ausdrucksvollen blauen Augen, die klugen schweigsamen Lippen öfter geschlossen wie gesprächig, auf den weißen rosig angehauchten Wangen hatte nur die Hand der Natur den Zauber der Schönheit ausgegossen, kaum vermochte sie zu lächeln und trotzdem war sie so schön. Esti eine trotzige Biene, die den Zaghaften summend zurückschreckt und auch stechen kann, wenn es sein muß, Cäcilie ein schüchterner Schmetterling, der vor dem Nahenden flieht und für den Blüthenstaub seiner Flügel fürchtet.

Auch Esti mußte Pfänder abgeben; einmal wußte sie sich gewandt aus der Sache zu ziehen, denn sie ward verurtheilt, in den Brunnen zu fallen und da rief sie sich den anekdotenerzählenden alten Herrn aus der Ecke herbei und küßte ihn dort vor aller Augen; beim zweiten Pfand aber wurde sie verurtheilt, Kaffee zu versüßen und dies ist schon gefährlicher. Wenn das Pfand nicht zufällig der Speisekammerschlüssel war, hätte sie es noch abgeleugnet, daß es ihr gehöre, so aber war sie gezwungen, ihre Aufgabe zu erfüllen und sie entsprach auch derselben, nicht ohne vorher der halben Gesellschaft die Augen ausgekratzt zu haben.

Nun nahm der Richter – Gevatterin Borsod – auf einmal zwei Pfänder in die Hand und fragte, was die beiden Verbrecher werth seien, die dieselben dort gelassen?

Die Geschworenen bestimmten, die Gottvergessenen mögen betteln gehen.

Wessen waren also die Pfänder?

Das eine anerkannte jener anspruchslose junge Mann als sein Eigenthum, von dem wir noch gar nicht recht gesprochen hatten; der Arme! er hatte auch ein großes Verbrechen begangen, indem er während des Spiels Cecil »Fräulein« genannt hatte, trotzdem man beim »Taschentuchwerfen« stets per Du ist und hierfür mußte er denn ein Pfand geben. Und er hatte sich bescheiden in sein Schicksal ergeben.

Das zweite Pfand fand aber keinen Eigenthümer.

Es war ein winziger mit einem Rubin geschmückter Ring, von so kleinem Umfange, wie wenn er einem Kinde angehörte, ein niedliches Schmuckstück. – Umsonst! Der Rubinring fand keinen Eigenthümer, Niemand meldete sich.

Endlich erblickte ihn Esti, die ihn auch sofort erkannte.

»Ah! der gehört ja Cecil! wem anders würde denn solch' ein Ring passen?«

Als sich Cecil verrathen sah, sprang sie von ihrem Sitze empor und wollte davonlaufen.

Esti eilte ihr nach, ergriff sie und brachte sie zurück.

»Ach liebste Freundin, das geht nicht so leicht. Weil Du ein Grafentöchterlein bist, bist Du nicht mehr zu bemitleiden, als eines armen Mannes Tochter. Gehe nur betteln, wenigstens wirst Du erfahren, wie traurig es um arme Leute bestellt ist.«

Cecil war wirklich erschrocken, sie erröthete und befand sich in heller Verlegenheit, sie hätte am Ende noch zu weinen begonnen, wenn Frau Borsod nicht freundlich ermuthigt hätte.

»Mein allerliebstes Fräulein, im Spiele giebt es kein Schämen ...«

Bebend ließ sie sich zwischen die in der Reihe Sitzenden zurückführen, wo ihr ihr Sündergenosse mit unbehülflicher Galanterie den Arm reichte. Der Arme war erschrecklich ungeschickt. Er fürchtete sich vielleicht noch mehr, wie seine Gefährtin. Als er Cecils Hand ergreifen mußte, wagte er dieselbe kaum mit seinen Fingerspitzen zu berühren; er befürchtete vielleicht, das Zuckerpatschchen könnte bei zu derbem Anfassen in seiner Hand zerfließen.

Als Vorderste in der Reihe saß die strahlende Schönheit Amalia, neben ihr Adorjan. Bescheidenen Tones brachte der junge Bettler seinen kurzen Spruch hervor, indem er von Amalien »für mich einen Kuß, für meine Gefährtin ein Stück Brot« erbat.

Mit stolzer Nonchalance reichte die imponirende Schönheit ihre Wange dar, wie wenn sie damit zeigen wolle, daß man derlei gar nicht wahrnehmen dürfe. Erröthend, verwirrt näherte sich ihr der junge Mann und Jeder sah es deutlich, daß er nicht sie, sondern blos in die Luft küßte, ohne das schöne Gesicht auch nur zu berühren. Er ward dafür auch ausgelacht.

Jetzt traten sie vor Adorjan hin; hier nahm sich der junge Mann zusammen und brachte in größter Ruhe seinen Spruch mit folgender Variation an:

»Für mich bitte ich ein Stück Brot, für meine Gefährtin aber einen Kuß – auf die Hand.«

Damit streckte er Adorjan triumphirend das weiße kleine Händchen hin.

Dies war ein so – ausgezeichneter Einfall, daß Alle Beifall klatschten. »Bravo! Das war in Ordnung! Ein wackerer Junge! Die ganze Gesellschaft hat er angeführt!« Und dann ließ er seiner schönen Gefährtin vor der ganzen Gesellschaft die Hand küssen und wer weiß, wer kann es gesehen haben, ob sein Lohn nicht ein Niemandem bekannter Druck von jener kleinen zarten Hand gewesen?

Von diesem Momente an hatte der anspruchslose Jüngling die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich gelenkt. Die Leute fragten einander, wer er sei und woher er komme?

Niemand kannte ihn, nur die Hausfrau wußte, daß er Julius Feher heiße: ein so gewöhnlicher Name, den der Mensch im nächsten Moment wieder vergißt. Sicherlich irgend ein Kanzleischreiber, – er ist ja so bescheiden. Das war aber ein geistreicher Einfall von ihm.

Jetzt sah man blos Geist darin; wenn der Mensch aber so gut in die Zukunft blicken könnte, wie er es nicht kann, würde er darin auch Anderes sehen.

Vielleicht knospende Zärtlichkeit.

Vielleicht sich erst regenden Haß?

Vielleicht aufkeimende Eifersucht?

... Lassen wir jetzt aber das Tüfteln, denn die Suppe steht auf dem Tisch.

Dies ist jetzt das klügste; – die Suppe steht am Tisch.

Ja, ja, die Suppe, meine Werthen. Wir begannen die Abendmahlzeit mit der Suppe und nicht mit Kamillenthee wie Ihr. Und was war das für eine Suppe! Hell vom Fett der darin gekochten Hühner, duftig und kräftigend selbst der Dampf derselben und nur soviel gesalzen und gepfeffert, um den lieblichen Zuthaten des Zellers und der Petersilie die Wage zu halten. Wem's nicht recht ist, möge es sich mit dem Paprika nach Wunsch vergiften. Und erst was für Leckerbissen darin sind! Mit weiß der Himmel was gefüllte wohlschmeckende Klöße, die dem Menschen nur so im Munde zerfließen. Ja, liebste Freunde, wir haben's aufgegessen, haben's sogar repetirt, Ihr aber bleibet immerhin bei Eurem Kamillenthee.

