Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Teil.

1.

Das Geheimnis.

Im Jahre 1840 herrschte ungewöhnliches Leben in Preßburg. Es wurde dort Landtag gehalten, was immer die einstmalige Hauptstadt Ungarns auf kurze Zeit zu galvanisieren pflegte. Zur Zeit, wo kein Landtag war, hatte die getreue Stadt in der That ein sehr stilles Aussehen. Seine verfallene Königsburg wird nur von dem Ghetto des Schloßberges gehütet, auf dem geschichtlich denkwürdigen Krönungshügel wächst Gras, und wenn in der schönen Au auch ein einsamer Leierkasten aufspielt, sind es höchstens ein paar Sekundaner, die sein dankbares Publikum bilden; würden abends nicht die großen slowakischen Bauernwagen über das holprige Pflaster rasseln, mit ihren eisenbeschlagenen Rädern einen ohrenzerreißenden Lärm machend, traun, man könnte sich ruhig um acht schon schlafen legen, wenn man nicht etwa Lust verspürt, ein uraltes Stück in dem traurigen Theater sich anzusehen, das von unbedeutenden Schauspielern vor spärlichen Zuschauern herabgespielt wird, während die leeren Logen wie ein immerwährendes Gähnen auf die Bühne herabstarren, so daß die auf den Brettern Beschäftigten am liebsten in sie zurückgähnen möchten. Die Bürgerschaft hat nur den Sonntag, an den Wochentagen hat sie keine Zeit zu Unterhaltungen; vom höheren Adel wohnen nur wenige in der Hauptstadt, eine oder die andere Dame, welche sich mit der Welt überwürfen hat, in der sie anfängt, sich zu ennuyieren; ein herabgekommener Zweitgeborener, der für seine alten Tage sich einzuschränken genötigt ist, und von Wien herabgezogen ist, um hier in seinem verfallenen Familienpalais zu wohnen und die teure Miete in der Residenz zu ersparen; dann ein paar verschollene politische Celebritäten, welche dem Orte, von wo der Stolz sie vertrieb, und der sie doch immer noch anzieht, aus dem Wege zu gehen und ihm doch wieder nahe zu sein wünschen. Die glänzendsten Gebäude stehen leer, unbewohnt. In dem weltläufigen Landhause verirrt sich der Besucher, bis er in den von dem Echo seiner Schritte widerhallenden Gängen jemand trifft, der ihn zurecht weist. In dem Hofe des Grassalkovics-Palnis mit dem vergoldeten fürstlichen Wappen kann man Gras mähen, das niemand niedertritt, als ein invalider, gichtbrüchiger Hausinspektor und im Primatial-Palais sind alle Thüren verschlossen und alle Fenster mit Jalousien verrammelt, was auch keine überflüssige Vorsicht ist, denn wie leicht könnte von den im Vorhof Ball spielenden Studenten ein Fenster eingeschlagen werden. Nur dann und wann humpelt eine schwerfällige, lichtgelbe Karosse durch die stillen Gassen, deren friedliches Gespann so bedächtig ausgreift, als ob es eine Wette gälte, wer zuerst einschlafen werde: das kriechende Gespann, oder der Kutscher auf dem Bock mit der großen Allongeperücke, oder die in der Karosse sitzenden zahnlosen Duennas und Rokokokavaliere.

Wie anders ging es zu, welch neues Leben erwachte, wenn Landtag war. Als wäre die Jugend, die sonst anderswo in der Fremde sich aufgehalten, plötzlich heimgekehrt und hätte noch eine Menge Kameraden mitgebracht. Die verschlossen gewesenen Thore der herrschaftlichen Gebäude sind alle geöffnet, glänzende Equipagen mit hinten aufstehenden silber- und goldverschnürten Husaren fahren aus und ein. In den Häusern der ruhigen Bürger sehen bärtige Patriotengesichter zum Fenster hinaus. In der Au ertönt exotische Zigeunermusik und in dem gedrängt vollen Theater verlangt das Publikum einen Csárdás.

Ins Theater geht man nicht etwa des Schauspiels oder der Schauspieler wegen, sondern um hier mit Bekannten zusammenzutreffen und während der Aufführung des Stückes gemütlich zu plaudern. Hier konnte man die gefeiertsten Männer des Landes, die reizendsten Frauen beisammenfinden und wer nicht Gelegenheit gehabt, Wesselényi im Landtagssaale sprechen zu hören, konnte es hier mit aller Bequemlichkeit, denn wenn der herkulische Mann im Parterre sich leise mit seinem Nachbar zu unterhalten anfing, konnte man rings in den Logen jedes Wort hören.

An einem Abend war ein noch größeres Gedränge im städtischen Theater, als sonst; es war eine Wohlthätigkeitsakademie arrangiert, bei der eine in Preßburg in den höheren Kreisen bekannte Dame, Gräfin O***, aus Gefälligkeit mitwirken sollte.

Der edle Zweck hatte viele ins Theater gelockt, die sich sonst in diese Räume nicht verirrten; eine noch größere Zugkraft hatte das Auftreten der bekannten Gräfin geübt. Die Leute glauben natürlich, eine Gräfin auf der Bühne zu sehen, sei schon allein interessant genug; sie sang aber auch wirklich schön. Auch die übrigen Konzertstücke waren glücklich gewählt. Ohne Ausnahme wurde schön gesungen, Klavier, Flöte gespielt, oder auf was sonst man sich produzierte.

Unsere großen Herren haben deshalb eine besondere Vorliebe für Opern und andere musikalische Aufführungen, weil sie keine ungeteilte Aufmerksamkeit erheischen; man kann während der Vorstellung mit dem Nachbar sprechen, mit der Nachbarin liebäugeln, die Logen rekognoszieren, nach Belieben plaudern; deshalb hört man doch sowohl Pauke als Klarinette und wenn man dazwischen seinem Nachbar eine pikante Anekdote erzählt, oder gar hinausgeht, um eine Portion Gefrorenes zu genießen, wird man, in den Saal zurückgekehrt, den Faden der Vorstellung doch nicht verloren haben.

Die anwesenden Damen waren sicherlich weder von der Tell-Ouverture, noch von den darauffolgenden Kavatinen, noch von der feierlichen » Eja mater-Symphonie« so in Ekstase gebracht, als durch das Gesicht eines jungen Mannes, der nächst der Hofloge in der Loge des Septemvirs Tarnaváry neben der Septemvirin saß.

Nie hatte man einen interessanteren Männerkopf gesehen. Seine Jugend verlieh ihm eine beinahe weibliche Schönheit, während aus den großen Augen die Flammen männlichen Mutes sprühten und, wenn sie im Kreise herumblickten, eine solche Wirkung auf die Damenwelt übten, daß Mozart, Beethoven und selbst die aus der Bühne singende Gräfin vergessen waren.

Alle Operngucker waren auf ihn gerichtet; die aus den schönen Augen schießenden Sonnenstrahlen mußten das Gesicht des Jünglings ganz in Flammen setzen, das in der That so rot war, als ob es von außen und innen glühte, so bemüht auch der Besitzer desselben war, sich den Anschein zu geben, als käme er gar nicht in Verwirrung. Er suchte mit Frau von Tarnaváry eine ungezwungene Konversation fortzusetzen über ganz gleichgültige Gegenstände, wozu die schöne Dame ein Gesicht machte, als ob das alles höchst interessant und unterhaltend wäre. Die sie aus der Entfernung Beobachtenden mochten sie genug darum beneiden, wie gut sie sich mit diesem prächtigen Jüngling unterhalte. Wo hat die Septemvirin ihn aufgegabelt? gehört er vielleicht zu ihrer Verwandtschaft? Niemand wußte, wer er sein könne. Man sollte sich doch daran erinnern können, ihn vor Jahren irgendwo gesehen zu haben, als Kind, als heranreifenden Jüngling. Wie doch die jugendlichen Gesichter in ein paar Jahren sich verändern. Der Septemvirin aber machte es großes Vergnügen, daß die anwesenden Damen alle so neugierig auf den mit ihr sprechenden interessanten Fremden blickten.

– Die Damen werden Ihretwegen mir noch die Loge in Brand stecken, scherzte Frau von Tarnaváry. Alle Welt hat die Operngucker hierher gerichtet. Ich bitte Sie, wehren Sie sich doch ein wenig.

– Wie denn? fragte der Jüngling mir der verlegenen Miene der Unerfahrenheit.

– Nehmen Sie Ihr Perspektiv und fixieren Sie die auf Sie Blickenden. Wenn Sie nicht den Mut haben, sie zurück zu fixieren, so werden Sie sehen, wie man Sie behexen wird.

Der Jüngling gehorchte und lichtete sein Perspektiv von einer Loge zur andern; an einer Stelle hielt er inne und blickte lange hin. Die Köcserepys saßen dort; Wilma mit dem Rücken gegen die Bühne gekehrt und ihr bleiches Gesicht ihm zugewendet. Der unbekannte Jüngling setzte mit zitternder Hand das Augenglas ab.

– Nun, was wandelt Sie an? Sie sind ja auf einmal ganz blaß geworden? sagte lächelnd der aufgeräumte Septemvir.

– Ich? warum nicht gar! verteidigte sich der Jüngling und sein Perspektiv von neuem zur Hand nehmend, richtete er es mit einer herzhaften Bewegung auf die gegenüber befindliche Loge.

Jetzt aber erschrak er erst recht. Gerade ihnen vis-à-vis saß eine ihm gänzlich unbekannte Familie; zwei hochbejahrte Damen an beiden Seiten und mitten zwischen ihnen ein junges, schönes, blühendes Mädchen, mit frischem Rot auf den Wangen und lächelndem Gesicht, das ihm so bekannt und doch wieder so unbekannt schien; kaum hatte das Mädchen bemerkt, daß der Jüngling zu ihm herübersah, als es plötzlich einen vertraulichen Gruß nickte und ihm wie einem Bekannten zulächelte, worauf sie beiden Damen etwas zuflüsterte.

– Was hat Sie denn jetzt neuerdings so angenehm überrascht? lachte die Septemvirin; jetzt sind Sie wieder rot geworden, als waren Sie mit Feuer übergossen. Sie sind sehr leicht zu behexen.

– Ich weiß nicht, stotterte der Jüngling, ein Bekannter hat mich gegrüßt, den ich nicht kenne.

– Wo sitzt er? fragte die Tarnaváry, bereit Aufschluß zu geben.

– Dort, uns gerade vis-a-vis. Gehen Sie jetzt nicht hinüber, meine Gnädige, denn alle drei sehen auf uns. Zwischen zwei ältlichen Damen sitzt ein schönes, junges Mädchen, es schien mich schon zweimal zu grüßen, und ich weiß nicht, wer es sein kann.

Die Tarnaváry richtete ihr Opernglas auf die Bühne, das so eingerichtet war, daß man unter dem Glas hinweg auf die bezeichnete Loge blicken konnte.

– Das sind die Komtessen Szenczy, die alte Gräfin und ihre Schwester, eine alte Jungfer; aber das Mädchen kenne ich wirklich nicht. Ich hab es noch nie gesehen. Es ist mir gänzlich unbekannt. Gewiß ist es eine Enkelin der Gräfin, die bis jetzt im Kloster erzogen wurde.

– Szenczy? sann der Jüngling nach; ich erinnere mich nicht, sie je gekannt zu haben.

