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Der Käfer

Verläßt man die Fische als zu entfernt verwandt zum Beerben, so soll auch nur im Vorübergehen bei den Gliedertieren, Krebsen und Insekten, verweilt werden. Sie verteilen sich auf das Wasser, die Unterwelt, die Erde und die Luft, stehen einander aber intim nahe in Habitus und Stufe. Die Verwandtschaft mit ihnen liegt auf sehr weitem Felde, schwer zu erblicken, tief begraben irgendwo in der Urwelt der Würmer.

Gliedertiere sind verwandelte Würmer, Gliederwürmer, die Glieder und ein erhärtetes Hautskelett bekommen haben, gepanzerte Würmer mit entwickelten Bewegungswerkzeugen; die Tausendfüßer kommen wohl dem ältesten Typ nahe. Der Wurm kriecht oder schwimmt, Gliedertiere haben Beine, die Schöpfung hat es zum Gehen, ja, der größte Teil der Insekten sogar zum Fliegen gebracht. In anderer Beziehung haben die Gliedertiere eine spezielle, relativ hohe Kultur erreicht.

Die Gliedertiere gehören ja zu den ältesten Bewohnern der Erde, Trilobiten und andere primitive, jetzt ausgestorbene Formen kennt man aus den untersten sedimentären Schichten der Erde, aus der kambrischen und silurischen Zeit; die Namen der Perioden haben an sich einen hartgebrannten Klang, wie von Fayence und glasierten Scherben, und doch waren diese fossilienführenden Schichten einmal Bodenschlamm in den Meeren der Urzeit und brodelnde, nach warmen Gewitterschauern rauchende Sümpfe, die Erde war noch jung, nur die Welt des Gewürms existierte, die Luft hatte nie Vögel gesehen, nie hatten vierfüßige Tiere die Erde betreten, die Wirbeltiere hatten noch, in der Anlage, nur die langgestreckte Form des Wurms, es war das Wurmzeitalter. Und in ihm ging es heiß her, der Kampf ums Dasein im Sumpfe war hart, es kochte darin wie in einem Topf, die Würmer zogen gegeneinander den Harnisch an, zwangen sich gegenseitig aufs Land hinauf, und hier wurde man zum Käfer.

Krebstiere und Insekten haben die Elemente unter sich geteilt, aber es ist die Frage, ob die Krebse ursprünglich der See angehören, sie können Insekten auf einer frühen Stufe sein, die vom Lande wieder ins Wasser gegangen sind, einige Zoologen sind dieser Meinung; dann ist der Krebs in mehr als einer Beziehung rückwärts gegangen. Die strenge zoologische »Bestimmung«, die zwischen Krebstieren und Insekten unterscheidet, einige Bein- und Fühlerpaare mehr, ein entwickelter Kopf oder nicht, das nahm die Natur einst nicht so genau, die Gliedertiere waren anfangs so ziemlich eine einzige Familie, wie sie es für ein ungeschultes Auge noch sind, gegliederte, knirschende Dinge, ob man nun einen Hummer vor sich hat oder einen Skorpion. Viele gehen ja in beiden Elementen gleich gut aus und ein. Wenn die Krebstiere ursprünglich zusammen mit den Insekten auf dem Lande Gliedertiere geworden sind, dann haben die Krabben, die jetzt auf dem festen Boden leben, die Reise hin und zurück mehrmals gemacht, zuerst sind sie an Land gegangen und Gliedertiere geworden, dann sind sie ins Wasser zurückgekehrt und Krebse geworden, endlich sind sie wieder an Land gegangen und Landkrabben geworden; die Natur ist geduldig. Im Wasser leben die größten Formen, scheinen aber zu stagnieren; die Insekten halten sich klein, variieren und nuancieren sich jedoch reicher; die Krebse hätten sich also doch vielleicht bedenken sollen.

