Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Er nahm es erst in Rouen zurück; aber bis ers tat, wie viele geistige Getränke für das Herz mußt' er nicht auf verunglückende Weinproben setzen! –Wie viele versüßte Kapweine mußt' er nicht mit seinem liquor probatorius oder der sogenannten sympathetischen Dinte untersuchen, bis er den schwarzen Niederschlag im Spitzglase vor Augen sah! – Ich will nur einen und den andern Wein nennen.

Z. B. die öden, lustigen, gutartigen Mädchen, die statt des Kopfes nichts haben als zwei Füße, nichts können als lachen, singen und plaudern, und die nie beseelt sind, als wenn sie tanzen, wie die hölzernen Trommelschläger aus Nürnberg nur so lange trommeln und arbeiten, als das spielende Kind sie in der Stube herumzieht. –

– Oder die, die statt der Menschenliebe nur das, was sie oft damit verwechseln, haben, Männerliebe – die wie Misogyne keine Frau lieben als die im Spiegel und die nicht bloß hinunter-, sondern auch hinaufwärts hassen, wie die Affenweibchen unsre nicht ausstehen können. – (Ein Affe hingegen schätzet den Menschen stets, er sei von seinem oder vom zweiten Geschlecht.) –

– Oder die, die nur heiraten, um zu kochen – die gerade so gut und so böse sind, als ihr Mann sie haben will – für die ein Mann eine Erbschaft, eine quarta falcidia der Schöpfung, eine kleine Welt ist, und die nicht seine Liebe, sondern seinen Namen und sein Geld verlangen, und die die Fortuna so abbilden würden wie die Römer: mit einem Barte. –

– Oder die leidlichen, die so lange gut bleiben, als man sie einsperrt, und deren Gesang unter fremden Weibern und Männern wie der Kanarienvögel ihrer ausartet, wenn sie den Käfig mit dem Walde vertauschen. –

– Oder die, die die Tugend lieben, aber einen Tugendhaften noch ein wenig mehr – die mit allen guten Anlagen des Kopfes und Herzens gegen alle herumschleichende Unter-Teufel recht gut gedeckt sind, nur aber gegen gute Engel nicht; wie man denn überall, selber in den höchsten Ständen, noch Weiber findet (freilich sind solche schöne Ausnahmen selten), die den Sklaven ihrer Reize, wie der Plantagenbesitzer den seinigen, nicht bloß nach äußerlichem Gehalt, nach Zähnen, Jugend, Gesundheit, aussuchen, sondern die auch wirklich, wie der Sklavenhändler, ein gutes Herz und einen guten Verstand mit im Kaufe drein haben wollen oder gar mit bezahlen. – –

– Oder die, die nicht sowohl weich als flüssig sind und die man wegen den weichen Knochen ihrer Seele wohl lieben, aber nicht heiraten kann – deren feines Gefühl der gutmeinende Mann von früh bis abends in einem fort beleidigt und ritzet, und in deren Herz er Scharten stößt, wenn er nur mit einem Barthärchen an solches streift, so daß der gequälte Schelm sie nur wie eine von der Kopfnaht bis auf die Ferse geschundne Person voll Empfindung handhaben kann. – –

Alle diese Mädchen sind gut; nur nicht die besten.

Adeline war die einzige in Leolins Augen, die nicht unter jene, sondern unter diese gehörte. Ihre Mutter, die als eine Frau von Welt einen männlichen Schatz fast aus allen Wissenschaften besaß, hatte ihn auf ihre Tochter vererbt; und diesen Schatz trug sie nicht als ein prahlendes Schmuck-Gehänge, sondern als einen auf der Brust verborgen liegenden offizinellen Edelstein. Der Einfluß dieses Amuletts gab ihr – was bei ihrem Geschlechte ebenso reizend als selten ist -ein bescheidenes Interesse an Dingen – und an den Gesprächen darüber –, die vielleicht einer Frau so wichtig wie Küchen- und Putztisch sein sollten, nämlich an der Natur, an allen Welten, an dem Vaterlande und allem Großen. Das Getöse der Revolution machte ihre sanfte Stimme, wie das Rollen der Wagen oder eine nahe Mühle die physische der nächsten Anwohner, ein wenig stärker. Kräftige Menschen jagen gerade ihren Ebenbildern am wenigsten nach; daher war das milde Öl, das statt des Blutes aus ihrem Herzen in ihr sanftes Leben floß, die anmachende Nahrung des Feuers in Lismorens seinem.