– Ach gehen Sie, stellen Sie sich nicht so! neckte ihn die Septemvirin, die kleine Brünette lächelt Sie ja an, so oft sie herübersieht.

– Ich kenne sie aber nicht.

– Aber irgendwo müssen Sie doch schon mit ihr zusammengekommen sein. Denken Sie doch nach.

– Ich entsinne mich nicht. Es könnte nur ... Doch, das ist nicht möglich. Ich kann mir nicht denken, wer sie ist.

Den jungen Mann schien dieser Gedanke zu quälen, denn er wartete nur, bis jemand in die Loge kam, und benützte dann gleich die Gelegenheit, zu entschlüpfen, dem genialen Baron Berzy die ritterliche Pflicht überlassend, die Septemvirin zu unterhalten.

In die Vorhalle gelangt, mischte er sich unter die dort stehende Schar junger Leute, welche vor der Logentreppe auf das Herabkommen der Damen warteten, um ihre kleinen Füße zu bewundern, die bei solcher Gelegenheit zum Vorschein zu kommen pflegen.

Einer von ihnen sah den unbekannten Jüngling an, die übrigen beachteten ihn nicht sehr und so war es ihm leicht, sich unter sie zu mischen.

Drinnen wurden schon die Schlußpiecen gegeben, ein Teil des Logenpublikums wartete das Ende der Vorstellung nicht mehr ab, sondern brach auf, um vor dem Gedränge hinauszukommen.

Nicht lange und eine Feengruppe um die andere kam die Stufen herniedergeschwebt. Ja, schön sind sie, das muß man ihnen lassen. Ich habe oft darüber nachgedacht, wie es denn kommt, daß unsere vornehmen Kavaliere armen bürgerlichen Mädchen nachsteigen, während doch ihre eigenen Damen mit soviel Reizen ausgestattet sind.

Jetzt kommt wieder ein interessantes Frauenpaar die Treppe herab. Es ist Frau von Köcserepy mit ihrer Tochter. Die Mutter ist auch jetzt noch eine stolze Schönheit, die Tochter noch immer so blaß, wie früher. Der Rat selbst geht hinter ihnen, den Shawl seiner Frau auf dem Arm tragend, den er nicht um die Welt einem andern überlassen würde und mit Frau und Tochter so verbindlich sprechend, als wären es eine fremde Dame und ein fremdes Fräulein, denen er den Hof macht. Die ganze Familie schreitet knapp an unserm Jüngling vorüber, welcher ehrerbietig mit einem stummen Gruße den Hut vor ihnen lüftet.

Der Herr Rat erwidert die Begrüßung mit außerordentlicher Freundlichkeit und stößt die beiden Begleiterinnen, welche den Gruß nicht beachtet hatten, mit dem Ellbogen an; und doch könnten wir eine Wette darauf eingehen, daß er den jungen Mann ebenso wenig kennt, wie die andern. Die gnädige Frau nickt kalt mit dem Kopfe, ohne es der Mühe wert zu finden, aufzublicken, um zu sehen, wer sie grüßt; Wilma aber heftet ihre großen dunkeln Augen auf ihn, wirft dann ihrem Vater und ihrer Mutter einen Blick zu und eilt, ohne auch nur mit einer Lippenbewegung den Gruß zu erwidern, voraus zu der vorfahrenden Equipage.

Der Jüngling blickte ihr mit einer eigentümlichen Empfindung nach. Er dachte so etwas bei sich, wie: sie dauert mich.

Während der Jüngling noch ganz in Gedanken über diese Begegnung versunken dastand, zogen neue und immer zahlreichere Gruppen an ihm vorüber durch die Vorhalle und er wußte selbst nicht, wie es geschah, aber als er den Kopf umwendete, fand er sich Auge in Auge dem schönen unbekannten Fräulein gegenüber, dessen vertrauliches Lächeln ihn vorhin so in Verwirrung gebracht. Es führte eine der ältlichen Damen am Arm.

Jetzt lächelte das Mädchen noch freudiger beim Erblicken des jungen Mannes und rief ihm in holder, kindlicher Ungezwungenheit zu: Zoltán! Guten Abend, Zoltán! ...

Der Jüngling fühlte alle Wonnen des Paradieses in sich erwachen. Diese Stimme läßt ihm keinen Zweifel mehr, es war seine schone Unbekannte. Ja sie ist es, sein Herzenskleinod, das Glück, die Hoffnung, der Glaube, die Sehnsucht seiner Seele. Es ist seine Kleine, Kathinka Szentirmay.

Seine Kleine! Aber wie sie gewachsen, wie schön sie geworden ist, seitdem er sie zum letztenmal gesehen. Damals war sie nur noch ein herziges Kind, jetzt ist sie eine stattliche Jungfrau. Und er hätte sie nicht erkennen sollen und es war doch kein Tag vergangen, an dem er nicht an sie gedacht; er hätte an ihr vorübergehen und sich den Eindruck, den ihre Schönheit auf ihn gemacht, wie eine Untreue an seinem Ideal vorwerfen sollen?

Aber auch sie hat ihn erkannt! Sie alle, die ihn vor Jahren gesehen, haben sein Gesicht vergessen; sie allein hat aus den veränderten männlichen Zügen den einstmaligen Jugendgespielen, den teuren Bruder, herausgefunden ...

Wem, in einem solchen Augenblicke, wäre es wohl gegeben, ruhig zu überlegen und sich kaltblütiger, ernster Vorsätze zu erinnern. Wenn man jahrelang in der Welt sich herumgetrieben, ohne eine teure, süße Erinnerung los werden zu können, und dann zufällig wieder mit dem holden Gegenstande dieser Erinnerung zusammentrifft, darüber erst nachzudenken, ob man sich auch der Freude des Wiedersehens hingeben dürfe oder nicht – das wäre mehr, als von einem menschlichen Wesen verlangt werden kann.

Zoltán dachte nicht daran. Er stürzte auf die Damen zu und stellte sich in kurzen Worten vor; man kannte ihn bereits vom Hörensagen; und wie er nun dem Mädchen in die bezaubernd schönen Augen blickte, war die Erinnerung an alles das verwischt, was er einst Szentirmay hatte geloben müssen.

Um wieviel schöner seine liebe Kleine geworden, seitdem er sie nicht gesehen, schöner noch, als sie in seinen Träumen ihm erschienen war. Er würde es jetzt auch nicht mehr wagen, sie seine Kleine zu nennen, ist sie doch eine schlanke, hehre Jungfrau geworden. Und wer weiß, ob sie es ihm auch noch gestatten würde. Ist doch eine lange Zeit seitdem verstrichen. Erinnert sich die Jungfrau wohl noch der glücklichen Stunden kindlicher Unbefangenheit, die uns wie ein Traum vorkommen, wenn wir in späteren Jahren an sie zurückdenken und über die wir so gern lächeln würden, wenn wir es vor Wehmut nur vermöchten? Denkt sie noch daran, was sie einander gesagt, als sie dort unter dem einsamen Ahornbaum saßen, daß sie einander nie vergessen werden, daß sie, so alt sie auch werden mögen, stets mit unaussprechlicher Lust eins an das andere denken werden? O der reinen, süßen Freuden der Jugendzeit! Wie schlecht, wie unglücklich, wie elend werden wir, wenn wir einmal aufhören, jung zu sein.

Im ersten Augenblicke fand Zoltán vor Entzücken kaum Worte. Er konnte sich nicht satt sehen an dem holden Bilde, beinahe hätte er der peinlichen Höflichkeitsrücksichten vergessen, welche er den unbekannten Damen schuldete, in deren Begleitung sich Kathinka befand. Es waren nahe Anverwandte der Szentirmay. Sie waren herzlich erfreut, Zoltán kennen zu lernen, den sie noch nie gesehen hatten. Sie drückten die Hoffnung aus, er werde sie während des Landtags häufig besuchen. Sie wohnten zusammen mit den Szentirmays. Das verhängnisvolle trennende Hindernis zwischen Zoltán und Rudolph war ihnen nicht bekannt.

Zoltán beeilte sich, ihre Hoffnung zu der seinigen zu machen. O er wird oft, sehr oft zu Szenczis gehen. Kathinka in selbstvergessener Freude sagte, das werde sehr schön sein.

Für jetzt hätten sie sich an der Thüre der Vorhalle trennen müssen, wenn der Zufall, der sich oft der unscheinbarsten Werkzeuge für seine Zwecke bedient, den liebenden Herzen nicht zu Hilfe gekommen wäre. Der Wagen der Komtessen war nicht da, der Kutscher hatte wohl irgendwo gute Gesellschaft gefunden und darüber seine Herrschaft vergessen, nicht zum ersten und auch nicht zum letztenmal.

– O, dieser Thunichtgut, gewiß hat er sich wieder einen Rausch angetrunken, lamentierte die eine der alten Damen, welche noch Fräulein war; die andere jedoch beruhigte sie, daß sie ja auch zu Fuß nach Hause gehen können, das Wetter ist so schön, es ist Mondschein und Zoltán wird schon so gut sein, sie zu begleiten, wenn sie auch ein bißchen weit wohnen.

Ob er so gut sein wird! Er wünschte nur, sie möchten am äußersten Ende der Stadt wohnen, um desto länger mit ihnen gehen zu können. Er bot der älteren Dame den Arm an.

– Ich danke, Zoltán, sagte sie lächelnd, seien Sie nicht böse, daß ich Sie so nenne. Wir pflegen uns nur ineinander einzuhängen, ich und Judith, sie ist mein Kavalier und ich der ihrige; sie ist noch ledig, ich aber bin Witwe, und wenn man eine von uns am Arm eines unverheirateten Mannes sähe, würde die ganze Stadt davon sprechen; bleiben Sie nur bei Kathinka.

Die beiden alten Damen lachten herzlich über diesen Spaß und trippelten, ineinander eingehängt, den jungen Leuten, welche sie vorausgehen ließen, nach, nur um das eine sie bittend, nicht so schnell zu laufen, denn ihre Füße seien nicht mehr so gut, wie zur Zeit Napoleons.

Der Jüngling und das Mädchen gingen anfangs in hübsch anständiger Entfernung nebeneinander, bis sie aus dem Strom des Gedränges herauskommen konnten; später jedoch, als sie in dunklere Gassen gelangten, konnte Kathinka natürlich sich von Zoltán nicht mehr so fern halten; bald darauf strauchelte die Arme über einen garstigen Stein, und da war es selbstverständliche Pflicht Zoltáns, seinem Schützling den Arm anzubieten, und als er nun das bekannte zarte Händchen wie einst an gewohnter Stelle fühlte, dort zwischen Arm und Herz, als wenn es nie diese Stelle verlassen hätte, da war ihm zu Mute, als ginge er auch geradeswegs nach Hause dorthin, wohin er das Mädchen begleitete.

Wie viel hatten diese beiden einander zu sagen! O ein Monat, ein Jahr, ein ganzes Leben würde dazu nicht ausgereicht haben!

Sie waren noch immer dieselben unbefangenen Kinder, die vor einander kein Geheimnis haben, keines macht ein Hehl aus seiner Freude, seinem Kummer, seinen Neigungen, von denen es ja weiß, daß sie von dem andern geteilt werden. Kathinka erzählte, wie oft sie von Zoltán gesprochen, sie sowohl als die jüngern Geschwister, wie sehnlich sie ihn zurück erwartet. Eigentlich hätte sie zürnen sollen, daß Zoltán sich nicht beeilt hatte, sie aufzusuchen; das aber kommt ihr gar nicht in den Sinn, und sollte auch einmal ihren Gedanken dieser Vorwurf sich aufdrängen, so wird sie hundert Entschuldigungen aufzufinden wissen, mit denen Zoltán sich reinwäscht, wie Krystall, denn der wahren Liebe ist es eigen, den geliebten Gegenstand auch gegen sich selbst in Schutz zu nehmen.

