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Die Nachkommenschaft des Insektenfressers

Unterhalb der Kiesgrube, auf der Landstraße zwischen dem Hügel und dem Moore, liegt eines Morgens eine tote Spitzmaus. Die meisten werden das nur ein paar Zoll lange Tierchen für eine gewöhnliche Maus halten; und die Verwechslung ist vielleicht eben der Grund, daß man sie findet, andere haben sich auch geirrt, die Raubvögel sind auf sie niedergestoßen, oder die Katze hat sie geholt, im Glauben, es sei eine Maus, haben sie aber fallen lassen, als sie ihren Duft erkannten, es ist keine korngenährte, süße Feldmaus, die sie erwischt haben, sondern ein scharfriechender kleiner Raubfresser, dem das Parfüm des Käfers und anderer vitriolhaltiger Insekten aus dem Fell qualmt.

Untersucht man das Tier näher, so wird man denn auch sehen, daß Maul und Zähne anders als bei den Nagern sind, die Spitzmaus hat einen schweinsartigen Rüssel und das ganze Maul voller spitzzackiger Zähne wie eine Alpenkette im kleinsten Format, nicht wie die Maus vier kleine Meißelzähne vom und flache malende Backenzähne hinter einer Lücke im Kiefer; es ist deutlich, daß man hier einem viel ursprünglicheren Tier gegenübersteht. Die Behaarung der Spitzmaus hat auch einen anderen Charakter als die der Maus, sie ist dunkler, mehr samt- und daunenartig, wie Wolle, derselbe Pelz, den man vom Maulwurf kennt, offenbar eine ältere, primitivere Bekleidung als bei anderen Tieren; das Känguruh, ein Beuteltier, das Schnabeltier, ein Kloakentier, die beide dem Kriechtier näherstehen, haben eine ähnliche Haarbekleidung. Man muß an die Daunen von Vogeljungen und die Haarbekleidung, Lanugo, denken, die Föten auf einer gewissen Entwicklungsstufe haben. Auf der Oberseite der Pfoten und am Schwanz ist die Spitzmaus auf eine bestimmte Art und Weise, die man von den Echsen kennt, geschuppt.

Von kleinen Kriechtieren stammen die Insektenfresser ab; und geht man mit der Spitzmaus in der Hand zur Eidechse ins Heidekraut, wo die Lerche singend über uns hängt, so hat man an einer Stelle drei Typen beisammen, die eng miteinander verwandt, aber jede für sich fast bis zur Unkenntlichkeit von den Scheidewegen der Natur gezeichnet sind.

Tragen die Insektenfresser noch vom Kriechtier ererbte Stigmata, so können alle weitverzweigten und weitverschiedenen Geschlechter der Säugetiere wiederum von den Insektenfressern abgeleitet werden, wenn eine Brücke über die in der Erde gefundenen Zwischenformen geschlagen wird.

Die Entwicklung kann sozusagen graphisch, durch das Gebiß nachgewiesen werden: die Tat Winges; seine erste zoologische Arbeit als zwanzigjähriger Student war ein genau durchgeführter Vergleich von den Schädeln der Spitzmaus und des Maulwurfs, ein ganzes Stückchen des Entwicklungswegs, der von den niedrigsten zu den am höchsten ausgebildeten Säugetieren geht, aber eine sichere Methode, denn was für die Dauer geschehen ist, muß notwendigerweise in der minimalen Entfernung zwischen zwei Stationen nachgewiesen werden können. Ein anatomischer Unterschied entspricht genau dem Unterschied in Habitus und Lebensweise.

Um gleich einen lebendigen Eindruck von der erstaunlichen Formveränderung, die die Säugetiergeschlechter durchgemacht haben, von der Plastik der Insektenfressernachkommen zu geben, soll hier eine Anschauungsmythe gewagt werden, in Kürze, um nicht jenseits des festen Grundes der Wissenschaft in den Sumpf zu geraten.

 

Es war einmal ein Insektenfresser, anzusehen wie eine Spitzmaus, aber als Spitzmaus jung, um die Jurazeit. Der bekam einen Wurf Junge, die sich alle in die weite Welt hinausbegaben. Die Spitzmaus hatte das Geschick, fossil, unvergänglich zu werden, und wurde so ein Zeitgenosse ihrer Nachkommen, sagen wir der Einfachheit halber, ein Äon später.

