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5.

Ein schlechter Sieg.

 

Vetores migrate colony!

 

Durch das Thor, zu dem Zoltán Karpáthi des Morgens aus seinem ahnherrlichen Kastell hinausgefahren war, fuhr des Mittags der spectabilis dominus Maßlaczky in den geräumigen Hof hinein. Er saß in einer schlechten, halbgedeckten Pritschke, denn in einem geschlossenen Wagen zu reisen, hielt er für ein lebensgefährliches Wagstück; ein vom Hals bis zu den Fußsohlen reichender Staubmantel schützte ihn gegen die Einflüsse der äußern Luft; gegen sonstige Eventualitäten hatte er Frater Bogozy mitgenommen, der von Pest an bis hierher schlief und den schwerhörigen Thomas, der neben dem Kutscher saß und auf dem ganzen Weg mit den Vorspannskutschen diskutierte; wegen des Wagengerassels und noch mehr bei der specifischen Taubheit des Alten war es allerdings wahrscheinlich, daß keiner hörte, was der andere sprach, das ist aber gleich viel, arme Leute erzählen gern von ihren kleinen Leiden, und es genügt ihnen, zu sehen, daß jemand zuhört.

Im Hof ließ der Herr Fiskal zuerst den Frater Bogozy absteigen, damit er sich erkundige, ob hier keine Hunde seien und sie, wenn welche vorhanden sein sollten, einfangen, anbinden, an die Kette legen lasse, und dergleichen mehr.

Bogozy kehrte mit der beruhigenden Antwort zurück, daß der gewesene junge Grundherr sein Haus von Menschen, nicht aber von unvernünftigen Tieren bewachen ließ, die Lieblingshunde des alten Nabob, die Windspiele, sind schon längst zu den Vätern heimgegangen, nur ein alter Wolfshund ist noch am Leben, aber auch der hat keine Zähne mehr und ist bei dem Verwalter in sicherem Gewahrsam.

Auf diese Kunde hin wagte es der Herr Fiskal auszusteigen und in den Hausflur des Kastells einzutreten, jedoch nicht, ohne vorher seinem Adjunkten und dem Husaren aufgetragen zu haben, nicht von seiner Seite zu weichen; es mochte in ihm die Besorgnis aufgestiegen sein, einer von den alten Beamten der Karpáthischen Familie könnte imstande sein, den Bevollmächtigten des neuen Grundherrn irgendwo in ein verstecktes mörderisches Burgverließ hinabzustoßen.

Der alte Varga empfing den Herrn Fiskal. Sie sagten einander gegenseitig, in welcher Eigenschaft sie sich gegenüberstanden, und nun lag es ganz in dem Belieben des Herrn Maßlaczky, mit dem zu beginnen, wozu er die meiste Lust habe. Wenn es ihm gefällig, kann er sogleich die Schlüssel übernehmen.

– Noch nicht, sagte der Herr Fiskal, dem es in dem Selbstgefühle seiner Überlegenheit eine angenehme Befriedigung gewährte, in manchen Dingen bewanderter zu sein, als der alte Herr. Nicht um das Gut zu übernehmen, sondern nur, um es in Ordnung zu bringen, bin ich vor dem Eintreffen des Besitzers hierher gekommen. Die Statution selbst wird in Gegenwart des Besitzers durch die von Amtswegen hierzu bestellten Personen mit aller Feierlichkeit vorgenommen werden. So ist es herkömmlich.

Herr Varga war zu verstimmt, als daß er über die unnötige Belehrung sich hätte ärgern sollen; er ersuchte den Herrn Advokaten sehr freundlich, er möge also je eher organisieren.

Herr Maßlaczky hielt den alten Herrn, in seinen blauen ungarischen Hosen, dem altmodischen Anzug und mit dem schartigen grauen Schnurrbart für irgend einen alten Unterbeamten und bemühte sich, ihm seine ganze hohe Herablassung fühlen zu lassen.

– Nur voraus, mein lieber Alter; gehen Sie nur voraus, öffnen Sie die Thüren, ich will alle Zimmer durchgehen.

Varga rief den alten Paul herbei, um das Gebot des Fiskals zu erfüllen. Der alte Diener war viel trauriger als gewöhnlich; nicht einmal sein Schnurrbart war herausgedreht.

– Das ist der Beschließer? fragte Herr Maßlaczky.

Herr Varga verneinte es.

– Nun, wir werden ihn dazu machen. Alte Diener sind nur mehr zu Beschließern tauglich, er wird sich ganz gut dazu eignen. Für einen Heiducken ist er schon ein bißchen zu alt.

Palkó blieb eine Antwort schuldig und riß die beiden Thürflügel vor dem Ankömmling auf, als wäre er zu dick, um durch einen geöffneten Flügel hindurch zu können.

– Pfui! was ist das für ein dumpfiger Geruch. Was ists da für eine Luft, lieber Alter, dies Zimmer ist wohl seit dem Tode des Herrn Johann Karpáthi nicht mehr gelüftet worden? Öffnen wir doch diese Fenster.

Dies »öffnen wir« war an Paul gerichtet, der mit solcher Beflissenheit Folge leistete, daß er zwei Fensterscheiben mit den Ellbogen einstieß.

– O, o, o! Wie kann man so ungeschickt sein. Schon gut, schon gut. Zum Beschließer wird man ihn nicht brauchen können, eher zum Kutscher. Zu den alten Pferden. Alte Pferde und ein alter Kutscher. Das paßt so zusammen – he, he, he.

Der Advokat fing nach seiner Gewohnheit an witzig zu werden.

Paul dachte nur bei sich, nun, ich werd' auch noch Gärtner werden, und Koch, warte nur.

Herr Maßlaczky ging alle Zimmer kreuz und quer ab; nichts war ihm recht.

– Diese Luster hängen an einem schlechten Platz, diese Fenster sind nicht hoch genug, die Thüren sollten anders aufgehen; die Kamine sind schon aus der Mode, und was ist das für eine Malerei? welch häßlicher Anstrich; da müssen Tapeten hinkommen. O, das kann nicht so bleiben. Die Familie Köcserepy besitzt einen viel zu feinen Geschmack, um so etwas um sich zu dulden. Auch die Möbel sind wenigstens schon zehn Jahre alt. Nun, nun, das ist natürlich. Auf ein Gut, das in Prozeß steht, giebt man nicht gern etwas aus. Das ist in der Ordnung. Das wird jetzt schon anders werden.

Dem guten Varga fielen diese Reden schwer aufs Herz, ihm, der da wußte, daß Szentirmay während seiner Vormundschaft den größten Teil der Einkünfte in großartige Ameliorationen hineingesteckt und die Wildnis in ein Paradies umgewandelt hatte. – Doch, wozu wäre es gut gewesen, mit diesem Menschen sich herumzustreiten?

Maßlaczky, nach Gewohnheit kleinlicher Menschen, kroch jeden Winkel ab, Boden, Küche und Keller und fand natürlich überall etwas auszusetzen; nichts war so, wie es hätte sein sollen. Der Dienerschaft im allgemeinen machte er sehr tröstliche Aussichten.

– Diese Herrschaft wird nicht mehr »Csákisches Stroh« Sprichwörtliche Redensart für patriarchalische Schlaraffenwirtschaft. sein wie bisher. Jedes Departement erhält seinen eigenen Chef, über das Kellerpersonal wird ein Oberkellermeister gesetzt, den Beschließern wird ein Hausinspektor auf dem Genick sitzen, das Küchenregiment wird ein diplomierter Koch übernehmen; von allem und jedem wird Rechenschaft abgelegt werden müssen: die Kutscher, Bedienten, Reitknechte, Gärtner reichen täglich ihre Rechnungen dem Küchenmeister, Kellermeister, Garteninspektor und Stallmeister ein, welche wiederum dem Haushofmeister Rechnung ablegen und verantwortlich sind und so weiter. O das wird hier eine ganz andere Hausordnung werden.

Zoltáns gewesene Dienerschaft bestand aus lauter treuen, erprobten Leuten, die von ihrer Kindheit an mit der Herrschaft aufgewachsen, keinen Dieb und Betrüger unter sich litten: ihren Händen konnte man jede Summe Geldes ungezählt anvertrauen. – Jedes Wort Maßlaczkys war ihnen wie ein Schlag ins Gesicht. Sie sahen einander nur an und schlichen einer nach dem andern fort, ohne sich vorerst zu empfehlen.

– Nun, mein lieber Alter, sagte Herr Maßlaczky, indem er mit herablassender Freundlichkeit Herrn Varga auf die Schulter klopfte, jetzt erübrigt nur noch eins: daß Sie mich zu den Zimmern hinführen, von denen Herr Zoltán Karpáthi sich ausbedungen hat, daß sie nicht geöffnet werden dürfen. Es ist nötig, daß wir sie kennen, damit wir nicht aus Unkenntnis gegen die Vertragsklausel verstoßen.

Varga bedeutete ihn mit einem Winke, er möchte nur Paul folgen, er selbst blieb zurück, sogar Thomas ließ er vorausgehen.

Nachdem sie einen langen Gang hindurchgeschritten waren, blieb der greise Paul vor einer grün bemalten Wand stehen und sagte, mit dem Finger hinzeigend: – Das sind die Zimmer.

– Auf einem andern Wege kann man nicht zu ihnen gelangen?

– Nein.

– In der That, eine seltsame Caprice, den Leuten in ihrer eigenen Behausung den Ab- und Zugang zu verbieten. Diese Zimmer bilden eine wirkliche Totengruft in diesem Kastell.

Bogozy konnte nicht umhin, die Bemerkung richtig zu finden.

– Pflegen keine Gespenster von da herauszukommen? fragte der Herr Advokat scherzhaft den greisen Diener.

– Guten Menschen thun sie nichts.

Der komische Ernst, mit dem diese Worte vorgebracht wurden, ergötzten Herrn Maßlaczky höchlich. Er konnte sich nicht enthalten, darüber zu lachen.

– Der alte Knabe ist köstlich. Er fürchtet sich nicht vor Gespenstern, aber er glaubt an sie. Und Sie, lieber Alter, fürchten Sie sich vor ihnen?

Mein Herr Varga, an den diese scherzhaften Worte gerichtet waren, blickte sprachlos auf den Advokaten und dieser sah betroffen, daß dem alten Manne die Thränen in den Augen standen.

Der Greis betrachtete lange thränenden Auges die profane Gestalt, und wandte sich dann ab, schwer aufseufzend.

Zum Henker, wie schwach diese alten Leute sind, sie fangen gleich zu flennen an, dachte der Herr Fiskal bei sich.

Varga eilte von dannen und gewann erst im Archivsaale so viel Fassung, um sprechen zu können.

– Haben Sie mir noch etwas zu befehlen? frug er den Advokaten. Es war das erstemal in seinem Leben, daß er jemand, der einen Titel hat, bloß mit Sie angesprochen. Herrn Maßlaczky fuhr diese Grobheit auch in die Nase. Nur per »Sie!«

– Lieber Alter, wie würden Sie meinen Namen schreiben, wenn Sie einen Brief an mich zu schreiben hätten?

– An den wohlgebornen, wohledlen Herrn Tabularadvokaten Gabriel Maßlaczky.

– Nicht wahr?

– Also mein wohlgeborner, wohledler Herr, ich bin so frei, ergebenst zu fragen, ob Sie noch etwas von mir begehren?

– Gehen Sie nur, mein lieber Alter, mit dem andern Alten da auf Ihr Zimmer, wenn ich Sie benötige, werd' ich Sie schon rufen lassen.

– Aber ich wohne weit von hier, und auch Paul wohnt bei mir.

– Wo denn?

– Auf meinem Gütchen, daß ich so glücklich bin als ein Vermächtnis des hochseligen Herrn Johann Karpáthi mein eigen zu nennen.

– Sind Sie also kein Beamter dieser Herrschaft?

– Nein.

Diese Entdeckung machte Herrn Maßlaczky sehr zuvorkommend. Er hatte es diesem einfachen blauen Anzüge nicht angesehen, daß der darin Steckende sein eigener Herr sei; er hatte ihn für irgend einen Kastner gehalten. Jetzt gab er sich Mühe, sich bei ihm in Gunst zu setzen: er lud ihn ein, mit ihm zu speisen.

– Danke, man erwartet mich zu Hause.

– Ja, man erwartet uns zum Mittagsessen, bekräftigt, Palkó, sich an Varga drängend und sichtlich erfreut, Herrn Maßlaczky den Rücken zeigen zu können, was sie auch thaten, mit dem Versprechen, zu der feierlichen Statuation als geladene Gäste wieder zu erscheinen; bis dahin möge Herr Maßlaczky die Schlüssel behalten und sich amüsieren, so gut er kann.

Als die beiden Alten fort waren, legte sich Herr Maßlaczky der Reihe nach auf alle Diwans und prüfte ihre Federkraft; dann verglich er mit seiner Uhr alle Uhren im Schloß: natürlich ging keine einzige richtig, die seinige ausgenommen.

Aber wenn auch die Uhren schlecht gingen, verstrich dennoch die Zeit und sie schlugen schon mit mehr oder weniger Pünktlichkeit drei Uhr – eine Tageszeit, um welche der Magen, besonders wenn man von einer Reise kommt, ungestüm zu werden pflegt.

– Wir speisen spät, sagte Herr Maßlaczky ein um das anderemal, in seinem Hunger auf- und abspazierend; dann suchte er sich aus der Bibliothek einen Hugo Grotius hervor, und fing an, sich durch Lesen die Zeit zu vertreiben, worüber es vier Uhr wurde

– Dieser fatale junge Zoltán pflegte wohl nach englischer Sitte zu speisen, erst um fünf Uhr. Er hat seine Dienerschaft darauf abgerichtet. Gehen Sie doch, Frater Bogozy, sagen Sie dem Koch, er mochte mir zuliebe von seiner alten Ordnung abweichen; mehr als sechs Gerichte braucht er nicht aufzutragen, Konfekt aber kann er geben so viel er will; Mayonnaise, unter uns gesagt, liebe ich nicht, aber wenn sie Ihnen schmeckt, können Sie davon essen. Als Tischwein sollen sie uns weißen Villányer geben, zum Dessert Méneser. Gegen Wildbret habe ich nichts einzuwenden. Diese Herrschaft hat eine berühmte Fasanerie. Von Mehlspeisen liebe ich die süßen. Für sich aber können Sie meinetwegen Topfenhaluschken machen lassen. Den Bedienten sagen Sie, sie möchten nur da hier aufdecken, das wird ohnehin künftig der Speisesaal sein, für eine Bibliothek ist's hier nicht ruhig genug. Mittlerweile lassen Sie mir von dem alten Sliwowitz bringen, als Reizmittel für den Appetit.

Bogozy zählte einen solchen Auftrag zu den angenehmsten, die man ihm geben konnte und ließ sich's nicht zweimal sagen, sondern rannte zur Thüre hinaus. Er blieb eine volle Stunde weg. Maßlaczky wußte nicht, was er denken solle. Er nahm allerlei Beschäftigungen vor, womit ein hungriger Mensch sich die Zeit zu kürzen pflegt. Er trat ans Fenster und trommelte auf den Scheiben; durchblätterte zwanzigerlei Bücher, ohne sich zu merken, was er las; er fand ein Dutzend Kartenspiele und legte damit die Napoleon-Patience; keine einzige ging aus. Als eben auch die siebente nicht ausgegangen war, erschien endlich Frater Bogozy mit einem desperaten Gesicht.

– Wo zum Teufel haben Sie sich herumgetrieben, amice dilectissime?

– Überall, wo nur ein menschlicher Fuß hin kann.

– Warum speisen wir also noch nicht?

– Nun, fürs Erste ist nicht ein einziger Bedienter im Hause, um den Tisch zu decken; zweitens ist nirgends ein Koch, eine Köchin oder auch nur eine elende Küchenmagd, die einen Kochlöffel rühren würde; folglich existieren auch keine sechs Gerichte, kein Konfekt oder Dessert, weder zahme noch Wildbraten, keine feinen und keine groben Mehlspeisen, es brennt nicht einmal Feuer auf dem Herd und im ganzen Hause ist nicht eine einzige arme Seele zu finden, von der man erfahren könnte, wo die übrigen stecken.

– Wo sind sie denn aber hingeraten?

– Ich sage ja, daß niemand da ist, den man darum fragen könnte.

– Nun, das ist eine schöne Geschichte! Herr Maßlaczky schnalzte vor Wut mit den Fingern.

– Wo sind die Leute denn hingeraten? Wie konnten sie wagen, fortzugehen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Diese nichtsnutzigen Schelme! Wo haben sie denn die Speiseschlüssel gelassen.

– Die sind gewiß bei Herrn Varga geblieben. Er wollte ja die Schlüssel übergeben, warum haben Spectabilis sie nicht übernommen? Der kommt aber erst morgen früh wieder hierher.

– Thut nichts. Die Schurken! Wollen mir noch trotzen! Keiner darf einen Fuß ins Kastell setzen. Gehn Sie, Frater, zum Verwalter, sagen Sie ihm, er soll sogleich ein Mittagsessen für uns zubereiten lassen. Ich befehl' es ihm.

Bogozy eilte davon und fand auch die Verwalterswohnung. Der Beamte selbst war nicht zu Hause, wohl aber eine rotwangige, pausbackige junge Wirtin, die eben damit beschäftigt war, einen duftenden mit Dillnkraut bestreuten Käsekuchen aus der Ofenröhre zu nehmen. Der Frater setzte sich zur jungen Frau, kajolierte ihr, erzählte ihr, was für ein geriebener Schurke sein Herr sei, daß er den wackern jungen Herrn Zoltán von Haus und Hof vertrieben. Das Frauchen traktierte den Frater mit Kuchen und kaltem Braten, trug ihm auch Wein auf und steckte ihm alle Taschen voll mit Grammelpogatschen Ein Nationalgebäck: kleine runde Kuchen mit Speckgriebchen. und geräucherter Wurst, setzte aber einen Fluch darauf, wenn er seinem Prinzipal einen Bissen davon zukommen lasse.

Der Frater wischte sich den Mund ab, empfahl sich und kehrte zu Herrn Maßlaczky mit der Nachricht zurück, der Verwalter sei nicht zu Hause, nur eine alte Küchenmagd, die noch dazu an den Pocken krank liegt, und alle Schlüssel seien eingesperrt.

Herr Maßlaczky schnob vor Wut, wie ein Walfisch. Er schickte zum zweitenmale seinen Haiducken fort, um irgend einen Kramladen zu suchen und etwas zu essen zu bringen, was zu haben sei, wenn nichts anders, so Salami, die könne man dann mit Essig und Öl verspeisen.

Thomas sagte: er habe verstanden, und verlangte dann im Gewölbe Öl und Essig; denn alles andere sei schon zu Hause.

Herrn Maßlaczky hätte beinahe der Schlag getroffen, als Thomas zurückkam, nichts anders mit sich bringend, als zwei Fläschchen mit Öl und Essig.

Wie drosch er auf ihn los! Geh er zu allen Teufeln und bring er, wenn nichts anderes, von wo immer wenigstens Brot.

Bogozy wollte zerplatzen vor unterdrücktem Lachen über den Irrtum des alten Thomas und konnte sich nicht enthalten, an der Thüre ihm einen Teil seines Proviantes verstohlen in die Hand zu drücken, indem er ihm durch Zeichen zu verstehen gab, keinem andern davon etwas abzulassen.

Es war bereits spät Abends, als Thomas ins Kastell zurückkehrte und ein paar altbackene Semmeln von unergründlichem Datum mitbrachte. Das war das Mittags- und zugleich Nachtmahl des Herrn Maßlaczky, der selbst eingestand, seit seinen Studentenjahren nichts so Hartes, Zähes und Ungenießbares mit seinen Zähnen verarbeitet zu haben.

Wenn das mein teurer Freund Köcserepy wüßte!

In einer solchen Weise hatte der liebe Herr Maßlaczky mit seinem Organisierungstalent alles dergestalt in Ordnung gebracht, daß, als am andern Morgen die Köcserepys mit den die gerichtliche Übergabe vollziehenden Beamten, den Stuhlrichtern und Vizegespänen, dann mit den zur Feierlichkeit geladenen Verwandten und Nachbarn eintrafen, niemand da war, um auch nur das Thor den Gästen zu öffnen, die, wenn nicht glücklicherweise Herr Varga mit angelangt wäre und den Ort, wo die Schlüssel aufbewahrt waren, angegeben hätte, genötigt gewesen wären, das Kastell mit Sturm einzunehmen,.

Herr Maßlaczky benachrichtigte mit einer Armen-Sündermiene seinen werten Freund, den Herrn Rat, von dein heimlichen Entweichen der Dienerschaft, so wie er ihn nach den ersten Gratulationen auf einen Augenblick beiseite ziehen konnte, während die Gäste die Gemächer des Schlosses durchwandelten, bewunderten und kritisierten.

– Ich kann nicht begreifen, was diesen Leuten durch den Kopf gefahren ist.

– Ich aber begreife es sehr wohl, sagte der Herr Rat. Gewiß haben Sie ihnen Schrecken eingejagt und unter dem verwöhnten Völkchen mit einem Schlag Ordnung machen wollen, und da sie ihren ganzen Jahreslohn schon ausgezahlt erhielten, haben sie sich hübsch empfohlen, ohne Adieu zu sagen.

Maßlaczky war so verblüfft, daß er keine Antwort zu geben wußte. Hat der den Teufel im Leib, daß er überall gleich die wahre Ursache herausfindet?

– Was zum Henker fange ich nun mit so vielen Gästen an? zankte der Rat. Ich habe weder einen Koch, noch sonst jemand mitgebracht, wohl wissend, daß ich hier ein ganzes Dienerpersonal vorfinde, und nun nehmen Sie sich um die Sache an, kommen her und verjagen sie mir. Wer hat Sie beauftragt, sich einzumischen? Wenn nur wenigstens meine Gemahlin nicht hier wäre; die wird alle Krämpfe bekommen, wenn sie erfährt, in welche schreckliche Lage Sie uns gebracht haben. Das ganze Haus voll Gäste und kein einziger Bedienter, kein Stubenmädchen, kein Koch da. Was wird aus meiner Gemahlin, wenn sie es erfährt?!

Herr Maßlaczky hatte das Gefühl, als wäre er ein mit heißem Wasser abgebrühter Hund. Hier in diesem Kastell so heruntergescholten zu werden, zu dessen Besitz er Herrn Köcserepy mit Besiegung so vieler Hindernisse verholfen, und das an dem Tage, auf den er seit Jahren als auf einen Tag des Triumphes hingeblickt hatte. Er wußte nicht einmal eine Entschuldigung vorzubringen, da nichts dagegen einzuwenden war, daß ohne Koch sich kein Diner herrichten lasse. Welche Beschämung, welche Demütigung!

Die gnädige Frau wird es nur zu bald erfahren. Sie war es, welche Herrn Maßlaczky einen Tag früher vorausgeschickt hatte, um Wild schießen und die eine längere Zeit benötigenden Torten, Gelees, Zuckerbäckereien machen zu lassen und alle Anstalten zu treffen, damit die morgige Tafel fürstlich bestellt sei, sodaß man nach Jahren noch davon in der ganzen Umgegend sprechen wird, und siehe da, jetzt brennt nicht einmal ein Feuer auf dem Herd, und man weiß nicht, was man zuerst in die Hand nehmen soll.

Die Rätin war einer Ohnmacht nahe. In einem solchen Falle ist es aus mit aller Philosophie. Gebt einer Frau Plato und Aristoteles in die Hand und laßt den Koch den Braten verbrennen, so zieht die Weisheit den kürzeren. Die Küchenangelegenheiten stehen über jeder Theorie. Versetze sich nur jemand in die Lage, er habe viele Gäste geladen, alle Zimmer sind voll mit Geladenen und es kommen noch immer neue an, es ist bereits Mittagszeit, und er wisse noch nicht, was und wie er ihnen etwas vorsetzen werde.

Eveline war außer sich, sie zankte, lamentierte ohne alles System; wenn sie jetzt Herrn Maßlaczky unter ihre Hände bekäme, sie würde ihm beide Augen auskratzen, unbekümmert um jedes argumentum apriori.