Zoltáns Blicke hingen wonnetrunken an den Lippen des gesprächigen Mädchens; welche Glückseligkeit ist es schon, nur den Worten dieser Lippen zu lauschen! und welche Wonnen hatten sie sonst noch zu spenden? Wenn zur Stunde eine gütige Fee ihn früge, welchen Wunsch er sich ausbitten wolle, – er wäre schnell fertig mit seiner Antwort.

Wie schade, daß der Wagen sie unterwegs einholte und die Szenczi ihren liederlichen Kutscher erkannte.

Dieser schwur hoch und teuer, er habe dort beim Theater gestanden, sie hätten ihn nur nicht bemerkt und da es so kürzer war, ließ man die Entschuldigung gelten, statt die Sache weiter zu untersuchen.

Die beiden Damen beschrieben Zoltán genau ihre Wohnung und Kathinka setzte es ihm nochmals auseinander, wahrscheinlich glaubte sie, er werde es sich so besser merken, und damit trennten sie sich.

Zoltán mußte noch zurück zum Theater, um die Tarnaváry nach Hause zu begleiten, welche bis zur letzten Note auszuhalten pflegte; dann erst begab er sich in sein Quartier.

In welchen seligen Träumereien wiegte er sich diese Nacht; seine Seele gab sich ihnen gedankenlos völlig hin; die ganze Zukunft stand als lachendes Bild vor ihm, alles Vergangene war vergessen.

Auch noch im Schlafe sah er sie überall, er wandelte mit ihr durch blumenreiche Auen, horchte ihren süßen Worten, weidete sich an ihrem reizenden kindlichen Lächeln, an den klaren, reinen Augen, in denen ihre Seele schwamm.

Aus dem lieblichen Traume weckte ihn prosaisches Geklingel. Der Kammerdiener trat ins Schlafzimmer und überreichte ihm einen Brief, den ein Bedienter der Szenczis ihm übergeben hatte.

Zoltán erkannte auf dem Couvert die Handschrift Szentirmays und diese Züge ernüchterten mit einen, Schlag seinen Geist. Er hätte es gewußt, was in dem Briefe stand, auch ohne ihn zu erbrechen.

– »Lieber Zoltán, Sie scheinen zu vergessen, was Sie mir versprochen haben. Wenn Sie nicht wollen, daß ich Preßburg verlasse, müssen Sie ohne Verzug von hier abreisen. Rudolph Sz.«

Diese eiskalten Worte scheuchten den Traum von seinen Augen – aus seinem Herzen. Sie brachten Zoltán die tragische Scene in Karpátfalva, das rätselhafte Gelübde ins Gedächtnis. Wohin überall hat nicht dieses Rätsel ihn verfolgt?

Er zitterte am ganzen Körper, wie einer, den das Fieber schüttelt. Er fühlte sich gedemütigt, gebrochen, darniedergeschmettert ...

Plötzlich bemerkt er, daß er zittere. Er, der sich für stark und mutig gehalten, zittert; zittert vor etwas Unbekanntem, wie ein furchtsames Kind vor einem nächtlichen Geräusch. Er, der bei der ersten Anwandlung von Seekrankheit sich gesagt hatte, ich will nicht und werde nicht seekrank werden und es auch durchsetzte; der, wenn er Müdigkeit oder Hunger fühlte, sich nur zu sagen brauchte, du darfst nicht müde werden, du darfst nicht hungrig sein! sollte er jetzt seiner Seele nicht sagen können: ich verbiete dir, dich zu fürchten!

Er verhärtete sein Gemüt, es darf nicht beben, aber wissen muß er, worin das Geheimnis besteht, das sich zwischen ihn und die Szentirmaysche Familie drängt, er muß der Hydra ins Auge blicken und ihr das Haupt zertreten, und wenn sie hundert Köpfe hätte.

Wie aber soll er es beginnen? Noch dämmert ihm über das Wie kein Gedanke aus. Nur soviel weiß er, daß er unverzüglich Preßburg verlassen muß. Das Dampfschiff fährt am Morgen ab, mit dem kann er noch heute abreisen. Wohin? Sicherlich nach Pest. Von da vielleicht noch weiter.

Er machte sich eilig reisefertig. Seinen Diener ließ er zurück, damit er ihm mit dem Gepäck tags darauf nachfolge. Mittlerweile möge er die Thüre versperrt halten und niemand von seiner Abreise etwas sagen.

Als er zum Dampfschiff eilte, stieg ihm ein Gedanke auf; noch ist es nur eine embryonische unklare Idee, aber bis zum Abend kann sie feste Gestalt gewinnen. Er setzte sich zum Radkasten und sah stundenlang zu, wie die klappernden Schaufeln die Wogen zerteilten, einen Staubregen weißer Schaumperlen hinter sich auswerfend; dann wieder sah er lange Zeit zu, wie der hohe Schlot aus seinem kronenartigen Helm schwärzen Rauch ausspie, der in dichten, sich übereinander wälzenden Wolken unter dem blauen Himmel dahinzog; einen Augenblick wieder trat er an die Maschine, welche ihr ungetümes Haupt auf und ab bewegt und mit ihren Eisenarmen zahllose sie umkreisende Hebel auf die Seite stößt. Unter den Passagieren befanden sich auch viele schöne Damen, die es nicht begreifen konnten, wie ein so schöner, eleganter junger Mann stundenlang dasitzen kann, versunken in die Betrachtung des einförmigen Wogenschwalles, der formlosen Rauchwolken, der keine Abwechslung bietenden Bewegungen der Dampfmaschine.

Er aber hatte in dieser Zeit viel gesehen und viel gedacht.

Als der Dampfer in Pest landete, warf er sich in die erste Mietkutsche und fuhr in die Wohnung seines Freundes Kovács.

Kovács lebte damals schon seit einem Jahre in Pest als Rechtsanwalt der Karpáthischen Familie. Der frühere greise Rechtsfreund, dessen Herr János sich bedient hatte, war vor einem Jahre vor jenen himmlischen Richter citiert worden, vor dem es keine Apellata mehr giebt. Er befindet sich schon intra Dominium, jenes Grundbesitzes nämlich, welcher allein durch keinen Avitizitätsprozeß streitig gemacht werden kann – im Grabe.

Selbstverständlich war die Bewerbung um diesen einträglichen und wichtigen Posten unter den Mitgliedern des hochachtbaren Advokatenstandes sehr bedeutend, und es war sehr wahrscheinlich, daß der gesetzliche Tutor, der hochgeborene Herr Septemvir, denselben mit irgend einem hochangesehenen, renommierten, erfahrenen Fiskal besetzen werde, da man wußte, welchen Widerwillen er gegen alle jungen Leute hegte, als ob er jedem von ihnen an der Nase ansähe, daß auch er einer jener gefährlichen Neuerer, welche die alte gute Ordnung umstürzen, auf Eisenbahnen fahren und Steuern zahlen wollen.

Um so mehr überraschte es, als man erfuhr, daß das vom Septemvir für diesen Posten ausersehene Individuum ein junger Advokat sei, der erst kürzlich die Censur abgelegt und noch keine Praxis habe: ein gewisser Kovács, oder wie er sonst heißt.

Oberflächliche Beurteiler sahen darin etwas Außerordentliches, eine jener vielen Sonderbarkeiten in dem Charakter Tarnavárys; und doch war das leicht zu begreifen; bei Tarnaváry war das heftige Wesen, seine Grobheit nur eine angewöhnte äußere Manier, was ihn jedoch nicht hinderte, sehr empfänglich zu sein für die Würdigung ehrenhafter, reiner Charaktere, und wenn er auch gern den Tyrannen spielte, so wußte er mit dieser Rolle doch auch die eines Gönners zu verbinden. Jene jungen Leute, welche bei ihm praktiziert hatten, wenn sie aus jener Zeit auch eine Menge drolliger Erinnerungen mitnahmen, wie sie herumgestoßen, untereinander gehetzt worden, konnten doch in ihrem späteren Leben bei jeder Gelegenheit die Erfahrung machen, daß der harte und leidenschaftliche Mann ihnen mit besonderer Vorliebe zugethan blieb. Nie war diese Vorliebe besser begründet, als im gegenwärtigen Falle. Tarnaváry mußte besorgen, daß, wenn er den gegen Zoltán im Zuge befindlichen außergewöhnlichen Prozeß einem seiner alten bekannten Advokaten übergebe, diese nicht unbeeinflußt bleiben würden von den Rücksichten, welche sie wegen ihrer sonstigen Prozeßangelegenheiten auf den Rat Köcserepy zu nehmen hatten, während der intelligente, wissenschaftlich gebildete junge Mann, dessen erster Prozeß dies ist, nicht nur aus Berufsehrgeiz, sondern auch aus persönlicher Zuneigung für seinen Klienten, dessen Sache mit rücksichtsloser Gewissenhaftigkeit betreiben wird.

Noch bevor Zoltán zurückgekehrt war, hatte er Kovács nach Hause berufen.

In Pest angelangt, eilte Zoltán geradeswegs zu Kovács, den er noch spät abends bei der Arbeit fand.

Der junge Advokat war herzlich erfreut über die Ankunft seines jungen Klienten, von dem er sich noch im Auslande getrennt hatte. Zoltán sagte, daß er bei ihm absteigen wolle, wenn er gern gesehen sei. Er hätte Kovács keine größere Freude machen können.

Der junge Karpáthi wohnte beinahe schon seit einer Woche bei seinem Advokaten, ohne daß er Anstalten gemacht hätte, welche darauf hinwiesen, daß er daran denke, anderswohin zu ziehen. Kovács ließ einigemal die Bemerkung fallen, daß es vielleicht besser wäre, für den jungen Baron eine stabile Wohnung zu mieten; dieser antwortete jedoch immer ausweichend, er fühle sich hier so heimisch und wolle ohnehin nicht lange in Pest bleiben.

Den Tag über kam Zoltán häufig in die Kanzlei seines Freundes und überraschte Kovács nicht selten dabei, wie er bei dem Geräusch seiner Schritte plötzlich seine Schriften verbarg, und dann jedesmal sehr verlegen schien.

Zoltán that immer, als merkte er es nicht; er fing ein Gespräch mit dem Advokaten an und suchte wie in der Zerstreutheit, in seine Schriften hineinzublicken, allein Kovács versteckte alles so vorsichtig vor ihm, daß er nicht das geringste zu erspähen vermochte.

Einmal jedoch überraschte er so unverhofft den Advokaten, daß diesem in der großen Eile nicht mehr Zeit blieb, die Schriften alle gehörig zusammen zu packen und, indem er sie hastig in eine Schublade seines Schreibtisches schob, fiel ein dünnes Aktenbündel davon unter den Tisch.

Zoltán beeilte sich, dasselbe mit großer Beflissenheit von der Erde aufzuheben und, indem er es dem in äußerste Verwirrung geratenen Advokaten überreichte, traf ein flüchtiger Blick die Aufschrift des Umschlages: » Bela Karpáthi contra Zoltánum Karpáthi et Rudolphum Szentirmay

Ah, da also steckt der Knoten! dachte er bei sich.

