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5.

Eine Philosophin.

Die Frau Rätin Köcserepy gilt in der Welt für eine hohe geistige Autorität und nicht mit Unrecht.

Schon als Kind pflegte man sie als ein Muster guter Aufführung andern Kindern vorzuhalten. Als sie zur Jungfrau herangewachsen war, machte sie ihren Eintritt in die Gesellschaft mit soviel Zurückhaltung und Vorsicht, daß sie auch jeden Schein eines Vorwurfs vermied. Andere junge Mädchen lassen sich von ihren Leidenschaften hinreißen; sie nahm den Verstand zum Führer, und in dem Alter, wo man sonst ganz Gefühl, Glut, Schwärmerei ist, beobachtete und überlegte sie; die jungen Anbeter, welche eine neue Schönheit umschwärmen, fühlten sich unbehaglich in ihrer Nähe. Sie tändelte und unterhielt sich nicht mit ihnen, sie beurteilte sie.

Sie hatte auch nie ein Liebesverhältnis mit irgend jemand. Diese Behauptung ist nicht übertrieben. Das Herz schlägt in jeder Brust gleich, und es giebt im Leben eine glückliche Zeit, wo jeder Herzschlag uns sagt: du sollst lieben. Ein oder das andere sympathische Gesicht, das uns im Leben begegnet, prägt sein Bild in das weiche Wachs des sehnsüchtigen Verlangens und bleibt darin, bis es durch einen neuen Eindruck verwischt wird, oder auch für immer; wir kennen nur Lichtseiten an dem geliebten Gegenstand, seine Fehler finden Nachsicht in unseren Augen; für ihn dulden und leiden wir, erfahren wir Täuschungen und glauben und lieben doch, und diese Leiden und Enttäuschungen, dieser Glaube und diese Liebe ist – Jugendthorheit. Eveline glaubte nie und litt nie. Ihren stets forschenden Augen konnten sich auch die geheimsten Falten des menschlichen Herzens nicht entziehen. Auch sie hatte ihr geistiges Ideal, von dem sie aber eine solche Vollkommenheit, eine solche Seelengröße verlangte, daß kein irdisches Wesen ihm zu entsprechen vermochte. Auch in ihrem Herzen hatten die Augen und Worte eines und des andern jungen Mannes eine Flamme angefacht, aber sie durchschaute bald seine Unvollkommenheit, fand Schwächen und Fehler an ihm und wußte sich jedesmal zurückzuziehen, bevor noch die Neigung Zeit gehabt hatte, in Leidenschaft überzugehen. Und das ist – Weisheit.

Guter Gott! wie unglücklich wären wir Männer, wenn die Frauen weise sein wollten. Ist doch jeder unserer Schritte, jeder unserer Gedanken voll von Untugenden; was würde aus uns werden, wenn wir statt des nachsichtigen Engels der Liebe richtende Strenge fänden.

Eveline verheiratete sich in ihrem achtzehnten Jahre. Sie reichte ihre Hand einem bejahrten Manne, der den höheren Ständen angehörte. Ihr Gatte war schon über das Alter hinaus, in dem man leichtsinnigen Jugendstreichen ausgesetzt ist, es war ein ernster, rechtschaffener, angesehener Mann. Das junge Mädchen hatten keine tyrannischen Eltern zu diesem Schritte gezwungen, keine verwandtschaftlichen Intriguen, kein Druck äußerer Umstände hatten diese Verbindung herbeigeführt; sie selber hatte vielmehr ganz aus eigenem Antriebe das Acquit dazu gegeben, daß der wackere Mann um ihre Hand anhielt. Sie hatte vor Leuten, von denen sie wußte, daß sie es ihm wiedersagen würden, seine guten Eigenschaften so sehr herausgestrichen, daß der gute Mann ihr endlich die Frage vorlegte, ob sie nicht geneigt wäre, sich zur Gebieterin dieser Eigenschaften zu machen. Eveline sagte ja. Und doch war ihr Gatte nicht einmal reicher als sie.

Sie lebte mit ihm etwa sechs Jahre. Nie hörte sie jemand klagen, sie behauptete im Gegenteil, sehr glücklich zu sein. Sie erging sich vor jedermann in Lobeserhebungen über ihren Gemahl; es war ermüdend, sie anzuhören, soviel wußte sie zu erzählen von dem edeln Charakter des wackern Mannes, seinem ausgezeichneten Verstand, seiner Biederkeit seiner lauteren christlichen Gesinnung; mehr als ein jugendlicher Anbeter, der sich von der seltenen Schönheit der Excellenzfrau verleiten ließ, auf Kosten des bejahrten Ehemanns sich Hoffnung zu machen, gab enttäuscht und abgekühlt seine Bewerbung um das reizende Weib auf, das imstande war, einen verliebten Menschen mit den Tugenden ihres Gatten tot zu reden. Jedermann gab ihr das Lob einer tugendhaften, exemplarischen Frau, aber man fürchtete sich vor ihr, wie man sich vor dem Eis fürchtet.

In den letzten Jahren war ihr Mann beständig krank. Eveline nahm von da an an keinen öffentlichen Unterhaltungen teil, verkehrte nur mit ihren Anverwandten und war das Muster weiblicher Geduld.

Sie selbst gestand, daß es nicht Liebe sei, was sie für ihren Gatten fühle, wohl aber Achtung, tiefgewurzelte Achtung.

Die langwierige Krankheit ihres Mannes endigte mit dem Tod. Eveline beweinte ihn aufrichtig und hörte nie auf, sein Andenken in Ehren zu halten.

Einige Jahre später lernte sie in den Bädern zu Mehadia Herrn Köcserepy kennen. Herr Köcserepy war damals noch um sechzehn Jahre jünger als jetzt und ein sehr schöner Mann.

Eveline kam durch ein sehr einfaches Raisonnement zu der Überzeugung, daß Herr Köcserepy, wenn man seine bisherige Laufbahn zu Rate ziehe, ein sehr kluger Mann sein müsse. Wer sich durch sich selbst so hoch emporzuschwingen gewußt hat, kann nur ein Ideal der Vollkommenheit sein. Sie gestattete daher ihrem Herzen, dem ihr huldigenden Manne gegenüber Liebe zu fühlen. Es gelang ihr vollständig, ihm begreiflich zu machen, daß dies Gefühl sich in den Schranken einer besonnenen Liebe zu halten habe, die mit einer Heirat endigt. Ihren ersten Mann hatte der Verstand, den zweiten das Herz gewählt; – diese schone Sentenz prägte die ausgezeichnete Dame dem Gedächtnis ihrer Bewunderer ein.