Die Gliedertiere sind fast eine ganze Zoologie für sich. Kann man etwas in der Seele finden, das man mit ihnen gemein zu haben glaubt, kann man sich an etwas von ihnen erinnern, kann man mit ihnen leben? Die Krebse umfaßt man wohl noch mit derselben unheimlichen Breughelstimmung wie alles andere gegliederte und vielbeinige Gewürm, sie gehören der Unterwelt an; an den Namen des Krebses knüpft sich die Vorstellung von der gefürchtetsten aller Krankheiten.

Die Welt der Insekten steht uns näher, ist uns aber in geistiger Beziehung eine sicher völlig fremde Welt, eine ungedeutete, unaufgezeichnete Sprache, obwohl wir die Luft, die wir atmen, zuweilen das Bett, mit ihnen teilen. Eine Irritation, die in keinem Verhältnis zu der Bagatelle steht, welche ihre Ursache ist, dürfte erschöpfen, was die meisten den Insekten gegenüber fühlen. Ein Insekt zu zertreten, ist unsere erste Eingebung, unsere nächste, zivilisiertere, es in einer Sammlung aufzuspießen. Die Insekten haben es in bezug auf Größe nicht weit gebracht, dafür sind einige giftig, aber an Artenreichtum und Zahl machen sie sich geltend, erkratzen sich Aufmerksamkeit auf Erden, unvermindert mitten in einer Kulturzeit. Wer weiß, ob das Zeitalter der Insekten vorbei ist? Wenn die Säugetiere und der Mensch ausgelebt haben, können die Fliegen die Majorität erlangen, wie man auf jedem Aas sieht, die zusammengesunkenen Großstädte werden vielleicht nichts beherbergen als Hundertfüßler, Wespen und Ameisen; und wozu sie sich, allein auf dem Erdball geblieben, mit Äonen vor sich, aufschwingen können, das kann man nicht wissen; fragt den Zukunftsexperten H. G. Wells!

Auf primitive Lebensformen geht der Ursprung der Insekten zurück, aber sie sind außerordentlich hoch spezialisiert, kurios, ein Extrem, ohne auffallende Verwandtschaft mit anderen Entwicklungsformen und anscheinend ohne Möglichkeit, noch eine andere Richtung einzuschlagen, als die Natur hier getan, eine Eigenart im kleinen, hoch verfeinert, und eine verschlossene Welt für andere. Die Insekten bleiben in ihrer eigenen merkwürdigen Kleinwelt.

Auf einer frühen Stufe machten sich die meisten Insekten zu Fliegern, Beherrschern der Luft; sucht man ein Gleichnis für den eleganten Aeroplan, den man jetzt in der Luft sieht, aber doch nicht länger als ein Dutzend Jahre gesehen hat, so spricht man von der Libelle. Sie war Flieger, der Typ eines Fliegers, schon in der Jurazeit, vor mehreren Erdperioden!

Der Formenreichtum der Insekten zeugt von den unermeßlichen Zeiträumen, die sie beeinflußt haben; die außerordentliche Variation spricht davon, daß die Entwicklung mit einem besonders plastischen Material zu arbeiten gehabt hat, mit fließenden, leicht zu beeinflussenden Formen, die bereit waren, in neue – innerhalb der Insekten erlaubten Begrenzung – überzugehen. Daß die Arten jetzt festliegen, ist vermutlich nur rein scheinbar, wie das Stillstehen des kleinen Zeigers der Uhr; der Eindruck, den wir von den Arten haben, ist innerhalb eines Zeitmaßes so kurz, daß er, mit dem Zeitvorrat der Entwicklung gemessen, rein stationär ist. Ein Blick auf die Arten sagt, daß sie sich auseinander variiert haben müssen, Wespen und Bienen bezeichnen in die Augen fallende Verwandte mit ein und derselben ursprünglichen Stammform; eine Käfersammlung hinterläßt den Eindruck einer Grundform, die sich verkleidet, umgefärbt und groß und klein gemacht hat, tausend Variationen von ungefähr demselben Getier, aber immer ein »Käfer«.

