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9.

Die emancipierte Familie.

Eine Woche nach dem in Karpáthfalva zugebrachten Tage sollte Zoltán sich auf den Weg machen.

Die sieben Tage dieser Woche schienen ihm ein langes qualvolles Jahr. Er wußte, der Schmerz über sein Scheiden sei das Geheimnis seines Vormunds; er hörte, wie Rudolph vor seiner Frau und den Kindern so gleichgültig von Zoltáns Abreise sprach, wie von etwas, was sich von selbst versteht, was der natürliche Lauf der Dinge mit sich bringt, und was vernünftigerweise geschehen muß; Zoltán muß sich ausbilden, seine akademischen Studien beendigen, denn die Wissenschaft ist ein Schatz, nicht für den Armen allein, auch für den Reichen. Zoltán wird daher jetzt die Pester Universität und später auch ausländische Hochschulen besuchen; darüber werden allerdings einige Jahre vergehen, dann aber wird er als wackerer, ausgezeichneter junger Mann zurückkehren und um so größere Freude wird dann in Szentirma sein.

In dieser Weise und aus solchen Auseinandersetzungen erfuhr Rudolphs Familie die nahe bevorstehende Abreise Zoltáns, und der Knabe mußte sein Benehmen demgemäß einrichten, durfte sich nichts merken lassen davon, daß er wisse, hinter den vorgeschützten Beweggründen seiner Entfernung lauere ein schwarzes, schreckliches Geheimnis, das seinen Geist nicht zur Ruhe kommen läßt, bis er ihm nicht aus den Grund gekommen, bis er es nicht ans Tageslicht gezogen und zunichte gemacht, was immer es sein mag. Er mußte noch die Kinder trösten, die zu weinen anfingen, als sie den guten Bácsi in den Wagen steigen sahen, und doch sind diese noch in dem glücklichen Wahne befangen, zur Kirschenzeit werde Zoltán wieder in Szentirma sein; er mußte »seiner Kleinen« die Thränen von den rosigen Wangen trocknen, und doch hat diese noch den süßen Trost, daß sie ihn nach ein paar Jahren wiedersehen wird als stolzen Jüngling, und auch bis dahin wird ihr Herz immer höher klopfen, so oft sie seinen Namen erwähnen hört; er mußte mit freundlichem Lächeln die scherzhaft geäußerte Bitte der guten Pflegemutter erwidern, er möchte ihrer in der großen Stadt doch nicht ganz vergessen, und doch weiß er recht gut, daß er auf lange, lange Zeit, vielleicht auf ewig Abschied nimmt, und daß sie nicht einmal Briefe von ihm erhalten werden.

Als er Rudolphs Hand drückt, muß er sich in die Lippe beißen, damit seine Thränen ihn nicht verraten, »Geschwind, geschwind, Zoltán!« flüstert ihm Rudolph zu, – »dann, wenn du allein bist!«

Jetzt sind noch vieler Augen auf ihn gerichtet, – die Dienerschaft, die zum Hause Gehörigen, unter denen sich vielleicht Feinde, geheime Späher befinden – vor diesen darf er keine Traurigkeit zeigen. – »Gott mit Euch!«

Die Kutsche rollt zum Hofe hinaus; dann mag er seinen Thränen freien Lauf lassen, niemand sieht ihn ja mehr.

Flora blickte bekümmert dem Scheidenden nach; erst jetzt fühlt sie recht, wie sehr sie ihn liebt; sorgenvoll hing sie sich in den Arm des Gatten.

– Du hättest ihn doch bis Pest begleiten sollen.

– Er soll sich daran gewöhnen, selbständig zu sein. Er lerne, selbst auf sich acht zu geben, sagte Rudolph mit erkünstelter Ruhe.

– Ich fürchte für Zoltán, ich ängstige mich sehr.

– Weshalb?

– Nicht die Reise ist es, was mir Angst macht, sondern das Ziel der Reise.

– Meinst du Tarnaváry? Es ist wahr, er ist sehr streng.