Eine sechzehnjährige Erfahrung begründete in ihr die unumstößliche Überzeugung, daß ihr Glück vollständig sei. Ihr zweiter Gatte hatte einen viel schärferen Verstand und war geistig viel begabter als der erste, von dem Herr Köcserepy jedoch immer in den Ausdrücken der größten Achtung spricht und dessen Grabmal er jedes Jahr an seinem Sterbetage in Begleitung seiner Gemahlin besucht und mit ihr an den Stufen des Monumentes betet. Dieser Zug von Pietät stellt die Gefühle des Herrn Köcserepy bei Evelinen in ein sehr schönes Licht.

Noch einen andern Talisman besitzt Herr Köcserepy, um Eveline an sich zu fesseln. Über alles, was er vor hat, fragt er zuerst seine Frau um Rat; oft teilt er ihr selbst die verwickeltsten Angelegenheiten mit und wartet, bis Eveline ihr Urteil abgegeben hat. Er ist auch stets ganz ihrer Meinung, Die Ansichten seiner Frau stimmen regelmäßig mit den seinigen überein; er hatte sich dasselbe gedacht. Es mag wohl vorkommen, daß er in der Ausführung gerade im entgegengesetzten Sinne zu handeln genötigt ist, davon aber erfährt Eveline weiter nichts. Sie weiß und fühlt nur, daß ihr Gatte sie für die bessere Hälfte seines ichs halt, daß er ohne sie nichts in Erwägung zieht, daß sie Einfluß nehmen muß auf alle seine wichtigeren Entschließungen und daß ihre Einsicht, ihre Weisheit es ist, welche das Glück der Familie aufrecht erhält und deren Zukunft lenkt.

Im zweiten Jahr ihrer Ehe gebar sie eine Tochter. Es war dies Wilma. Mehr Kinder bekamen sie auch nicht, sie blieb das einzige.

Eltern, die nur ein Kind haben, sind sehr geneigt, es zu verziehen; das Übermaß der ungeteilten, auf den einzigen Sprößling sich konzentrierenden Liebe verwöhnt und verweichlicht Herz und Charakter. Eveline wußte das recht gut und hatte darnach schon ihren ganzen Erziehungsplan entworfen.

Sie mußte auf ihrer Hut sein, um nicht in diesen gewöhnlichen Fehler übertriebener Zärtlichkeit zu verfallen. Der Vater vergötterte das Mädchen und wußte nicht seine Liebe vor ihm zu verbergen. Dem Vater mußte daher so wenig Einfluß als möglich auf das Kind gelassen werden.

O, Eveline wußte sich schon besser zu beherrschen. Sie sah ihre Tochter nie allein, immer in Anwesenheit einer steifen Gesellschafterin, welche an jedem Schritt, jedem Wort der kleinen Wilma hofmeisterte, welche sie unterwies, daß man vor Mama und Papa nur vernünftig sprechen dürfe, und wie man schon als Kind seine natürlichen Neigungen vor andern zurückdrängen und sich die Denk- und Lebensweise der Erwachsenen angewöhnen müsse.

Vor dem Kinde muß es sorgfältig geheim gehalten werden, daß seine Mutter es liebt. Auf Evelinens Gesicht durfte ihre Tochter nie jenen milden Ausdruck mütterlicher Zärtlichkeit gewahren, die, wenn das Kind sich derselben bewußt ist, so sehr imstande ist, sein Herz zu verderben. Eveline wußte aus Beispielen und philosophischen Theorien, daß ein liebevolles Benehmen der Eltern gegen die Kinder diese verzieht, und sie hatte sich Aussprüche weiser und gelehrter Männer aufgezeichnet, welche goldene Lebensregeln enthalten: »Wie die Süßigkeit des Zuckers die Zähne, so verdirbt die Schmeichelei der Mutter den Charakter des Kindes« – »wen die Hand der Eltern selten gezüchtigt, der wird um so häufiger die züchtigende Hand des Schicksals an sich erfahren« u. s. w. Demgemäß empfing Eveline ihre Tochter stets mit strenger, beobachtender Miene, nahm sogleich den kleinsten Fehler wahr, und rügte ihn mit übertriebener Strenge; sie erriet im voraus ihre verborgensten Gedanken, so daß die Kleine, so oft sie ihrer Mutter ansichtig wurde, beständig einen unerbittlichen, unnachsichtigen Richter vor sich zu haben glaubte. Von ihrem bloßen Anblick fühlte sie sich niedergedrückt und eingeschüchtert, konnte sie doch gewiß sein, daß sie jeden Augenblick irgend einen unverzeihlichen Fehler begehen werde, den sie selbst nicht kennt, von dem sie vielleicht nicht einmal eine Ahnung hat, den aber jene nicht zu vermeidenden Augen schon längst erblickt haben, und wegen dessen sie sich nicht zu entschuldigen vermag, O die Mutter muß ihr gewiß sehr zürnen ... Sie hätte sie so oft gern gefragt: »Mutter zürnest du?« aber sie wagte es nicht. – Das war das Erziehungssystem Evelinens.

Abends, wenn alles schon zu Bette gegangen, jeder Lärm verstummt war, pflegte dann Eveline häufig die Kerze von ihrem Nachttisch zu nehmen und im Nachtgewande verstohlen, geräuschlos sich in das Zimmer ihrer Tochter zu schleichen. Die Kerze auf den Fußboden stellend, damit das Licht ihr nicht in die Augen scheine, setzte sie sich an den Rand des Bettes und betrachtete stundenlang die Züge des schlafenden Engels, rückte die Kissen zurecht und beugte sich im Weggehen über das Kind, um einen Kuß auf seine Wangen zu drücken. Manchmal geschah es, daß die Kleine darüber erwachte. Was sie dann vor sich sah, war aber nicht mehr die liebende Mutter, mit dem Ausdruck der Zärtlichkeit im Antlitz, mit der Thräne der Rührung im Auge; es war die aufmerksame, nie ruhende Wächterin, mit strengem Blicke, die auch des Nachts kommt, um zu erfahren, wie ihre Tochter sich aufführt, und auch da noch Fehler entdeckt und zu tadeln findet. Selbst die Nacht hat vor ihr keine Geheimnisse.

Kinder pflegen kleine Wünsche, kindische Anliegen zu haben; ein kleiner Ausflug, eine Kindergesellschaft, ein hübscher Anzug, ein Lieblingsgericht reichen hin, sie glücklich zu machen. Zu dem Erziehungssystem Evelinens gehörte es, diese kleinen Wünsche zu brechen, zu unterdrücken. Der Charakter des Kindes gewöhne sich an Entsagung. Es lerne beizeiten, sich auf nichts voraus zu freuen. Seine Seele stähle sich an diesen kleinen Enttäuschungen für die größeren, mit denen das Schicksal in späteren Jahren es bald heimsuchen wird.