Die Gäste setzten sich. Es dauerte lange, bis man sich zu einigen vermochte, wo man sitzen solle; über diesen Gegenstand entstanden ehedem stets Schlägereien bei uns. Endlich kam man überein, daß an einem Tischende die Jubilaten, am anderen die beiden Hausfräuleins Platz nehmen sollten, worauf man sich nach und nach in bunter Reihe niederlassen konnte.

Jetzt wünschte man sich einen gesegneten Appetit und für einige Minuten verstummte ein Jeder, damit wer vorher für sich beten wolle, es in Frieden thun könne, dann aber begann das Klirren der Löffel.

Bei der nächsten Schüssel war in der Gesellschaft bereits jene amabilis confusio in bestem Gang, ohne welche die Unterhaltung gar keine Unterhaltung ist und da jeder Mensch mit seinem Nachbar sprechen kann, worüber er will und nicht gezwungen ist zu schweigen, wenn einer allein das Wort führt; hier lacht man, dort wird geflüstert, ohne daß man sich gegenseitig stört. Höchstens wird man von der Hausfrau oder von dem aufwartenden Haiduken mit der herumgereichten Schüssel gestört, die mit Jedem disputiren, daß von diesem Truthahn oder diesem Hasen noch genommen werden muß: Nur noch dieses Stückchen, dieses gebräunte da, mir zu Liebe, sonst giebts Schelte! Zuweilen erweckt irgend ein witziger Toast die Aufmerksamkeit, worauf ein Hoch! ausgebracht wird, die Gläser an einander klirren und die Lust noch höhere Wellen schlägt. Die alten Herren lachen und drücken einander unter dem Tische gerührt die Hände; das scharfe Lachen der Frau Borsodi übertönt alle anderen Töne. Auch die Jungen bieten einen interessanten Anblick! Esti und Cecil zerbrechen im Geheimen den Brustknochen eines Huhnes, selbstverständlich bekam Esti den größeren Theil, was aber Niemand merken darf. Amalie lacht ein wenig; ihre Nachbarn vernachlässigen sie. Julius Feher ist zerstreut, seine Augen schweifen stets anderswo und er scheint es selbst zu fühlen, daß er Amalien ungebührlich vernachlässige, denn wenn er sich ertappt, bietet er ihr stets Schüsseln an, die sie nicht wünscht; Adorjan aber ist völlig gleichmüthig, seine schönen Augen bewegen sich kaum von Zeit zu Zeit, Nichts scheint ihn zu interessiren und nur wenn ein Toast ausgebracht wird, erhebt auch er sein Glas und leert es bis zum letzten Tropfen, ohne daß es irgend eine Wirkung bei ihm hervorruft. Amalia ist hierüber so aufgebracht, daß sie ihre Nachbarn einmal bereits damit beschämte, daß sie von dem Vater des drei Plätze von ihr entfernt Sitzenden Wasser verlangte, worauf sich vier Hände ausstreckten, um ihr das Gewünschte zu reichen und auf dem Tische eine kleine Ueberschwemmung entstand. Am Ende der Mahlzeit ward aber Julius so sehr von seiner Nächstenliebe erfaßt, daß er Amalien verzuckerte Haselnüsse anbot und ein Gespräch mit ihr über diesen Gegenstand beginnen wollte, ob sie bereits Josika's neuesten Roman gelesen habe? All diesen Bemühungen machte die schöne Amalie aber mit der Antwort ein rasches Ende, daß sie noch niemals ein ungarisches Buch gelesen habe. Nun bot ihr Julius keine verzuckerten Haselnüsse mehr an.

»Sind Sie nicht schläfrig?« fragte Amalia höhnisch zu ihrem anderen Nachbar gewendet, der mit seiner Gabel auf seinem leeren Teller kritzelte.

»In der That nein,« antwortete Adorjan und lehnte sich gleichmüthig in seinem Stuhle zurück; »indessen bin ich des Guten bereits ein wenig überdrüssig. Ich mag so wenig mehr schöne Damen sehen, wie ein Gesättigter die Speisen.«

Nach dieser Grobheit steckte er die Hände in die Tasche und blickte so kalt wie ein Schlafwandler auf das rothe Gesicht des ihm gegenübersitzenden anekdotenerzählenden alten Herrn, trotzdem er ihm sonst zuzulächeln pflegte.

In diesem Momente ertönte draußen im Hausflur die Musik der ihnen nachgekommenen Zigeuner und über Adorjans Gesicht zuckte mit einem Male ein Strahl zitternder Lust. Dies allein war noch von Wirkung auf ihn. Seine Augen öffneten sich weit, ein Lächeln spielte um seine Lippen, seine Gestalt richtete sich empor: – er ward ein ganz anderer Mensch. Ach! die Musik war der ergänzende Theil seiner Seele. Ein so ergänzender Theil, wie der Opiumrauch für den arabischen Schwärmer. Sein Gesicht leuchtete vor Lust und unter dem Tische konnte man das Klirren der zusammengeschlagenen Sporen vernehmen.

Bei den Geigentönen stieß Andreas Gabor seinen Stuhl zurück, bat um Verzeihung für diese Grobheit, küßte die Hand der Hausfrau, wünschte ihr noch weitere fünfzig Jahre nach den bereits erlebten, dann aber waren die Beiden nicht länger mehr zu halten und sie stürmten hinaus, den Zigeunern entgegen.

Ah, der Zigeuner! Der arme Zigeuner! – das war die höchste Sorge! Vielleicht waren sie während des ganzen Nachtmahls von der Furcht beunruhigt worden, ob jenen nicht etwas zugestoßen, ob kein Violinbogen, keine Baßseite gesprungen sei, ob sich der Primas nicht die Hand ausgerenkt habe oder ob sie nicht gar durchgegangen seien? Ach, die treuen Burschen! Sie verdienen, daß man sie küsse und im Triumph in den Saal führe, wie siegreiche Anführer die verwundeten Helden. Der Zigeuner hat keine weiteren Noten, als das Gesicht desjenigen, der seiner Musik lauscht; von den Gesichtern der Zuhörer sieht er Trauriges und Lustiges ab, bis er dann dessen Seele seiner Geige einhaucht, daß nun mehr er nach Belieben Lust oder Traurigkeit hervorruft.

Die beiden jungen Leute sind wie verwandelt. Jetzt waren sie die, für die sie Fama ausgab. Andreas Gabor die stattliche Heldengestalt; Adorjan Borcz der Herzensräuber.