Es war ein Glück, daß Herr Varga Mitleid mit der armen Frau empfand und sie mit dein Versprechen tröstete, er werde schon von der Pußta seine eigene Köchin herkommen und von ihr kochen und braten lassen, es werde an nichts Mangel sein.

Dies beruhigte Evelinen ein wenig; nur darum ersuchte sie Herrn Varga, die gerichtlichen Prozeduren so viel als möglich in die Länge zu ziehen, damit sie Zeit gewinne, ein ordentliches Essen herzurichten.

Herr Varga wurde so der Retter der Familienehre und der gesamten hochansehnlichen Gesellschaft, weshalb denn auch die ganze Schar der Gäste im Verein mit Herrn Köcserepy sich alle Mühe gab, ihn nach Gebühr auszuzeichnen, während man Herrn Maßlaczky den nicht zu verbergenden und sehr natürlichen Ärger empfindlich fühlen ließ.

Der arme Advokat war ganz niedergedonnert, er wagte nicht den Mund aufzuthun oder sagte Dinge, die er selbst nicht verstand; bei der Statution mußten andere ihn auf die üblichen Formalitäten aufmerksam machen; der Gedanke, daß die gnädige Frau ihm zürne, brachte ihn ganz um Verstand, Mut und Besinnung. Er fühlte sich übler daran als ein Bedienter, der die Teller zerbrochen hat und befürchtet, man werde sie ihm vom Lohn abziehen.

Gegend Abend hatte die gerichtliche Ceremonie ein Ende, durch welche Rat Köcserepy in den Besitz der Karpáthischen Herrschaft eingesetzt wurde und bis dahin war auch das Essen fertig geworden.

Die Frau Rätin hatte sich von ihrer philosophischen Höhe so weit herabgelassen, eigenhändig in aller Eile jene Bäckereien zu bereiten, für welche die Kochkunst der Vargaschen Pußtenköchin nicht ausreichte; Dank den hilfreichen Bemühungen Herrn Vargas und des Wirtschaftsverwalters war es gelungen, die Tafel mit dem nötigen Glanze herzustellen, und wo irgend etwas fehlte, wurde die Schuld auf Herrn Maßlaczky geschoben.

Das Essen war schmackhaft genug, die Rätin erschien selbst bei Tisch, natürlich sehr ermüdet, ganz erhitzt; die Arme hatte eigenhändig die Torten aufputzen müssen, denn Herr Maßlaczky hatte die Köche davongejagt. Es war wohl hinreichend zu essen da, aber es hätte noch mehr sein sollen. Eveline konnte nicht umhin, sich vor ihren Gästen zu entschuldigen, daß sie ihnen ein so einfaches Mahl vorsetze, allein sie wüßten ja, welcher unglückliche Zufall sie getroffen, an dem nicht sie schuld trägt. Hier kehrten sich aller Augen gegen Maßlaczky, der vor Scham gern in die Erde gesunken wäre. Herrn Varga dagegen konnte man nicht genug danken, ohne ihn wäre man in der größten Ratlosigkeit. Herr Varga hat sich zum Wohlthäter der ganzen Gesellschaft gemacht, indem er mit seiner Köchin aushalf.

Herr Varga aber dachte bei diesen Lobeserhebungen: ich wollte, ich hätte Gift für euch kochen können; ich kann nicht dafür, daß ich ein so einfältig guter Kerl bin.

Genug, was bisher an der rechten Stimmung noch gefehlt hatte, bewirkten gegen das Ende der Tafel die guten alten Weine; die anwesenden Herren und Damen tranken sich ihre Gesundheit zu, alle aber und zu wiederholtenmalen auf das Wohl des trefflichen Hausherrn und seiner Familie, worauf dieser die Gegentoaste nicht schuldig blieb.

Lassen wir sie sich unterhalten. Was bei solchen Gelegenheiten gesprochen wird, ist unnützes Geschwätze; welcher vernünftige Mensch würde es wohl der Mühe wert finden, eine derartige Tafelkonversation niederzuschreiben.

Fern vom Geräusche der Tafel, dem Gläsergeklirr und den lärmenden Toastrufen wandeln einsam und unbemerkt – denn die Aufmerksamkeit eines jeden ist jetzt ganz wo anders hin gerichtet – zwei schöne Mädchen unten im Schloßgarten.

Das eine ist Wilma, des Rates Tochter, das andere Liza, die blinde Waise.

Bis hierher zu den mehr als hundertjährigen aristokratischen Platanen dringt nicht der profane Lärm des Gelages, und wenn es zwischen Himmel und Erde noch Feen giebt, können sie hier im kühlen Schatten des Laubdachs ruhig spielen und mit der winzigen Spanne ihrer Händchen die niedlichen Fußstapfen der beiden Mädchen abmessen.

Liza schmiegte sich an die Brust ihrer Beschützerin, welche den Arm zärtlich um ihren Leib geschlungen hielt, und so wandelten sie zusammen auf den gewundenen Kiespfaden des englischen Parks.

Beide sind, seit wir sie das letzte Mal gesehen, um zwei Jahre älter geworden: keine von ihnen ist mehr ein Kind, das Gesicht des blinden Mädchens ist noch voller und blühender geworden und Wilmas Antlitz noch weit blässer.

Sie flüstern leise miteinander, damit auch die Blätter auf den Bäumen nicht hören sollen, was sie sprechen.

– Dann kam er zu mir und sagte mir, ich möchte dich fest umschlungen halten und deine Hand ja nicht loslassen, sonst würdest du tief, tief hinabstürzen.

Das blinde Mädchen erzählt sicherlich irgend einen Traum, den es sich einbildet, wachend erlebt zu haben. Für sie ist Wachen und Träumen einerlei, in ihr Auge dringt kein Strahl, sie sieht nur mit dem geistigen Auge und so vermengen sich bei ihr die Erscheinungen beider Zustände.

– Ja gewiß. Er hielt uns so fest umschlungen, dich mit dem einen, und mich mit dem andern Arm, so flog er mit uns durch die Luft und tief unter uns brausten die Wasser.

O, wie ich mich fürchtete.

– Du träumst viel von ihm, Liza, denkst sehr oft an ihn.

– O immer, immer. Und du etwa nicht? Wenn du so lange schweigend dasitzest und ärgerlich wirst, wenn dich jemand anredet, glaubst du, ich weiß es nicht, daß du dann an ihn denkst? Wenn ich neben dir schlafe und du deine Hand ausstreckst und um meinen Hals legst, glaubst du, ich weiß nicht, daß du dann von ihm träumst? Ich habe ihn nicht gesehen, ich kenne ihn nicht, ich weiß nur von ihm, daß seine Stimme, als ich in der Todesangst zu Gott flehte, mir Antwort gab auf mein Gebet, und als er mich auf seinen Arm nahm, ließ ich meine Hand gleiten über sein Haupt, das weich war, wie Seide und über sein Gesicht, das sich anfühlte, wie heißer Samt. Und ich träume doch so viel von dieser Stimme, und von diesem Seidenhaar, wie erst du, die du ihn sahst und seitdem auch sehen und sprechen konntest.

– Ich habe ihn nicht wieder gesehen.

– Nicht? sagte ganz betrübt das blinde Mädchen, Warum nicht?

– Er ist weit verreist, sehr weit.

– Sehr weit? wiederholte Liza. Was ist das in der Vorstellung einer Blinden: sehr weit?

– Und ist er noch nicht zurückgekehrt?

– Ja, doch.

– Und warum kommt er nicht auch hierher? Warum läßt er so lange Zeit auf sich warten? Viele, viele Tage sind seitdem schon verstrichen, nicht wahr? Warum kommt er nicht, sich mit uns zu unterhalten? Siehst du, ich möchte ihn nur reden hören, oder seine Hand anfassen, diese starke, kräftige und doch so zarte, seidenweiche Hand. Du aber könntest ihn auch sehen, ihm vielleicht die Stirne streicheln, wie du es mir thust, vielleicht könntest du etwas mit ihm reden, worüber wir alle drei fröhlich lachen würden. Warum kann er nicht herkommen, hierher zu uns?

Wilmas Herz schnürte sich so zusammen, pochte so heftig. Vielleicht hätte es zerspringen müssen, wenn es den Kummer, der es drückte, nicht hätte ausschütten können.

Sie blickte um sich, ob niemand sie hören könne.

Kein Mensch war in ihrer Nähe, alle Leute waren mit dem Festmahl beschäftigt.

– Teure Liza, sagte sie mit bebender Stimme: den, von dem du sprichst, werden wir nie zu sehen bekommen, mit dem werden wir nie sprechen, den können wir höchstens nur im geheimen beweinen.

– Also liebt er uns nicht? wenn er uns nicht liebt, warum kam er uns retten? dann wär es ja viel besser gewesen, er hätte uns dort zu Grunde gehen lassen. Womit haben wir ihn beleidigt? Welche Ursache hat er, uns zu meiden?

– Das ist eine gar traurige Geschichte, liebes Kind. Sieh, er war ein sehr reicher Jüngling, der, weil er selbst reich war, den Armen Gutes that; und jetzt ist er selbst plötzlich arm geworden, und wohl mag es ihn am meisten schmerzen, daß er nun andern nicht mehr helfen kann. Er hat keine Heimat mehr. Er ist um alles gekommen.

– Wie war das möglich?

– Fremde Menschen haben die Güter, welche sein Vater ihm hinterlassen, ihm abprozessiert, nur um ihren eigenen Kindern destomehr hinterlassen zu können.

– O die schlechten Menschen! rief das blinde Mädchen mit Abscheu; möge Gott ...

– Sprich es nicht aus! rief Wilma, ihrer Gespielin die Hand vor den Mund haltend, um zu verhindern, daß das unbefangene Kind nicht den Fluch ausspreche über ihre eigenen Eltern.

– Die Menschen, welche ihn zum Bettler gemacht, sind meine Eltern; dies Gut, dies Kastell, in das man uns heute mit so viel Lärm eingesetzt hat, ist sein rechtmäßiges Besitztum, dieser Garten ist sein Garten und ich – ich möchte tief, tief unter der Erde liegen, von der man ihn vertrieben hat!

Das Mädchen sank schluchzend am Fuße eines alten, moosbewachsenen Ahornbaumes nieder, und zog ihre hilflose Gefährtin zu sich herab, die gleichfalls bitterlich weinte und mit den lichtlosen Augen empor zum Himmel starrte, als suche sie dort Gott, den sie nirgends sieht.

– Jede Blume, die ich hier sehe, fuhr das Mädchen schluchzend fort, scheint mir zuzurufen: auch ich gehörte ihm, auch mich habt ihr ihm geraubt! Bei jeder Schüssel, die aufgetragen, bei jedem Becher, der geleert wird, fällt mir ein, daß er vielleicht jetzt Hunger und Durst leidet. Wenn ich mich in das weiche Bett lege, um auszuruhen, hat er vielleicht nicht wohin sein Haupt zu legen, er, den meine Eltern von dem Sitze seiner Ahnen vertrieben, um mich zu bereichern. O dieser Gedanke wird mich noch töten!

Das blinde Mädchen war so verwirrt durch das, was sie gehört hatte, daß sie auch zu weinen vergaß, als wären ihre Nerven von dem Übermaß der auf sie einstürmenden Gefühle gelähmt. Sie vermochte nur unzusammenhängende Worte zu stammeln.

– Sie haben ihn elend gemacht! schrie in ihrem unbewachten Schmerz die Tochter des Rates Köcserepy; ihn, für den ich meine Seele hingegeben hätte, und mir haben sie jenen Besitz erworben, auf dem sein Fluch lastet.

Wenn jemand im Garten gewesen wäre, hätte er unfehlbar die leidenschaftlichen Worte hören müssen.

– Aber glaube mir, Liza, der Himmel wird ihnen das nicht hingehen lassen. Glaube mir, das wird ein trauriges Ende nehmen. Der Himmel wird sie in dem strafen, was ihnen das Teuerste ist. Das Trachten ihres ganzen Lebens war, mich reich zu machen. Für mich haben Sie alles begangen, meinetwegen haben sie himmelschreiendes Unrecht gegen ihn verübt. Wisse denn, daß ich bald sterben werde und daß sie dann niemand mehr haben werden, den sie lieben.

Welch trauriger Gedanke in dem Herzen eines Kindes: sie werden niemand mehr haben, den sie lieben!

Da drin in dem lustigen Saale klirren die angestoßenen Gläser, lassen die weinseligen Gäste aus voller Kehle den neuen Gutsherrn leben, der mit siegesstrahlendem Gesicht in dein alten Lehnstuhl der Karpáthischen Familienhäupter sitzt und vielleicht zum erstenmale in seinem Leben aus wahrer Herzensfreude lächelt.

Und doch sage ich, gestrenger Herr Rat, das kann noch ein schlechter Sieg werden.

Das Sprichwort sagt zwar: eine Krähe hackt der andern das Auge nicht aus.

* * *

In der Statutionsnacht schlief niemand so schlecht im Karpáthfalver Kastell, als unser lieber Freund Herr Maßlaczky.

Was hatte er davon, gegen die Karpáthis den Prozeß gewonnen zu haben, wenn er ihn jetzt gegen die Köcserepys verlieren soll?

Die gnädige Frau ist bitter von ihm beleidigt. Den ganzen Tag über sagte sie ihm kein freundliches Wort, abends beurlaubte sie sich persönlich von jedem Gast, ihn sah sie nicht einmal an.

Das ist zum Verzweifeln.

Wenn jemand nach Fräulein Wilma sich erkundigte, gab sie zur Antwort: – Die Arme ist in der Küche, sie muß die Funktionen der Köchin verrichten.

Herrn Maßlaczky war dabei jedesmal zu Mute, als würde ihm ein Dolch ins Herz gestoßen.

Abends bat sie die sich zur Ruhe begebenden Gäste zu entschuldigen, wenn ihnen in ihren Schlafzimmern eins und das andere abgehen sollte.

– Sie müssen diesmal schon Nachsicht üben, wir haben nur ein Stubenmädchen, ich und meine Tochter Wilma haben alles selbst in Ordnung bringen müssen.

Herr Maßlaczky kam sich bei diesen Worten als ein so schuldbeladener, gar nicht rein zu waschender Missethäter vor, daß es ihm beinahe als eine Wohlthat erschienen wäre, wenn man ihm zur Strafe kein Bett bereitet, sondern ihm die Kotze als Lager angewiesen hatte, auf der sonst Herrn Johann Karpáthis Windhunde zu schlafen pflegten.

In welcher verbitterten Stimmung mochte er gewesen sein, als Thomas ihm die Stiefel auszog: Bogozy schnarchte schon lange im Nebenzimmer. Als er sich niedergelegt hatte, konnte er doch kein Auge zuthun; beständig zerbrach er sich den Kopf damit, was er anfangen solle, um seinen Fehler wieder gut zu machen. Beständig schrieb er Briefe, bald an den Rat, bald an dessen Gattin, bald einen sentimentalen Brief, bald einen vertraulich scherzhaften, dann wieder einen männlich ernsten und hernach einen unterthänig kriechenden, und selbst als er schon eingeschlafen war, schrieb er noch immer Briefe, als ob er ein Dutzend Räte Köcserepy und deren Gattinnen jedes einzeln beleidigt hätte und jedem einzeln je einen entschuldigenden, aufklärenden, beschwichtigenden, schmeichelnden, orientierenden, freundschaftlichen, respektvollen, leidenschaftlichen, gereizten Briefe schriebe, sodaß beim Erwachen jedes Haar auf seinem Kopfe in Schweiß gebadet war.

Alles schlief noch im Hause, als er aufstand, sich ankleidete, Thomas aus seinem Schlafe rüttelte, ihn eine Kerze anzünden ließ, dann Bogozy aufstöberte, um sich eine Feder von ihm schneiden zu lassen und sich endlich, von den beiden heimlich in den Grund der Hölle verwünscht, zum Briefschreiben niedersetzte. Ein früh munter gewordener Haushahn half ihm unter dem Fenster nachdenken, indem er alle drei Minuten einmal krähte, und damit jeden guten Einfall in seinem Kopfe durchkreuzte.

Als es im Schlosse lebendig zu werden anfing, war das unzählige Male durchgestrichene Konzept fertig geworden; er schrieb es rein ab, versiegelte es mit seinem Siegelring und jagte Bogozy von neuem aus dem Bett, ihm streng befehlend, mit diesem Briefe unverzüglich zur gnädigen Frau Rätin zu rennen und ihn ihr einzuhändigen; doch möge er nicht vergessen, ihr die Hand zu küssen.

Eine bessere Zeit hätte er dazu nicht wählen können. Spät abends hatte Eveline der Vargaschen Notköchin aufgetragen, des Morgens, bevor Eveline noch aufgestanden sei, das Wasser zum Thee warm zu stellen und den Kaffee zu kochen, den Thee werde sie, die Rätin, selbst bereiten.

– Bemühen sich doch nicht, gnädige Frau, redete ihr die übereifrige Köchin zu, ich werde den Thee schon machen.

– Hat sie aber schon Thee gemacht?

– O wie oft schon in meinem Leben.

Damit beruhigte sich die Rätin, ja sie gab ihr die ganze Zinnbüchse mit dem teuern aromatischen Peccothee. Früh morgens, als dann zum Frühstück geläutet wird, geht sie hinab in die Küche und fragt die Köchin, ob schon das Wasser zum Thee siede?

– O, der ist schon längst gesotten.

– Gesotten? Schon längst? schrie die Rätin, die vor Schreck beinahe in Ohnmacht gefallen wäre.

Natürlich war der gesottene Thee so herb, daß bevor jemand sich hätte nötigen lassen, einen Löffel davon hinabzuschlucken, er sich eher dazu bekannt haben würde, seinen eigenen Vater umzubringen.

Eveline hätte gern jemand gefunden, dem sie die ganze Theekanne um den Kopf geschlagen hätte; der Köchin konnte sie es füglich nicht thun, denn diese hatte ja nur in übergroßem Diensteifer den Fehler begangen; sie hatte geglaubt mit dem chinesischen Thee ebenso umgehen zu müssen, wie mit dem Prominzenthee.

Da kam Bogozy mit dem Brief des Fiskals.

Den Henker auch küßte er die Hand! Er sagte nicht einmal, daß er da sei. Er legte den Brief verstohlen auf den Küchentisch, die gnädige Frau wird ihn schon erblicken, wenn sie hinkommt; er selbst aber zog sich aus der Gewitterzone hübsch aus neutrales Gebiet zurück.

– Was ist das? Wie kam das hierher? Wer hat das gebracht?

Sie sieht, daß der Brief an sie adressiert ist, erbricht ihn und das erste, was ihr in die Augen fällt, ist der kalligraphisch gemalte Name: Gabriel Maßlaczky.

Das kommt eben recht.

Die Rätin geht auf ihr Zimmer, und liest, was hier folgt:

»– Tief verehrte, mit jeder Fiber meines Herzens angebetete gnädige Frau!

»Kein Schmerz kann dem meinigen gleich kommen, der aus dem Bewußtsein entspringt, so unglücklich gewesen zu sein, Ihnen, meine Gnädige, unangenehme Gefühle bereitet zu haben: ich, der ich mein Leben dafür hingeben würde, damit das Ihrige nur in angenehmen Empfindungen dahin stieße. Obwohl ich unwissentlich gefehlt, bin ich doch nicht imstande, mich zu rechtfertigen; ich appelliere daher nur an Ihr engelgutes, stets zu verzeihen geneigtes Herz, das zu dieser Hoffnung mich durch die bisher mir gewährten Gunstbezeigungen berechtigt. Ich hoffe, daß diese kurze Trübung des Himmels unserer Bekanntschaft um so schneller vorübergehen wird, je näher ich den Augenblick gekommen glaube, wo ich jene Gefühle, welche Sie bisher schon erraten, zu den Füßen Euer Gnaden werde gestehen können, an die mich hinfort die stärksten Bande fesseln werden, mit dem lange ersehnten Genuß eines Glückes, das nur meine alles aufopfernden Bemühungen imstande waren, als Lohn zu verdienen. U. s. w.«

Herr Maßlaczky glaubte, etwas sehr Kluges gethan zu haben, als er diesen Brief schrieb.

Evelinens Gesicht färbte sich feuerrot, während sie den Brief zu Ende las, das Papier zitterte so in ihrer Hand, als würde es von der Schamröte, die auf ihren Wangen stammte, hin und hergefächelt.

Ganz außer sich rief sie nach dem Stubenmädchen, und befahl ihm, ihren Gemahl augenblicklich zu rufen.

Der Herr Rat kam sogleich, und als er die Aufregung gewahrte, in der seine Frau sich befand, fragte er besorgt, was ihr fehle.

– Sieh her! Lies! hauchte Eveline, ihrem Gatten den verhängnisvollen Brief überreichend.

Köcserepy durchlief den Brief, ohne eine Miene zu verziehen.

– Was soll das sein? Was will dieser Mensch damit sagen? frug Eveline in leidenschaftlicher Aufregung.

Herr Köcserepy wußte sehr gut, was das sei; er wußte auch, was der kleine Mann damit sagen wollte. Jedes seiner Worte bezieht sich auf Wilma. Das wußte er sehr gut.

Er legte den Brief schön zusammen und gab ihn seiner Frau kaltblütig zurück, indem er mit diabolischer Ruhe zur Antwort gab: – Das scheint eine Liebeserklärung zu sein.

– Eine Liebeserklärung – mir! schrie Eveline, wie eine Furie von ihrem Sitz in die Höhe fahrend und den Brief in zwei Stücke zerreißend. Mir das?!

– Ich denke, der Brief ist an dich adressiert.

Jetzt war Eveline wirklich einer Ohnmacht nahe.

Sie sank auf das Sofa zurück, und fing an bitterlich zu weinen vor Scham und Zorn.

– Wodurch habe ich das verdient? Womit habe ich einen Anlaß dazu gegeben?

Der Rat sagte mit tückischer Gelassenheit: – Es scheint, daß er deine Güte mißverstanden, denn er spricht von bisherigen Gunstbezeigungen. Du hast dir das selbst zugezogen. Nachdem du seine Gefühle im voraus erraten, hättest du ihnen keine Nahrung geben sollen.

So geht nur zu Werke, wer brennendes Fett mit Wasser löscht, damit die Flamme gleich zum Schornstein hinausschlage.

Evelinens Gemütsaufregung kannte keine philosophische Grenze mehr, ihre Ausbrüche setzten sich über alle rhetorische Formen hinweg; die Scham drückte sie nieder, der Zorn schnellte sie empor, und unter diesen entgegengesetzten Einwirkungen war es ihr schlechterdings unmöglich, jene innere Harmonie aufzufinden, welche die antiken Philosophen, als das erhaltende Prinzip der Welt betrachten.

– Schrecklich! Welche Beschimpfung? Mir das von einem solchen Menschen ...! O es ist nicht zu sagen. Womit habe ich das verdient? Ich, ich!

Die Rätin hätte es gerne gesehen, wenn ihr Mann sie damit getröstet hatte, daß er nicht begreife, wie jemand so tollkühn sein könne, mit sündhaften Gedanken sich bis zu der makellosen Tugend Evelinens zu versteigen, und daß Maßlaczky mindestens den Verstand verloren haben müsse.

Statt dessen sagte ihr der Rat mit kalter Ruhe: – Liebes Kind, das sind die Folgen solcher psychologischer Forschungen, Ähnliche Ursachen bringen immer ähnliche Wirkungen hervor. Du ahntest und erwähntest auch gegen mich, daß dieser Mensch eigentümliche Gefühle für dich hege und nahmst dir vor, ihn zu studieren. Deshalb warst du vielleicht nachsichtiger gegen ihn, als du hättest sein sollen; du unterhieltest dich oft stundenlang mit ihm; er hatte immer freien Eintritt bei dir; du sahst ihn gern, ihr disputiertet über abstrakte philosophische Sätze, über metaphysische und psychologische Paradoxe; – ich wollte keinen Einwurf dagegen erheben, ich wollte meine Frau durch unbedingtes Vertrauen ehren; aber sieh, ein großer Teil der Männerwelt ist so beschaffen, daß er die Frauen nur einseitig kennt, von einer oder zweien schließen sie auf alle anderen und nach einigen wohlfeilen Siegen denken sie auch von der stolzesten und tugendhaftesten Frau, daß sie ebenso schwach wie die andern, deren Stolz unter glühenden Worten hinwegschmilzt und die bei Plato begannen, um bei Epikur zu enden, und es gebe keinen Mann, den die Frauen nicht erhören würden.