Dies alles war mit weiser, philosophischer Konsequenz durchdacht und durchgeführt; Wilma erfuhr nie, daß ihre Eltern sie lieben; nur das wußte sie, daß sie von ihnen überwacht werde – wie eine Gefangene.

Sie war das Kind ihrer Mutter, wie man zu sagen pflegt.

Derselbe beobachtende, wachsame Geist, dieselben forschenden Augen, wie bei Evelinen.

Ein ernsteres, verschlosseneres Kind konnte man nicht sehen. Da niemand gestattet war, ihr Liebe zu zeigen, verbarg auch sie ihre Liebe. Da man sie gelehrt hatte, daß gerade dasjenige am wenigsten in Erfüllung gehe, was man am heftigsten wünsche, suchte sie alle ihre Wunsche, alles, was ihr Freude machen würde, sorgfältig geheim zu halten; was ihr auszusprechen manchmal so wohl gethan haben würde, gerade das verschwieg sie und wußte ihre Gedanken, ihre innersten Empfindungen so gut hinter den kalten Zügen ihres bleichen Gesichtes zu verbergen, daß Evelinens Augen nie zu ihnen hindurchdrangen. Selbst wenn sie krank war, verheimlichte, verschwieg sie es; sie klagte nicht, ging, wohin man sie mitnahm, unterhielt sich, tanzte, wie ihr geheißen wurde. Jedermann war schon an ihre Blässe gewöhnt; man fragte sie nicht, ob ihr vielleicht etwas fehle, nur wenn nach Hause zurückgekehrt, ein gutmütiges Dienstmädchen, das auf das Erziehungssystem noch nicht dressiert war, beim Ankleiden zufällig die Bemerkung machte, wie doch dem Fräulein alle Glieder zittern, erwiderte Wilma, sie sei sehr müde, nur damit die Erzieherin nicht erfahre, daß sie krank sei. Wenn sie dies eingestand, dann mußte sie schon lange gelitten haben und war nicht mehr imstande, ihre Glieder zu rühren. Deshalb schwebte sie oft momentan zwischen Leben und Tod, das ganze Haus war dann in Verzweiflung gestürzt, aber die Töne dieser Verzweiflung drangen nie zu ihr. Die Rätin weinte und betete ganze Nachte hindurch, aber selbst dann bekam Wilma nichts anderes an ihr zu sehen, als die strenge Wärterin, welche pünktlich jede Stunde an ihrem Bette erscheint, um ihr diese widerlichen Arzneien einzugeben und sich zu erkundigen, ob sie alles beobachtet, was der Arzt vorgeschrieben.

* * *

Maßlaczky fand sich um eine halbe Stunde früher ein, als der Herr Rat aus der Sitzung nach Hause zu kommen pflegte. Er hatte sich absichtlich beeilt.

Er war nach der neuesten Mode gekleidet, alles so knapp anliegend, so ausgezirkelt, als wäre er zur Strafe in diese Kleider hineingezwängt.

Im Vorzimmer erfuhr er von dem Kammerdiener, daß der gnädige Herr noch nicht zu Hause sei; er wünschte der gnädigen Frau aufwarten zu dürfen und erhielt die Antwort, er sei willkommen.

Eveline sah den Fiskal gern. Mit ihm konnte man disputieren. Leute, wie Mitzislaw, die sich beeilten, auf alles ja zu sagen, waren ihr unausstehlich; auch mit Baron Berzy konnte sie sich nicht recht unterhalten. Dieser pflegte die schönsten logischen Ketten, die verwickeltsten gordischen Knoten mit irgend einem drastischen Witz, einem bizarren Sophisma zu zerreißen oder sein eigentümlicher unsteter Gedankengang führte ihn soweit von dem Ausgangspunkte des ursprünglichen Themas ab, daß Eveline selbst ihn nicht wieder aufzufinden vermochte. Maßlaczky dagegen war ganz ihr Mann, Denn einen Gedanken, den er einmal zwischen seinen Zähnen erfaßt hatte, ließ er nicht mehr los, bis er ihn nicht verschlungen hatte. Jahrelang stritten sie über eine philosophische Frage, sich gegen seitig ermüdend, aber keines vom andern besiegt und bei jedem neuen Zusammentreffen führten sie neue Gründe und Argumente ins Treffen. Schade, daß diese schönen Disputationen für die Welt verloren sind, denn jenes Tagebuch, in welchem die gnädige Frau sie eigenhändig aufgezeichnet hat, ist leider später von ihr selbst vernichtet worden.

Die gnädige Frau empfing Herrn Maßlaczky im Klaviersalon, im Vorsaale hörte er noch die Klänge einer Phantasie, welche wahrscheinlich die Finger Wilmas den Saiten entlockt hatten, denn Eveline hatte nie Neigung zur Musik gehabt und es deshalb auch nicht weit darin gebracht, als er jedoch an die Thür klopfte, verstummte plötzlich die Musik und als er eintrat, sah er nur noch in der gegenüberliegenden Thür den Saum eines weißen Gewandes verschwinden, und wurde im Saale von Evelinen allein empfangen.

Herr Maßlaczky machte sein Entree mit zwei graziösen Verbeugungen. Seine ganze Gestalt, welche sonst so steif war, als hätte er einen Ladestock geschluckt, war in solchen Momenten ganz Geschmeidigkeit, und es schien ihm besonders angenehm zu sein, daß im Saale soviel Spiegel sich befanden, in denen er selbstgefällig seine Bewegungen studieren konnte.

Die Frau Rätin ließ Maßlaczky sich gegenüber Platz nehmen und legte ein Buch, das sie in Händen hielt, neben sich hin. Es war irgend ein metaphysisches Werk.

Es giebt nichts Peinlicheres, als bei einem derartigen Besuche die Einleitungen zu einem Gespräche, in dem beide Teile einander nichts zu sagen haben. Maßlaczky eröffnete die Konversation: ich bedauere sehr, Fräulein Wilma in ihrem Vergnügen gestört zu haben.

– O bitte, sie ist noch ein Kind, bei dem von der Störung eines Vergnügens noch nicht die Rede sein darf.

– Dagegen muß ich protestieren, meine Gnädigste. Fräulein Wilma ist ganz und gar das würdige Ebenbild der Reize ihrer Mutter. Es ist mir schon oft begegnet, das gnädige Fräulein mit Euer Gnaden zu verwechseln. Kein Wunder, ist es doch derselbe majestätische Ernst in den Zügen, derselbe königliche Wuchs, dasselbe bezaubernde Auge. Ich sah noch kein Kind, das seiner Mutter so ähnlich gewesen wäre, wie Fräulein Wilma.