Was war aus dem Wurf geworden? Es war ihnen allen gut ergangen, sie hatten den väterlichen Graben mit Appetit verlassen und sich zu guten Stellungen, wenn auch in sehr verschiedenen Branchen, emporgearbeitet. Als sie fortzogen von daheim, fanden sie, daß ein Käfer ein guter Bissen sei, aber es kann schon sein, daß der Rachen wuchs, die Welt erwies sich als nahrungspendend genug, schließlich konnte man einem der Nachkommen geradeswegs mit Pferd und Wagen in den Rachen fahren; aber das heißt den Ereignissen vorgreifen.

Das erste der Jungen suchte die Insekten in der Luft, es wurde Flieger, Fledermaus, eine Karriere, die nicht so weit vom Ursprung fortführte, wie man glauben sollte, an Größe blieb man bei dem bescheidenen Mäusemaß; einem von der Familie gelang es zwar, an Größe einem Hunde verglichen zu werden, wenn auch einem kleinen Hunde, er war Fruchtfresser geworden und hatte seinen Aufenthalt in der Luft genommen. Er wurde also der, welcher bei der großen Säugetierrevue, bei der die Spitzmaus mit ihrer Nachkommenschaft konfrontiert werden sollte, repräsentierte; er stellte sich fliegend, mit einer Mango im Maul, ein und präsentierte sich als Pteropus, zu Diensten.

Zwei gingen miteinander den Weg des Ameisenfressers, hielten sich an die Erde und den Termitenbau, den guten alten Insektengeschmack, mit reichlich Ameisensäure und Scheidewasser im Maul, sie bekamen Wurmzungen und Röhrenmund ohne Zähne oder behielten ein paar Stümpfe, wodurch sie sich den Namen Zahnlücker zuzogen. Die Familie des einen blieb der Ameisendiät treu, der andere wurde Blattfresser – darf man glauben, weil er unschuldig Ameisen in den Bäumen und dabei das Laub mitfraß? Unschuld und ein hohes Maß von Nachlässigkeit prägt diese Familie, die aus triftigen Gründen den Namen Faultiere trägt. Das größte von ihnen, das Riesenfaultier, erreichte fast Elefantengröße, hatte jedoch das Unglück, auszusterben, es konnte daher zur Insektenfresserversammlung nur als Skelett kommen, mit der Aufschrift: Megatherium. Lebend hingegen, mit Bärenkrallen, buschigem Schwanz und einem Kopf wie ein Ibis, stellte sich der große Ameisenbär ein, trotz der Gefahr, wieder heimgeschickt zu werden. Keiner hielt ein solches Geschöpf für möglich, und es lebt so fern in einem unwahrscheinlichen Südamerika, daß es fast wie Lüge klingt, aber es kam, Myrmecophaga tridactyla, wie bitte?

Direkt die Landstraße des Appetits ging ein anderes vom Wurf, wuchs und konnte auf die Dauer nicht bei Käfern bleiben, selbst viele von ihnen genügten nicht, ja, nicht einmal ein Heuschreckenjahr; die Qualität hat auch etwas zu sagen: Fleischtiere, mit Blut im Körper, das ist doch etwas, das nährt! Vogeljunge, Mäuse, kleine Säugetiere von der eigenen Größe, selbst wenn man ein wenig mit ihnen verwandt ist – das ist Mord, aber man wird stark davon, und der Lästerer, dem das, was man tot beißt, leid tut, er hat recht, der Gerechte; wenn man ihn aber im Magen hat, hat man die Gerechtigkeit wohl mitbekommen? Rasch nimmt der Fleischfresser zu und wird um so größer, je kräftigere Tiere er überwältigen kann, am größten der Löwe, der imstande ist, einen Ochsen zu fällen. Majestätisch und mit ruhigen, leicht mit Hirschblut gewichsten Schnurrhaaren stellt der Löwe, Felis leo, sich ein und legt sich, gelangweilt gähnend: Familientage, uff, nichts zum Beißen!