Herr Köcserepy fand es für gut, Eveline die Überlegenheit seines Geistes nicht noch stärker empfinden zu lassen; sie war in der That schon so bleich, daß keine Theaterschminke sie noch bleicher hätte malen können.

– Ich muß zu meinen Gästen, sagte er, einen zärtlichen Kuß auf die bleiche Stirne seiner Gattin drückend – soll ich ihnen vielleicht sagen, daß du dich von der gestrigen ungewohnten Anstrengung zu erschöpft fühlst und nicht vor ihnen erscheinen kannst?

Eveline nickte ein stummes Ja. Der Rat entfernte sich.

Die Rätin aber fuhr fort, bittere Thränen des Zorns und der Scham zu weinen.

Herrn Köcserepy hätte es nur ein Wort gekostet, um sie darüber aufzuklären, daß kein Grund zu Ärger und Scham für sie vorhanden, er unterließ es aber weislich, dies Wort zu sagen.

Eveline suchte eilig aus ihrem Reise-Etui die Schreibmaterialien hervor und setzte sich nieder, um einen Brief zu schreiben: eine Antwort für Herrn Maßlaczky.

Sie kümmerte sich wenig um Tropen und Perioden, auch ihr Stil war nichts weniger als verblümt; sie schrieb folgendes: »Mein Herr.«

»Ich bin außer stande, Ihre Dreistigkeit gebührend abzufertigen. Auf Ihren Brief kann ich nur mit Verachtung antworten und ich werde darauf bedacht sein, wenn ich je noch mit Ihnen zusammentreffen sollte, wovor mich der Himmel behüte, Ihnen diese Verachtung verständlich genug zu erkennen zu geben. Ihren Brief habe ich zuerst meinem Mann gezeigt und dann ins Feuer geworfen. Es wäre unter meiner Würde, mehr Worte an Sie zu verlieren. Rätin Köcserepy.«

Punktum, Siegel drauf. Das Stubenmädchen soll ihn sogleich dem Herrn Fiskal aufs Zimmer tragen.

Die Gäste hatten mittlerweile das Frühstück eingenommen, bei dem Wilma die Pflichten der Hausfrau versah und nachdem sie einzeln sich mit aller Förmlichkeit empfohlen und sich noch einmal bedankt hatten, stiegen sie in die bereit stehenden Kutschen und verließen das Karpáthfalver Kastell.

Herr Maßlaczky blieb der letzte zurück. Wartete er darauf, daß man ihn nötigen werde, zu bleiben, oder harrte er auf die Antwort, oder hatte er noch etwas mit dem Rat abzumachen? genug, so viel ist gewiß, daß er noch immer dort saß, als sein Wagen bereits eingespannt im Hofe stand. Und doch hatte Fräulein Wilma bereits den Saal verlassen, und niemand war mehr dort als der Rat.

Auch der war so kalt, so zurückhaltend gegen ihn; Herr Maßlaczky versuchte es zu verschiedenen Malen, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, ein lustiges, zutrauliches, humoristisches Gespräch; dem Herrn Rat war kein Lächeln abzugewinnen; endlich entschuldigte sich der letztere, auf sein Zimmer gehen zu müssen, um einige Sachen in Ordnung zu bringen, und damit ließ er den Fiskal allein.

Auch Herr Maßlaczky war so genötigt, in sein Zimmer hinauf zu gehen. Wie er die Treppe hinauf stieg, überlegte er, was der Grund des kühlen Benehmens seitens des Rates sein könne. Zürnt er noch immer wegen der ausgerissenen Dienerschaft, oder ist er vielleicht verdrießlich, weil seine Frau unwohl, oder hat es vielleicht einen häuslichen Auftritt mit der Rätin gegeben?

Oder – bedarf man vielleicht schon seiner Dienste nicht mehr und will jetzt nichts mehr von ihm wissen, sondern wirft ihn weg, wie eine ausgepreßte Citrone?

O! ...

Diesem Gedanken gestattet er keinen Raum in seinem Gehirne.

Er zwang sich vielmehr, lustig zu pfeifen, als er in sein Zimmer trat.

Dort aber erwartete ihn der Brief Evelinens.

Der schlechte Kartenspieler erbrach zitternd das Siegel und als er den sehr kärglichen Inhalt des Briefes durchlesen hatte, standen ihm die Gedanken still; ihm war, als fingen Tische und Stühle im Zimmer um ihn zu tanzen an.

Haben meine Augen recht gesehen? Ist das ungarisch geschrieben oder in irgend einer fremden Sprache, die man nur mit Hilfe eines Geheimschlüssels lesen kann? Vielleicht muß man ihn nach einer besonderen Art lesen, nur die gerade Zahl der Zeilen und die ungeraden auslassen, wie die Briefe an Jakob II., die man ihm ins Gefängnis schrieb? – Man mochte rechts oder links lesen, es kam kein anderer Sinn heraus, als: mein lieber Herr Maßlaczky möge sich je eher in den Wagen setzen und in Gottes Namen davon kutschieren.

Den wackeren Mann betäubte der Brief so sehr, daß er mit dem Kopf gegen die Thüre rannte und erst dann inne ward, daß sie zu sei und erst geöffnet werden müsse, um hindurch zu können.

Er lief auch nicht, sondern stürzte die Treppen hinab, den verhängnisvollen Brief in der Hand und gerade hinein in Köcserepys Zimmer – so entsetzt, wie einer, den man verfolgt.

– Mein Herr! Mein Freund! Mein teuerer einziger Freund!

– Nun, was giebt's? fragte der Rat mit kaltem Blute; die beiden Hände hinter sich auf den Rücken gelegt.

– Lesen Sie! lesen Sie das! keuchte Maßlaczky – ihm den Brief hinreichend.

Köcserepy ließ sich herbei, die eine Hand hinter dem Rücken hervorzuziehen, um den Brief zu übernehmen und zu lesen.

Nachdem der Rat den Brief durchflogen hatte, zuckte er mit den Achseln und gab ihn zurück.

Er zuckt mit den Achseln? Was soll das bedeuten?

– Haben Sie gelesen? Was ist das, lieber Freund? Was bedeutet dieser Brief?

Der Rat lächelte. Es war ein sonderbares Lächeln. Wie wenn jemand einem Dritten sagen wollte: »Ich hätte es jetzt in meiner Gewalt, sehr grob mit dir zu sein, aber statt dessen lächele ich, denn das steht mir besser an. Ich könnte dich jetzt ins Gesicht schlagen, denn du würdest es verdienen, und ich hätte ein Recht dazu, aber ich lächele lieber, denn ich weiß, daß dir das noch mehr wehe thut, daß es dich in Verzweiflung bringt, daß es dir Angst und Zorn zugleich erregt.«

– Mein teuerer Herr und Freund, ich begreife nicht ... stotterte Herr Maßlaczky, der in seiner Bestürzung den Kopf so in die Schultern zurückzog, daß er noch um eine Spanne kleiner aussah, als er wirklich war. Ich weiß nicht, ich kann mir nicht vorstellen, was ich denn so Großes verbrochen habe. Ich habe einen Brief an die gnädige Frau geschrieben, aber darin stand nichts Beleidigendes. Ich habe hier das Brouillon.

Während Herr Maßlaczky in seinen Taschen den Entwurf des Briefes suchte, galvanisierte der Rat beständig das kleine, reizbare Männchen mit den auf ihn gehefteten Blicken seiner Augen und mit seinem unveränderlichen Lächeln, wobei er sich auf einem Fuß gemächlich schaukelte.

– Ich kenne ihn, ich habe ihn gelesen, sagte er, als endlich das Konzept aus einer der umgestürzten Taschen des Fiskals zum Vorschein kam.

– Sie haben schon? Ja doch, auch die Gnädige erwähnt, meinen Brief Euer Gnaden gezeigt zu haben.

– Natürlich. Ähnliche Briefe pflegt jede treue und tugendhafte Frau zuerst ihrem Manne mitzuteilen.

Auf die Worte treu und tugendhaft hatte er einen besonderen Nachdruck gelegt.

Der arme Fiskal fing erst jetzt an, klar zu sehen.

– Mein Herr, lieber, gnädiger Herr: Sie werden doch nicht auf den Gedanken kommen, daß ich ...

– Lieber Maßlaczky, mir ist die Sache schon längst kein Geheimnis mehr. Ich pflege alles zu wissen, was um mich herum geschieht, wenn ich auch davon nicht spreche. Jedes Wort, daß Sie meiner Frau gesagt, erfuhr ich noch in derselben Stunde. Meine Frau hatte schon lange eine Ahnung von dem, was Sie ihr in dem heute geschriebenen Briefe verraten.

– Aber um Gottes willen, teurer Herr Rat, haben Sie denn nicht beliebt, die Gnädige aufzuklären?

– Ich verstehe nicht worüber?

– Mein Herr! lieber Herr! teurer Herr Rat! ich schwöre Ihnen bei allem, was mir heilig ist, daß mir jeder Gedanke fern war, mit dem ich eine solche Niederträchtigkeit hätte begehen können. Die gnädige Frau hat mich mißverstanden.

– Da werden Sie mich schon entschuldigen, mein lieber Maßlaczky, wenn bei mir das Wort meiner Frau mehr gilt, als das jedes andern. Es mag von uns Ehemännern eine große Schwäche sein, daß wir in unsere Frauen das größte Vertrauen setzen, allein es ist eine Schwäche, die uns nicht zur Unehre gereicht.

Herr Köcserepy war ein Meister im Verdrehen der Rede.

– Aber mein lieber Himmel! Sie belieben ja zu wissen, daß ganz andere Wünsche, ganz andere Hoffnungen mich an dero werte Familie fesseln. Ich wünschte ja doch mir die Hand des Fräuleins Wilma zu verdienen, und Sie beliebten damit gütigst einverstanden zu sein.

– Um so schlechter, mein Herr, um so schlechter. Sie schlichen sich unter der Maske der Freundschaft in mein Herz ein; ich nahm Sie als meinen Verwandten, meinen Sohn, in mein Haus auf, und Sie legten es darauf an, mein Vertrauen mit Schande zu vergelten. Sie verlangten die Hand meiner Tochter und wollten meine Frau verführen. Sprechen Sie nicht, mein Herr, ich will keine Entschuldigung anhören. Das ist eine Handlungsweise, bei der jede Freundschaft, jede Rücksicht aufhört, welche alle Bande zerreißt, und der würde sich gewaltig tauschen, der da glaubte, daß Köcserepy, weil er ein ruhiger, höflicher Mann, in diesem Punkte ein Auge zudrücken wird. Ein solcher Fall steht außer dem Gesetz. Wo ich in meiner Gattenehre beleidigt werde, bin ich weder höflicher Mensch, noch guter Freund, noch Rat, sondern nur Ehemann und wäre der Beleidiger mein eigener Bruder, ich würde ihm eine Kugel durch den Leib jagen, oder ihn mitten entzweispalten!

Herr Maßlaczky sprang erschrocken zurück, als der Rat an den Tisch trat; er glaubte, es geschehe in der Absicht, ihm, sofort mit der Papierschere den Bauch aufzuschlitzen.

Es ist etwas Schreckliches von einem Menschen, mit dem man durch lange Jahre auf intimstem Fuße gestanden, dessen Gesicht man nie anders als lächelnd gesehen, der uns mit Gunstbezeigungen überhäufte, plötzlich wie aus heiterer Luft mit einem Donnerwetter überschüttet zu werden, und von ihm hören zu müssen, daß er einen mitten entzweispalten wolle.

Der Rat bemerkte die Wirkung seiner Worte und sagte großherzig einlenkend: – Hier schützt Sie das Gastrecht: innerhalb meiner Schwelle, vor meinen Hauspenaten kann mein größter Feind sich sicher fühlen; aber hüten Sie sich, mir anderswo zu begegnen, es kann nur eine Begegnung auf Kugeln sein.

Mit diesen giftigen Worten verließ der Rat den lieben Herrn und Freund, der in diesem Augenblicke nicht wußte, ob er Mann oder Weib, und so perplex war, daß er zu glauben anfing, er habe alles das, wessen er beschuldigt wird, wirklich begangen und verdiene es daher nicht besser, als daß der Herr Rat ihn beim Kragen erwische und zur Thüre hinauswerfe; einmal draußen, werde er dann mit Waffen über ihn herfallen.

Zu seinem Glück fand er die Thürklinke und seinen Hut, lief auf den Gang hinaus und die Treppe hinab; mit Zurücklassung Bogozys, des tauben Thomas und seines Staubmantels, welche drei er ihrem Schicksal preisgab, sprang er in den Wagen, versprach dem Kutscher zehn Silbergulden Trinkgeld, wenn er ihn, was seine Pferde laufen können, in einem Zuge, bis Tißafüred bringe und jagte so zum Hof des Karpáthfalver Kastells hinaus, ohne sich auch nur umzusehen; erst als er über den Wildpark hinaus war, wagte er es, zurückzublicken, ob nicht der Rat zu Pferde mit einer Flinte ihm nachgesprengt komme, um ihn zu erschießen.

Bis Tißafüred ließ er den Kutscher nicht einmal die Pferde tränken, immer noch in Angst, er könnte von dem wütenden Ehemann eingeholt werden; es hätte ihm leid gethan, noch so jung an Jahren, einem beklagenswerten Mißverständnis als Opfer zu fallen. Aber selbst in Tißafüred fühlte er sich noch nicht in Sicherheit, er eilte nach Poroßló hinüber, verleugnete dort vor dem Gastwirt seinen Namen, verschloß sich in sein Zimmer, und fing erst jetzt allmählich an zu sich zu kommen.

Und jetzt erst, nachdem er wieder seiner Sinne Herr geworden und ruhig überdachte, was mit ihm geschehen war, sah er ein, welcher Esel er gewesen, ein so kolossales Roß aus sich machen zu lassen.

Wie sie ihn aus dem Hause verscheucht, welches seine Kniffe dem jetzigen Besitzer erworben und wie schön Köcserepy sich von dem Versprechen losschält, ihm die Hand seiner Tochter zu geben. Wie sie ihn mit kleiner Münze auszahlen, mit der kleinsten Münze der Welt und wie er noch froh sein muß, mit heiler Haut zu entwischen.

Oho, mein gnädiger Herr, so weit sind wir noch nicht! Hier in der Tasche habe ich Hochdero Brief, worin sie mir versprechen, als Ersatz für die, als Advokatenlohn mir zugesicherten fünfmalhunderttaufend Gulden, wenn ich den Prozeß gegen die Karpáthis gewinne, die Hand Ihrer Fräulein Tochter zu geben. Spielen Sie daher immerhin die tragische Rolle des beleidigten Ehemannes, wenn es Ihnen beliebt, aber zahlen Sie mir die fünfmalhunderttausend Gulden!

Dies schrieb noch von Poroßló aus Maßlaczky an Köcserepy und er war kaum in Pest angelangt, als auch schon die Antwort darauf eintraf.

Der Rat schrieb ihm einen sehr schönen Brief; er habe – sagte er darin – allerdings den ernstlichen Willen gehabt, ihm seine Tochter zu geben; nachdem aber Maßlaczky seine freundschaftliche Herablassung so sehr gemißbraucht, werde er es natürlich finden, daß er einem Menschen seine Tochter nicht geben könne, der ihm seine Frau verführen wollte. Was jedoch die fünfmalhunderttausend Gulden betreffe, so war diese Summe nur für den ausdrücklichen Fall versprochen, wenn Maßlaczky den fraglichen Prozeß gewinne. Er hat ihn aber nicht gewonnen, denn es ist kein Urteil darin gefällt worden, der Geklagte hat sich mit seinem Vetter gütlich ausgeglichen, ja der Prozeß selbst sei vernichtet worden, und man könne sich darauf nicht berufen. Die Besitzübertragung der Karpáthischen Güter sei daher nicht das Werk seiner Bemühungen, sondern vielmehr der verwandtschaftlichen Gefühle Zoltán Karpáthis, Überdies sei Herr Maßlaczky, nicht sein, sondern Abellino Karpáthis Advokat gewesen, und wenn er daher glaube, irgend welche Forderungen machen zu können, möge er sich an diesen letzteren wenden.

Herr Maßlaczky war nahe daran, vom vierten Stock aus dem Fenster zu springen.

* * *

Ich bin doch geneigt, zu glauben, daß die größere Krähe der kleineren die Augen aushackt.

Denkt also darüber nach, was ihr gewonnen habt.

Wandelt ihr mit größerer Freude einher in den Hallen des Karpáthfalver Kastells, schlaft ihr einen ruhigeren Schlaf unter seinem Dach, genießet ihr mehr, hoffet ihr mehr, als vordem in eurer früheren Behausung?

Nagt nicht der Wurm an der Wurzel eurer teuersten Freuden? Gagen nicht Vater und Mutter, so oft sie auf ihre Tochter blicken: wie bleich ist das Kind?

Wandelt nicht die Sorge vor euch her, wie ein vorausgeworfener Schatten? Spricht nicht die Seele dann und wann unzufriedene, von geheimen Überdruß erzeugte Worte dort drin, in dem stillen, schweigsamen Herzen, auch wenn niemand es frägt?

Habt ihr wohl eine Ahnung davon, daß jeder Blick eures eigenen teuren Kindes ein schwerer, die Vergangenheit eures Lebens belastender Vorwurf? Ahnt ihr, was dies ernste Kind bei sich denkt, so oft es mit Verachtung auf die Geschenke, Schmucksachen, Kleider blickt, mit welchen eure elterliche Liebe ihm eine Freude machen will? warum jeder Lebensgenuß ihm gleichgültig geworden und es den leckersten Bissen auf dem Teller unberührt laßt? Fühlt ihr wohl die Nähe jenes unheimlichen Gespenstes, das dort beständig zwischen eurem und seinem Herzen sitzt und jeden Gedanken auffängt, der von einem zum andern stiegt?

Und der betrogene, der geprellte Kumpan? Bedauert, tröstet ihn jemand? Lacht nicht jedermann den gefoppten Advokaten aus, der zum erstenmal in seinen! Leben, aber dies eine Mal so schmählich aufgesessen? Unterhält man sich nicht von dem Streiche, der ihm gespielt worden, in jedem Kaffeehause, auf den Promenaden, in den Theatern, im Kasino? Und fällt es irgend jemand ein, dabei zu sagen: »Armer Maßlaczky?«

Sieht nicht jedermann mit ungeduldiger Erwartung und schon im voraus lachend, dem ergötzlichen Schauspiel entgegen, wenn der geprellte Advokat für seine sechzehnjährigen verlornen Bemühungen sich nun schadlos zu halten sucht an seinem alten Klienten Abellino, der schon mit einem Fuße im Sarge steht und dem er nicht erlaubt, den andern Fuß nachzuziehen; den er nicht ruhig sterben läßt, bis er ihm nicht jenes Almosen abgejagt, mit dem er ihn abgefunden, während er einem andern die Ungeheuern Revenuen zuschanzte? Wie werden diese beiden nun sich herumzerren, sich gegenseitig die Haut vom Leibe schinden, und so, einer an dem andern, allen denen eine Genugthuung verschaffen, die einst von ihnen abgesotten worden.

O es wird ein Genuß sein, das mit anzusehen!

* * *

In einem kleinen Hofzimmer, das nett und ordentlich, obwohl ärmlich eingerichtet ist, sitzt an seinem Schreibtische Zoltán Karpáthi.

Es ist schon spät, Mitternacht lang vorüber und er ist noch immer wach und arbeitet.

Alle jene Verpflichtungen, die er, als er noch reich gewesen, vaterländischen Unternehmungen gegenüber eingegangen, hatte er mit dem väterlichen Legat abgetragen, und es war ihm dann nichts mehr übrig geblieben.

Nichts? Und das reine Herz, die reiche Seele? Ist das nichts?

Nicht lange daraus erschienen in einem der gelesensten Blätter Bruchstücke einer Reisebeschreibung, welche durch ihren poetischen Schwung, die Neuheit der Auffassung, ihr originelles Gepräge die Neugierde des Publikums nach dem unbekannten Verfasser aufs Höchste spannten.

Diese unbekannte neue Erscheinung war Zoltán Karpáthi.

Ist die Poesie oder die Politik das Feld, dem er sein Talent gewidmet? wird das Urtheil der öffentlichen Meinung fragen, denn in den Augen der Welt gilt der Politiker immer mehr, als der Dichter.

Darauf vermag ich keine Antwort zu geben, weil ich die Demarkationslinie zwischen beiden nicht kenne. Ich weiß nur, daß ich nie charakteristischere, lebenstreuere und lehrreichere Romane gelesen, als Széchenyis politische Schriften und nie überzeugendere, wirksamere politische Werke, als die Romane von Eötvös. Nur beides zusammen ist etwas, zumal bei uns Ungarn, wo die eine Lebensthätigkeit die andere erzeugt.

Zoltán erhielt binnen kurzem die glänzendsten Anerbietungen von allen denjenigen, welchen die Hebung der vaterländischen Litteratur am Herzen lag.

Für sein Reisetagebuch wurde ihm ein Honorar versprochen, das ihn bei seiner einfachen Lebensweise auf Jahre hinaus vor Geldverlegenheiten sicher stellte; er arbeitet nun schon seit Monaten daran. Täglich pflegte er sechzehn Stunden am Schreibtisch zuzubringen.

Seine Bekannten und guten Freunde gaben ihm oft den wohlgemeinten Rat, seine Kräfte zu schonen, was er nur mit einem Lächeln aufnahm. Der Geist überarbeitet sich nie. Je mehr man ihm abverlangt, um so mehr giebt er; je mehr man aus ihm schöpft, um so reichlicher sprudelt sein Born.

Der Fürst unserer Litteratur, der unvergeßliche Széchenyi, gab bei einer Gelegenheit dem von ihm begünstigten Jüngling die seinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägte diätetische Lehre: » Acht Stunden täglich widme dem Schlaf, acht der Arbeit und acht der Unterhaltung

Zoltán erwiderte lächelnd: – Das thue ich auch: acht Stunden schreibe ich, um zu arbeiten, und acht Stunden zu meiner Erholung.

Er sprach wahr: die Muse der Dichtkunst ist eine so gnädige Göttin, daß sie diejenigen, die am Bau ihres Tempels arbeiten, ihr Tagwerk zu einem Zeitvertreib macht. O der süßen Arbeit, die in sich so hohen Genuß trägt, und statt zu ermüden, neue Kräfte giebt!

* * *

Die gleichmäßig brennende Studierlampe ließ mit ihrem dunklen Schirm das ganze kleine Gemach im Schatten und warf nur auf den Schreibtisch einen hellen Lichtkreis, innerhalb dessen das Haupt des jugendlichen Dichters wie mit einer Glorie umgeben schien.

Zoltán hatte sich ganz seiner Muse hingegeben, sein Geist war erfüllt mit den glänzenden Visionen der Poesie und schwamm in höheren Regionen ...

Wäre er nicht so in sich vertieft gewesen, hätte er wahrnehmen müssen, daß die Thür seines Zimmers ganz leise aufging und drei lächelnde, teure Gestalten durch dieselbe hereintraten: zuerst ein sanftes, mütterliches Frauengesicht, so mild und trostreich wie die Altarbilder der Madonna, dann ein schwebender Engel mit reizendem, wonnigem, beseligendem Lächeln und zuletzt eine Mannesgestalt, tiefes Gefühl und ungebrochene Kraft in den Zügen des wehmütig ernsten Gesichtes.

Der Jüngling fühlt die Annäherung dieser Erscheinung nicht; vielleicht daß das süße Pochen des Herzens, dessen unbeschreibliche Wonne nur poetische Gemüter kennen, ihm zuflüstert, daß er von guten Geistern umgeben sei, aber sein leibliches Auge hat sie noch nicht erblickt.

Die ernste, kräftige Männergestalt ist im dunkelbeschatteten Hintergrunde zurückgeblieben; die Frauengestalt lehnt sich rückwärts auf Zoltáns Stuhl und hat das sanfte mütterliche Antlitz so nahe zu ihm herabgebeugt, daß, wenn diese beiden Thränen ihrem Auge entrollen, sie sein Haupt benetzen werden.