– Gebe der Himmel, daß ihr Glück auch dem meinigen gleichkomme, sagte salbungsvoll die Rätin, welche diese Schmeicheleien mehr auf die Tochter, als auf sich selbst bezog.

– O, dies Glück haben Euer Gnaden nicht nur verdient, Sie haben es sich selbst geschaffen.

– Sie sind im Irrtum; der Himmel hat mir seine besondere Gnade angedeihen lassen. Meine beiden Gatten waren die edelsten Männer, wie unter Tausenden nur einer zu finden; und ich war so glücklich, zweimal auf den einen zu treffen.

Herr Maßlaczky, welcher dies »einer unter Tausenden«-Lob nicht unerwidert lassen wollte und anderseits sich vor der Unerschöpflichkeit der Lobeserhebungen fürchtete, beeilte sich, ihr das Wort abzuschneiden.

– Ich aber behaupte im Gegenteil, daß ein guter Mann das Werk einer guten Frau ist, und daß eine Frau, die mit ihrem Manne glücklich ist, sich dies Glück selbst zu verdanken hat.

Einen solchen Fundamentalsatz unvorsichtig aussprechen, war ebensoviel, als der Rätin für Jahre hinaus Stoff zu einer Debatte liefern.

– Mein Herr, Sie fassen das Leben nicht richtig auf. Die Frau gebietet nicht über ihr Los; als Kind, als Mädchen, als Gattin ist sie stets einem fremden Willen unterworfen, ja ihr ganzes Leben hindurch steht sie in passiver Abhängigkeit von anderen, auf die sie häufig kaum einen andern Einfluß ausübt, als den der Mitleidenschaft. Der Mann wird durch die Welt und durch sich selbst das, was er ist; die Frau wird von Eltern, Geschwistern und von ihrem Gatten dazu erzogen. Und das ist so in der Ordnung und ganz psychologisch. Eine Frau, welche die Welt erzieht, wird in der Regel schlecht und eine Frau, die sich selbst erzieht, wird schwerlich glücklich, denn das Glück der Frau besteht in ihrer Abhängigkeit und in dem Bewußtsein, daß stärkere Wesen als sie, sich ihrer annehmen, sie beschützen und lieben, denn sie ist schwach. Mit Ihrer Erlaubnis sei es daher gesagt: wenn eine Frau mit ihrem Lose zufrieden, so ist das ein Glück, aber nicht ihr Verdienst. Das Verdienst davon gebührt dem Manne.

Herr Maßlaczky ließ die Rätin ausreden, was uns auf die Vermutung bringt, daß er etwas anderes im Kopfe führt und nur auf ein Stichwort lauert, an welches er seine Idee anknüpfen könne. Mit plötzlich aufwallender Begeisterung ergriff er die Gelegenheit

– Glücklich fürwahr der Mann, der ein Wesen sein eigen nennen kann, das so erhabene Grundsätze im Busen trägt. Ein solches Wesen wäre mein Ideal. Schade nur, daß sie im Leben so selten anzutreffen sind.

– O, mein Herr, man muß sie nur suchen, sagte die Rätin wohlwollend, ihr Männer wartet aber, daß das Geschick an euch herankomme, das selbst zu schaffen in eurer Macht stünde.

Herr Maßlaczky richtete sich bei diesen Worten auf, wie einer, der etwas Großes auszusprechen im Schilde führt.

– Gnädige Frau! Wenn Sie das Geschick kennten, das mich bisher verfolgte, so würden Sie einsehen, daß mein ganzes Leben darin bestand, meinem Fatum auszuweichen, nicht es aufsuchen; ich lebte eine freudenlose Kindheit, eine Jugend voller Enttäuschungen und als Mann legte sich eine starre Kruste um mein Herz. Aber auch hinter diesen kalten Zügen birgt sich eine fühlende Seele: doch was rede ich von meiner Wenigkeit »Er ward geboren, starb und war unglücklich« – das wird meine Grabschrift sein.

Es liegt in der Natur der Frauen, auch wenn sie Philosophinnen sind, Trauernde und Leidende aufzurichten.

– Und Sie hätten nie das Bild Ihrer Träume gefunden?

– Als ich noch hoffen durfte, fand ich es nicht und als ich es gefunden hatte, durfte ich nicht mehr hoffen.

Solche vieldeutige Reden waren sehr nach dem Geschmacke der Frau von Köcserepy, denn sie forderten den zergliedernden Scharfsinn heraus. Sie heftete ihre beobachtenden, forschenden Augen auf das Gesicht des Advokaten und suchte in seiner Seele zu lesen.

– Sie haben keine Ursache, zu verzagen; wer eine starke Leidenschaft in sich trägt, dem leiht auch die Leidenschaft Kraft und ein hohes Ziel hebt uns empor und hilft uns kämpfen. Sie sind noch jung genug.

Herr Maßlaczky wurde rot bis über die Ohren. Er wußte nicht, ob die gnädige Frau scherze oder ihn verspotte. Evelinens ruhiger, unbefangener Blick überzeugte ihn jedoch, daß sie seine Jugend nicht als Spott gemeint hatte, denn wenn sie auch imstande ist, einem bis ins Herz zu sehen, so sieht sie doch nicht durch die Perücke.

– Nein, gnädige Frau, erwiderte er mit edler Resignation, ich bin nicht mehr jung; nicht die Jahre, die Prüfungen des Schicksals haben meine Stirne gefurcht; man hält mich für kalt, für gefühllos – ich sehe so aus. Wie es in meinem Innern aussieht, wer weiß etwas davon? Das ist mein Geheimnis, das mit mir zu Grabe geht.

Die letzten Worte brachte der Fiskal in so tragischem Tone vor, daß die Rätin, nun selbst verwirrt, ihn verlegen ansah und nicht wußte, was sie sagen solle.

– Verzeihung, meine Gnädige, sagte Herr Maßlacky nach einer feierlichen Pause, die mehrere Minuten dauerte, daß ich gewagt, mit solchen Worten Ihr Ohr zu belästigen. Es soll das erste und letzte Mal gewesen sein, daß ein solches Wort über meine Lippen kam und außer Euer Gnaden hat es noch niemand vernommen. Ich bitte daher nochmals um Verzeihung.

Die Reihe war jetzt an Evelinen, verlegen zu werden und zu erröten. Ein Gedanke stieg in ihrer Seele auf. Ach! Der arme Mensch!

Zum Glück rollte jetzt der Wagen des Herrn Rates durch die Einfahrt, und dies machte der peinlichen Situation ein Ende. Maßlaczky schob seinen Stuhl zurück und nahm, dessen Lehne mit edler Resignation erfassend, Abschied von der trefflichen Dame.