Was braucht ein Mensch mehr, um auf der Stelle sich zu seinem ersten Liebesbriefe niederzusetzen, als eine Adeline mit dieser Milde – mit dieser Trauer über den Vater – mit diesem Herzen voll Gefühl und voll Teilnahme an Wahrheiten und Menschen – mit dieser Hülflosigkeit, die der Liebhaber halb verursachte und ganz heben will – – was braucht er mehr? frag' ich. – Wenigstens fand Lismore mehr: die treuste Tochter, die je an einem mütterlichen Herzen mit blinder Liebe hing; je sanfter und je weiblicher eine Tochter ist, je fester sie einmal ihr Herz an ihren Gatten heften wird: desto lieber und näher ist ihrem dasjenige, unter dem sie einmal lag. O! warum müssen die stillen, anscheinend-kalten weiblichen Seelen so oft gemißdeutet werden, da sie doch gerade für die nächsten Menschen, für Mutter, Gemahl und Kind, die größte Wärme und die größten Opfer aufbewahren? – Bloß deswegen: weil die meisten nur eine Wärme glauben, nämlich die sichtbare, d. h. die Flamme.

Der Graf war genug unter Menschen und Jahren herumgeworfen worden, um es zu wissen, wie man das Herz voll Neigung mit der rechten Glastüre versperren müsse; auch war er schon längst gegen jene Treibhaus-Liebe eingenommen, die einen Tanz-Abend braucht zur Blüte und einen Vormittag zum Abfallen derselben. Ein unerfahrner Jüngling wäre durch Adelinens Kälte traurig und irre geworden: er wurd' es nicht; er dachte sich erstlich in das scheue Herz der Tochter, die jetzt so nahe und so mitten innen zwischen dem Tode des Vaters und der Krankheit der Mutter das Verhehlen ihrer frohern Empfindungen zu ihren kindlichen Pflichten machen mußte. Zweitens war ihm, der immer glücklicher bei Schönen war als sie bei ihm, oft aus Bitterkeit und selten aus Eitelkeit die Voraussetzung geläufig, daß eine ihn liebe. Drittens fragte er nach nichts, er konnte alles verwinden, alles verlieren; »wenn Resignation« (sagt' er immer) »als Resignation einen Wert behauptet: so macht die Größe eines Verlustes sie nur nötiger und edler – kurz der Mensch muß entweder nichts oder alles verschmerzen, sogar die Hölle und die Vernichtung.« Denn an letztere glaubt' er fest. Er liebte also Adeline unaussprechlich; aber er schwieg, nicht weil sie schwieg, sondern weil sie zu schweigen zu sehr den Anschein hatte.

Dabei war er (im guten Sinne), wenn nicht ein Hof-, doch ein Weltmann: der Steig vom Genie zum Weltmann ist kürzer, als die Leute sagen, die eines von beiden sind. Seine unbiegsamen Bestandteile hatten unter Weibern und Geschäften ihre Sprödigkeit abgelegt; aber der wenige Gift, der sie flüssig machte, war in der Einsamkeit wieder verflogen, und er hatte in zwei sehr entgegengesetzten Lagen nichts verloren als die Mängel derselben; so macht Achard das spröde weiße Gold durch Arsenik so weich, daß man es in Gefäße formen kann; dann jagt er durch heftiges Feuer den Arsenik wieder heraus.