Träumt er vielleicht dies Bild?

Da legt das liebliche Kind mit dem Engelsköpfchen die kleinen, schneeweißen Hände auf das Gesicht des Jünglings und hält ihm von rückwärts sanft die Augen zu.

Dieser erwacht wonnebebend, mit seinen Händen die zarten Finger erfassend, deren süße Berührung ihn bis zum Grund des Herzens durchschauert.

– Wer ist da? fragt eine bekannte melodische Stimme.

– Du bist's! seufzt der Jüngling wonnetrunken und wie er von seinem Stuhle aufspringend sich umwendet, sieht er sie vor sich, seine guten Engel, die sanfte, gütige Mutter, in deren Armen er aufgewachsen und die hold errötende Jungfrau, deren keusches Bild wie das einer Schwester, wie ein süßes Traumbild in seinem Herzen lebt.

– Mein Gott! mein Gott! stammelt er, vor Flora Szentirmay aus die Knie gesunken. Er weiß kein zusammenhängendes Wort hervorzubringen, wie sollte er auch? er weint nur und schluchzt und ist so glücklich, so überglücklich.

Das schöne Kind, als wollte es ihn trösten, streichelt mit den zarten Händchen das Haupt des Jünglings, das auf der Hand der Mutter ruht, die beiden sind ebenso arm an Worten, wie er selbst.

Endlich tritt auch die Mannesgestalt hinzu und redet ihn an: – Mein teurer Zoltán!

Bei diesem Ton springt der Jüngling außer sich auf, stürzt sich an die Brust des vor ihm stehenden Mannes und umarmt ihn so inbrünstig, so kräftig, als sollte ihm das Herz zerspringen; seine Arme schlingen sich krampfhaft um ihn, seine Lippen erbleichen, verstummen und in der nächsten Minute stürzt er ohnmächtig, besinnungslos zu Boden.

Als er zu sich kommt stehen alle drei um sein Lager; er fährt sich mehrere Male mit der Hand über das Gesicht, als wolle er sich die Gewißheit verschaffen, daß er nicht träume. Jene ergreifen seine Hände, drücken sie, küssen ihm die Stirne; dieser Händedruck, dieser Kuß – ja, das alles ist Wirklichkeit, das ist kein Traum!

– Du wolltest nicht zu uns kommen, sagte Flora scherzend, mit lächelnder Miene, da sind wir denn, wie du siehst, zu dir gekommen und jetzt lassen wir dich nicht mehr von uns.

Zoltán blickte fragend auf Rudolf, an dessen Statt Kathinka in kindisch neckischer Weise antwortete: – Du wirst wieder unser Sohn sein, und darfst uns nie wieder davon laufen.

Zoltán war noch immer nicht imstande, etwas zu erwidern.

Endlich sagte Rudolf zu ihm: – Was mein ist, das teile mit mir, meine Freude, meinen Schmerz. Du wirst mit uns leben, mit uns dich freuen, wirst für alle Zeiten zu uns gehören: nimmst du es an?

Zoltán hätte der langweiligste, der einfältigste Mensch auf dieser Welt sein müssen, der nicht verdienen würde, daß ich eine Zeile weiter von seinem Leben schreibe, wenn er hierauf mit »nein« geantwortet hätte.

Er drückte Rudolfs Hand an sein Herz, umarmte sie alle, alle, die er so sehr liebt, und in dieser Stunde gab es keinen glücklicheren Menschen auf Gottes Erdboden, als ihn, wenn nicht diejenigen ausgenommen, die ihn so glücklich gemacht.

* * *

Lassen wir nun vier volle Jahre hübsch ruhig verstreichen.

Während dieser Zeit änderte sich das Aussehen der Welt sehr rasch. Ost genügten einige Jahre, einige Monate, um die Vergangenheit unkenntlich zu machen; was heute die populärste Idee war, wurde morgen vielleicht schon aufs heftigste angefeindet; große, geachtete Charaktere überlebten ihren Ruhm schneller, als sie gedacht, dagegen konnte es sich treffen, daß beschränkte, nichtssagende Individuen zu Bedeutung gelangten, ohne selbst recht zu wissen, wie?

Von Zeit zu Zeit tauchte eine und die andere große Idee aus der Oberfläche des öffentlichen Lebens auf und brachte das ganze Land in Gährung; es entbrannten leidenschaftliche Kämpfe, die sich von Komitat zu Komitat erneuerten, alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, man warf Geld mit vollen Händen aus, erschlich Wahlstimmen, beging Staatsstreiche, katzbalgte sich in den Zeitungen, das ganze Land teilte sich in zwei Lager, deren Anhänger sich gegenseitig Fortschrittsmänner und Retrograde, Liberale und Konservative, Kubinßkys und Pecsovicse, Weiß- und Schwarzfedern tauften. Wenn eine spätere Generation, welche jene Zeit nicht miterlebt, die auf die Fahnen geschriebenen Losungsworte liest, welche Komitate, Städte, oft auch Familien in Parteien, die sich so schroff gegenüber standen, spalteten, wird sie sich den Kopf darüber zerbrechen, weshalb man sich mit solcher Erbitterung befehdete, welche die liberale und welche die konservative Partei war und welche Ursache sie hatten, einander so zu nennen.

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Der illustrissimus Tarnaváry war einer der verbissensten und leidenschaftlichsten Parteiführer.

Der geringfügige Umstand, daß unser illustrissimus im X.-Komitat der stärkste Schild der konservativen Partei, im Y.-Komitat dagegen der kräftigste Hammer der Liberalen, braucht niemand an dem Charakter des trefflichen Patrioten irre zu machen: er und noch ein zweiter und dritter und noch viele hundert und tausende betreiben die Politik am grünen Tisch aus wahrer Passion, gerade so, wie es passionierte Jäger, passionierte Melonenzüchter, passionierte Seefahrer u. s. w. giebt, und lassen daher keine Gelegenheit vorübergehen, wo einige Aussicht vorhanden, daß es scharf hergehen werde.

Da es nun aber der Zufall will, daß ein Teil der Besitzungen des hochgeehrten Staatsmannes im X.-Komitat und ein anderer Teil in der Y.-Gespanschaft gelegen ist, so gehört er für seine Person zwei ganz verschiedenen Hemisphären an.

Im X.-Komitat bilden rechtschaffene, bewährte Patrioten, uralter Stammesadel, wissenschaftlich gebildete Leute, voraussichtige, besonnene, gewiegte Männer des Herrenstandes das konservative Lager, das von einer Clique Kutyfalvischer Fratres angegriffen wird, die nur aus Übermut Opposition machen und ernsthaft befragt, was sie eigentlich wollen, es selbst nicht zu sagen vermöchten. Wie sollte da im X.-Komitat der Septemvir Tarnaváry nicht die feste Burg und der Leiter der Konservativen sein?

In der Y.-Gespanschaft verhält es sich umgekehrt. Hier ist fürs erste Köcserepy, den Tarnaváry seit dem Zoltánschen Prozeß gründlich haßt, das Haupt der konservativen Partei; um ihn gruppieren sich eine Schar entnationalisierter ungarischer Halb- und Viertelbluts-Lords, zänkische Renommisten, rabiate Cortesführer, servile Bedientenseelen, denen der Name Stellenjäger auf der Stirne geschrieben steht; die blind auf das Wort ihres Meisters schwören und die Herr Tarnaváry keines Blickes würdigt. Im entgegengesetzten Lager befinden sich dagegen Persönlichkeiten, welche dem Septemvir ans Herz gewachsen: Rudolf Szentirmay, den er hoch schätzt und verehrt, und Zoltán Karpáthi, welchen die Volksgunst zu ihren Schoßkindern zahlt, und von dem der Septemvir mit Stolz zu sagen pflegt: »nicht umsonst habe ich den Jungen erzogen!«

Wie sollte da Herr Tarnaváry im Y.-Komitat nicht der Hammer und stachliche Streitkolben der Opposition sein?

Dies glaube ich, ist eine so klare und befriedigende Aufklärung, daß mir nach derselben niemand den Vorwurf wird machen können, als seien das nur Märchen, die ich erfinde, und als geschähe es aus purer Malice von mir, daß ich honetten Leuten dergleichen Dinge anhänge.

Auf diese Weise also ereignet es sich jedesmal, daß unser Illustrissimus ein und dieselbe Reformfrage, die eben auf dem Tapet ist, im Komitat X. ebenso eifrig bemüht ist, durchfallen zu machen, als er im Komitat Y. sich anstrengt, sie durchzubringen. Dort schlagt er die Kutyfalvischen, hier die Köcserepyschen, und er ist fürwahr nicht der Mann, der sich viel darum kümmern würde, womit er schlägt. Er schlägt zu mit dem, was ihm eben unter die Hände kommt.

In dem Komitatssitz der Gespanschaft Y. bereitet sich eine großartige Kongregation vor; sie bildet das Hauptthema aller Gespräche. Auf den Gassen sieht man Gruppen von Landedelleuten, die vom Dorf hereingekommen, und in jeder Gruppe irgend einen Kaputrock- oder Attilaträger, welcher den Stand der Angelegenheit auseinandersetzt.

Was für eine Frage es ist, welche alle Gemüter in Bewegung bringt, kümmert uns hier wenig: irgend etwas, das die Unsterblichkeit eines Jahres genoß und dann einer andern Frage Platz machte, etwas, um das die Gegenparteien mit einer Anspannung der Kräfte kämpften, als hinge von dem Sieg oder der Niederlage das ewige Heil ab, und worüber sie seitdem entweder die Polemik völlig erschöpft haben, oder alle beide einer Meinung geworden sind.

Uns genügt es zu wissen, daß für diesen Tag die berühmtesten Redner des Landes in der Hauptstadt des Komitates sich eingefunden hatten, gewaltige, feurige Redner auf der einen Seite, welche die Zuhörer mit sich reißen – langweilige, geistlose Zungendrescher auf der anderen Seite, welche die Geduld des Auditoriums auf die härteste Probe setzen und seine Reihen zu lichten pflegen.

Schon am frühen Morgen des fraglichen Tages nahmen die bevorzugten Damen die Sitze auf den Galerien ein, entschlossen, den Ausgang des edlen Turniers standhaft abzuwarten; an ihren Ärmeln flattern stolz weiße oder trikolore Bänder, die ersteren sind das Köcserepysche, die letzteren das Szentirmaysche Parteiabzeichen.

In dieser Kongregation wollten die beiden Parteien ihre Kräfte messen; sie ging der bevorstehenden Deputiertenwahl um einige Wochen voraus und diente jeder Partei dazu, ihre Ansichten über die Fundamentalfragen zu entwickeln; wenn es möglich, gewinnen sie die Gegner mit ehrlichen Waffen, mit dem Gewicht ihrer Gründe; gelingt dies aber nicht – wie es denn sehr selten gelang – nun dann beginnen die erfolgreicheren Strategeme, das Corteskedieren, Gewaltstreiche, heimlicher und offener Stimmenkauf.

Das Vorspiel war insofern interessanter als die Tragödie selbst, als dort nur die geistigen Faktoren eine Rolle spielten, während die materiellen Vehikeln, als z. B. Wein, Schnaps und Silberzwanziger für den Entscheidungstag aufgespart blieben.

Auf dem grünen Tisch tanzen noch nicht Landsleute in Gatyen mit kotigen Csizmen herum und der Bleistock spricht noch nicht in die Debatte hinein; die besäbelten Kompatrioten sind nicht hierher gekommen, um einander zum Fenster hinauszuwerfen und der große Haufen hinter den Stühlen – Kopf an Kopf – hat sich nicht in den Sitzungssaal hereingedrängt, um durch sein Gebrüll die Stimme der Redner zu übertäuben; alles sieht vielmehr mit gespannter Aufmerksamkeit, mit lebhafter Teilnahme dem geistigen Kampf entgegen, und sucht nur eine Hand frei zu erhalten, um mit dem Kalpag seinen Lieblingsrednern zuwinken zu können.

Oben am grünen Tisch sitzen die Landesnotabilitäten, auf der einen Seite Rudolf Szentirmay, über die Schultern das kirschrote, mit Schwanenpelz verbrämte Samtmente geworfen, unter demselben einen goldgestickten, weißen Attila, den antiken, mit Edelsteinen besetzten Säbelgurt um die schlanke Taille; Tarnaváry mit seinem kurzen Hals sieht kaum aus dem Kragen seines Mente hervor, dessen Zobelverbrämung beide Schultern bedeckt; er hat so viel Stickerei und Verschnürung auf sich, daß er aussieht, als sei er mit goldenen Stricken gebunden, an welchen Stricken er im Feuer der Rede heftig zu zerren pflegt. Jetzt lümmelt er mit dem einen Ellbogen mitten auf dem Tisch. Ihnen gegenüber sitzt der Rat Köcserepy, dessen strahlendes Gesicht nur von dem Glanz seines Mente überstrahlt wird, zwischen der kostbaren Pelzverbrämung leuchten große Rubinknöpfe mit feurigen Augen hervor und jeder Knopf seines Dolmánys enthält eine kleine, wirkliche Uhr, welche Uhren aufgezogen sind, gehen und die Zeit anzeigen und zugleich den Witzeleien Tarnavárys als beständige Zielscheibe dienen, der nicht müde wird, im Gang seiner Rede sarkastische Anspielungen auf dieselben einzuflechten, wie zum Beispiel: »unsere Uhren gehen nicht gleich!« – oder aber: »der Herr Rat muß seine Uhren besser aufziehen, wenn er das und das erreichen will« – oder: »der Herr Rat könnte ja besser wissen, als jeder andere, wie viel Uhr es geschlagen hat!« u. s. w. An diesen Späßen beteiligten sich auch die edlen Kompatrioten des Bauernadels: Kiss Miska, der berüchtigte Cortesführer, der auch jetzt dort am unteren Ende der grünen Tafel steht, in hellblauem Viktoria-Dolmány mit rotem Besatz und glänzenden Knöpfen, und als die Sitzung sich in die Länge gezogen hatte, in die Worte ausbrach: »Wir lesen mit großer Andacht auf der patriotischen Brust des gnädigen Herrn – daß es schon Dreiviertel auf fünf« u. s. w. Ein anderer mit weniger Geduld ausgerüsteter Mensch würde schon längst seine Uhrknöpfe herabgenommen haben, allein Herr Köcserepy gehörte zu den Charakteren, welche schon deshalb nicht nachgeben, weil andere es so wünschen, und die sich in einem freiwilligen Märtyrertum gefallen.

Neben Herrn Köcserepy erblicken wir den Baron Berzy in eleganter ungarischer Toilette, nur daß auch über den Attila-Dolmány hohe, gesteifte Hemdkragen bis zum Ohr hinauf stehen, und ein Monokel in das eine Auge gekniffen ist, was auch ihm, als er aufsteht, um eine Rede zu halten, von Kiss Miska spaßhafte Glossen einträgt, als: »Nehmen Sie doch den Schuhfetzen vom Kinn herab, denn man versteht sonst kein Wort,« und: »Kommen Sie doch aus dem Zimmer heraus und sprechen Sie nicht mit uns durch das Fenster!«

Zwischen so vielen glänzenden Gestalten zeichnen sich nur zwei Individuen durch die Einfachheit ihres Anzuges aus. Der eine ist ein hoher, schlanker Jüngling, in einem schlichten, schwarzen, unverbrämten Attila; er kann nicht älter sein, als zwanzig, einundzwanzig Jahre; sein schönes sanft gerötetes Gesicht umgiebt ein dunkler, kastanienbrauner Vollbart, der ober den Lippen mit dem sanft herabhängenden jungen Schnurrbart zusammenstößt; wenn er schweigt, ist sein Aussehen so ruhig und sanft; wenn er aber spricht, dann solltet ihr sehen, wie da plötzlich seine Züge sich beleben, wie sein Auge flammt, seine Worte hinreißen; seine Beredsamkeit hat mehr von der Poesie, als von der Logik, und gerade deshalb ist sie um so gefährlicher; sein schmiegsames Organ besitzt die ganze Tonleiter von der einschmeichelndsten Bitte, welche die Gemüter beschwichtigt, bis zum Brausen des Gewittersturmes, der die Massen bewegt, Männer und Frauen, Kinder und Greise kennen, lieben, vergöttern ihn, und seine entschiedensten Gegner sind nicht sicher davor, daß nach den begeisternden Worten des Jünglings irgend eine Dame auf der Galerie, die zu ihnen gehört, vielleicht die eigene Frau oder Tochter, unwillkürlich hingerissen, ausruft: »Es lebe Zoltán Karpáthi!«

Die andere der bezeichneten Gestalten sitzt neben Baron Berzy; ein merkwürdiges, exotisches Gesicht, so rot als möglich, sodaß man auf der Oberfläche der Haut das Netz der roten Äderchen mit bloßem Auge ausnimmt; die pechschwarzen Haare sind hoch hinauf gekämmt, der dicke und kurze Schnurrbart von gleicher Farbe scheint den Raum zwischen Nase und Lippe nicht genügend zu finden und steht struppig, trotz aller Wachspomade über dem dicken Mund hervor; unterhalb der Unterlippe ist ein zwei Finger breiter Raum glatt rasiert, dort beginnt dann das besenförmige Haarbündel des langen Ziegenbartes, der völlig denjenigen gleicht, welche die Schauspieler auf der Bühne sich aufzukleben Pflegen. Die ganze Physiognomie scheint mit drei grellen Farben angelegt, an der Stelle des wegrasierten Bartes mit Ultramarin, sonst überall mit Karmin und Zinnober, Haar und Bart mit Hamburger Kienruß.

Nie noch war eine ähnliche Gestalt am grünen Tisch gesessen.

Das Ärgernis war noch erhöht durch den Umstand, daß der unbekannte Herr es gewagt hatte, sich zwischen die löblichen status et ordines in einem rappéefarbigen Oberrock hinzusetzen, unter dem, als er anfing seinem Träger zu warm zu werden, zum allgemeinen Entsetzen der Schoß eines schwarzen Quäkers zum Vorschein kam.

Herr Tarnaváry schien ganz behext von dieser unerhörten Erscheinung, seine Augen bestrichen sie beständig mit ihren Blicken, und jeder Blick schien zu fragen: »Warum wirft man diesen Kerl nicht hinaus?!«

Köcserepy und Berzy scheinen ihn dagegen gut zu kennen, denn sie neigen sich beständig zu ihm hin, um mit ihm zu flüstern und zwar sehr freundlich, was keineswegs dazu beiträgt, ihn in der Gunst Tarnavárys steigen zu machen, sondern diesen höchstens in seiner unmotivierten Antipathie verstärkt, wie sie Menschen von reizbarem Temperament häufig gegen Personen empfinden, die sie zum erstenmale sehen und deren Gesicht ihnen mißfällt. Wenn dieser Mensch nur etwas reden wollte, damit er nach Herzenslust mit ihm anbinden könnte.

Einstweilen, bis der präsidierende Obergespan erscheint, vertreibt sich jeder die Zeit, so gut er kann; die Zuschauer erkundigen sich bei einander um die Namen der agierenden Personen; die mutwillige Jugend kritzelt mit der Feder Karikaturbilder der bekannteren Redner aufs Papier; vor den geöffneten Thüren sammelt sich das Volk immer dichter an; ein und der andere unternehmende Geist wagt dennoch den Versuch, sich noch durchzudrängen; jedermann aber sucht wenigstens so viel Platz zu gewinnen, um auf einem Fuß stehen zu können.

Endlich öffnen sich die Flügel der Winterthüre und heraus tritt der Obergespan, ein Mann mit glatt rasiertem Gesichte und fremdartigem Aussehen, der in seinem ungarischen Anzug wie ausgewechselt erscheint; um jene Zeit pflegte nur der Klerus und das Militär keinen Schnurrbart zu tragen, und es war daher etwas Ungewohntes, ein den andern Standen ungehöriges männliches Individuum ohne Schnurrbart zu sehen.

Bei seinem Eintreten empfängt ihn ein schwaches Éljenrufen, das er aufs Höflichste mit einem Lächeln und einer Verbeugung erwidert und nachdem er seinen Sitz eingenommen, mit derselben Freundlichkeit nach rechts und nach links grüßt, doch wechselt er mit niemand einen Händedruck und nur aus der Entfernung scheint es, als sagte er etwas, während er mit niemand spricht.

Der Präses leierte sein Pensum ab. Er bezeichnete die Veranlassung der Versammlung und die auf der Tagesordnung stehenden Gegenstände, alles das mit hübsch leiser Stimme, als einer, der wohl weiß, daß es weder in seiner Pflicht, noch in seinem Interesse gelegen, seine Lungen anzustrengen. Nach seiner Rede brachten sie ihm wieder ein kleines Éljen, worauf er sich ein wenig verneigte, was eigentlich sein Sekretär hätte thun sollen, der die Rede aufgesetzt hatte, doch war es immerhin schön von ihm, daß er sich die Mühe genommen, sie auswendig zu lernen. Diese Mühe ist vielleicht niemand so befähigt gebührend zu würdigen, als die Sänger des Pester Nationaltheaters, welche es aus eigener Erfahrung wissen, welche schwere Aufgabe es ist, in einer völlig fremden Sprache eine Rolle einzustudieren und bei gänzlichem Unverständnisse des Textes sich nur an die gegebenen Instruktionen halten zu müssen, wann man lächeln, oder die Hand heben, oder den Tun steigern soll u. dergl. m.

Se. Ezcellenz der Herr Präses that auch weiterhin nicht mehr den Mund auf, sondern überläßt es den löblichen Ständen, aus der Frage zu machen, was ihnen beliebt, nur sollen nicht zwei auf einmal sprechen; er selbst aber hüllt sich in seinen Astrachanpelz ein, und spielt mit dem Brillantsolitär auf seinem Finger; man konnte ihm ansehen, wie sehr die ganze Verhandlung ihn langweile.

Die Rollen waren sehr zweckmäßig verteilt: den Antrag der Opposition muhte ein uns unbekannter und uns nicht näher interessierender junger Redner vorbringen, von dem es ein offenkundiges Geheimnis, daß er ein Provinzialkorrespondent des » Pesti Hirlap« und den man, weil er geschickt zu formulieren versteht, in der vorausgegangenen Konferenz mit der Antragstellung beauftragt hatte. Er setzt sich hierauf nieder, und wir haben mit ihm weiter nichts mehr zu thun; lassen wir ihn in aller Ruhe seine stenographischen Aufzeichnungen machen.

Nach ihm erhebt sich am untersten Ende ein greiser Táblabiro, mit einem langen zobelverbrämten Zrinyi-Rock, dessen lange Ärmel so weit über seine Hände herabreichen, daß nur manchmal ein und die andere Fingerspitze aus der Pelzeinfassung hervorguckt; ein ähnliches Schicksal hat auch seine dünne, heisere Stimme, bei der die Worte so ineinanderfließen, daß es sich anhört, als spräche jemand in ein hohles Faß hinein. Erst nach dem Schlüsse der Rede, der von der rechten Seite her mit Éljens begleitet wird, kann der fremde Zuhörer erraten, daß der Redner gegen die Motion gesprochen. Die, welche hier zu Hause sind, kennen den alten Herrn als den Nestor der bedächtig fortschreitenden Patrioten, welcher als ein ehrwürdiges Vermächtnis auf die junge Generation sich vererbt hat, weshalb man ihm denn auch immer das erste Wort einräumt.

Jetzt steht Rudolf Szentirmay auf; jeder Lärm, jedes Geräusch verstummt plötzlich im Saale; jedermann horcht mit feierlicher Aufmerksamkeit, aller Augen sind auf ihn gerichtet.

Seine Rede schreitet in ruhiger, fester Haltung vorwärts, ohne alle theatralische Knalleffekte, ohne alle künstliche Ausschmückung; sie ist ein geschlossenes logisches Ganzes von Anfang bis Ende, das gerade durch seine Einfachheit, große Wirkung macht; ein Krystallprisma, das, von allen Seiten durchsichtig, nach allen Seiten Regenbogen wirft. Seine markigen Sentenzen sind schlagend, seine Behauptungen unangreifbar. Er sagt nicht mehr, als eben nötig, er verletzt seine Gegner nicht, wirft sie nicht zu Boden, er überzeugt sie. Er kokettiert nicht mit den Galerien, er sucht nicht durch emphatische Ausbrüche das Urteil der Massen zu überrumpeln, sondern er spricht, als ob außer ihm und seinen Gegnern nur ein unbestechlicher Richter zugegen wäre, der zwischen ihnen richte: Der Heiland, des Kruzifix dort oben an der Wand hängt.