Ein Vetter des Löwen oder ein Vetter achten Grades, sehr weit entfernt, aus der Zeit des Raubtierursprungs, jetzt aber fast vom Stammbaum ausgelöscht, der Wal, der Wal konnte nicht kommen, denn die Versammlung fand auf dem festen Lande statt; aber er schickte den Otter einen Bach hinauf und ließ seine Maße aufgeben, nach ihnen wurden die Umrisse des Seeungetüms auf dem Boden aufgezeichnet, es war natürlich der größte aller Wale, Balaena mysticetus, dreißig Ellen lang, dreihunderttausend Pfund schwer; in dem Umriß fand die ganze Insektenfresserfamilie Platz, reichlich. Ja, rechnet man zehn Spitzmäuse auf ein Pfund – sicher zu niedrig gerechnet – so konnte der Grönlandwal drei Millionen Stück von seinem Stammvater enthalten, wohl eine Zahl!

Einer vom Insektenfresserwurf ging den Nagerweg, eine friedliche Beschäftigung, die äußerlich nicht weiter zu einer großen Umkleidung führte, die Mausgestalt wurde bewahrt, wenn auch stark variiert und an Größe zunehmend; Uneinigkeit herrschte darüber, ob der Biber oder das Flußschwein, die beiden größten der Familie, eingeladen werden sollte, das Flußschwein wohl der ansehnlichste Nager, der Biber aber der berühmteste, das Flußschwein, die Capivara, Hydrochoerus, ein Südamerikaner, der Biber Kosmopolit und sehr beliebt; eingeladen wurde der Biber, Castor fiber.

Mehrere vom Wurf gingen den Huftierweg und breiteten sich in großen, bedeutenden Familien aus, Gras- oder Laubfresser, harmlos und leichtfüßig, fluchtbereit, wenn sie nicht schwer und gewappnet genug wurden, um sich in Respekt zu setzen, die Wiederkäuer, die Dickhäuter, die Paarzeher und Unpaarzeher, wie man sie nun genannt hat. Die Wahl war schwer, denn es konnte wohl nicht von anderen die Rede sein, wenn man nach Größe und Extrem gehen sollte; wer aber wollte auch nicht gern die Giraffe oder den Büffel oder das Nashorn oder den Elch oder das liebe Pferd mithaben? Ein paar Begleiter wollte man dem Elefanten gern geben, nach Adel und Schönheit gewählt, wie zum Beispiel Edelhirsch und Flußpferd; ebenso hätte man wünschen mögen, den Löwen mit einem kleinen Hofstaat zu umgeben, Mungos, Schakal und Katze. Der Tiger ist vielleicht sogar noch grimmiger, noch mehr Raubtier als der Löwe; aber es sollte nun einmal der Löwe sein. Und ebenso wurde es der Elefant, in einsamer Majestät, Elephas maximus.

Ein anderer vom Wurf ging auf die Bäume, und das wurde eine weitläufige Geschichte, denn es endete mit Händen und Greiffüßen und allerhand Künsten, eine weitverbreitete, sehr lebhafte Familie, Lemuren, Paviane, höhere Affen, immer an Größe zunehmend, und einer von ihnen so witzig, daß er auf den Menschenweg einbog, die Bäume verließ und Hinterbeingänger, fortschreitend und gefährlich, klug, allmächtig wurde: Homo sapiens!

Eine Schwierigkeit meldete sich hier, denn von den Menschen sollte ja der Größte, der Mächtigste kommen, die Wahl mußte getroffen werden zwischen einem Ringkämpfer und einem Patagonier. Da man aber auch Rücksicht auf die seelische Kapazität nehmen mußte, die der Mensch so weit gebracht hatte, war man genötigt, vom physischen Eindruck abzulassen, also etwas in der Richtung zwischen einem Herkules und einem Sokrates; ein einzelnes Individuum, das die ganze Art repräsentierte, war nicht leicht zu finden. Unwillkürlich begab man sich in die Geschichte. Der schönste und am reichsten ausgestattete aller Menschen war Alexander der Große, ihn konnte man durch ein Kunstwerk repräsentieren lassen. Aber es konnte Anthropologen geben, die sowohl den historischen wie den heutigen Menschen zugunsten eines Fossils verwarfen, der primitive Mensch hatte vielleicht Fähigkeiten und eine Fruchtbarkeit, die die Menschheit seither zugesetzt hat. Von heute Lebenden sollte der Durchschnittsmensch gewählt werden – aber von wem? In diesem Falle konnte die Menschheit eigentlich nicht ihre eigene Jury sein. Sollte man das Genie wählen? Den Fürsten? Den Arbeiter? In diesem Falle, von welcher Nationalität? Große, bekannte Schwierigkeiten türmen sich auf, und man sieht bereits die Presseleute der ganzen Welt in erbitterter Aktivität, der nächste Weltkrieg am Horizont skizziert. Dieser Krise wird dadurch ein Ende gemacht, daß eine kleine Dame mitten in dem aufziehenden Lärm naht und auf hohen Absätzen in den Kreis unter die auserwählten Repräsentanten der Säugetiergeschlechter trippelt, ein ganz unnervöses junges Mädchen, ohne andere Charakteristik oder Nationalität, als daß sie nach der letzten Mode gekleidet ist, die jetzt auf der ganzen Welt gleich ist; sie wird es.