– Nicht ihn, sondern seine Familie.

– Wohl, meine Tochter würde ich nicht über einen Tag hingeben, aber für einen Knaben von Kopf und Herz, wie Zoltán, glaube nur, ist es eine gute Schule.

– Doch, doch wäre es besser für ihn gewesen, wenn er immer bei uns geblieben wäre, wir betrachteten ihn schon ganz wie ein Glied unserer Familie.

Die kindlichen Gefühle sind vergänglich, meine Liebe, sagte Rudolph mit einem tiefen Seufzer, der seine Worte Lügen strafte, gab seiner Frau einen Kuß und ging in sein Arbeitszimmer.

Flora nahm die weinenden Kleinen an die Hand, die noch immer ihre Tücher dem davon fahrenden Wagen nachschwenkten, und umarmte die Kinder der Reihe nach. Immer aber fiel es ihr ein, daß eines von ihnen fehle, und wenn ihr Blick auf Kathinka fiel, mußte es ihr auffallen, daß das Mädchen noch nie so blaß ausgesehen.

* * *

Rudolph hatte Zoltáns gewesenen Erzieher voraus zu Tarnaváry geschickt, mit der Eröffnung und dem Ersuchen, er möchte die Güte haben, die Vormundschaft über Zoltán auch einstweilen, bis seine Ernennung zum Vormund durch das Komitat erfolgt sein werde, zu übernehmen, nachdem er selbst sie niedergelegt.

Tarnaváry kannte bereits die Ursache, welche Rudolph zu diesem Schritt genötigt hatte.

Wir können uns die unangenehme Überraschung vorstellen, die er bei Lesung des Briefes empfand. Der Monolog (denn er pflegte nur mit sich allein vertraulich zu reden), den er damals hielt, mag ungefähr also gelautet haben: »Ich wollte, der Henker hätte diese ganze Bekanntschaft mit Szentirmay geholt. Da habe ich mir eine schöne Provinz auf den Hals geladen; soll da auf meine alten Tage noch einen Hofmeister abgeben, noch dazu mit einem so verzärtelten, altklugen Bürschchen mich befassen; auf meiner Hut sein, daß ich ihm kein schiefes Gesicht zeige; mir beständig den Kopf darüber zerbrechen, wo er sich herumtreibt und womit er sich beschäftigt; ob das junge Herrchen keine schlechten Streiche macht, ob er nicht wo ins Wasser fällt, oder durch zu vieles Tanzen sich die Gesundheit nimmt, ob er etwas lernt und nicht in irgend ein Putzmachermädel sich verliebt? Donnerwetter! Das wird eine kostbare Unterhaltung sein für mich, der ich nicht einmal um die eigenen Kinder mich zu kümmern Pflege«

Und damit hatte es seine volle Richtigkeit. Es gehörte zu den letzten Sorgen des großen Herrn, was die Glieder seiner Familie machten? Vielleicht wäre er nicht einmal imstande, auf der Stelle anzugeben, wie viele Söhne und wie viele Töchter er hat. Oft vergeht ein Monat, ohne daß er mit ihnen zusammenkommt Die Gemächer der gnädigen Frau waren ganz getrennt von den seinigen, man geht nicht einmal an derselben Stiege zu ihnen hinauf, die Kinder aber bewohnten sogar ein besonderes Stockwerk, zusammen mit den Bedienten, Stubenmädchen, Erziehern und Juraten, die alle in eine Kategorie fallen.

Der Herr Obergespan ist mit Landesangelegenheiten beschäftigt, und die schweren Staatssorgen dispensieren ihn von den Sorgen des Familienvaters.

