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Das »Schwein«

»Die Entdeckung, daß grüne Blätter zur Nahrung dienen konnten, ist der erste Grund zum Erscheinen der Huftiere; von Grünfutter zu leben und sich doch trotz damit verbundener Schwere Aufmerksamkeit für die Umgebung und Fähigkeit zu schnellem Lauf zu bewahren, sind die Fähigkeiten, die Insektenfresser von ursprünglicher Form sich zu Huftieren haben entwickeln lassen«, sagt Winge.

Unter dem Begriff Huftiere faßt man zusammen, was die Zoologen früher in Wiederkäuer, »Dickhäuter«, Pferde schieden. Sie haben alle gemeinsamen Ursprung. Der Stammbaum teilt sich indessen früh in zwei große Richtungen, die von den Gemüsefressern, die sich die Neigung bewahren, mit allen Zehen aufzutreten, Klippschliefer und Elefant, oder die die Mittelzehe vorziehen, wobei sie sich drei oder zwei andere bewahrt haben, Tapir, Nashorn, und die, bei denen sie ganz verschwunden sind, wie das Pferd; auf der anderen Seite die, welche dahin tendieren, auf zwei Mittelzehen zu ruhen, Klauentiere, während der Rest mehr oder minder rudimentär ist; hierzu gehören Flußpferde und Schweine nebst allen Wiederkäuern, Kamel, Giraffe, Hirsche und Rinder.

Viele ausgestorbene Formen bilden Übergänge, die sich nicht bis zur Gegenwart erhalten haben, die Natur war nicht immer gleich erfolgreich mit den Huftieren; die ungeheuer vielen Formen sprechen von einer reichen Auswahl, aber auch von einer gewissen Verlegenheit, die Natur konnte sich nicht entschließen; aber gerade diese Unendlichkeit von Launen und Versuchen zeigt die ganze Unerschöpflichkeit der Entwicklung.

Hier soll nun die Wissenschaft nicht herabgesetzt werden, sie hat ihre Papiere in Ordnung; der Formenreichtum der Natur verlockt dazu, sie nachzukonstruieren, eine Grundform aufzustellen und damit zu arbeiten: Verwandlungen und Verwandlungen, aber mit einem Sinn darin, ein und dasselbe Bestreben überall, aber wechselnde Verhältnisse und Umbildung demgemäß; als Grundform drängt sich von selbst das Schwein auf, wenn man in der Erinnerung mit den Huftieren arbeitet.

Es ist ein Urtyp, der Prototyp, aber vom volkstümlichen Gefühl auch auf andere Tiere von rundlicher, gewichtiger, soundso großer Form übertragen, das Stachelschwein zum Beispiel, ein recht kleines Schwein, aber sehr schweineartig. Da ist das Flußschwein, ein großer Nager, so groß wie eine Sau, hier ist es nicht der Rüssel, sondern die fette Form, die den Namen gegeben hat. Dasselbe gilt von Meerschwein, das sogar der Name zweier weitverschiedener Tiere ist, der Cavia, eines kleinen Nagers, und des Tümmlers, eines im Meere lebenden verwandelten Raubtiers. Da ist das Erdferkel, ein höchst merkwürdiges Tier, das zu den Zahnlückern gerechnet worden ist, ein Ameisenfresser und Gräber wie sie, das jetzt aber zu den Huftieren gezählt wird, eine primitive, sonderbare Form; das schweinsartige Geschöpf teilt sie mit vielen Huftieren auf einer frühen Stufe.

Ist die »Ratte«, eine Form, welche die Insektenfresser, Nager und Raubtiere suchen und welche Durchgangsstufe wird, so streben die Huftiere zu Anfang ihrer Bahn zum Schwein empor und verlassen die Stufe, wenn sie sie weit genug geführt hat. Die ursprünglichsten Huftiere waren kleine Allesfresser von Insektenfresserabstammung, am ehesten vielleicht vom frühen Raubtiertyp; das Rattenstadium haben sie passiert und haben sich auf die Pflanzendiät verlegt, ohne doch Nager zu werden.

Die kleinen, werdenden Huftiere fraßen sich bald zum Schwein empor, waren übergangsweise alle dralle, wohlgenährte Tiere von einer einfachen, vierfüßigen, an beiden Enden zugespitzten Form, ungefähr wie das von Menschenhand geformte »Sparschwein«, aber an Größe wohl wie ein Kaninchen oder darüber. Sie waren kleine Schlemmer, nicht in der Fleischdiät, die mager und wild erhält, sondern in der nährenden Pflanzenkost, die zu Dickigkeit und Harmlosigkeit bestimmt; sie nahmen von dem jungen neuen Pflanzenwuchs, der sich in früher Tertiärzeit auf Erden zeigte, Laubbäume, Gräser und saftige Wasserpflanzen, und die Zähne, die Gestalt wurden denn auch ebenso verschieden, wie diese Grünfutterarten verschieden sind. Die Erde bildete sich um zu einem herrlichen Garten mit schönen jungen Weiden und lebhaften Sümpfen, in denen sie sich ergehen und kauen konnten, hier bildeten sich die Huftiere zu friedlichen Vegetariern aus, übten sich im Versteckspiel und pflegten die Flucht zu ergreifen, wenn der Streit mit anderen Tieren und Ungemach auf diese Weise vermieden werden konnten.

 

Von den früheren Huftieren gibt die noch lebende ursprüngliche Form, der Klippdachs, Hyrax, eine Vorstellung. Er lebt in Afrika; ein Exemplar ist im Zoologischen Garten in Kopenhagen zu sehen gewesen. Wie der Name andeutet, ist er von Dachsgröße, wenn auch knapp, gleicht aber nicht einem Dachs, eher einem Nager oder einem Schwein, ist ein Durchschnittstier, unauffällig, niemand kann dem murmeltierartigen Geschöpf ansehen, daß es der nächste Verwandte des Nashorns ist. Er hat Temperament, bewegt sich abgerissen, wenn man ihm nahekommt, und scheint zornig, wenn auch harmlos; alle Huftiere gleichen ihm darin etwas, sie lassen sich reizen; selbst dem Pferd und der frommen Kuh soll man nicht immer trauen, sie schlagen aus.

Die Füße des Klippdachses sind etwas für sich, sie sind zu einer Spezialität entwickelt; sie haben die meisten der Zehen bewahrt, aber sehr viel Huf hat sich nicht gebildet; im Gegenteil, die Füße sind unten weich und gefurcht, er kann sich mit ihnen festsaugen, das kleine kurzbeinige Tier läuft über senkrechte Felswände fast wie ein Gekko. Die Füße sind eine private Erwerbung, im übrigen ist der Klippdachs ein Urhuftier, noch nicht ausgeprägt, halb im Zweifel, ob er nicht ein Nager hätte sein sollen, und mit etwas Sturzhaftem im Temperament, das ihn gefährlich hätte machen können wie das Nashorn, wenn er größer geworden wäre.

Warum ist er nun auf einer frühen Stufe zwischen Insektenfresser und Huftier stehengeblieben, während alle anderen Formen, die ähnlich begannen, sich zu mächtigen, in die Augen fallenden Tieren aufschwangen? Ja, Saugfüße, Aufenthalt und Gewohnheiten sind hier wohl Grund genug, man kann sich nicht groß und schwer wachsen, wenn man dabei bleibt, sich an senkrechte Felswände zu kleben; eine Fähigkeit dieser Art muß die Individuen innerhalb einer passenden Gewichtsgrenze halten.

 

Von einer ursprünglichen Form ausgegangen sind auch die Elefanten, sie haben sich die fünf Zehen der Insektenfresser bewahrt, wenn auch in einem Klumpfuß gesammelt; in anderer Beziehung haben sie sich abenteuerlicher als irgendein anderes Geschöpf modifiziert, am auffallendsten ist die Umbildung von Nase und Oberlippe zu einem fünften Gliede, wohl ohne Seitenstück in der Natur; Desman und Tapir befinden sich nur auf dem Wege dahin.

Die Gewohnheiten der Elefanten haben sie also nicht gehindert, groß zu werden! Hier hat Größe einigermaßen die Grenze erreicht, die ein Landtier erreichen kann, wenn es seine Beweglichkeit behalten will. Der Elefant kann nicht galoppieren, das Gewicht bindet ihn an die Erde; hat er Eile, so stößt er seinen Körper in einer Art schnellen Schreitens vorwärts, ungefähr wie alte dicke Frauen, die sich auf den Absätzen vorwärtsschrauben, wenn sie »laufen« müssen. Und doch haben wenige Tiere eine Grazie wie der Elefant, er benutzt in seiner Gangart die Schwere, schwingt wie in Angeln, das Gewicht, das man ihm ansieht, gibt jeder Bewegung der Glieder eine eigentümliche flüssige und sichere Kurve, wie Sandsäcke im Fluge; schwere, geschmierte Maschinerie: die Stempelstangen an großen Dampfmaschinen mit viel Energie im Tempo können denselben Eindruck von Tausendpfündigkeit und gleitender Leichtigkeit erwecken.