Der allerjüngste vom Insektenfresserwurf ging bei alledem nicht weit. Er blieb im Graben, rückte vielleicht ein wenig weiter vor bis zu einer andern Ampferwildnis, hielt sich aber weiter an die guten Insekten, Schnecken und Larven; die Jahreszeiten prägten ihn einige Erdperioden hindurch, im wesentlichen aber blieb er unverändert, eine Spitzmaus, wie wir sie noch heute kennen; und als solche kam sie zur Versammlung. Es war gut, daß man einen lebenden, einigermaßen getreuen Repräsentanten des Stammvaters hatte, er selbst war defekt, nur eine Seite eines Unterkiefers, etwas wenig zum Vorlegen zwecks Besichtigung; da trat die Spitzmaus denn vor und wurde das Zentrum eines Gruppenbildes im Vordergrund, mit Radien nach einem Halbkreis von Nachkommen im Hintergrund:

Der große Ameisenbär; das Riesenfaultier im Skelett; der Löwe; der Biber; der Elefant; das Weib des zwanzigsten Jahrhunderts; die auf der Umrißzeichnung des Grönlandwals angebrachte Gruppe; darüber in der Luft der fliegende Hund!

Welches Bild!

Jetzt aber alle Arten, Zwischenformen, Übergangsformen, an einigen Stellen im Habitus an der Grenze der Geschlechter sich einander nähernd, vom Insektenfresser bis zu Fledermaus, Zahnlückern, Raubtieren, Nagern, Huftieren, Walen, Affen und Mensch – ja, das ist die Entwicklung!

 

Die Insektenfresserformen, von denen die Säugetiere abstammen, sind alle klein, von Mäusegröße gewesen; es ist Platz für eine größere Anzahl, solange die Individuen noch klein sind, und die vielen Individuen innerhalb der Art geben den Variationsmöglichkeiten reiches Material zur Einwirkung. Es gehen beträchtliche Ladungen Spitzmäuse in den Raumumfang eines Elefanten, er könnte mehrere Dutzend allein unter seiner Fußsohle bergen, und doch, wenn der Elefant auf die Spitzmaus hinabsieht, sieht er auf seinen Ursprung hinab. Aber die Zunahme an Größe, selbst bis zum Enormen, ist die geringste Kunst der Natur, nicht immer die, mit der sie das meiste Glück hat. Der Elefant ist der letzte seines Geschlechts und wird ausgestorben sein, wenn die Eisenbahn dereinst seine Dschungel umringt hat, die Spitzmaus hingegen findet wohl noch einen Graben oder einen Nesselwald zum Leben und könnte vielleicht die Erde mit vielerlei Tieren, außer sich selber, bevölkern, wenn die Großstädte dereinst wieder Wildnis geworden sind.

Ein Bestreben in der Natur treibt die Tiere in der Größe hinauf, die Auswahl, einer wird groß auf Kosten des anderen, das kleine Tier kann nun einmal das größere nicht verschlingen. Die Größe verleiht Gewicht. Aber sie vermehrt auch in unverhältnismäßigem Grade die Bedürfnisse. Wenn Riesenformen wie die großen ausgestorbenen Säugetiere nicht standhielten, so kam es daher, daß sie sich zu einer Minderzahl fraßen, eine Donnerechse brauchte ein Stück Land zum Leben, das viele tausend kleinere Tiere ernähren konnte. Sie konnten sich nicht verändern, als das Klima ein anderes wurde. Rein statisch gibt es eine Grenze für die Größe der Tiere, die Schwere hält sie auf; nur im Wasser, wo die Gewichtsfülle geringer ist, kann das Wachstum noch ein Stück fortgesetzt werden; man meint denn auch, daß die größten Riesenechsen in Sümpfe versenkte Wassertiere gewesen sind, auf dem Lande haben sie ihr Gewicht nicht schleppen können; die Wale, die größten Tiere, die je existiert haben und die noch existieren, sind ganz und gar Seetiere, zur Fischform zurückgekehrt, obwohl sie das Junge noch säugen, eine nasse Wiege, muß man sagen; der Grönlandwal dürfte mit bezug auf die Größe lebender Tiere auf Erden das Limit der Natur werden. Außer den Ernährungsschwierigkeiten und der gehemmten Bewegung muß die übertriebene Größe sich schließlich wohl auch in anderer organischer Beziehung verbieten. Nervenbahnen und Blutumlauf werden abnorm verlängert, und daß das Bedeutung hat, hat man doch ein wenig beobachtet: der Unterschied größerer und kleinerer Menschen im Temperament! Wie dem auch sei, die großen Saurier starben aus, und die kleinen, unbeachteten Reptilformen von Eidechsen- und Mäusegröße veränderten sich und erbten die Erde.