»Vertrackte Brut,« pflegte der hochgeborene Herr zu sagen, wenn ihn jemand an diese Sorglosigkeit erinnerte, »bin ich etwa dazu da, den Rangen auf Schritt und Tritt hinterdrein zu sein? Mögen sie sich stoßen und schlagen, um so besser wachsen sie. Wenn ich auch den ganzen Tag nichts thäte, als ihnen Predigten halten, würde doch keines dadurch besser. Alle Kinder sind schlimm, ich war es auch. Wenn man sie bewacht, hält man sie nur zur Heuchelei an. Ich bin auch genug geschlagen und herumgestoßen worden, als ich ein Kind war; man schlug mir den Kopf ein, ich bekam einen Schnitt mit dem Federmesser in die Wange, da ist noch die Narbe, ein Pferd warf mich ab, ein Kahn schlug mit mir um, ich habe mir Arme und Füße gebrochen, im Alter von zehn Jahren lief ich meinem Vater davon, weil er mich prügeln wollte, und hütete sechs Wochen lang inkognito die Schweine, und doch ist ein Obergespan aus mir geworden! Sie sollen auch nicht anders sein als ihr Vater.«

Diese philosophischen Grundsätze mögen zuweilen hei Knaben nicht übel angewendet sein, allein der hochgeborene Herr hatte auch Töchter, und bei Mädchen giebt es noch gefährlichere Fälle, als ein Sturz vom Pferde und noch traurigere Denkzeichen, als ein Schnitt mit dem Federmesser in der Wange zurückläßt.

Die Folge dieser weisen Erziehungsgrundsätze war es denn, daß die älteste Tochter des Herrn Obergespans, Fräulein Tony, als sie sechzehn Jahre alt war, mit einem Klaviervirtuosen durchging, und als die Eltern dahinter kamen, schon getraut war. Der Herr Obergespan war außer sich, schalt und polterte, und diesmal noch weit ärger, als damals, als der junge Herr Lorenz, der kleine Majoratsherr, mit seinen Raketen das Preßhaus in Brand gesteckt hatte, und als die Tochter ihm wieder unter die Augen kam, brüllte er ihr wütend ins Ohr: daß mir das nicht zum zweitenmal geschieht!

Das geschah auch nicht mehr, wohl aber geschah es, daß zwei Wochen später Tony ihrem Manne davonlief; seitdem hat sie in der Welt eine Menge Abenteuer durchgemacht; – man könnte einen Roman damit anfüllen, und wenn nur der zehnte Teil davon Herrn Tarnaváry zu Ohren kam, was konnte er Weiseres thun, als achselzuckend mit exemplarischem Phlegma zu bemerken: was kann ich dafür? Ich kann sie doch nicht am Gängelband herumführen? – –

Die Frau Obergespanin kümmerte sich ebensowenig um ihre Kinder, wie ihr Herr Gemahl; sie war noch viel zu schön und zu jung, um ihre Zeit häuslichen Sorgen zu widmen. Wozu hält man denn Hofmeister und Gouvernanten? Die Wohnung war so gut eingeteilt, daß der Kinderlärm, wenn er auch das ganze Haus in Aufruhr brachte, nicht in das Zimmer der Mama drang und das war sehr zweckmäßig. Dafür kann gewiß niemand, wenn er eine große Familie hat, denn Kinder sind ein Segen Gottes; vornehme Leute haben aber wenigstens den Vorteil, von ihnen nicht belästigt zu werden und sie nicht unter den Augen haben zu müssen.

* * *

An einem schönen regnerischen Morgen traf Zoltán mit seinem Erzieher, der ihn in Tißa-Füred erwartet hatte, in Pest ein, und nachdem er sich im Gasthause umgekleidet, eilte er geradenwegs in die Wohnung des Obergespans.

Unter dem Thore erkundigte er sich bei dem reichverbrämten Portier, ob der Herr Obergespan Tarnaváry zu Hause sei, und erhielt den witzigen Bescheid, der Herr Obergespan sei nicht zu Hause, wohl aber der Septemvir Tarnaváry.

Zoltán dankte ihm, daß er ihn auf so sinnreiche Art von der neuen Würde des Obergespans in Kenntnis gesetzt hatte und eilte die Stiege hinauf.