Die Metamorphose der Insekten – das Wort wird hier gebraucht, weil mit dem Begriff Verwandlung der Übergang von einer Art in die andere, die Entwicklung des Individuums von der Larve durch das Puppenstadium zum vollwertigen Insekt gemeint ist – spiegelt zweifellos die ganze Entwicklungsgeschichte des Insekts auf ähnliche Weise, wie der Fötus bei den höheren Tieren die Abstammung der Art in einer Verkürzung wiedergibt. Auf analoge Weise, denn eine genaue Parallele ist es nicht – die Metamorphose der Insekten hat etwas Fernes, Unklares, es ist, als wollten sich die Verhältnisse dabei nicht in den Brennpunkt bringen lassen; aber man ahnt einen Zusammenhang.

Aus einer Raupe wird ein Schmetterling; die Raupe ist kein Wurm, und doch weiß man, daß das Insekt als nackter Wurm begonnen haben muß und sich durch eine lange Gliederreihe zum Insekt umgebildet hat. Vergleicht man die Metamorphose der Insekten mit dem Larvenstadium der Krebstiere, so erhält man auch einen Eindruck davon, daß die Insekten ursprünglicher und gleichzeitig höher entwickelt als die Krebstiere sind.

Bei den Insekten mit unvollständiger Metamorphose erfolgt die Umformung gradweise durch mehrere Hautwechsel, bei denen aber mit vollständiger Metamorphose findet die endgültige Veränderung im Puppenstadium statt, ein Prozeß, bei dem eine Reihe Zwischenglieder sozusagen übersprungen oder verhüllt werden; so bei den Schmetterlingen, den am letzten und höchsten entwickelten Insekten, hier kommt das geflügelte Insekt fertig und ausgewachsen aus der Puppe hervor; auf irgendeine Weise durchläuft das einzelne Individuum also nicht allein die Entwicklungsgeschichte der Art, sondern die der ganzen Klasse, wie, kann man nicht verfolgen und ist nicht aufgeklärt. Wenn die Larve sich verpuppt hat, bildet sich in verhältnismäßig kurzer Zeit ein weit verschieden organisiertes Geschöpf in seiner Haut, durch eine völlige Auflösung und Umlagerung des Gewebes, das ganze Tier ist übergangsweise ein Chaos von Zellen, »materiengleich«; die Gesetze für den Prozeß und das Wachstum wohnen diesen Zellen inne, ohne daß man sie sich im übrigen erklärt hat. Es scheinen andere Wachstumsgesetze zu sein als die, welche man aus dem Fötuszustand bei höheren, dem biogenetischen Gesetz folgenden Tieren kennt, vielleicht ist es dasselbe, aber der Modus ein anderer. Die Entwicklung, die sonst im Ei stattfindet, erfolgt im Larvenstadium, der Sprung auf die neue Stufe im Puppenstadium; hier sind alle Übergänge, ist das Entwicklungsbild irgendwie befriedigt, entzieht sich jedoch der Beobachtung. Mit dem aber, was man dann früher oder später erfährt, kommt man kaum um die Erklärung herum, daß man in der Larve das Spiegelbild eines Anfangsstadiums hat, das zu den Würmern, zu irgendeinem Ausgangspunkt unten beim Gewürm zurückführt. Von der Mannigfaltigkeit und von den Fortschritten der Natur, ihren unendlichen Hilfsquellen, ihren Verschiedenartigkeiten in der Methode und ihrer Spontaneïtät erhält man einen starken Eindruck, wenn man der Welt der Insekten gegenübersteht. Die Entwicklung ist hier gleichsam über die Entwicklung hinausgegangen, ist aber doch Entwicklung, nur verhindert etwas Wesensfremdes eine einfache Anschauung dessen, was doch in sich selbst große Geheimnisse bergen kann. Die Welt der Insekten ist anders, wir können sie nicht verfolgen, und doch treffen wir uns mit ihr auf einer Urstufe, beim Wurm.