Der Graf war so verwöhnt, daß er sogar in Sachen des Gefühls immer Plane und Modelle machte: er vermaledeite seine Plansucht und sein – Bewußtsein derselben: »Wenn ich nur wenigstens« (dacht' er) »nicht wüßte, daß ichs auf etwas anlege.« Ihm fiel – zu seiner Ärgernis – gerade in die schönsten Täuschungen des Enthusiasmus, in die schimmerndste Beleuchtung der Opernbühne immer durch eine zufällig-aufgehende Pforte das Tageslicht der Besonnenheit ein. Ihn verfolgte jetzt das Bewußtsein des Plans, daß er bloß die Freundschaft der Mutter zu gewinnen und zu erwidern brauche, um die Liebe der Tochter dreinzubekommen. Seine Absicht war schön und sein Mittel unschuldig; aber im 14ten Jahre liebt man doch ohne beide noch schöner.

Anfangs begreift mans nicht, daß das Herz der Mutter ihn an Sohnes Statt annahm: sie, eine von den höhern Ständen vollendete Frau, mit gleich feinen und strengen Sitten, mit Gefühlen, die sie mit ebensoviel Anstand ver- als entschleierte, und von einer Erziehung, die ihren Geist und sogar den, der keine hatte, immer in engsten Schranken der Grazie und Tugend hielt. – Er hingegen, ein sogenannter »starker Mann« in genialischem Verstande, eine Sonne, aber umzogen von einem immerwährenden Ring oder Hof voll Stürme – unersättlich in Vergnügungen, obwohl in den edelsten, und ein Engel, aber nur in einem Himmel, und voll widerstrebender ungebändigter Kräfte, die den Weg seines Lebens wie einen römischen mit lauter großen Ruinen zu überdecken drohten. – Gegen solche Männer haben die Mütter sonst zu viel Mißtrauen, wie die Töchter zu wenig: – – gleichwohl wars dasmal fast umgekehrt; und die Mutter wurde seine beste Freundin aus drei Gründen, die recht gut sind.

Erstlich in Revolutionszeiten, wo immer um die Arbeiter am Bau des himmlischen Jerusalems der Freiheit Blitze aus dem Boden schlagen, in Zeiten, wo man sich gegen die Gewittergüsse, gegen Kröten- und Blutregen unterstellen will, sucht man nicht den zu einem Tier oder Menschen zierlich ausgeschnittnen Gartenbaum, sondern eine vollästige dickbelaubte Eiche, einen Lismore. Zweitens gibt es keine sanftere Periode bei einem Menschen wie Lismore, der eine weibliche Seele mit so vielem Ungestüm besitzet, als die, wo er sie erst sucht: man sieht kaum den starken eckigen Frakturbuchstaben vor lauter Zugwerk aus sanften Schönheitslinien. Der dritte Grund ist seine – rechte Hand: ich wills erzählen, ich sitze ja dazu da.

Adelinens Mutter hatte vom Schlagfluß einen zitternden Arm behalten: man sage, was man will, ein empfindungsloser wär' ihr lieber gewesen als dieser oszillierende; warum soll ein vortreffliches Weib nicht in den Fällen ein Weib sein, worin Tugend und Sitte es erlauben? Als Lismore ihr das erstemal die Hand küßte, wars ihr, als schieße Eiswasser die Armröhre hinauf, und das Zittern nahm ab. Sie gab beim zweiten Kusse darauf acht; aber es war kein Zufall. Sie sagt' es ihm; er merkte aber bald, daß nicht seine Lippen offizinell wären, sondern seine Hand, deren Heilungskräfte durch Berühren einwirkten. Kurz durch einiges Bestreifen ihres stechenden Arms richtete er in wenig Minuten die bebende Magnetnadel in einen ruhigen, nach ihm gekehrten Stand. Wer den Grafen nicht gesehen und also zweifelt, den verweis' ich auf den noch lebenden Grafen von Thun in Wien – und umgekehrt verweis' ich auf jenen, wenn einer diesen nicht gesehen –, welcher ebenso lahme Glieder durch Bestreichen herstellt.Ich habe nichts mit jener seichten Philosophie zu tun, die gründlich zu sein glaubt, wenn sie keine Fakta annimmt als die, die sie schon in einem § erklärt hatte. Die Heilungskraft des Grafen von Thun ist durch hundert Beispiele und mir schon durch das einzige erwiesen, das einer meiner Freunde an seinem eignen Kinde erlebte. Da die Hand des Grafen ebensogern Almosen als Gesundheit verteilt: so ist sie ein Ersatz und ein Bild des Steins der Weisen, der zugleich Gold und langes Leben schaffen soll.