Auf dem Gange lehnte sich ein Heiduck gemächlich zum Fenster hinaus und sah zu, wie es regnete; er ließ sich dreimal fragen, wo man zum gnädigen Herrn gehe, bis er, mit der Spitze des Stiefels hinzeigend, die kurz angebundene Antwort gab: sehen Sie nicht, da ist seine Kanzlei. Da steht es ja aufgeschrieben. Dort wird man's Ihnen schon sagen; und während er so sprach, machte er sich das Vergnügen, dem unten im Hofe stehenden Kutscher auf den Hut zu spucken.

Überhaupt konnte man die Bemerkung machen, daß alle Leute in der Umgebung Tarnavárys sich durch Grobheit auszeichneten. Sein Beispiel war ansteckend.

Einmal in der Nähe der Kanzlei konnte Zoltán schon nicht mehr fehlgehen, denn drinnen lärmte der Illustrissimus so gewaltig, daß das ganze Haus von Kraftflüchen widerhallte.

Beim Öffnen eines Thores von einem halben Dutzend nässender Hunde angefallen zu werden, ist nicht sehr angenehm, aber noch ungleich peinlicher ist es, beim Eintritt in ein fremdes Haus die Familienglieder bei einem Zank zu überraschen und im Lärm des Gekeifes sagen zu müssen, man habe gewünscht, seine Aufwartung zu machen, während man lieber fünfzig Meilen weit davon wäre.

Der Herr Septemvir schalt einen Juraten furchtbar herunter und auf sein Konto noch eine Menge anwesender und nicht anwesender Personen und ließ sich durch das Eintreten Zoltáns nicht im geringsten darin stören.

– Alle Donnerwetter! Wer hat je einen solchen verrückten Menschen gesehen. Ins Narrenhaus sollte man einen solchen verrückten Kerl sperren, und auch dort noch in die Abteilung für die Rasenden, und mit Ketten binden, mit eisernen Ketten. Million Schwerenot! Ich bin auch jung gewesen und habe viele Tollheiten begangen, aber so etwas ist mir noch nicht vorgekommen, das ist noch nicht erlebt worden! Der Teufel und seine Großmutter hole alle diese träumerischen Poetaster, alle diese auf Wolken reitenden Phantasten, wie Sie einer sind. Der Schlag möchte einen treffen. Wenn ich nicht ein so phlegmatischer Mensch wäre, ich weiß nicht, was ich imstande wäre, diesem Dings da anzuthun.

Zoltán war ganz verblüfft während dieses Ungewitters an der Thüre stehen geblieben und ließ verwirrt seine Blicke an den Gegenständen herumschweifen. Um einen runden Tisch herum saßen zwölf schreibende Juraten und hatten in diesem Momente alle den Kopf so auf die Schrift herabgebeugt, daß man nicht heraussehen konnte, welchem von ihnen das heftige Schelten des Obergespans galt, der für seine Person mit hochgerötetem Gesichte neben dem Tische heftig aus und ab ging und manchmal einen Blick herüber nach Zoltán schoß, als wollte er ihm bedeuten, ihn nicht früher anzureden, als bis er sich ausgetobt habe.

Zoltán erkannte sogleich Kovács unter den übrigen heraus, der aber mit dem Rücken ihm zugekehrt saß und ihn daher nicht sehen konnte.

Tarnavárys Wut steigerte sich immer höher, weil niemand ihm eine Antwort gab. Er hielt eine längliche, zusammengebogene Schrift in der Hand, mit der er viel herumfocht, offenbar mußte dies der Stein des Anstoßes sein.

– Wie aber fiel es Ihnen ein, das hierher zu schreiben? diese Kritzelei? antworten Sie!

Während er dies schrie, schlug er zuerst mit der Schrift auf seinen Handteller, dann aber mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß jeder der Juraten mit der ausfahrenden Feder ein »s« schrieb.