Aus der blinden, gliederlosen »Made« wird ein völlig fertiges, geflügeltes Insekt, ein Spielwerk, ein Ton in der Luft; die Kunst der Entwicklung, ihre Wege und Umwege, die Geschichte der Erde, liegt dazwischen. Kein schöneres Bild vom Aufstieg des Gewürms aus einem ans Wasser gebundenen Dasein zu Luft und Sonne gibt es als die Geburt der Libelle als Insekt an einem Sommertage, wenn man das Glück hat, es in den Torfgruben zu sehen: die Larve, die an einem Halm hinauf kriecht, unwiderstehlich aus einem Element ins andere getrieben, die Larvenhaut, die gesprengt wird, und das geflügelte, noch schlaffe und matte Insekt, das herauskriecht, die Sonne, die die Farben entzündet, die Flügel, die sich entfalten und zu wie in Feuer geschmiedeten Tragflächen werden, endlich der fertige Flieger, der in Sonne und Tag hinausknistert, vollkommen fertig, zu einem Sommer, der vollkommen fertig für ihn bereit ist.

Die Metamorphose der Insekten, ihre Stadien, hängen mit den Jahreszeiten zusammen; des Sommervogels Leben ist an den Sommer geknüpft, das liegt im Namen, das Puppenstadium benutzt der Sommervogel zum Überwintern. Sein Wachstum verlegt er ins Larvenstadium, aber das eigentliche Leben in höherem Sinne, Fortpflanzung und Flug, beschränkt sich auf die warme Jahreszeit; der Schmetterling kennt nur Sommer, gehört in den Sonnenschein, eine Seele aus Licht und Wärme, an ihn denken, heißt an den Hochsommer denken; es ist, als führe das entwickelte Insekt seine eigene Zeit, eine entschwundene, wärmere Erdperiode mit sich. Die Schmetterlinge sind mit den Blumen zusammen in einer frühen Tertiärzeit entstanden, in der reichen jungen Zeit, als auch Laubbäume die Erde zu bekleiden begannen und die Säugetiere im Entstehen waren; Neugeschaffensein und Kindheit, ein sorgloses Flattern, das knüpft sich an die Schmetterlinge, sie gleichen geflügelten Blumen. Mit den Schmetterlingen kommt ein Frühling auf die Erde.

Ja, denn die Jahreszeiten kommen, ein nordischer Klimawechsel im Laufe des Jahres beginnt sich in dieser Periode geltend zu machen, sei es nun eine Phase in der Abkühlung der Erde oder eine rein lokale Schwingung in der Temperatur, Winter prägen das Geschöpf, und zwar in einer neuen, sehr bedeutungsvollen Richtung; die warmblütigen Tiere beginnen sich aus dem Reptil zu bilden, heizen inwendig ein, um sich von der Temperatur der Umgebung unabhängig zu machen; die kalten Kriechtiere sind auf dem Wege zu Säugetieren und Vögeln; darüber später mehr.

Die Entwicklung vom Wurm zum Insekt hat der Schmetterling in frühen heißen Zeitaltern beendet, aber in seinen Stadien bewahrte er eine Fähigkeit, spätere verschlechterte Bedingungen zu überleben, als die Jahreszeiten Sommer und Winter trennten. Insekten mit vollständiger Metamorphose leben natürlich auch in den Tropen, wo sie, jedenfalls so gebieterisch notwendig, keiner Überwinterung bedürfen, obwohl die Regenzeit ebenso hart für sie sein kann wie die Kälte; unter nördlichen Breitengraden wäre es den Schmetterlingen ohne ihre Fähigkeit, als Puppen zu überwintern, unmöglich zu leben. In den Stadien des Schmetterlings hat man also das Beispiel für eine Anpassung, die gleichzeitig die Entwicklungsgeschichte des Insekts und die Veränderungen auf dem Erdball spiegelt.