Sie Beide allein vollführten jetzt den bereits aus der Mode gekommenen Tanz, der so wunderbar schön war und den Mann gegen Mann mit stolzen, kräftigen Schritten auszuführen pflegte. Der ganze Körper ist in Bewegung und jede Bewegung ist voll Plastik und Anmuth. Das Lächeln des Gesichtes, das Funkeln der Augen spielt die Hauptrolle bei diesem Tanze, der auch nicht für den ersten Besten taugt, denn er blieb noch aus jener Zeit für uns zurück, da der Ungar tanzte, da die Kraft seines Herzens und seiner Seele keinen Ausweg fand, er tanzte aus Heldenstolz nach beendeten siegreichen Schlachten. Auch ich sah diesen alten Tanz nur einige Male, sehe ihn aber noch jetzt deutlich vor mir. Keine Phantasie vermag den bezaubernden, edlen Tanz sich vorzustellen, welchen der schönste Jüngling der Gegend dort Angesichts der staunenden Gesellschaft vollführte; das Feuer aller Augen schien auf seinem Gesichte konzentrirt zu sein, welches von so leuchtender Schönheit war; jede Bewegung verrieth Anmuth, Kraft und Gewandtheit. Und er wußte es; wie bohrten sich seine Augen in die der schönen Damen, wie verstand er es, sich für sie zu begeistern; er war ein ganz anderer Mensch, als wie er es vor einer halben Stunde gewesen. Jedes Gesicht verrieth, welches Wohlgefallen er errege – blos jenes Amaliens nicht. Denn sie liebte ihn.

*

Während drinnen die Lust immer höher anschwillt, wirbeln Schneeflocken draußen auf der Ebene; der Himmel ist ganz grau geworden, der Mond scheint nicht, blos die weiße Schneedecke erhellt ein wenig die Nacht. Kaum vermag man die Spuren zu erkennen, welche der Schlitten auf dem vom Schnee bedeckten Wege zurückgelassen.

Auf diesem zweifelhaften Wege, welchen die Nacht und der Schneefall noch mehr verhüllen, ziehen zwei Wanderer hinter einander dahin. Der Vordere ist ein Reiter oder eine Reiterin, der zweite ist ein hungriger Wolf.

Ein weiter Mantel umhüllt die Reiterin: auf ihrem Kopfe sitzt eine Pelzmütze; blos ihre Stimme verräth, daß es eine Frau ist.

Sie plaudert mit ihrem Pferde, welches von Zeit zu Zeit den klugen Kopf emporwirft, die Ohren spitzt, mit den Nüstern wittert und unruhig wiehert. Es fühlt den Geruch des Wolfes.

»Fürchte nichts mein lieber Dryas; es ist nur ein einzelner Wolf, es kommen nicht mehr. Du befandest Dich schon in größeren Gefahren mit mir. Du weißt ja, bei der Bärenjagd zu Gyergyo.«

Das Pferd wiehert gleichsam als Antwort, wie wenn es verstände, was man zu ihm gesprochen.

»Na, eile nicht. Gehen wir nur sachte voran, sonst verlieren wir den Weg. – Unser Feind wagt es nicht, näher zu kommen. Und wenn er kommt, wird es nur sein Schaden sein. Siehe, ich brachte beide Pistolen mit mir. Und Du weißt, ich fehle nicht.«

Der Hengst blickte zurück, wie wenn er in der That die Pistolen sehen wollte und als er die Hähne nach einander knacken hörte, hob er stolz den Kopf empor. Nun fürchtet er sich nicht mehr.

Der Weg führte jetzt durch einen Wald, wo er nicht mehr zu verfehlen war; hier ließ die Reiterin ihr Pferd in Galopp fallen, wobei sie so fest und sicher im Sattel saß, wie ein Mann.

Der Wolf, welcher bis jetzt dem Pferde auch nur im Trabe gefolgt war, begann nun, als jenes zu galoppiren begann, demselben nachzustürmen; bis jetzt war er demselben blos gefolgt, nun aber begann er es zu verfolgen.

Die Reiterin blickte zurück und sah, daß der Zwischenraum abzunehmen begann; – der Wald war dunkel, die Gegend verlassen und unbewohnt; instinktiv begann das Pferd immer rasender einherzujagen.

Endlich beschrieb der Weg eine Windung, welcher die Reiterin zu folgen gezwungen war, während der Wolf durch Dick und Dünn brechend, ihr zuvorkam.

»Nun bleibe ruhig stehen Dryas,« sprach die Amazone zu ihrem Pferde und hielt dasselbe der ihnen entgegenkommenden Bestie gegenüber an. »Mache keinen Seitensprung. Stehe hübsch ruhig. Ich bin ja da. Fürchte nichts.«

Heulend sprang der Wolf aus den mit Schnee und Eis bedeckten Gebüschen hervor, mit grünlich schillernden Augen gegen das Pferd einherstürmend, welches ohne zu zittern vor ihm stand. Auf fünf Schritte traf ihn der Schuß; das ungeheure Thier brach mit einem Luftsprung zu den Füßen des Rosses zusammen. Dieses schnob heftig, setzte mit einem Sprung über die todte Bestie hin und galoppirte stolz das Haupt schüttelnd, weiter.

Nach einigen Minuten gelangten sie aus dem Walde und im Hintergrunde der freien Ebene erblickte die Reiterin die erleuchteten Fenster des Schlosses.

»Ah, sie warten noch auf uns Dryas; siehst Du, wir kommen noch zurecht, gleich wirst Du daheim ausruhen können. Du bist auch lieber hier, wie in Klausenburg. Es ist schon lange her, daß Du da gewesen, nicht wahr? Würdest Du mit verbundenen Augen noch hinfinden, wie ehemals?«

Der Hengst hob und senkte wie bejahend den Kopf und in der That mußte man ihn nicht mehr lenken; er wußte ganz gut, welcher Weg zum Schlosse führe, trotzdem derselbe noch von drei anderen durchschnitten wurde.

Nach einer Viertelstunde stand das Pferd im Hofe des Schlosses. Verwundert umkläfft es Drava, wie wenn er gar nicht aufzufassen vermöchte, was die da suchen, die von Niemandem erwartet werden.

Durch die Fenster des Verwalters tönt das lustige Klingen des Cymbals durch die dumpfen Töne der Baßgeige. Dort drinnen geht's jetzt lustig zu, auch das Gesinde ist guter Dinge, Niemand befindet sich im Hausflur.

Die Reiterin steigt aus dem Sattel und den Zügel über den Hals des Thieres werfend, versetzt sie ihm einen leichten Schlag mit der Hand und spricht: »nun gehe in den Stall.«

Der Hengst schreitet jetzt gerade auf die Ställe zu; die Thüre, durch welche er eintreten will, ist mit einem Riegel verschlossen, durch die übrigen offenen Thüren aber darf er wie er wohl weiß, nicht eintreten. Er erfaßt daher mit überraschender Klugheit mit den Zähnen den Griff des Riegels, öffnet sich allein die Thüre und tritt in seine Behausung ein.