– Was für einen Prozeß habe ich denn mit meinem Vetter Abellino? fragte er mit scheinbarer Gleichgültigkeit den Advokaten.

Kovács suchte seine ganze Advokatenkaltblütigkeit zusammenzuraffen, was ihm um so schlechter gelang, je mehr er sie zu erzwingen suchte. Fürs erste wurde er rot bis über die Ohren, dann fehlte wenig, daß er nicht in Weinen ausbrach. Man hätte ihm nur zu sagen gebraucht, er möchte doch ein wenig flennen, er würde es gleich gethan haben.

– Aber lieber Baron, stöbern Sie doch nicht in meinen Schriften herum, rief er ärgerlich, indem er auf diese Weise die Frage zu parieren suchte.

– Stöbere ich denn herum? Ich habe nur etwas aufgehoben, was auf die Erde gefallen, sagte Zoltán lachend; aber unter diesem Lachen pochte sein Herz gewaltig.

– Seien Sie also so gut, es mir herzugeben.

– Gleich, gleich, lieber Freund, lassen Sie mich nur ein bißchen hineinsehen.

– Aber ich bitte, binden Sie es nicht auf, es ist alles so schön geordnet, nach dem Alphabet; wenn Sie mir einen Akt verwerfen, so kann ich dann wieder das ganze Archiv durchstöbern, bis ich ihn finde.

– Aber ich werfe ja nichts durcheinander. Da sehe mir einer, wie man meinen eigenen Prozeß vor mir behütet. Ich werde doch wissen dürfen, warum es sich in meinem eigenen Prozeß handelt.

– Was können Sie denn in einem langweiligen Erbteilungs-Berichtigungs-Prozeß sehen? Das ist nur kindische Neugierde.

– Ich habe ein Recht dazu! sagte Zoltán, und fing an, das Aktenbündel aufzumachen.

Bisher war der Wortzwist nur scherzhaft geführt wurden; als aber Zoltán die Aktenschleife aufknüpfte, trat der Advokat in gemessener Haltung vor ihm hin und bat ihn mit emporgehaltenen Händen und vor Aufregung zitternder Stimme: o, teurer Zoltán! Sehen Sie nicht hinein in diese fluchbehafteten Schriften!

Der Jüngling warf einen ängstlichen Blick auf den Advokaten und frug mit erstickter Stimme, als hätte das alte Gespenst mit seiner ganzen Wucht sich auf seine Brust gelegt: was steht in diesen Schriften?

– Verhüte der Himmel, daß Sie auf diese Frage je eine Antwort erhalten. Ich sage Ihnen bei meiner Treue, bei meiner Ehre, wenn je ein Mensch sich fände, der ihnen raten würde, nur eine Zeile in diesen Schriften zu lesen, der wäre Ihr erbittertster Todfeind.

Zoltán preßte bei diesen Worten die Schriften immer krampfhafter in seinen Händen zusammen, so daß sie unter seinen Fingern sich beinahe zusammenkrümmten. Sein schönes Gesicht wurde bleich wie die Wand.

– Mein Freund, mein treuer, aufrichtiger Freund, sagte er mit bebender Stimme zu Kovács. Sie wissen, daß ein rätselhaftes Verhängnis seit Jahren mich grausam verfolgt: daß irgend eine unsichtbare Ursache, ein unerklärlicher Fluch die teuerste Hoffnung, an der meine Seele hängt, stets – stets aufs neue vor meinen Augen zerknickt; daß ich büßen muß, ohne zu wissen wofür? daß ich diejenigen meiden muß, die ich liebe, und nicht weiß warum? Steht dieser Prozeß in einem Zusammenhange mit jenem Fluche, der mir ins Herz gebrannt ist?

– Ich kann Ihnen darauf keine Antwort geben.

– Also sitzt hier das Gespenst! rief Zoltán, und schlug mit der Hand auf die Akten, während ein unaussprechliches Gefühl aus seinen Augen leuchtete.

Kovács ergriff seine Hand.

– Mein teurer, bester Herr! Kennen Sie in der ganzen Welt eine Seele, die Sie mehr liebte, als ich? – Einen ausgenommen.

– Nur diesen einen hätten Sie jetzt nicht erwähnen sollen!

– Meine Augen können die Thränen nicht zurückhalten und mein Herz bebt, indem ich Sie so bitte, und wenn jener andere hier wäre, würde er ebenso zitternd und mit Thränen Sie anflehen: hebe die Hand weg von diesen Schriften, denn auf jeder Zeile klebt Fluch und Verdammnis, denn von dem Augenblicke, wo du ihren Inhalt kennen lernst, hast du aufgehört jung zu sein und bist ein Greis geworden; hast du verlernt zu lieben und kannst nur mehr hassen, verachten, verabscheuen. O geben Sie mir diese Schriften zurück, forschen Sie nicht bei mir nach einem Geheimnisse, welches die göttliche Barmherzigkeit vor jeder jungen Seele ewig verhüllen möge. Sie sind noch ein Kind, wenn auch schon so gereift, wie ein Mann. Haben Sie Manneskraft genug, um dieser Unheil bringenden Wißbegier zu entsagen, und gehen Sie dann sich des Lebens zu freuen, das mit allen seinen Reizen vor Ihnen ausgebreitet liegt.

Zoltán trat mit ruhigem, ernstem Gesicht an Kovács heran und blickte ihm fest in die Augen.

– Lieber guter Freund. Wir waren jahrelang Reisegefährten und haben einander kennen gelernt. Wir haben zusammen viele gefährliche Mutproben bestanden und Sie waren Augenzeuge, ob ich je vor irgend einer Gefahr furchtsam zurückgewichen bin. Auch wenn Sie es nicht sagten, würde ich es doch fühlen, würde mein innerer Schauer es mir sagen, daß ich auf brennendem Schiff, in den Hinterhalten der wilden Rothäute, am feuerspeienden Krater so Schrecklichem nicht gegenüberstand, wie es jetzt vor mir steht; aber ich will es kennen lernen, und wenn der Tod in diesen Schriften ist, will ich sie lesen, und wenn der Teufel darin wohnt, so will ich ihn heraufbeschwören. Seit drei Jahren fliehe ich vor einem namenlosen Gespenst, ich bin es müde, beständig vor ihm zurückzuweichen; ich will mich umwenden und ihm ins Auge blicken, will es befragen um seinen Namen und weshalb es mich verfolgt. Ich will diesen Prozeß kennen lernen und schwöre, daß ich vor nichts zurückschrecken werde, was ich darin auch finden mag.

– Dieser Schwur würde sich schwer an Ihnen rächen, wenn Sie es thäten.

– Ich werde es thun.

– Mit meinem Wissen nicht, sagte hierauf Kovács mit Entschiedenheit. Ich habe einem Wanne, den Sie ebenso lieben, wie ich ihn hochschätze, mein Ehrenwort gegeben, daß ich Sie nie in den Inhalt dieses Prozesses einweihen, noch zugeben werde, daß Sie sich damit bekannt machen. Ich habe mein Ehrenwort darauf gegeben. – Jetzt belieben Sie die Papiere zu öffnen.

Zoltán band auf dies Wort das Aktenbündel wieder zu und kehrte sprachlos zu dem Tisch des Advokaten zurück.

Kovács drückte seinem jungen Klienten warm die Hand und stammelte kaum vernehmlich: Dank! Dank! – – –

Der Jüngling blickte mit einer, man möchte sagen, elektrischen Zornesglut auf den zusammengebundenen Aktenstoß, wie auf ein fletschendes Raubtier und legte mit unterdrückter Heftigkeit einer jugendlichen Aufwallung die zitternde Hand darauf: deshalb möge dies Gespenst sich nicht einbilden, daß ich nicht mit ihm sprechen werde.

Damit entfernte er sich und Kovács bekam durch volle drei Wochen seinen Klienten nicht mehr zu Gesicht, der jetzt in sein eigenes Haus übersiedelt war, welches der alte Nabob hatte bauen lassen, als seine Frau den Wunsch geäußert, in Pest zu wohnen, das aber weder er, noch seine Frau mehr bewohnen sollten.

Zoltán schien dem Rate seines Freundes zu folgen: er suchte die lustigsten Gesellschaften auf, eilte von einer Zerstreuung zur andern; aber während er sich nur zu unterhalten schien, horchte er aufmerksam überall hin, ob er nicht irgendwo ein Wort auffangen könne über dasjenige, was er zu wissen begehrte.

Er brachte endlich heraus, daß Maßlaczky der Rechtsanwalt der Gegenpartei sei. Vielleicht kann er durch ihn leichter in das Geheimnis des Prozesses eindringen.

Bei einer Gelegenheit traf er mit diesem zusammen und brachte den Gegenstand zur Sprache.

Der Anwalt zog sich gewandt aus der Schlinge, indem er Zoltán auseinanderletzte, es sei dies eine Sache, mit der nur die Advokaten der Parteien zu thun haben, die Klienten, bis sie nicht majorenn, hätten keinen Einfluß zu nehmen in diese Angelegenheiten.

Noch an demselben Tage beeilte sich indes Herr Maßlaczky, Herrn Köcserepy ein Briefchen zu schreiben, das nur die kurzen Worte enthielt: »Er beißt schon an!«

Maßlaczky hätte zwar dem Jüngling auf dessen Ersuchen den Prozeß zeigen können; allein das hätte ruchbar werden und seinem Rufe als Advokat sehr schaden können; ohnehin wußte er, daß Zoltán nicht mehr locker lassen werde, nachdem er einmal im Zuge.

Auf einem Spaziergange im Stadtwäldchen erblickte Zoltán eines Tages einen langbärtigen Patrioten, der mit dem Rücken an den Stamm eines Kastanienbaums gelehnt, mit großer Weltverachtung aus der hinteren Tasche seines fadenscheinigen Attilas die darin aufbewahrten Kerne einer Wassermelone hervorholte und dieselben, nachdem er sie sauber abgeputzt hatte, mit gemächlicher Ruhe verzehrte.

Zoltán erkannte den alten Bogozy, dessen flüchtige Bekanntschaft er schon während der Überschwemmung gemacht hatte; er ging auf den alten Scythen zu und redete ihn an: guten Tag, Bogozy, was machen Sie hier?

Der alte Kampfhahn sah ihn von der Seite an und ohne nur für den guten Tag zu danken, antwortete er gleichgültig: ich speise, wie Sie zu sehen belieben.

– Vielleicht Konfekt?

– Nein, fürwahr, das ist kein Konfekt, sondern mein Mittagsmahl, die Melone habe ich zum Nachtmahl gegessen und die Kerne habe ich nur für Mittag gelassen. Das ist so das Los armer Teufel in der reichen Stadt.

– Sie sind also noch immer in Ihrer alten Stellung? fragte Zoltán teilnehmend.

– Leider nein.

– Sind Sie vielleicht in der Censur wieder nicht durchgekommen?

– Das ist eben das Unglück, daß ich durchgekommen bin.

– Wie so?

– Nun, solange ich Jurat war, kamen doch Exmissionen, Accidentien vor, aber seitdem ich beeideter Advokat bin, ist dies Bene weggefallen und lebe ich nur mehr von dem, was ich mir durch Abschreiben verdiene.

– Können Sie denn keine Prozesse führen?

– Wer würde mir einen Prozeß anvertrauen?

– Warum denn nicht?