– Ich empfehle mich zu Gnaden, Ich wage zu hoffen, daß gnädige Frau mit meinen heiligsten Gefühlen nicht Spott treiben werden.

Diese Worte waren mit solcher Beklemmung gestammelt, daß die Frau Rätin zu fürchten begann, Herr Maßlaczky werde in Weinen ausbrechen, und beeilte sich, ihm ihre Hand zu reichen, nur damit er nicht weine; Herr Maßlacky drückte einen glühenden, bebenden, vielsagenden Kuß auf die dargereichte weiße Hand, ergriff seinen Hut und stürzte dann zur Thür hinaus, wie ein verrückter Theaterheld, der nach Amerika geht, um nicht wiederzukehren.

Die Rätin sah ihm verwundert nach. Ihre scharfen Augen hatten mit einem Blick ihm bis auf den Grund des Herzens gesehen.

Armer, armer Mann!

* * *

Herr von Köcserepy kam Herrn Maßlaczky in der Begrüßung zuvor, ihm aus dem äußersten Winkel des großen Saales entgegenrufend: Ergebenster Diener, lieber Freund, Gott zum Gruß! Ich heiße Sie willkommen.

Damit eilten sie aufeinander zu und schüttelten sich die Hände, als ob sie seit Jahren sich nicht gesehen hätten; sie fragten einander, wie sie sich zu befinden geruhen, als ob bei großen Herren das Befinden nur von ihrem Geruhen abhinge; die Gesichter beider Männer strahlten von Freundlichkeit und es entspann sich ein edler Wetteifer unter ihnen, beim Auf- und Abgehen im Saale dem andern die rechte Seite zu überlassen.

– Unsere Angelegenheit ist halb gewonnen, sagte Herr Maßlaczky, zur Tagesordnung übergehend, und damit zog er die unterfertigte Cessionsurkunde aus der Brusttasche seines Fracks hervor und legte sie auf den Tisch; Herr Köcserepy nahm die goldene Brille hervor und nickte beim Durchlesen der Schrift wiederholt beifällig mit dem Kopf, während Herr Maßlaczky mit wohlgefälligem Lächeln die Wirkung des Dokumentes auf dem Gesichte des Herrn Rates beobachtete.

– Nun? wie? ist's so recht?

– Alles in schönster Ordnung, sagte Herr Köcserepy, indem er die Hand auf die Schulter seines Freundes legte; das übrige muß nun Ihr Werk sein.

– Ich schmeichle mir damit, daß ich es zu Ende führen werde: ich werde Sie zum Grundherrn der Karpáthischen Güter machen.

Herr Köcserepy konnte nicht anders, er mußte hierauf mit einem warmen Händedrucke antworten, was wiederum Herrn Maßlaczky Veranlassung gab, ihm um den Hals zu fallen und ihn zu umarmen; denn Maßlaczky ist ein sehr gefühlvoller Mensch, wenn es ihm in den Kram paßt. Er mußte sich die Augen trocknen.

– Wieviel Jahre sind es schon, verehrter Freund, daß wir uns kennen? fragte er den Rat mit gerührter Stimme.

– Sechzehn Jahre, antwortete dieser ebenso gerührt.

– Und ist unsere alte, sechzehnjährige Freundschaft auch nur ein einziges Mal durch eine bittere Stunde getrübt worden?

– Nie! erwiderte der Herr Rat, der geneigt war, Herrn Maßlaczky zuliebe alle jenen bittern Stunden zu vergessen, welche diesem ein und das andere ungünstige Urteil verursacht hatte.

Herr Maßlaczky war nun einmal darin in seiner erhabenen Stimmung.

– Ich hoffe, diese unverbrüchliche Freundschaft wird durch diesen Prozeß, der mein Stolz, mit einem ewigen, heiligen Bande festgekittet werden, das nichts mehr zu zerreißen vermag.

– Nichts, nichts! beeilte sich der Herr Rat mit einem neuen Händedrucke zu bekräftigen.

– Seien Sie überzeugt, teuerster Herr und Freund! drang Maßlaczky weiter in ihn, daß meine Bemühungen keine andere Triebfeder haben, als die grenzenlose Verehrung – warum soll ich nicht sage: Liebe, die ich für Ihre teure Person und Ihre teure Familie hege.

– O, ich bin dessen gewiß.

– Nur ein Gedanke ist imstande, mir Kraft zur Arbeit zu leihen, nur ein Lohn kann mich begeistern zur Ausführung eines Werkes, das ich mir sonst nicht um alle Schätze der Welt aufgeladen hätte: die Liebe meines verehrten Freundes und die Achtung der Seinigen mir damit zu verdienen.

Herr Maßlaczky war hier wiederum nahe daran, in Weinen auszubrechen, was zu verhindern Herrn Köcserepy einen unverhältnismäßigen Aufwand von Lachen und Händedrücken kostete.

– Ich versichere Sie des vollsten Maßes unserer aufrichtigsten, entschiedensten Hochachtung.

– Das ist mir Lohn genug, rief der Advokat, sich die Augen trocknend. Es ist wahr, Abellino Karpáthi hat mir fünfmalhunderttausend Gulden Konventionsmünze verschrieben, wenn ich ihm den Prozeß gewinne Ich – verzichte auf diese Summe zu gunsten meines teuren Freundes. Ich brauche sie nicht, mir genügt es, seine und seiner Familie Achtung zu besitzen. Das ist mir Lohn genug.

– Aber, verehrtester Freund, wo denken Sie hin? Das kann ich nicht annehmen. Nicht um die Welt! Ich bitte Sie vielmehr, von mir zu verlangen, was Sie wollen. Was Sie wollen, sage ich, und es wird für mich keine angenehmere Pflicht geben, als Ihren Wunsch zu erfüllen.

– Bester, verehrter Freund, sagte Herr Maßlaczky, wie einer, der etwas Großes im Schilde führt, Sie nötigen mich, auszusprechen, was mir auf dem Herzen ruht. Ich spreche es aus. Ja, es giebt einen tiefsten Wunsch meiner Seele, dessen Erfüllung nur von Ihnen abhängt; ich hätte ihn mit mir ins Grab genommen, Sie aber nötigen mich, ihn auszusprechen: – beglücken Sie mich – mit der Hand Ihrer Tochter!

Köcserepy übertraf in diesem Augenblicke sich selbst.

Kein Zug in seinem Gesicht, nicht die leiseste Bewegung verriet an ihm Überraschung, Zorn, Staunen oder sonst eine plötzliche Gemütserregung, zu der ihn der Antrag vollkommen berechtigt hätte. Er nahm ihn mit dem heitersten Gesicht auf, als wäre er schon seit Wochen auf denselben vorbereitet gewesen und hätte ihn bereits von allen Seiten überlegt.