Die Reiterin aber klopfte an ein finsteres Fenster des Erdgeschoßes. Dort wohnt der alte Pförtner, der es sicherlich nicht mit den Tanzenden hält, denn niemals war er noch irgend Jemandem zu Liebe länger als bis acht Uhr wach geblieben. Er erhebt sich jetzt in der That auch aus dem Schlafe und kommt zu der wartenden Dame heraus, deren Anwesenheit ihn durchaus nicht zu überraschen scheint. Zwar wollte er seine Pelzmütze lüften, doch merkte die Reiterin, daß sie zu fest auf seinem Kopfe sitze und nur schwer zu heben sein wird, weshalb sie ihn denn bat, es nur zu unterlassen; er möge sich lieber beeilen, ihr die Zimmer des anderen Flügels zu öffnen, dann möge er in den Stall gehen, das Pferd entsatteln, es ein wenig auf- und niederführen und ihm sodann Hafer geben; um sie aber solle er sich nicht bekümmern, denn sie werde nichts benöthigen.

Der Pförtner war ein schweigsamer Mann, der die erhaltenen Befehle ausführte. Er öffnete die Zimmer der gräflichen Wohnung, zündete die Kerzen an, machte Feuer im Kamin und wünschte eine geruhsame Nacht, da er sich wohl denken mochte, daß etwaige andere nothwendige Dienstleistungen die Jungfer der Verwalterin verrichten werde, denn das ist nicht Sache des Pförtners.

»Welch ein Fest wird heute bei dem Verwalter gefeiert?« fragte die Dame den Alten.

»Er feiert seine silberne Hochzeit,« antwortete jener, ein mächtiges Gähnen in der hohlen Hand verbeißend.

»So sollen sie nicht gestört werden. Niemand darf meine Anwesenheit verrathen, sie sollen guter Dinge sein. Bringen Sie mir blos frisches Wasser, mehr benöthige ich nicht.«

Der Beschließer gehorchte, er brachte das Wasser, versah das Pferd, wonach er sich in sein Zimmer begab und weiterschlief. – Im anderen Flügel erfuhr man gar nichts von der Anwesenheit des neuen Gastes.

Dieser neue Gast war eine junge blonde Dame, mit großen, lebhaften, offenen blauen Augen, die von dünnen braunen Brauen überzeichnet erschienen, die an der Nasenwurzel fast zusammenstoßend, dem ganzen Gesichte einen absonderlich kühnen Ausdruck verliehen. Wenn die Augenbrauen nicht so fein gewesen wären, hätten sie vielleicht Furcht einflößen können.

Die dünnen Lippen und das schmale eirunde Kinn verleihen diesem in jedem seiner Züge geistvollen Gesicht, welches auf den ersten Blick überrascht, einen launenhaften Ausdruck, während die kleinen blonden Locken, die von dem zur Seite geschleuderten Hute befreit worden, dem Antlitze eine Nüance sanfter Melancholie anhauchen, wenn sie einmal stille steht und den Kopf hängen läßt.

Doch währte dies stets nur einen Moment; im Zimmer auf- und niederschreitend, gelangte die junge Dame unversehens vor einen Spiegel und als sie zufällig einen Blick in denselben warf, brach sie plötzlich in Lachen aus, schlug die Hände zusammen, lachte ihrem eigenen Spiegelbilde ins Gesicht, wie wenn beide darüber lachten, sich gerade hier zu finden, wo sie auf keine Begegnung vorbereitet gewesen. Dann schüttelte sie den Kopf und drohte mit dem Finger der Gestalt in dem Spiegel, die gleichfalls den Kopf schüttelte und zurückdrohte. Damit wandten sie einander den Rücken.

Auch jetzt spielte bald Hohn, bald das Lächeln der guten Laune um die Lippen der Dame. Während das Feuer im Kamin knatternd zu brennen begann, hielt sie ihre in kleine Pelzstiefelchen gepreßten Füßchen an die Wärme, worauf sie in dem Gemach auf- und niederzuschreiten begann, wobei sie mit ihrer Reitpeitsche in der Luft umherfuchtelte. Zuweilen schien es sogar, wie wenn sie den Rücken irgend einer imaginären Gestalt mit ihrer Geißel bearbeitete und da sprühten ihre dunkelblauen Augen Feuer und ihr Gesicht nahm einen harten Ausdruck an. Endlich führte sie einen gewaltigen Schlag gegen die Tischplatte, daß es laut schallte, dann warf sie sich erschöpft in einen Armstuhl, senkte den Kopf in die Hand und starrte in das Kaminfeuer, unbeweglich wie eine Statue.

Im anderen Theile des Gebäudes aber wurde getanzt und musizirt.

Obschon der Herr Verwalter heute seine silberne Hochzeit feiert und trotzdem er Stiefel mit silbernen Sporen an den Füßen hat, versäumte er nicht, die fröhliche Gesellschaft zu verlassen und in den Stiefeln mit silbernen Sporen in den Hof hinauszugehen und der Reihe nach die Ställe zu besichtigen, ob nicht einer der vielen fremden Kutscher mit der Pfeife im Munde eingeschlafen sei, ob die Pferde einander nicht stoßen, und ob die Dienstleute an Ort und Stelle sind, denn wenn da irgend ein Unglück entsteht, mag der Teufel die ganze Hochzeiterei holen!

Als er nun die Stallthüren der Reihe nach abschreitet, stutzt er plötzlich; wer hat denn diese Thüre aufgemacht? Er blickt hinein und sieht, daß dort auch ein Pferd eingestellt ist. Zum Teufel! wie darf man in der Abtheilung der gräflichen Pferde fremde Pferde einstellen? Wer hat das gethan? Ist denn in den übrigen Stallungen nicht genügend Raum? Er selbst ging gleich hinein, um das fremde Pferd anderwärts unterzubringen, kaum aber berührte er es, als dieses ein leises behagliches Gewieher hören läßt, wie wenn es ein alter Bekannter wäre und sein Maul ohne Weiteres in seine Tasche steckt, von dort sein Taschentuch hervorzog, es emporhob, und es sodann wegwarf, da nichts in demselben war.

»Schau, schau,« brummte der Verwalter. »Der thut genau so, wie der Dryas, der sowie er mich erblickt, über meine Tasche geht und wenn er weder Zucker noch Brot in derselben findet, mir mein Taschentuch oder meinen Tabaksbeutel abnimmt. Wem mag doch dieses Thier gehören?«

Man brachte Laternen und staunend sah der Verwalter, daß er Dryas vor sich habe.

Das Pferd wieherte lustig, wie wenn es lachend sagen wollte: »freilich bin ich der Dryas; hat mich denn der alte Herr nicht erkannt?«

»Wie kommt aber der hierher? Wer hat Jemanden mit ihm kommen gesehen?«

Niemand wußte etwas zu melden. Das Thor war offen, damit wenn ein Gast kommt, er den Weg finde, und die Dienstleute waren anderweitig beschäftigt. Ein Kutscher wußte so viel, daß er irgend einen Mann gesehen, wisse aber nicht wen, der das Roß auf- und niedergeführt und ihm Futter gegeben habe. Doch weiß er nicht bestimmt, ob er nicht all' dies geträumt habe.