Man spricht von Gravität, Schwere, der edlen Langsamkeit, die allen großen Wesen eigen ist, welche die Schwere in ihren Rhythmus aufnehmen: der Strauß hat etwas davon, korpulente Menschen bis zu einem gewissen Grade; die Kurve des Wals, wenn er den Meeresspiegel durchbricht, um zu atmen, und wieder hinab geht, hat eine fast himmelskörperhafte Gravität.

Der Elefant hat den Charme aller Dicken, von hinten gleicht er einem alten Giganten in Hosen, aber das Gewicht ist bei ihm Natur, nicht Embonpoint. Er ist reine Form, ein Turm von Harmonie, er ragt mit der Flucht des Berges empor und erreicht die Erde wieder mit dem Rüssel, er steht auf Beinsäulen und schließt sich oben mit einer Doppelkuppel, dem geklüfteten Scheitel, ab; und seine Farbe zeugt von Größe, wie der Schiefer der Berge und der Lehm, aus dem alle Form entsteht. Er hat ein majestätisches Gepräge von Alter, den Adel, den Jahre verleihen, auch bei Menschen, faltige Haut und wenig Kopfhaar, einen gesäuberten Scheitel, gekrönt von dem bloßen Schädel, den der Greis erlangt, wenn er betagt und ehrwürdig ist.

Aber das ist ja wohl eine der Illusionen der Form, der Elefant ist weder »alt« noch »jung«. Mit der Weisheit, die man seinem weisen Äußeren hat beilegen wollen, ist es wohl auch so lala. Daß der große, gewölbte Schädel Hirn enthalten sollte, wie man aus der Form schließt, ist ja nur Bluff, er ist ein aus statischen Gründen ingenieurmäßig aufgebautes Knochengewebe, um das Gewicht des Rüssels und des Kopfes zu tragen, wie der Turm einer Hängebrücke, dahinter liegt das kleine, eingekapselte Gehirn.

An relativer Kapazität soll es hoch, dicht bei dem des Menschen rangieren, aber es ist doch wohl eher als eine komplizierte Zentrale aufzufassen, die einer komplizierten, hoch differenzierten Organisation, einem großen Umfang des reflektorischen Apparats entspricht; freies Bewußtsein hingegen, die Fähigkeit, eine Folgerung zu ziehen, oder Überlegung, Vorstellungen von einem Ursachenzusammenhang, Kausalität hat der Elefant nicht, wenn auch seine Fähigkeit, Dressur anzunehmen, erstaunlich aussehen kann. Als Vernunftwesen besteht der Elefant in Wirklichkeit nicht die einfachsten Prüfungen.

Man übertreibt gewöhnlich scheinbare Vernunfthandlungen bei Tieren und ist geneigt, die hochentwickelte Fähigkeit zu unterschätzen, die das Tier, auch zerebral betrachtet, in seiner Lebensfähigkeit selbst besitzt. Ein sehr bedeutendes Maß von Urteil, das sich in der Stellung des Tieres in der Natur äußert, braucht gar nicht in unserer Bedeutung des Wortes »bewußt« zu sein. Selbst beim denkenden Menschen ist ja der rein organische Teil des Bewußtseins, als Zentrale betrachtet – die Reflexe, die Selbstverwaltung des Organismus – weitaus der mächtigste. Um ein geologisches Bild zu wählen: das menschliche Bewußtsein entspricht wohl einigermaßen der Alluvialzeit, einem reinen Häutchen im Verhältnis zu der dicken, geologischen Schicht, welche, die ganze Vorgeschichte der Erde, darunter liegt; das menschliche Unterbewußtsein enthält eine Instinktwelt in vielen Schichten, alle Strata der Entwicklung. Diesen blinden Teil der Seele, wohl an 99 % von ihr, hat der Mensch mit den Tieren gemein.

Selbst der elementarste Ausschlag von Begabung bei den Tieren, ihre Fähigkeit, sich zu helfen, ist denn auch in Wirklichkeit eine hohe Entwicklung, der wir gegenüberstehen; sie mit einem menschlichen Niveau zu konfundieren, ist menschlich. Rücksicht dürfte hier darauf zu nehmen sein, daß Menschen sich doch, innerhalb der Art, auf verschiedenen Entwicklungsstufen befinden. Wie oft hört man doch einen Herrn versichern, sein Hund sei »ebenso klug wie ein Mensch« – mit einem Blick auf den Mann muß man ihm recht geben.

Der Elefant ist schlau wie so viele Tiere, es ist eine Kunst, seinem Dasein in dem Maße gewachsen zu sein, wie er es ist; aber die Literatur, alle Beobachter mit einer Erziehung sind sich darüber einig, daß er, in natürlichem Sinne, so einfältig ist, daß man Türen mit ihm einrennen kann, daß er keineswegs überlegen ist, daß in seinem Kopfe nichts vorgeht. Er ist nicht einmal ein Held, im Gegenteil, er ist furchtsam, ohne alle Scham und ganz außer jedem Verhältnis zu seiner Größe und Macht, ein Phänomen, dem etwas entspricht, das in der Welt der Menschen nicht unbekannt ist: korpulente Frauen, die beim Anblick einer Maus wie eine Lokomotive kreischen! Gezähmte Elefanten schreien wie Frauenzimmer, wenn sie eine Brücke überschreiten sollen, werden von Verwirrung ergriffen, suchen Trost, neigen ihr Haupt einem Führer zu! So groß der Elefant ist, hat er sich doch nicht von Panik frei gemacht, von der kopflosen Neigung zum stampede, wie der Amerikaner sagt, ein merkwürdiges Wort, das sowohl Substantiv wie Verbum ist und aus der Welt der Pferde und des Viehs stammt, das kopflose Rennen in der Herde und Überalleshinwegtrampeln, das als ein unheimliches Element mehr von den Tieren entwickelt ist, die in Herden zusammenleben – Massenpsychologie in einem Huftierstadium!

In geistiger Beziehung kann man den Elefanten vielleicht auf ein Niveau mit dem Pferde stellen, das, alle anderen guten Eigenschaften beiseite gelassen, einfältig – übrigens keine schlechte Eigenschaft natürlich – erschrocken, ohne die Fähigkeit ist, Vorstellungen mit Eindrücken zu verbinden. Es scheut vor allem, was fächelt, hat, obwohl es solange mit dem Menschen zusammenlebt, nicht gelernt, was ein Stück Papier ist, in verstandesmäßiger Beziehung ist es in einen Brunnen versenkt, führt ein Urdunkel mit sich in die Großstädte hinein, Augen, die vierstöckige Häuser sehen, ohne daß man jedoch weiß, welche Vorstellungen sich in seinem Kopfe bilden, es ist kaum imstande, etwas anderes zu sehen, als was der Steppe angehört, aus der es kommt. Aber da läuft es, vorgespannt, in vieler Beziehung sonst wirklich ebenso vernünftig wie ein Mensch, bei weitem nicht so zerstörungswütig; und der Misanthrop Swift machte denn auch das Pferd zum Bürger in einem gedachten Ideallande, während er den Menschen ein Schwein sein ließ, einen Bock und einen Affen, alles in allem einen Yahoo, was Swift sich offenbar als das Geräusch denkt, mit dem Menschen sich über einen Pfuhl von Trieben hinweg anheulen.

Entwicklungsmäßig sollte der Elefant an innerer Kapazität weiter zurück sein als das Pferd, er ist ursprünglicher, hat es aber auf seinem Wege an Eigenart weiter gebracht. Die Wurzel des Elefanten in der Natur und seine extreme Verwandlung, seine ganze monströse Körperlichkeit verleihen ihm eine eigene Stellung, die doch nicht vollkommen beziehungslos wird; die Natur hat nur dieselbe Menge Spielsteine, die sie jedesmal, wenn sie sich umformt, durcheinander wirft. Zu einem einfachen, frühen Gehirn hat der Elefant eine Extrahemmung gefügt, die zwangsweise Folge übertriebener Größe, verspätete Reflexe vermutlich, jedenfalls ein Widerstand in der Masse selbst. Man kennt etwas Ähnliches von sehr groß geratenen Menschen, von dem langen, schweren Kerl, der Gardist gewesen ist und den man meistens auf dem Lande findet, für die Städte eignet er sich weniger; man wird bemerken, daß er mit seinem Verständnis stets einen Bruchteil hinterher kommt, obwohl er keineswegs ein Tropf ist – kommt das daher, daß er längere Nervenbahnen hat? Hat jemand etwas Gutes gesagt und alle haben gelacht, dann rumpelt es endlich, hinterher, auch ihm in der Brust, dann amüsiert er sich, wie ein Echo, das etwas verspätet von den Bergen kommt! Von etwas Elefantimem wird man bei solchen großen schweren Leuten reden, die sich langsamer in Bewegung setzen als andere. Und es ist ja klar, die Reflexe müssen bei einer langen Person einen weiteren Weg durchlaufen als bei einer kurzen.

