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7.

Der Seher und der Erblindete.

Die Jahre vergehn. Gott weiß, wie viel Jahre, wie viel Jahrhunderte, wie viel Jahrtausende seitdem verstrichen sind.

Bis der Palmenstamm sich zu Steinkohle verwandelt in den Eingeweiden der Erde; bis das Meer an einem Orte seine alten Ufer verläßt und an einem andern sich ein neues Bett auswäscht; bis Schutt und Moos eine große Weltstadt begraben samt ihren Bewohnern; bis irgend ein Tiergeschlecht so ausstirbt, daß man die versteinerten Knochen eines ausgegrabenen Exemplars in den Museen als ein anzustaunendes Wunder aufbewahrt; bis das Klima sich so ändert, daß jetzt Tannen wachsen, wo einst die Dattelpalme stand: dazu bedarf es fürwahr vieler tausend und abertausend Jahre!

* * *

Aus dem Nebel grauer Vergangenheit ragen vielleicht noch zwei halb unkenntliche Gestalten hervor, an die wir uns manchmal dunkel zurückerinnern.

Die eine sitzt dort an den Pfeilern der Ofner Kettenbrücke, dem unvergänglichen Denkmal des grüßen Geistes. Zu ihren Füßen dehnen sich zwei geräuschvolle Städte aus, unter ihren Füßen stießt der die Bläue des Himmels zurückspiegelnde Strom.

Und sie blickt so traurig, so schwermütig hinab, als sähe sie all das, was andere nicht sehen und nichts von dem, was die andern sehen.

O für diese Adleraugen hat die Sonne kein Licht mehr, die aus ihren Fugen gegangene Seele wirft alle ihre Strahlen rückwärts in den dunkeln Grund des Herzens; dort drinnen ist eine untergegangene Welt, welche die Hand der Schöpfung in ihrer Verzweiflung zertrümmert hat.

Welche Nacht liegt unter diesen schwarzen, dichten Augenbrauen! Genug für eine Sonnenfinsternis. Welche Blässe auf diesem entstellten Gesicht! Es wäre genug für den Tod.

Was mag er so düster anstarren mit seinen keinen Gegenstand erkennenden Augen? Wenn man ihn darum früge – was würde er sagen? Und wenn er es sagte – wer würde ihn verstehen? Und wer ihn auch verstünde, wer vermöchte es zu ertragen in seiner Seele?

* * *

Weit dort zwischen den kühlen Bergen Greifenbergs stützt sich die gebeugte Gestalt eines Mannes auf den Strunk einer gefällten Tanne, aus seinen entkräfteten Zügen spielt der Glanz der aufgehenden Sonne, ihre Strahlen sieht er nicht, er empfindet nur ihre Wärme.

Warum blickt er dennoch mit solcher Andacht gen Osten? Giebt es dort etwas, was ihm noch lieblicher, als die aufgehende Sonne?

O wie mag es ihn schmerzen, das nicht sehen zu können, woran er beständig denkt! Für ihn ist die ganze Welt ringsum verschlossen. Das Licht seiner Augen ist erloschen!

Ein in Trümmer gegangenes Meisterwerk der Natur!

Ein lebender Verstorbener, der da hört, wie man den Sarg über ihm zugenagelt; der Schrei, der ihm entfuhr, die zuckende Bewegung, die er gemacht, waren nur ein Spiel der Phantasie, niemand hat sie gesehen, niemand gehört, Sie haben die Erde über ihm eingestampft; er sei tut, hieß es, und niemand fragte weiter: ob nicht vielleicht dieser arme Tote in der Tiefe des Grabes noch empfindet, ob ihm nichts wehe thut ... Dies war das Ende der zwei größten Männer unseres Lande«, eines Stephan Széchenyi und Nikolaus Wesselényi, denen die große Welt noch nicht einmal den gewohnten Tribut großer Geister entrichtet hat: »die Verherrlichung nach dem Tode.«

Mögen diese bescheidenen Zeilen Bruchsteine sein zu dem Denkmal, das man vergessen hat, ihnen zu errichten.

Große Geister sind nicht groß in der Erwartung eines Lohnes, sei es im Leben oder im Tode, in dieser oder in jener Welt; sie sind es, weil sie sich nicht erniedrigen können, klein zu sein.

Ihr aber, Abellino Karpáthi, Theodor Berzy und ihr übrigen alle, wie ihr sonst noch heißen möget, ihr liebenswürdigen Konterfeis unserer leichtblütigen Freunde – wandelt fort auf eurer vergnüglicheren Bahn, gewitzigt durch das traurige Ende anderer und achtet nicht auf die langweiligen Sittenpredigten der Dichter, die ja ohnehin nur deshalb andere tadeln, weil sie es ihnen nicht gleich thun können.

* * *

Und nun noch unser letztes Wort über Zoltán.

Seitdem er heimgekehrt ist in den Sitz seiner Ahnen, giebt es keine Gespenster mehr in dem Karpáthfalver Kastell, sondern nur Freudenklänge vom Morgen bis zum Abend. Er hat es dem Schicksal abgerungen, daß es ihm einige Jahre der himmlischen Seligkeit vorgestreckt, denn es ist nicht genug, sein Glück zu verdienen, man muß es sich auch zu gründen wissen.

In späteren Jahren las Zoltán unter den Ankündigungen eines Zeitungsbillettes, daß die Ofner Villa eines plötzlich gestorbenen Sonderlings öffentlich versteigert werden solle.

Es machte ihn wirklich traurig.

Die ganze Familie war so nach und nach ausgestorben, eins war dem andern gefolgt. Und doch hatte wahrlich niemand einen Fluch über sie ausgesprochen.

Zoltán schrieb sogleich seinem Advokaten, er möge die Villa mit allem, was darin, für ihn erstehen; es soll nichts von dem in fremde Hände gelangen, was einst Wilma gehört, dem armen Mädchen, das so heiß geliebt und so viel gelitten.

Das Ganze wurde um einen Spottpreis verschleudert, wie es mit kostspieligen Liebhabereien zu geschehen pflegt, die nur für den verblichenen Eigentümer einen Wert hatten.

Später besuchte Zoltán selbst diesen Ort. Am Arm seiner schönen Gattin trat er in den verlassenen Garten, in den: er zuerst mit Wilma zusammengetroffen, und wo sie so eifersüchtig gewesen auf seine Kleine. Jetzt erinnert ihn alles an sie.

In den Zimmern hängt überall das Bild der Verstorbenen. Der selige Herr Rat wollte sie überall vor Augen haben.

Draußen im Garten ist alles vernachlässigt, der Weingarten nicht bearbeitet, Beete und Anlagen nicht gepflegt, die Wege mit Gras bewachsen. Das junge liebende Ehepaar steht dort, sich umschlungen haltend; sie sind beide so traurig und doch – so glücklich! ...

 

Ende.


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