Nicht hastig, aber entschieden reichte er dem Advokaten die Hand und sprach dann in bewegtem Tone aufrichtiger Empfindung: Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen! – und dann, gleichsam überwältigt von dem Strom seiner Gefühle, wandte er sich dem Fenster zu und blickte lange Zeit hinaus; hierauf trat er wieder vor den Fiskal und drückte ihm stumm die Hände, als Zeichen seiner innersten Zustimmung.

Die Augen Maßlaczkys leuchteten wie die eines Menschen, dem ein günstiges Urteil vorgelesen wird. Er hielt es für überflüssig, diese bedeutungsvolle stumme Pause durch Fragen zu unterbrechen; er rückte nur seinen Anzug zurecht und hielt triumphierend den Kopf in die Höhe, bemüht, mit dem Ausdrucke des Stolzes das Mienenspiel obligater Bescheidenheit zu paaren.

– Ich habe oft darüber nachgedacht – begann endlich der Herr Rat – welches Los wohl meine einzige Tochter erwarte. Wird ihr einstiger Gatte sie so lieben, wie sie es verdient? Wird sich ein Mann finden, der ihrer würdig ist? Das nachlässige, rücksichtslose Benehmen der heutigen Jugend kann mit Recht das Herz eines in die Zukunft blickenden Vaters mit Besorgnissen erfüllen. Ich muß aufrichtig gestehen, daß mitten in meinen Sorgen das Bild eines wackern Mannes mir oft in der Seele aufgetaucht ist, und daß mir unter meinen Bekannten ein Mann von reifem Verstande, gewiegter Erfahrung und festem, solidem Charakter einfiel, der mir völlige Beruhigung einflößen würde und an dessen Seite ich meine Wilma glücklich wüßte – und dieser Mann sind Sie, mein teuerer Maßlaczky.

– O bitte! unterbrach ihn Herr Maßlaczky, dem es unter der Last der auf sein Haupt gehäuften Lobeserhebungen schwindelig zu werden begann.

– Stets aber mußte ich mir diesen Gedanken wieder aus dem Kopf schlagen, fuhr der Herr Rat fort. Wie hätte ich hoffen können, daß Sie, dem eine so glänzende Laufbahn offen steht, der auf viel glänzendere Verbindungen sich Rechnung machen kann, sich herablassen sollte, sein Auge auf meinen bescheidenen Familienkreis zu werfen ...

– Im Gegenteil, beeilte sich Herr Maßlaczky ihm in die Rede zu fallen, meine kühnsten Wünsche kennen kein höheres Ziel und keine Verbindung könnte so glänzend sein, daß ich sie dieser vorziehen würde; welche Auszeichnungen mir auch das Schicksal noch vorbehalten mag, immer werde ich stolz sein auf den Schritt, durch den ich die Hand eines Fräulein Köcserepy erhalte und Mitglied einer Familie werde, deren Frauen als Muster häuslicher Tugenden und weiblicher Anmut glänzen.

– Ich aber kann sagen, daß mir eine größere Freude vom Schicksal nicht hätte zu teil werden können, als die mir der Antrag meines teuren Freundes bereitet hat. So, aber auch nur so, nehme ich Ihren ganzen Plan bezüglich der Karpáthischen Güter an. – Werden doch Sie der Besitzer derselben; mit der Hand Wilmas wird das Ganze einst auf ihren künftigen Gatten übergehen. Aber mit stolzem Herzen kann ich es sagen, mein Herr, in der ganzen Karpáthischen Herrschaft ist kein solcher Schatz, der ihre Hand aufwiegen würde.

– O ich weiß, ich weiß es Wohl; ich fasse die ganze Größe meines Glücks. Ich werde aber auch beweisen, daß, wenn ich auch nicht mehr im Alter jener Milchgesichter bin, die ihre jungen Jahre in müßigem Geckentum verprassen und in Kaffeehäusern und an noch schlimmeren Orten die Helden spielen – ich eine Frau wahrhaft glücklich zu machen verstehe, trotz meiner grauen Haare. Nicht als ob ich wirklich schon graue Haare hätte, ich bin ein Dreißiger, und das mit den grauen Haaren ist bei mir nur so eine Redensart. Schon als jungen Menschen pflegte man mich den Alten zu nennen, meines Ernstes wegen.

– Ihr werdet gut zusammenpassen, auch sie ist ernst.

Das vertrauliche »ihr«, dessen sich der Herr Rat bedient hatte, entzückte Herrn Maßlaczky in dem Grade, daß er dem würdigen Mann die Hand küßte, was in Anbetracht der Feierlichkeit des Momentes ein sehr rührendes und ergreifendes Schauspiel gewesen sein mag.

Der Herr Rat faßte den wackern Freier unter den Arm und machte ihn kluger Weise mit einigen Dingen bekannt, die ihm zu wissen nötig waren.

– Meine Tochter Wilma zählt erst dreizehn Jahre. Sie werden einsehen, daß sie noch nicht in dem Alter ist, sich zu vermählen.

– O bitte, einige Jahre auf und ab machen bei mir keinen Unterschied; ich bin bereit, so viele Jahre zu warten, als Sie nötig finden.

– Bis dahin bleibt sie auch unter dem Erziehungssystem meiner Frau. Eveline hat in allem ihr System.

– O und welche bewunderungswürdigen Systeme, beeilte sich Maßlaczky, hinzuzufügen.

– Eveline erzieht unser Kind nach ihren eigenen Ansichten, und ich kann ihr die Anerkennung nicht versagen, daß ihre Ansichten die richtigen sind. Umsonst, in gewissen Dingen pflegen die Frauen einen untrüglichen Takt zu besitzen; in öffentlichen Dingen getraue ich mir auf mein Urteil etwas zu geben, aber was die Kindererziehung betrifft, muß ich vor meiner Frau mich beugen.

Der Herr Rat schien ganz zu vergessen, daß er seine Laufbahn als Erzieher begonnen habe.

– Wer auch würde vor ihr sich nicht beugen! – rief Herr Maßlaczky in fanatischer Bewunderung aus – vor ihr, dem Vorbild weiblicher Vollkommenheit, der Personifikation aller Frauentugenden, dem Muster weiblicher Weisheit, Wahrhaftig, bei dein Gedanken, daß sie ihrer Mutter ähnlich wird, an Schönheit wie an Tugend, könnte ich mich entschließen, nicht zwei, nicht drei, nein, selbst fünfzehn Jahre noch zu warten ... das heißt – (der Herr Fiskal ließ seine Rede unvollendet, die fünfzehn Jahre schienen ihm doch zu viel.)