Über das Gemüt des Wals und die Art seiner Reaktionen hat man nicht leicht Gelegenheit, sich Aufklärung zu verschaffen, aber je größer das Tier ist, desto langsamer geht es; bei den größten von ihnen ist es wohl so, daß etwas, das heute am einen Ende geschieht, ihnen erst morgen am anderen aufgeht!

Solche großen Geschöpfe sind nicht grundlos braver als andere. Unschuldig ist der Elefant, innocent, und das bedeutet unschädlich, hat aber durch langen Gebrauch im Mund des Menschen die Bedeutung dumm, mit der Betonung von ein wenig Mitleid, angenommen, der Ärmste tut einem nichts. Ach nein, die Klugen verstehen es besser! Die Welt geht in bezug auf Bosheit wahrlich nicht zurück, im Gegenteil, alles entwickelt sich mit der Entwicklung, auch die Fähigkeit, Schaden anzurichten!

Der Elefant ist dumm. Aber er ist liebenswürdig, Unwissenheit macht nicht ganz unbrauchbar zum Leben, er ist ländlich, mit idyllischen Gewohnheiten, ein Genießer. Mit seinem Rüssel ist er empfindsamer, gewandter als viele Menschen mit ihrem Daumen, er erträgt Gefangenschaft mit Philosophie, wie alte tüchtige Leute ihr Alter tragen, er hat die Vornehmheit, welche die Größe verleiht; umherhetzen kann er ja nicht, was auch alle anderen ruhelosen Tiere oder der nervöse Mensch meinen mögen, er rückt vorwärts in seiner Masse, rhythmisch mit etwas von dem Gleichgewicht, in dem das Universum sich befindet.

Ein wunderbareres Geschöpf als den Elefanten gibt es nicht, es ist eine Gunst, in einer Erdperiode mit ihm zusammengelebt zu haben, man hat ihn doch gesehen, ehe auch er dem Untergang, der aller Vorzeitgeschöpfe harrt, entgegengeht, wie seine Verwandten, das Mammut, der Mastont und das Dinotherium.

Der Elefant läßt als eine üppige Laune, die die Natur sich leisten konnte, an Dimensionen in der menschlichen Welt, an die unbewachte Epoche in der Geschichte denken, da alles noch erlaubt war. Spuren sind hinterlassen: Pyramiden, Schlösser, Kathedralen; aber die Zeit ist eine andere geworden, sie geht nicht mehr ins Magnifizente; eine Quadratmeile Armenviertel in den Vorstädten Londons drückt ihren Gedanken eher aus.

 

Die Entwicklungsgeschichte weniger Tiere ist so bekannt und gedanklich so befriedigend wie die des Elefanten.

Es müßte denn das Pferd sein, dessen Abstammung, namentlich in bezug auf die Füße, in doppeltem Sinne seine Karriere, das Lieblingskapitel in jeder biologischen Schilderung ausmacht und das wirklich auch von einer einzigdastehenden plastischen und logischen Entwicklung, Auge in Auge mit der Entwicklung selbst ist.

Zu den erklärten Feinden der Aufklärung, den Gewerbetreibenden auf dem Gebiet der Kirche, gewissen empfindsamen Journalistenkreisen, scheint das Beispiel noch nicht gedrungen zu sein, man ist hier noch ausschließlich in Anspruch genommen von der alten, volkstümlichen, leichtfaßbaren und dankbaren Parole von der »Affentheorie«, aus welchem Anlaß man den Schweiß des Hasses schwitzt.

Die Vorgeschichte des Elefanten – die ausgestorbenen Zwischenglieder – ist bis ins Eozän zurück bekannt. Das Moeritherium, nach dem Moerissee in Ägypten benannt, war ein mittelgroßes Tier auf dem Wege zum Elefanten, noch mit vier kleinen Stoßzähnen und einem beginnenden Rüssel; wo sich jetzt die Wüste um Faiyum ausbreitet, grasten das Moeritherium und viele andere Urhuftiere in einer üppigen Parklandschaft; man muß zum Äquator hinab, um ein aktuelles Seitenstück zu finden.

Die afrikanische Tierwelt in Vergangenheit und Gegenwart, ein Feld, auf dem das Geschöpf sich getummelt hat und es noch tut, verlockt die Phantasie so stark, daß der Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit später dorthin verlegt werden soll, was auch der Orientierung über andere Stadien des Geistes dienlicher ist; zuerst aber soll die Behandlung der Säugetiere, ihrer Plastik und ihres geistigen Horizontes, der zoologische Teil, zu Ende geführt werden.

Das Thema »Schwein« scheint verlassen; es war die ganze Zeit da, der Elefant ist ein ins Enorme verwandeltes »Schwein«. Man sieht das am Jungen, dem Elefantenbaby, mit der noch kurzen Schnauze und dem ganzen ferkelartigen Gepräge, hier ist etwas von dem Urtyp, mit dem der Elefant seinerzeit anfing und den man, auf andere Art verändert, in anderen Huftieren wiedererkennt.

Die Größe ist zum Schluß gekommen, nachdem die Richtung für die Entwicklung des Tiers angegeben war, das zunehmende Gewicht hat das Extrem der Form bedingt. Voll ausgeprägte, aber noch nicht kolossale Formen kennt man, die fossilen Zwergelefanten von den Mittelmeerinseln; und hier fällt Licht auf die Auswahl: es ist wahrscheinlich, daß ein isolierter Aufenthalt auf kleineren Inseln dazu dient, die Größe zu reduzieren oder auf einer ursprünglichen Stufe zu halten, wohl, weil die Verfolgung weniger intensiv als auf den großen Kontinenten ist, wo die Raubtiere weit schärfer hausen und die kleinen Formen zugunsten der immer größeren wegfressen. In der großen, offenen, ausgesetzten Umgebung in Afrika und Asien, von Löwe und Tiger belauert, legte der Elefant sich die überlegene Größe zu.

Die zwei Arten geben, nebeneinander gestellt, eine ausdrucksvolle Vorstellung von zwei Stufen innerhalb derselben Art. Der afrikanische Elefant ist denn offenbar der Jüngere, eine frühere Form, nicht so elefantin ausgeprägt wie der indische; man hat hier Gelegenheit, gleichzeitig die ideale Elefantenform von einer mehr suchenden herausgehoben zu sehen und sich in ihr den Eindruck der ursprünglicheren Form, von der der vollkommene Elefant ausgegangen ist, zu verschaffen.

 

Auf einer frühen schweineartigen Stufe, an die das Elefantenjunge noch Erinnerungen bewahrt, dem Moeritherium zu oder noch weiter zurück, geht ein anderes Schwein, das dem Elefanten nahesteht, ins Wasser und wiederholt auf seine Art die Karriere des Wals, mehrere Arten desselben merkwürdig verwandelten Tiers: die Seekühe.

Diese sagenhaften Geschöpfe hat man wirklich zu den Walen gerechnet, sie sind kaum so fischförmig wie jene, haben aber weiter umgebildete Glieder als die Robben; sie haben seit altersher Anlaß zu dem Glauben an Seejungfrauen gegeben, mit der Kuh hat man sie, wie der Name besagt, auch assoziiert, man hat also offenbar nicht gewußt, was man glauben sollte, wenn man sie sah. Was man von ihnen weiß, lautet wie ein Seemannsgarn; und doch sind sie noch heutigentags zu finden: an den Küsten Afrikas, Südamerikas und Australiens die zwei Arten Manat und Dugong; die dritte, Stellers Seekuh, wurde, wie man weiß, von den edlen Menschen, von frommen, seelenvollen Trankochern, bis auf das letzte Exemplar ausgerottet.