 

Die Insekten erwarben die Flugfähigkeit lange, lange, ehe je ein Vogel oder eine Flugechse sich in der Luft gezeigt hatte – wie kann das zugegangen sein? Bezüglich der Vögel hat man eine überzeugende Erklärung, sie haben sich aus Kriechtieren entwickelt, die sich allmählich Schwungfedern an den Armen, umgebildete Schuppen, erworben haben; eine Zwischenform, der Arkaeopteryx, berühmter als jeder adlige Stammvater, ist bekannt; hierüber anläßlich der Vögel. Aber die Insekten? Auf den Versuch einer Erklärung bin ich in der Literatur nicht gestoßen. Ein Umstand fällt jedoch in die Augen, der den Weg für eine Hypothese bahnt: die geringe Größe und relative Leichtigkeit der Insekten, das Gewicht, die Schwere bindet sie nicht in dem Maße, mit dem wir zu rechnen gewohnt sind, an die Erde; ein Mensch verträgt es nicht, aus einer Höhe, die die Länge des Menschen einige Male übersteigt, zu fallen, ein Insekt kann ohne den geringsten Schaden aus jeder beliebigen Höhe fallen. Die Muskelkraft der Insekten im Verhältnis zu ihrer Größe übertrifft die des Menschen viele Male, ein Mistkäfer kann ein Gewicht bewegen, das dem entspräche, wenn ein Mensch ein Haus verrückte. Die geringe Größe hat in rein statischer Beziehung bedeutende Vorteile. Hierzu kommt, daß die Entwicklung von Flügeln wahrscheinlich sogar bei Insekten der geringsten Größe stattgefunden hat, was überhaupt fast immer für die Variationen innerhalb des Tierreichs gilt; die kleine, unbeachtete Form ist es, die sich verwandelt, die großen sind fest, von Rücksichten gebunden, sie sind »fertig«. Es gibt Fliegen, so klein, daß man sie fast nicht sehen kann, aber voll entwickelt, mit Flügeln und allem, sie hängen fast von selbst in der Luft wie Flocken oder Staubkörnchen; man kann sich das Insekt im allgemeinen flügellos denken als eine vom Luftzug entführte Milbe; dadurch, daß die Milbe sich mit den Beinen vorwärtsrudert, tritt der »Reiz« ein, den das Gewebe stets mit der Entwicklung oder Sonderentwicklung eines Gliedes beantwortet, ein besonderes Gliederpaar ist in Funktion getreten, hat sich abgeflacht wie ein Paar Ruder, oder es sind Schuppen, die sich umgebildet haben, die Flügel der Insekten sind ja doch verschieden – aber jedenfalls Flügel sind im Werden begriffen. Das Wachstum kommt dann später; aus einem winzig kleinen schwebenden Würmchen einen verhältnismäßig so schwerlastigen Flieger wie den Maikäfer zu machen, ist die geringste Kunst der Natur, mehr eine Multiplikationsaufgabe als ein Wunder.

 

Die Welt der Insekten ist ein Wunderland, merkwürdiger als alle, die Swift erfunden. In einem gewissen Stadium seines Lebens ist man Sammler, im Knabenalter, gerade, wie man sich eine Zeitlang Höhlen gräbt oder Pfeil und Bogen führt wie ein Indianer; sollte das Interesse für Käfer und Gewürm eine Daseinsstufe spiegeln, in der die Menschen sie suchten, um sie zu essen, wie der Australier es noch tut? Die Entomologen bleiben in diesem Fall Wurmesser aus Instinkt, sie sind glückliche Fänger, man sieht sie zuweilen im Sommer mit ihren Ketschern und Gläsern und sehnt sich zurück nach einer Welt, in die man einmal Einblick gehabt und die sich seitdem nie ganz verschlossen hat.