»Wen hast Du gebracht Dryas?« fragte der Verwalter das Pferd, welches schmeichelnd den Kopf an ihm rieb. »Kam der Graf mit Dir?«

Dryas schüttelte den Kopf bei dieser Frage. Nicht dieser war's.

»Vielleicht die Gräfin?« fragte der Verwalter weiter, selbst immer mehr über die Kühnheit seiner Fragen erschreckend.

Der Hengst nickte bejahend. Die Gräfin kam.

»Die alte Gräfin?«

Das Pferd verneinte.

»Also – die junge?« Dies war übrigens kaum anzunehmen.

Dryas aber nickte, daß die junge gekommen sei.

Es konnte kein Zweifel mehr sein. Dryas pflegte weder zu lügen noch zu scherzen. Wo ist aber die Person, die gekommen war? Mit wem hatte sie gesprochen?

Auf diese Frage konnte man sich am ehesten Gewißheit verschaffen, indem man sich in den gräflichen Trakt hinab begab und dort Erkundigungen einzog.

Schon beim Eintritt überraschte es den Verwalter, daß die auf den Korridor führende Thür offen stehe. Er trat ein durch dieselbe; das Vorzimmer, der Speisesaal waren dunkel, durch das Schlüsselloch des folgenden Zimmer aber fiel bereits ein Lichtstrahl.

Auch jetzt wußte es der Verwalter noch nicht, ob er nicht die Seele irgend eines Verstorbenen, oder ein sonstiges Gespenst finden werde und sein Herz pochte heftig als er die Hand auf die Thürklinke gelegt.

Zuerst pochte er an. Keine Antwort. Er pochte ein zweites Mal, ohne daß ein »Herein!« ertönte. Nun entschloß er sich kurz, öffnete leise die Thüre und erblickte beim Scheine des Kaminfeuers die träumerische Frauengestalt sitzen, mit in die Hand gestütztem Haupte und traurigem, bleichem Gesichte, daß er jetzt wirklich vor ihr erschrak.

Es ist unmöglich, daß sie das sei!

Als die Dame bei dem Geräusche emporblickte, belebten sich beim Anblicke des Eintretenden ihre Züge; sie lächelte, sprang von ihrem Stuhle empor und eilte ihm entgegen, wobei sie mit komischer Verwunderung fragte:

»Wie kommen Sie denn hierher, bester Verwalter?«

Dem Verwalter blieb das Wort im Munde stecken. Gerade er wollte dies von der Dame fragen und war höchlich überrascht, als sie ihn dasselbe fragte.

»Ich hatte doch verboten, Sie bei ihrem Feste zu stören; wer verrieth Ihnen, daß ich da sei?«

»Um Vergebung: Der Dryas ...«

»Der Dryas?« lachte die Dame laut auf ... »Nun sehet einmal den Verräther!«

»Um Vergebung Comtesse ... oder Baronin ...« stotterte der Verwalter verlegen.

»Bleiben wir nur beim ersten liebster Malai,« sprach die Dame und schüttelte sich graziös vor Lachen. »Ich bin nicht Baronin.«

»Wie beliebten zu sagen? ...« fragte der gute Mann, dessen Verlegenheit fortwährend zunahm. »Und die festgesetzte Hochzeit?«

Die Fröhlichkeit der schönen Dame wuchs stetig. Kaum vermochte sie hervorzubringen:

»Ich bin vor derselben durchgebrannt.«

Das Lächeln einer unverhohlenen Freude breitete sich über das Gesicht des Verwalters, es fehlte nur wenig, so hätte er in das Lachen des Fräuleins eingestimmt, was aber auch im übrigen nur eine Seltenheit bei ihm war.

Das Fräulein konnte nicht widerstehen, hierfür dem Alten um den Hals zu fallen, der aus einer Verlegenheit in die andere gerieth.

»Aber der Baron; – der gnädige Herr Baron?«

»Der Baron? Den ließ ich im Stiche.«

»Im Stiche? hahaha! Um Vergebung ...

»Ja im Stiche,« sprach die Dame und jetzt lachte sie nicht mehr. Jetzt funkelten ihre Augen wieder; sie ergriff ihre Reitpeitsche und begann mit derselben zu ihren Worten zu gestikuliren. »Ich ließ ihn bis zum Altare kommen, ließ ihn sich putzen und schmücken, ließ das Hochzeitsgefolge sich versammeln, ließ ihn dem Priester die ganze Litanei nachplappern; ah! wie verstand er es, sich zu verstellen! jeden Satz sagte er her, wie es schlechte Schauspieler zu thun pflegen und als man mich nun fragte: ›liebst Du diesen Mann?‹ da antwortete ich: ›nein! ich liebe ihn nicht!‹ und ich stieß seine Hand von mir und bezeigte ihm meine Verachtung vor aller Welt! – Ah, dies that wohl!«

Die junge Dame schlug bei diesen Worten mit solcher Gewalt mit dem Knauf ihrer Gerte auf den Marmor des Kamins, daß der Achatknopf in hundert Stücke auseinander sprang.

»Das that hier so wohl!« sprach sie mit der kleinen Hand, in welcher sich so viel Kraft barg, auf ihr Herz schlagend.

Der alte Verwalter geberdete sich wie einer, der sich gar zu gerne der Freude überlassen möchte, wenn er nicht wieder Grund hätte, traurig zu sein.

»Unter anderem – wissen Sie nicht, wohin sich mein Vater aus Klausenburg gewendet? ich habe Niemanden zu Hause gefunden,« fragte die Gräfin.

Dies war ja eben auch dem Verwalter durch der Kopf gegangen und hatte ihn sich durchaus nicht freuen lassen.

Er beeilte sich demnach zu antworten:

»Der gnädige Herr reiste nach Preßburg.«

»Meine Mutter auch?«

»Auch die gnädige Frau.«

»Vielleicht gerade meinethalben?«

»In der That, nur wegen der gnädigen Comtesse.«

»Mein armer guter Stiefvater. Es thut mir leid, daß er in dieser Kälte diese Reise macht. Sie haben ihn aber doch nicht ohne Pelz diese Reise antreten lassen? Es würde mir leid thun, wenn er sich meinethalben erkälten sollte.«

»Noch dazu reisten sie des Nachts ab und sagten, sie werden Tag und Nacht mit gewechselten Pferden eilen, um nur früher dort anzukommen, bevor ...«

»Bevor diese Heirath zu Stande kommt? Mein armer guter Vater, wie besorgt er um mich ist. Welchen Unannehmlichkeiten hätte er sich noch ausgesetzt, nur um mich zu retten. War er sehr ungehalten?«

»O nein; desto mehr aber die gnädige Frau.«

»Mein Vater zürnte also nicht?«

»Nein. Er weinte.«

»Er weinte?« sprach die junge Dame plötzlich traurig geworden und neigte bekümmert das schöne Haupt. »Er weinte meinethalben? Und er klagte mich nicht an? er verdammte mich nicht?«

»Ich habe kein Wort von ihm gehört.«

»Sagte er nicht, ich sei ein schlechtes, undankbares Geschöpf? Sagte er nicht, er habe es nicht von mir verdient, daß ich gerade jenem Manne meine Hand reichte, der ihn so schwer beleidigt hatte? Sprechen Sie die Wahrheit. Mir wird sie nicht wehe thun. Sagen Sie, war er nicht bereit, mich zu tödten? Sagte er nicht er erschieße mich, wo er mich findet?«

Heftig ergriff die junge Dame die Hand des alten Verwalters und lauschte seiner Antwort, wie wenn sie sowohl die Bejahung, als auch die Verneinung fürchtete.