– Weil jeder sich fürchten würde, daß ich den Kläger exequieren lasse, oder daß ich den Prozeß vertrinke, oder daß ich mit der Gegenpartei unter einer Decke stecke. Sie wissen ja, einem armen Teufel traut man alles zu.

Zoltán machte diese cynische Art zu sprechen sehr traurig.

– Womit beschäftigen Sie sich also jetzt?

– Ich hab's Ihnen ja schon gesagt, mit Abschreiben.

– Noch immer bei Herrn Maßlaczky?

– Bei ihm und bei andern; wer mich bezahlt. Für zehn Kreuzer schreib ich einen Bogen. Wenn Euer Gnaden jemand wissen, weisen Sie ihn mir zu, ich werd ihn schon aufsuchen.

Ein Gedanke fuhr Zoltán durch den Kopf.

– Ja doch, eben fällt mir ein, daß ich selbst etwas zum Abschreiben hätte.

– Der Himmel segne Sie, gnädiger Herr, geben Sie es niemand anderem; ich schreibe es ohne einen einzigen Fehler ab und so schön, wie gestochen. Ist's viel?

– Ein ganzer Prozeß. Aber es wird auch einiger Laufereien benötigen, um ihn in die Hände zu bekommen.

– O, ich kriege ihn heraus. Wo ist er? Ich laufe zu Fuß darum bis nach Siebenbürgen, wenn Sie befehlen.

– Soweit ist's nicht nötig. Es ist der Prozeß: » Karpáthi – contra Karpáthi et Szentirmay«, den ich abgeschrieben wünschte.

– Nichts leichter als das. Der Fiskal Euer Gnaden, Herr Kovács, kann ihn jeden Augenblick herausnehmen.

– Ja, mein Freund: aber ich will gerade, daß er nichts davon erfährt, denn ich habe die Absicht, den abgeschriebenen Prozeß nach London einem berühmten Rechtsgelehrten zu schicken, damit er sein Gutachten darüber abgebe, und sehen Sie, ich möchte nicht, daß Kovács sich beleidigt fühle, wenn er erführe, daß ich neben seiner Meinung noch nach einer anderen verlange.

Zoltán log, als ob er das Lügen studiert hätte.

– Ah so, verstehe, sagte Bogozy. Ich verstehe schon. Es darf also niemand darum wissen. Seien Sie unbesorgt, gnädiger Herr, deshalb kriegen wir ihn doch. Ich werde auflauern, wann der Prozeß zu Maßlaczky kommt. Die Nacht über bleibe ich auf und während er schläft, setz' ich das Ganze herunter, hernach schreib ich's ins Reine.

Zoltán konnte die Aufregung, in der er sich befand, kaum verbergen. Wie jemand, der einen vorteilhaften Kauf abgeschlossen, beeilte er sich, Bogozy ein Angeld zu geben. Er hatte eben zehn Dukaten bei sich, diese drückte er Bogozy in die Hand.

– Nehmen Sie vorläufig das, wenn ich das Verlangte erhalte, bekommen Sie das Zehnfache.

Bogozy glaubte nach dem Gefühl Fünfkreuzerstücke in der Hand zu haben und erschrak, als das Gold ihm entgegenblinkte.

– Sind Sie von Sinnen? brummte er vor sich hin. Aus das kann ich nicht herausgeben. Sie haben sich vergriffen, mein Herr, und statt weißer gelbe erwischt.

– Schon gut so. Wenn der Prozeß abgeschrieben ist, erhalten Sie hundert Dukaten dafür.

Damit eilte er davon. Umsonst schrie ihm Bogozy nach, er möchte wenigstens neun davon behalten, ihm nicht alle zehn lassen, denn er gebe sie heute noch alle aus, er werde sie ihm ohnehin kleinweis abbetteln. Zoltán warf sich aufs Pferd und ritt davon, den armen Bogozy allein zurücklassend, der trotzdem seine Melonenkerne bis auf den letzten verspeiste.

Soweit ich zurückdenke, war es in dem Stück Weltteil, den wir bewohnen, nicht gewöhnlich, mit Gold zu zahlen, und wenn jemand einen Dukaten ausgab, that er es immer mit einer Art Schamröte, denn er wurde von allen Leuten groß angesehen und gewiß dachte jedermann bei sich: nun, der muß es dick haben! Einen armen Teufel fragte man sogar darüber aus, woher er ihn habe und er mußte sich purifizieren, daß er auf erlaubtem Wege in seinen Besitz gekommen. War es ein ordentlicher Mensch, so geriet er in den Verdacht, als sei all sein anderes Geld ihm schon ausgegangen, so daß er nun genötigt sei, seine Dukaten auszugeben. An vielen Orten wußte man nicht einmal recht, wieviel man darauf herauszugeben habe.

Frater Bogozy suchte so verstohlen als möglich die von Zoltán erhaltenen Dukaten an den Mann zu bringen; er versilberte sie bei Gottscheern Bekanntlich sind in den Pester Wirtshäusern mit Südfrüchten hausierende Gottscheer häufig anzutreffen, welche ihre Ware unter den Gästen ausspielen., wechselte sie bei bekannten Kellnern, ganz im geheimen; aber einmal wurde er doch dabei ertappt, und es verbreitete sich das Gerücht, Bogozy wechsele Dukaten um. Wen muß er dafür erschlagen haben?

Seine Kollegen, die in derselben Kanzlei mit ihm arbeiteten, erfuhren davon und steckten es Herrn Maßlaczky. Diesem fiel die Sache auf.

Bogozy war es nicht im geringsten anzusehen, daß er bei Kasse war; selbst das Loch am Ellbogen ließ er sich nicht flicken, obwohl sein Attila auch an andern Stellen schon abgerissen war.

Ejnye amice, rückte der Prinzipal ihm einmal auf den Leib, den Zeigefinger in das Loch am Rockärmel bohrend, als oberes jetzt zum erstenmal wahrnähme; ejnye amice, könnten Sie nicht endlich einmal dies Loch im Attila sich zunähen lassen?

– Wüßte nicht wovon? entgegnete, schnell mit der Antwort fertig, Bogozy, ohne vom Papier aufzublicken.

– Nun, von den vielen Dukaten, die Sie da und dort auffischen.

Bogozy blickte ärgerlich bei diesen Worten auf.

– Wer hat das schon wieder ausgeplaudert?

– Ja, ich habe einen kleinen Vogel, der mir alles zuträgt. Woher haben Sie die vielen Dukaten?

Bogozy dachte nach, welche Lüge er erfinden solle. Es wollte ihm nichts einfallen.

– Ich hab sie gestohlen! antwortete er endlich mit komischem Phlegma.

Bei diesen Worten warf Herr Maßlaczky die Nase in die Höhe.

– Mein lieber Herr und Freund, wie können Sie so etwas sagen? »Ich hab's gestohlen!« Ziemt sich ein solches Wort in dem Mund eines diplomierten Mannes? Wie könnte ich mir eine so gemeine Denkweise erlauben? Unlängst habe ich einige Dukaten auf meinem Tisch vergessen, die ich später nicht mehr dort fand, aber für alle Schätze der Welt würde ich nicht das Wort herausbringen, daß sie jemand »gestohlen«. In meiner Umgebung habe ich nur Leute von unbescholtenem Charakter und meine Augen wurden mir aus dem Kopf herausbrennen, wenn jemand aus ihnen lesen könnte, daß ich bei mir denke, er habe sie mir gestohlen. Die Augen würden mir aus dem Kopf brennen.

Bogozy verspürte große Lust, Herrn Maßlaczky das volle Tintenfaß ins Gesicht zu schütten, nur, um zu verhindern, daß ihm die Augen herausbrennen; dann aber überlegte er sich's, daß er es jetzt mit Maßlaczky nicht verderben dürfe, wenn er zu seinem Prozeß gelangen wolle, und erwiderte statt dessen mit trotziger Ruhe: denken Sie doch ja nicht, domine spectabilis, daß ich Ihnen Ihre Dukaten gestohlen habe. Ich habe sie, wenn Sie es wissen wollen, von dem jungen gnädigen Herrn Karpáthi unlängst zum Geschenk erhalten; belieben Sie sich bei ihm zu erkundigen, wenn Ihnen an der ganzen Sache soviel gelegen ist.

– Was für ein junger Herr Karpáthi? welcher Herr Karpáthi? forschte der Fiskal weiter.

– Nun, den alten invaliden Kavalier werde ich doch nicht einen jungen Herrn nennen.

– Also Zoltán? Was haben Sie mit Zoltán zu thun? Warum hat er Ihnen die Dukaten gegeben?

– Weil ich ihn darum gebeten habe, denn ich habe nichts zu essen gehabt. Er kennt mich aber noch von der großen Überschwemmung her und so hat er mir ein Paar Dukaten gegeben. Das ist ihm soviel, wie einem andern zwei Groschen.

– Lieber Freund, sagte Maßlaczky, sich in Positur werfend, ich liebe es überhaupt nicht, daß die um mich befindlichen Adjunkten oder Juraten in irgend einem Verkehr mit Leuten stehen, gegen die ich einen Prozeß zu führen habe. Ich kann nicht jedes Geheimnis vor meinen Juraten und Adjunkten verschließen, durch diesen Kanal kann vieles transpirieren, was andern nicht zu Ohren kommen darf. Jetzt arbeite ich gerade über dem Karpáthischen Prozeß und bin nicht wenig betroffen, zu hören, daß einer meiner Gehilfen gerade jetzt ein unmotiviertes Geschenk von einer Gegenpartei annimmt; während ich doch gewohnt bin, Ihren Händen auch meine größten Prozesse anzuvertrauen.

Welche Wonne wäre es für Bogozy gewesen, den allergrößten Prozeß, den er eben in Händen hatte, beim Ohr zu erwischen und so auseinander zu schütteln, daß jede Schrift in neunundneunzig Stücke auseinander geflogen wäre; aber bei dem Gedanken an die hundert Dukaten bezähmte er sich und schrieb in seinem Zorne so verschnörkelte Buchstaben, daß etwas dazu gehören wird, um sie zu lesen.

– Ich bin so nachlässig, polterte Herr Maßlaczky weiter, nichts zu verschließen, ich bin so vertrauensvoll gegen jedermann, ich werde mein Zutrauen noch einmal teuer bezahlen müssen!

Hierauf entfernte sich der Advokat sehr zornig in sein Zimmer, die Thüre hinter sich zuschlagend, und noch drinnen hörte man lange Zeit ihn zanken; wer aber durch die Wände hätte blicken können, wäre nicht wenig verwundert gewesen, zu sehen, welche lustige Gesichter der Advokat zu seinem zornigen Gebrumme schneidet, wie er lächelt, wie seine Lippen zucken, wie er mit den Augen zwinkert und nicht aufhört, sich die Hände zu reiben und mit welch unaussprechlichem Vergnügen er jedesmal auf den Prozeß Karpáthi blickt, so oft er an den Akten vorübergeht; jeden Augenblick erwartet man, er werde laut auflachen, so zuckt es ihm in den Augen, im Mund, im ganzen Gesicht.

Endlich kommt er vom vielen Händereiben zu sich, kann aber seine Freude so wenig bemeistern, daß er anfängt zu pfeifen, bis er es bemerkt und sich auf das Maul schlägt: – da draußen könnten sie es hören.

Der gestopfte Tschibuk giebt ihm seine Ruhe zurück. Diese Art Pfeifen ist ganz geeignet dazu, um einem menschlichen Gesichte jeden Ausdruck zu benehmen.