Auf diese laute, kräftige Interpellation stand endlich ein blonder Jüngling auf mit einem Gesichte, welches jetzt sehr blaß war und mit in der Mitte gescheiteltem Kopfhaar und wagte es, mit etwas entschiedener, aber doch mehr zitternder Stimme zu sagen: ich schwöre, gnädiger Herr September (was ihm in seinem Schreck statt Septemvir ausgerutscht war), daß ich lautere Absichten mit dem Fräulein hatte.

– Blitz, Donnerwetter! Setzen Sie sich, wer hat Ihnen geheißen aufzustehen? Hören Sie mich an, wer hat Ihnen befohlen zu sprechen? Was schwatzen Sie mir da für kopfloses Zeug vor. Schere ich mich den Teufel um Ihre Absichten? Nicht das ist hier die Frage, sondern warum Sie diese eselhaften Verse auf die Rückseite des Aktenstückes geschrieben.

Der blonde Jüngling setzte sich gekränkt nieder; aber wenn der Respekt auch jede andere Aufwallung in seiner Brust niederkämpfte, das dichterische Bewußtsein ließ sich nicht unterdrücken. Er konnte die Antwort nicht zurückhalten: »Bitte unterthänigst, die Verse sind nicht schlecht.«

Tarnaváry knirschte mit den Zähnen und rächte sich an dem straffälligen Dichter-Juraten damit, daß er das corpus delicti ihm hinwarf, mit dem Befehle: da Sie es hingeschrieben, so können Sie es jetzt auch herauskratzen.

Kann es wohl eine grausamere Strafe für einen Dichter geben, als seine eigenen Verse ausradieren zu müssen?

Erst jetzt begann der Septemvir Zoltán seiner Aufmerksamkeit zu würdigen.

Servus, frater, servus. Also schon angekommen. Schon gut. Jetzt sehen Sie, bin ich gerade giftig; gehen Sie nur hinüber zu meiner Frau; Frater Kovács wird Ihnen den Weg zeigen. Servus.

Kovács sprang auf dieses Wort vom Stuhle auf und bewillkommnete freudig Zoltán. Als dieser mit erleichterter Brust die Kanzlei verlassen hatte, fragte er ängstlich seinen Freund, was denn eigentlich da drinnen für ein Unglück passiert sei.

Kovács lächelte und erzählte ihm, daß jener blonde Jüngling, der Sohn eines begüterten Vicegespans, für die zweite Tochter des Septemvirs, Fräulein Julchen, schwärme, und alle erdenklichen Mittel ergreife, um ihr seine Gefühle kundzugeben, für welche Julchen keineswegs gleichgültig sei. So habe er neulich die Kriegslist ausgesonnen, auf leere Blätter der Prozeßakten, die er aus der Kurie nach Hause zu tragen hat, Verse und Liebeserklärungen zu schreiben, welche Akten er dann verabredetermaßen dem Fräulein Julchen einhändigt, mit der Bitte, sie dem Papa zu übergeben, was diese auch thut, aber erst dann, nachdem sie die an sie gerichteten Verse und Herzensergießungen heruntergeschnitten. Unlängst passierte es jedoch dem armen, liebeskranken Poeten, daß er in dichterischer Zerstreutheit seine Verse auf die umgebogene leere Hälfte der beschriebenen Seite eines Aktenstückes schrieb, so daß es nicht möglich war, sie wegzuschneiden. So kam die Schelmerei heraus und der Herr Septemvir sprüht jetzt Feuer und Flamme, nicht etwa, weil der unbärtige Jurat es gewagt, ein verstohlenes Liebesverhältnis mit dem noch den Kinderschuhen nicht entwachsenen Fräulein anzuknüpfen, sondern weil er die Verse auf die Rückseite eines beschriebenen Blattes gesetzt, wodurch sie unzertrennlich geworden mit dem unersetzbaren Aktenstücke, wenn es nicht gelingt, sie hübsch auszuradieren.

Unser Zoltán sollte jedoch erst recht aus dem Regen in die Traufe kommen.

Kaum bogen sie in den zu den Zimmern der gnädigen Frau führenden Gang ein, als mit einmal der Lärm eines heftigen Wortwechsels an ihr Ohr schlug.