– Das heißt – nahm der Herr Rat die Rede auf – irgend einen Termin müssen wir doch festsetzen, sonst geben wir einander doch zu vage Hoffnungen; denn daß Sie es nur wissen mögen, mein lieber Maßlaczky, ich bin nicht minder pressiert, Sie meiner Tochter zu sichern.

Maßlaczky hatte in diesem Augenblicke die Empfindung, als wenn er mit Honig bestrichen würde.

– Gesetzt, sagen wir, die Heirat soll ein halbes Jahr nach dem Tage vor sich gehen, an dem Bela Karpáthi ein günstiges Endurteil in seinem Prozeß erhalt. Sie sehen, auf diese Weise werden unser aller Interessen in eins verwoben.

Maßlaczky rieb sich die Nase, daß es komisch war, anzusehen. Es fiel ihm ein, daß er ja den Karpáthischen Besitz von Zoltán gewinnen wolle, ohne daß ein Endurteil gefallt werde, und daß ein auf dieses letztere basiertes Übereinkommen demnach leicht eludiert werden könnte.

Er sagte mit edelm Lächeln: Präcisieren wir die Bedingungen noch genauer. Der glückliche Termin sei ein halbes Jahr nach dem Tage, an dem die Familie Köcserepy in den Besitz der Karpáthfalver Herrschaft eingesetzt wird.

Bei dieser schlauen Präposition sprühten seine Augen wieder jene siegreichen, blitzenden Funken, die er nicht zurückzuhalten vermochte, wenn es ihm gelungen war, irgend einer Sache eine geschickte Wendung zu geben.

– O, ich will den Termin nicht so weit hinausrücken. Lieber so nahe als möglich, mein teurer Freund, mein lieber Maßlaczky – protestierte Köcserepy in edelm Wetteifer. Höchstens zwei, drei Jahre. Von uns hängt es ab, daß binnen dieser Zeit der festgesetzte Termin eintritt. Nicht wahr, das wird nur von uns abhängen? Sie werden Tag und Nacht arbeiten, um den Prozeß zu beschleunigen. Ich meinerseits werde allen meinen Einfluß aufbieten, um ihm eine günstige Richtung zu geben. Das wird nicht schwer sein, denn das Recht liegt ganz auf unserer Seite. Es ist die gerechteste Sache. Sonst würde ich ja die Cession gar nicht annehmen; aber ich bin von der Gerechtigkeit der Sache überzeugt und kann Ihnen die Versicherung geben, Sie werden den Prozeß gewinnen, und dann wird nichts mehr im Wege stehen, daß unsere bisherige Freundschaftsbande sich zu dem innigsten Verwandtschaftsverhältnisse verdichten; dann werde ich meinen teuren Freund – »lieber Sohn« nennen können!

Bei diesen Worten umarmte Köcserepy den Fiskal, der ganz mit kindlicher Ehrfurcht dem martialischen Mann an die Brust sank; dieser aber beugte sich über das Männchen und drückte einen Kuß auf seine Stirne, wohl acht gebend, ihm die Perücke mit dieser Gefühlsdemonstration nicht zu verschieben.

Herr Maßlaczky gab sich ganz der väterlichen Umarmung hin. Er überdachte sich, daß ja der Rat von seinem Plane mit Zoltán noch nichts wissen könne und so werde er doch ihn, den Fiskal, nicht überlisten wollen.

Nach dieser empfindsamen Scene wandten sich beide Männer um, sich die thränenfeuchten Augen zu trocknen. Nachdem sie von ihrer innern Aufregung sich einigermaßen erholt hatten, zog der Herr Rat seinen lieben Freund Maßlaczky an sich und flüsterte ihm vertraulich ins Ohr: ich halte es für überflüssig, mein lieber Maßlaczky, zu bemerken, daß unsere ganze Verabredung bis dahin sub rosa bleiben muß, damit nicht die Welt vor der Zeit etwas von unserer beabsichtigten Verbindung erfahre und daran unliebsame Folgerungen knüpfe, Sie sind Advokat und ich bin Richter und Sie wissen ja, mag unsere Handlungsweise noch so unverfänglich und loyal sein, die Welt ist so geneigt, den Thatsachen eine falsche Auslegung zu geben.

– Ich begreife vollkommen Ihre Besorgnis; – lieber gnädiger Herr, bester Freund, Sie kennen mich. Ich kann schweigen, wie das Grab.

– Noch eins, mein lieber, guter Maßlaczky. Wie ich schon vorhin sagte, hat Eveline ihr eigenes Erziehungssystem, das ich nicht umhin kann, zu billigen, denn sie versteht sich auf diese Dinge besser als ich. Zu diesem System gehört es auch, daß junge Mädchen, solange nicht die Zeit dafür gekommen, von Heiraten, Liebe und dergleichen Dingen nichts hören dürfen; ich finde das sehr vernünftig und glaube, daß auch mein lieber Freund damit einverstanden sein wird.

– Vollkommen, vollkommen! Solch jugendliche Träumereien führen zu nichts Gutem; übrigens halte ich mich für einen viel zu gesetzten Mann, als daß es mir begegnen könnte, mich eines solchen Leichtsinnes schuldig zu machen. Die Neigung, welche ich für die Familie meines hochverehrten lieben Freundes und – warum sollte ich es nicht sagen – meines künftigen Schwiegervaters hege, soll sich in nichts verraten, als in meiner unbegrenzten Hochachtung.

Bei diesen Worten ergriff er mit seinen beiden Händen die Hände des Rates, als ob er einen Steirischen mit ihm tanzen wollte, schüttelte sie heftig, warf sich dann noch einmal an die Brust des hochherzigen Mannes und erhob sich von dort mit völlig aufgeheiterter Seele, mit stummen Zeichen andeutend, daß er sich nun zum Gehen anschicke.

Der Herr Rat begleitete seinen lieben Freund, den er unter den Arm gefaßt hatte, bis zur Thüre. Maßlaczky hielt schon die Klinke in der Hand, als ihm plötzlich noch etwas einfiel: und die gnädige Frau ...?

Herr Köcserepy blinzelte gnädig und beruhigend mit den Augen.

– Über diesen Punkt machen Sie sich keine Sorgen: ich werde ihr selbst alles mitteilen, um Ihnen die Verlegenheit einer Erklärung zu ersparen. Denn umsonst, die Rolle eines Freiers bringt auch den mutigsten Mann in Verwirrung, Ich kenne das aus eigener Erfahrung.

(Ich auch, dachte Herr Maßlaczky bei sich.)