– Bogozy! rief er mit sanfter, freundlicher Stimme.

Der Träger dieses Namens läßt sich noch ein paarmal rufen und kommt dann erst herein.

– Nun, sind wir noch böse? fragt Maßlaczky mit familiärer Freundlichkeit den trotzigen Petschenegen, welcher es überflüssig findet, darauf eine Antwort zu geben.

– Nun, seien Sie nicht mehr böse, sprach Maßlaczky weiter. Sehen Sie, ich bin ein hitziger Mensch. Ich habe einen kurzen Hals und da steigt mir das Blut schnell in den Kopf. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Sie waren auch gar nicht damit gemeint. Ich kenne ja schon lange meinen lieben Freund, alle Welt weiß es: Ihre Treue, männliche Festigkeit, gewissenhafte Verschwiegenheit sind sprichwörtlich geworden. Das wird Ihnen niemand bestreiten.

Bogozy fand für gut, auch etwas zur Sache zu sprechen.

– Es hat mich nur verdrossen, daß Spectabilis mich vor diesen Gelbschnäbeln ausgescholten. Unter vier Augen laß ich nur alles von Ihnen sagen.

– Auch das will ich wieder gut machen. Sehen Sie, ich werde Ihnen eine glänzende Satisfaktion geben. Ich bin jetzt genötigt, auf einige Tage von Pest zu verreisen. Während dieser Zeit vertraue ich Ihnen meine ganze Kanzlei an. Sie sollen über alles die Aufsicht führen. Schlafen Sie hier in meinem Zimmer. In Ihren Händen lasse ich alle Schlüssel, die vom Archiv und von der Kasse für die Prozeßauslagen. Sie werden die Fratres auszahlen und alle vorkommenden Sporteln und Expensen. Geht Geld ein, so werden Sie es übernehmen und quittieren. Ich stelle Ihnen dazu eine Vollmacht aus. Ich hätte in einem Prozeß zu komparieren, Sie werden statt meiner erscheinen und die Levata aufnehmen. Über alles, was sonst vorkommt, werden Sie ein genaues Journal führen und die Arbeiten der Juraten strenge kontrollieren. – Nun, sind Sie jetzt mit mir zufrieden? Glauben Sie jetzt, daß ich Sie nicht kränken wollte, und daß ich volles Vertrauen zu Ihnen hege? He?

Bogozy dachte noch immer bei sich, daß es ihm das liebste wäre, dem Herrn Prinzipal ein paar Rippenstöße versetzen zu können, um völlig zufriedengestellt zu sein, und drehte nur den Hals hin und her, um sich für die ihm widerfahrene große Ehre zu bedanken.

– Reichen Sie mir also die Hand, sagte Herr Maßlaczky, Bogozys Rechte ergreifend, welcher sie drücken ließ, wie ein Stück Holz, und nachdem der Prinzipal sie losgelassen, zur Thüre hinausschob, wo er, im Gefühl seiner Überlegenheit, die flaumige Wange eines kleinen Juraten, den er im Verdacht hatte, die Geschichte mit den Dukaten ausgeschwatzt zu haben, mit einer empfindlichen Maulschelle beehrte.

In ein paar Stunden war Maßlaczky reisefertig und ließ sich vom alten Husaren das Felleisen und den Mantel nachtragen. In der Kanzlei gab er dem Personal zu wissen, daß es in seiner Abwesenheit Bogozy zu parieren habe, den er als seinen alter ego zurücklasse, was die Wirkung hatte, daß die Fratres, so wie der Prinzipal zur Thüre hinaus war, zu schreiben aufhörten, es Bogozy überlassend, mit dem fertig zu werden, was sie nicht mehr erledigten. Amice Bogozy fand es hierauf zur Aufrechterhaltung seiner Autorität für nötig, die jungen Herren einen nach dem andern zu Boden zu schlagen, den einen schmiß er unter den Tisch, den zweiten unter das Bett, einen dritten warf er zur Thüre hinaus. Mit einem Wort, er hielt die Ordnung tapfer aufrecht bis zur Mittagszeit. Nachmittags war es schon nicht mehr nötig, denn die Fratres hatten es für überflüssig gehalten, sich einzufinden.

Das hatte Bogozy sich nur gewünscht. Er blieb so ungestört allein in der Wohnung. Sein erstes Geschäft war, den Prozeß Karpáthi hervorzusuchen. Er nahm zwei Buch Papier, welches er in Ofen gekauft, damit es verschieden sei von dem, dessen man sich in der Kanzlei bediente. Das Papier legte er gerade vor sich hin, dadurch bekamen die Buchstaben eine schräge Lage nach links und wurden seiner gewöhnlichen Schrift sehr unähnlich. Wenn die Geschichte je herauskommen sollte, wird er seine Hand um so eher verleugnen können.

Herr Maßlaczky bleibt trotz alledem ein Mann, an dessen Ehrenhaftigkeit nicht das geringste auszusetzen ist. Kann er denn wissen, was in seinem Bureau vorgeht, während er abwesend ist? Ist er denn gehalten, im voraus zu wittern, daß, während er bona fide seinen Geschäften nachgeht, ein thörichter Mensch den ganzen Karpáthi-Prozeß kopieren wird, um demjenigen, der nicht einmal einen Blick sollte hineinwerfen dürfen, eine Abschrift davon zu liefern, und so einem unschuldigen, nichts böses ahnenden Jüngling, der von all den Schändlichkeiten, die der Prozeß behandelt, noch keine Ahnung hat, das Messer ins Herz zu stoßen? Ist er in dieser Sache nicht vorgegangen, wie ein rechtschaffener, besonnener Mann; hat er nicht öffentlich vor Zeugen, daß jedermann es hören konnte, den Leichtsinn seines Gehilfen gerügt, mit Zoltán Karpáthi eine Bekanntschaft angeknüpft zu haben; hat er sich nicht gegen die Möglichkeit verwahrt, daß jemand mit den Geheimnissen, die in seinem Aktenschrank vergraben sind, die Gegenpartei bekannt mache? Kann er dafür, wenn jemand sein Vertrauen schändlich mißbraucht; kann ein vernünftiger Mensch ihn für die Folgen verantwortlich machen, wenn gerade derjenige, dein er die Obhut über seine Dokumente anvertraut hat, die gefährlichsten dieser Urkunden in fremde Hände liefert? O nein. Herr Maßlaczky ist und bleibt der gewissenhafteste Mensch, der nicht entfernt ahnt, was bei ihm zu Hause vorgeht, während wichtige Geschäfte ihn fern halten, und der selbst den größten Lärm schlagen wird, wenn Zoltán Karpáthi den Inhalt der geheim gehaltenen Akten mitgeteilt erhält und dies offenkundig wird, in welchem Falle Maßlaczky unfehlbar der Welt die glänzendste Genugthuung verschaffen und Bogozy unbarmherzig davonjagen wird.

Darauf kann er im voraus gefaßt sein.

* * *

– Morgen Abend bin ich mit dem Prozeß fertig, flüsterte Bogozy eines Abends Zoltán ins Ohr, dein er auf der Gasse begegnet war.

Wenn Bogozy auch nur ein bißchen Psychologe gewesen wäre, hätte er die ungewöhnliche Blässe bewerten müssen, welche bei diesen Worten das Gesicht des Jünglings überzog.

– Ich werde Sie erwarten, sagte er, ihm die spröde Hand drückend.

Tags darauf rührte sich Zoltán den ganzen Nachmittag über nicht aus seinem Zimmer, nachdem er seiner Dienerschaft aufgetragen hatte, wenn ein so und so aussehender Herr nach ihm fragen würde, ihn hereinzuführen; für andere Besuche sei er nicht zu Hause.

– Wie langsam schlich ihm die Zeit dahin, bis es Abend wurde! Hundertmal sah er auf die Uhr und so oft draußen Schritte vernommen wurden, eilte er an die Thüre, um zu horchen. Das Warten kam ihm unsäglich schwer an.

Seine Nerven waren in solcher Aufregung, daß er bei dem geringsten Geräusche zusammenzuckte; er nahm Bücher hervor, um darin zu lesen, kam aber nicht über die ersten Zeilen hinaus; er wußte nicht einmal, was er gelesen hatte; jeder Pendelschlag brachte ihm aus dem Kontext.

Er nahm seine interessantesten Studienhefte hervor, die er zusammen mit Kovács studiert hatte; wie er darin blätterte, traten allmählich die intelligenten Züge seines lieben, jungen Freundes vor sein geistiges Auge, wie er ihn mit edlen Ratschlägen belehrt, wie er ihm sanft zugeredet: wenn Sie auf meine Worte etwas geben und auf die eines andern, der Sie noch mehr liebt, so lassen Sie jene fluchbeladenen Schriften, die Sie mit aller Gewalt kennen lernen wollen, unberührt, ungelesen, dort, wo sie sind; thun Sie es mir zuliebe und auch noch einem andern zuliebe, der Sie so sehr liebt.

Und dann tauchte die Erinnerung an diesen andern in ihm auf, wie er in den verschlossenen Zimmern des Karpáthfalver Kastells so düster, so traurig mit ihm umhergewandelt, Wie er ihn weinend in seine Arme geschlossen und ihn mit so rührenden Worten gebeten, nie und nimmer der Ursache seines Kummers, seiner Thränen weiter nachzuforschen, ihn zu verlassen und nie erfahren zu wollen, warum er von ihm scheiden mußte.

Bei diesem Gedanken blieb er ganz in sich verloren.

Ein lautes Klopfen an der Thüre weckte ihn plötzlich aus seinen Träumen. Als hätte ein ungerufenes Gespenst an die Pforte geklopft, sprang er von seinem Sitze auf. Und doch hatte er den Besuch erwartet.

– Wer da?

– Ihr gehorsamster Diener! Und Bogozy trat mit einem Bückling herein, um Entschuldigung bittend, daß er so spät störe.

Unter dem Arm hielt er den Prozeß.

Zoltán fühlte alles Blut zu Kopf steigen, er sah kaum, konnte kaum sprechen, kaum von seinem Stuhl sich erheben.

Bogozy legte den abgeschriebenen Prozeß auf den Tisch hin. Er hatte die Mühe nicht gescheut, auf dem Umschlag den dreigliedrigen Titel mit verschnörkelter Lapidarschrift zu malen.

Zoltán hatte die Empfindung, als läge der Prozeß nicht dort auf dem Tisch, sondern ihm auf der Brust, und als wäre jedes einzelne Blatt eine Centnerlast.

Er wollte danken, aber er brachte kein Wort über die Lippen; die Stimme versagte ihm bei der Danksagung für einen so verhängnisvollen Dienst.

Bogozy meinte, es würde ihm nicht schaden, sich ein wenig niederzusetzen, nachdem er so viele Treppen gestiegen, und fand eine angenehme Unterhaltung darin, die an den Wanden hängenden Bilder der Reihe nach zu begaffen.

Der Jüngling stierte nach dem Titel des Prozesses, als ob er einem Basilisken ins Auge blickte.

– Es ist alles abgeschrieben, bis auf den letzten Buchstaben, versicherte Bogozy, dem der seltsame Blick des Jünglings aufzufallen begann. Es ist nichts ausradiert, nicht ein Buchstabenfehler ist darin. Belieben Sie sich zu überzeugen.