Diesmal erschrak er wirklich, denn es waren weibliche Stimmen, die er vernahm, und nichts ist einem feinfühlenden Gemüt widerwärtiger, als Frauen keifen zu hören.

– Was ist das? fragte er Kovács, den er unwillkürlich am Arm erfaßt und einen Schritt zurückgezogen hatte.

– Ich glaube, die gnädige Frau drückt eben ihre Unzufriedenheit aus über den erzählten Vorgang.

– In der That, sie drückt sich sehr kräftig aus.

Zoltán sah zweifelnd seinen Führer an.

– Wird Fräulein Julchen so ausgescholten?

– O nein, nur die Gouvernante. Das ist viel bequemer.

Die vornehme Dame pflegt bei Streichen der jungen Herren und Fräuleins ihre Strenge nie diese selbst empfinden zu lassen, sondern nur die betreffenden Erzieher; erstens deshalb, weil die jungen Herren und Fräuleins dazu nur lachen würden; dann aber, weil diese untergeordnete Gattung Menschen am besten dazu geeignet ist, um seine Überlegenheit an ihnen zu zeigen, da sie eigentlich zwar zur Klasse der Gebildeten gehören, man aber doch mit ihnen umgehen kann, wie mit aufgenommenen Dienstboten.

– Gehen wir jetzt nicht hinein, flüsterte Zoltán, der einen Schauder vor diesem leidenschaftlichen Gezänk empfand, seinem Begleiter zu. Derlei Auftritte waren ihm ebenso fremd, wie ein Ausbruch des Vesuvs. In der Familie der guten, sanften, freundlichen Szentirmay hatte er nie so etwas gehört, dort war alles Liebe und Eintracht, dort hörte man nur Laute der Freude, der Heiterkeit, des Wohlwollens. Er wäre am liebsten dreißig Meilen weg von hier gewesen.

Kovács bemerkte die Verlegenheit des Knaben und hätte ihn gern in sein Zimmer geführt, allein der Kammerdiener hatte schon den jungen Baron bemerkt und war unbekümmert um den Gewittersturm d'rin – er mochte an ähnliche Scenen schon gewöhnt sein – in das Zimmer der gnädigen Frau gegangen, um ihn anzumelden.

Auf das verstummte plötzlich der lärmende Wortwechsel, und wenige Augenblicke darauf trat die Erzieherin zur Thüre heraus – ein blasiertes Fräulein mit einem Gesicht, wie ein Lederapfel und einer Nase, so groß, wie der Schnabel eines Getreideschiffes – doch war dies nicht die Nase, die sie soeben bekommen hatte; an ihrer Hand führte sie Fräulein Julchen, ein kleines brünettes, rotbäckiges Mädchen, mit hochgeschweiften Augenbrauen, dessen Mund, trotz der Thränen in den Wimpern, lachte; als Julie au den beiden jungen Leuten vorüberging, zwickte sie verstohlen Kovacs in den Arm und musterte Zoltán von oben bis unten mit ihren verschmitzten Diebesaugen, am Ende des Ganges aber wußte sie es geschickt anzustellen, daß sie der Gouvernante das Kleid heruntertrat.

Zoltán drückte sich an die Wand, um sie vorbeizulassen, und schlug die Augen nieder, als schämte er sich statt ihrer, daß sie ausgezankt worden.

Gleich darauf kam der Kammerdiener heraus, welcher Zoltán von Kovács übernahm und zur gnädigen Frau hineinführte.

Karoline, so hieß die Gemahlin des Septemvir mit ihrem Taufnamen, befand sich jetzt in einer Verfassung, die mit ihrem vorigen Zustande grell kontrastierte. Sie lag auf dem Diwan hingestreckt, sehr erhitzt und die Frisur etwas in Unordnung und es schien, als ob es ihr eine große Erleichterung gewähren würde, wenn sie ein wenig in Ohnmacht fallen könnte. Zwei Kammerzofen waren mit Riechfläschchen um sie beschäftigt und schienen ängstlich auf jeden Seufzer zu horchen.