Als er seine Rede beendigt hatte, mochte man denken: wozu debattieren wir weiter? das alles ist ja unwiderleglich. Das leise Gemurmel, das durch den Saal läuft, zeigt die Wirkung, die seine Rede hervorgebracht, die einen sind befestigt, die andern erschüttert in ihrer Überzeugung. Die Schlacht scheint auf der einen Seite gewonnen, auf der andern verloren.

Aber hören wir Köcserepy. Er wird den Sieg streitig machen.

Wie er lächelt! ewig lächelt! Er lächelt seine Parteigenossen alle der Reihe nach an, um ihren Mut neu zu beleben, und ebenso seine Gegner, die ihm dies Lächeln gerne geschenkt hätten.

Er ist ein unvergleichlicher Schauspieler, das muß man ihm lassen; ein Meister in seinem Genre. Er kann weinen wann er will; er versteht es, sich auf sein lauteres Herz zu berufen; er kennt die Wirkung stufenweiser Steigerung des Tones und hat die Übergänge von einem Affekt in den andern vollkommen in seiner Gewalt; wenn er anfängt bitter zu werden, sollte man glauben, ein ganzes in Märtyrertum verbrachtes Leben spreche aus ihm; wenn er in die Extase eines Sehers gerat, hat es den Anschein, als wenn das Gewicht ganz Ungarns auf seiner Brust läge, als hätte er allein die drei Hügel und das Doppelkreuz zu tragen. Anspielung auf das ungarische Landeswappen. Er beschwört flehentlich seine Gegner, die er brüderlich liebt, er schüttet sein Herz aus, er ist bereit, alles hinzugeben, was ihm da« Teuerste ist, nur das Vaterland sollen sie ihn retten lassen; dabei erlaubt er sich die kühnsten Sophismen, er spricht von allem, was erschütternd, nur von der Sache nicht; er bringt hundert Argumente vor, um seine Behauptungen zu unterstützen, von denen aber kein einziges mit der Frage etwas zu thun hat, und wenn er seinen Sitz wieder einnimmt, setzt er sich nieder, wie ein Opferlamm, wie ein Prophet, der die Gefahr des Vaterlandes gesehen, sich auch mit Freuden für dasselbe geopfert hätte, wenn nur nicht Selbstsucht, böser Wille und Parteigehässigkeit ihn an dem guten Werke hindern würden.

Beifallklatschen von der Galerie, Éljenruf im Saale begleitet den Redner, und auch die, das Wohl der Landes wahrhaft im Herzen tragende Opposition kann seinem Rednertalent ihre schmerzliche Anerkennung nicht versagen und seufzt: warum ist Köcserepy nicht Schauspieler geworden? er könnte jetzt dort stehen, wo ein Kean, ein Macready, und welchen Ruhm könnte er so der ungarischen Nation erwerben.

Die Teilnahme der Menge ist leicht umzustimmen; von der Gefühlsseite ist ihr durch Pathos und schöne Phrasen leicht beizukommen; mehrere reichen über den Tisch hin Herrn Köcserepy ihre Hand; es ist hohe Zeit, daß Zoltán Karpáthi aufsteht.

Wie die edle, schöne Gestalt des Jünglings sich aus der Menge erhebt, bricht, wie auf ein gegebenes Zeichen, stürmischer Jubel los. Da kommt der Liebling des Volks, der von jedermann vergötterte Redner, der seine Zuhörer mit sich fortreißt, wohin es ihm beliebt, dessen originelle Einfälle und brillante Sentenzen sich unauslöschlich dem getreuen Auditorium des grünen Tisches einprägen.

Ah, wie der mit den Herzen umzuspringen versteht! Und was er sagt, fühlt er wirklich in seinem Innersten, seine Gemütsbewegungen, seine Affekte stehen nicht in seiner Gewalt, sie gehen mit ihm durch, jedermann mit sich reißend, sodaß er vor beständigem Éljenzuruf seine Rede kaum beendigen kann, und als er in den Schlußsätzen seiner Rede mit kühnem Selbstgefühl den von den Gegnern hingeworfenen Handschuh aushebt, erschüttert ein Beifallssturm den Saal, die Damen schwenken ihre Taschentücher, die Männer ihre Hüte nach dem jungen Redner, der, nachdem er wie ein Held seine Aufgabe gelöst, wie ein schüchternes Mädchen sich zurückzieht, errötend und mit niedergeschlagenen Augen.

Die Menge war nun schon im Lärmen drin und der nach Zoltán ausgestandene Baron Berzy mußte lange bitten, man möchte ihm doch ein klein wenig Gehör gönnen. Nach vielem Hört! Hört! kann endlich der geniale Baron seine Diktion beginnen, in deren Verlauf er reichlich Gelegenheit findet, über englische Meetings, dänische Volkshings, spanische Cortes, Yankee-Kongresse, fränkische Parlamente, Mongolen-Korultas, Indianer-Wigwams sein Wissen auszukramen, in Vergleich mit welchen die Gepflogenheiten der ungarischen Táblabirositzungen viel Absonderliches und Mangelhaftes darbieten; er sagte auch, welche Ansichten der berühmte Pitt und Fox über den fraglichen Gegenstand gehabt, wie derselbe von Necker und Bekaria aufgefaßt worden, und was noch andere berühmte Männer mehr davon denken, welche alle seine persönlichen Freunde sind. Damit nicht zufrieden, glaubte er auch noch entwickeln zu müssen, welche Wohlthat es für die Bewohner von Arkansas und Südvirginien, wie nicht minder für die Wilden von Otaheiti, Neu-Wales und den Karolinen sei, daß civilisiertere Völker für ihre Bekleidung Sorge tragen; wäre dies nicht der Fall, so würden sie heutigentags noch vom Kopf bis zur Fußzehe nackt einherlaufen, als welche das Strumpfstricken in ihrem Leben nicht erfunden hätten; wie lächerlich es daher sei, jetzt davon zu reden, von unseren Märkten fremde Fabrikserzeugnisse ausschließen zu wollen und wie jene Vergleiche so schön rücksichtlich Ungarns zutreffen und dergleichen mehr; woraus niemand um ein Haar klüger ward, als er vordem gewesen.

Auf diese exotische Rede trat eine lange stumme Pause ein; diese zusammengewürfelten Münchhausiaden waren so außer allem Zusammenhang mit Ort, Zeit und Logik, daß es nicht möglich war, sich sogleich zurecht zu finden in diesem Ideenchaos.

Nach einer kurzen Weile stand am untersten Ende des Tisches ein alter Herr Gevatter in blauem, kurzen Dolmány auf und richtete an den genialen Baron mit komischer Naivität die Frage! – Gnädiger Herr, da Sie so weit in der Welt herum gekommen sind, könnten Sie uns vielleicht sagen, aus welchen Bäumen die Linsen wachsen?

Auf diese unerwartete Grobheit, die in ihrer primitiven Einfalt eine kaustischere Gegenwirkung auf die prahlerische Rede des genialen Barons hervorbrachte, als die gründlichste Widerlegung vermocht hätte, erhob sich ein schallendes Gelächter im ganzen Saale, das die Männer beider Parteien gleichmäßig mit sich fortriß und von dem die löbliche Versammlung durch volle fünf Minuten sich nicht erholen konnte; Theodor geriet darüber in solche Wut, daß er vom Tische aufsprang, seinen Stuhl umwarf, sich zur Thüre hinausdrängte, in seinen Wagen stieg und auf und davon nach Pest fuhr.

Während dieses allgemeinen Hallos schien niemand es zu bemerken, daß jener unbekannte Herr dort im schwarzen Frack, mit dem karmin- und ultramarinfarbenen Gesicht, an dem grünen Tisch aufgestanden war und erst nachdem jedermann die Thränen, welche ihm das Lachen ausgepreßt, sich aus den Augen gewischt, fiel es auf, daß der seltsame Fremdling sich erhoben hatte.

Am Ende will der wirklich sprechen? Hört, Hort! nun, das muß man sich anhören. Herr Tarnaváry hat jetzt schon beide Ellbogen auf dem Tisch, so begierig wartet er auf das, was kommen wird.

Jede Bewegung, jede Miene des Unbekannten drückt wegwerfende, herausfordernde Verachtung aus, er sieht jedermann nur über die Achsel an, und als er seinen Vortrag beginnt, unterläßt er es, die übliche Anrede: löbliche status et ordines! vorauszuschicken und hebt gleich mit Ich an.

– Ich kann die Unordnung, die während dieser ganzen Sitzung herrscht, nicht begreifen! ...

Die Anwesenden sehen sich einer den andern an. In diesem Tone hat noch kein Erdensohn mit den löblichen Standen gesprochen. Dazu hatte seine Aussprache einen so fremdartigen, widerwärtigen, chokierenden Accent, als hätte er sein Ungarisch in Kalotaßeg gelernt, dann in Paris vergessen, und in Prag aufs neue gelernt. Er dehnt die Silben überall, wo sie kurz sein sollten, bringt keinen Doppelbuchstaben heraus und bewegt die Zunge mit einer aristokratischen Langsamkeit, als fände er es nicht der Mühe wert, sie für solches Krethi und Plethi anzustrengen.

– Ich habe nie eine solche Versammlung gesehen, fuhr der Unbekannte fort, wo man vor lauter Schreien sein eigenes Wort nicht hört. Jeder, der nur einen Pelzwams anhat, darf sich herausnehmen in die Beratung kluger Männer dreinzusprechen. Das ist ein unerhörter Kontrast. Weisheit und Rohheit in einem Zimmer beisammen. Das kann so nicht fortgehen; ich fordere den hochgebornen Herrn Präses auf, die lärmende Menge aus dem Saale hinauszuschaffen, oder uns in ein anderes Gemach zu führen, wo wir in Ruhe beraten können.

Nun erst brach der Lärm los, schon die letzten Worte hatte der Redner selbst nicht mehr ausnehmen können. »Fort mit ihm! hinaus mit ihm! nieder mit ihm!« brüllte man von allen Seiten mit drohenden Bewegungen der Gliedmaßen; zehn, zwölf Personen sprachen mit erhitzten Gesichtern gleichzeitig zum Redner, der fortwährend stehen blieb und seine glotzenden Augen mit großer Verachtung über die tobende Menge schweifen ließ, deren Zorn er weder zu begreifen noch zu fürchten schien.

Erst dann legte sich der Lärm, als Tarnaváry aufstand und, den verschnürten Dolmány sich zurecht rückend, dem Präses durch einen Wink zu verstehen gab, daß er sprechen wolle.

»Nun, der wird's ihm schon geben! Lassen wir ihn sprechen, hören wir ruhig zu. Halljuk

Mit einemmal trat eine solche Stille ein, daß man den Flug einer Hummel vernehmen konnte, welche summend mit ihren Flügeln an die Fensterscheiben schlug.

Tarnaváry maß mit unsäglichem Hochmut den Unbekannten zweimal von oben bis unten mit seinen Blicken, und redete mit scharfer, durchdringender Stimme gerade in ihn hinein, sowie er ihm gegenüberstand: – Ich habe nicht das Glück zu wissen, aus welchem Lande Sie hierher geflüchtet? ich weiß auch nicht genau, ob es dort Irrenhäuser giebt ...

» Actio! actio!« schrieen nun auf einmal die Leute der Gegenpartei, gegen den beleidigenden Redner die Verhunzung einer Aktion verlangend.

Tarnaváry zog mit giftigem Stolz seine Brieftasche hervor und warf sie auf den Tisch.

– Da ist die Straftaxe! Und belieben Sie sogleich die Buße doppelt herauszunehmen, denn es ist meine Absicht noch einmal in die Strafe zu verfallen.

Damit setzte er fort, was er begonnen hatte.

Szentirmay, der neben ihm saß, zupfte ihn vergeblich am Rock, er wurde dadurch nur noch wütender.

– Ich zweifle sehr, daß, welches Land immer seinen polizeilichen Pflichten nachkomme, wenn es seine rasenden Narren frei herumlaufen läßt; derjenige aber kann nichts anderes, als ein Narr und ein Rasender sein, der in einer verfassungmäßigen Komitatskongregation den Antrag zu stellen wagt, die daran teilnehmenden adeligen Stände aus dem Saale zu schaffen.

Der Redner sprach solche Dinge, daß selbst die Heißblütigsten darüber erschraken, nur auf den ihm gegenüberstehenden Fremden schien es keinen Eindruck zu machen. Höchstens, daß er dann und wann die trägen Augenlider hinaufzog und sich den tobenden Redner von oben bis unten ansah.

– Woher und warum Sie hierher gekommen, geht mich weiter nichts an; dieser Saal steht ebensowohl Narren als gescheiten Leuten offen, das aber mögen Sie sich hinters Ohr schreiben, welcher Eltern Kind Sie auch sein mögen: zuerst müssen Sie unsere Landesgesetze kennen und achten gelernt haben, bevor Sie hier den Mund aufmachen; zum zweiten aber möge sich der Herr merken, daß wir hier an diesem Orte kein zusammengelaufenes Gesindel sind, sondern ein Landesstand, der hier seine verfassungsmäßigen Rechte ausübt und daß jener Mensch dort in der Pelzjacke ein ebenso guter Edelmann ist, wie der Obergespan, und ebensoviel Recht hat, hier zu sein, wie ich und der Herr selber – wenn er überhaupt dazu ein Recht hat.

Tarnaváry warf sich nach diesen Worten stolz in den Stuhl, wie einer, der sehr zufrieden ist mit dem, was er gethan.

Der Unbekannte stand noch immer aufrecht und als der wetternde Redner ihm gegenüber sich niedergesetzt hatte, sagte er zu ihm in leidenschaftslosem Tone: – Wenn Sie, mein Herr, zu wissen wünschen, wer ich bin: ich heiße Emanuel Dabroni und bin siebenbürgischer Edelmann. Ich hoffe, daß wir noch näher miteinander bekannt werden.

– Wird mir eine große Ehre sein, erwiderte Tarnaváry mit höhnischer Ironie.

Den Obergespan genierte dieser Auftritt sehr. Er fühlte sich dabei höchst unbehaglich. Sich aus dem Stegreif verbeugend, stand er von seinem Stuhle auf und erklärte, daß er genötigt sei, die heutige Sitzung aufzuheben. Seine Juraten rissen vor ihm die Thüren auf und er rannte so eilig hinaus, als fürchtete er, man konnte ihn zurückrufen.

Die Stände erhoben sich und fingen an, sich gegen die Thüre zu bewegen, was des großen Gedränges wegen, nur langsam von statten ging. Mittlerweile hatten die Bekannten Zeit, Gespräche miteinander anzuknüpfen.

– Es war schade, diesem Menschen so scharf auf dem Leib zu gehen, sagte Rudolf zu Tarnaváry. Der Arme lebte in seiner Jugend unter den Siebenbürger Sachsen, seitdem hielt er sich im Auslande auf, die längste Zeit in Spanien, da kann er mit unsern konstitutionellen Sitten und Gebräuchen nicht wohl bekannt sein.

– Warum schweigt er dann nicht? polterte Tarnaváry, Wenn er nichts von der Sache versteht, soll er das Maul halten. Ich weiß, in Zukunft wird er sich's wohl überlegen, was er spricht.

– Ich glaube kaum, sagte Rudolf. Die Köcserepyschen wissen sehr gut, warum sie diesen Menschen kommen ließen.

– Warum denn?

– Das wirst du nur zu bald erfahren. Tarnaváry ließ Rudolf stehen und drängte zur Thüre hinaus. An der Thüre stand unser Freund Mitzislaw, über dessen blasses Gesicht Tarnaváry beinahe erschrak, als er auf ihn losstürzte.

– Lieber gnädiger Herr Onkel, um Gottes willen, was haben Sie gethan?

– Nun, zum Henker, was denn?

– Wie konnte es Ihnen einfallen, mit diesem Menschen so aneinander zu geraten?

– Da seht den jungen Laffen, der mich schulmeistern will! Fahr ab, oder du bekommst einen Putzer, daß dir Hören und Sehen vergeht.

– Aber geruhen denn zu wissen, wer dieser Mensch ist?

– Nun, was ist er denn? Doch nicht etwa ein englischer Gesandter, daß man ihn nicht soll herunterschelten dürfen?

– Er ist ein berühmter ...

– Was für ein berühmter? – ich habe nie etwas von seiner Berühmtheit gehört.

– Der berühmteste Duellant in ganz Europa.

– Und was weiter? warf Tarnaváry verächtlich hin. Was weiter?

– Ein furchtbarer Mensch – fuhr Mitzislaw mit ängstlicher Miene in seiner Erklärung fort – einer, der noch jeden kalt gemacht, mit dem er ein Duell gehabt.

Mitzislaw bemühte sich aus sehr plausiblen Gründen so leise als möglich zu sprechen, damit außer ihnen beiden niemand von dem Zwiegespräche etwas vernehme. Tarnaváry jedoch schlug ein solches Geschrei auf, daß man es noch auf der untersten Treppe hören konnte.

– Was? Also ein Räuber ist er? Da gehört er ja geradenwegs auf den Galgen. Ein Totschläger! Was ist das für ein verrücktes Land, wo die Leute nur so einander den Hals abschneiden dürfen?

– Bitte ergebenst, suchte der junge Mann seinen gnädigen Herrn Onkel zu beschwichtigen. So etwas geschieht nicht öffentlich. Duelle pflegen insgeheim vor sich zu gehen und die Vorkehrungen werden immer so getroffen, daß die Behörden keinen Wind davon bekommen, O dieser Mensch hat wenigstens schon ein Dutzend solcher Duelle ausgefochten, wo sein Gegner tot auf dem Platze blieb, die nicht gerechnet, von denen gar nicht gesprochen wird. Er mußte auch deshalb aus Spanien auf und davon, weil er den Sohn einer vornehmen Familie im Duell erstochen hat, aus keinem andern Grund, als weil dieser behauptet hatte, die Cigarre, welche er rauchte, sei keine echte Cabanos.

– Nun, der kommt mir gerade recht! sagte Tarnaváry. Er soll es nur mit mir versuchen, ich weiß, er wird daran zurückdenken. Deshalb also war dieser Mörder, dieser Bandit, dieser Bravo so übermütig? Nur warte, komm mir nur unter die Hände!

Mitzislaw sah Tarnaváry verwundert an. Sollte der Septemvir in der That nur eine Gelegenheit gesucht haben, um dem berühmten Duellanten die Palme der Unbesiegbarkeit zu entreißen. Es ist wahr, in einen Ringkampf wäre es nicht rätlich, sich mit Tarnaváry einzulassen, er würde einem schön die Knochen zerdrücken; aber den Säbel hat er schwerlich je aus der Scheide gezogen und im Schießen sich höchstens an harmlosen Hasen geübt.

Kurz Tarnaváry erschrak nicht im geringsten bei der Enthüllung des Geheimnisses, das Mitzislaw zähneklappernd ihm mitteilte und dies kühne Selbstvertrauen fing an, auch dem jungen Mann seine Courage wiederzugeben. Wer weiß, ob der Alte vielleicht nicht gerade deshalb, weil er nicht fechten gelernt, in der urwüchsigen Weise: »Schlag zu, 's ist nicht dein Vater!« dem Bramarbas Mores lehrt.

Tarnaváry ging hierauf ganz gemütlich aus der Sitzung nach Hause, ohne weiter an das zu denken, was sein furchtsamer Neffe ihm erzählt hatte. Dort angelangt, zog er sich um, machte sich's bequem, speiste in aller Behaglichkeit zu Mittag, examinierte seine jungen Herrn Söhne, las ihnen die Leviten und ließ dann, da es ein schöner Tag war, sich den schwarzen Kaffee ins Bienenhaus tragen, von wo man gerade die Tenne überblickte, wo unter der Aufsicht eines Kastners und eines Haiducken die fleißigen Arbeiter die Frucht ausdroschen und würfelten; – von da fumigierte er die ganze Welt.

Mit einemmal erregen lärmende Schritte seine Aufmerksamkeit; eine fremde Stimme erkundigte sich nach ihm, und wie er nach rückwärts blickt, sieht er drei Männer ins Bienenhaus treten. Der eine ist der berüchtigte Raufbold, die beiden andern sind zwei junge Leute. In dem einen der beiden letzteren erkennen wir unsern Freund Emanuel, der jetzt schon zu einem hohen Burschen emporgeschossen ist; der andere ist eine Provinzialcelebrität, welche beständig die Damen der Gesellschaft mit der Erzählung von Duellen zu unterhalten pflegt, die in Wirklichkeit nie stattgefunden und dadurch in der Komitatshauptstadt als berühmter Sekundant ausgeschrieen ist.

– Hm, guten Tag, bewillkommte sie Tarnaváry ganz kordial und wohlgemut.

– Guten Tag, erwiderten jene, einer den andern voranlassend.

– Bitte sich zu setzen. Es sind hier Stühle genug. Ich sehe es nicht gerne, wenn meine Gäste stehen; ich bleibe sitzen.

Hierauf trat die vorerwähnte Celebrität vor und begann in feierlichem, dem Ernst der Situation angemessenem Pathos: – Mein Herr! Sie werden wissen, daß es einen Punkt giebt, in dem niemand sich nahe treten läßt – das ist der Punkt der Ehre.

– Ob ich es weiß? das werd' ich wohl nicht erst von dir zu lernen brauchen, mein Söhnchen.

Das Söhnchen hätte den jungen Mann beinahe aus seinem Kontexte gebracht.

– Es ist das ein Punkt, der jedermann teurer ist, als sein Leben, als sein Blut, als alles auf der Welt.

– Sehr richtig, belieben Sie fortzufahren.

Das hätte der treffliche junge Mann ohne Zweifel auch gethan, wenn nicht eine zudringliche Biene ihm beständig um die Nase herumgeflogen wäre, sodaß er fürchten mußte, von ihr gestochen zu werden, und dieser Punkt interessierte ihn noch stärker, als der Ehrenpunkt, was er auch durch seine abwehrenden Handbewegungen deutlich zu erkennen gab.

Da trat Dabroni selbst ungeduldig dazwischen.

– Mein Herr, Sie wissen recht gut, daß Sie mich beleidigt haben.

– Sie haben dazu Anlaß gegeben, antwortete Tarnaváry lakonisch, indem er mit dein Pfeifenräumer seines Taschenmessers den brennenden Tabak auflockerte.

– Für diese Beleidigung sind Sie mir Genugthuung schuldig.

– Keineswegs, Sie haben gesehen, daß ich die gesetzliche Buße dafür siebenfach erlegt habe.

– Dann bin ich genötigt, Ihnen zu bemerken, daß wir hier keinen Scherz treiben! rief Dabroni in leidenschaftlichem Ton. Eine Ehrenbeleidigung läßt sich mit lumpigem Geld nicht gut machen, damit bin ich nicht zufrieden gestellt.

– Also belieben Sie zu klagen: der Richter ist zur Hand, der wird schon sein Urteil fällen; das ist sehr einfach.

Unser Freund Emanuel wandte sich, die Lippen auswerfend, gegen seinen Begleiter, und flüsterte ihm vernehmlich genug zu.

– Der alte Herr hat Ängsten.

Tarnaváry hörte ganz gut, was er sagte und das Blut war ihm schon zu Kopf gestiegen, als Dabroni mit seinem Kartellträger ihm bis vor die Nase getreten war, und sein menschenfresserisches, rotblaues Gesicht ihm vor die Augen haltend, zähneknirschend fugte: – Nicht von Richtern, nicht von Advokaten ist hier die Rede, mein Herr, sondern von Säbeln und Pistolen. Sie müssen sich mit mir schlagen.

Auf dies Wort sprang Tarnaváry vom Stuhle auf.

– He, Mörder, Räuber! brüllte er aus voller Kehle – räuberische Galgenstricke, mörderische Gurgelabschneider!