»Ja Gräfin, die gnädige Frau sprach so; aber mein Gott, kann man ihr das übel nehmen?«

»Aber mein Vater? mein Vater?«

»Der schwieg.«

»Er schwieg? Er sagte nicht einmal so viel, daß dies doch unmöglich sei, daß hier ein Irrthum obwalten müsse? er beschuldigte mich nicht? versuchte auch nicht, mich zu rechtfertigen? ... Er verachtet mich ...«

Der gesenkte schöne Kopf mit den traurig denselben umflatternden Locken drückte den Kummer sprechend aus, welchen die junge Dame in diesem Momente fühlte.

Noch eine peinliche Frage mußte sie überstehen.

»Und was weiß meine Schwester, das arme unschuldige Kind von mir? Hat man auch ihr Alles erzählt? Hat man mich ihr als eine Wahnsinnige und als abschreckendes Exempel beschrieben? Oder schweigt man in ihrer Gegenwart über mich, wie über eine Verlorene? hat man sie ebenfalls mitgenommen oder in ein Kloster eingesperrt, damit sie sich nicht gleich mir verirre?«

Bereitwillig, aber auch ungerne beantwortete der Verwalter all' diese Fragen, denn er konnte wohl das Beste melden, aber nicht wissen, welches die Folgen der Beantwortung sein werden.

»Das gnädige Fräulein – Comtesse Cäcilie – weiß in Wirklichkeit garnichts von der ganzen Sache; auch hat man sie weder mitgenommen, noch in ein Kloster gesperrt; – sondern sie ist – sie befindet sich hier.«

»Wo? hier?« fragte die junge Dame, die großen blauen Augen weit aufreißend, wie wenn sie nicht einmal wüßte, wo sie sich im Moment befindet.

»Hier in meinem Hause,« antwortete der fromme Mann mit ein wenig selbstzufriedenem Gesichte; »unter der Obhut meiner Gattin. Der Herr Graf hat sie ihr selbst übergeben und ihr gesagt, sie möge ein Jahr lang hier bleiben und von der guten Frau den Haushalt erlernen. Und die Comtesse hat sich auch schon eingewöhnt.«

»Cäcilie ist da?« rief die junge Gräfin mit ausbrechender Freude und in ihre Hände klatschend, sprang sie von ihrem Stuhle empor, wie Jemand, dem völlig unerwartet die größte Freude zu Theil geworden. »Cäcilie, mein kleines Püppchen, in diesem Hause? Was macht sie jetzt?«

»Sicherlich tanzt sie.«

»Tanzen?« fragte die junge Dame zurückfahrend, wie wenn sie meinte, der Verwalter beginne zum ersten Male in seinem Leben Witze zu reißen und wolle dieselben nun bei ihr anbringen dann aber besann sie sich, was es im Hause gebe und ihr veränderliches Gesicht hellte sich wieder auf. »Ja richtig; heute wird ja Hochzeit gefeiert, noch dazu eine silberne. Und mein süßes Kätzchen ist sicherlich Kranzeljungfer und nun geht's in den Tanz. Das ist schön! So werde ich sie also zu Gesichte bekommen.«

»Wenn Sie es wünschen, Comtesse, rufe ich sie sofort hierher.«

»Nein, nein! Wohin denken Sie, alter Herr, Sie als Bräutigam? Ein junges Mädchen aus dem Tanze zu holen, da man eine Tour um alle Tanten der Welt nicht hergäbe. Ich werde schon hingehen.«

Es schien, als wenn der heutige Tag dem Verwalter nichts als Wunder zugedacht hätte.

»Comtesse Serena käme zu uns hinüber? Sie würden sich herablassen ...?

»Hahaha!« lachte die junge Dame. »Sie silberner Bräutigam, der fünfundzwanzig Jahre in Freude mit seiner Gattin verlebte und ich Strohbraut, die den Bräutigam am Altar im Stiche gelassen.« Hier wurde sie plötzlich traurig. »Oder haben Sie es gerade verkehrt verstanden? O fürchten Sie nichts. Ich werde Niemandem die Laune verderben. Ich werde lustig sein gleich den Uebrigen, und wenn man mich auffordert, werde ich auch tanzen. Mit meiner übertriebenen Eleganz werde ich den einfachen ländlichen Kreis in dieser halb Reise- halb Reittoilette auch nicht stören und wenn Jemand neugierig genug sein wird zu fragen, was mich jetzt hierhergebracht, so verlassen Sie sich ganz auf mich, denn ich werde da solche Geschichten auftischen, daß man sich nicht genug wird verwundern können.«

Der wackere Mann vermochte da keinen Einwand zu erheben, obschon er sehr gut fühlte, daß er sich da eine Sache auf den Hals lade, über die er viel schwerer werde Rechenschaft ablegen können, als nach Ablauf eines jeden Jahres über die Somlyohazer Herrschaftsverwaltung, doch kannte er Serena so gut, daß er sie gar nicht zu kapazitiren suchte.

Die junge Dame strich sich ohne Spiegel die wallenden Locken ein wenig aus der Stirne, hängte sich in den Arm des alten Herrn und so schritten sie, er mehr von ihr, als sie von ihm geführt durch einen inneren Korridor des Gebäudes, von wo man durch doppelte Thüren gerade in den Saal eintreten konnte, wo dem Tanze eifrigst gehuldigt wurde.

Man tanzte eben eine Polonaise, als der Verwalter die Thüre öffnete und mit nach auswärts gebogenem Arme Serena voranschreiten ließ, während er selbst mit halber Kopflänge zurückblieb und die Dame heiter in den freundlichen Kreis eintrat, und vor allem nach ihrer Schwester ausspähte.