Die Seekühe halten sich an den Küsten in der Nähe von Flußmündungen auf, sie sind Tangfresser; ursprünglich sind sie wohl vom Lande gekommen, haben sich von Wasserpflanzen verlocken lassen, bis sie in der See endeten. Vom »Schwein« ist nicht viel übriggeblieben, außer einer gewissen Abrundung in der Form, und doch herrscht kein Zweifel, daß sie ursprünglich Säugetiere gewesen sind, die sich bei ihrem Aufenthalt im Wasser zurückentwickelt und die Gliedmaßen wieder zugesetzt haben. In ihrer Spindelform, Plumpheit und Dickhäutigkeit erinnern sie an das Walroß, das von primitiven Raubtieren ausgegangen ist. In seinem Namen klingt das Walroß an das Pferd an; Seeleute haben immer eine großzügigere Art zu sehen gehabt; aber nicht immer haben sie sich auf so falscher Fährte befunden, die Natur ist noch großzügiger.

 

Noch eine Stufe, und die Seekühe würden die Wale in pelagischer Ausrüstung erreicht haben; die Pflanzenfresserdiät würde sie jedoch stets in der Nähe der Küste gehalten haben. Will man sich eine Vorstellung von einer vorausgehenden Stufe machen, ehe die Verwandlung das Huftier unkenntlich gemacht hat, so sehe man sich das Flußpferd an. Diesmal liegt mehr Sinn im Pferdenamen, denn allerdings befindet sich das Flußpferd nicht in einer Linie mit dem Pferde, aber doch in einer Seitenlinie, die innerhalb der Huftierordnung liegt. Das Flußpferd ist in die Flüsse gegangen, ist nicht wenig naß geworden, aber bis zum Fisch ist es weit, es hat sich die Form eigentlich ziemlich unverändert bewahrt. Daß es ein »Schwein« ist, ist deutlich, und in der Abstammungslinie steht es dann auch mit den Schweinen zusammen.

Hier ergibt das Warzenschwein, eine afrikanische Form, ein Glied, das, in habitueller Beziehung, ein gutes Bild von der Stufe vor dem Flußpferd gibt, es ist ein Schwein, wohl auf dem Wege zum Wasser, es liebt, sich im Sumpf zu wälzen; von einer gemeinsamen Vorzeitform mit derselben Neigung, im Kübel zu bleiben, ist das Flußpferd ausgegangen.

Die Neigung liegt dem ganzen Schweinegeschlecht, das gewöhnliche Schwein liebt den Pfuhl, sowohl das Wildschwein wie das Haustier. Diese Charaktereigentümlichkeit hat einem negativen Reinlichkeitsbegriff überhaupt den Namen gegeben, obwohl es zweifelhaft ist, ob das Schwein unreinlicher ist als so viele andere Tiere; es ist indessen eine Kulturredensart, von Schweinerei zu reden, wo die ursprüngliche Gewohnheit doch im Gegenteil sicher mit einem eingewurzelten Drang, zu baden, zusammenhängt. Die Charakteristik hat der Mensch verschuldet, der zu einem gewissen Zeitpunkt seiner Entwicklung wasserscheu gewesen ist; erst spät hat man sich die Reinlichkeit als Luxus angeeignet, sich waschen ist als eine so radikale Handlung angesehen worden, daß sie einfach Epoche in der Geschichte der Menschheit gemacht hat: die Wasserscheuen, welche Heiden blieben, und die, welche mit Wasser bespritzt wurden und eine ganz besonders auserwählte Gesellschaft ausmachten!

Die Assoziationen anläßlich des »Schweins« als gedachten Stammtiers sind nun endlich zum Schwein selbst gelangt, zu der bekannten Form, die keiner näheren Beschreibung bedarf. Jedoch ist es das Schwein in seiner Jugend, das Ferkel, an das man denken muß, also auch in bezug auf das Schwein an eine Form, die zurückweist; der ausgewachsene, geforstete, borstige Eber hat schon Züge entwickelt, die vom Ferkel fortweisen. Der Grundtyp muß also eigentlich bei jüngeren, mehr zurückgebliebenen Stufen als dem Schwein gesucht werden.

 

Und hier rückt der Tapir in der Erinnerung heran. Man denkt anläßlich des Rüssels schon an ihn, wenn man beim Elefanten ist, weist aber den Gedanken zurück; der Tapir ist keine Stammstufe auf der Linie des Elefanten, er steht der des Pferdes näher. Den Rüssel hat er ganz unabhängig entwickelt; es kann jedoch mit Sicherheit gesagt werden, daß der Elefant auf einer frühen Stufe viel Ähnlichkeit mit einem Tapir gehabt hat, wenn sie auch nicht nahe verwandt miteinander sind, den einfachen beginnenden Huftiertyp haben sie miteinander gemein gehabt.

Der Tapir ist eine sehr alte, oder junge, überlebende Form, die sich unverändert erhalten hat, weil sie die ganze Zeit unter denselben Bedingungen geblieben ist; die Umgebung, in der er noch lebt, Sumpfwald in den Tropen Indiens und Südamerikas, gibt deshalb eine Vorstellung von dem ursprünglichen Milieu, aus dem die ersten Huftiere in früher Tertiärzeit hervorgingen. Der Tapir ist ein dralles Schwein, fast als Idealtier von der Natur geformt, ein Formenmuster für Huftiere, je nachdem man hier ein wenig zulegt, dort ein wenig fortnimmt, übertreibt, die Beine verlängert, ausdörrt, Hörner gibt oder mit Schwielen versieht. Ich darf sagen, daß ich ursprünglich von ihm die Vorstellung von einem Grundtier habe, auf das die meisten Huftiere zurückweisen, ein »Schwein«, obwohl das Schweinegeschlecht natürlich die Ehre behalten soll, den Namen geprägt zu haben.

Ein Bildhauer würde im Tapir ein Modell haben, das sich mit wenigen motivierten Veränderungen zu einer Reihe bekannter Huftierformen umbilden und variieren ließe. Ich habe einmal gesagt, daß der Mensch vom Weibe abstammt, worauf noch näher zurückzukommen sein wird; in plastischer Beziehung ist das Weib eine Norm, von der der Mann eine differenzierte und gehärtete Variante ist. In weitem Sinne ist der Tapir, selbst das Männchen, eine weibliche Form.

Soll man übrigens das Tapirmännchen wohl einen Hengst, einen Eber oder einen Stier nennen? Nicht immer ist man sich bei den Huftieren über diese Begriffe klar, weil die Formen oft so unbestimmt sind. Der Unterschied zwischen Männchen und Weibchen gibt im übrigen auch einen Wink in bezug auf die Abstammung. Das Weibchen kommt wie das Junge, wenn auch in geringerem Maße, dem ursprünglichen Typ näher als das Männchen; die Hindin z. B. hat kein Geweih, und das hatten die Hirsche anfangs überhaupt nicht, keines der Geschlechter. Die Entwicklung des Hirschgeweihs spiegelt die Erwerbung innerhalb des Geschlechts. Das Individuum legt jedes Jahr ein »Ende« zu. Ursprünglich hatte der Hirsch nur eines. Die männlichen Eigenschaften scheinen in verstärktem Maße auf die neue Art hinzuweisen, die weiblichen hingegen auf den Ursprung.

Im Verhältnis zu anderen weit verwandelten, gehörnten und gehärteten, welterfahrenen Huftieren ist der Tapir nun das unberührte Waldtier geblieben. Unschuldig wie ein Mädchen, anmutig, oval, nullförmig, drall, vorn und hinten abgestrichen, wie von Götterhänden gestreichelt und verzogen, mit gedrechseltem Bau; und der alte Gott Pan, der nicht ohne Grund das Gepräge des Huftiers, Bocksfüße und einen gehörnten Kopf trägt, hat denn auch mit Vorsatz die Jungfrau im Walde aufgespürt und ist mit ihr Vater lebenskräftiger Bastarde, sowohl des Ochsen wie der Giraffe und des Kamels geworden ...

Aber sachte, jetzt ist nicht mehr vom Tapir, der bekannten Form, die Rede, sondern von dem noch jüngeren Tier, das man sich durch ihn vor Augen halten kann; der Tapir muß hier ein wenig entkleidet und dort ein wenig restauriert werden, ehe es angeht, ihn in der Wurzel des Stammbaums, von der alle Huftiere ausgegangen sind, zu placieren. Der Rüssel muß fort, er ist eine Privaterwerbung, er muß einen Zeh an den Vorderfüßen und zwei an den Hinterfüßen hinzubekommen, er muß einen Schwanz haben, um wieder ganz primitiv zu werden. Man muß zum Urhuftier zurück, um eine Brücke zu der gemeinsamen Form zu schlagen, aus der die Klauentiere sich entwickelten, und der Tapir gehört ja zu denen von den Huftieren, die, in sehr buchstäblichem Sinne, das Gewicht auf den Mittelzeh legten. Der Unterschied geht auf den Ursprung zurück, es ist daher vielleicht etwas gewaltsam, mit dem Tapir als Grundform so weit zurückzugehen; die fossilen Formen kann man ja indessen nicht sehen, und etwas sagt uns, daß der Tapir eine schwesterliche Ähnlichkeit mit ihnen allen hat – eine alte Erinnerung, mit Verlaub, man glaubt sich dessen zu entsinnen, alle früheren Huftiere müssen einigermaßen so ausgesehen haben.