Jene sagten ihm erschrocken, er möchte doch nicht so laut schreien, das sei ja gegen alles Herkommen und alle Ritterlichkeit, so Lärm zu schlagen, wenn man eine Herausforderung erhält; er hörte nicht auf sie, sondern ergriff den Stuhl, auf dem er gesessen, mit der einen Hand und gab mit der andern unserm Freund Emanuel einen Stoß, daß er in einen Haufen leerer Bienenkörbe hineinflog und darunter beinahe verschwand; dann zog er die Thüre zu, stellte sich mit den, Rücken vor dieselbe und schrie in einem fort: »Mörder, Räuber, Diebe!«

Der herausfordernden Partei war der Rückzug dadurch abgeschnitten, daß Tarnaváry sich vor die Thüre postiert hatte und es wäre nicht rätlich gewesen, sich ihm zu nähern, denn er würde sicherlich mit dem Stuhl jeden, der ihm zu nahe kam, so zu Boden geschmettert haben, daß er gewiß auf zeitlebens zu jedem Duell kampfunfähig geworden wäre.

Auf das Zetermordio aber war das Hausgesinde in Alarm geraten und durch die Bienenstellagen konnte man sehen, wie von allen Seiten Drescher, Haiducken, Bérese mit Dreschflegeln, Wurfschaufeln und Hebebäumen herbeigestürzt kamen.

Hier ist nicht gut sein, dachten die beiden jüngeren Leute bei sich und flugs, wo sie eine Bresche im Fachwerk des Bienenhauses erblickten, hindurchbrechend, rannten sie so schnell, als ihre Füße sie tragen konnten, zum Garten hinaus. Der berühmte Sekundant warf in seiner Hast einen, ihm im Wege stehenden vollen Bienenkorb um, der ganze Schwärm fiel über ihn her und obwohl es ihm gelang, den Fäusten der Häscher zu entrinnen, so hatten doch die kleinen Duellanten, deren ganzes point d'honneur er umgestürzt hatte, sein Gesicht mit ihren spitzigen Rappieren so zerstochen, daß er zu Hause angelangt, sich selbst nicht wiedererkannte, denn die eine Wange war noch einmal so groß aufgeschwollen als die andere.

Unser Freund Emanuel anderseits befreite sich nur mit Zurücklassung eines Frackschößels von den Zähnen eines ihn verfolgenden uncivilisierten Bulldogs, und zerriß sich seine Nanking-Unaussprechlichen von oben bis unten, indem er über einen Zaun kletterte.

Nur Dabroni blieb unerschütterlich auf dem Kampfplatz, Mit übereinander gekreuzten Armen stand er da in der Mitte des Bienenhauses, seine verächtliche Ruhe verließ ihn keinen Augenblick.

Die Bérese und Haiducken waren vor dem Bienenhaus angelangt. und Tarnaváry öffnete jetzt die Thüre, um sie hereinzulassen.

– Dort steht der Mörder! Der ist's, der mich umbringen will! schrie er auf Dabroni zeigend. Fangt ihn, bindet ihn!

– Mein Herr, rief Dabroni, durch diesen Befehl in äußerste Wut gebracht, das ist eine Gemeinheit, eine Niederträchtigkeit. Sind Sie ein Kavalier?

– Ich bin ein zur Aufrechterhaltung der Landesgesetze bestellter Beamter, dessen Pflicht es ist, Sie festzunehmen, als einen im Lande und in der ganzen Welt berüchtigten Raufbold, der im öffentlichen und Privatleben überall Händel sucht, und rechtschaffene Leute meuchlings umbringt, welchen ihr Beruf nicht erlaubt, ihre ganze Zeit auf dem Fechtboden zuzubringen; bei mir sind Sie an den rechten Mann geraten, ich werde Ihnen schon die Lust zu solchen ritterlichen Totschlägereien vertreiben. Führt ihn aufs Komitatshaus! Wenn er nicht gutwillig geht, muß man ihn binden.

Dabroni nahm mit einemmale eine drohende Stellung an und brüllte mit der Stimme eines wütenden Raubtiers: – Wer sich in meine Nähe wagt, ist ein Kind des Todes!

– Warum nicht gar, ein Kind des Todes! sagte darauf ein Haiduck, der früher einmal Pandur gewesen, und sprang auf Dabroni los. Er erhielt von ihm auch eins aus den Kopf, daß ein schwächerer Schädel davon entzweigesprungen wäre; der seinige aber war an dergleichen schon gewohnt; trotz der Hiebe und Stöße, die Dabroni austeilte, stellte er diesem ein Bein, und riß ihn mit sich zu Boden; die übrigen Bérese drückten ihn dann nieder und banden ihn, nachdem sie bei der heftigen Balgerei ihm die Nase gewaltig zerschunden hatten und auf ihm arg herumgetreten waren, mit einem langen Wäscheaufhängstricke so fest, daß er sich nicht rühren konnte, so legten sie ihn dann auf einen Schubkarren und transportierten ihn ins Komitatshaus, wo sie ihn dem Vogt übergaben.

Tarnaváry schlug großen Lärm, verlangte eine gesetzliche Untersuchung, ein strafrechtliches Verfahren und Köcserepy mußte seinen ganzen Einfluß beim Obergespan aufwenden, um zu bewirken, daß Dabroni auf freien Fuß gesetzt und die Sache niedergeschlagen wurde.

Der wackere Gladiator mußte jedoch die Stadt verlassen und ohne Aufenthalt bis nach Preßburg reisen, wo ihm dann hinlänglich Zeit blieb, über das seltsame prosaische Expediens nachzudenken, womit dieser Alfölder Táblabiró die Herausforderung zu einem Duell abgefertigt hatte. Ein ähnlicher Fall war ihm in der spanischen Romantik noch nicht vorgekommen.

Drei Wochen nach der vorberatenden Kongregation sollte die Deputiertenwahl vor sich gehen.

Auf dem Felde der Debatten hatte die Partei Köcserepys eine völlige Niederlage erlitten. Es blieben ihm jedoch noch drei Wochen Zeit, um auf anderem Wege seine Schlappe gut zu machen.

Sein Mitkandidat war Korondy, zur Zeit erster Vizegespan des Komitats und ein Günstling des Obergespans; er war daher ein Mann von großem Einfluß im Komitate; jeder Advokat, alle Parteien, welche einen Prozeß bei ihm haben, sind genötigt, vor ihm zu zittern und nolens volens für ihn zu stimmen.

Bei den Massen hatten sie eine leidliche Stellung; beide stammen aus dem niedern Adel; obwohl sie zu Hause stolzer, unzugänglicher und anspruchsvoller sind, als welche immer fürstliche Durchlaucht, haben sie doch den Vorteil, zu den Wählern des Bundschuh-Adels sagen zu können: seht, wir sind eben so einfache Edelleute, wie ihr; wir stehen mit euch in einem Rang, wir wissen besser, wo den armen Edelmann der Schuh drückt, und verstehen es besser, eure Rechte zu verteidigen, als jene Magnatenkandidaten Szentirmay und Karpáthi, der eine ein Graf und der andere ein Baron. Wie könnt ihr diesen eure Angelegenheiten anvertrauen, wie könnt ihr erwarten, daß sie, wenn der Magnatenstand den niedern Adel drücken will, für eure Interessen einstehen und euch gegen ihre eigenen Standesgenossen vertreten werden?

Ein anderer Vorteil, den die Köcserepysche Partei hatte, war, daß die Szentirmay-Karpáthische Partei in ihrer letzten Konferenz fest beschlossen hatte, die Heiligkeit ihrer Sache nicht durch Bestechungen zu besudeln.

Die praktischeren Patrioten hielten jedoch unter solchen Umständen den Sieg für unmöglich und Tarnaváry, vermutend, daß die Mehrheit aus ökonomischen Rücksichten dem Antrag beigetreten sei, erbot sich sogar, die gesamten Kosten allein auf sich nehmen zu wollen; dann setzte man ihm aber so lange mit Bitten zu, bis er versprach, auch nicht ein Glas Wein es sich kosten zu lassen.

Um wie viel besser verstanden es die der andern Partei; während jene kluge Reden haltend, von Dorf zu Dorf zogen, um die Überzeugungen für sich zu gewinnen, suchten die Köcserepyschen auf viel praktikableren Wegen der Menge beizukommen: durch die Kanäle des Gaumen und Schlundes, welche, wie man weiß, viel leichter zu kapacitierende Organe sind, als das Herz.

Auch in Karpáthfalva war große Konferenz. Am Tage vorher hatte der Herr Rat drei Wucherern die Getreidefechsung und den Wollertrag des künftigen Jahres im vorhinein für zweimalhunderttausend Gulden verkauft, für die er zur rechten Zeit das Doppelte hätte erhalten können, und mit einer solchen Summe im Kasten hatte er leichtes Spiel.

Die besten Schreier eines jeden Dorfes, eines jeden Stuhlbezirks waren bestellt; die Kneiphelden, welche, selbst betrunken, einen besoffenen Schwarm zu haranguieren verstehen; die Leithammel, denen die Menge blindlings nachtritt; die Kirchtumcelebritäten, die es zwar noch nicht so weit gebracht, um am grünen Tisch sprechen zu können, die aber im Gemeindehause, vom Faß herab oder beim Schmause prächtig zu wiederholen wissen, was sie von andern gehört.

Jeder erhielt seine Rolle zugeteilt: welchen Bezirk er zu begehen, wo er sein Lager aufzuschlagen habe. Den Wirten der Dorfschenken kam der Auftrag zu, sich mit Speise und Trank vorzusehen und so lange man der edlen Parteigenossen benötige, offene Tafel zu halten; wenn auch im Feuer der Unterhaltung Teller und Gläser zerbrochen werden, oder wenn ein und der andere der wackeren Kompatrioten Messer und Gabel, womit er gegessen, aus Versehen in die Csizmenröhre stecken sollte, möchten sie deshalb keinen Lärm schlagen, sondern alles geschehen lassen; die gnädigen Herren werden schon alles bezahlen.

Jedem einzelnen stimmfähigen Mann wurden zwei Gulden Diäten versprochen für die ganze Dauer der Deputiertenwahl, freier Tisch und offenes Saufgelage, ein Federbuschen auf den Hut und Beförderung mittelst Vorspann bis zum Hauptort des Komitats.

Den Cortesführern wurde carte blanche gegeben. Jeder möge bestimmen, wie viel Geld er brauche, ausgeben, wie viel ihm gut dünkt und Rechnung ablegen nach Belieben: es wird kein Opfer gescheut.

Die an der Spitze der Partei stehenden großen Herren werden auch selbst der Reihe nach die Dörfer besuchen, in Bauerwagen, mit ungarischem Pferdegeschirr, in mit Metallknöpfen besetzten Dolmánys und kleinen runden Hüten, wie der gemeine Adel sie zu tragen pflegt; dort, wo die Wähler ihre Gelage halten, werden sie absteigen, mit ihnen trinken, die am meisten Betrunkenen umarmen, sich von ihnen auf den Schultern umhertragen lassen, und Reden halten, daß die armen Cortes von lauter Éljengebrüll sich heiser schreien.

Auch für Zigeunermusikbanden ist gesorgt; die adeligen Gesetzgeber sollen bei der schwierigen Ausübung ihrer Rechte sich nicht langweilen; man wird ihnen dazu die beliebtesten Volksweisen aufspielen.

Den geschicktesten Volksrednern wird aufgetragen, der Reihe nach jene Ortschaften zu besuchen, in denen die Szentirmaysche Partei das Übergewicht hat; sie sollen sich Mühe geben, das Volk auf bessere Gedanken zu bringen und jedem Wähler, der von Szentirmay abfällt und seine Stimme an Köcserepy verkauft, fünf bis sechs Silbergulden versprechen: sie sollen trachten, Unzufriedenheit unter ihnen zu erregen; sie mögen ihnen vorstellen, wie unbillig es sei, von armen Leuten das Opfer zu verlangen, zur Zeit der Feldarbeiten auf eigene Kosten eine Reise nach dem Wahlort zu unternehmen, um ihre verfassungsmäßigen Rechte auszuüben, während doch Köcserepy für alles reichlich sorgt, was auch nur in der Ordnung ist, denn von armen Dorfleuten zu verlangen, daß sie den großen Herren umsonst zu Diensten stehen sollen, ist eine Schmutzerei. Szentirmay und Zoltán müssen verschwärzt werden, als führten sie Verrat gegen die Nation im Schilde, als arbeiteten sie daraufhin, daß der gemeine Edelmann dem Bauer gleich gestellt werde; ihren Cortesführern gebe man die Versicherung, daß die Köcserepy-Korondysche Partei gegen sie, wenn sie abfallen, nicht undankbar sein, und bei der nächsten Restauration sie zu Stuhlrichtern, Geschworenen u. s. w. wählen werde.

Köcserepy war eben mit derartigen Vorbereitungen vollauf beschäftigt, als ein uns bekanntes Individuum sich bei ihm melden ließ.

Es war Frater Bogozy.

Er trat mit sehr unterthäniger Miene ein, und nahm sich die Freiheit, zu hoffen, der Illustrissimus werde sich seiner noch ein klein wenig zu erinnern wissen.

– Wie denn nicht, mein junger Freund, Sie haben bei Maßlaczky praktiziert, nicht wahr?

Er ist so frei es zu bejahen; aber jetzt ist er nicht mehr bei ihm, denn Herr Maßlaczky zerbricht sich darüber den Kopf, wie er Seiner Hochgeboren einen Prozeß anhängen könnte. Bei einem solchen Menschen habe er keine Lust zu dienen; lieber trage er dem gnädigen Herrn seine Fähigkeiten an.

Auf Maßlaczky losziehen ist ein guter Empfehlungsbrief bei dem gnädigen Herrn. Bogozy wird nicht verfehlen, recht viele Anekdoten über ihn zum Besten zu geben.

Jetzt aber würde er sich sehr glücklich fühlen, wenn der gnädige Herr ihn mit einem Sonnenblick seines Vertrauens beehren wollte. Der gehorsamste Supplikant ist aus dem Komitat gebürtig, und zwar aus der berüchtigten Ortschaft Kokánfalva, welche die stärksten Raufbolde und Schreier unter den Cortes zu liefern pflegt. Er sei schon bewandert in derlei Missionen. Er hat Praxis darin gehabt. Auch auf den Landtagen ist er gewesen und weiß, wie man zu den Leuten sprechen müsse; wenn der Illustrissimus ihm das Vertrauen schenken wollte, wäre gewiß niemand so geeignet, wie er, die Kokánfalver herumzukriegen.

– Ich bin sehr erfreut, mein lieber Freund, ihren schönen Fähigkeiten ein Feld öffnen zu können. Nichts gewährt mir eine höhere Befriedigung, als wenn es mir gelingt, junge Leute für vernünftige Grundsätze zu gewinnen. Wir betrauen Sie hiermit mit der Führerschaft des Kokánfalver Adels. Scheuen Sie kein Opfer, das Ihnen im Interesse der Sache nötig erscheinen sollte. Nehmen Sie hier diese zweitausend Gulden CM.; dulden Sie nicht, daß unsere edlen Freunde an irgend etwas Mangel leiden; sagen Sie nicht, das sei zu viel, Sie selbst müssen bei den Leuten wie ein Herr auftreten, um sich in Respekt zu setzen. Uns ist im Interesse der Sache kein Opfer zu hoch, und wenn es Ihnen gelingt, den dortigen Adel auf unsere Seite zu bringen, können Sie auf unsere Dankbarkeit rechnen. Ein, zweitausend Gulden kann ich Ihnen garantieren. Dann ist auch die Restauration nicht mehr weit, der Obergespan giebt etwas auf unser Wort, und eine Vizenotärstelle ist erledigt.

Der geehrte Supplikant wagt zu bemerken, daß die Qualität eines Aktuar-Jurassors das non plus ultra seiner Wünsche vollkommen befriedigen würde, welche ihm denn auch in noch sicherere Aussicht gestellt wird.

Frater Bogozy wurde außerdem noch völlig equipiert; er bekam einen ganz neuen Attila-Dolmány mit silbernen Knöpfen, einen großen breitkrempigen runden Hut mit einer breiten Bandschleife, deren Fransen, wie es hieß, die gnädige Frau eigenhändig aufgenäht hatte. Die philosophische Dame beteiligte sich gleich einer Spartanerin an den Kämpfen der Männer und war mit noch drei anderen den ganzen Tag über damit beschäftigt, Hutkokarden für die Kämpen der gemeinsamen Sache zu verfertigen.

Der beritten gemachte alte Jurat (um Vergebung, es soll heißen: der junge Advokat) verließ Karpáthfalva, nachdem die dort anwesenden Notabilitäten ihn abgeküßt und ihm der Reihe nach die Hand gedrückt hatten, mit einer offenen Ordre in der Tasche, welche ihm soviel Vorspannpferde zur Verfügung stellte, als er benötigen werde.

Das war ein guter Fang! sagten die Köcserepyschen zu einander; der Kokánfalver Adel fällt schwer ins Gewicht, denn er besteht aus lauter berüchtigten Raufbolden; bei den Restaurationen pflegen sie die meisten Stühle und Thüren zu zerbrechen und die meisten eingeschlagenen Köpfe sind auf ihre Rechnung zu stellen. Bisher schienen sie sich mehr auf die Seite Szentirmays zu schlagen, denn Kiss Miska, des alten Karpáthi treuer Tischgenosse, hält sie am Schnürchen; nur ein so verteufelter Kerl, wie Bogozy, ist imstande sie auf den rechten Weg zu bringen, wie er es auch gewiß thun wird; so demütig und unter die Erde kriechend er vor seinen vornehmen Gönnern ist, ebenso hochnäsig und impertinent ist er an der Spitze der Cortes. Daß dieser handküssende, simple Frater sich einfallen lassen könnte, so hochgestellten großen Herren, die ihn an ihren Tisch setzten und sich herabließen, ihm die Hand zu drücken, einen Streich zu spielen, an das dachte niemand. Wer könnte so etwas von Bogozy voraussetzen? Das wäre gegen alle logische und psychologische Wahrscheinlichkeit.

Einige Tage vor dem Termin der Deputiertenwahl fuhren die Wahlkandidaten in den Dörfern umher, um durch ihre persönliche Erscheinung die Parteigenossen in ihrem Eifer zu befestigen, bei welcher Gelegenheit die Szentirmayschen es nicht an auserlesenen Reden fehlen ließen, wogegen von seiten der Köcserepyschen mehr für auserlesene gute Weine gesorgt wurde, und die einen so wie die andern thaten ihre Wirkung.

Köcserepy erschien auch in Kokánfalva und es gereichte ihm zu großer Befriedigung, in dem ganzen Dorfe nicht einen nüchternen Menschen anzutreffen; sie titulierten ihn alle Herr Bruder, umarmten und küßten ihn, und nötigten ihn von ihrem Weine zu trinken. Es war ein schauderhaftes Gesöff! Fürwahr, dieser Bogozy muß eine große Gewalt über diesen rohen Haufen besitzen, daß er sie dahin zu bringen vermag, sich mit solchem Wein einen Rausch anzutrinken. Der Frater hielt auch in Gegenwart Köcserepys eine Stegreifrede, der zwar Kopf und Fuß fehlte, allein wegen des vielen Éljenrufens und Geschrei's konnte man ohnehin nicht ausnehmen, ob er eine Lobrede auf gefülltes Kraut, oder eine Dissertation über Tunnelbauten halte.

Köcserepy verließ Kokánfalva vollkommen beruhigt. Bogozy schwur bei allem »was im Weidenbusch pfeift«, »was im Eise klopft«, »was den Mantel verkehrt trägt« und wie die ortsüblichen Beteuerungsformeln sonst noch lauten mochten: da« ganze Dorf sei »unser«. Kiss Mista wage es gar nicht in Kokánfalva sich zu zeigen, seitdem er wisse, daß er, Bogozy, dort sei; er thut auch wohl daran, denn, man würde Riemen aus seiner Haut schneiden.

Endlich kam der Tag des großen konstitutionellen Festes heran, auf das man sich auf der einen Seite mit so viel heiliger Begeisterung, auf der andern mit so großer Konsumtion geistiger Getränke vorbereitet hatte.

Da keiner der Säle des Komitatshauses groß genug war, um die Menge der Wähler zu fassen, hatte man den gepflasterten Hof für den Wahlakt hergerichtet. Unter dem Balkon hatte man für den Obergespan und für die hervorragenderen Teilnehmer des Festes eine Brettertribüne aufgeschlagen, die mit bunten Drapperien behängt und mit trikoloren Fahnen geschmückt war.

Schon am Vorabende war die Komitatsstadt Augenzeuge bunter Scenen; von allen Seiten kamen lange Wagenreihen, mit Wählern voll gepfropft, hereingefahren; voraus sprengte je ein Reiter, eine Fahne haltend, auf der die Namen ihrer Kandidaten standen, woraus ersichtlich war, welcher Partei sie angehörten, wofür es jedoch ein noch besseres Unterscheidungsmerkmal gab: daß nämlich die Anhänger Szentirmays ruhig und in schönster Ordnung, in saubern Mentes und mit wohlgenährten Rossen hereingefahren kamen; neben den Wagen ritten junge Leute mit gezogenen Säbeln, welche die Ordnung überwachten und den Zug bis zu der vorausbezeichneten Herberge eskortierten, wogegen man die Köcserepyschen Cortes schon von weitem an dem lauten Gebrüll erkennen konnte, mit dem sie sich näherten; voraus kam eine Zigeunerbande, welche den Insurrektionsmarsch spielte, hinter ihr sang jeder Wagen eine andere Volksweise durcheinander und so oft es einem tüchtigen Schreier einfiel, mit emporgehobenem Schoppenglas im Wagen aufzustehen und ein »Halt!« zu brüllen, mußte jeder Bauer seine Pferde anhalten, damit er seinen Spruch hersagen könne: »Unsere hochedeln und hochansehnlichen Wahlkandidaten die Herren Köcserepy und Korondy sollen hoch leben!

» É-éljen!« – brüllte es aus tausend Kehlen.

So ging es an jeder Straßenecke. Gegen Abend war schon ein solches Musizieren und Jubilieren in der ganzen Stadt, als wenn in jedem Hause Hochzeit gehalten würde. Gegen zehn Uhr fing man auch schon an, ein wenig sich herumzuprügeln; die mit einfarbigen Federn wollten den Buntfedrigen irgend eine Tanya streitig machen; zum Glück legten die Führer der letzteren sich ins Mittel und stellten die Ruhe wieder her, und so verstrich denn die Nacht ohne weitern erheblichen Unfall, nur die Cortesführer beider Parteien mußten auf ihrer Hut sein, damit nicht ein Wolf in ihren Schafstall sich einschleiche, und einen und den andern beschwatze, am Morgen zu ihrer Partei überzugehen.

Ein Glück war es noch, daß man die Kokánfalver nicht in die Stadt gebracht hatte. Es gehörte schon zu den traditionellen Gebräuchen, sie am Vorabend des entscheidenden Tages in der » Térjkineki«-Csárda »Weich-ihm-aus« Csárda. draußen zu lassen; denn kämen sie zur Nacht herein, bliebe kein Fenster uneingeschlagen und kein Mensch auf der Gasse wäre vor Schlägen sicher. Erst in der entscheidenden Stunde durften sie an Ort und Stelle erscheinen.

Die Parteianhänger Szentirmays waren in regelmäßige Gruppen geteilt, welche intelligente und respektable Führer hatten; es war daher viel leichter, sie in Ordnung zu halten und zu lenken, als das zügellose Heer Köcserepys, das zum größten Teil von dem Übermaße der Getränke so berauscht war, daß es auf kein Kommando hörte.

Diesem Umstande war es zu verdanken, daß es den Szentirmayschen gelang, gleich den ersten taktischen Vorteil auf ihrer Seite zu haben.

Der Ausgang des Tages hängt zum großen Teil von der günstigeren Aufstellung ab, das weiß jeder Feldherr, der je auf einem Schlachtfelde kommandierte, und wenn er es nicht gewußt, hat er es gewiß bei der ersten Gelegenheit gelernt. Auf der Wahlarena hatte ohne Zweifel dasjenige Heer die vorteilhaftere Stellung inne, dem es gelungen war, näher an die Tribüne des Obergespans und der übrigen großen Herren zu gelangen; denn fürs erste konnte man ihre Rufe von da besser hören, als die der Gegner, die in den Hintergrund zurückgedrängt waren; fürs zweite aber war es von dort viel leichter zu drohen, daß man dem Obergespan, wenn er die Rufe nicht hören wolle, das ganze Brettergerüste unter den Füßen einreißen werde.