Daß sie Säugetiere wurden, hing mit einer entscheidenden Verwandlung in zwei Richtungen zusammen. Sie bekleideten sich gegen das Klima, und sie brachten die Vermehrung unter ein neues Prinzip.

Die Kriechtiere legten Eier, wie sie es jetzt noch tun, und überließen es der Sonnenwärme, sie auszubrüten; die Jungen beschäftigten sie nicht, die bekamen sie kaum mehr zu sehen, und die waren voll ausgerüstet, wenn sie das Ei verließen. So ist die Nachkommenschaft der Kriechtiere im Ei von den Nachstellungen anderer Tiere bedroht, die zarte Brut bezahlt einen hohen Zoll, Schildkrötenjunge auf dem Wege vom Sande, wo sie ausgebrütet worden sind, zum Strande gleichen dem Sturm auf einen Schützengraben, nur ein kleiner Prozentsatz entgeht den Seevögeln, Haien und anderen geschworenen Feinden. Der Gedanke liegt nicht fern, daß die Eier der großen Saurier eine beliebte Speise für die kleinen tätigen Kriechtiervögel, die noch Zähne im Schnabel hatten, gewesen sind; während sie die Existenz einer anderen mächtigeren Art in der Wurzel angriffen, ernährten sie sich gleichzeitig!

Aber das Ausbrüten der Eier war wichtiger. Die Kriechtiere waren hier abhängig von Außenwärme, Klima, Breitengrad; und deshalb gehört der Rest der Reptilienwelt den Tropen an; nur wenige Arten haben sich an den Norden gewöhnt, haben aber dann kein Leben außer im Sommer. Vögel und Säugetiere bringen die Eier unabhängig vom Klima durch ihre Eigenwärme zur Entwicklung, die Säugetiere innerhalb des Organismus; und bei ihnen beginnt eine Fürsorge für die Jungen, die die Kriechtiere nicht kannten. Die Tierarten, die die Entwicklung übernahmen, legten den Grund zu einer neuen Naturmoral; zu einer umgekehrten, wenn man will.

Aber die Natur ging nicht gerade, bewußt, aufs Ziel los. Von ihrem Tasten, dem Vonselberfinden der Zweckmäßigkeit kann man sich eine Vorstellung machen, wenn man die zwei noch lebenden Vorzeitordnungen, die Beuteltiere und die Kloakentiere, betrachtet; hier gibt es noch etwas Schwanken und einige Unsicherheit in der neuen Vermehrungsweise, Versuche, die die Natur später verlassen hat.

 

Von den Kloakentieren, wie man sie mit einem übellautenden Namen, den sie nicht verdienen, genannt hat, kennt man zwei Arten, merkwürdige Geschöpfe, das Schnabeltier und den Ameisenigel. Sie legen noch Eier, haben aber angefangen, die zarten, unvollkommenen Jungen zu ernähren, eine primitive Form des Säugens; ausgesprochene Saugwarzen gibt es noch nicht, eine Ernährungsflüssigkeit wird aus einer begrenzten Partie der Haut selbst am Bauche abgesondert. Man kann sich denken, daß die Jungen zu einem noch früheren Zeitpunkt an der ersten besten Stelle der Mutter sogen, am natürlichsten am Bauchfell, wo die Mutter ihnen Schutz gibt. Wo gesaugt wird, tritt etwas aus; wo beschützt wird, gibt es ein Versteck; die Saugwarzen, der Beutel entstehen.