Nach Winge – um wieder exakt zu werden – hatten die niedrigsten Stammformen der Huftiere alle Huftiereigenschaften in einem gesammelt; Formen vor ihnen wieder ließen sich schwer von Insektenfressern unterscheiden. Diese ersten Formen nennt Winge Coryphodontiden, die nächsten, ausgeprägteren, Meniscotheriiden; von ihnen wird der ganze Huftierstammbaum abgeleitet. Zwei Zweige davon sterben aus, sind nur aus weitläufigen fossilen Formen bekannt, die die Natur nicht bis zur Gegenwart heraufgeführt hat; ein Zweig geht, wie früher erwähnt, zu Klippschliefer, Elefanten und Seekühen; einer zu Pferden, Tapir und Nashorn; und einer endlich zu den Klauentieren, Schweinen und Flußpferden, sowie zu den Wiederkäuern, Kamelen, Hirschen, Giraffen und Rindern. Aber wie Winge sagt: »Eine unbedeutende Änderung in der Stellung von Hand und Fuß ist alles, was notwendig gewesen ist, um die Umbildung von Meniscotherium-Hand und -Fuß in Arthiodactyl-Hand und -Fuß einzuleiten.« Unter Arthiodactylen versteht man also die paarzehigen Huftiere oder mit einem sehr guten alten Wort die Klauentiere. Auf dieser Stufe soll unser tapirnaher Freund placiert werden. Da er Tapirzüge in die eine Linie, von der wir sie kennen, die Linie des jetzt lebenden Tapirs, hat hinaufführen können, muß er wohl auch Züge in die andere mitgeführt haben. Dies gilt ja dann dem Elefanten, den jeder mit dem Tapir assoziiert, er gleicht einem vergrößerten Tapir, ungeachtet des Umstandes, daß er nicht in einer Linie mit ihm steht. Das Flußpferd hat vieles, das an den Tapir erinnert, am wenigsten wohl der Kopf; es wird zu den mit dem Schwein verwandten Paarzehern gerechnet.

Eine Zwergform des Flußpferdes existiert, wohl eher als eine Varietät für sich aufzufassen, es ist kein so ausgesprochenes Wassertier wie die große Art. Es gleicht dem Jungen des gewöhnlichen Flußpferdes, bis auf den Kopf ist es im übrigen in allen Teilen wie ein Tapir anzusehen, eine lebende Mittelform also.

Das Schwein ist im vorhergehenden als Leitform benutzt worden und soll auch nicht verlassen werden. Es ist aber notwendig, die Vorstellung von den Zügen, die man als gedachte Form daran knüpft, zu erweitern, wenn sie auf die Klauentiere angewendet werden sollen. Auch hier ist die tapirnahe, schweinsartige Urform leicht wiederzuerkennen, wie gezeigt werden soll.

Ferner, könnte man fast sagen, stehen Formen hier doch in einer direkten Linie mit dem Tapir, wie z. B. das Pferd. Nur sehr wenige werden die Ähnlichkeit unmittelbar in die Augen fallend finden. Und doch, wenn man Rücksicht nimmt auf die spezielle Verwandlung des Pferdes, seine Flucht aus dem Sumpfland in die Steppe, wo der harte Boden seine Beine geprägt hat, die Umstellung der Diät auf die trocknen Gräser, die ihm den knochigen Kopf gegeben haben, wenn man sich die frühesten bekannten Formen, Zebra und Wildesel vor Augen hält, ist es nicht einmal so weit bis zum Tapir; die fossilen, beginnenden Pferde, mit mehr als einem Zeh, müssen dem Tapir noch mehr geglichen haben, wie Vettern sich gleichen; in einer gemeinsamen Urform sind sie einigermaßen dieselben drallen, üppigen, wahrscheinlich gestreiften wohlriechenden Waldtiere gewesen.

Das Pferd hat sich keinen Rüssel zugelegt – aber es hat doch gleichsam einen Anfang dazu, ein lebendiges Maul, das es vorstrecken kann, es hat Muskeln in der Oberlippe; und das Pferd sammelt denn auch das Gras mit dem Maule, ehe es die Zähne niederpreßt und es abbeißt, zum Unterschied von der Kuh, die die Zunge um das Gras schlingt, ehe sie es abreißt, und die eine ganz tote, verknorpelte Oberlippe hat. Es scheint hier ein wesentlicher Unterschied in der Technik zu bestehen. Die meisten Wiederkäuer benutzen wohl die Zunge, wenn sie Nahrung zu sich nehmen, vielleicht, weil sie ursprünglich Blattfresser waren. Die Giraffe benutzt jedoch sowohl Zunge wie Lippe, wenn sie frißt; eine kleine Antilopenart, die Windspielantilope, Dik-Dik genannt, hat einen gut ausgebildeten Rüssel, ähnlich dem des Tapirs; diese Anlagen sind wohl eher zufällig als durchgehend.

Das Nashorn ist doch wohl kein so schöner Tapir? Doch, wenn man sich hinreichend über das gepanzerte, plumpe Äußere des Rhinozeros, seinen Leichdorn auf der Nase, sein explosives, viehisches Wesen aufgehalten hat, dann kommt es dennoch ganz von selbst, daß man hier einem Verwandten des Tapirs von früher Herkunft gegenübersteht, nicht dem Tapir selber, aber einem Verwandten von ihm, der sich harte Haut zugelegt hat und unbehaglich, eine kleine, in einem felsartigen Körper eingesperrte Seele geworden ist, einsam und rauh, eine von der Natur übriggelassene schlechte Laune. Von Dürers Hand besitzt man eine Zeichnung des Nashorns mit einer amüsanten Beschreibung und amüsant gefärbt durch die Vorstellung jener Zeit von schwerer Bewaffnung. Er hat ihm einen Panzer angezogen, es ist fast wie ein Rittersmann im Harnisch, mit Nieten und Nägeln, über und über mit Eisen beschlagen und mit Ringpanzer an den Beinen, ein völlig uneinnehmbares Tier. Man hat Geschichten von Rittern, die in ihrem Harnisch erstickten; beim Nashorn ist die Seele in lauter Verschanzung untergegangen wie bei der Schildkröte.

Die zwei Nashornarten, die man kennt, das afrikanische und das indische Nashorn, ergeben Material zur Beurteilung der Stufe, ebenso wie die zwei Elefantenarten; das afrikanische Nashorn ist offenbar auch jünger, weniger rhinozerosgeprägt als das indische, die ursprünglichere Form also die von westlicher Verbreitung. Von den zwei Tapirvarietäten macht die amerikanische Form einen ursprünglicheren Eindruck als die indische. Man könnte hieraus einiges auf Herkunft und Wanderung der Tiere schließen.

Eine Wildnis von Arten sind die Klauentiere, es ist fast hoffnungslos, sich ihnen zu nähern, es würde ein ganzes Leben erfordern, ihre Naturgeschichte zu erschöpfen, sie aufzusuchen und sich vollen Bescheid über sie zu verschaffen: die Schweine mit ihren unzähligen Arten und ihrer Menge von Entwicklungsnuancen verlocken dazu, daß man sich in sie vertieft. Die Jungen des Wildschweins sind gestreift wie die des Tapirs, eine alte Paradiesesmode, die wiederkehrt. Das Zwergwildschwein vom Himalaja ruft in seiner ganzen Form lebhaft die Spitzmaus ins Gedächtnis, sie ist ein großer Insektenfresser von nicht entartetem Gepräge; die Borsten der Schweine, die bei einigen Arten zu steifen Stacheln werden können, lassen an den Igel denken; gewisse Hirscharten sind auch auf dem Wege zu dieser harten Bekleidung. Der Hirscheber von Celebes teilt Hochbeinigkeit und Schlankheit, und daher den Namen, mit Wiederkäuern – und es haben auch wiederkäuende Schweine gelebt!

Die Wiederkäuer, die langbeinigen, flüchtigen Hirsche, die Antilopen, Rinder, Ziegen und Schafe, die verwachsenen Kamele! Die Giraffe – dieses merkwürdige, liebenswerte Tier, ein seelenvoller Sonderling, in stummer, einsamer Höhe, wohlriechend wie das Pferd, sanft wie die blattfressenden Hindinnen, welche Paradieseszeiten hat es nicht in sich angesammelt, eine Ewigkeit in Afrika, unter Mimosen – wie geräumig war doch die Natur, da die Giraffe leben durfte!

