Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Sechste biographische Belustigung

Der Vor-Frühling – Echo-Dreiklang – der Honig-Essig der Widersprüche der Liebe – unsre Armut an Liebe

Der Graf hatte bei Rosneath ein Landgut, dessen Nachbarschaft durch das Echo zu einer Äols-Harfe besaitet ist. Ich wünschte, jeder Leser hätte eine Reise dort vorbei gemacht und das Echo genötigt, ihm zu antworten, antiphonierend aus dem zweiten Chore. Ich versichre jeden, seitdem ich dieses Echo aus den Abendstunden der Madame Genlis kenne, so hab' ich den Kopf zurückgelehnt und die Augen zugemacht – wenn gerade mein Gehirn unter dem Gehirnbohrer der Migräne stand –, um dasselbe gleichsam in die Blumenketten der Phantasie wie in einen Verband zu legen und dem schottischen Nachhalle im Nachhalle meines Kopfes zuzuhören. Es ist nämlich keine gemeine Echo-Repetier-Uhr, wie dergleichen zu Dutzend in den Wäldern stehen: sondern über einen See, den Berge ummauern, wird ein Stück hinübergeblasen, das ein unsichtbares, mit drei Stimmen besetztes Chor dreimal wiederholt – das erstemal schwimmen die Laute wieder zurück, aber in einem tiefern Tone – dann regt sich ein zweites Echo und lallt es wieder nach, aber noch um einen tiefer – endlich redet ein drittes im tiefsten mit dem bezauberten Herzen, und die Wellen des Hauchs glätten sich wieder, und der dreifache Himmel, der sich nacheinander auftat und die Seele in sich zog, ist wieder bewölkt.

Der Graf hatte nur auf den Abschied des Winters gewartet, um auf diesen Landsitz der Nymphe Echo mit einem weiblichen Herzen zu gehen, worin sich ein ähnlicher Nachhall der Molltöne des Menschen und der melodischen Fortschreitung der großen Schöpfung versteckte. Wider die Gewohnheit des Klima hatte schon der 20ste März, der Frühlingsanfang, den ganzen Winter, wenigstens auf einige Tage, ausgezogen und die zusammengelegte Schnee-Envelope oben an die Bergspitzen gehangen oder in die Täler-Schubfächer versteckt. Unter der ganzen Reise hob Lismores Brust noch etwas Allmächtigers als der Frühling – das Vorgefühl des Frühlings. Der poetische Frühling bricht noch früher an als der astronomische, der nur ein mehr blumiger, kühler Sommer ist. Die warmen Tage des Februars brüten die Mücken und unsre Hoffnungen aus dem traumlosen Winterschlafe aus. Unsre versperrte Seele tritt wieder, wie die beschienenen Bienen, schwärmend auf das übersonnte Flugbrett heraus und wirft jugendliche Blicke in die auferstehende Natur. Jeder Tritt verschließt eine mit fetterem Grün bezeichnete Quelle, und die grünen Lebenslinien der Fußsteige, die mit ihrem frühen Grase die entfärbten, eingerunzelten Auen durchschneiden, rastrieren uns gleichsam die mühseligen Gänge des Winters, die Reiseroute trüber Tage vor. – Und gar der März – der ist mein Mai! Der Märzenstaub ist der ökonomischen und der dichterischen Fruchtbarkeit gleich vorteilhaft; dieser Staub ist poetischer Blumenstaub, der bloß aus Keimen von Blumen besteht, oder Schmetterlingsstaub, der bloß das unsichtbare Gefieder an Psychens Schwingen ist. Wahrlich, wenn ich das ganze Jahr an kein Büchermachen dächte: im März müßt' ich mich setzen und einige wenige schreiben. – –

Der Tag, dessen Abend ein Nachhall beschließen sollte, gehörte unter die wenigen ewigen, die Lismore hier hatte. Der Frühling hauchte mit seinem warmen Atem, mit dem Mittagslüftchen, die Saaten an, und der grüne Wuchs des Winters stand aufgedeckt in herunterrinnendem Schnee, und vor der lauen Sonne zerflossen die Gärten in üppige Freuden- und Rebentropfen – und dem Menschen war, als müßt' er sich an die wiederkommende Mutter, die Erde, trunken und mit Kindesarmen hängen. – An einem solchen Auferstehungstage der Natur kehrten alle Träume und Prospekte seiner Jugend wieder zurück in die verödete Brust und die Sehnsucht nach weiten Reisen und die Hoffnung eines tatenreichen Lebens und der – Glaube an Liebe. Er sah gerührt Adelinen an und dachte: ja nach einem so langen Schweigen, nach einer so geduldigen Teilnahme, an einem solchen Tage, wo das Echo mich und sie an das erste Echo erinnert, das unsre Seelen verband, ja da darf ich schon ihre Hand nehmen und sie fragen: »Kennst du denn keine Hand, die dein Auge trocknen kann? Fassest du meine liebende Seele nicht? Liebst du mich nicht unaussprechlich wie ich dich?« – Wenn ihn die an den Scheiben klebenden großen Mücken, die die kühle Nacht zerstört, und das mit gelben Spitzen durchzogne Grün und der magere Halbschatten der skelettierten Bäume und das schneidende, kaltwehende Vorbeigehen des Winters in den Wäldern, wenn alles dieses zu lange Schatten über seinen innern Frühling warf: so schauete er von der kotigen Erde auf zum reinen, blauen Himmel, der ewig mit demselben Angesichte die wandelbaren Menschen im Sommerabend und in der Winternacht ansieht, und auf zur triumphierenden Lerche, die aus blühenden Auen herkömmt und die als der Zeuge unsers vorigen frohen Frühlings, als Chorist alter Frühlingschöre über uns schwebt und die den ewigen Geburtstag der Erde besingt..... Und dann flatterte ja das warme, surrende Lüftchen aus Süden ans Ohr und lispelte, sich auf der Locke wiegend: »Ich flieg' aus Blüten her – ich habe eben mit den Blättern der Myrte, mit der Blüte der Zitrone und mit dem Busengefieder der Nachtigall gespielt und habe einer Göttin das Lockenhaar nachgetragen und es auf die Schulter ihres Geliebten gelegt und bin vorausgeflogen, um dem langsam durch Waldwasser und über Berge schreitenden Frühling vorzueilen.«