Ich glaube, der Arm der Mutter steckte das Herz der Tochter mit einem andern Zittern an; aber hier war der Graf weniger die Sanitätsanstalt als die Krankheitsmaterie, und seine klinische Hand voll Arzneifinger heilte gerade durch Berühren am schlechtesten. – – Lasset mich doch an ihren heiligen vier Herzenskammern, worin beinahe nichts als die vier Evangelisten, nämlich ihre Heiligenbilder, sind, die Nachtriegel zurückschieben und nachsuchen, ob ich nichts finde! – Allerdings find' ich etwas, nämlich den kleingeschriebnen und mit sympathetischer Dinte gezognen Anfangsbuchstaben des Grafen, nämlich ein L (wenns nicht auf den Evangelisten Lukas geht). Dieses L ist der Dinte wegen den ganzen Tag unsichtbar, außer abends, wo die Wärme den Buchstaben ein wenig leserlich macht. – Jeden Morgen war sie ärgerlich, daß sie abends, von Lismorens geflügeltem Geiste angeweht, ein wenig wärmer gewesen, als sie nachher wollte. Das reine weiße Asbest-Blatt ihrer Seele, auf das sie jenes L zuweilen schrieb, warf sie jeden Morgen in die Flammen, die alles auslöschten und wegbrannten, ohne den geringsten Nachteil des Bergflachses selber.

Aber die Myrte der Liebe gehet wie andre Gewächse gerade bei stürmischem Wetter am meisten in die Höhe. Adeline merkte viel später, welcher Blumensamen in ihr Keime treibe; aber die Mutter merkte es früher als der Graf, und dieser früher als die Tochter: denn die erste Liebe verhehlt sich am wenigsten und kündigt sich immer, wie die Sonne im Frühling, mit einer längern Aurora an. Ihr Herz hält sich gleichsam unter dem Zelte eines Schleiers für sicher: hebe den Schleier ab, so verstummt es, als Gegenspiel des schreienden Kanarienvogels, der zu singen aufhört, wenn man ihn überdeckt. –

Aber es kam ein Tag, der alle diese Rätsel endigte und meine biographischen Belustigungen anfing. –

Es war vormittags, wo Adelinens Mutter fühlte, der nähere Tod spanne die von so vielen Schmerzen aufgeschraubten Nerven wieder zurück – die Saiten der zurückgedrehten Wirbel bebten schlaffer, aber tiefer und leiser – ungewöhnliche Tränen stiegen in ihre Augen, und sie wunderte sich nicht, daß ihr Herz, sondern nur, daß ihr Auge voll Tränen war. Ach! da mußte sie ja die treue Tochter ans berstende Herz ziehen und mit einem zweiten ihres verbergen und stillen. Sie sagte es niemand; aber sie wußt' es, sie könne eher die Erde als ihr Frankreich räumen, und indem sie sich gelassen zur Reise vorbereitete, setzte sie voraus, es sei die längere aus der Erde, und sie gehe über ein stilleres Meer als über den Kanal. Sie dachte den ganzen Morgen an den Grafen – zumal da er nachmittags mit Adelinen ein nahe liegendes Echo besuchen wollte – und an ihren Tod und an die Hülflosigkeit der Tochter; und sie nahm sich vor, ihr die Mutter-Hand noch einmal zu reichen, eh' sie erkalte und zerfalle.


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