– Eveline ist eine große Verehrerin von Ihnen, rief ihm Herr Köcserepy nach. Für ihre Zustimmung kann ich mein Wort im voraus verpfänden. Leben Sie Wohl.

– Leben Sie wohl! lispelte ihm Herr Maßlaczky noch zu, mit einem Gesichte, wie wenn Orestes von Pylades Abschied nähme und verließ, überschwellender Gefühle voll, die Behausung des Rates, welches Übermaß des Glücks ihn jedoch nicht hinderte, dem Mietkutscher, der ihn nach Hause führte, wegen einer streitigen Viertelstunde einen Zwanziger abzudisputieren.

* * *

Der Herr Rat trat mit heiterem, verklärten Gesichte in das Zimmer Evelinens.

Die nachdenkende Dame hatte sich bis zu diesem Augenblick mit der Zergliederung jener Gedanken beschäftigt, welche Maßlaczkys rätselhaftes Benehmen in ihr erweckt hatten. Je mehr sie dieselben prüfte, um so klarer fing sie an zu sehen. Alle Kombinationen stimmten zusammen. Sie beschloß, ihrem Gatten ihre Zweifel mitzuteilen.

Da kommt er eben.

Eveline machte ihrem Gemahl aufmerksam Platz an ihrer Seite auf dem Sofa und schmiegte sich, nachdem sie ihn zum Handkuß zugelassen, näher an ihn. Den blendend weißen Marmorarm auf seine Schulter lehnend, fragte sie: ist Maßlaczky bei dir gewesen?

– Ich habe bis jetzt eine Unterredung mit ihm gehabt.

– Über was?

– Über eine Prozeßangelegenheit – den Karpáthischen Familienprozeß, in dem er mich zu informieren wünschte. Der junge Herr Zoltán wird wahrscheinlich um sein Vermögen kommen.

– Weißt du auch, daß unsere Wilma eine kaum zu sagende Antipathie gegen diesen Jüngling hat. Ich kann es nicht begreifen. Andere junge Leute sind ihr höchstens gleichgültig, den aber haßt sie; so oft er vorbeireitet, läuft sie vom Fenster weg; in Gesellschaften habe ich beobachtet, weicht sie ihm überall aus, und wenn getanzt wird, bleibt sie lieber den ganzen Abend sitzen, um nur nicht genötigt zu sein, mit ihm zu tanzen.

– Ich finde das sehr natürlich. Dieser Zoltán ist der unausstehlichste Junge, der mir je vorgekommen. Die Welt hält große Stücke auf ihn, weil er reich ist. Nun, wir werden ja sehen, wieviel er noch gelten wird, wenn er es nicht mehr ist.

– Und sollte es so gewiß sein, daß er sein Vermögen verliert?

– Maßlaczky hat mich völlig davon überzeugt.

– Und deshalb war Maßlaczky bei dir?

– Ja.

– Und denkst du nicht, daß Maßlaczky außer diesen Prozeßangelegenheiten noch andere Gründe hat, uns zu besuchen?

Der Rat war verblüfft, obwohl er es nicht zeigte. So sollte auch seine Frau schon etwas von der Absicht des Advokaten wissen? Das wäre fatal. Es hält so schwer, die Frauen von der Reinheit einer Absicht zu überzeugen, wie erst dann, wenn sie in einem so zweideutigen Lichte erscheint, wie es hier der Fall war.

– Nun, und welche Gründe wären das? fragte er, sich völlig unwissend stellend.

Eveline lispelte verschämt und im Tone des tiefsten Mitleids: denke dir, dieser arme junge Mann ist in mich verliebt ...

Köcserepy lächelte.

– Das ist traurig für ihn. Der arme junge Mann!

– Aber ich bitte dich, laß dir nichts merken. Er verbirgt sein Leiden; aber ich habe einen Blick in seine Seele geworfen, der mir alles enthüllte. ... Der Unglückliche!

Wie bedauernswert erscheint nicht der arme, vier Schuh neun Zoll hohe junge Mann, wenn man bedenkt, daß er für die würdevolle Gestalt der Frau von Köcserepy schwärmt.

Herr Köcserepy gebot seinen Mienen, einen ernsten Ausdruck anzunehmen.

– Hüten wir uns, meine Eveline, den unglücklichen Mann wegen dieses Gefühles zu verspotten. Er ist nicht der einzige, den der Adel deiner Seele erobert hat. Eine solche Huldigung verdient mit Achtung erwidert zu werden. Du wirst sehen, wie ich, seitdem ich dies weiß, den wackern Mann noch mehr schätzen werde als früher. Behandle auch du ihn mit Schonung.

Eveline umarmte unter Thränen ihren Gemahl. O edler Beruf! Kann es ein höheres Maß weiblichen Zartgefühls geben, als schonend umzugehen mit einem fünfthalb Schuh hohen Männlein, das für eine der schönsten und tugendhaftesten Frauen der Welt in Liebe entbrannt ist?

Eveline fühlte sich bei diesem Gedanken auf eine überirdische Stufe der Seelengröße gehoben.

Der Herr Rat ließ sie in ihrem Glauben; was er wußte, behielt er für sich.

Bei späteren Zusammenkünften des Herrn Maßlaczky mit Evelinen herrschte in ihrer Konversation eine edle Freundlichkeit der peinlichsten Art. Beide Teile haben die Empfindung, wie jemand, dem man eine Handvoll lebendiger Ameisen geben würde, um sie in der Tasche nach Hause zu tragen, und dazu einschärfen würde, den armen Tierchen doch ja nichts zuleide zu thun. Herr Maßlaczky war in dem Glauben, daß die gütigen Blicke Evelinens infolge des durch den Herrn Rat ihr mitgeteilten Heiratsantrages aus mütterlicher Zärtlichkeit entsprangen und richtete sein Benehmen darnach ein, das von Ehrerbietung und demütiger Bescheidenheit überfloß; während Eveline alle diese verzückten Grimassen jener mondsüchtigen Leidenschaft zuschrieb, die man platonische Liebe nennt, und die ebensoviel Grund zu entsprechenden Mitleidsgefühlen als Stoff zu philosophischen Meditationen abgiebt.

Beide machen dann Herrn Köcserepy zu ihrem Vertrauten; Herr Maßlaczky weiß ihm ebensoviel zu erzählen von dem Entzücken, das Evelinens ausnehmende Freundlichkeit in seinem Herzen erregt, als Eveline von dem System idealer Gefühle, dessen Genesis sie in der Seelenstimmung des Herrn Maßlaczky Schritt für Schritt verfolgt. Der Herr Rat hört beiden aufmerksam zu und hilft dem einen sich freuen, dem andern bemitleiden.


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