Alle Wiederkäuer sind wohl zu dem, was sie sind, geworden, weil sie gejagt wurden, das ist die Erklärung für die besondere Form der Verdauung, die sie ausgebildet haben: es wurde ihnen nicht Zeit gelassen zu kauen, während sie grasten, sie haben die Nahrung, verstohlen und auf der Stelle, verschlingen und die Bearbeitung verschieben müssen, bis sie sich außerhalb der Weiden ein Versteck gesucht hatten und in Ruhe befanden.

Unmöglich, alle Wiederkäuergeschlechter durchzunehmen; hier sollen nur einzelne Formen hervorgeholt werden, meistens recht unbekannte, die im Typ den Gedanken auf das Schwein oder den Tapir lenken und im Aussehen einen Übergang von einer Art zur anderen vermitteln. Doppelnamen zeigen auch hier, daß Züge von verschiedenen Arten vermischt und früh dem Beobachter aufgefallen sind. Die meisten, die nur die Haustiere kennen, sind geneigt, ihre Vorstellungen von einer Ziege, einem Schaf oder einem Ochsen auf den Begriff selbst, einen stilisierten, von der Arche Noah geholten Typ, zu begrenzen, in Wirklichkeit gibt es ja eine Menge Varietäten innerhalb der Arten und auf deren Grenzen. Die Doppelnamen geben Anlaß zu einem Sprung in die Vielfältigkeit der Klauentiere.

An Antilopen gibt es mehrere mit Doppelnamen; sie stehen überhaupt ihrem Äußeren nach zwischen Hirschen und Rindern. Da ist die Waldziegenantilope, Nemorhaedus, und ein naher Verwandter von ihr, der Goral, kurzbeinige Antilopen mit Zügen, die auf das Schaf hinweisen; von demselben Stammort wird der Moschusochse abgeleitet, Ovibus, was Ochsenschaf heißt, das bekannte arktische Tier, das einem Büffel gleicht, aber dem Charakter nach ein Schaf ist. Zu den Antilopen rechnet man die Saiga, die im Aussehen sowohl an Schaf wie an Ziege gemahnt. Innerhalb der echten Schafe und Ziegen gibt es Unterarten, die für das Auge ineinander übergehen, Zwischenformen wie das Mähnenschaf oder den Steinbock; das Schaf ist ein Bergtier, das sich gegen die Kälte bekleidet hat, die Ziege klettert noch höher, auf die steilsten Berge; es ist sozusagen der Unterschied eines Stockwerks zwischen ihnen. An die Ziegen schließen sich die Gemsen und gemsenartigen Tiere, darunter der merkwürdige Takin, Budorcas taxicolor, aus Hochasien und den Bergen Chinas, er wird Ochsengemse genannt und besitzt denn auch Züge, die zum Rinde hinleiten, wenn man ihn nicht Gnuziege nennen will; er hat also Züge von vier verschiedenen Tieren und wird nicht ohne Grund als Sammeltyp bezeichnet. Besonders erinnert er mit seinem hohen Vorderkörper und der ganzen Haltung an den Nilgau, Boselaphus tragocamelus, was Ziegenkamel heißt, Blauochse wird der Nilgau auch genannt. Diese schöne, indische Waldantilope war seinerzeit im Zoologischen Garten in Kopenhagen zu sehen und erinnerte mit ihrer aufrechten Haltung und dem schwebenden Gang an ein Vollblutpferd.

Ferner sind da die Hirschantilope, Kobus; die Hirschziegenantilope sogar, Cervicapra; die Elchantilope; die Kuhantilope, Hartebeest; die Roßantilope, Hippotragus, eine Antilope mit schweren pferdeartigen Beinen; da sind die Lamagazelle und die Giraffengazelle: alle der reichen afrikanischen Tierwelt angehörend. Und da ist das Gnu, Wildebeest, das keinen Doppelnamen erhalten hat, aber einen mehrfachen haben müßte, es gleicht allen anderen Antilopen und dazu noch sowohl Pferd, wie Esel und Kuh: weder das Volksmärchen noch der wildeste Traum könnte das Gnu an Seltsamkeit übertreffen; um gleich dabei zu bleiben, so gibt es unter den Hirschen einen Pferdehirsch, Sambar, und einen Schweinshirsch, Hyelaphus porcinus.

Gemsbüffel hat man die Anoa von Celebes genannt. Sie ist zu den Antilopen gezählt worden, wird aber als Büffel zuunterst auf der Entwicklungsleiter der Rinder angesehen. Der Gemsbüffel ist im Zoologischen Garten in Kopenhagen zu sehen und findet großes Interesse als angenäherte Form, aus der man sich das zahme Rind abgestammt denken kann. Er riecht süß wie eine Kuh, hat deren erweitertes Maul, kleine, gerade, dralle Hörner, die gut zu Kuhhörnern werden könnten. Merkwürdig ist er durch seine dralle, abgerundete Form, eine Embryoform, die sowohl Schwein wie Tapir in Erinnerung bringt, er ist kurzbeinig, hat sich als Wiederkäuer noch nicht recht von der Erde hochgearbeitet. Die Anoa ist zweifellos eine übriggebliebene Form, in vielen Zügen Generalnenner für die ersten primitiven Huftiertypen, aus denen später verzweigte Geschlechter entstanden sind. Mit dem breiten Maul, das sie zum Grasfresser stempelt, nähert sie sich deutlich dem Rinde.

Andere von den frühen, einfachen Formen der Huftiere haben Züge, die man sowohl in Rindern wie in Hirschen, Ziegen und Schafen aufgehen lassen kann: die Traguliden, die Ziegenähnlichen, zu denen das afrikanische Zwergmoschustier, auch Hirschferkel genannt, gehört, nicht zu verwechseln mit dem hochbeinigen Hirscheber und dem asiatischen Kantschil, dem Zwerghirsch, der das kleinste aller Huftiere ist. Dieses sagenumkränzte Geschöpf habe ich selbst seinerzeit persönlich auf Malakka getroffen. Die Malayen nennen ihn »Vater Frieden im Walde« und kennen viele verliebte Geschichten über ihn. Es ist nicht größer als ein Murmeltier, könnte leicht mit dem Aguti verwechselt werden und lenkt überhaupt den Gedanken zu den Nagern. Innerhalb der Nager findet man endlich auch Formen, die im Äußeren an frühe Hirsche erinnern können, z. B. die langbeinige Mara aus Patagonien. Der Zwerghirsch ist dem Schwein, dem Urschwein, dem Huftierfötus, so nahe, wie man es sich nur wünschen kann; hätte man sich nicht schon eine gemeinsame Übergangsgestalt gebildet, so könnte man es nach dem Zwerghirsch tun.

Von den Traguliden ist der Weg kurz zu den etwas größeren Moschushirschen, die wiederum ganz natürlich zu den Rehen und mit zunehmender Größe und Eigenart zu Edelhirschen, Elch und Renntier führen. Eine andere Linie geht von den einfachen Urformen zu Ziegen und Schafen; von den Schafen gelangt man über die vier Lamaarten, Lama, Guanaco, Paco und Vicunja, mit einem Abstecher nach dem südlichen Amerika, zu den zwei über Afrika und Asien verteilten Arten der Kamele. Daß das Kamel ein verwandeltes Schaf ist, sieht man deutlich dem Jungen an, das man Füllen nennt – pferdeartige Erinnerungen – das aber Lamm heißen sollte, wenn man nicht vorziehen wollte, es Kalb zu nennen.

Schließlich ist da die Giraffe, von den Alten Camelopardalis genannt, das pardelfleckige Kamel: nicht sehr naturgeschichtlich, aber doch schon mit einer Andeutung des Bastardartigen in der Form. Die Giraffe hat ein ausgesprochenes Pferdegepräge, erinnert wirklich auch, langhalsig und langbeinig, wie sie ist, an das Wüstentier Dromedar; sie hat hirschartige Zapfen auf dem Kopfe, Gazellenaugen und Ochsenschwanz, alles in allem wohl die sonderbarste aller Launen der Natur. Dennoch macht die Giraffe keineswegs einen zusammengeliehenen und paradoxen Eindruck, sie hat aus der Laune eine Persönlichkeit gemacht, ist ein Stück fertiger Architektur von einzig dastehender Plastik und Grazie. Das helle, maschige Fell sieht aus wie lebender Sonnenschein, es ist afrikafarbig. Rhythmisch ist es ein Stück Musik, mit Flucht in der Form und aufrechtem, schwingendem Gleichgewicht wie kein anderes Geschöpf. In einem Film von der Mimosensteppe in Afrika habe ich ein Rudel Giraffen im Galopp gesehen, ein meerartiger Rhythmus, wie der Adantische Ozean! Sie haben die Grazie der Größe, wie der Elefant sie hat, edle Langsamkeit, einen großen, wogenden Schwung in der hohen, turmartigen Gestalt, wie Wellen, die im Meere sich bewegen, mit Wucht, fließenden Formen, Arm in Arm mit der Schwere! Selbst die aufrechte Konstruktion des Giraffenkörpers hat eine bezaubernde Zusammenfügung und Linie, an die phantastisch hohen Beine schließt sich notwendigerweise ein kurzer, zusammengedrängter Körper; vorn ist er am höchsten, der Bug steht eigentümlich schräg – ein besonders feines Gegenspiel von Linien – und von diesem Aufbau hebt sich der Hals natürlich als eine Fortsetzung in die Höhe, der Kopf ist von den Zapfen gekrönt, wie der Turm mit einer Spitze! Hat je das Märchen Fleisch und Blut erhalten, dann in der Gestalt der Giraffe; nie hat sich die Selbstverständlichkeit der Natur genialer geäußert als in ihr.