Cäcilie tanzte gerade und sowie sie Serena erblickte, ließ sie sofort ihren Tänzer stehen, stürzte zu ihrer Schwester hin und diese zu ihr und ohne von den Anwesenden Notiz zu nehmen, fielen sie einander um den Hals. Serena bedeckte Gesicht, Augen, Stirne, jede Locke ihrer Schwester mit so leidenschaftlichen Küssen, daß es selbst für einen liebenden Bräutigam zu viel gewesen wäre und überhäufte sie dabei mit den zärtlichsten Schmeichelnamen; die Gesellschaft blickte erstaunt darein, der Herr Verwalter zog den Kopf zwischen die Schultern, wie Jemand, der an Allem unschuldig ist, während die Frau Verwalterin, die eben mit einer Schüssel frischer Krapfen aus dem Nebenzimmer trat, bei dem sich ihr darbietenden Schauspiele die ganze Schüssel aus den Händen fallen ließ, daß die Krapfen lustig zwischen den Füßen der Tänzer umherrollten. Aber auch jetzt jammerte sie nicht um ihre Krapfen, sondern schlug die Hände zusammen:

»Heiliger Jehova! Gräfin Serena!«

Die Frau Verwalterin freute sich sehr darüber, daß sie das saure Gesicht, welches sie auch späterhin beibehielt, durch den Unfall ihrer Krapfen zu erklären vermochte. Sie liebte, unter uns sei es gesagt, Comtesse Serena nicht besonders und hatte sie zu dieser Stunde am wenigsten erwartet. Am wenigsten aber freute sie sich des Umstandes, daß Cäcilie und Serena gerade hierzusammenkommen. – Na – es paßt sich nicht für arme Leute, das Benehmen der großen Herren zu bekritteln, soviel aber ist sicher, daß auch der Graf nicht sonderlich erbaut sein wird, wenn er erfährt, daß Cäcilie mit Serena zusammengekommen.

In der ganzen Gesellschaft empfing Serena kein freundliches Gesicht, außer jenes ihrer Schwester; Dieser erschrak, Jener staunte über sie; die heiter Gelaunten wurden durch ihr sonderbares Erscheinen beunruhigt; Jeder fand etwas Außerordentliches, etwas Unerklärliches an ihr, was in den Menschen Mißtrauen erregte; die Eingeweihteren, die das höhere Gerede mit den Ohrenspitzen streiften, wußten bereits so viel von ihr, daß sie etwas sei, was bei geringer Leute Kindern ungerathen genannt wird, daß sie ihrer Mutter und ihrem Stiefvater schon seit langer Zeit Sorge und Kummer bereite und trotzdem der Mensch dem schlimmen Geklatsche niemals Glauben schenken soll, so ist doch gewiß, daß die junge Gräfin, nachdem sie sich von dem Willen der Eltern emancipirte, auf eigene Faust lebe und sich sehr wenig um die Meinung der Welt kümmere, es im Gegentheil sehr amüsant findet, allerlei einfältige Leute aus purer gutmüthiger Laune in solche unvorhergesehene Verlegenheiten zu verwickeln, daß sie für ihr ganzes Leben berühmt bleiben.

Man kann sich deshalb vorstellen, welche Wirkung das unerwartete Erscheinen eines solchen Kometen inmitten einer so stillen soliden Gesellschaft, wie sie von den Gästen des Verwalters gebildet wurde, hervorrufen mußte.

Und trotzdem fand sich dieses sonderbare Wesen sehr rasch zurecht unter ihnen. Sie hielt einen Toast zu Ehren der Verwalterin, wie wenn sie ihn aus einem Buche hergelesen hätte. Wer sie nicht kannte, hätte glauben können, daß sie nur dem Feste zu Liebe gekommen sei; mit dem alten anekdotenerzählenden Herrn wechselte sie einen Händedruck, die alten Damen begrüßte sie dem Namen nach und bat hierauf heiteren Tones die Gesellschaft, den durch sie unterbrochenen Tanz wieder aufzunehmen.

Sie verstand so freundlich, so herzlich zu bitten, daß man gezwungen war, ihrem Wunsche nachzukommen. Sie redete Cäcilie selbst zu, dem blonden jungen Mann zu folgen, der ihr so bescheiden bedeutet, daß sie noch mit einigen Touren der Polonaise im Rückstande seien. Sie selbst setzte sich sodann an die Seite der alten Dame, die so bereitwillig trotz ihrer Krücken zu tanzen gedachte. Vor dieser begann sie nun ihre kleine Schwester zu lobpreisen, wie anmuthig sie tanze, wie keusch sie die Augen niederschlägt! Ein ganzer überirdischer Engel! – auf diese Weise gelang es ihr, die alte Dame zu ihrer Freundin zu machen!

Die wenigen Touren waren bald zu Ende; nach Cäcilie folgte die schöne Amalia mit Adorjan Borcz dem jungen Adonis im Tanze.

»Ein malerisch schönes Paar!« flüsterte Serena der alten Dame zu; »in der That sind Beide idealische Gestalten!«

Die alte Dame mochte sich wohl denken: »das ist doch ein außerordentliches Geschöpf; wie dreist sie eingesteht, daß sie einen Mann schön findet und wie bescheiden sie zugleich zugiebt, daß auch seine Gefährtin schön ist!«

Bei den ersten Schritten begegneten Adorjans Augen Serena's Blicken und er stolperte da blos einmal über seine Sporen.

»Beide tanzen wunderschön,« flüsterte Serena ihrer Nachbarin zu, während sie die Tänzer entzückt betrachtete.

Bei den nächsten Touren versäumte Adorjan, als er zufällig auf Serena blickte, in solchem Maße die Schritte, daß er beinahe mit seiner Tänzerin zusammenstieß; dann vergaß er die Figuren zu machen, die er auszuführen hatte, ruinirte die schönsten Schnörkel und trat zu guterletzt derart auf Amaliens Rock, daß er ein ganzes Stück weit herunterriß, worauf die Dame weinend aus dem Saale rannte und gar nicht mehr zurückkehrte, während Adorjan Borcz, der weltberühmte Tänzer, verwirrt gleich einem jungen Studenten, der das Tanzen aus dem Buche gelernt, inmitten des Saales stehen blieb.

Serena that, wie wenn sie all' dies nicht bemerkt hätte und wandte sich nun zu Cecil, um mit ihr zu plaudern. Wovon? Von Dummheiten. Von unter jungen Mädchen beliebten Themen, von welchen man eben bei lauter Musik, inmitten fröhlichen Jubels sprechen kann; – welche neuen Tänze sie gelernt habe? ungarische? Mazur? Ecossaise? Walzen dürfe sie aus Gesundheitsrücksichten nicht. Könne sie bereits Polka tanzen?

Was können junge Mädchen hierauf anders antworten, als daß sie neugierig fragen, was das sei, denn bei uns kenne man den Tanz noch gar nicht.

»Dies ist jetzt der Modetanz, welcher in allen Pariser und Wiener Salons angenommen worden; er ist gerade so gemüthlich wie der Walzer, ohne auch so wirbelig zu sein, auch liegt viel mehr Reiz und Anmuth in demselben, als in jedwedem anderen und dabei ist er gar nicht ermüdend und sehr unterhaltend. Warte, ich bringe ihn Dir im Momente bei.«

Mit ihrer liebenswürdigsten Naivität sprang Gräfin Serena von ihrem Platze empor, umschlang mit dem rechten Arme ihre Stiefschwester und unter die Tänzer hüpfend, begann sie derselben mit unnachahmlicher Anmuth die Schritte des neuen Modetanzes zu erklären.