Die Insektenkenner sind oft leidenschaftliche, unversöhnliche Leute, der unermeßliche Umfang ihres Wissens, den der Stoff bedingt – die Insektenwelt ist die reichste und verbreitetste von allen – läßt ihnen nur geringe Geduld mit dem Laien. Die lateinischen Namen der Insekten verleihen dem Entomologen eine sprachliche antike Distinktion, die einen Dolmetscher erforderlich machen kann, wenn man sich seinen Gebieten nähern will. Der Laie und der Barbar ihrerseits schätzen die Insektenwelt, wie man es von ihrem Horizont erwarten kann, für das allgemeine Bewußtsein fallen die Insekten rundweg unter den Begriff Ungeziefer. Was klein ist, sticht weniger in die Augen als Torfmieten und Windmühlen; eine überwältigende Masse wird sich jedoch bemerkbar machen, wie zum Beispiel auf einer biblischen Stufe die Heuschrecken; die Fliege setzt sich selbst dem stumpfsten Beobachter auf die Nase; beißende oder stinkende Wesen werden beobachtet, und man merkt sich, daß sie Beine haben.

Die schöne Literatur, Ästhetik und Poesie, hat ihrer Bilderwelt eine begrenzte, fein abgeschmeckte Auswahl von Insekten einverleibt. An der Spitze natürlich, und mit Recht, den Schmetterling, wie in der Botanik die Rose. Nützlich und populär war die Biene bereits von alters her, sie sowohl wie die Ameise sind Sinnbilder des Fleißes. Die Elfenwelt, eine Ausgeburt der volkstümlichen, mythenbildenden Phantasie, entleiht einiges von der Ausstattung ihrer luftigen, diminutiven Märchensphäre von den Insekten: Glanzflügel und zarte, unternatürliche Größe; Psyche, die griechische Göttin, deren Name auf die Seele übertragen ist, hat Schmetterlingsflügel. Umgekehrt hat die Sprache der Mythe Vorstellungen und Namen an Insekten abgegeben, zum Beispiel nennt man ein gewisses Entwicklungsstadium das Nymphenstadium. Eine Mistkäferart, die in den Mittelmeerländern lebt, der Skarabäus, wurde von den alten Ägyptern zu einem göttlichen Symbol erhoben; er existiert häufiger in künstlerischen Wiedergaben, als man lebende Insekten sieht. Die Saga der Seidenraupe!

Bienen, Ameisen, Wespen und Termiten haben bemerkenswerte soziale Versuche gemacht, führen geordnete Gesellschaftsverhältnisse durch, lange, ehe der Mensch daran gedacht hat. Ameisenhaufen, mit einer weitgehenden Arbeitsteilung, eingreifend sogar in das Körperliche der Individuen, und etwas von einem Staatshaushalt, haben in vorhistorischer Zeit in denselben Territorien gelegen, wo unsere Stammväter in primitiven Familienhorden umherschweiften, auf einem niedrigeren Standpunkt, als wir ihn von den allerrohesten, grunzenden Wilden kennen. Wenn der Pygmäe in Afrika einen Termitenbau besteigt, besteigt er eine Stadt, eine Kulturstufe, die seine Rasse nicht erreicht hat und kaum je erreichen wird.

Man hat sich aus diesem Anlaß zahlreiche Vermutungen aufgestellt bezüglich der Geistesgaben der Insekten. Braucht Staatsbildung geistige Anstrengung, bewußte Pläne vorauszusetzen? Die bloße Anzahl, viele, die ein und dieselbe Lebensweise haben, das genügt – ein Schwarm, der trotz allem zusammenbleibt und die Folgen auf sich nimmt, hat in sich die Elemente zu einer Gemeinschaft, sei es nun in der Welt der Ameisen oder in der der Menschen.