Aber das Märchen hat noch ein Kapitel hinzugefügt, in den kürzlichen Funden des Okapi, eines frühen Verwandten der Giraffe. In einem einzigen Lichtblick zeigt es die Stufe zur Giraffe hinauf, den Weg der Entwicklung von einer schon verzerrten Form bis zu einem Extrem. Das Okapi ist ein Waldtier, lebt noch im Urheim der Huftiere, demselben, in dem der Tapir, in einem anderen Weltteil, geblieben ist, es hat begonnen, den Hals zu recken, sucht sich das Futter über sich in den Bäumen; und kommt das Okapi oder ein Verwandter von ihm in die offene Steppe heraus, wo die Bäume verstreut stehen und sich in die Höhe recken, dann reckt es sich mit – die Giraffe entsteht!

Seinem ganzen Aussehen nach ist das Okapi deutlich auf dem Wege zur Giraffe, aber die Streifen lassen eher an das Zebra denken, und etwas in der Form knüpft es an verschiedene Huftiere von mehreren Geschlechtern: wieder eine Sammelform mit Assoziationen nach vielen Seiten. Das Okapi steht eigentümlich hoch in seinem Vorderteil, hierin erinnert es an die drallen, hochständrigen Antilopen, namentlich an den Nilgau; dieser Typ, den man auch bei Hirschen wiederfindet und der etwas Starkes, Pferdeartiges besitzt, hat mich trotz den trockenen Beinen und vielen anderen Verwandlungen ausgesprochen an den Tapir erinnert. Eine Grundvorstellung bildet man sich dann von einem ursprünglich kurzbeinigen Tier von schweinsartiger Beleibtheit, das, aufgerichtet, eilende Glieder bekommen hat, ausgedörrt ist – aus einem alten bequemen Waldtier ist ein Schnelläufer geworden!

Das kleinste frühe Huftier, der Zwerghirsch, hat in seinem Gesicht etwas, das noch an die Insektenfresser, ja, an die Beuteltiere gemahnt, es bringt die Nager in Erinnerung, die »Ratte« – so stoßen alle Säugetiere in der Wurzel aneinander.

Versteht sich: alle diese bisher besprochenen Tiere stammen ja nicht direkt voneinander ab, sondern von Formen mit einer gemeinsamen Quelle. Die kleinen Arten frühen Typs sind überlebende, aber nicht unveränderte Nachkommen älterer, seither ausgestorbener Stammformen. Wenn man vom »Stammbaum« der Tiere spricht, ist man gewohnt, etwas wie einen Baum oder eine Tafel, eine künstliche Figur vor sich zu sehen, in Wirklichkeit hat man nur die Schößlinge, die Seitenlinien vor sich, alle Ahnen sind ja tot, die Individuen starben. Auf dieselbe Weise existiert ein Kind nicht mehr, wenn es erwachsen ist, ist aber doch nicht ganz verschwunden, alle Stadien sind in dem erwachsenen Individuum aufgegangen. Die ausgestorbenen Formen kennt man nur sprungweise, ein absolut gültiger Stammbaum würde die Kenntnis aller Glieder, aller Individuen erfordern; mangels dessen hilft man sich mit einer Rekonstruktion. Aber es muß gerade die und die Reihe bestimmter Individuen gelebt haben, alle in minimalem Maße voneinander verschieden, da eine nachweisbare Veränderung vom ersten bis zum letzten Gliede stattgefunden hat. Einige blieben fast unverändert stehen und führen eine ununterbrochene Individuenreihe empor neben neuen, vollkommen umgeformten Geschlechtern, von dem ersten Urwesen bis zu den letzten, am meisten verwandelten: das ist ein Verhältnis in der Natur, dessen Zeuge man nun einmal ist. Die »Versuche« haben an und für sich ebenso große typische Gültigkeit wie die scheinbar fertigen Entfaltungen. Alle Formen sind Seitenlinien, wenn man die Vorstellung von einem Stammbaum beibehalten will: einige mehr oder weniger weit unten an der Wurzel placiert, andere seitwärts von der Achse des Baumes entfernt, der Stamm selbst aber eine Abstraktion. Die Tierwelt, die man sieht, ist die unendliche Variationsreihe einer einfachen Grundform, nach denselben Gesetzen entstanden wie unsere Gedanken; es ist also einfach ein Teil unseres geistigen Wachstums, uns die Formen der Tiere vor Augen zu halten.

Reich und unübersehbar zugleich, an alle Gegenden der Erde geknüpft und in eine Vielfältigkeit von Formen gespalten, jede einzelne lokal geprägt, unter Aufnahme der Natur des Ortes in sich – so ist die große Familie der Säugetiere, der wir so nahestehen: dieselbe Lebenswärme, die wir wiedererkennen, wenn wir die Hand auf sie legen. Jedes einzelne Tier spricht zum Herzen, als Individuum, als Art, ist es selber, trägt aber eine Geschlechtsgleichheit, die es an alle anderen Säugetiere, fern oder nah, knüpft. Keine Freude gleicht der, das eine Tier im andern sehen zu können, ihnen allen über die Erde zu folgen und die Geräumigkeit der Zeiten zu ahnen, das ungeheure Alter und die Jugend zugleich, die Verwandlungsfähigkeit des Lebens und doch die Treue, die das Tier sich bewahrt, die unerschöpfliche Erfindungsgabe, die keiner erfunden hat, sondern die ein Spiel in sich ist, das eigene, unergründliche Ausströmen der Natur in alles, was da lebt, eine Freigebigkeit wie die des Lichts, immer strömend, immer aus sich selbst als Quelle schöpfend. Gut ist es, jedes Tier zu betrachten und sich gleichzeitig aller anderen zu erinnern, wieder zu ihnen zu kommen und sich aus ihrer Beweglichkeit, dem Fließenden im Übergang der Formen ineinander und doch der Vollkommenheit jeder Form in sich zu nähren. Die Tiere sind die Quelle der Verwunderung.

Mit ihnen ist der Mensch von dort, wo er herkommt, emporgeschritten. Seit uralter Zeit hat der Mensch sich von den Tieren ernährt, sie waren es selbst gewohnt, daß eines von ihnen sein Grab in dem anderen fand. Selbst nachdem der Mensch erhöht worden ist und sich in einem Dasein, das er selbst geschaffen, eingerichtet hat, nimmt er die Tiere in Form von Haustieren mit und schlachtet sie mit dem Messer, wenn es zweckdienlich ist; das Dasein ist noch nicht anders. Es ist ein alter Pakt, daß das eine Leben das andere nimmt, ein alter, einfacher Naturakt, der Tier und Mensch ihre Grenze als Sterblichen setzt.

Irgendwelche geistige Bereicherung, über den Eindruck eines Unschuldzustandes hinaus, empfängt man ja nicht von den Huftieren, nicht einmal von den gezähmten, mit denen der Mensch doch schon Jahrtausende oder mehr zusammengelebt hat. Die pflanzenfressenden Tiere strebten lange, ehe der Mensch daran dachte, nach Frieden in der Natur, erhielten aber nicht mehr Frieden, als die Raubtiere und der Mensch ihnen gewährten; den für die Ernährung notwendigen Mord legten sie nebst der damit folgenden Wildheit ab, aber völlig harmlos wurden sie nun auch nicht alle, jedenfalls nicht die Männchen, die einander leichten Herzens in der Konkurrenz um die Weibchen spießen und schlagen.