So mußte man sich biegen, derart wenden und sich dann wieder gegen den Tänzer zurück auf die Seite neigen und sich dann an seine Schulter schmiegen.

Keine Zauberlaterne hatte jemals ein berückenderes Feenschauspiel beleuchtet, als wie diese sonderbare kühne Dame dem unschuldigen erröthenden Schwesterchen den kokettesten der Tänze lehrte; diese, gleichsam unbewußt Engel, der im Gefühle seiner Schwäche blos erröthet und bei dem Gedanken die Augen niederschlägt, daß anderer Augen auf ihm ruhen, jene ein bezaubernder Dämon, der wohl weiß, daß man ihn allerwärts anbetet, daß er mit jeder Bewegung, mit jedem Blicke seiner Augen sterbliche Menschen zur Verzweiflung bringt und daß man, da er mit der Spitze seines winzigen Füßchens so kokett die Erde berührt, diese Erde unter ihm beneidet – und dabei sang sie mit der heitersten Miene die Melodie des Tanzes: Tralla – lalla – lillalalla! wie Jemand, der sich vor überströmend guter Laune nicht zu lassen weiß.

Jetzt ereignete sich aber ein sehr gewöhnlicher und sehr natürlicher Vorfall. Der Flügel irgend eines äußeren Fensters des Tanzsaales war ungenügend verschlossen worden, während das innere der großen Hitze halber offen stand; draußen begann seit einer Stunde ein starker Wind zu toben, der jetzt auf einmal den Fensterflügel aufriß und heulend in den Saal gestürmt kam, als die gegenüberliegende Thüre geöffnet wurde, und nun die ganze Zimmerreihe durchbrauste, sämmtliche Kerzen erlöschen machte, so daß für einen Moment beinahe Finsterniß eintrat und Jeder das Gefühl hatte, wie wenn ein feindlicher Geist durch die heitere Gesellschaft gestürmt wäre.

Gräfin Serena stieß einen Schrei aus; sie erbleichte, daß sie einer Todtenmaske glich. Starr blieb sie in der Mitte des Saales stehen, mit erschrockenen Augen auf das geöffnete Fenster blickend und während sie sich mit einer Hand krampfhaft an Cecils Arm klammerte, hielt sie die andere zitternd, wie abwehrend vor sich hin und stammelte mit dem schaudernden Entsetzen der Geisterseherei – mehr als Einer vernahm es; »ach mein Vater! mein Vater ... in diesem Moment ist er vielleicht ...«

Rasch wurde das Fenster geschlossen; der häßliche mürrische Wind blieb draußen, die Kerzen flammten neuerdings auf, die Zimmer wurden hell, heiteres Geplauder ertönte von Neuem, Serena brach in Lachen aus, umschlang Cecil abermals und fuhr fort mit entzückender Heiterkeit zu singen: Tralla – lalla – lillalalla ...

Was hatte sie damit sagen gewollt: »in diesem Moment ist er vielleicht ...?« Woran erinnerte sie dieser Windstoß, daß sie inmitten des heiteren Tanzes dergestalt ihres Vaters gedachte?

Nach wenigen Minuten hatte der neue Modetanz das Indigenat erworben. Adorjan Borcz, der bei jeder Unterhaltung den Musikanten drohte, ihnen die Baßgeige zu zertrümmern, wenn sie andere Weisen als ungarische und polnische zu spielen wagten, befahl jetzt selbst den Zigeunern, die Melodie zu spielen, welche die Gräfin soeben gesungen, was den geborenen Musikanten nicht das geringste Kopfzerbrechen verursachte, worauf er zu Serena eilte und sie zu dem neuen Modetanze aufforderte. Der virtuose Tänzer brauchte ihn blos einmal zu sehen, um denselben inne zu haben. Und das erste Paar verführte die übrigen. Bald folgten ihnen auch die anderen Gäste, Herren und Frauen knixend, trippelnd, komplimentirend, ein Jeder nach bestem Wissen und Können. – Alt und Jung war wie vernarrt in den neuen Tanz.

Nur die Frau Verwalterin nicht.

»Das ist doch kein schöner Tanz, dieser Truthahntanz, Comtesse, mag er von wo immer herkommen,« brach die wackere Dame endlich aus, als der Tanz zu Ende war; »ich glaube auch nicht, daß der Herr Graf sonderlich stolz darauf sein wird, daß Somlyohaza der Ort war, wo siebenbürgische und ungarische Tänzer denselben zum ersten Male aufführten.«

Es mußte Jedem auffallen, wie sehr diese wenigen Worte Serena jede gute Laune benahmen. Sie wurde ernst, sprach kein Wort mehr und Nichts vermochte mehr ein Lächeln auf ihrem Gesichte hervorzurufen.

Still, ohne irgend welches Aufsehen zu erregen, wünschte sie der Verwalterin gute Nacht, küßte ihre Schwester und während alle Anderen mit sich selbst beschäftigt waren, verließ sie den Saal und eilte nach ihren Gemächern. Die Verwalterin folgte ihr mit einer Kerze, welche sie ihr aber noch in der Thüre abnahm.

»Befehlen Sie sonst nichts, Comtesse? Wünschen Sie nicht, daß meine Jungfer ...«

»Ich danke. Ich liebe es, allein zu sein, wenn ich schlafe. – Indessen ...« (sie bedachte sich rasch.) »Nein, nein, ich benöthige nichts mehr.«

Sie wollte die Verwalterin bitten, Cecil bei ihr schlafen zu lassen, doch besorgte sie, die kurz angebundene Dame könne ihr zur Antwort geben: »Verzeihen Sie, Comtesse, Cecil ist jetzt meine Tochter und die muß dort sein, wo ich bin.« Es war wirklich von ihr vorauszusetzen. Deshalb wagte sie die Bitte gar nicht, sondern verschloß die Thür hinter sich.

Die Frau Verwalterin aber kehrte wieder in den Tanzsaal zurück und um selbst die Spuren des vorigen Tanzes zu vertilgen, ließ sie den Fußboden mit nassen Tüchern reinigen und dann führte sie ihren silbernen Bräutigam an der Hand vor und sprach mit vor Wonne leuchtendem Gesichte: »jetzt werden die Herrschaften erst den echten heiligen Davidtanz sehen« und vollführte nun feierlich denselben langsamen ungarischen Tanz bei derselben schwermüthigen Melodie, mit welchem sie vor fünfundzwanzig Jahren als Braut und Bräutigam den Reigen eröffnet hatten. Noch heute ergötzten sich alle an dem schönen Tanze.

Blos Adorjan Borcz saß träumerisch in einer Ecke und achtete auf gar nichts, was um ihn her vorging, trotzdem Andreas Gabor ihn bereits zum dritten Male fragt:

»Kumpan, schläfst denn Du mit offenen Augen, wie ein Hase?«

*


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