– Und was dachte und sagte die gute Adeline in diesen kurzen Wonnestunden aus unserm Lebens-Wonne-Monat, das hier nur 28 Tage hat und nicht, wie die Donnermonate, 31? – Sie sagte zu ihm: »er solle sich nicht an ihre Miene kehren: sie sei in ihrem Herzen recht froh; und werd' es heute immer mehr werden.« – Woran sie dachte? Den ganzen Weg an ihre Mutter, ohne die sie einsam in den ersten Frühling trat; aber der Trauer war durch die Gegenwart ihres Bräutigams poetische Süßigkeit erteilt. Die treue Tochter hielt wirklich den kindlichen Gram für bloße Beklommenheit über die auf den Trümmern eines alten Frühlings in Grab und Wiege abgeteilte Natur. – Da sie mit Leolin mittags unter der Haustüre einer schottischen Bauernhöhle nach Süden blickte und an den Neujahrswunsch dachte, und als sie einen lange bekämpften, vom Auge auf die Wange gefallnen Tropfen nicht verwischen konnte: zeigte sie, eilig weggehend, hinauf und sagte: »Die Dächer tropfen, aber ich muß mir nach einem Tropfen allezeit das ganze Gesicht abwaschen« und tat es auch.

Je mehr der Tag und die Reise dem Ende näher kam: desto höher drang in Lismores Brust eine warme Quelle auf, diese bisher bald strömende, bald stockende Hungersquelle von Tränen, und ging über Eisenadern und füllte seine ganze Brust. Ach! sagte ihm denn nicht jede drängende Blutwoge, jeder sehnsüchtige Atemzug, jeder Lerchenton, jedes verirrte Lüftchen, sagte nicht alles zum bangen Menschen: »Gedulde dich, beklommne Seele, der schöne Frühling wird kommen und dich trösten und sie auch: ach! es fehlt dir nichts als der Frühling«? – – So betört sich der hiesige Mensch, die dunkle Figur auf einem Nachtstück, und jeden Winter sagt er zu sich: »Ach! es fehlt mir nichts als der Frühling.« – –

Abends erreichten beide in der Glorie der Sonne, vom weißen Milchflor ihres Glanzes verhangen, das Landgut. Er wollte sie mit dem Schwanengesange des Echo überraschen und schlug ihr, unter dem Vorwande des schönen Abends, vor, das sogenannte Wasserhaus am See zu besuchen, das nicht mehr als zwei durch eine Glastüre gesonderte Zimmer hatte, eines gegen den Nachhall und Abend, eines gegen Morgen. Er hatte einen Waldhornisten mitgenommen, der auf eine weit in den See wachsende Landspitze treten und das hinter Gebirgen ruhende Echo wie eine Nachtigall, welche Musik hört, zum Schlagen reizen sollte; und es war ihm nicht unlieb, daß die Musik noch nicht anfing. die ganze Erde war ja voll Echo und voll Spiegel, und in jedem Gedanken war ein dreifacher Widerhall des verklungnen Lebens. Er öffnete die Fenster gegen den See, auf dem ein zweiter aus Luftwogen stand, der mit einer wärmern und leisern Brandung über die Fensterbrüstung hineinspülte – und drüben auf den Bergen brannte die Abendsonne wie ein Opferfeuer auf, und ein goldner Rauch zog aus dem Brande um alle Gewässer und Gebirge. Da seine stumme Freundin in die von der Erde an den Himmel gelehnte purpurne Rauchsäule kam, worin einige schlaftrunkne, taube Mücken so lange schwankten und sichtbar blieben, als sie nicht über die Grenzen des lichten Dunstes schweiften, und da die Sonne und das Abendrot ihre bleiche Gestalt zu einer blühenden umschufen aus Glanz und Rosenduft, und da ihre Finger, womit sie sich das geblendete Auge verdeckte, durchsichtig und rosenrot wie Aurorens ihre waren: so kam sie ihrem Freunde wie ein Seraph vor, der an einem großen Frühlingsmorgen auf dem Morgenrote kniet und seine Entzückungen oder Gebete zur Sonne aufschickt und dem der Widerschein des unter ihm glühenden Gewölks und seiner glühenden Seele die Wangen überdeckt. Er mußte jetzt daran denken, wie die Sonne ewig ein jugendlich-glühendes Angesicht auf die Erde richte, indes ein Menschengeschlecht ums andre erblasse vor ihr – wie sie uns gleich diesen Mücken aus unserm Winterschlaf treibe, und wenn sie wieder scheint, sind wir gleich ihnen erfroren. – –