Die Anpassung innerhalb eines Schwarms, Organisation und Arbeitsteilung, stellen sich von selbst ein, sind etwas ebenso Unwillkürliches wie die natürlichen Reflexe, die die Glieder bewegen; man erinnere sich, daß jedes lndividuum, selbst die Ameise, schon ein Zellenstaat mit einer weit getriebenen Organisation ist. In den Reflexen, dem unwillkürlichen, zum Ziele führenden Gebrauch der Glieder, übertrifft der Mensch weder den Bären noch die Fledermaus. Für Massenwirkung scheint es in der Natur ein Gesetz zu geben, wohl ein ähnliches von der Notwendigkeit diktiertes Wachstumsgesetz wie das, welches sich auf einem einfacheren Gebiet äußert, wenn eine Bohne dieselbe Form wie eine Niere hat: Wachstum, Platz und Funktion müssen unter analogen Verhältnissen Formen ergeben, die einander gleichen. Der Kern der Walnuß gleicht einem Gehirn, beide haben Hemisphären und Loben; Erweiterung innerhalb desselben Raums, in einer harten Schale, ergibt dasselbe Resultat. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Versicherungswissenschaft eröffnet einen Einblick in das Prinzip der Entwicklung, einen notwendigen Ausfall eines Komplexes von Momenten, die an sich zufällig und sinnlos sind.

Aus vielen Wesen zusammen bildet sich spontan, durch Druck und Umformung, eine Gemeinschaft.

Daß die menschliche Gesellschaft errichtet wurde, ist kein Verdienst der Menschen, sie hat sich von selbst errichtet. Das Verdienst kommt erst hinterher, wenn es gilt, die Gesellschaft zu erhalten. Der Instinkt in dieser Beziehung ist nicht angeboren, er muß erworben werden; die meisten fühlen wohl denselben Vernichtungsdrang der Gesellschaft gegenüber, wie er den edlen Stadtmenschen beseelt, der auf einem Waldausfluge den Ameisenhaufen mit seinem Stock zerstört. Äußere Anlässe, Anwachsen der Bevölkerung, sind die Ursachen der Gemeinschaftsbildung; und äußere Anlässe, eventuell Fesseln, dienen am besten dazu, das Individuum im Rahmen der Gemeinschaft festzuhalten. Erst wenn die Arbeitsteilung die Individuen umgeprägt hat, ordnen sie sich von selbst der Gemeinschaft unter, denn dann können sie nicht mehr ohne sie leben. Eine unheimliche Härte, an der niemand schuld hat, eine Trauer in der Natur darüber, daß sie ihr eigenes Bild niederreißt; die Not des Geschöpfes hängt an diesem Problem. Nicht alles, was sich gruppiert, ist ein Gesangverein!

Was endlich das Geistesstadium der Insekten betrifft, insofern als es möglicherweise unser eigenes auf einer sehr frühen Stufe beleuchtet, so spricht man bekanntlich von dem hoch entwickelten Instinkt der Insekten und verhüllt damit etwas, für das man keinen wirklichen Ausdruck hat.

Die Insekten, die sich so weit abseits in einer Seitenlinie, fern von der Hauptstraße der Schöpfung, spezialisiert haben, können sehr wohl im Besitz von Verstandesformen sein, die wir nicht kennen und denen zu folgen uns die Organe fehlen, die aber weit genug für die Praxis der Insekten reichten, Ausschläge ererbter Richtungen in einer inneren Zentrale; experimentelle Untersuchungen, die man mit Insekten angestellt hat, geben eine Vorstellung von einer gewissen inneren Mechanik, einem Tropismus, der ihrem Benehmen entspricht. Ratio hingegen, in menschlicher aktiver Bedeutung, Überlegung von innen her, kann man Wesen mit einem so verschiedenartigen Nervensystem wie den Insekten kaum zubilligen.

Eine Art Bewußtsein haben sie doch wohl – aber was versteht man unter Bewußtsein? Die meisten voll entwickelten Menschen mit einer modernen Gehirnkapazität haben keines, sie arbeiten, sind in Bewegung gesetzt, gebrauchen sich, sind sich aber, in abstraktem Sinne, kaum bewußt; für den ganzen Menschen sind Gedanke und Funktion eine Identität. Der introspektive, mit freiem Bewußtsein ausgestattete Mensch ist eine Varietät für sich. Das Bewußtsein als die Summe innerer Erfahrung, auf das Dasein angewandt, kann für alle lebenden Wesen gleich, ein konstanter Wert sein, wenn auch der Umfang verschieden ist, man ist und man vollbringt sich, ein Prozeß, der nicht bewußt zu werden braucht. Man kann nicht sein eigenes Schattenbild im Profil an der Wand sehen, denn wenn man sich ihm zuwendet, ist es fort, das ist die Regel für normales Bewußtsein, es verflüchtigt sich beim Handeln. Direktes spekulatives Denken hingegen ist ein Satz von Spiegeln in der Seele, ein neues Bestreben, das den Menschen über seine Art hinausgehoben hat. Bewußtsein aber in elementarer Form ist wohl nahezu eine allen Geschöpfen gemeinsame Qualität.