Er schickte sich an, den Jüngling selbst von der Wahrheit seiner Behauptung zu überzeugen.

Zoltán winkte ihm zu, es sein zu lassen. Er möge die Papiere nicht anrühren und sitzen bleiben, wo er sitzt.

Dann zog er aus einer Schublade eine Rolle hervor, in der sich hundert Dukaten befanden. Er überreichte sie Bogozy, ohne ein Wort zu sprechen.

– Ei, so haben Sie doch nicht gescherzt, gnädiger Herr! Aber beim Himmel, das ist zu viel. Soviel pflegt man nicht zu geben. Wenn ich für die große Güte mich nur erkenntlich erweisen könnte; wenn Euer Gnaden befehlen, kopiere ich noch irgend einen Prozeß als Zugabe.

Der gute Bärenhäuter wußte nicht eine Silbe von dem, was er für Zoltán abgeschrieben; es war nicht seine Gewohnheit, sich um den Inhalt einer Schrift zu kümmern; er schrieb nur Buchstaben für Buchstaben nach, wie sie vor ihm standen, und wenn er damit fertig war, hätte man ihm einreden können, daß er sein eigenes Todesurteil geschrieben.

– Wenn mir Euer Gnaden wenigstens nicht lauter Dukaten gegeben hatten, Banknoten wären mir viel lieber gewesen, parlamentierte Bogozy noch eine Weile fort, als er jedoch sah, daß Zoltán keine Antwort gab, sondern immer nur auf die zusammengebundenen Papiere starrte, fing er an, sich zu empfehlen und retirierte durch die Thüre, ohne daß Zoltán bemerkt hätte, wann er fortging und wohin.

Die Scheu vor dem Unbekannten ist eines jener Kindergefühle, welche uns bis in das späteste Alter nicht verlassen.

Ein verschlossenes, verschüttetes Kellergewölbe, das noch nie jemand geöffnet sah – wie furchtsam schleichen wir an demselben vorüber: wer weiß, was darin Hausen mag? Ein ferner Klageton, wenn wir nachts durch einen dichten Wald, durch einen öden Moorgrund reisen – wie beschleunigen wir da unsere Schritte: wer weiß, was dort stöhnt?

Welche Unholde, welche Gespenster werden zum Vorschein kommen, wenn du die papierene Hülle dieser Gruft erbrichst? Fühlst du nicht im voraus den Modergeruch, indem du diese vielen raschelnden Leichentücher eines nach dem andern lüftest? Sehen deine Augen in diesen schwarzen Buchstaben nicht das krabbelnde, zuckende Gewürm, das auf dem Sterbegewand umherkriecht, nachdem es den Leib zernagt hat. Wirst du nicht zusammenfahren, wenn die Mitternachtsstunde schlägt und du gewahrst, wie links und rechts dir zur Seite bleiche Gestalten sitzen, die du mit tollkühner Hand heraufbeschworen aus ihren Grabtüchern, welche dich kennen und welche auch du kennst, und die traurig ihre Hand auf deine Schulter legen und dir ins Auge blicken; wenn vor dir dort auf dem Schreibtisch jene teuflische Spukgestalt hocken wird, mit grinsendem Gesicht und gespitzten Ohren und mit den langen Krallen von Zeile zu Zeile fahrend, damit du weiter liesest; wenn dir Kopf und Herz sausen werden, als wären sie angefüllt mit allen Schrecknissen der Vergangenheit; wenn es sich auf deine Brust wie der Alpdruck eines schweren Traumes legen wird, und der noch schwerere Druck des Wissens, von dem kein Erwachen ist? Scheußliche verdammte Fratzenbilder werden dich umschwirren, von denen noch nie eine Ahnung dich beschlichen, deren Stich tödlich, deren Atem Pest, deren Anblick ekelerregend, und zwischen ihnen wirst du die Bilder derjenigen erblicken, die dir die teuersten sind, angstvoll, zornig und doch vergeblich bemüht, sich zu flüchten vor der Berührung mit diesen widerwärtigen Unholden, sich zu reinigen von ihrem besudelnden Händedruck und den giftigen, zähen Geifer zu entfernen, den sie ihnen ins Gesicht speien. Und du selbst wirst mitten unter ihnen sitzen als das einzige regungslose, lebendige Wesen unter so vielen lebendigen Gespenstern, auf das die Verfolger mit teuflischem Grinsen und die Verfolgten mit Höllenqualen herabblicken werden!

Sei es darum! Was auch diese dumpfe Gruft umschließen mag, ich öffne sie. Mögen sie erscheinen, die darin hausen!

Zoltán band den Aktenstoß auf.

Er zog sich damit in ein Gemach zurück, dessen Fenster auf den Garten gingen, und sperrte auch noch die Thüren der beiden anstoßenden Zimmer hinter sich ab; hier konnte ihn niemand belästigen, kein Geräusch ihn stören.

Bevor er die Papiere entfaltete, kamen ihm die Worte seines wohlmeinenden Freundes ins Gedächtnis: wenn du diesen Prozeß gelesen haben wirst, ist es um deine Jugend geschehen! ...

Sehen wir denn, was die Macht besitzt, uns so schnell altern zu machen.

Die erste Schrift war eine Vorladung gegen Zoltán Karpáthi.

Das Datum zeigte, daß Zoltán, als die Vorladung erlassen wurde, kaum ein Jahr alt war.

Was konnte er als einjähriges Kind verbrochen haben?

Als ob da drinnen ein zürnender Geist polterte, so heftig schlug sein Herz und dann wieder schien es still zu stehen wie der Perpendikel einer abgelaufenen Uhr.

Also deshalb war er vorgeladen, weil er kein Recht hatte, geboren zu werden, denn sein Vater war damals schon ein alter Mann.

Sein Vater also war ein alter Mann und deshalb durfte er nicht mehr geboren werden?

Er fand sich noch nicht in dies Rätsel. Zoltán zählte wirklich schon sechzehn Jahre, und dieser Gedanke ist ihm noch ein Rätsel. Ist man je zu alt, um lieben zu dürfen?

Lies nur weiter.

Jede Zeile ist für ihn eine Woche, ein Monat, ein Jahr.

Es folgten die Beweisstücke. O welche abscheuliche Dinge standen da drin. Das Gesicht des Jünglings glühte, er zitterte am ganzen Körper, als er weiter las, diese niederträchtigen, undenkbaren Schändlichkeiten. Das verworfenste Gemüt konnte keine solchen Gedanken aus sich selbst schöpfen, wenn sie nicht hineingelegt werden.

Heißer, brennender Schweiß rann ihm über Stirne und Wangen. Er wollte diese schrecklichen, diese mörderischen Schriften von sich schleudern, er wollte aufspringen und davon rennen, weit, weit! Er wollte erwachen aus diesem gräßlichen Traume; aber es war zu spät, er konnte die einmal herausbeschworenen Geister nicht mehr zurückbannen in ihre Särge, er mußte bis auf den Grund sehen, wieviel ihrer noch der geöffneten Gruft entsteigen werden, er mußte alles lesen, bis zum letzten Buchstaben, denn das war kein Traum, sondern schwere, schwere, bleischwere Wirklichkeit.

Jene angebeteten Gesichtszüge, deren Erinnerung aus dem dunkeln Karpáthfalver Zimmer ihn aus seinen weiten Wanderungen begleitet hatten, wie schienen sie ihm entstellt, verunstaltet. Das schrecklichste Zerrbild war ihm das von den unflätigen Aussagen der Zechbrüder besudelte väterliche Antlitz. Wie häßlich sind diese mit Kot beworfenen Züge. Und jene bleiche Frau, an deren sanftes, wehmütiges mütterliches Antlitz zu denken ihm so wohl gethan, mit der er, obwohl er sie lebend nie gesehen, doch so viel in seinen Träumen gesprochen – wie schrecklich war es ihm jetzt an sie zu denken in dieser Erniedrigung; so nackt sind die schrecklichsten Beschuldigungen gegen sie ausgesprochen, so zerrissen, zerfetzt ist das Kleinod ihres guten Namens! Wem je geträumt, er sehe seine Mutter auf der Straße betteln, wie schnürte es ihm nicht im Traume das Herz zusammen: teure Mutter, wie kamst du in solches Elend? Und doch, was ist das dagegen? Eine solche Anklage aussprechen zu hören gegen diese reine, engelsmilde Frau, die noch aus dem Grabe ihr Kind besuchen kommt; – eine Auflage, wie er sie vordem nie erwähnen gehört, bisher nicht gekannt, von der er keinen Begriff hatte!

Das Leben stockte in seinem Herzen. Diese gespenstigen Gestalten verschlagen ihm den Atem. Vergeblich sucht er sich ihrer zu erwehren, sie sitzen ihm auf der Brust, grinsen ihn mit teuflischem Lachen an, zwingen ihn, sich mit ihnen zu unterreden, sie kennen zu lernen; halten ihm ihre besudelten Gesichter hin, damit er sie küsse; verfolgen ihn mit der Umarmung ihrer aussätzigen Arme, hauchen ihm ihren Pestodem ins Angesicht. O gräßlich!

Wie oft warf er sich hin und schloß seine Augen, Er stöhnte wie einer, den eine schwere tödliche Krankheit martert, und mitten unter diesen Qualen entschlief er, wie er dort auf dem Diwan hingestreckt lag.

Und wie er eingeschlafen war, siehe, da erblickte er von neuem das Karpáthfalver Kastell, als ob er dort wieder in den verschlossenen Zimmern umherwandelte, in die kein Tageslicht dringt; die beiden Porträts schienen ihn anzulächeln wie damals, mit ihren unschuldigen, freundlichen Gesichtern; es war, als träten sie aus ihren Rahmen hervor als lebende, sprechende Wesen, denen sich noch eine dritte Gestalt beigesellte, eine ebenso freundliche, aber gewaltigere, kräftigere, männliche Gestalt, alle drei redeten ihn an mit freundlicher Rede, er behält die Worte nicht im Gedächtnis, er weiß nur, daß sie sehr tröstlich; alle drei Gestalten erhalten ihr Licht von sich selber, denn kein Sonnenstrahl dringt in das Gemach.

Sie sagen ihm soviel Schönes und Liebes. Er kann sich nicht einzeln daran erinnern, aber alle ihre Worte sind so gütig, so teilnehmend, daß der Sturm seiner Seele sich gänzlich beschwichtigt, daß die krampfhaft zusammengeschnürte Brust sich erweitert und den Augen ein Thränenstrom entquillt, der über seine Wangen herabrieselt.

Zoltán erwachte darüber, daß er heftig geweint. Das Kissen, auf das er sein Gesicht geworfen, war ganz durchnäßt.

Er fühlte sein Herz erleichtert und gestärkt. Die Uhr schlug eben eins. Also Mitternacht, die Geisterstunde, ist vorüber. Er hat sie verschlafen. Weiß Gott, auch das wirkte beruhigend auf ihn ein.

Viele schauerliche, beängstigende Gedanken verlieren ihr starkes Gift nach dem ersten Schlaf. Zoltán fühlte, daß er die vor ihm auf dem Tisch liegenden Papiere nicht mehr mit solchem Entsetzen betrachtete, wie noch vor wenigen Stunden.