Es kam daher vor allem darauf an, welcher Partei es früher gelingen werde, um vier Uhr morgens, um welche Zeit die Thore des Komitatshauses geöffnet wurden, den Hofraum zu okkupieren.

Szentirmays Wähler waren alle Schlag drei Uhr, in der Morgendämmerung schon auf den Beinen; nachdem sie ein kurzes Frühstück zur Herzstärkung eingenommen hatten, marschierten sie in schöner Ordnung einer nach dem andern von ihren Herbergen nach dem Komitatshause und zogen, als die Thore geöffnet wurden, mit geziemendem Anstand in den geräumigen Hof hinein, wo sie rings um die Tribünen sich aufstellten, ohne hieran durch jemand gehindert zu werden.

Die Leute Köcserepys dagegen waren noch um sechs Uhr morgens nicht zum Aufbruch zu bewegen. Alles Zureden und Schreien war vergeblich, niemand vermochte etwas auszurichten bei den Massen, welche sich von ihrer Unterhaltung nicht trennen wollten; die Führer hatten in ihrem großen Eifer sich bereits ganz heiser gebrüllt und waren zuletzt nur dadurch imstande, die Zechenden aus den Tanyas herauszubringen, daß sie alle Trinkgefäße zerschlugen, wo dann mit Ausnahme einiger bacchantischer Saufbolde, die nötigenfalls es nicht verschmähen, selbst der Hutkrempen als Trinkbechers sich zu bedienen, die übrigen sich dazu herbeiließen, den Weg nach dem Komitatshause anzutreten. Aber auch das geschah in größter Unordnung, bei jedem Schritt blieben sie auf der Gasse stehen und hoben einen der ihrigen auf die Schultern, der dann eine Rede halten mußte, was manchem schwer genug fiel; an einer Stelle fiel ihnen ein, daß man den Wahlkandidaten eine Fackelserenade bringen sollte und es kostete den Führern große Anstrengung, ihnen begreiflich zu machen, daß ist den Morgenstunden Fackelserenaden nicht üblich seien. Sie würden noch die Stadt angezündet haben.

Solchergestalt war es schon lange sieben Uhr vorüber, als, der erste Schwarm der Köcserepyschen Wähler singend in den Komitatshof einzog, und zu seinem Erstaunen wahrnahm, daß die Gegenpartei bereits die bessere Hälfte des Hofes in festgeschlossenen Gliedern eingenommen hatte.

Bei Köcserepy war es um acht Uhr, als die Cortesführer bei ihm vorsprachen, noch früher Morgen. Der gnädige Herr hatte im Vorgefühl seines Sieges etwas lang geschlafen. Die wackern Anführer schätzten sich glücklich, Seiner Gnaden beim Anziehen eines Dolmány, eines Mente, behilflich sein zu können. Aus diesen Mente- und Dolmányärmeln gucken Geschwornen und Stuhlrichterämter hervor.

Alles geht gut, kein Grund zur geringsten Besorgnis, die Positionen sind uneinnehmbar, das Heer ist vom besten Alkohol begeistert, die Zahl der Gegner ist gering. Wer hat es je gewagt einem Feldherrn das Gegenteil zu sagen? Wer hat den Mut, ihn auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, geschlagen zu werden?

Die dienstfertigen Rottenführer machten den Herrn Rat ganz sicher, daß sein Sieg außer allem Zweifel sei, und er hinwiederum versicherte sie seiner dankbaren Erkenntlichkeit.

Der Obergespan hatte für den Herrn Rat im Komitatshause ein Absteigequartier bestellt, durch dessen rückwärtige Zimmer man schon das lufterschütternde Éljen vernehmen konnte, welches nach den Namen Köcserepy und Korondy ertönte. Szentirmays Leute schrieen nicht; auf der Beamten-Tribüne war noch niemand gegenwärtig, einige neugierige Patvaristen ausgenommen, welche über dieselbe hinwegschritten und diesen zur Liebe werden sie fürwahr ihre Lungen nicht anstrengen; sie überlassen diese Unterhaltung der Gegenpartei, welche ein Éljen bereit hält, so oft jemand den Kopf zum Fenster hinaussteckt.

Köcserepy hörte also in sein Zimmer hinein ausschließlich nur das Rufen seines Namens und fragte mit strahlendem Gesicht seine Gattin, zu der er in seinem mit den Uhrknöpfen geschmückten Kriegsrock hereintrat: hörst du diesen rollenden Donner?

Die Rätin reichte dem in den Kampf ziehenden Helden ihre Rechte, und sagte mit philosophischer Würde: – Die Popularität ist nie ein Geschenk des Glückes, sondern der Lohn des Verdienstes.

Eveline gehörte zu den aufrichtigen Bewunderern der Verdienste ihres Gatten und war von der Überzeugung durchdrungen, daß das Vaterland und die Menschheit Herrn Köcserepy mehr Dankbarkeit schulden, als sie je abzutragen imstande sein werden.

Der Rat drückte einen Kuß auf Evelinens Stirne, umarmte seine Tochter und hoffte, daß sie beide ihm vom Fenster zusehen werden.

Wilmas Gesicht fühlte sich bei diesem Siegeskusse so kalt wie Schnee an, in ihrer Brust fand die Freude der Eltern kein Echo; als sie aus Vater und Mutter blickte, und sie in stolzen, zuversichtlichen Hoffnungen sich wiegen sah, stieg insgeheim der bittere Gedanke in ihrer Seele auf: »wie, wenn uns eine Demütigung bevorstände?«

Die Rätin beobachtete mit Aufmerksamkeit das bleiche Gesicht ihrer Tochter, auf dem auch dieser Triumph kein Rot hervorzurufen vermag und sie folgerte daraus: »das Kind ist in jemand verliebt.« Sie hat einen starken Verdacht, daß dieser Jemand kein anderer, als unser Freund Emanuel sei.

Das wäre ihr eben recht. Emanuel ist der liebenswürdigste junge Mann unter ihren Bekannten, er hat seine Studien glänzend beendet, seine Familie ist reich und von großem Einfluß, Wilma sieht ihn gern, hört ihm gern zu, wenn er über den Gignon der Familie, über den verhaßten Zoltán Karpáthi, seiner Lästerzunge freien Lauf läßt, und wenn ihm der Stoff ausgeht, fordert sie ihn noch auf: »wissen Sie nichts Schlechtes mehr über ihn?«

Die philosophische Dame hatte keine Ahnung davon, daß frühzeitige Ausschweifungen aus unserem Freund Emanuel dasjenige gemacht, was man »übertünchte Fäulnis« nennt, daß Wilma niemand so verhaßt, so widerwärtig war wie er, und daß sie, wenn sie ihn auffordert, Zoltán in ihrer Gegenwart zu verleumden, dabei mit Entzücken an den Verleumdeten denkt und eine Lust darin empfindet, in ihrem liebenden Herzen ihn zu rechtfertigen. Je mehr man ihn herabsetzte, je aufsässiger man ihm war, um so fester umklammerte sie das Ideal, das sie von ihm im Herzen trägt und glaubte einen süßen Beruf darin zu finden, ihn gegen seine Feinde bei sich in Schutz zu nehmen.

Der Herr Rat zog sein hofierendes Gefolge mit sich fort. Er war auch selbst neugierig, das Schlachtfeld, die Aufstellung seiner Truppen sich anzusehen und geruhte aus dem Fenster eines rückwärtigen Zimmers einen Blick in den Hof zu werfen.

Diese Umschau verdarb ihm gewaltig seine gute Laune.

Ein einziger Blick belehrte ihn, daß seine Cortesführer entweder sich selbst oder ihn getäuscht hatten, indem sie den Sieg als unzweifelhaft hingestellt hatten. Es war im Gegenteil deutlich auszunehmen, daß die Anhänger Szentirmays die seinigen an Kopfzahl übertrafen; andere Augen hätten allerdings darüber sich täuschen können: die Haufen der Weißfedrigen über den weiten Hof zerstreut, mit ihren in die Hunderte gehenden Fahnen, schienen noch einmal so zahlreich, als die dicht gedrängte Phalanx der Szentirmayschen; allein Köcserepy wußte auf einen Blick das Stimmgewicht beider Lager abzuschätzen, das bei dem Gegner kaum um weniger als einige hundert Stimmen überwog. Zudem hatten diese die günstigeren Stellungen inne. Hier kann nur List helfen.

Die Cortesführer nahmen durch das ewige Lächeln des gnädigen Herrn den unangenehmen Eindruck wahr, und trachteten ihn durch die, neue Hoffnung gebende Versicherung zu verwischen, daß ja der Kokánfalver Adel noch nicht da sei, da er außerhalb der Stadt lagerte; wenn der einrückt, werde das numerische Übergewicht der Gegner reichlich aufgewogen.

Köcserepy fing trotzdem an, das Gefühl zu haben, als gingen die Uhren auf seiner Brust zu schnell. Oder war es vielmehr sein Herz, das so rasch schlug? Er schickte die Rottenführer zu seinen Getreuen hinab, und ging selbst, dem Herrn Obergespan seine Aufwartung zu machen.

Wie ein flüchtiger Gedanke durchzuckte es sein Gehirn, daß diese Menschen durch die bloße Gewalt des Wortes einen größeren Erfolg zu erringen gewußt, als er mit all seinem verschwenderischen Kostenaufwande, daß sie mit leeren Händen mehr vermögen, als er mit seinen Schätzen! – O, um wie viel gründlicher würde er sie noch hassen, wenn der Gedanke in seinem Herzen Platz greifen könnte, daß sie hoch über ihm stehen.

Bei dem Obergespan waren die hervorragenden Ständemitglieder schon zur Aufwartung versammelt, die Häupter beider Parteien, welche gegenseitig bemüht waren, eine der andern und beide dem Obergespan lästig zu fallen.

Während Herr Köcserepy seine Bekannten der Reihe nach anlächelte, flüsterte Korondy ihm leise ins Ohr: – Es wäre gut, um den Kokánfalver Adel zu schicken, denn die Gegenpartei wird darauf antragen, daß sogleich zur individuellen Abstimmung geschritten werde.

Diese Mitteilung erschreckte Köcserepy nicht wenig. Bei einer Stimmenzählung werden die Thore geschlossen und jeder Votant wird einzeln durch ein Pförtchen, an welchem Komitatshaiducken als Wache aufgestellt sind, zum Hof hineingelassen. Wer daher bei Beginn der Abstimmung sich schon außerhalb der geschlossenen Thore befindet, kann natürlich nicht mehr herein.

Der Rat winkte Emanuel herbei, und gab ihm den Auftrag, sich aufs Pferd zu werfen, in gestrecktem Galopp nach der » Térjkineki-Csárda hineinzureiten und Bogozy zu sagen, daß er seine Leute, so wie sie sind, auf Wagen lade, und sie eiligst an Ort und Stelle schaffe, sonst verlieren sie das versprochene Diurnum.

Emanuel gehorchte unverzüglich und jagte in desperater Eile zur Stadt hinaus, wie einer, der aus einer hart bedrängten Besatzung als Eilbote nach Entsatztruppen, von deren rechtzeitigem Eintreffen das Schicksal der Festung abhängt, ausgesandt ist.

Mittlerweile besprachen der Ober-, der Vizegespan und der Rat sich heimlich miteinander; der plausibelste Plan war, die Eröffnung des Wahlaktes diplomatisierend so lange hinauszuziehen, bis die erwartete Verstärkung angelangt sein werde. Zu diesem Behufe mußte der Obergespan plötzlich eine wichtige Depesche von irgendwoher erhalten, sie sogleich durchlesen und sich entschuldigen, daß er genötigt sei, die Stände zu verlassen und sich auf einen Augenblick in seine Gemächer zurückzuziehen. Hierauf mußten die Notäre in großer Hast durch die Säle eilen, als wären sie mit höchst dringenden Geschäften von dem Herrn Obergespan beauftragt, der von Zeit zu Zeit an der Thüre erschien und die murrenden Stände um Entschuldigung bat, daß er noch einige Minuten sich absentieren müsse.

Während dieses diplomatischen Notenwechsels fing das unten befindliche Wählerpublikum an, ungeduldig zu werden; es war bereits zehn Uhr vorüber und es fehlten nur mehr zwei Stunden zur Zeit, um welche die Dorfleute ihr Mittagsmahl einzunehmen pflegen, aus dem wahrscheinlich ein Vesperbrot wird, wenn die vornehmen Herren dort oben noch lange auf sich warten lassen. Der Adel begann anfangs nur zu murren, später laut zu schreien, beide Parteien ließen ihre Kandidaten leben und es entstand ein so greulicher Lärm, daß die Fenster oben im Sitzungssaale davon erzitterten.

Endlich sprang Tarnaváry, der überall auf Kohlen zu sitzen schien, auf, stieß die vor dem Zimmer des Obergespans an der Thüre stehenden Haiducken rechts und links auf die Seite und drang gewaltsam hinein.

Köcserepy und Korondy standen dort am Fenster in ungeduldiger Erwartung, ein Haufen junger Leute umgab den Obergespan mit dem Ausdruck schrecklicher Langweile auf den Gesichtern, der Obergespan selbst saß auf dem Sofa und schien in einem zusammengebogenen länglichen Papier mit großer Aufmerksamkeit zu lesen. Er hatte es eben in die Hand genommen, als Tarnaváry ins Zimmer trat.

– Excellenz, sagte Tarnaváry, mit der Hand durch den verschwitzten Haarschopf fahrend, werden entschuldigen, wenn ich so zur Thüre hereinfalle, allein ich bin genötigt Euer Excellenz darauf aufmerksam zu machen, daß die Zeit vergeht und daß der versammelte Adel draußen ungeduldig zu werden anfängt.

Der Obergespan zuckte mit den Achseln und fuhr fort, aufmerksam in dem zusammengebogenen Papier zu lesen.

Tarnaváry nahm sich vor, jetzt mit großer Kaltblütigkeit zu sprechen.

– Ich bitte Euer Excellenz in Betracht zu ziehen, welche schlimmen Folgen aus einem längeren Zögern entspringen können. Der unten versammelte Adel wartet seit frühem Morgen, ein Teil desselben ist zwar mit Branntwein vollgetrunken der größere Teil aber ist noch mit nüchternem Magen. Die Leute murren, lärmen und fangen schon an miteinander zu zanken; wenn Excellenz nicht unter ihnen erscheinen, so weiß ich nicht, was geschieht; es wird eine furchtbare Schlägerei ausbrechen, die über uns alle Schande bringt.

Der Herr Obergespan gab hierauf keine Antwort, sondern las ruhig weiter in der wichtigen Schrift die er in der Hand hielt, statt seiner aber gab Herr Köcserepy durch stumme Gebärden zu verstehen, daß Seine Excellenz jetzt sehr occupiert sei.

– Hat der Herr Obergespan Geschäfte? fragte Tarnaváry.

– Wichtige, dringende, unaufschiebbare Geschäfte, flüsterte Köcserepy leise, um Se. Excellenz nicht in seinen wichtigen Gedanken zu stören.

Doch um so lauter sprach Tarnaváry! – Nichts ist wichtiger als die gegenwärtige Angelegenheit. Keine andere Obliegenheit geht ihr vor und ich mache Euer Excellenz ernstlich aufmerksam auf diese heilige Pflicht.

Irgend ein unglücklicher Sekretär des Obergespans hatte hierauf den Einfall aus irgend einem Ofenwinkel hervorzurufen: – Ich erlaube mir den Herrn Septemvir daran zu erinnern, daß wir uns hier in den Zimmern des Herrn Obergespans befinden.

Tarnaváry warf dem Sprecher einen niederschmetternden Blick zu.

– Belieben Sie sich niederzusetzen, mein Herr, von wo Sie aufgestanden sind. Das hier ist nicht das Haus des Obergespans, sondern das Komitatshaus, und der Herr Obergespan ist ebensogut ein Diener des Landes wie Sie der seinige.

Der Obergespan las noch immer und zuckte mit den Achseln.

Tarnaváry nahm sich vor, so sanft zu bleiben wie ein Lamm.

– Excellenz, ich anerkenne Ihre patriotischen Verdienste ...

Der Obergespan schlug ein neues Blatt um und hörte nicht.

Diese Nichtachtung brachte das Lamm Tarnaváry plötzlich so in Wut, daß er nicht mehr sah und hörte; das gewaltsam zurückgedrängte Blut schoß ihm alles zu Kopf: im Nu, ehe jemand nur daran denken konnte, hatte er dem Obergespan die Schrift aus der Hand gerissen und warf sie so zu Boden, daß alle Blätter auseinanderflogen.

– Ah, das ist Gewaltthätigkeit! Violentia! crimen laesae! crimenmajoris potentiae! riefen die im Zimmer Befindlichen und stürzten über die auf dem Boden liegenden Blätter her, um sie aufzuheben.

Es war schon zu spät; Tarnaváry hatte bereits herausgefunden, was es war. Das wichtige, dringliche Aktenstück war nichts anderes, als ein Heft des illustrierten Charivari, das soeben mit der Post angekommen war, und an dem der Herr Obergespan in seinen Mußestunden viel Vergnügen zu finden pflegte.

Es gelang Tarnaváry eine Nummer davon zu erwischen.

– Ah, das also sind die dringenden Depeschen! die wichtige Angelegenheit! die unaufschiebbare Lektüre, derentwegen der gesamte Adel warten muß, und vor der die öffentlichen Angelegenheiten in den Hintergrund treten müssen? Guten Tag, meine Herren, guten Tag. Das ist eine schöne Geschichte!

Diese letzten Worte sagte Tarnaváry schon im Sitzungssaale, den geraubten Charivari wie eine vom Feinde erbeutete Fahne hoch in der Luft schwenkend.

– Hier, löbliche Stände, ist die überaus wichtige diplomatische Note, von welcher die Geschicke ganzer Länder abhängen, derentwegen die Komitatsnotäre so rennen mußten, daß sie sich bald den Hals gebrochen hätten. Das also ist die dringende Botschaft, welche ein Courier dem Herrn Obergespan überbracht hat. Bitte, belieben Sie zu lesen, damit Sie zur Sache sprechen können. Urteilen Sie selbst meine Herren, da ist die wichtige Depesche!

Während ein Teil der im Saale befindlichen hervorragenden Ständemitglieder sich entsetzte und die übrigen in ein schallendes Gelächter ausbrachen über die Beute des Lammes Tarnaváry, hatte draußen die Mißstimmung des niedern Adels den höchsten Grad erreicht. Die Weißfedrigen waren des Schreiens, die Führer des Beschwichtigens schon müde geworden, und die Wähler der Szentirmayschen Partei fingen an einstimmig die Votisation zu verlangen.

Man konnte als gewiß annehmen, daß im Wege individueller Abstimmung ihnen der Sieg bleiben würde. Die Wahl durch einfache Akklamation konnte der Köcserepyschen Partei gleichfalls nicht helfen, denn ihre Gegner standen näher am Balkon.

Schon lange ärgerte sie sich über ihre schlechten Plätze und einzelne Haufen hatten schon zu wiederholten Malen versucht, sich vorzudrängen, allein dort herrschte so feste Ordnung, daß sie die geschlossenen Glieder nirgends durchbrechen konnten und immer wieder genötigt waren, zurückzuweichen.

Der Zufall pflegt häufig die schlimmsten Auskunftsmittel an die Hand zu geben. In einem Winkel des Hofes war ein großer Stoß Backsteine aufgeschichtet, die für einen beabsichtigten Zubau in Bereitschaft gehalten wurden: anfänglich benutzten die Herren Wähler diese Ziegelhaufen nur dazu, hinaufzuklettern und von dort herab zu lärmen; später jedoch, als die Gegenpartei anfing, auf Abstimmung zu dringen, machten sich einige eine Unterhaltung daraus, einzelne Backsteine in die Reihen der Gegner zu schleudern, um diese auf andere Gedanken zu bringen.

Der Einfall war nicht schlecht, denn bei den dicht geschlossenen Gliedern der letzteren konnte es nicht fehlen, daß jeder Wurf seinen Mann traf.

Nichts ist ansteckender, als schlechtes Beispiel; die berauschte, irritierte Menge hatte nur eines solchen Signales bedurft und eröffnete nun, als hätte sie nichts besseres thun können, ein Bombardement mit Ziegelsteinen auf die Gegenpartei. Dadurch entstand nun ein höllischer Lärm; die Leute der Szentirmayschen Partei wollten nicht weichen und fingen nun an, sich ihrer Bleistöcke und Csákánys zu bedienen, um die Angreifer zurückzuschlagen; einige Fahnen hatten sie schon erbeutet und schlugen nun mit den Fahnenstangen auf den Rücken der Fahnenträger los; in dem dichten Gedränge wäre nun unfehlbar ein mörderisches Handgemenge entstanden, wären nicht Szentirmay selbst und Karpáthi inmitten ihrer Getreuen erschienen und hätte nicht Zoltán, von den Wählern auf ihre Schultern gehoben, in einer den tobenden Lärm übertönenden Ansprache seine Wähler aufgefordert, alsogleich den Hof des Komitatshauses zu verlassen und gegen den ungesetzlichen Friedensbruch zu protestieren.

Seine nüchternen Wähler fanden diesen Rat sehr vernünftig und begannen sofort durch das Hausthor sich hinauszudrängen.

Die Gegenpartei wurde hierdurch noch übermütiger und stürzte mit entfesselter Wut auf die Abziehenden los; der letzte Rest von Ordnung und Disciplin war geschwunden; »haut zu! schlagt drein!« erscholl es von allen Seiten, die ergrimmte, trunkene Schar trieb die Entweichenden vor sich her, deren Hintermänner nur dadurch der Gefahr erschlagen zu werden entgingen, daß sie die Federn, wodurch sie kenntlich wurden, von ihren Hüten entfernten und in das Geschrei: haut drein! schlagt zu! mit einstimmten, bis sie alle auf der Gasse draußen waren. – Da ließ sich ein Ruf vernehmen: »Man muß sie zur Stadt hinausschlagen!«

Der kühne Gedanke fand sogleich Anklang.

– Hinaus mit ihnen zur Stadt! Bis nach Hause muß man sie verfolgen!

Diese nehmen die Sache auch nicht als Spaß; sehend, daß dies eine schlechte Unterhaltung, laufen sie, was das Zeug hält, jeder, wo er hinaus kann; die Verfolger immer hinterdrein, bis ans Ende der Stadt, ja um Wort zu halten, bis hinaus auf die Landstraße. Sie werden ihre Gegner bis nach Hause jagen.

Ein Haufen der betrunkensten Raufbolde war inzwischen mit Knütteln bewaffnet, die Treppe des Komitatshauses hinaufgestürmt; die an der Thüre Wache stehenden Heiducken zu Boden schlagend, drang er in den Vorsaal hinein, sprang dort auf Tische und Stühle und brüllte aus voller Kehle: »Nieder mit den Magnaten!«

Einige stürzten auf die Thüre des Sitzungssaales los, und da sie dieselbe verschlossen fanden, stemmte sie ihre Schultern an, um sie aufzusprengen.

Plötzlich ging die Thüre auf und vor den Rasenden stand Tarnaváry.

– Halt! brüllte er ihnen mit donnernder Stimme zu, daß sie erschreckt mit einmal verstummten.

– Wißt ihr nicht, daß dieser Ort geheiligt ist! daß dieser Saal der Saal des Landes! Hinaus mit euch, ihr Gottlosen! Auf der Stelle hinaus! Der erste, der es wagt, diese Schwelle zu überschreiten, den spalte ich mit diesem Säbel mitten entzwei.

Es war nun allerdings sehr problematisch, ob dieser Säbel in der Verfassung war, aus der Scheide gezogen zu werden. Die Drohung war jedoch mit solcher Entschiedenheit vorgebracht, daß die Herren Cortes es für gut fanden, sie ernst zu nehmen, und ohne einen neuen Sturm auf den Sitzungssaal zu unternehmen, von Tischen und Stühlen herabsprangen und hübsch zum Vorsaal hinauszogen, nur ein und der andere Matador blieb noch an der Thüre stehen, und fing an, von da aus zu perorieren, wurde aber von Tarnaváry so überschrieen, daß er selbst nicht hörte, was er sprach. Dann zog auch er ab und folgte den übrigen.