Schnabeltier und Ameisenigel haben in ihrem inneren Bau noch Züge, die zu den Kriechtieren führen; außer dem Umstand, daß sie Eier legen, erinnern sie auch in ihrer niedrigeren organischen Temperatur an die Kriechtiere. Mit den Vögeln haben sie insofern Analogien, als auch die von den Kriechtieren gekommen sind, aber sie haben nicht die Abstammung gemein, der »Schnabel« des Schnabeltiers hat nichts mit dem der Vögel zu tun. Das Schnabeltier ist ursprünglicher als der Ameisenigel, sie sind sehr verschieden, haben sich jedes für sich verändert, seit sie vorzeiten den Ausgangspunkt mit gemeinsamen, ausgestorbenen Urvätern teilten. Das Schnabeltier hat keine Aufbewahrungsstätte für das Junge am Bauche, das hat der Ameisenigel, eine Anlage, die auf die nächste Entwicklungsstufe der Säugetiere hinweist, es birgt das Ei und später das säugende Junge in einer primitiven Hautfalte unter dem Bauche. Über alles, was die Kloakentiere betrifft, bringt die neue Ausgabe vom Brehm umfassende Aufklärung.

Der Ameisenigel, Echidna, ist merkwürdig auch dadurch, daß das Tier, wie der Name andeutet, Züge von Tieren entliehen hat, die sonst nicht im geringsten mit ihm zu tun haben, von einem Ameisenfresser, zu dessen röhrenförmigem Maul und Wurmzunge es ein Seitenstück hat, und vom Igel, dessen Armierung er nachahmt, er lebt von Ameisen und schützt sich passiv, indem er dornig ist. Die Natur erreicht dasselbe auf demselben Wege, selbst mit verschiedenen Ausgangspunkten. Die Beuteltiere führen den Brauch des Ameisenigels weiter und bilden einen richtigen Fötusbeutel aus, einen äußeren Mutterleib, in dem das lebendig geborene, aber noch unausgetragene Junge angebracht und ernährt wird, bis es ausgewachsen ist und allein fertig werden kann. Nicht alle ursprünglichen Beuteltiere hatten Beutel, auch nicht alle heute lebenden, das System ist auf verschiedene Weise entstanden, hat keine innere Notwendigkeit.

Eine südamerikanische Lurchart, die Pipakröte, »brütet« ihre Eier aus und bringt die Jungen innerhalb ihres Organismus zur Entwicklung, indem sie die Eier auf den Rücken schiebt, wo Gruben um sie herum wachsen; hier vollbringen die Jungen die Verwandlung und werden »geboren«, wenn sie fertig entwickelt sind, eine Methode, die doch wohl als ein Versuch der Natur betrachtet werden kann, das Problem der Fötusentwicklung im Mutterleib zu lösen, wenn die Methode auch eher an eine Fontanelle erinnert; auf einer höheren Entwicklungsstufe gab das Geschöpf den Bauch her, und das erwies sich als zukunftsreicher. Eine spezielle Auswahl und ein immer intimerer Anschluß zwischen Muttertier und Jungem machte zuerst das Beuteltier, später den Insektenfresser zum Favoriten. Eine Gelegenheit zur Beurteilung der Stufen hat man in der isolierten Stellung der Beuteltiere.