Das waren erst die Anklagen der einen Partei, die Verteidigung der andern ist noch zurück. Die Angeklagten liegen zwar schon lange im Grabe, sie können sich nicht verteidigen; dort liegen sie nebeneinander alle beide. In dem Traume, der ihm in der Erinnerung aufdämmert, waren ja der leuchtenden Gestalten drei. Die eine gewaltige Erzengelgestalt ist noch am Leben, sie wird schon antworten für alle dreie. O gewiß, er wird von den bleichen Zügen des Vaters, der Mutter den Schmutz, den Fluch hinwegwaschen, den fremde, verabscheuungswürdige Hände auf sie gehäuft.

Dieser Gedanke gewährte Zoltán eine solche Beruhigung, daß er, als er die erste Schutzschrift Szentirmays in die Hand nahm, bevor er sie zu lesen begann, aufstand und in der tiefen nächtlichen Stille einen Gang durch alle Zimmer machte; sein Bedienter, sein Büchsenspanner lagen in festem Schlaf auf ihren Lagerstätten, Zoltán schritt vorüber, ohne jemand aufzuwecken, suchte aus dem Kredenzkasten ein Glas hervor, machte sich Brausewasser, trank es aus und kehrte dann ganz ernüchtert in sein Gartenzimmer zurück.

Er trat jetzt so stolz, so trotzig zu den offen daliegenden Schriften, als wollte er sagen: wenn ihr noch unbekannte Gespenster in eurem Schöße bergt, gebt sie heraus, ich will sie sehen.

Wohl waren ihrer noch vorhanden.

Es folgten die Schutzschriften.

Aus jeder Zeile der ernsten, würdigen Verteidigung konnte man den Schreiber derselben erkennen; es war ihm, als sähe er ihn vor sich, wie er leibt und lebt; mit überirdischer Ruhe auf dem Gesicht, mit blitzendem Zorn im Auge.

O wie wohl es ihm that, diese Zeilen zu lesen! Auf die nichtswürdigen, seelenmörderischen Anklagen diese mutige, verächtliche Abwehr; die Zeugnisse der wackern alten Leute, die einfache, ungekünstelte Aussage des ergrauten Dieners, des alten Güterdirektors, welche auf die geschmähten Häupter den himmlischen Schmelz geretteter Ehre träufelten.

Szentirmays Schutzschriften setzten die erstarrte Seele des Jünglings in Flammen. Mit solcher Kraft der Leidenschaft hatte er den Gegnern zu antworten gewußt, als hätte er die Antwort aus der erbitterten Brust des Sohnes herausgelesen. Und wie er es verstanden hatte, die Ankläger vom Kopf bis zur Zehe zu schildern, sie in ihrer wahren, abscheuerregenden Gestalt hinzustellen; wie er sie geißelte, niederschmetterte in den Staub und ihnen schonungslos ihre Niederträchtigkeiten ins Gesicht warf! O wie that es wohl, das zu lesen!

Und wenn er von seiner Mutter sprach, mit welcher Ehrerbietung, welch einer Pietät gedachte er ihrer. Über alle Pfützen, welche die Verleumdung ihrem Andenken bereitet, hob er sie in makelloser Reinheit hinweg und bei seiner Beschreibung, wie sie gelebt, gelitten, gestorben, hätte auch das Auge des verhärtetsten Richters nicht trocken bleiben können. O welche Wohlthat war es für ihn, das zu lesen und darüber sich auszuweinen.

Jeder Gedanke der Schutzschrift war durchweht von einer tiefen, glühenden Liebe, aber von der reinen, selbstlosen, keinen Lohn heischenden Liebe eines Schutzengels.

Wie mußte Zoltán sich von Dankbarkeit erfüllt fühlen gegen Rudolph für soviel Liebe. Ihm selber entging es nicht, daß diese Verteidigung kein bloßes juridisches Aktenstück war, das sich allein auf den toten Buchstaben beruft; sie ist ein lebendiges Wort, das die Herzen der Menschen bewegt und zu dem Ausspruch nötigt: der kommt nicht mit Zeugen, Urkunden, Kniffen und Winkelzügen – aber er hat doch recht.

Und so geschah es auch.

Das erste Urteil durchschnitt den Faden des Prozesses, indem das Gericht die als Belastungszeuge auftretende Mayer, – Zoltán hatte bis zur Stunde dieselbe nicht einmal dem Namen nach erwähnen gehört und erfuhr erst jetzt aus dem haarsträubenden Prozeß, daß sie seine Großmutter sei – die schändliche Seelenverkäuferin, zur eidlichen Aussage gegen die Unschuld ihrer Tochter nicht zuließ.

So giebt es doch noch eine Gerechtigkeit auf Erden.

Zoltán fühlte sich so erschöpft durch die ungewohnte Gemütsaufregung, daß er das Weiterlesen in den Prozeßakten auf eine Weile unterbrechen und seinen eigenen Gedanken Audienz geben mußte.

Wieviel Liebe leuchtet aus Rudolphs Verteidigungsschrift hervor. Konnte dem Andenken seiner verstorbenen Mutter ein größerer Sieg zu teil werden, als in einem so hochherzigen Mann einen so begeisterten Verteidiger zu finden? Kann die Tugend einer Frau glänzender gerechtfertigt werden, als indem der tugendhafteste Mann seine Verehrung für sie ausspricht?

Wie aber, wenn dennoch die Böswilligkeit imstande wäre, diese Verehrung falsch auszulegen, wenn sich ein Teufel träfe, der, dem Schutzengel das Schwert entwindend, ihm zuriefe: »Man sieht, du liebst sie, du selber hast mit ihr gesündigt!«

Ach, wer könnte auf solch' einen Gedanken verfallen? Wer könnte so verworfen sein? Es ist nur ein Hirngespinst. Schlag es dir aus dem Sinn! Vergiß es, als wäre es nie dagewesen.

Um sich frei zu machen von diesem gespenstigen Gedanken, nahm er die Lektüre des Prozesses wieder auf, dort, wo er des richterlichen Urteils wegen abbrach, und wieder von neuem begonnen wurde; – und siehe! dort, gleich auf dem ersten Blatte tritt ihm jener Gedanke entgegen, jene Ahnung, die er aus seinem Herzen verscheuchen wollte; es steht dort deutlich mit leserlicher Schrift geschrieben, mit klaren, trockenen Worten ausgesprochen, mit dem Finger darauf hingewiesen: »Du selbst warst der Mitschuldige deines Schützlings! Du selbst bist der ungesetzliche Vater deines Pflegesohnes!«

Ach, das also ist der Fluch, der ihn losgerissen von Rudolph! Hier liegt der Grund, warum er Rudolphs Haus nicht mehr betreten darf, warum er Rudolphs Familie für immer meiden muß. Ja, für immer!

Er verglich das Zustellungsdatum des neuen Vorladungsschreibens mit dem Datum des Tages, an welchem er mit Rudolph die Zusammenkunft im Karpáthfalver Kastell gehabt. Die Zeit stimmte damit überein.

Kein Zweifel mehr. Hier liegt der Knoten, der auf seine Lösung harrt.

Er las keinen Buchstaben weiter in dem Prozeß. Ihn verlangte nicht, zu erfahren, womit die Ankläger Rudolphs ihre Anklage begründen, wie er sich dagegen verteidigt. Vor ihm stand er rein da, wie ein Heiliger.

Wer weitere Gang des Prozesses hat kein Interesse mehr für ihn: ob die Wagschale nach rechts oder links sich neigt, wer der verlierende, wer der gewinnende Teil sein mag.

Er dachte nur daran, welche unausfüllbare Kluft zwischen ihm und der ganzen Szentirmayschen Familie daraus entstünde, wenn ein solcher Skandal, mag es nun Wahrheit oder Lüge sein, in die Öffentlichkeit gelangte; welche unheilbare Wunden dies den Herzen jener guten, edeln Menschen schlagen würde, welche dafür büßen, daß sie ihn geliebt.

Und wenn er an jenes teure Kind dachte, dessen Bild er nun zweifach im Herzen trägt, das alte und das neue: Wie sehen beide so traurig!

Noch wußte er nicht, was er thun werde, soviel aber fühlte er, daß er selbst von allem die Ursache und daß jetzt eine heilige, große Pflicht ihm obliege: das alles wieder gut zu machen.

Eine dunkle Idee dämmerte in seinem Herzen auf, aber er wußte sich noch keine Rechenschaft von ihr zu geben.

Er stand auf, kleidete sich um, band den Prozeß zusammen und verschloß ihn in seinem Schranke.

Die Morgendämmerung begann sich eben zu zeigen hinter den braunen Feuermauern der gegenüberliegenden Häuser; die fernen Hausdächer und Schornsteine erglänzten von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, Zoltán trieb es vom Hause weg.

Auf das Geräusch seiner raschen Tritte erwachte die Dienerschaft und als er, völlig angezogen, zur Thüre heraustrat, fragte ihn sein Reitknecht, ob er ihm nicht sein Reitpferd satteln solle.

– Nicht nötig, sagte Zoltán, ich will zu Fuß einen Spaziergang machen.

– Das Reiten ist aber gesünder, bemerkte der Reitknecht in gewohnter Zutraulichkeit.

– Ich will es mir abgewöhnen, warf Zoltán hin, und dann, als ob er noch an etwas dachte, wandte er sich nach dem alten treuen Kammerdiener um und sagte, mit einem eigenen Blicke ihn ansehend und in einem Tone, der sich nicht wiedergeben läßt: armer Junge!

Damit entfernte er sich vom Hause, die Diener sahen einander an; eher hätten sie zu ihrem Herrn sagen können: »Armer Junge!« – so verschwollen war sein Gesicht.

Auf die Gasse gelangt, fing er an, durch die längsten Straßen auf und nieder zu gehen. Er durchschritt die mit Tagesanbruch sich belebende Stadt von einem Ende zum andern. Hier werden Fabriken, dort Schulen gebaut werden, dachte er bei sich. Das alte Pest war damals überall schon im Wiederaufbau begriffen. Es entstanden ganz neue Gassen und auch die alten verschönerten sich. Wieviel konnte da ein Mensch thun! Wieviel Segen konnte ein reicher Mann ausströmen über dies Land, mit seinem guten Beispiel, seiner Begeisterung! Aber was nützt es, wenn der eine den Willen und der andere die Mittel hat und beides nicht in einer Person zusammentreffen will.

Er hatte schon die letzten Häuser hinter sich gelassen, draußen dehnten sich unbenutzte, sandige, morastige Gründe um die Stadt aus. Wieviel wäre hier noch ins Leben zu rufen von solchen, von denen ein einziges Wort mehr vermag, als die Bemühungen von Hunderttausenden, welch edler Gedanke wäre es, in Jahrzehnten nachzuholen, was vergangene Jahrhunderte versäumt haben.

Er schlenderte immer weiter und weiter auf der staubigen, holprigen, ungebahnten Straße, endlich bemerkte er, daß er sich bereits sehr weit von der Stadt entfernt hatte.

Er wandte sich um, um den Rückweg anzutreten.

Plötzlich lagen beide Städte vor ihm, deren aus dem leichten Morgennebel emporragende Paläste von dem zauberischen Glanze der aufgehenden Sonne übergossen dastanden.

Um wie vieles schöner und größer könnten sie noch sein!

Wie vieler Arbeit, Opfer und Vaterlandsliebe bedarf es dazu noch!

Bei diesem Gedanken entrang sich eine Thräne den Augen Zoltáns.

– An all dem werde ich nicht mehr teilnehmen können!

Da war in ihm schon zum Entschluß gereift, was er thun muß und auch thun wird.


 << zurück weiter >>