Man kann das am Laufkäfer sehen, wenn er durch das Gras dahineilt, er hat eine Beschäftigung, er läuft Hals über Kopf, in bezug auf Initiative und Temperament ist er uns nicht fremd.

Etwas wie ein Gefühl, eine Leidenschaft, eine innere Bewegtheit, scheinen uns die Insekten zuweilen an den Tag legen zu können: Die Larve, unmittelbar, ehe sie sich verpuppt. Sie ist unruhig, sie wandert, hat ihre Ernährung abgeschlossen, und andere Dinge drängen; sie ist »nervös«, ein tragisches Fieber teilt sich von ihr dem Beobachter mit, fast wie wenn eine Frau gebären soll; und das Mysterium steht ja auch unmittelbar bevor, durchgreifende Dinge gehen im Innern der Larve vor, eine kosmische Unruhe, sie muß sich verpuppen! Legt man ihr Hindernisse in den Weg, um sie zu prüfen, so entfaltet sie eine Energie der Verzweiflung, wie eine große Nachtschwärmerlarve, die unter ein Glas auf dem Fensterbrett gesetzt wurde, nachdem sie sich in einer Streichholzschachtel zu verpuppen begonnen hatte; jetzt sollte sich zeigen, was sie unternehmen würde. Solange es hell war, wanderte sie rings am Glase entlang, ohne zu entdecken, daß es sie im Kreise herumführte, am Morgen aber war sie bereits in einem Gewebe von Spänen verborgen, die sie aus dem Fensterbrett, tief durch die harte Farbe hindurch herausgebissen hatte! Das Geräusch des Beißens hörte man durch die ganze Stube, während sie sich fertigmachte. Mit einer Drahtzange ein solches Loch in hartes Holz zu graben, würde ein Stück Arbeit sein; die Larve raspelte das Holz, Splitter für Splitter auf und wob sich eine Hülle davon; vor dieser Larve bekam man Respekt! Selbst ihr Gefängnis macht sich die Natur zunutze, wenn sie muß. Energie in der Verfolgung eines Ziels, Leidenschaft ist dem Gewebe angeboren, in ihren Äußerungen erkennen alle Geschöpfe sich wieder.

Sonst geht für eine nüchterne Betrachtung die Psyche der Insekten nicht weit über den elementaren Ernährungs- und Selbsterhaltungstrieb hinaus. Kommt man mit einigen Käfern heim, die man unglücklicherweise in dasselbe Reagenzglas gesteckt hat, so wird man bemerken, daß einer von ihnen sich in den Hinterleib des vor ihm befindlichen hineingefressen hat, ohne darauf zu achten, daß ein dritter hinter ihm sich in seinen Hinterleib hineingefressen hat: eine Kette von Tieren, die einander verzehren, ist wohl hier wie anderswo das Höchstmaß der Insektenmoral. Daß die Käfer im Glase, während sie einander verzehren, Gefangene sind, beschäftigt sie nicht, daß die Wände in ihrem Gefängnis durchsichtige Hindernisse sind, geht ihnen nicht auf. Das ist die Höhe ihrer Intelligenz; außerhalb ihres Gebietes sind sie völlig außerstande, eine Beobachtung zu machen oder sich auf sie einzustellen.

Das hindert nicht, daß die Insekten auf ihrem Gebiet Sinne haben können, die wir gar nicht kennen, wie manche glauben.

Aber über die Welt des Getiers hinaus heben ihre Fähigkeiten sie nicht.


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