– O, lieber Zoltán, hauchte Karoline, als sie des Knaben ansichtig wurde, Sie sind angekommen? Seien Sie uns willkommen. Wir haben Sie schmerzlich erwartet. Kommen Sie her. Setzen Sie sich – hier an meine Seite. O ich bin ganz außer mir. Jede Kinderei regt mich auf. Ich habe wirklich eine unglückliche Natur, wenn die geringste Kleinigkeit mir in die Quere kommt, gerate ich gleich außer mich. Ich thue gewiß unrecht daran, mich nun ein Nichts so zu ärgern. Ich bin imstande, wenn meine Mädchen mir eine Stickerei verderben, mich bis zum Ohnmächtigwerden zu echauffieren

Die treffliche Dame macht sich aus Julchens Jugendstreich nicht mehr, als aus einer verdorbenen Stickerei, oder vielleicht wollte sie Zoltán glauben machen, daß der ganze Lärm wegen einer Stickerei gewesen.

Dann wurde sie auf einmal ganz rosiger Laune, ganz Gemütlichkeit; sie umarmte Zoltán, sagte ihm, wie sehr sie sich gefreut, als sie erfahren, daß er künftighin ihr Ziehsohn sein werde; wieviel Gutes und Schönes sie schon von ihm gehört; sie zeigte ihm ihre Zimmer, ihre Nippsachen, allerlei Tand, an welchem Kinder Vergnügen zu haben pflegen. Sie erkundigte sich nach seinen Lieblingsgerichten. Zu Mittag wartete ihrer ein luxuriöses, feines, leckeres Diner. Zoltán wurde mit den beiden größeren Fräuleins bekannt, von denen das eine den Ausputzer von heute Morgen schon vergessen zu haben schien; man überhäufte ihn mit Konfitüren und Leckerbissen. Karoline sprach nicht anders mit ihm, als im Tone innigster Herzlichkeit und begleitete jede ihrer Frage mit einem schmelzenden huldvollen Lächeln.

Nach Tische fuhr sie mit ihm und den Fräuleins spazieren, abends besuchten sie eine vornehme Gesellschaft, eine glänzende Soiree, in der jedermann sich bemühte, Zoltán etwas Angenehmes zu sagen und ihm zu schmeicheln.

Dann kehrten sie wieder nach Hause zurück, Karoline übergab ihn einem ihrer Kammerdiener, der hinfort Zoltán ausschließlich bedienen und, mit dem Auftrag, den jungen Herrn Baron in seine Gemächer zu führen Im zweiten Stocke waren zwei schöne Zimmer für ihn eingerichtet, deren eines auf die Gasse ging, das andere mit der Aussicht auf den herrlichen Garten. Alles ist auf das prächtigste und mit dem größten Komfort eingerichtet. Über seinem Bett hängt ein gestickter Glockenzug mit vergoldetem Handgriff. Zoltáns Name war darauf gestickt.

Aber der Knabe fühlte sich so verlassen, so traurig mitten unter diesen Schmeicheleien, dieser Freundlichkeit, dieser Pracht und diesem verschwenderischen Luxus. Das ist nicht die Welt, in der seine Seele heimisch ist.

Als er sein Zimmer abgesperrt hatte und niemand mehr zu ihm hereinkam, holte er aus seinem Koffer das Gebetbuch seiner Mutter hervor und las, den Kopf auf die Hand gestützt, andächtig lange, lange in demselben, bis der Engel des Schlafes ihm die betenden Lippen küßte und die müde Seele aus seinen Schwingen dahintrug, wohin sie sich so sehr sehnt, in die stille ländliche Wohnung, zu den lustig plaudernden Geschwistern, in die treue Hut liebender Pflegeeltern, unter den gelben Ahornbaum, wo seine »liebe Kleine« neben ihm sitzt und mit ihrem Händchen die herabfallenden Blätter auffängt ...


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