Von allen Huftieren kann man wohl als durchgehenden Charakterzug nennen, daß sie zwar harmlos sind, weil sie keinen Bedarf an Wildheit haben, sich aber stets ein unnahbares, leicht reizbares Gemüt bewahren. Die vegetarische Kost ist keine sichere Garantie für friedliche Instinkte, eine Beobachtung, die man auch bei Menschen gemacht hat, im Gegenteil, man trifft oft eine heftige, unvernünftige Streitlust bei Vegetariern. Viele Huftiere sind reizbar, nervös auffahrend und heftig aufbrausend ohne Überlegung; Begriffe wie Stupidität, Bestialität und Dickköpfigkeit entleiht man der Welt der Wiederkäuer. Selbst das fromme Schaf ist nicht immer gleich fromm, es ist starrköpfig und stampft wirklich auf den Boden, wenn man dem Pfahl, an dem es angebunden ist, zu nahe kommt. Das Rind bringt Vorstellungen von Arkadien, von den Weiden des Paradieses mit, kann aber das Milchmädchen zum Weinen bringen; obwohl selbst ein Frauenzimmer, kann es der Kuh einfallen zu treten, ohne Spur von Grazie, stupid und häkelig ist die Kuh. Ein allgemeiner Eindruck von den Wiederkäuern ist, daß sie fromm und zornig wie Quäker, vor den Kopf geschlagen, ihrem Futter ergeben und nicht sehr gelehrig sind. Monoton und töricht, aber lächerlich erbittert ist ein Geschöpf wie das Kamel.

Von dem Temperament und den geistigen Anlagen des Schweins ist nicht sehr viel Gutes zu sagen: ein streitbarer, roher Allesfresser, die Schnauze in der Erde, alles geistige Licht erloschen; aber seine Eindrücke hat man vom Hausschwein, das wohl ein tiefstehendes, defektes Tier im Verhältnis zum Wildschwein sein mag. Die Schweine stehen dem Ursprung und den Insektenfressern näher als alle anderen Huftiere.

Faßt man aber das Resultat der Entwicklung, den Aufstieg der Huftiere seit den Insektenfressern zusammen, so ist der Unterschied doch sehr auffallend. Die Ferozität, der gnadenlose Ausrottungskrieg gegen alles, was überwältigt werden kann, ist abgelöst von einer zurückgezogenen, idyllischen Lebensweise auf der grünen Erde. Verräter an den Entwicklungsstufen sind die Raubtiere, rückfällig ist das Schwein, das etwas von der Fleischfresserneigung und der Unflätigkeit der »Ratte« bewahrt. Sonst aber ist das geistige Niveau, die innere Abgestimmtheit der Welt gegenüber, ganz anders geworden. Ruhiger, schöner.

Nimmt man ein Tier zuunterst auf der Säugetierleiter wie den sogenannten Tasmanischen Teufel, ein Beuteltier, Sarcophilus, das man seinerzeit Gelegenheit hatte im Zoologischen Garten in Kopenhagen zu beobachten, so wird die zurückgelegte Entfernung in die Augen fallen. Das Tier, das von Hundegröße ist, aber einen zu großen Kopf hat, ist schwarz, mit einer durchschimmernden, schmutzigen Fleischfarbe, schlecht versteckter Nacktheit im Gesicht, es hat rote Augen mit einem gleichsam rußigen Feuer, die Zähne drängen sich gegenseitig zum Maul hinaus, und das vollständig verstandesbare Geschöpf knurrt, faucht und schäumt die ganze Zeit, schmerzlich wie ein Säugling, in einem permanenten Zustand von Raserei, der wie eine Krankheit, wie Tollheit wirkt, aber der normale Gemütszustand des Tieres ist. Nur unheimliche, maniakalische Fälle, in die man sich jedoch nicht hineinversetzen kann, geben einen Begriff von der Psyche des Beutelteufels. Vermutlich könnte man das Tier an einem Stock oder einem Tuch hängend wegtragen, wenn es sich erst hineinverbissen hätte; zu brennender Mordgier kommt Idiotie. So wild und verschlossen in der Seele ist das Geschöpf, wenn es frisch aus der Unterwelt kommt. Man stelle sich als Gegensatz grasende Hirsche an einem Waldessaum vor! Oder die Bauersfrau und die Kuh!

Bei den Haustieren möchte man gern länger verweilen, bei dem seltsamen Anblick, daß eine ganze Tiergruppe aus den natürlichen Bedingungen herausgehoben und in zivilisiertere Verhältnisse versetzt ist, nicht aus eigenem Trieb, und sicher, ohne es zu verstehen und ohne wesentlich dadurch verändert zu werden. Denn wohl sind sie domestiziert und künstlich entartet worden, aber das Tierniveau ist und bleibt doch dasselbe. Die Wiederkäuer haben sich nicht erziehen lassen, sind nicht klüger geworden, gesetzter vielleicht, das wilde Gepräge hat sich gemildert, aber sie wissen nicht mehr, eher hat die Beschützung sie in ihrer geistigen Begabung zurückgebracht.

Die Kuh läßt den Kuhfladen fallen, und wenn es in des Königs Stube wäre; der Hund bringt seine Gewohnheiten aus der Wildnis mit in die Großstädte, hebt das Hinterbein an der Hausecke, wie er es dereinst auf seinen Wanderungen am Baum tat, vermutlich, um sich zu orientieren und Bescheid für andere Hunde zu hinterlassen; man kann ja Hunde diese Inschriften mit der Nase, lange und mit gerunzelter Stirn, studieren sehen, wie wir über einem Palimpsest grübeln würden. Der Hund ist im wesentlichen in der Gesellschaft der Menschen kein anderer geworden. Er pflanzt sich coram publico auf der Straße fort, geht einmal um sich selbst herum, ehe er sich niederlegt, ganz wie in der Vorzeit, als er sich ein Nest im Grase baute; soll man sagen, daß er sich hat belehren lassen, so sind es ein paar von den gemeinsten Eigenschaften des Menschen, die auf ihn abgefärbt haben oder die beiden Teilen gemeinsam sind: Hündischkeit, kriechendes Wesen und Unempfindlichkeit gegenüber Schmutz, öffentliche Ausstellung von Brunst; der Begriff Pack rührt von den unbarmherzigen feigen Seelenäußerungen der Hunde her, wenn sie im Rudel jagen und viele gegen einen sind.

Eine gewisse Geschlechtserinnerung kann man bei den Haustieren wahrnehmen, gleichsam noch das Bewußtsein des wilden, freien Zustands, in dem sie dereinst lebten, und was dazu gehörte: das Pferd geht zuweilen durch, wütend wird der Ochse.

Gezähmten Ziegen, die vielleicht seit Jahrtausenden im Tiefland gehalten worden sind, jucken noch die Zehen danach, Berge zu besteigen, sie sind die geborenen Balancekünstler. Von Lundbye gibt es eine reizende Zeichnung aus Italien von einer Ziege, die über eine Pforte klettert, indem sie die Latten auf der einen Seite hinauf und auf der anderen hinunter geht. Daß die Ziege ein Kletterer ist, kann sie nicht vergessen.

Was sich die Huftiere im übrigen vorstellen, ist uns unbekannt; bei der Aufnahme ihres stummen Wesens, ihrer Formen in uns, stellen wir uns die Welt, aus der sie gekommen sind, und das Heim der Tiere vor, die Steppe, die Berge, ganz Asien und Afrika, die Geographie und unsere Kindheit!

Wie ein Abschied ist es, wenn man alle Tiere Revue passieren läßt, es ist ein vorbeiwandernder paradiesischer Fries, sie gehen in einer Richtung, wo sie sich verlieren sollen und von wo sie nie zurückkehren. Noch lebende Menschen haben die Bisonherden in den nordamerikanischen Prärien gesehen, wo sich jetzt steinerne Millionenstädte ausbreiten, die eine wenige Stunden Reise von der anderen; wie die Menschheit sich ausbreitet und bei den Mitteln, die sie benutzt, wird sie in absehbarer Zeit die Mehrzahl der wilden Tiere verdrängen.

Die Haustiere erben dann also die Erde von ihnen – aber tun sie das nun auch für die Dauer? Wo sind die strammen, schimmernden Straßenbahnpferde, die vor nur zwanzig Jahren in Kopenhagen zu sehen waren? Das Automobil macht das Pferd zu einer Seltenheit. In China leben vierhundert Millionen Menschen jetzt ohne Haustiere, Viehzucht hört auf, wenn die Menschen zu viele werden; man kann es sich nicht leisten, der Kuli frißt die Rüben selbst, er frißt die Blätter mit.

Die Zoologie behandelt schließlich den Menschen allein. Laßt uns daher die Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Das Stadium vom Ursprung des Menschen und von seinen ersten Voraussetzungen geht durch einen Wald, das Heim der Vierhänder, zurück denn, für eine Weile, zu ihm!


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