Das typische Bild eines vollentwickelten Beuteltieres ist das Känguruh, bei dem Kopf und Vorderbeine des Jungen zum Beutel herausgucken, wie ein Tier, das sich durch Knospung vermehrt hat; wenn das Alte sich vorbeugt und grast, grast das Junge mit, eine reizende Vereinigung von Mutter und Nachkommen, die die alten Ägypter wohl zu einem Symbol der Fruchtbarkeit und Mutterliebe gemacht haben würden, hätten sie das Känguruh gekannt. Aber Fortschritt und dauernder Platz in der aufsteigenden Linie der Säugetiere blieb dieser Tierart dennoch vorenthalten. Die Beuteltiere wie auch die eierlegenden Halbsäugetiere mit dem häßlichen Namen sind in Australien, Tasmanien und Austral-Asien daheim, die Beutelratte, das Opossum, in Amerika. Gegen Ende der Zeit, die man die Reptilienzeit nennen könnte, wurde das australische Festland so weit von den übrigen Weltteilen getrennt, daß das Tierleben hier seine eigenen Bahnen verfolgte und sich seither nicht wesentlich veränderte. In der übrigen Welt hingegen, wo das Beuteltiersystem auch übergangsweise herrschte, wie die fossilen Funde zeigen, führte der Hauptweg der Entwicklung in andere Bahnen. Der Grund des Unterschiedes ist vermutlich darin zu suchen, daß die Lebensbedingungen in Australien sich relativ unverändert bewahrten, während sie in der übrigen Welt verschiedene geologische Umwälzungen und Krisen durchmachten, die die Tierrassen zwangen, sich umzubilden. In der Konkurrenz mit den neuen Formen gingen die Beuteltiere unter, nicht dagegen in Australien, wo sie die Entwicklung für sich allein hatten; in der übrigen Welt setzten sie sich in anderen, vollkommeneren, jedenfalls, wie das Resultat gezeigt hat, zweckmäßigeren Formen fort. Es fällt in die Augen, daß alle Halbsäugetiere im wesentlichen tropische Formen sind; zur Anpassung an gemäßigte oder kalte Zonen eignet sich das Beutelsystem ja auch nicht. Bei der Verfolgung ist der Beutel mit einem Jungen darin nicht praktisch; mehr als eins kann er wohl nicht enthalten. So hatten die Beuteltiere außerhalb ihrer geschützten Gebiete auf der entlegenen Festlandsinsel weniger Möglichkeiten als die Insektenfressersippschaft, die sich aus ihnen entwickelte, mit dem Nest voller Jungen mehrmals im Jahre, einem neuen Schwangerschaftssystem und größerer Widerstandskraft gegenüber Härten im Klima. Merkwürdig ist es aber, zu sehen, wie sich die Beuteltiere innerhalb ihrer versperrten Welt und mit Beibehaltung des primitiven Systems in sozusagen all' die gleichen Lebensstellungen verzweigt haben, wie wir sie aus der späteren Tierwelt kennen, in dieselben Berufe; die Natur scheint eine gewisse Anzahl von Rollen zu verteilen zu haben und nicht mehr. Die vielen Arten der Beuteltiere ahmen ebenso viele Arten der höheren Säugetiere nach, ein Verhältnis, das auch, ursprünglich wohl auf der Anschauung der Einwanderer beruhend, in den Namen der Beuteltiere zum Ausdruck kommt. Man spricht von Beutelmäusen und Beutelratten, Beutelmardern, Beutelaffen, und Beutelbären, sogar von einem in die biblische Zoologie hineinragenden Beutelteufel; eine ausgestorbene Riesenform wird als Beutelelefant erwähnt. Formenreichtum rührt von homologer Anpassung her; die Beuteltiere haben die Lebensweise der Insektenfresser und der Raubtiere sowohl wie der Nager, teilweise der Huftiere, ja der Ameisenfresser und der Flattertiere und etwas von ihrer Gestalt unter sich verteilt, wenn sie auch Beuteltiere sind und bleiben. Die Beuteltiere stammen von gemeinsamen Formen ab, in denen das Gepräge für Tiere derselben Organisation, aber mit weit verschiedener Bestimmung lag.

Während sie daran arbeiteten, die Plätze zu besetzen, drang ein neues System durch, das auf der Bildung eines Organs in einer ganz neuen Richtung, der Plazenta, beruhte, wodurch die Ernährung des Fötus im Mutterleibe fortgesetzt wird, bis das Junge ausgetragen zur Welt kommt, das echte Säugetier. Hiermit sind wir zu den Insektenfressern zurückgekehrt.

Sie werden von den Beuteltieren abgeleitet; von einer besonders ursprünglichen Form unter ihnen, Grymaeomys, meint man, daß sie der Urstammform am nächsten steht, es sind ganz kleine Formen, für ein ungeübtes Auge nicht von gewöhnlichen Mäusen zu unterscheiden.

Aus solchen mäuseartigen Grundformen entwickelten sich die Insektenfresser, wurden verschieden und machten sich ans Wachsen.

Hier soll nun der Kürze und der Anschaulichkeit halber ein Versuch gemacht werden, die Säugetiere und ihre Stadien um drei Leitformen zu gruppieren, die nicht willkürlich gewählt, sondern von der Natur selbst bezeichnet sind, Formen, in denen sie sich gleichsam ausgeruht, sich plastisch gesammelt und zu neuer Entfaltung vorbereitet hat: die »Ratte«, das »Schwein« und das »Eichhörnchen«, halb in wirklichem und halb in abstraktem Sinne.


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