Tarnaváry kehrte zitternd vor Wut in den Sitzungssaal zurück.

Der Obergespan trat eben mit den Herren, die bei ihm gewesen, und von denen keiner während des skandalösen Auftrittes zum Vorschein gekommen war, aus seinem Zimmer. Er lächelte so diplomatisch unbefangen, als ob gar nichts vorgefallen wäre.

– Ezcellenz! brüllte ihm Tarnaváry entgegen: ich protestiere gegen diesen Verfassungsbruch und lege Verwahrung ein gegen alle Konsequenzen des rohen Gewaltaktes.

– Wir protestieren; liefen von allen Seiten die Parteigenossen Szentirmays, was der hochgeborene Herr Präses ebenso beachtete, als hätte man in der Residenz einem gelungenen Ensemble der italienischen Oper Beifall geklatscht. Er trat hübsch ruhig auf den Balkon heraus und nahm dort den ihm bestimmten Sitz ein. Im ganzen Hof befanden sich nur mehr einige Marodeure der Köcserepyschen Lagers, einige zahnlose, alte Cortes, die für ihre Knochen besorgt waren, und einige vernünftigere Honoratioren, die es unter ihrer Würde hielten, sich auf der Gasse herum zu prügeln.

– Ezcellenz, redete Szentirmay den Obergespan an, glauben Excellenz, daß am heutigen Tage dieser konstitutionelle Akt zu Ende geführt werden kann?

Der Präses hatte Szentirmay gegenüber wenigstens so viel Rücksicht, die Frage einer Antwort zu würdigen.

Praesentes concludunt. (Die Anwesenden beschließen.)

Rudolf warf einen sarkastischen Blick auf die wenigen im Hofe zerstreuten Wahlmänner und zog sich zurück. Die zu ihm Haltenden beschlossen männiglich, das Komitatshaus mit ihm zu verlassen.

In diesem Augenblick erschien Bogozy mit seinen Kokánfalver Getreuen. Es mochten ihrer im ganzen dreihundert sein. Sie zogen zum rückwärtigen Thore herein in den Hof, von dem, was draußen vor dem ersten Thore sich begeben hatte, wußten sie nichts.

Der Einzug erfolgte in schöner Ordnung. Voraus ritt unser Freund Emanuel, der in diesem Augenblick sich für die wichtigste Person hielt und auf die aus den Fenstern herab sehenden Damen und besonders die schöne Wilma stolz mit dem Säbel salutierte: welchen Sieg bringt er mit sich!

Nach ihm kommt Bogozy; ein handbreites Band flattert vom Hut über den Rücken herab, in der Hand trägt er einen Stock mit ehernem Kolben, in dem Leibriemen steckt der mit Lederfranzen geschmückte Tabaksbeutel.

Auch die übrigen Landsleute sind bunt herausstaffierte verwegene Burschen, die eine Hand hält den Csákány, die andere den glucksenden Kulacs: es ist eine Lust sie zu sehen.

Man begrüßt sie auch von allen Seiten, vom Balkon, aus den Fenstern; die Damen schwenkten ihre Taschentücher und Köcserepy seinen Kalpag. Was für prächtige Leute! Der Obergespan läßt sogleich das verhängnisvolle » vox« auf die schwarze Tafel schreiben.

Der Zug marschiert in Paradeschritt an der Tribüne des Obergespans vorüber, dort stellt Bogozy sie in militärischer Ordnung auf und als sie in Reih und Glied stehen, giebt er ein Zeichen mit seinem Feldherrnstab, worauf aus dreihundert Kehlen zugleich der Ruf erschallt: »Éljen Szentirmay und Karpáthi!«

Was war das? was soll das sein? ist's ein Traum? sprechen die Zungen verkehrt oder hören die Ohren nicht recht? Die auf der Tribüne Stehenden entfärben sich, der Obergespan fährt von seinem Stuhle auf, als wäre eine Bombe unter ihm geplatzt und gebietet mit beiden Händen Stille, worauf das furchtbare Éljengebrüll nur noch stärker wird.

Bogozy hebt seinen Streitkolben in die Höhe, auf welches Zeichen der ganze Haufen plötzlich verstummt.

Er weist mit dem Kolben seines Stockes auf die schwarze Tafel: » vox!« und dann gegen die Thore.

– Man muß die Thore schließen.

– Nein, nein, das darf nicht geschehen, rufen die auf der Tribüne herab, worauf Bogozy mit seiner Stentorstimme hinaufbrüllt: Praesentes determinant! (Die Anwesenden bestimmen.)

Bei diesem Worte konnte Tarnaváry unmöglich der Versuchung widerstehen, hell aufzulachen.

– Ihre eignen Worte, Excellenz! sagte er, an den Stuhl des Obergespans hinantretend, dessen Lehne er mit der einen Hand ergriff, während er mit der andern auf das vor ihm liegende Papier zeigte, auf welches der Präses zum Zeitvertreib und um die Feder zu probieren, zehn-, zwölfmal die Worte hingekritzelt hatte: praesentes concludunt.

– Laßt die Thore nicht zumachen! schrie Korondy den wachestehenden Heiducken zu.

Ein paar derselben wollten Folge leisten, womit sie jedoch nur erreichten, daß man sie hinausschob und dann beide Thorflügel zumachte, nachdem man vorher gefragt hatte, ob vielleicht noch jemand hinauszugehen wünsche, von welcher Erlaubnis auch einige ängstlichere Individuen, welche sich fürchteten auf dem Kampfplatz zu bleiben, Gebrauch machten.

Nur Emanuel machte noch einige Sprünge. Im stolzen Vertrauen auf seinen Samtdolmány und sein pelzverbrämtes Mente, an denen es niemand wagen würde sich zu vergreifen, und sein Pferd herumwerfend, machte er wiederholte Anstrengungen, den verräterischen Haufen zu haranguieren, brachte es aber nie weiter, als zu der Anrede: »Meine Freunde, meine lieben Freunde!« Niemand horte auf ihn. Er hatte ein so schönes buntes Band auf seinem Kalpag, die Frau Rätin selbst hatte es zu einer Kokarde verschlungen und, als er mit Mente und Säbel vor ihr erschien, ihm gesagt: »Sie sind mein Ritter!« Zu diesem Rittertum muß er sich nun die Sporen verdienen. Die schönen Damen blicken alle auf ihn. Er allein ist es, der noch Köcserepys Sache retten kann. Mit gezogenem Säbel an das Thor hinan reitend, fängt er an zu schreien: – Öffnet das Thor! Wer mir in die Nähe kommt, ist ein Kind des Todes!

Anfangs hörten sie nicht auf ihn, bis endlich Bogozy sich seiner erbarmte.

– Setzt doch den jungen Herrn vor die Thüre, wenn er gar so sehr darum bittet.

Im Nu hatten sie »meinen Ritter« vom Pferde gezerrt, ihm den Säbel aus der Hand gewunden und sein mit Schwanenpelz ausgelegtes Mente heruntergerissen, worauf sie ihn wie eine Katze kopfüber zum Thore hinauswarfen. Niemand fragte weiter nach ihm.

Inzwischen, damit bis zum Beginne der Ceremonie die Zeit nicht unnütz verstreiche, ließ von Zeit zu Zeit ein und das andere stimmbegabtere Mitglied des ehrsamen Wahlkörpers sich herbei, zur Erheiterung der Versammlung einige erbauliche Stegreifreime mit Begleitung des Fokos abzusingen.

Zuerst erhob ein alter Cortes mit gekrümmtem Nacken und grauem Schnurrbart seine Stimme, nach jeder Zeile alle Anwesenden der Reihe nach triumphierend anblickend.

Herr Köcserepy ist ein Kavalier!
Seine vielen Thaler gefallen mir.
Keine Hemdkragen brauchen wir.
Geh nach Pest als Maurerpolier.

Der Alte wischte sich den Mund ab und der Haufen begleitete die einfältigen Verse mit einem furchtbaren Éljen.

Ein kecker junger Cortes löste ihn ab, den Hals trotzig hin und her drehend, während er den Vers sprach:

Köcserepy und Korondy
Die Katz' im Sacke kauften sie
Wir tranken lustig ihren Wein,
Und lassen sie jetzt begraben sein.

Die Kokánfalver sind berühmte Dichter in diesem Genre.

Ein Dritter, der schon so etwas von einem Notarius war, fiel ein:

Szentirmay Karpáthi –
Das Vaterland lieben sie,
Korondy, Köcserepy –
Des Landes Wohl kümmert sie nie.

Wozu ein Vierter sogleich hinzu improvisierte

– »Mein Herr Köcserepy ist nur ein solcher Rat,
Den niemand um Rat je noch fragen that«

Man kann sich denken, daß dieser Scene nicht mehr von den Fenstern zugesehen ward, die Rätin fiel in Ohnmacht, die Frau Obergespanin wurde unwohl; welcher Schimpf, welcher Skandal!

– Mit einem solchen versoffenen, betrunkenen Haufen laßt sich kein konstitutioneller Akt vornehmen, sagte Köcserepy mit entfärbten Lippen.

O die lieben, schmucken, prachtvollen Jungen, diese wackeren, herrlichen Burschen von früher, wie ist jetzt mit einmal ein roher, betrunkener Haufe aus ihnen geworden. Und doch haben sie seitdem keinen Tropfen Wein getrunken. Auch vordem hatten sie nicht Szentirmays Wein getrunken, und wenn sie besoffen sind, so hat nicht er ihnen den Rausch angezecht. Der Neid selbst kann nicht sagen, daß Szentirmay sie erkauft hat, sie haben Köcserepys Wein getrunken. Undankbare Wortbrüchige! Das ist der rechte Name für sie. Fünf Gulden erhielten sie pro Kopf und haben doch ihre Seele nicht verkauft.

Die Herren dort oben waren in grenzenloser Verwirrung: Die ganze Streitmacht der Weißfedrigen trieb sich draußen in den Gassen herum, Szentirmays geschlagene Truppen zur Stadt hinausjagend, und als sie von der Gefahr Kunde erhielten, waren die Thore versperrt; das auf die schwarze Tafel geschriebene Wort ist unwiderruflich. Was läßt sich hier thun?

– Der wackere Führer der Kokánfalver soll auf ein Wort herauf in den Saal kommen! wurde vom Balkon herabgerufen.

Die nemes emberek (Edelleute), nichts Gutes ahnend, wollten nicht zugeben, daß Bogozy hinaufgehe.

– Und wenn das ganze Haus voll feuriger Drachen wäre, würd' ich hinaufgehen! sagte mit stolzer Zuversicht der Scythenhäuptling, und indem er seinen Unterfeldherrn das Kommando übertrug, begab er sich hinauf ad audiendum verbum – mit vorgehaltener Streitkolbe.

Köcserepy lief ihm entgegen und faßte ihn schon unter der Thüre ab.

– Was haben Sie gethan, unglückseliger Mensch! fuhr er ihn zähneknirschend an.

– Wenn Euer Gnaden wissen wollen, was ich gethan, so will ich es sagen: Euer Gnaden und dero Spießgeselle Maßlaczky haben meine zehn Krallen dazu mißbraucht, Zoltán Karpáthi zu Grunde zu richten; denn wenn ich den verfluchten Prozeß ihm nicht abgeschrieben hätte, säßen Euer Gnaden nicht in Karpáthfalva: deshalb mache ich wieder gut, was ich gegen den wackern Patrioten gefehlt habe, den Gott lange erhalten möge. Das ist's, was ich gethan habe, gnädiger Herr.

– Sie haben mich schändlich, niederträchtig betrogen; Sie sind ein, ein ...

– Mäßigen Sie sich, illustrissime! Bedenken Sie, daß ich aus Kokánfalva bin, und ein Kokánfalver läßt selbst vom Geistlichen sich keine Strafpredigt halten, außer in der Kirche.

Damit ließ er den Rat stehen, ohne ihn weiter anzusehen und ging geradeswegs zum Obergespan. Vor diesem verbeugte er sich so anständig als er vermochte und stand dort in gerader Haltung, beide Hände vor sich auf den Knopf seines Stockes gestützt. Die Köcserepyschen umstellten ihn so, daß es Tarnaváry trotz aller Bemühungen nicht gelang, bis zu ihm durchzudringen.

Der Präses sprach viel zu dem vor ihm stehenden wilden Scythen, teils aber so leise, teils mit so schlechtem Accent, auch ein wenig stotternd, daß derjenige, welcher nicht daran gewohnt war, nicht herausfinden konnte, welches Idioms der indo-germanischen Sprachenfamilie er sich eigentlich bediente.

Bogozy hörte ihn ruhig an, er wartete, ohne drein zu reden, ruhig das Ende der Rede ab, mit deren Inhalt er stellenweise sogar sehr zufrieden zu sein schien; überhaupt ließ er während der ganzen Peroration, die ihm gehalten wurde, nicht den geringsten Ausdruck eines Zweifels, Widerspruches oder einer unehrerbietigen Aufwallung auf seinem Gesichte merken, sondern stand andächtig dort bis zum letzten Wort der langen Rede, wo dann Se. Excellenz der Präses sich wieder in sein Mente hüllte, in der festen Überzeugung, diesen Menschen nun wieder auf den rechten Weg gebracht zu haben.

Auf das hatte Bogozy nur gewartet, um jetzt mit aller Unterwürfigkeit und Pietät in gebrochener Stimme das zum Schluß aufgesparte demütige Geständnis zu machen: – Illustrissime, ich habe von der ganzen schönen Rede kein Wort verstanden, ich bin schwerhörig.

Wir wissen nicht, welcher Schutzgeist in diesem Momente Bogozy davor bewahrte, von den Köcserepyschen am Nacken ergriffen und kopfüber den Balkon hinabgeworfen zu werden.

So viel ist gewiß, daß ihrer fünf bis sechs auf einmal in ihn hineinzusprechen anfingen, und daß dies kaum eine Erklärung der Rede war. Bogozy that, als verstünde er nichts, obwohl die Redner ihm ihre Fäuste dicht unter die Nase hielten.

Alle Reden wurden aber von der kreischenden Stimme Tarnavárys übertönt.

– Hören Sie auf niemand, Bogozy, diese Herren wollen nur Zeit gewinnen. Ihre Leute haben die unsrigen angegriffen und in einer mörderischen Schlägerei auf die Gasse hinausgetrieben; die gnädigen Herren ließen das geschehen und möchten den Skandal jetzt wieder erneuern: sie wollen die Thore offen lassen, um Ihnen ihr wütendes Heer auf den Hals zu schicken.

Auf das warf Bogozy seine kupferige Nase noch einmal so hoch in die Höhe und zeigte mit emporgehaltener Hand, daß jetzt auch er sprechen wolle.

– Ich habe das schöne Wort verstanden, gnädiger Herr. Das also ist ihre Absicht, die draußen rumorenden feindlichen Haufen durch die geöffneten Thore auf uns loszulassen. Nun die hoch- und wohlgeborenen Herren sind wohl nicht unbekannt mit der berühmten Chronik des Kokánfalver Adels; wer sie aber nicht kennen sollte, dem will ich etwas daraus erzählen. Seitdem Arpád sich hier im Lande niedergelassen, waren die adeligen Recken von Kokánfalver immer berühmte Raufbolde. Da sie von ihrem heidnischen Gottesdienst nicht lassen wollten, schlugen sie noch unter König Andreas II. einigen großen Herren die Köpfe ein und führten Krieg, sie allein, gegen das ganze Biharer Komitat, weil dieses in einer Grenzstreitigkeit ein ungerechtes Urteil gefällt hatte. Unter König Bela IV. wagten sich nur zwischen die Kokánfalver Moräste die Tataren nicht herein, und die sich etwa hineinwagten, kamen nicht mehr lebendig hinaus. Dózsas Bauernheer mit seinen Tausend und Abertausenden wurde von dieser Ortschaft allein unter Ladislaus Dobzse in die Flucht geschlagen und so viele verschiedene Herren auch, seit den Trauertagen von Mohács, diese Gegend in Besitz nahmen, hat doch keinem derselben Kokánfalva je einen Tribut entrichtet, noch einen Bissen Brot geliefert; keines Menschen Sohn hat sich je unterfangen herzukommen, um hier den Herrn zu spielen, ohne hinausgeprügelt zu werden, sogar kein Stuhlrichter hat sich in der Gegend gezeigt seit Menschengedenken. Bei der letzten Raaber Insurrektion hat der ganze übrige Adel den französischen Truppen den Rücken gezeigt, die Kokánfalver hielten auch hier Stand und schlugen mit ihren Fokoschen so in die gepanzerten Kürassiere hinein, daß diese zu ihrem Kaiser Napoleon sich beschweren gingen: »Wir wissen nicht, was das ›Krumme‹ ist, aber es ist ein verteufeltes Ding!« Dies »Krumme« ist auch jetzt in ihrer Hand, und diese Hände sind auch jetzt noch so kräftig, wie die ihrer Vorfahren, und auf die Kunst des Köpfeeinschlagens verstehen wir uns noch jetzt so gut, wie während der letzten achthundert Jahre. Wenn daher die hoch- und wohlgebornen Herrn es wünschen, daß wir unsere Stimme im hergebrachten ordentlichen Wege abgeben, so wollen wir das thun, rechtschaffen, wie sich's gehört; wenn es ihnen aber besser dünkt, die Sache mit der Faust entscheiden zu lassen, nun so sind wir auch dazu bereit, wir öffnen das Thor, und ich gelob' es, bei den Klageliedern Jeremiä, daß wir die Weißfederigen so hinwegfegen werden, als wären sie nie dagewesen.

Diese schöne Rede wurde bis in den Hof hinab gehört. Die Kokánfalver erhoben zur Verherrlichung ihres geschichtlichen Ruhmes ein furchtbares Gebrüll, aus dem wenigstens zu entnehmen war, daß sie allerdings Lust hätten, den Ruhm ihrer Väter mit einer neuen Heldenthat zu vermehren.

Die eine wie die andere Partei war in der größten Verlegenheit, Szentirmay lief zum Obergespan hin.

– Excellenz, im Namen der Menschlichkeit flehe ich Sie an, machen Sie diesem unnatürlichen Kampfe ein Ende, vertagen Sie die Wahl, entlassen Sie die Wähler, sonst werden heute hier die schrecklichsten Dinge geschehen.

– Geschehe was da wolle! schrie Tarnaváry trotzig dazwischen; diejenigen, welche mit einer Prügelei den Hof verließen, dürfen nicht wieder herein. Excellenz haben es selbst ausgesprochen: die Anwesenden beschließen; belieben Sie also den Beschluß der Anwesenden zu vernehmen.

Dort unten rief man einstimmig: »Éljen Szentirmay, Karpáthi!«

Nicht eine Stimme ließ Köcserepy leben.

– Hören Sie die Acclamation der Anwesenden? sagte Tarnaváry dem Obergespan ungestüm auf den Leib rückend. Der Obergespan wies kaltblütig mit der Hand nach dem aus der Tafel geschriebenen Wort: » vox

– Wozu bedarf es hier einer Abstimmung, da niemand für die Kandidaten der Gegenpartei sich ausspricht.

Der Obergespan zeigte wieder auf die Tafel.

– Excellenz, sagte Rudolf ganz außer sich; es ist unmöglich, daß Excellenz jetzt die Abstimmung vornehmen lassen; wenn diese Leute einzeln auf die Gase hinausgelassen werden, werden sie ja von den erbitterten Gegnern draußen auf der Stelle erschlagen.

Der Obergespan zuckte mit den Achseln und ernannte mit kalter Ruhe die Mitglieder der Stimmen-Einsammlungskommission.

Draußen auf den Gassen war schon das wilde Gebrüll der Ausgeschlossenen zu vernehmen, die, von der Verfolgung zurückgekehrt, die Thüre versperrt fanden und durch die Entschlüpften schon von dem Verrat der Kokánfalver unterrichtet waren, die jetzt allein das Wahlfeld usurpierten.

»Man muß die Thore mit Wagen einrennen!« brüllte man draußen und bald darauf konnte man hören, wie man schwere Lastwagen gegen das versperrte Thor stieß, mit Äxten an dessen Klammern herumhämmerte und mit Steinen die Fenster des Komitatshauses einwarf, aus welchen alle Zuschauer bestürzt die Flucht ergriffen.

– Belieben Sie zur Abstimmung zu gehen! winkte der Obergespan.

– Belieben Sie abzustimmen! sprachen Köcserepy und seine Getreuen ihm nach, sich mit boshafter Schadenfreude gegen Bogozy wendend, welchen Rudolf und Zoltán an diesem gewagten Schritt zu verhindern suchten, sich bereit erklärend, lieber zurücktreten zu wollen, als die Herbeiführung eines solchen Auftrittes zuzulassen.

– Man wird euch draußen alle umbringen! sagte Zoltán, Bogozy umklammernd und für ihn und seine Genossen zitternd.

Das war kein Argument, welches Bogozy hätte besiegen können.

– Überlassen Sie das uns! sagte er übermütig und ging der erste zum Abstimmungstisch hin, welcher hinten im offenen Gange aufgestellt war.

Vor diesem Tisch mußte jeder seine Stimme abgeben und dann zur kleinen Thüre des Komitatshauses hinausgehen, an welche draußen mit Beilen und Bleistöcken losgehämmert wurde.

Bogozy besprach sich dort leise mit seinen Leuten, und wählte sich die ersten fünfzig aus, welche zur Abstimmung gehen sollten; unter der kleinen Pforte wartete er hübsch, bis alle fünfzig abgestimmt hatten, dann spuckte er sich in die Hände, packte den Buzogány fest und öffnete die Thüre.

– Schlagt ihn tot! war der erste Ruf, der ihn draußen von allen Seiten empfing, als er hinaustrat.

– Und wer wird mich totschlagen? fragte Bogozy, indem er seinen Buzogány im Kreise herumschwenkte und stürzte mit seinen fünfzig Mann unter die Menge, nach rechts und links dreinschlagend und überall blutige Köpfe austeilend.

– Ihr seid gegen den Kokánfalver Adel gekommen? brüllte die kleine Schar, wie ein feuriger Drache unter die Gegner fahrend. Ihr wollt mit uns anbinden? Krieg wollt ihr haben? Da habt ihr Krieg, da habt ihr Schläge!

Von Minute zu Minute kamen immer mehr und mehr Kokánfalver vom Komitatshaus heraus, die Schlägerei wurde immer blutiger, man rannte sich nieder, riß sich die Kleider vom Leib, schlug einander Nasen und Köpfe ein, riß sich die Ohrläppchen ab, biß sich mit den Zähnen herum, raufte dem Gegner die Haare aus, sprang den auf dem Boden Liegenden auf die Brust und schlug auf sie los, bis man seinerseits wieder von andern niedergetreten wurde; niemand dort drinnen hörte mehr auf die Abstimmung, der Obergespan und die Beamten waren von ihren Sitzen aufgestanden und hatten die Thüren hinter sich zugeschlossen, die noch übrige Kokánfalver Wählerschaft öffnete das auf die Gasse führende Thor und stürzte auf einmal hinaus auf das Schlachtfeld. Dieser Sturm entschied den Sieg: die Leute der Köcserepyschen Partei fanden, daß sie der Prügel schon genug hatten, und als sie sahen, daß eine neue Kolonne gegen sie heranrücke, wandten sie dem Feind den Rücken, ließen das Komitatshaus hinter sich und rannten nun desselben Weges, auf dem sie kurz vorher die viertausend Leute Szentirmays vor sich her gejagt hatten, vor den Kakánfalvern auf und davon, welche ihnen bis ans Ende der Stadt nachsetzten, die von den Flüchtlingen weggeworfenen Fahnen und Waffen auflasen und mit diesen Trophäen im Triumph nach dem Komitatshause zurückkehrten, während sie sangen:

Aufgeblüht ist Röslein rot.
Für Szentirmay gehen wir in den Tod,
Das Röslein soll schmücken Szentirmays Gut.
Noch röter als Rosen ist unser Blut.

Bei Köcserepys muß jemand schwer krank sein; Diener, Schreiber laufen nach Ärzten, die Pforten seiner Wohnung sind jedem Besucher verschlossen, die Fenstervorhänge herabgelassen. Aber auch so noch hört man hindurch:

»Aufgeblüht ist Röslein rot!«


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