»Wende nicht dein bleiches Angesicht,« (sagt' er innerlich) »du kummervolle Tochter, weg von der Abendsonne – deine flüchtige Vergoldung fällt ab, und du wirst die Erblaßte, die du so lange betrauerst!« – Aber die Sonne ging unter, und Adeline wurde bleich, und da sie sich mit der Blässe, die durch ihre Reise zugenommen hatte, gegen ihn kehrte, weil sie ihn jetzt erst ungeblendet sehen konnte, und da er, der kein zweites Leben glaubte, jetzt mitleidig bedachte, wie diese gute Seele kaum ein erstes genieße: so schwuren alle seine Gedanken in ihm, sie heute mit keinem verklagenden Laute zu kränken – alle Wünsche und Träume dieses guten Herzens schweigend zu dulden – und sich immerfort vorzusagen: »Sieh nur, wie sie leidet, und wie sie gelitten hat – vergilt ihr die überschwengliche Liebe gegen eine, die nicht mehr liebt, nur mit überschwenglicher Liebe und nicht mit Groll. Ach! kennst du die Klagen ihres künftigen Lebens, auf dem die Zukunft wie eine Pechwolke ruht, und kannst du wissen, eh' die Wolke aufzieht, was sie bedeckt, Lustgärten oder Kirchhöfe und Marterkammern?«

Seine Seele glitt allezeit an einer Schlußkette von Vorsätzen so heftig und eilig herab, daß die Hand, womit er sie faßte, brannte und blutete und daß dann das letzte Glied seiner Entschlüsse das Gegenteil des ersten wurde: so hörte jetzt sein Vorsatz, ihrer zu schonen, mit einer gefühlvollen Überströmung seines Mitleids auf, die jenem widersprach. Er sagte, da eine Lerche mit Frühlingstönen in der Abendröte hing, zu Adelinen: »Freue dich doch mehr, Teuerste! Siehe nur, wie schnell das kleine Leben vorüberrinnt, eh' man kaum zwei frohe Tage, zwei Freudenbecher daraus geschöpft hat! Ist dir nicht das Gerippe der verfallnen Natur an jedem Herbst, an jedem Abend eine ägyptische Mumie, die uns zögernde Menschen ermahnt zu einem schnellern Umfangen des wegschlüpfenden Lebens? – Ahme mich nach: wahrlich, mich stören die Winde und Erdbeben des Lebens so wenig wie eine Sonnenfinsternis – nur gegen etwas fänd' ich keinen Trost: wenn du mich nicht liebtest.« – »O bester Leolin! nur nicht so, wenn ich froh bleiben soll.« Er antwortete schnell: »Ach! du bist glücklicher als ich, ich finde alles eher auf der Erde, sogar Wahrheit und Freude, als Freundschaft! – Ach! ich sah im Traume meiner Jugend einmal ihren glänzenden Tempel stehen, wie David im Schlafe den salomonischen, und ich bin mit dem flatternden Luftschlosse in meiner Brust durch die Erde gegangen und habe unter den Menschen ihren Tempel gesucht! – Ach, Adeline! – Gib mir deine Hand und führe mich hinein und sage nur etwas, das mich tröstet.«

Sie konnte nichts sagen, und ihr aufgehobnes Auge voll furchtsamer Liebe war ihm nicht genug. Sooft er gleich der herrlichen Diptam-Blume zugleich blühte und brannte, jenes mit der Phantasie, dieses mit dem Herzen: so konnte Adeline, von seinen Ergießungen fortgerissen und untergetaucht, keine Worte finden, die er doch foderte, und seine Beredsamkeit erschuf ihre Sprachlosigkeit. Ach! zuweilen glaubte er dieses weibliche Herz nicht bewegt, weil das Zittern seiner feinen Saiten unsichtbar war, da ihre Töne höher sind. Ja, jede Träne, jeder Laut, womit sie ihm antwortete, fiel wie ein neuer Strom in seinen, und seine größere Entzückung wollte wieder durch eine fremde übertroffen sein, und so konnte man nie sein Herz erwidern. Aber selten konnt' er die bescheidne Seele über die Schranken des sprachlosen Genusses ziehen: wie ein höherer Priester sprach er ihr im Tempel der Natur die Morgenandachten vor, und sie sagte sie mit gesenktem Haupte nur im Herzen nach.


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